Fortunas verschlungene Pfade von Kikono-chan ================================================================================ Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- 9. Kapitel Nun war schon fast eine ganze Woche vergangen, seit Law seine stationsleitende Kinderärztin suspendiert hatte. Insgeheim verfluchte er sich dafür, dass er so reagiert hatte. Ihm waren einfach die Sicherungen durchgebrannt. Aber sie hatte ihn auch dermaßen provoziert! Er wollte es gar nicht so weit kommen lassen. Im Grunde wollte er ihr nur helfen, denn er konnte sehen, wie sie unter ihrer Situation litt. Ihre Beziehung stand auf Messers Schneide und wahrscheinlich würde den Beiden nur noch ein Wunder helfen. Aber was ging es ihn eigentlich an? Es war doch sonst nicht seine Art, sich in derart private Angelegenheiten einzumischen. Sein eigentlicher Plan, ihr eine Auszeit zu gönnen, ging komplett nach hinten los. Er hatte ihr Urlaub angeboten, freie Tage, Abbummeln von Überstunden – doch sie hatte alles abgelehnt. Sie wollte unbedingt arbeiten. Und dann passierte ein Fehler nach dem anderen. Er hatte ja gar keine andere Wahl gehabt, als sie zu suspendieren. Oder? Genervt massierte er sich die Schläfen und warf einen wütenden Blick auf das stumme Telefon in seinem Büro. Warum rief sie nicht einfach an und entschuldigte sich bei ihm? Ohne zu zögern würde Law die Suspendierung wieder aufheben und Nami wieder arbeiten lassen. Was tat sie nur? Was ging bloß in ihrem Kopf vor, dass sie so stur war und ihren Fehler nicht zugeben konnte? Oder... … hatte vielleicht ER einen Fehler begangen? War er zu hart mit ihr ins Gericht gegangen? Sollte er den ersten Schritt machen und das Gespräch suchen? Oder würde das alles nur noch verschlimmern? Fakt war; irgendetwas musste passieren! Zwar hatte Kaya die Kinderstation verhältnismäßig gut im Griff, doch so langsam ging das gesamte Personal eben jener Abteilung auf die Barrikaden. Alle wollten, dass Nami wieder zurückkam. Auch Herr Eisberg. Der sonst so freundlich und friedlich wirkende Mann hatte ihm am Morgen einen knappen Besuch abgestattet. Seine Aura war so kalt wie sein Name. Nur ein einziger Satz hatte seine Lippen verlassen, nachdem er ihn mit seinen Blicken auf nahezu jede Art und Weise qualvoll um die Ecke gebracht hatte. Noch nie war Law ein derart kalter Schauer über den Rücken gelaufen. „Bringen Sie sie zurück!“ Law fröstelte es erneut, als er daran dachte. Stolz hin oder her, er würde die Sache wohl selbst in die Hand nehmen müssen. Kurzerhand fasste er einen Entschluss: Er würde zu ihr fahren. Jetzt! Eine weitere leere Rotweinflasche gesellte sich zu den anderen. Wie viele es mittlerweile waren, wusste Nami nicht. Sie hatte irgendwann aufgehört zu zählen. Wozu auch? Ruffy war fort. Er ignorierte sämtliche ihrer Versuche, ihn zu kontaktieren. Zwar hatte sie am Dienstag Zorro beim Einkaufen getroffen und von ihm erfahren, dass Ruffy sich in der Wohnung seines Bruders aufhielt, doch das nützte ihr wenig. Als der Schwarzhaarige wusste, wer da vor der Tür stand, ging er einfach nicht mehr an die Klingel. Er hatte es also ernst gemeint mit dem Abstand und der Auszeit. Sie dachte, sie würde irgendwie damit klar kommen, wenn sie einfach nur arbeiten könnte – doch dann schoss ihr ein, dass sie suspendiert worden war. Sie durfte gerade also gar nicht arbeiten. Wie sollte sie sich dann bitte ablenken? Nicht einen