Im Dunkeln der Nacht von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 27: Geheimnisse ----------------------- Emma steht im Nichts und fühlt sich schwerelos. Ist sie tot? Ist das hier das Jenseits? „Du musst ihr verzeihen“, tönt eine sanfte Stimme, die von allen Seiten zu kommen scheint. Verwirrt sieht sie sich um. Wer hat da gesprochen? Vor ihr formt sich eine Gestalt, die langsam Konturen annimmt. Ein stattlicher junger Mann mit kurzem braunem Haar. „Sie … ihre Verzweiflung hat dem Bösem in der Zwischenwelt Tür und Tor geöffnet“, erklärt er mit traurigem Blick. Es dauert bis sie begreift, wen sie da vor sich hat. „Ludwig?“, fragt sie etwas ungläubig. Der Mann nickt und ein sanftes Lächeln umspielt seine Mundwinkel. „Ja. Es tut mir leid, dass ich dich derart geängstigt habe, aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Ich konnte keine menschliche Gestalt annehmen, solange ich noch in der Zwischenwelt war.“ Emma blinzelt und runzelt die Stirn. „Nicht so schlimm … du wolltest mir ja helfen.“ „Ich wünschte, ich hätte eine andere Möglichkeit gehabt“, flüstert er und senkt kurz den Blick. „Aber du darfst ihr nicht böse sein. Sie hat all die Jahrhunderte damit zugebracht Nicolae zu beobachten. Es hat sie verrückt werden lassen, sein Leid und seine Taten mitansehen zu müssen.“ Die junge Frau nickt verstehend. Sie kann sich vorstellen, dass es einem den Verstand raubt, wenn man sieht, wie jemand leidet den man liebt, ohne etwas tun zu können. Doch eine Sache verwirrt sie immer noch. „Warum hatte ich manchmal solche Angst? Und solche Traurigkeit?“ Betreten und verschämt senkt Ludwig den Blick. Er ringt einen Moment um die richtigen Worte zu finden. „Das … ich wollte, dass du dich möglichst von Nicolae und seinen Brüdern fernhältst. Aber es hat mich gleichzeitig traurig gemacht, dir das anzutun …“ Also waren es gar nicht die Gefühle von der Frau, sondern seine. Emma fällt wieder ein, dass Nicolae sagte, dass die Verbindung wohl schon älter sei. Vielleicht ist sie deswegen so stark, dass sie auch Dinge gefühlt hat, von denen er eigentlich nicht wollte, dass sie sie empfindet. „Sie wird dich nicht mehr belästigen. Sie ist jetzt da, wo sie schon seit langer Zeit sein sollte“, erklärt Ludwig und dreht sich um. Er blickt noch einmal über die Schulter. „Sag Sebastian, dass ich ihm sehr dankbar bin. Und, dass ich ein wenig neidisch bin, weil er das geschafft hat, was mir damals verwehr geblieben ist.“ Ein leicht verschmitztes Lächeln huscht über sein Gesicht, dann löst er sich auf …     „Mach die Augen auf“, haucht ihr jemand ins Ohr. Eine warme Hand liegt auf ihrer Wange. Sie fühlt sich gut, geborgen und beschützt. Mühsam folgt sie der Aufforderung und sieht in zwei bernsteinfarbene Augen. „Sebastian“, flüstert sie ungläubig. Sie ist … zurück? „Es ist vorbei“, murmelt Professor Jones und ein zaghaftes Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Emma erwidert das Lächeln, doch dann fällt ihr etwas ein. „Ludwig … Du … Er … was?“ „Ich wusste es auch erst, als ich ihm vorhin direkt gegenüberstand. Seine Aura, wenn du so willst, war eine andere wie die, die dich bedroht hat“, erklärt Sebastian behutsam. Sie erinnert sich, dass die beiden miteinander gesprochen haben. „Was hat er dir gesagt?“, fragt sie neugierig. Professor Jones seufzt. „Dass es ihm leidtut. Dass wir der Frau nicht böse sein sollen. Die lange Zeit in der Zwischenwelt hat sie verrückt werden lassen und dunkle Mächte haben sich ihre bemächtigt. Sie hat mit angesehen, was Nicolae über die Jahrhunderte gefangen in seiner Rache getan hat, sie hat seine Trauer und sein Leid gesehen …“ Das deckt sich mit dem, was sie von Ludwig eben auch persönlich erfahren hat. Die Szene kommt ihr immer noch unwirklich vor. Wo waren sie da? Doch jetzt spielt es keine Rolle, etwas Anderes ist wichtiger. „Er darf nichts davon erfahren“, fällt sie Sebastian ins Wort. „Nicolae würde verrückt werden … wie sie.