Im Dunkeln der Nacht von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 8: Hopfen und Malz -------------------------- Helligkeit dringt durch ihre Lider und sie spürt auch langsam ihren Körper wieder. Zufrieden brummt sie; sie fühlt sich gut. Sie fühlt sich sogar richtig gut – seit Wochen das erste Mal. Bevor sie sich jedoch richtig sortiert hat, wird ihr Name gerufen und jemand springt auf sie drauf. Die junge Frau stöhnt dumpf und reißt die Augen auf. „Steh endlich auf! Du musst dich um mich kümmern!“, nörgelt das kleine Mädchen lautstark. Sie sitzt auf dem Bauch ihres Kindermädchens und verzieht das Gesicht. „Du bist wirklich schlecht in deinem Job“, legt sie direkt noch nach. Lorie; war ja klar – wer sollte es auch sonst sein? „Dir auch einen guten Morgen“, ächzt Emma und richtet sich auf. Das Mädchen rutscht zwar von ihrem Bauch auf ihren Schoß, scheint aber nicht gewillt komplett von ihr runter zu gehen. „Ich würde ja aufstehen, aber so …“ Mit einer fahrigen Handbewegung deutet sie auf die kleine Göre. Lorie schmollt noch etwas mehr. „Du bist eh schon viel zu spät.“ Ja, das jüngste Familienmitglied der Bartholys ist speziell. Mit ihrem Puppengesicht, den großen Kulleraugen und dem rosa Haaren wirkt sie wie ein Engel. Tatsächlich ist sie eher ein Biest; was wohl auch an der Tatsache liegt, dass ihre Brüder sie über die Jahre zu sehr verwöhnt und verhätschelt haben. Vielleicht auch Jahrzehnte? Oder sogar Jahrhunderte? So genau weiß sie gar nicht, wie alt die Kleine bereits ist. Sie will es auch nicht wirklich wissen. Eigentlich ist es traurig und grausam. Lorie wird bis in alle Ewigkeit ein Kind bleiben … wahrscheinlich der Grund, warum ihre Brüder sie behandeln, wie sie es tun. Sie ist eigentlich kein Kind, aber auch nicht erwachsen. Ihr Gehirn hat nie die nötige Entwicklung durchgemacht und wird es auch nicht mehr. Sie ist in einem Zustand der sie entzwei reißt und zusätzlich zu dem übertriebenen Verwöhnprogramm ihrer Brüder dafür sorgt, dass sie extrem unausgeglichen ist und dementsprechend launisch. „Ich will spielen!“, fordert das Mädchen laut und fordernd. „Wenn du runter gehst, dann kann ich aufstehen, mich waschen und anziehen“, erklärt die junge Frau geduldig und lächelt. Zum Glück fühlt sie sich heute recht gut. Die letzte Woche war die Hölle mit Lorie, weil sie selbst durch die Übermüdung ebenfalls launisch und unausgeglichen war. Tatsächlich gab es ein, zwei extreme Situationen in der sie sich fast an die Gurgel gegangen wären. Zum Glück war Nicolae in der Nähe und war rechtzeitig dazwischen gegangen. Also, zum Glück für das Kindermädchen. Die Kleine ist ein Vampir und verfügt auch über die dementsprechende Stärke. Lorie mustert Emma einen Moment, dann strahlt sie plötzlich. „Gut! Ich gehe in mein Zimmer und bereite alles vor!“ Sie springt vom Schoß der jungen Frau und hüpft fröhlich aus deren Zimmer. Amüsiert grinst das Au-pair und steht auf. Man darf gespannt sein, was sich das Mädchen wieder ausgedacht hat. Die Spiele sind meist eher … morbide, um es nett auszudrücken. Am Anfang war das extrem befremdlich für Emma. Nachdem sie wusste, was die Familie ist, hat das Verhalten und diese mitunter grausamen Spiele plötzlich Sinn gemacht. Inzwischen hat sie sich tatsächlich damit arrangiert und auch die Sticheleien der Kleinen gehen ihr nicht mehr so an die Nieren. Zumindest, wenn sie ausgeruht ist wie jetzt. Nach einer kurzen Dusche und der üblichen Morgenroutine verlässt die junge Frau ihr Zimmer und geht zu Lorie. Sie streckt den Kopf zur Tür herein. „Ich hole mir noch schnell etwas zu essen.