klaren Gedanken konnte sie mehr fassen. Ihre Brust schmerzte, ihr Kopf pochte und absolut nichts vermochte diese Gefühle zu vertreiben. Also war sie losgezogen, um Alkohol zu kaufen. Viel Alkohol. Als sie die erste Flasche angesetzt hatte, kamen ihr noch leise Zweifel. Sollte sie das wirklich tun? Ein Glas könnte auch schon reichen. Sollte ihr Pieper gehen, müsste sie immerhin einsatzbereit sein. Doch mit genau diesem Gedanken verschwanden auch alle anderen. Ihr Pieper würde nicht gehen, denn man hatte sie suspendiert. Weil sie die Wahrheit gesagt hatte! Weil sie ein Mensch war! Vor ihrem geistigen Auge flackerten Laws kalte Augen auf und Wut stieg in ihr hoch. Sie setzte die Flasche an und begann zu trinken. Sie wollte nur noch vergessen... Ihre Wut. Ihre Enttäuschung. Ihre Trauer. Sie wollte Law vergessen und Ruffy. Und... Kuleha... Sie fühlte sich so schrecklich allein gelassen. Die leere Wohnung und der Alkohol taten ihr Übriges dazu. Immer wieder hatte sie geweint. Stundenlang. Irgendwann ging ihre Trauer in Resignation über und während sie eine Flasche nach der anderen leerte, um sich selbst weiter zu betäuben, starrte sie stumm aus dem Küchenfenster ins Leere. Niemand war mehr da. Niemand würde sie trösten. Niemand brauchte sie. So trübe und düstere Gedanken hatte sie nie zuvor gehabt. Es entsprach überhaupt nicht ihrem sonst so sonnigen Wesen. Langsam griff sie zu einer weiteren Rotweinflasche und fixierte die dunkle Flüssigkeit darin. Sie hatte immer so hart gearbeitet, so fleißig gelernt. Etwa für das hier? Sollte das schon alles gewesen sein? Ein lautes Klingeln und energisches Klopfen rissen sie aus ihren merkwürdigen Gedankengängen. Zunächst konnte sie die Geräusche überhaupt nicht zuordnen. Langsam stand sie vom Stuhl auf, schwankte ein wenig und stützte sich den Kopf. Ob die letzte Flasche wohl schlecht gewesen war? Das Klingeln wurde penetranter, die Intervalle kürzer, in denen dieser grässliche Ton erklang und auch das Klopfen artete in eine Art Hämmern aus. Und endlich konnte sie es auch zuordnen: Die Wohnungstür. Jemand stand davor und wollte allem Anschein nach ziemlich dringend hier herein. Etwa zu ihr? Mehr schlecht als recht taumelte sie dorthin und registrierte nun auch dumpfe Rufe. Machte sich da jemand Sorgen? Um sie? Aber wer...? Sie öffnete die Tür und vor ihr stand kein geringerer als ihr Chefarzt persönlich. Ihre aufkeimende Vorfreude schlug sofort wieder um und wütend wollte sie die Tür wieder zuknallen, als er einen Fuß dazwischen setzte und von außen gegen drückte. „Nami, wir müssen reden.“ „Verschwinde!“ zischte sie böse, doch sie hatte kaum genug Kraft, um sich auf den Beinen zu halten. Gegen Trafalgar hatte sie da nur wenig Chancen, der sich mit aller Kraft gegen die Tür drückte. „Ich hab mir Sorgen gemacht. Hör mir doch wenigstens zu. Bitte!“ Es klang fast schon wie ein Flehen und das letzte Wort aus seinem Munde brach endgültig ihren Widerstand. Entweder war er ein guter Schauspieler oder ihm lag tatsächlich etwas an ihr. Oder nur an ihr als Ärztin? Sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Das würde sie schon noch früh genug erfahren. Sie ging von der Tür zurück und ließ ihn eintreten. Ein erleichtertes Aufseufzen kam von ihm. Er war also wirklich froh, hier zu sein? Sie angetroffen zu haben. Law schloss sorgfältig die Tür wieder hinter sich. Es war ein Wunder für sich, dass keiner der