Im Dunkeln der Nacht von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 16: Fremde Länder ------------------------- Der Weg in die Stadt kommt Emma kürzer vor wie sonst. Die tiefstehende Novembersonne bringt kaum noch Wärme und die sie zieht die Jacke enger um sich. Die kühle Luft hilft ihr zwar runter zu kommen, lässt sie aber zeitgleich frösteln. Sie hat das Gefühl, ihr Leben beginnt den Bach runter zu gehen … schon wieder. Kaum, dass sie wieder Hoffnung und sich endlich alles normalisiert hatte, gingen diese blöden Träume los. Seitdem scheint es kontinuierlich abwärts zu gehen. Ihr gutes Verhältnis zu ihrer Gastfamilie allen voran. Ja, die Bartholys sind Vampire, aber trotzdem immer noch Menschen, also irgendwie. Sie haben sie aufgenommen und sie zählt sich zu ihnen – nicht nur wegen ihrer eigenen Kräfte. Während sie sich um Lorie gekümmert hat, haben sie sich um sie gekümmert; wie eine Familie es eben tut. Sie haben ihr geholfen, auf sie aufgepasst, ihr oft genug den Tag verschönert … Und jetzt? Das Kindermädchen seufzt genervt und Dampfwolken bilden sich vor ihrem Mund. So. Eine. Scheiße! Wie soll es weitergehen? Wird sich das wieder einrenken? Tja, dazu müsste sie wissen, was genau eigentlich passiert … allen voran mit ihr selbst. Und ihren Gedächtnislücken, die ihr langsam fast mehr Kopfzerbrechen bereiten wie ihre Träume. „Huhu!“, ruft es freudestrahlend aus einiger Entfernung. Emma muss lächeln. Sarah! Wenn jemand ihre Laune bessern kann, dann sie! Und vielleicht kann sie ihr auch helfen, besser zu verstehen was im Moment los ist. Die Osbournes gehören zu einer alten Zauberer/Hexenfamilie; seit Generationen wachsen die Mitglieder mit dem Wissen um die magische Welt auf. Wenn jemand außerhalb des Herrenhauses helfen kann Licht ins Dunkel zu bringen, dann bestimmt sie. „Mensch, warum siehst du so zerknittert aus?“ Sarah verzieht fragend das Gesicht. „Frag lieber nicht“, seufzt die junge Frau und umarmt ihre Freundin zur Begrüßung. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg weiter hinein nach Mystery Spell. Die Sonne verschwindet immer schneller und die ersten Straßenlaternen gehen an. Man merkt deutlich, dass Sonntag ist. Die Bars sind zwar offen, aber eher ruhig. Keine wilden Partys und Besäufnisse finden heute statt. Auch wenn morgen keine Uni ist, scheint sich am gewohnten Ablauf nichts zu verändern. Viele Studenten nutzen die Ferien um nach Hause zu fahren, daher wird es die nächsten beiden Wochen generell etwas entspannter in der Stadt zugehen. Andere haben sich vorübergehend Jobs gesucht, um sich Geld dazu zu verdienen. Man merkt vor allem in den Semesterferien, dass die Stadt viel vom den Studenten und deren Aktivitäten lebt. Ohne sie und deren tägliches hin und her und den ausgelassenen Wochenenden wirkt der Ort fast ein wenig wie eine verschlafene Kleinstadt – was Mystery Spell wahrscheinlich tief in seinem Herzen auch noch ist. Ein kleiner Ort mit einer dunklen Vergangenheit. Am Anfang war sie irritiert, dass es ausgerechnet hier so viele Seelenfragmente gibt. Stück für Stück hat sie von Sarah einiges erfahren, was die Historie der Stadt angeht und dann machte es langsam mehr und mehr Sinn. Zielstrebig zieht das hübsche Energiebündel Emma in eine kleine Bar. „Hier müssen wir unbedingt rein!“, frohlockt sie ausgelassen. „Die sollen tolles Ceviche haben!