Das Feuer der Hoffnung von Momokoko (Adventskalender 2021 Türchen 6) ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ Gleichmäßige Schritte auf dem verschneiten Boden kündigten das Näherkommen eines Menschen an, der es nicht eilig zu haben schien. Die Gestalt bewegte sich mühelos über die unebene Straße hinweg, während jedes Auftreten ihrer Füße den Schnee kaum hörbar knacken ließ. Stille herrschte in der Umgebung. Das ohrenbetäubende Knallen der Schmiedehämmer auf den Ambossen war lange hinter den Stadtmauern verstummt. Lautlos fielen kleine, weiße Flocken vom Himmel und bedeckten ihre Destination mit unaufhörlicher Beständigkeit. Auch der Umhang der Wanderin war mit hellen Punkten überzogen. Der grobe, dunkelrote Stoff ließ auf eine Unterstellte des Kaisers deuten. Etwas an ihren Bewegungen wollte allerdings nicht ganz in dieses Bild passen. Die verzierten Griffe zweier Schwerter lugten unter ihrer Robe hervor. Zu diesen Zeiten war es gefährlich die schützenden Mauern Luans zu verlassen, selbst sie war sich dessen bewusst. Eine penibel gepflegte Holzschachtel in den Händen haltend, trat die Gestalt auf die kleine Gedenkstätte zu und überbrückte die ersten Stufen, um schließlich unter dem geschwungenen Holzdach stehenzubleiben. Erloschene Fackeln säumten die Seiten der kurzen Treppe, die zu einem Schrein hinaufführte. Die dunklen Augen der Frau verblieben für einen Moment auf den erkalteten Leuchten, ehe sie eine Hand hob und sich die Kapuze vom Kopf strich. Schwarze Zöpfe fielen über den dicken Stoff des Mantels und rahmten ihr blasses Gesicht. Ihre kühlen Gesichtszüge spiegelten den düster anmutenden Zustand ihrer Umgebung wider. Den Blick hebend, stieg sie das letzte Stück der steinernen Treppe hinauf. Die Schale auf dem Altar, die einst unzählige Räucherstäbchen gehalten hatte, war leer, bis auf den zwei fingerbreit hohen Sand, in welchem sich im Laufe der letzten Wochen kleine Pappelsamen gesammelt hatten. Sie hob die Hände und stellte die Schachtel aus dunklem Holz neben dem weitläufigen Gefäß ab. Ihre mit Schwielen überzogenen Finger gehörten ganz sicher nicht zu denen einer hohen Dame. Trotzdem war die Art wie sie sich bewegte behutsam und ruhig, als könne sie sich leisten, hier vor den Stadtmauern länger zu verweilen. Die Frau begann, die weichen Baumsamen aus dem Sand zu entfernen, ehe sie sich der Holzschachtel zuwandte. Langsam öffnete sie den mit Löchern verzierten Deckel und schob ihn zur Seite. Zu sehen war ein helles Seidentuch, auf dem mehrere farbige Holzstäbchen lagen, sowie ein Stück schwarze Kohle umringt von einem Kranz aus Eukalyptus. Der frische Duft der Blätter erfüllte für einen Moment die eisige Luft, bevor er auch schon verflogen war. Bedacht griff die Frau nach drei der Stäbchen und hielt sie einen Moment vor sich, während sie die Augen schloss. Ihr gleichmäßiger Atem sendete kleine Wolken aus Wasserdampf gen Himmel. Es vergingen einige Augenblicke, bevor sie die Kohle vor sich auf den Stein legte und jedes Stäbchen mit einer geschickten Handbewegung anzündete. Sofort begannen die Spitzen des behandelten Holzes Rauch zu entwickeln. Sie beschrieb einen Bogen mit den Händen und steckte die Räucherstäbchen dann in den Sand. Das sanfte Glimmen des Holzes war kaum wahrzunehmen, aber es schien die Stätte trotzdem zu erhellen. Nachdem sie dem Rauch für einen Moment zugeschaut hatte, wie er in Spiralen zum Holzdach des Schreins stieg, wollte sie sich davor niederlassen, als sie ein Flackern erblickte. Ein kaum merklicher, fragender Ausdruck legte sich auf ihre Gesichtszüge. Langsam ging sie um den Altar herum und trat seitlich unter dem Dach nach draußen. Hinter der Gedenkstätte zog sich ein verschneiter Weg die kleine Anhöhe nach unten. Dort öffnete sich der Wald ein Stück, um Platz für ein rechteckiges, gepflastertes Feld zu machen, das mit Säulen umrundet war. Anders, als es die Erwartung zugelassen hätte, war diese Fläche komplett vom Schnee verschont geblieben. In der Mitte ragte ein Feuerbecken zwei Fußlängen über dem Boden nach oben. Eine große Flamme leuchtete dort und warf Abbilder des Musters, welche das Behältnis säumten, auf die unebenen Steine. Die Frau ging langsam auf den Vorplatz zu. Sie war sich sicher, dass niemand außer ihr hier sein konnte. Den Blick schweifen lassend, näherte sie sich dem Feuer. Sie konnte die Wärme der Flammen auf ihrer Haut spüren. Aufmerksam begann sie die Schale zu umrunden. „Wo bist du gewesen?