Nachbarn sich bisher beschwert hatte. Immerhin klingelte er bereits seit mehr als zehn Minuten sturm bei ihr und hämmerte wie ein Irrer gegen die Tür. Er hatte von draußen ihren Kopf gegen das Fenster lehnen sehen und sofort schrillten bei ihm sämtliche Alarmglocken. Jetzt wo er endlich in der Wohnung war, schienen sie aber nicht leiser zu werden. Er vernahm den süßlichen Duft von Alkohol, der überall in der Wohnung lag und auch stark an Nami haftete. Außerdem schien sie alles andere als standfest – sie schwankte leicht, obwohl sie sich keinen Zentimeter gerührt hatte, seit er eingetreten war. Und dann fiel ihm noch etwas auf, dass ihm vermutlich das größte Unbehagen bereitete: Nami hatte lediglich ein zerknittertes Hemd und eine Hotpan an! In was für eine Situation hatte er sich denn da schon wieder gebracht? „Was willschu?“ nuschelte Nami mit schwerer Zunge. „Nur reden. Können wir uns irgendwo hinsetzen?“ Er sah sich bereits in dem großzügigen Eingangsbereich um. Rechts von ihnen war ein offener Bereich und sofort erkannte er, das Fenster, an dem Nami vorhin noch gelehnt hatte. Er sah die Flaschen quer verteilt umher liegen und sah besorgt zu seiner Kinderärztin. Was hatte sie nur dazu veranlasst, sich derart gehen zu lassen? Auch wenn er sie erst kurz kannte, so war er sich doch mehr als sicher, dass diese Handlungen sonst so gar nicht zu ihr passten. Etwas unbeholfen tapste Nami in Richtung Küche, stolperte fast über einige umher liegende Flaschen und trat wieder den Rückzug an. Doch durch dieses verhältnismäßig ungestüme Wendemanöver geriet ihr letztes bisschen Gleichgewicht völlig außer Kontrolle und ihre Knie gaben nach. Sie war sich sicher, dass sie fallen würde. Also schloss sie schnell die Augen und wartete auf den eintreffenden Schmerz. Der nicht kam. Stattdessen wurde sie hochgehoben und reflexartig schlang sie ihre Arme um ihren Retter. Natürlich hatte Law sie aufgefangen. Und um weitere Missgeschicke zu vermeiden, hatte er sie einfach auf seine Arme gehoben und steuerte nun auf das Ende des Flurs gegenüber der Eingangstür zu. Meistens waren solche Wohnungen so geschnitten, dass das Wohnzimmer dem Eingang gegenüber lag. Und er sollte Recht behalten. Er legte Nami behutsam auf dem gemütlichen Sofa ab und legte ihr sofort danach eine Tagesdecke über. Zum einen hatte er dann nicht mehr ständig ihre nackten, langen Beine vor seinen Augen, und zum anderen kühlte sie so nicht weiter aus. Einer der unzähligen Nachteile von Alkohol. Law nahm an ihrem Fußende Platz – so war wieder genug Raum zwischen ihnen – und musterte sie erneut. Ihre Wangen waren vom Wein ganz rot und ihre Augen glasig. Sie wirkte müde, traurig und abgespannt. Ob sie noch immer nicht mit ihrem Freund geredet hatte? „Ruffy ischt fort... kein Plan, ob er mich überhaupt nochmal sehn will...“ platzte sie einfach heraus. „Woher...?“ setzte Law an, doch Nami schüttelte nur ihren Kopf. „Schteht in Großbuchstabn auf deiner Stirn, Herr Meisterschefarscht!“ Etwas überrascht sah er sie einfach nur an, woraufhin die Orangehaarige plötzlich anfing schallend zu lachen. „Was genau ist so witzig?“ „Du siehscht so bescheuert aus, hahahahahaaaa!“ „Danke auch...“ Etwas mürrisch verzog er das Gesicht, war aber insgeheim froh darüber, dass sie doch noch lachen konnte. „Also, was ist vorgefallen?