“ Kaum, dass sie durch die buntbemalte Tür geschritten sind, empfängt sie nicht nur wohlige Wärme und außergewöhnlicher Duft, sondern auch das klassische Spiel der Charangos* und Cajónes* ist zu hören. Auch wenn es fremdländisch ist, fühlt man sich sofort wohl. Die Stimmung ist entspannt und das Pflanzenmeer bildet fast schon einen kleinen Dschungel, der die unterschiedlichen Bereiche etwas trennt. Überall stehen bunte Keramiken, verzierte Stoffe und allerlei Krimskrams herum, der förmlich dazu aufruft, eine kleine Expedition zu wagen. Ein freundlicher Herr, schätzungsweise ende Vierzig, kommt um die Ecke und strahlt. Das schwarze Haar ist kurz und gepflegt und die mandelförmigen dunklen Augen glänzen. Sein etwas korpulenterer Körperbau unterstreicht eher noch seine Herzlichkeit, als dass man sie als plump wahrnimmt. „Willkommen, willkommen! Ein Tisch für Zwei? Oder erwarten die Damen noch Gesellschaft?“ „Nur wir zwei“, antwortet das Kindermädchen, und kann sich ein fröhliches Grinsen nicht verkneifen. Mit einer ausladenden Geste deutet der Mann den Freundinnen ihm zu folgen und geht voran. Die Frauen haken sich beieinander ein und schließen zu dem Kellner auf. Es geht um einige Hochbeete herum in eine eher abseits gelegene Nische. Ein runder Tisch steht in der Mitte und wird umsäumt von einer einfachgehaltenen Sitzbank. Die Frauen bedanken sich und nehmen Platz. Es folgt ein kurzer Blick in die Getränkekarte und die entsprechende Bestellung. Der Mann lächelt breit und verschwindet, nachdem er die Speisekarten auf den Tisch gelegt hat. „Nun sag schon, was los ist“, fordert Sarah, kaum, dass der Kellner außer Sichtweite ist. Sie mustert ihr Gegenüber besorgt. Emma ringt sich ein gequältes Lächeln ab und beginnt, die restlichen Ereignisse des Morgens zu erzählen. Je mehr sie berichtet, um so düsterer wird die Miene ihrer Zuhörerin. Als sie endlich fertig ist, kommt Sarah gar nicht dazu, etwas zu antworten, weil der Kellner auftaucht um die Getränke zu bringen. Er nimmt die Essensbestellung auf und verschwindet lächelnd wieder. Das hübsche Energiebündeln hadert scheinbar kurz mit sich, dann sagt vorsichtig, was sie denkt. „Ich will wirklich nicht wieder davon anfangen, aber … ich denke, es wäre vielleicht ganz gut, wenn du etwas Abstand zu den Bartholys reinbringst.“ Die junge Frau seufzt und nickt gedankenverloren. Sie hasst es, dass ihre Freundin genau auf den Punkt bringt, was ihr heute selber schon durch den Kopf gegangen ist. „Ja, ich sage es eigentlich nur ungern, aber ich glaube diesmal hast du Recht.“ Sie fühlt sich schlecht deswegen, aber es hilft nichts; sie muss der Realität ins Auge sehen: im Moment sollte sie wirklich Distanz halten. „Diesmal? Ich habe immer Recht!“, witzelt Sarah und lächelt vergnügt um ihr Gegenüber aufzumuntern. „Du kannst heute gern bei mir schlafen; ich denke Großmutter hat nichts dagegen“, fügt sich schließlich noch ernst an. „Das wäre wirklich toll.“ Das Kindermädchen sieht ihre Freundin neckisch an. „Und, ich habe darauf gewettet“, gibt sie offen zu und muss kurz kichern. „Soll heißen?“, wird verwirrt nachgehakt. „Ich bin vorbereitet“, lacht Emma und deutet auf ihren Rucksack. „Wechselsachen, Badutensilien … was man eben so braucht.“ Ja, sie hat darauf gehofft, dass sie die Nacht bei den Osbournes verbringen kann und dementsprechend alles nötig eingepackt. „Du bist echt wie eine Pfadfinderin“, kichert Sarah vergnügt. „Perfekt vorbereitet auf jede Gelegenheit.