“ Die Studentin erinnert sich, wie verzweifelt er schon wegen Ludwig war. Wenn er jetzt noch erfährt, dass seine Verlobte für all das verantwortlich ist … Nicht auszudenken! Der Dozent nickt nachdenklich. „Also bleiben wir bei Ludwig?“ „Mir gefällt das auch nicht“, antwortet sie. „Er hat uns geholfen und so. Ihn zu diskreditieren ist nicht nett … aber ich denke, er würde es verstehen. Außerdem habe ich das Gefühl, dass das Gute in ihr noch gekämpft hat. Sie wollte, dass ich dich rette. Ich glaube nicht, dass das gespielt war.“ „Sie war zerrissen. Der Wunsch, Nicolae zu helfen auf der einen, und auf der anderen Seite, wollte sie keine Unschuldigen hineinziehen.“ Sebastian hüllt sich kurz in Schweigen und scheint nachzudenken. „Woher kam deine Verbindung zu Ludwig eigentlich?“, hakt er nach und mustert sie. „Ich … Ich weiß auch nicht. Ich bin ihm schon einmal begegnet, aber ich erinnere mich nicht richtig. Ich denke, er hat mich erkannt, also das ich … ihre Wiedergeburt bin, und ist deswegen … keine Ahnung … bei mir geblieben?“ Verwundert stellt sie fest, dass die ersten Sonnenstrahlen das Zimmer erhellen. Ihr Zimmer. Wie ist sie hierhergekommen? „Ist es jetzt wirklich vorbei?“, nuschelt sie ungläubig. „Ich denke schon. Ich denke, Ludwig hat sie mitgenommen. Hinüber, raus aus der Zwischenwelt.“ Sebastian zwinkert neckisch. „Oder du warst es.“ „Ich?“, fragt sie verwundert. Wäre das möglich? Wenn sie wieder auf den Beinen ist, muss sie sich dringend mehr mit ihrer Gabe beschäftigen. Dringend! Da fällt ihr noch etwas ein. „Ich habe Ludwig getroffen, vorhin, als Mensch.“ Erstaunt zieht er die Augenbraue hoch. „Du hast ihn getroffen?“ „Ich soll dir seinen Dank ausrichten. Und … seinen Neid“, kichert sie und reibt sich über die Augen. „Seinen Neid?“, hakt er amüsiert nach. „Ja, er meinte, er wäre neidisch auf dich, weil du das geschafft hast, was ihm damals verwehrt blieb … Was auch immer er damit genau gemeint hat.“ Eine Eingebung überkommt Emma. Meinte Nicolaes Verlobte nicht, das Ludwig und Sebastian gleich wären? Vielleicht bezog sich das gar nicht auf ihren Zustand, sondern auf etwas Anderes? „Wer weiß.“ Professor Jones schmunzelt geheimnisvoll und steht auf. „Ich gehe jetzt lieber. Ruh dich aus.“ Er lacht über ihr verdutztes Gesicht und streicht ihr über die Haare. „Ein Vampirhaushalt ist kein Ort für jemanden wie mich. Wir sehen uns Montag.“ Verwirrt sieht sie Sebastian hinterher, wie er ihr Zimmer verlässt. Der kurze Stich, den das Bild auslöst, kennt sie inzwischen zu gut. Allerdings, muss sie sich eingestehen, dass er nicht der einzige ist, der das auslöst – und das macht ihr irgendwie Sorgen. Doch Emma kommt nicht zum Nachdenken, denn kaum das Professor Jones weg ist, betritt Nicolae den Raum. Er lächelt verhalten und setzt sich auf die Bettkante. „Wie fühlst du dich?“ „Ganz gut. Etwas müde, aber ansonsten ist alles okay“, antwortet sie mit einem leichten Lächeln. Sie bemüht sich, nicht an das zu denken, was geschehen ist. Er muss nicht ihre Gedanken lesen, um zu wissen, wenn etwas mit ihr nicht stimmt, dass weiß sie. Also liegt es jetzt an ihr, dafür zu sorgen, dass er nie erfährt, was tatsächlich in der Zwischenwelt passiert ist. Das Familienoberhaupt räuspert sich. „Ich … Wir, Schulden dir noch … eine Entschuldigung und Erklärung … wegen … deiner Gedächtnislücken“, peinlich berührt bricht er ab. Die junge Frau braucht kurz, um zu begreifen worauf er hinauswill. Oh, Gott! Muss er tatsächlich jetzt damit anfangen? Können sie nicht später darüber reden? Aber scheinbar brennt ihm das auf der Seele … „Schon gut. Ich … Ich weiß, dass ihr … Nun ja … und hinterher …“ Sie spürt, wie sie hochrot anläuft. Müssen sie wirklich jetzt darüber reden? Schlimm genug, dass ihr inzwischen bewusst ist, dass ihr alle vier Männer etwas bedeuten, jeder auf eine etwas andere Art und Weise, aber sie hätte wenigsten gern noch die Tatsche ignoriert, dass sie offensichtlich auch mit allen intim gewesen ist. Wieder räuspert er sich. „Weder das eine, noch das andere ist entschuldbar. Das hätte nie passieren dürfen.