Im Dunkeln der Nacht von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 18: Fluchtreflex ------------------------ „Ich erwarte noch einen Anruf“, erklärt der Hausherr plötzlich, „der mir noch ein paar Informationen zukommen lässt. Ich mache das nicht gern, aber ich würde dich auf das Abendessen vertrösten.“ Die junge Frau kann nicht verhindern, dass ihr Sarahs Worte wieder einfallen. Speist er sie gerade ab? Vertröstet er sie, um sie später wieder zu vertrösten? Allerdings war er in Bezug auf das merkwürdige Verhalten der Brüder ehrlich zu ihr, obwohl es ihm mehr als unangenehm war. Sie nickt einfach nur, weil sie nicht weiß, wie sie eigentlich reagieren soll. Nicolae steht auf und schenkt ihr ein Lächeln. „Es tut mir übrigens ebenfalls sehr leid, was ich getan habe.“ Er wirkt verlegen und verlässt das Wohnzimmer bevor sie etwas erwidern kann. Wofür genau hat er sich denn jetzt entschuldigt? Dass er in ihrem Kopf war? Dass er ihr wegen Drogo nicht zu Hilfe kam? Dass er sie schon wieder vertröstet hat? Emma seufzt und starrt ins Feuer. So viele Fragen unbeantwortete … „Du bist zurück!“, ruft es euphorisch. Das Kindermädchen dreht sich um und grinst schief. Lorie kommt freudestrahlend auf sie zu – welch ein merkwürdiger Anblick, und denkwürdig. Sie sollte sich diese Bild gut einprägen, dass wird sie so schnell wohl nicht wieder erleben. „Ich wusste es!“ Das Mädchen klatscht begeistert in die Hände. „Spielen wir?“ Die großen Rehaugen leuchten gerade zu. Die Frage ist eher eine Feststellung, aber daran will sich die junge Frau heute mal nicht stören. Sie nickt, nimmt die Kleine an die Hand und geht mit ihr nach oben. Der restliche Tag vergeht erstaunlich ruhig und einträchtig. Bis auf das Wetter; das dreht von Stunde zu Stunde mehr auf. Neben dem fast sintflutartigen Regen, reißt der Wind kräftig am Herrenhaus und lässt es Knarren und Knacken. Emma steht einen Augenblick im Türrahmen und betrachtet Lorie mit einem zufriedenen Lächeln, während ein Blitz über den Himmel zuckt. Eigentlich mag sie Gewitter. Sie hat es immer geliebt, am Fenster zu sitzen und dabei zuzusehen, wie die Blitze über den dunkeln Himmel zucken und die Wolken aufleuchten lassen. Aber hier im Herrenhaus fühlt es sich nicht wirklich gut an. Ein wenig macht es den Eindruck, als wäre der Rest der Welt verschwunden und das alte Gebäude würde die Chance nutzen um endlich zum Leben zu erwachen. Das Knarren klingt wie das Knurren eines verärgerten Tiers, das Dach klackert als würden Gerippe darüber tanzen und der Wind an den Fenstern faucht wütend den Takt dazu. Lorie stört sich daran natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Das Unwetter scheint ihre ohnehin schon rege Fantasie noch mehr anzuspornen. Sie verliert sich regelrecht in ihrem Spiel und scheint alles um sich herum zu vergessen – inklusive ihres Kindermädchens. Wie von der Tarantel gestochen, springt sie aber plötzlich auf und holt ihre Malsachen. „Ich gehe mir einen Tee machen“, erklärt Emma und hätte beinahe gefragt, ob die Kleine auch einen möchte. Selbst nach den ganzen Monaten gibt es immer noch Momente, wo sie fast vergisst, dass sie hier kein normales Kind vor sich hat. Das Mädchen zeichnet einfach weiter, ohne etwas zu sagen oder anderweitig zu reagieren. Amüsiert schüttelt das Kindermädchen den Kopf und verlässt das Zimmer. Sie geht nach unten und in die Küche. Die Außenbeleuchtung im Garten erhellt den Raum ausreichend aus, weswegen sie die Deckenlampe nicht extra einschaltet. Sie