“ Sie zwinkert schelmisch und nippt an ihrem Cocktail. Die Freundinnen kichern albern und lassen die Sorgen, Sorgen sein. Das Essen kommt und sieht köstlich aus. Der Kellner erklärt kurz, dass Ceviche aus kaltem Fisch besteht. Ganz traditionell aus Seebarsch, der für einige Minuten in Limettensaft, Zwiebel, Salz und heißen Paprikas mariniert wird. Er wünscht guten Appetit und lässt die Frauen wieder alleine. „Das ist echt lecker“, schmatzt Sarah und schließt genießend die Augen. „Der gekochten Mais und die Süßkartoffeln als Beilage passen richtig gut.“ Das Kindermädchen bekommt nur ein zustimmendes „Hmmmm“ über die Lippen. Ja, das ist wirklich köstlich und irgendwie exotisch. Sie ist noch nie in ihrem Leben in einem anderen Land gewesen und dieses Essen und Atmosphäre erzeugen direkt Fernweh. Und auch Herzschmerz. Ihre Eltern haben ihr immer versprochen, mit ihr Südamerika und anschließend Europa zu bereisen, wenn sie alt genug ist. Nun ist sie alt genug, aber ihre Eltern leben nicht mehr um ihr Versprechen einzulösen. Sie spürt wie die Trauer wieder hochkommt. Nicht mehr so schlimm wie früher, aber weg ist sie nicht – wird sie wohl auch nie wirklich sein. Sie werden immer irgendwie fehlen … „Du denkst an sie …“, flüstert Sarah leise und mitfühlend. Die junge Frau nickt. Ihrer Freundin kann sie wirklich nichts vormachen, außerdem ist sie tatsächlich die einzige, mit der sie je über ihre Eltern und den Geschehnissen, die zu deren Tod geführt haben, gesprochen hat. Also so ein wenig zumindest. Sie war noch recht jung und der Unfall hochdramatisch – so ganz genau erinnert sie sie eigentlich gar nicht daran. Ihr Gehirn hat den Großteil verdrängt, was vielleicht gar nicht so schlecht ist. Niemand hier in Mystery Spell weiß davon; außer Sarah so ein bisschen. „Ja. Es wäre bestimmt toll geworden, mit ihnen Peru oder Brasilien zu sehen“, seufzt sie schwermütig. „Wir können uns das doch irgendwann zusammen ansehen“, platzt es spontan aus der jungen Osbourne heraus. Im nächsten Moment wirkt sie ein wenig verlegen und ihre Wangen sind etwas rosa. Im ersten Augenblick fühlt sich das Kindermädchen etwas überrumpelt, doch dann steigt sie in den Gedanken mit ein, nur so zum Spaß. „Ja, wenn wir mit dem Studium fertig sind. Wir passen bei Professor Jones besonders gut auf und holen uns Tipps von ihm. Und dann werden wir Archäologinnen …“ „Besser!“, mischt Sarah euphorisch ein. „Wir werden Abenteurerinnen!“, ruft sie ausgelassen. Die Frauen fangen an zu lachen, was auch an den Cocktails liegt, die die beiden bereits getrunken haben. „Ich habe meinen Namen gehört?“, tönt plötzlich eine raue Männerstimme. Schlagartig verstummen die beiden und machen große Augen. Ihr Dozent für „Mythen und Legenden“ taucht hinter der Anpflanzung, die sie vom Hauptraum abtrennt, auf. Ein scharmantes Lächeln umspielt die Lippen des Mannes und er zieht die Augenbraue hoch. „Ich höre?“ „Wir werden in Ihre Fußstapfen treten und die Welt bereisen!