“ Vorsichtig sieht er in ihre Richtung. „Vergessen wir es einfach … also … Du weißt wie ich das meine …“ Peinlich berührt schweigt das Kindermädchen und verzieht das Gesicht. Dann muss sie plötzlich Lachen – das ist so absurd! Und gleichzeitig nicht. Eigentlich ist es … sie weiß es nicht. Sie sollte wütend sein, enttäuscht … Doch irgendwie ist sie, zumindest im Augenblick, nichts davon. Das Familienoberhaupt schmunzelt leicht und steht auf. „Ruh dich noch etwas aus.“ Er geht Richtung Tür und hält dann noch einmal inne. „Ich hoffe, das … das du bleibst. Ich weiß, es ist viel passiert, und einiges davon ist eigentlich nicht entschuldbar, aber …“ „Keine Sorge“, unterbricht Emma ihn. „Ich bin gern hier. Und dass was passiert ist … werden wir schon irgendwie wieder hinkriegen … denke ich.“ Eigentlich hofft sie es mehr, wie sie es wirklich denkt. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und es ist nicht gelogen; sie ist gern hier. Die Bartholys sind ihre Familie – und da gibt es eben gute und schlechte Momente. Im Grunde, haben sie ihr ja nicht weh getan, keiner der drei. Sie will es sich nicht wirklich eingestehen, aber so richtig stört sie sich nicht daran. Es ist unangenehm, ja, aber kein Weltuntergang. „Das freut mich zu hören.“ Nicolae räuspert sich kurz und sieht das Kindermädchen aufmerksam an. „Falls du das möchtest, irgendwann, kann ich es rückgängig machen.“ „Du warst es? Immer?“ fragt sie zurück. Das verwirrt sie ziemlich. „Nein. Peter war bewusst, dass es die bessere Lösung war, also hat er es selbst getan. Drogo … hat die Notwendigkeit nicht gesehen, also habe ich …“ „Er hatte mich gefragt, glaube ich.“ Diffus erinnert sie sich an ein Gespräch darüber, und ihre Antwort auf sein Angebot. „Ich habe es abgelehnt, weil ich Sorge hatte, dass es wieder passiert und ich dann wieder unvorbereitet bin und mich dem nicht verwehren kann.“ Ein angespanntes Schweigen entsteht. „Ich habe es noch nicht von dieser Seite aus betrachtet“, gibt das Familienoberhaupt peinlich berührt zu. „Womöglich hätte das einige Situationen entschärft.“ „Nun ist es, wie es ist. Ich denke darüber nach und werde dir meine Entscheidung mitteilen, wenn ich sie getroffen habe.“ Emma bemüht sich um ein Lächeln, dass durch ihre Müdigkeit aber etwas schief gerät. „So machen wir es. Ruh dich noch aus“, erklärt Nicolae ruhig und geht. Emma seufzt und schließt kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnet, lässt sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Die sanfte Morgensonne legt sich wie ein Schleier über den Raum und taucht ihn in hellen Nebel. Morgendliches Zwielicht – wie die Situation in ihrem Kopf. Alles ist überbelichtet und unscharf, gleichzeitig wirkt es konturlos und unwirklich. Sie muss sich noch so vielen Dingen widmen. Der Situation mit den Männern, und zwar allen und der Frage, ob sie sich erinnern möchte oder nicht. Die Uni darf sie auch nicht aus den Augen verlieren, und sie muss sich dringend ausführlicher mit ihrer Gabe befassen. Und mit sich selbst. Das Aufeinandertreffen mit Ludwig hat etwas in ihr wachgerüttelt, aber sie weiß nicht was. Sobald sie wieder auf den Beinen ist, muss sie auf jeden Fall mit Sarah sprechen. Und dann, dann wird sie sehen, wie es weitergeht … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)