füllt den Wasserkochen und schaltet ihn an. Die Zeit die das Wasser braucht, nutzt sie, um zum Fenster hinaus zu sehen. Der Regen ist zwar immer noch stark, aber nicht mehr dieser undurchdringliche graue Schleier wie vor einer Stunde noch. Sie kann nun wieder bis zum Wald sehen, wo die Bäume einen eigenartigen Tanz aufführen. Der Sturm beutelt sie und lässt ihre Zweige wild herum rundern. Einzelne starke Böen drücken die jungen Bäume bis fast auf den Boden. Blätter toben durch die Luft und auch allerlei andere Dinge. War das gerade ein Schirm? Und das ein Eimer? Schon möglich … Der Wasserkocher meldet mit einem Piep, dass er fertig ist. Gerade will sich die junge Frau umdrehen, da entdeckt sie etwas draußen im Unwetter. Ein gelbes Augenpaar inmitten des ganzen Grau und Schwarz. Wie versteinert bleibt sie stehen und starrt zum Fenster hinaus. Ihr Lippen formen ein stummes „Unmöglich“. Im nächsten Moment überkommt sie Sorge. Ja, sie macht sich Sorgen – um einen Wolf, was stimmt eigentlich nicht mit ihr?! Trotzdem; er sollte nicht da draußen in diesem Sturm sein. Sie weiß zwar, dass das albern ist und es sich ja um ein Tier handelt, dass natürlich da hingehört, dennoch schnürt ihr der Anblick das Herz zusammen. Der Wolf steht reglos zwischen den Bäumen und hat seine Augen direkt auf die Frau gerichtet. Der Wind kämmt durch sein Fell und lässt es wild zappeln, als wäre es ungeduldig. Doch weder das, noch der Regen scheinen das Tier aus der Ruhe zu bringen oder zu stören. Das Kindermädchen seufzt und reibt sich über die Oberarme. Sie fühlt sich schlecht, weil sie hier drinnen im Warmen ist und er da draußen. Unendliche Minuten vergehen während sie wie angewurzelt am Fenster steht und den Wolf ansieht. Selbst auf diese Distanz und in dieser ungemütlichen Stimmung, spürt sie die Verbindung zwischen ihnen – sie fühlt sich warm und vereinnahmend an. Wäre es nicht so albern, wäre sie fast davon überzeugt, dass sie beide zusammengehören; oder besser, dass sie ihm gehört. Als hätte er sie zu seinem Eigentum gemacht … „Alles okay?“ Erschrocken dreht sich Emma um. Ein Blitz erhellt die dunkle Küche und sie erkennt im ersten Moment nur grünleuchtende Augen. Ihr Mund ist plötzlich furchtbar trocken und wieder überkommt sie diese diffuse Angst. „Wer ist da?“, fragt sie mit bebender Stimme. Der Gast kommt auf sie zu, leise und geschmeidig. Es sind nur die Umrisse zu erkennen, bis er fast bei ihr ist. Ein entschuldigendes Lächeln huscht über das blasse Gesicht und er fährt sich mit der Hand durch die mitternachtsblauen Haare. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Die Anspannung fällt von der jungen Frau ab und sie atmet die angehalte Luft aus. „Schon gut, aber schleich dich beim nächsten Unwetter bitte nicht so an mich an“, witzelt sie unsicher. „Du warst so abwesend. Ich hatte Sorge, dass ich dich erschrecke, wenn ich dich einfach anspreche“, erklärt Peter sichtlich verlegen. „Da dachtest du dir, dass du dich lieber an mich anschleichst und mich so erschreckst?