“, kichert Sarah unbeschwert. Die junge Frau stößt ihre Freundin mit dem Knie, in der Hoffnung das diese sich wieder zusammenreißt. An der Uni hat sie es inzwischen zwar geschafft, nicht jedes Mal an den diesen göttlichen nackten Körper zu denken, aber jetzt so unvorbereitet und leicht alkoholisiert schießen ihr die Bilder sofort in den Kopf – genau wie die Schamesröte. „So, so. Wie ich sehe, befassen Sie sich bereits mit den kulinarischen Besonderheiten von Peru“, stellt Professor Jones amüsiert fest. „Ja, so in etwa“, antwortet Emma etwas schüchtern und bemüht sich, die Bilder zu verdrängen und den hübschen Lehrer möglichst nicht anzusehen. Da ist ja auch die Situation letztes vor seinem Büro. Durch das ganze Chaos mit ihren Träumen und den Bartholys hat sie sich noch nicht weiter damit befasst … Nein, eigentlich hat sich nicht darüber nachgedacht, weil sie es nicht wollte. Ihr wurde nämlich bewusst, dass sie sich beinahe geküsst hätten. Dieser Umstand hat sie … verstört, und gleichzeitig Herzklopfen verursacht, wie sie es noch nie hatte. „Gehen Sie etwa schon?“, fragt Sarah nach und handelt sich einen erneuten Kniestoß ein, den sie genauso ignoriert wie den ersten. „Das tut man gemeinhin nach dem man bezahlt hat.“ Sebastian neigt den Kopf leicht und schmunzelt. Er mustert die beiden Frauen, wobei seine bernsteinfarbenen Augen fasziniert an dem Kindermädchen hängen bleiben. Der jungen Osbourne entgeht das nicht und sie grinst verschmitzt. „Wir wollen uns noch ein Dessert bestellen; möchten Sie uns Gesellschaft leisten?“ Der stumme Protest ihrer Freundin wird von dem hübschen Energiebündel einfach weg gelächelt. „Unter einer Bedingung.“ Professor Jones verschränkt locker die Arme vor der Brust und lächelt siegessicher. „Sie überlassen mir die Auswahl.“ „Sehr gern“, flötet Sarah, offensichtlich mehr als zufrieden mit der Situation die sie hier heraufbeschworen hat. Emma kämpft gegen den Drang, sich einfach unter den Tisch rutschen zu lassen um dem Ganzen zu entkommen. Sie fühlt sich … verschämt, peinlich berührt und gleichzeitig positiv aufgeregt und glücklich … Was für ein Emotions-Cocktail! Es folgt schließlich noch ein Dessert, welches der Professor mit einem verführerischen Lächeln empfohlen hat, und noch weitere Getränke. Sebastian erzählt den beiden Frauen von seiner letzten Peru-Reise; von den Entdeckungen und den Herausforderungen die das mit sich gebracht hatte. Die junge Frau hängt förmlich an seinen Lippen; und das nicht nur, wegen seiner Geschichte. Diese wohlgeformten Lippen, die so weich und sinnlich wirken, ziehen sie in ihren Bann. Es fühlt sich immer mehr so an, als würde er jedes Wort direkt an sie richten. Ihr Blick wandert von seinem Mund zu seinen Augen. Dieser gelbe Schein wirkt beinahe mystisch und wie aus einer anderen Welt. Er hat etwas Wildes und Animalisches an sich. Der Abend endet schließlich. Die Frauen bezahlen ihr Essen und Professor Jones die Getränke und das Dessert. Er besteht darauf, die Freundinnen noch bis zu Sarahs Wohnung zu begleiten – zur Sicherheit. Selbst in einer Stadt wie hier könnten unvorhergesehene Dinge geschehen, hat er gemeint. Das hübsche Energiebündel verabschiedet sich kurz Richtung Toiletten und verschwindet. Das Kindermädchen will gerade ansetzen, ein wenig Smalltalk zu treiben, um die leicht aufgeladene Stimmung zu lockern, da legt sich eine große warme Hand auf ihre Schulter. Ein wohliges Kribbeln macht sich in ihrem Magen breit. Einen Moment schließt sie die Augen, um es einfach zu genießen. Es ist nicht nur die Hand ihres Professors, die das auslöst; nein, es ist seine ganze Präsenz. Es fühlt sich an, als würde seine Aura sie einhüllen wie ein Kokon. Sie dreht sich um und sieht zu ihm auf. Sebastians Augen liegen intensiv auf denen der jungen Frau. Er nimmt die Hand von ihrer Schulter und legt sie auf ihre Wange. Sacht streicht er mit dem Daumen über ihre weiche