“ Die junge Frau ging wieder in eine defensive Haltung über. Sie zog ihre Knie an und versuchte sich dahinter zu verstecken. Doch bereitwillig erzählte sie Law von den Vorkommnissen der vergangenen Woche. Zur Zeit war er ihr einziger Vertrauter und mit irgendjemanden musste sie reden, sonst würde sie das alles um den Verstand bringen. „So war das also. Kein Wunder, dass dir dann diese Fehler passiert sind. Wenn ich das vorher gewusst hätte...“ „Du hast es gewusst! Tu nicht so unschuldig!“ Das viele Reden hatte ihre schwere Zunge wieder gelockert. „Nach dem ersten Vorfall im OP habe ich es dir gesagt! Du kanntest meine Situation ganz genau und trotzdem bist du so hart mit mir ins Gericht gegangen. Aber selbst wenn du es nicht gewusst hättest, weil es dich ja auch eigentlich überhaupt nichts angeht, war die Suspendierung unangemessen. Alle anderen Ärzte machen auch ihre Fehler aber da reagierst du nicht so streng. Warum muss ausgerechnet ich perfekt sein? Etwa weil ich eine Frau bin?!“ Irgendwie fühlte er sich vor den Kopf gestoßen. Und hinterfragte nicht zum ersten Mal seine Taten. War das der Grund, warum er sie so behandelte? Denn leider hatte sie Recht. Nur ihr verlangte er eine derartige Perfektion ab. Oder war es, weil sie diese Perfektion von Anfang an an den Tag gelegt hatte und er nichts anderes von ihr gewohnt war? Oder... gab es einen noch ganz anderen Grund, den er noch überhaupt nicht bedacht hatte? Zum ersten Mal seit Jahren fühlte er sich ratlos. Nami senkte ihren Kopf noch weiter. „Nein, schon gut. Ich weiß, dass es das nicht ist. Kaya behandelst du nämlich nicht so wie mich. Also muss es an mir persönlich liegen. Hat es mit Kuleha zu tun? Mit dem Chefarztposten? Oder weil du in den ersten Wochen nie einen Fehler an meiner Operationstechnik entdeckt hattest?“ Energisch starrte er auf seine in die Knie gekrallten Hände. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich ertappt. Von Anfang an war er fasziniert gewesen von ihrer Operationstechnik. Sie war perfekt. Und wurde noch dazu ebenso perfekt durchgeführt. Diese Perfektion wollte er erhalten. Um jeden Preis. Und überging dabei völlig den allerwichtigsten Aspekt: Die ausführende Person war ein Mensch. Und Menschen machten nun einmal Fehler. Es gibt keine perfekten Menschen. Und doch wollte er unbedingt, dass Nami so ein perfekter Mensch war. Mit seinen Anforderungen an sie – die er zwar nie geäußert hatte aber dennoch offen im Raum standen - hatte er ebenfalls dazu beigetragen, dass es so weit kommen konnte. Schuldgefühle begannen an ihm zu nagen. Ruckartig drehte Law sich zu Nami, ergriff ihre Hände und senkte demütig sein Haupt. „Entschuldige, Nami. Ich war so von meinem Perfektionismus besessen, dass ich blind wurde für das, was eigentlich wirklich wichtig ist. Ich habe dir immer wieder angeboten, dich mir zu öffnen und über deine Probleme zu reden und dir trotzdem nicht geholfen. Im Gegenteil: Ich habe dir nur noch mehr abverlangt, als du überhaupt schultern konntest. Kannst du mir verzeihen?“ Völlig perplex starrte sie ihn einfach nur an. „Wer bist du und was hast du mit meinem Chefarzt gemacht?“ Sie entzog ihm grob ihre Hände und sah ihn finster an. Der Law, den sie kannte, würde sich niemals dazu herablassen und sich bei ihr entschuldigen. Dabei sollte eigentlich sie bei ihm zu Kreuze kriechen und nicht umgekehrt. Eindeutig verkehrte Welt. Oder trübte der Alkohol noch immer ihre Sinne und das hier passierte gerade gar nicht wirklich? Ein wenig verunsichert, rückte er wieder von ihr ab und verharrte in dieser Position an ihrem Fußende. Was war denn nun schon wieder in ihn gefahren? Warum verhielt er sich in ihrer Nähe immer wieder so merkwürdig? Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Nach einer Weile fing Nami plötzlich an zu kichern und mit fragendem Gesichtsausdruck sah er sie nun doch wieder an. „Du siehst aus wie ein verschrecktes Kaninchen. Niedlich.“ Seine Ohren spielten ihm einen Streich! Hatte seine toughe Kinderärztin ihn, den Chefarzt, gerade ernsthaft als >niedlich< betitelt?!? Sie lehnte sich etwas weiter vor, stützte ihren Kopf auf ihre Handfläche und musterte ihn grinsend. „Eigentlich bist du ein ganz hübsches Kerlchen, weißt du das, Law? Warum ist mir das bisher eigentlich nie aufgefallen?“ Zwei Mal musste er blinzeln, bevor sein Hirn die eben erhaltenen Informationen adäquat verarbeiten konnte. Und er kam zu dem Schluss: „Du bist ja immer noch völlig betrunken. Das ist lediglich der Alkohol der da aus dir spricht.“ Sie schnaubte kurz. „Genau. Deswegen war es mir nie aufgefallen: Du bist fortwährend damit beschäftigt, den Oberarsch raushängen zu lassen. Hat dir nie jemand gesagt, dass kleine Kinder und Betrunkene immer die Wahrheit sagen? Naja auch egal. Vielleicht sollte ich wirklich meinen Rausch ausschlafen gehen.“ Damit streckte sie sich, wobei ihr Hemd sich eng um ihre Brust spannte. Natürlich war Law das nicht entgangen und schnell begrub er sein Gesicht in seinen Händen. Diese Frau machte ihn fertig! Würde sie sich morgen auch nur im Ansatz an dieses Gespräch erinnern können? Hoffentlich nicht! Deutlich besser gelaunt hüpfte Nami vom Sofa und stolzierte an dem Schwarzhaarigen vorbei. Und wieder konnte er einen perfekten Blick auf ihre Beine werfen. Das machte sie doch mit Absicht! Doch Moment, wo wollte sie eigentlich hin? Beinahe panisch griff er nach ihrem Arm und hielt sie auf. „Wolltest du nicht schlafen?“ „Natürlich. Aber erstens nicht hier auf dem unbequemen Sofa und zweitens brauche ich dringend Wasser. So langsam setzt der gesunde Menschenverstand wieder ein und der brüllt mir diverse Dinge in Bezug auf erhöhten Alkoholkonsum entgegen. Muss wohl das schlechte Gewissen sein, sonst kenne ich keine innere Stimme, die so penetrant und gemein sein kann.“ Mehr oder weniger freiwillig ließ er sie wieder los und sah ihr nach. Den Rest würde sie schon alleine hinbekommen. Immerhin schien sie langsam wieder bei klarem Verstand zu sein. Nicht unbedingt vorteilhaft im Bezug auf ihr voran gegangenes Gespräch aber definitiv für seinen inneren Seelenfrieden. Er sollte jetzt wieder gehen. Aber erst nachdem er weitere Minuten still dagesessen hatte, schaffte er es endlich, sich aufzuraffen. Er hatte deutlich vernommen, wie Nami nach kurzer Zeit ins Nebenzimmer gegangen ist und seitdem war es still geworden. Leise verließ er das Zimmer auf dem Weg zur Wohnungstür, als er ganz leise ihre Stimme vernahm, die eindeutig seinen Namen rief. Aus einer Kurzschlussreaktion heraus, machte er sofort auf dem Absatz kehrt und stürzte beinahe in ihr Schlafzimmer. Nami lag einfach nur da. Den Blick an die Decke gerichtet, die Wangen von einer Tränenspur gezeichnet. Erneut überkam ihn dieses unbestimmte Gefühl. Er wollte bei ihr bleiben, sie einfach nur festhalten, ihr Rettungsanker sein. Zumindest für diesen Moment. Er ertrug es einfach nicht, sie weinen zu sehen. Langsam überbrückte er die letzten Schritte bis zum Bett. Seine innere rationale Stimme wetterte heftig gegen sein Handeln. Er hatte nun wirklich nichts im Schlafzimmer einer fremden Frau zu suchen. Das gebot allein der Anstand! Aber den hatte er anscheinend vor ihrer Wohnungstür stehen lassen. „Law? Würde es dir etwas ausmachen, noch ein bisschen zu bleiben? Nur... bis ich eingeschlafen bin. Es ist so schrecklich einsam hier.