“, fragt sie kichernd. Vampire und ihr lautloses Auftauchen … Wenn sie etwas wirklich an dem Zusammenleben mit den Bartholys stört, dann das. Das Kindermädchen schenkt dem Mittleren der Brüder ein ehrliches Lächeln und geht Richtung Wasserkocher. Während sie sich eine Tasse aus einem der Schränke nimmt und sich einen Tee aufbrüht, beobachtet sie Peter: er steht am Fenster und sieht hinaus. Ein ungutes Gefühl überkommt sie. Ist der Wolf noch da? Falls ja, wie wird der Vampir reagieren? Seine Brüder hat sie bereits erlebt, aber bei ihm ist sie sich unsicher. Er wirkt immer so extrem ruhig, dass sie sich ihn gar nicht aggressiv vorstellen kann. Doch die Frage bleibt weiter unbeantwortet. Ein Blitz zuckt grell, erleuchtet den gesamten Raum und ein mächtiger Donner erschüttert zeitgleich das Herrenhaus – dann ist es dunkel, stockfinster im ganzen Gebäude. Die junge Frau schreit vor Schreck und zuckt zusammen. Ihr Herz rast so wild, das sich kleine Pünktchen vor ihren Augen bilden. Ihre Pupillen weiten sich auf das Maximum um das wenige Licht noch einzufangen, trotzdem erkennt sie nur Schemen und Konturen. „Peter?“, fragt sie zittrig in die Dunkelheit. Die Sekunden bis sie eine Reaktion bekommt fühlen sich wie eine Ewigkeit an. „Keine Angst“, hört sie dicht an ihrem Ohr und eine Hand legt sich auf ihre Schulter. Sie sieht Peter nicht wirklich, spürt seine Präsenz aber überdeutlich. Er steht direkt vor ihr und legt ihr noch die zweite Hand auf die andere Schulter. Das Gespräch mit Nicolae schießt ihr wieder in den Kopf: sie weckt Begehrlichkeiten bei den Brüdern. Sie sollte also lieber Abstand halten um nicht ungewollt etwas zu provozieren … Angst und der Wunsch nach Geborgenheit mischen sich aber zu einem eigenartigen Gefühlswirrwarr. Nach mehreren Minuten überwiegt das Bedürfnis nach schützender Nähe und sie gibt dem nach. Sacht legt das Kindermädchen ihren Kopf auf seine Schulter und schließt die Augen. Sie sollte das nicht, aber sie kommt gerade nicht gegen sich selbst an. Das Gefühl, welches diese Ohnmacht sich selbst gegenüber auslöst, lässt ihr plötzlich bewusstwerden, wie es den drei Männern seit Wochen geht. „Entschuldigung“, flüstert sie gegen seine Schulter und schämt sich irgendwie dafür, Peter in diese Situation zu bringen. „Du kannst ja nichts dafür“, antwortet er leise und streicht ihr über den Rücken. Seine Körperhaltung ist angespannt und Unruhe aus seiner Stimme heraus zu hören. Emma besinnt sich schlagartig, als sie seinen Atem an ihrem Hals spürt und löst sich von dem Mann. Sie bringt etwas Abstand zwischen sie beide. „Ich sollte nach Lorie sehen“, erklärt sie heiser und räuspert sich. Diffus erkennt sie, wie er ihr die Hand hinhält. „Ich sehe im Dunkeln erheblich besser wie du“, amüsiert er sich über ihr zögern. Nervös kichert sie und legt ihre Hand schließlich in seine. Vorsichtig tapst sie ihm hinterher; sie gehen ins Foyer. Hier ist es noch dunkler wie in der Küche und sie sieht quasi gar nichts mehr. Einzig Peters Hand vermittelt ihr, das sie nicht völlig in der Schwärze verloren ist. Das nächste Familienmitglied macht auf sich aufmerksam. „Alles in Ordnung?“, fragt Nicolae, wohl hauptsächlich an die junge Frau gerichtet. „Geht schon“, antwortet sie. „Ich habe mich nur erschrocken. Lorie ist in ihrem Zimmer“, erklärt sie in die Finsternis hinein; grob ich die Richtung aus der sie Nicolaes Stimme gehört hat. Ob die Kleine sich überhaupt daran stört, dass der Strom ausgefallen ist? Sie ist ein Vampir, also wohl eher nicht … oder? Schwierige Frage … Plötzlich stellen sich Emmas Nackenhaare auf und ihr Herz klopft immer schneller. Und wieder kann sie nicht so richtig erklären warum ihr Körper scheinbar ein Eigenleben entwickelt. Sie muss sich nicht fürchten, trotzdem tut sie es. Peters Hand schließt sich fester um ihre – sie kann nur nicht einschätzen warum. Will er ihr Sicherheit vermitteln, oder ihr sagen, dass sich beruhigen soll? Sie weiß, dass Vampire die körperlichen Reaktionen von Menschen deutlicher wahrnehmen und sie bei ihnen wiederum Reaktionen auslösen können. „Beruhige dich“, ertönt Drogos Stimme. Er klingt im Gegensatz zu sonst, alles andere als amüsiert. Es liegt fast schon eine Drohung in seinen Worten. „Lass das!