Haut. Sie ist zwar verwirrt über die plötzliche, mehr oder weniger, öffentliche Zuwendung, kann sich dem, was es in ihr auslöst, aber nicht verwehren. Genießend schließt sie die Augen und schmiegt sich in die Handfläche – es fehlt nicht mehr viel, und sie würde anfangen zu schnurren. Er haucht ihren Namen – sehnsüchtig und gleichzeitig verzweifelt. Es klingt, als wolle er es, und gleichzeitig nicht. Seine Gesichtszüge spannen sich an und er knirscht mit den Zähnen. Irritiert über die plötzliche Anspannung öffnet sie die Augen. Das Gesicht ihres Professors ist wirkt finster und kühl, aber seine Augen sprechen eine andere Sprache. Da lodert ein leidenschaftliches Feuer, welches direkt auf sie überspringen würde, würde er sich nicht direkt von ihr wegdrehen. Sie spürt die Enttäuschung und kann sie nur schlecht verbergen; ein frustriertes Seufzen entweicht ihr, lauter wie gewollt. Ihre Augen mustern den breiten Rücken von Sebastian und sie kann nicht anders, als noch enttäuschter zu sein. Ja, verdammt, sie fühlt sich zu ihm hingezogen! Am Anfang hat sie es noch auf ihre Entdeckung geschoben, aber inzwischen ist sie sich sicher, dass es nicht nur das ist. Er hat sich um sie bemüht, immer ein offenes Ohr gehabt, ihr zur Seite gestanden – nicht als Lehrer, sondern als Mensch. Er ist in den letzten Wochen ihr zweites emotionales Standbein geworden. Sie schätzt ihn, als Mensch, als Mann. Sebastian brummt, was beinahe wie ein Knurren klingt. „Ich … Das sollte nicht …“ Er dreht sich zu ihr um. Man spürt förmlich, wie er hin und her gerissen ist, zwischen dem, was er will, und dem, was er tun soll. Das Gesicht ihres Gegenübers wirkt hart und verschlossen, beinahe beängstigend. Aber sie fürchtet sich nicht, denn das, was sie in seinen Augen liest, ist etwas gänzlich Anderes. Das ist ein Verlangen, bei dem ihr direkt die Hitze in den Unterbauch schießt. Er will sie, das schreit ihr dieser hungrige Glanz dieser beiden bernsteinfarbenen Irden entgegen. „Da bin ich wieder!“, tönt es fröhlich. Schlagartig löst sich alles in Rauch auf, was sich da in kürzester Zeit zwischen dem Mann und Emma aufgebaut hat. Sebastian ringt sich ein Lächeln ab und geht voran; die beiden Frauen folgen in kurzem Abstand und verlassen die Bar. „Du meine Güte, ich sollte mich dringend bei Nicolae melden“, fällt es dem Kindermädchen auf halben Weg plötzlich ein. Verdammt! Sie hat ihre „ungeplante und doch geplante“ Übernachtung bei ihrer Freundin nicht abgesprochen, was sie aber hätte müssen. Auch wenn es sehr familiär zugeht, darf sie nicht vergessen, dass die Bartholys eigentlich ihre Arbeitgeber sind. „Schreib ihm lieber eine Nachricht, statt ihn anzurufen.“ Sarah verzieht Gesicht, Professor Jones ebenso. Die junge Frau bleibt stehen und kramt ihr Handy aus ihrer Jackentasche. Soll sie wirklich einfach nur eine Nachricht tippen? Irgendwie kommt ihr das nicht richtig vor. Ja, der Morgen war eine totale Katastrophe, aber deswegen ein halbes Jahr gutes Zusammenleben einfach ignorieren? Plötzlich schießt ihr noch etwas Anderes durch den Kopf: Nicolae hat ihr versprochen, ihr heute Abend zu erklären was los ist. Und nun? Sie ist hin- und hergerissen. Sie möchte unbedingt wissen, was die Bartholys offenbar schon in Erfahrung gebracht haben, andererseits möchte sie auch einfach ihre Ruhe. „Was ist los?