“ Ihre Stimme zitterte und war kaum mehr als ein Flüstern. Stumm nickte er nur und setzte sich auf die Bettkante. Liebevoll strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Erst jetzt bemerkte er die dunklen Ringe unter ihren Augen. Wann hatte sie zuletzt richtig schlafen können? Hatte sie diese Probleme erst seit dem Streit mit Ruffy? Oder ging das schon eher los? Waren ihr deshalb diese dummen Fehler unterlaufen, weil sie nicht genug Schlaf bekam? Fiel es ihr so schwer, alleine einzuschlafen? Aber im Krankenhaus schien das doch auch zu klappen, wenn sie Dienst hatte. Oder funktionierte es, weil sie wusste, dass zu hause jemand auf sie wartete? Er streichelte über ihren Kopf, ihre Wange, wischte behutsam die Tränenspur weg und beobachtete jede ihrer Reaktionen ganz genau. Langsam hatte sie die Augen geschlossen, lehnte sich sogar seiner Berührung entgegen. Ob diese Geste wirklich ihm galt? Oder war es nur der Einsamkeit zu verschulden? Vor einiger Zeit hatten sie doch eine ähnliche Situation gehabt. Da war allerdings er es, der ihre Nähe nicht missen wollte. Schon in jener Situation hatte er sich gefragt, ob es Impulshandlungen waren aus der Gewohnheit heraus oder ob es doch eine tiefere Bedeutung hatte. Wollte er das überhaupt? Wollte er, dass sie sich IHM entgegen lehnte und nicht einfach nur der Hand, die die Einsamkeit vertrieb? Und grübelte er über all das so viel nach, weil er in Namis Nähe ebenfalls seine eigene Einsamkeit vergessen konnte? Hätte es nicht auch jede andere beliebige Frau sein können? Er war so in seinen Gedanken versunken, dass er die Arme, die sich um ihn schlangen, erst gar nicht registrierte. Erst als Nami ihn an sich zog, erwachte er schlagartig aus seiner Starre. Doch er schaffte es nicht mehr, sich abzufangen und so landete er mit dem Gesicht direkt in Namis Kissen gleich neben ihrem Gesicht. Sofort beschleunigte sein Herzschlag, überschlug sich beinahe und er traute sich nicht, sich zu bewegen. Er konnte ohnehin schon viel zu viel von ihr spüren. Wie sollte er aus dieser Situation nur wieder heraus kommen? Dann schoss ihm noch ein Gedanke durch den Kopf: Bei keiner anderen Frau – mit Ausnahme von Boa Hancock – hatte er bisher so reagiert. Es gab bereits einige, die ihn viel zu nah an sich herangezogen hatten, doch zumeist hatte er entweder gar nichts oder nur Ekel und Abscheu empfunden. Keine andere Frau hätte ihn je dazu gebracht, so weit zu gehen. Er war zu Nami nach Hause gefahren, war in ihre Wohnung gekommen, hatte sie nur leicht bekleidet gesehen und ihr trotzdem Trost gespendet. Er hat seinen Stolz über Bord geworfen, sich sogar bei ihr entschuldigt und war schlussendlich ihrer Bitte nachgekommen, bei ihr zu bleiben. Und jetzt lag er hier. Sein Oberkörper auf ihrem, während sie anscheinend nicht bereit war, ihn sobald wieder loszulassen. Dabei wäre es ein leichtes für ihn, sich einfach zu erheben, aufzustehen und zu gehen oder zumindest wieder etwas mehr Abstand zwischen ihnen aufzubauen. Aber er blieb einfach liegen, drehte nur etwas den Kopf in ihre Richtung, um ungehindert atmen zu können. Zugegeben, die Position war alles andere als bequem aber... jede noch so kleine Bewegung hätte ihre Körper wieder voneinander entfernt. Und der Gedanke gefiel dem jungen Chefarzt so gar nicht. „Bleib. Bitte.