“, faucht Peter entgegen seiner sonst so ruhigen Art. „Das wird ihr wohl kaum helfen.“ Ein dumpfes Knurren von dem Blonden ist die Antwort auf die Zurechtweisung. Emma spürt wie ihr Herz immer schneller und hektischer pumpt. Ihre Muskeln spannen sich an, genau wie ihre Nerven. Was passiert hier nur? Und was passiert mit ihr selbst? Nur die Stimmen der Brüder zu hören, ohne ihre Gesichter zu sehen, um die entsprechende Mimik einzuschätzen, schürt Unsicherheit in ihr und letzten Endes noch mehr Angst. „Hört alle beide auf.“ Nicolae klingt verärgert, gleichzeitig hört man die Mühe um Ruhe heraus. Ein Blitz erhellt das Foyer und der jungen Frau bleibt das Herz kurz stehen. Die drei Männer stehen in ihrer unmittelbaren Nähe, die Augen auf sie gerichtet, die Gesichter emotionslos und bleich. Ihre Blicke sind intensiv und wirken im grellen Schein unglaublich bedrohlich. Die Szene verstört sie zu tiefst und kaum, dass die Dunkelheit den Raum wieder im Griff hat, reißt sie sich in einer panischen Kurzschlussreaktion los. Schneller wie sie es selbst je für möglich gehalten hätte, ist sie an der Tür und öffnet sie. Sie hört wie die Brüder noch nach ihr rufen, doch als sie draußen ist stellt der Sturm alle Geräusche ab. Ohne zu wissen warum oder was genau sie eigentlich macht, rennt sie die Einfahrt hinunter und davon. Der Regen durchnässt sie in kürzester Zeit und der Wind entzieht ihrem Körper in rasender Schnelle die Wärme. Doch das spürt sie nicht. Das Adrenalin lässt sie nur ihr kräftig schlagendes Herz und ihre brennenden Lungen wahrnehmen. Dass sie in den Wald gerannt ist, wird ihr erst schmerzlich bewusst, als sie ein Ast zum Stolpern und dadurch zu Fall bringt. Emma rappelt sich wieder auf und rennt weiter, immer tiefer in die Finsternis. Unter ihren Füßen raschelt das Laub, Äste knacken und krachen unter ihrem Gewicht und der Last des Sturms. Sie hastet zwischen schwarzen Baumstämmen hindurch. Sie streift karge Büsche, die ihre knorrigen Klauen nach ihr ausstrecken und an ihrer Jacke und Hose zerren. Ein Grollen donnert durch den Wald. Es ist mächtig und dunkel, bricht sich an den Bäumen. Das ist nicht das Unwetter, dass ist er. Er ist hier … auf der Jagd nach ihr … Die Erkenntnis schießt durch ihren Körper wie heiße Lava und treibt sie weiter an. Das Kindermädchen eilt um einen umgefallenen Baum herum, springt einen Erdwall hinunter. Es patscht unter ihren Füßen und der schlammige Boden zieht an ihren Schuhen. Ein martialisches Knurren, urtümlich und roh, dringt an ihr Ohr. Ein Schauer der Angst und Erregung schüttelt ihren Körper und ihren Geist. Er ist ganz nah, sie hört das Geäst unter seinem Gewicht bersten und sie riecht seinen Duft nach Dominanz. Ein Blitz zuckt durch den Himmel, erleuchtet den Wald und erzeugt eine Momentaufnahme. Der Moment, wo das Biest wie eine ungezügelte Naturgewalt durch das dichte Unterholz bricht. Er springt ihr mit aller Kraft entgegen, dass Maul weit geöffnet. Das Ende, so sieht also das Ende aus, schießt es ihr durch den Kopf. Emma schließt die Augen. Das letzte, was sie hört, ist das Heulen eines Wolfs. Es ist weit entfernt und klingt dumpf, als hätte sie Watte in den Ohren; dann ist alles schwarz und still. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)