“, fragt Sarah genervt, weil ihre Freundin einfach stehen geblieben ist. „Er wollte mir heute Abend sagen, was er weiß …“, nuschelt das Kindermädchen leise, damit ihr Professor es nicht hört. Die junge Osbourne seufzt und verdreht die Augen. „Glaubst du wirklich, dass sie dir die Erleuchtung zukommen lassen? Einfach so? Nachdem sie dir seit Wochen nichts gesagt haben?“, flüstert sie zurück. So ganz unrecht hat ihre Freundin nicht. Sie hätten sie schon eher einweihen können; haben sie aber nicht. Wer sagt, dass sie wirklich etwas Interessantes oder Wichtiges erfahren würde? Es ist wohl eher wahrscheinlich, dass sie nur ein Haufen undurchsichtigen Kram erzählt bekommt, der sie erstmal ruhigstellen soll. Sie entsperrt ihr Telefon und sucht Nicolae aus ihrer Kontaktliste. Einen Moment zögert sie, doch dann drückt sie auf den grünen Höherer und hält sich das Handy ans Ohr. Ihr Blick fällt auf Professor Jones, dessen bernsteinfarbene Augen sie auffällig ansehen. Sie wendet sich verlegen zu ihrer Freundin. Sarah verdreht die Augen, worauf hin die junge Frau entschuldigend mit den Schultern zuckt. Es wäre wirklich unhöflich, einfach nur eine Nachricht zu schicken. Nachdem zweiten klingeln wird abgehoben. „Ist alles in Ordnung?“, wird sofort besorgt nachgefragt. Ob sie will oder nicht, Emma muss lächeln. Die Unruhe und Sorge die sie aus Nicolaes Stimme heraushört, zeigt ihr, dass sie ihm nicht egal ist – und dass beruhigt sie. „Ja, soweit alles gut. Ich … Ich weiß, wir hatten für heute Abend etwas ausgemacht, aber … ich …“ Sie bricht ab und seufzt. Warum nur fällt ihr das so schwer? „Schon okay. Drogo hat mir erzählt, was beim Frühstück passiert ist … es tut ihm leid und“, es folgt eine Pause, und die folgenden Worte sind leise, „… mir auch.“ Nicolaes Ausdruck irritieren sie. „Das war nicht deine Schuld.“ Er kann doch nichts dafür, dass sein jüngerer Bruder sich aufführt wie … nun ja … egal. Kurz herrscht Stille am anderen Ende der Leitung, es folgt ein Räuspern. „Aber ich hätte da sein müssen …“ Ja, ihr wird bei diesen Worten warm ums Herz. Was man ihr ansieht und Sarah sofort dazu bringt, ihr einen finsteren Blick zu zuwerfen der sagt: „Lass dich nicht einwickeln.“ Beschämt sieht die junge Frau zu Boden. „Ich würde gern bei Sarah übernachten, wenn das okay ist?“, nuschelt sie leise. „Natürlich“, ist die prompte Antwort. „Wir reden dann morgen.“ Da ist ein wenig Enttäuschung in der Stimme, aber auch viel Verständnis und irgendwie auch Erleichterung. Sie verabschieden sich und das Kindermädchen legt auf. Sarah lächelt zufrieden und sie machen sich auf den Weg. Professor Jones lässt sich etwas zurückfallen und berührt die junge Frau am Arm. „Ist alles in Ordnung?“, fragt er fürsorglich nach. Sie sieht auf und verliert sich kurz in seinem intensiven Blick. Irgendwie kommt ihr das bekannt vor. Ja, er sieht sie oft auf diese Art und Weise an, aber sie hat das irgendwo anders bereits einmal gesehen und erlebt … Nur wo? „Geht schon“, haucht sie unsicher. „Ich habe es bereits gesagt: falls Sie Probleme haben …“ Er lässt den Satz unbeendet und seine Gesichtszüge werden weich. „Danke.“ Mehr bekommt sie nicht heraus. Sarahs belustigtes Räuspern löst die Verbindung zwischen ihr und Sebastian, welcher sich verlegen durch die Haare fährt. Bei den Osbournes angekommen, verabschiedet sich Professor Jones und geht. In der Wohnung passiert nicht mehr viel. Die Frauen reden und albern noch ein wenig, dann gehen sie schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)