“ „Bis du eingeschlafen bist.“ wiederholte er langsam ihre Bitte. Doch Nami schüttelte leicht den Kopf. „Kannst du... bis morgen bleiben?“ In Laws analytischem Hirn jagte eine Fehlermeldung die nächste. Binnen weniger Nanosekunden war das gesamte System überlastet und zeigte nur noch Error. Eine normale Reaktion hätte ein klares >Nein< gefordert, aber einfach alles in ihm sträubte sich gegen diese Antwort. Stattdessen kam ein ganz anderer Satz aus seinem Mund. „Darf ich das denn?“ Mit dieser Frage hatte sie so gar nicht gerechnet. Warum sollte er nicht dürfen? Oder spielte er etwa auf Ruffy an? Was würde passieren, käme er plötzlich nach hause und fände sie in den Armen eines anderen Mannes vor? Dann wäre es auch egal. Nami beschloss für sich, dass sie Laws Nähe gerade dringender brauchte als eine wage Hoffnung, Ruffy könnte doch wieder nach Hause kommen. Law war gekommen, um nach ihr zu sehen. Er war es, der energisch an ihre Tür geklopft hatte. Er war es, der ihr erneut zugehört hatte. Er war es, der sich entschuldigt hatte. Und er war es nun auch, den sie um sich haben wollte. Sie hatte das Gefühl, in seiner Nähe könnte sie endlich wieder einmal schlafen. Ein Schlaf ohne Albträume. Und vor allem, ein Schlaf, der die ganze Nacht andauern würde und nicht nur wenige Stunden, wenn überhaupt. „Ja. Ich will es so.“ Es dauerte noch eine kleine Weile, bevor Law sich wieder regte. Er hob seinen Körper von ihrem und sofort schien es so, als fehlte etwas. Er legte seine Hände an ihre Schläfen und hauchte einen Kuss auf ihre Stirn. Diese kleine Geste reichte schon aus, um Namis Innerstes Achterbahn fahren zu lassen. Sie spürte die Hitze in ihre Wangen schießen und hoffte inständig, dass er es nicht bemerken würde. „Ich bin gleich wieder da, versprochen.“ Noch bevor sie reagieren konnte, war er aufgestanden und hinterließ ein merkwürdiges Gefühl der Leere. Aus dem Flur konnte Nami hören, wie ein Reißverschluss geöffnet wurde, dann etwas unsichere Schritte, die zum Badezimmer führten. Ihr dämmerte ganz langsam, was gerade geschah und schlagartig wurde ihr bewusst, worum sie ihn gebeten hatte. Oh Himmel, er war ihr CHEFARZT! Wie konnte sie ihn nur darum bitten, über Nacht bei ihr zu bleiben? War sie von allen guten Geistern verlassen worden? Und dann fiel ihr noch etwas anderes, verdammt unangenehmes ein: Sie war weder Zähne geputzt, noch in ihrem Pyjama. Überhaupt hatte sie die komplette Zeit seiner Anwesenheit ein Hauch von Nichts getragen! Im Grunde konnte sie auch gleich ihre Kündigung schreiben. Was musste er nur von ihr denken? Schnell schlüpfte sie aus dem Bett, suchte ihre richtigen Schlafsachen zusammen und tapste ins Badezimmer, aus dem Law gerade heraus kam. Er hatte lediglich eine lange, weite Jogginghose an. Nicht gut! Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, stürzte sie an ihm vorbei und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Himmel, war ihr das peinlich! Aber ihn jetzt vor die Tür setzen, konnte sie auch nicht. „Nie wieder Alkohol! Ich schwör's! Nie wieder!