“ eine sanfte, dunkle Stimme erhob sich aus der Richtung, aus der sie gerade gekommen war. „Ich bin immer hier gewesen.“ Antwortete sie, ohne die Augen vom Feuer abzuwenden. „Das meine ich nicht.“ Sie konnte ein leichtes Schmunzeln aus seinen Worten heraushören. „Erklärt mir lieber, wo Ihr gewesen seid. Warum seid Ihr gegangen?“ Ihr Kopf ruckte in die Richtung des gleichaltrigen Mannes. Er trug einen dunkelroten Mantel und hatte die Hände unter dem Stoff vergraben. „So ist das Leben...“ „Nein, kommt mir nicht damit. Es war Eure Entscheidung! Ihr habt keinen Gedanken daran verschwendet, was mit uns passiert, wenn Ihr nicht mehr da seid!“ Ihre eben noch ruhige Art wurde schlagartig gebrochen. Sie verspürte Wut, Traurigkeit, aber vor allem Frust. Den Mund verziehend, griff sie nach ihren Schwertern. Anstatt Bestürzung zeigte sich ein merkwürdiges Lächeln auf dem Gesicht ihres Gegenübers. Sie kannte diesen Ausdruck von damals. „Ein letzter Kampf also?“ Mit diesen Worten schlug der Mann seinen Umhang zur Seite und nahm zwei verzierte Schwerter hervor. Augenscheinlich mochte man meinen, ihre beider Waffen hatten die gleichen Äußerlichkeiten. Das gleiche Band am Schaft, die gleiche geschwungene Klinge und die gleiche Verzierung eines brüllenden Drachen auf dem Metall. In Wirklichkeit ähnelten sich ihre Schwerter nicht nur sehr stark, es waren dieselben. Betroffen schaute die Frau nach unten. Die Enttäuschung wog zu schwer und zerriss sie förmlich in zwei Hälften. Die eine völlig blind vor Wut, die andere erschrocken darüber, dass sie seine Schwerter gegen ihn gerichtet hatte. „Du kannst nicht beides haben. Tu es, oder lass es.“ Sein Tonfall war es, der ihr den letzten Schubs in eine Richtung gab. Wie konnte er es wagen sie heute noch zu belehren, als wäre sie das Kind von damals? Noch bevor sie ihren Angriff überhaupt durchdacht hatte, schossen seine Waffen auf sie zu. Reflexartig ließ sie sich nach hinten fallen, wo sie die Klingen über sich hinweggleiten sah. Sie drehte sich und konnte sich mit beiden Händen abfangen, während sie gleichzeitig einen Fuß in die Höhe brachte, mit dem sie seine Brust erwischte. Geschickt richtete sie sich auf und ließ ihr Schwert einen diagonalen Bogen beschreiben. Das klirrende Geräusch von Metall, das auf Metall traf, erklang und brachte einen Schwarm erschrockener Krähen dazu, in die Lüfte schnellen. Das wilde Schlagen der Flügel vermischte sich mit den Kampfgeräuschen in der Mitte des steinigen Platzes. Die eisige Winterluft brannte in ihren Lungen, während sie zuschlug, abwehrte, auswich und wieder angriff. Sie fühlte sich so frei, wie schon lange nicht mehr. Die flackernden Flammen wärmten ihren Rücken, während sie sich um die Feuerschale herumbewegten. Nur beiläufig sah sie, wie der Lichtschein durch ihr Gegenüber hindurchfiel. Mit einer flinken Bewegung brachte er die Schale zwischen sie, sodass sie beide Klingen durch das Feuer führte. Damals hatten die Flammen für einen kurzen Moment auf den Schwertern getanzt, ehe sie erloschen waren. Diesmal passierte das nicht. Stattdessen blickte ihr die Dunkelheit entgegen. Das Feuer war verschwunden, die Hitze fort und die Erinnerung des Mannes verblasst. „Wieso habt Ihr es mitgenommen?“ Schweren Herzens senkte sie die Schwerter. „Das habe ich nicht. Es ist immer hier gewesen.“ Blinzelnd steckte sie ihre Waffen zurück an den Gürtel und zog den Umhang enger um sich. Ihr Gesicht zeigte dieselbe Regungslosigkeit wie zuvor, als sie die Stufen zu diesem Ort herabgestiegen war. Genauso bedacht ging sie durch den Schnee zurück in Richtung der Gedenkstätte ihres Meisters und warf keinen Blick mehr hinter sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)