“ fluchte sie leise ihrem Spiegelbild entgegen, während sie mit Nachdruck die Zahnbürste erhob. Keine fünf Minuten später stolperte sie zurück ins Schlafzimmer. Aus einem Schrank kramte sie frisches Bettzeug hervor und drapierte es auf der leeren Seite des Bettes. Mit gemischten Gefühlen beobachtete Law Nami dabei. Immer wieder erklang eine mahnende Stimme in seinem Kopf; er hätte gehen sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte! Nun war es zu spät. Und ein Teil in ihm freute sich wahnsinnig darüber. Sie krochen unter die Decken, sehr darauf bedacht, nicht versehentlich unter die des jeweils anderen zu schlüpfen. Eine unbehagliche Stille hatte sich niedergelassen und hellwach starrten beide die Zimmerdecke an. Doch schon allein die Tatsache, dass Nami nicht allein in die Luft starrte, beruhigte sie ungemein. Selbstredend war diese Situation einfach nur bescheuert. Aber dass es überhaupt hierzu gekommen war, beruhte auf Entscheidungen, die im gegenseitigen Einvernehmen stattgefunden hatten. Law wollte hier sein. Hier bei ihr. Das ging weit über die normale Fürsorge eines Vorgesetzten hinaus. Langsam drehte sie den Kopf in seine Richtung und betrachtete eine Weile sein Profil. Er war wirklich ein ansehnliches Kerlchen. Aber es war nicht nur allein seine Optik, er hatte auch Charakter. Er war klug, hilfsbereit, manchmal etwas schroff und dominant aber gerecht. Und er war hier. Weil er sich um sie sorgte. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hätte es beinahe vergessen. Es gab so viele Menschen, denen sie etwas bedeutete, denen sie wichtig war. Er hatte ihren Blick auf sich längst gespürt, doch erst als er ihr Lächeln aus den Augenwinkeln wahrnahm, neigte er leicht den Kopf in ihre Richtung. Die dunklen, schweren Vorhänge ließen kaum Licht ins Zimmer fallen und trotzdem konnte er sie genau erkennen. Er sah dieses friedliche Lächeln, den seichten Glanz in ihren Augen und die hartnäckige Haarsträhne, die sich wieder über ihr Gesicht legte. Reflexartig streckte er seine Hand nach ihr aus, um sie wegzustreichen und beobachtete fasziniert, wie sich Namis Ausdruck veränderte. Von überrascht, zu verstehend und dann war da wieder dieses friedliche Lächeln, als sie die Augen schloss und die Berührung geschehen ließ. Danach ergriff sie seine Hand, bevor er diese wieder zurückziehen konnte. Sie schob sich näher zu ihm heran, bis ihr Körper sich seiner Nähe wieder gewahr wurde und aufhörte zu rebellieren. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust und schloss die Augen. So würde sie definitiv schlafen können. Ob Law das schaffen würde, bezweifelte er gerade ganz stark. Sie war ihm wieder so nah, wie in dem Moment, als er auf ihr lag. Oder als sie gemeinsam die Nacht auf dem unbequemen Sofa im Aufenthaltsraum in der Klinik verbracht hatten. Sein Herz schlug so kraftvoll in seinem Brustkorb, dass er der festen Überzeugung war, selbst die Nachbarn auf der anderen Straßenseite müssten es hören können. Aber ihre Nähe tat ihm so gut. Und so akzeptierte er das Herzklopfen und schloss die junge Frau fest in seine Arme. Er wollte ihr den Halt geben, den sie so dringend benötigte. Auch wenn das bedeutete, dass er wohl selbst keinen Schlaf finden würde. Seine Sorge war allerdings völlig unbegründet. Es dauerte keine zehn Minuten, da waren sowohl Nami als auch Law bereits ins Land der Träume abgedriftet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)