“ Das genervte Stöhnen der Kleinen ignoriert sie und geht nach unten. Es ist üblich still im Herrenhaus. Auch an den Wochenenden ist es ruhig hier. Eigentlich ist es immer ruhig, es sei denn Lorie schreit durch die Gegend, weil ihr wieder etwas nicht passt, oder Peter spielt Klavier. Manchmal nervt sie das, aber eigentlich ist es angenehm. Es ist ein guter Ausgleich zum stressigen Uni-Alltag. Sie geht in das Esszimmer wo eine kleine Auswahl an Nahrungsmitteln steht. Ein Croissant und eine Banane begleiten sie. Irgendwann hat sie aufgegeben sich zu fragen, wer das Essen jeden Tag bereitstellt. Unter der Woche steht jeden Abend eine warme Mahlzeit auf dem Tisch. Wer auch immer die zubereitet. Sie kann sich nicht vorstellen, dass einer der Brüder das macht. Vampire können keine normale Nahrung zu sich nehmen; warum sollten sie sich also damit auseinandersetzen? Fröhlich vor sich hin summend macht sich das Kindermädchen wieder auf den Weg nach oben. Ihr ist schleierhaft, woher diese ausgesprochen gute Laune kommt. Sie erinnert sich an ich Gespräch mit Nicolae gestern. Es war nicht aufschlussreich, eigentlich sogar eher beunruhigend. Und dann war sie so müde – warum eigentlich? Also ja, sie ist eigentlich immer müde, seit sie diese Träume hat, aber gestern Abend war sie anders müde. Und nach dem Gespräch …? Nicolae hat sie in ihr Zimmer gebracht. Aber irgendetwas ist merkwürdig. Ähnlich wie bei ihrer Begegnung mit Drogo im Wald, fühlt es sich an, als würde etwas im Ablauf ihrer Erinnerungen fehlen. Immer noch etwas in Gedanken versunken betritt sie das Kinderzimmer. Ein Traum in rosa erstreckt sich vor ihr. Das Zimmer ist hell und freundlich; Unmengen an Spielzeugen und Kuscheltieren lümmeln in allen Ecken. Das Ankleidezimmer ist voll mit Kleidern und Accessoires. Ja, die junge Frau ist manchmal ein wenig neidisch; sie hätte sich so ein Kinderzimmer gewünscht. Dann fällt ihr aber wieder ein, warum Lorie so ein Zimmer und so einen Überfluss hat. „Warum musst du ständig Essen?“ Die Kleine steht da und mustert ihr Au-pair mit großen Augen. „Weil, ich ein Mensch bin und ansonsten sterben würde irgendwann“, erklär Emma und schiebt sich den letzten Happen des Croissants zwischen die Zähne. „Außerdem isst du ja auch, nur eben anderes.“ Lorie scheint einen Moment nachzudenken und legt den Kopf schief. „Wie lange würde es dauern, bis du stirbst, wenn ich dir dein Essen wegnehme?“ Ein unheilvolles Lächeln bildet sich auf dem zarten Gesicht. „Lange“, antwortet das Kindermädchen trocken. „Mehrere Tage, mindestens – also mach dir keine falschen Hoffnungen.“ Sie sieht, wie das Mädchen das Gesicht verzieht und anschließend herausfordernd grinst. Vor ein paar Monaten wäre ihre Angst und Bange bei diesem Gespräch geworden. Sie fühlt sich jetzt zwar auch nicht extrem wohl, aber zumindest okay. Vampirkinder sind halt so, redet sie sich immer ein. „So, und was möchtest du nun spielen?“ Wie, vor einigen Tagen fest versprochen, kümmert sich die junge Frau bis weit in den Nachmittag hinein um das Mädchen. Die Stimmung ist ungewöhnlich friedlich zwischen den beiden. Lorie zeigt sich mehrfach kooperativ und kompromissbreit und ihr Kindermädchen nörgelt nicht sofort an jedem Tod und jeder Quälerei die die Puppen und Stofftiere ertragen müssen. Sie lachen sogar zusammen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.   Die Uhr im Wohnzimmer zeigt inzwischen 16:40 Uhr. Emma und das Mädchen sitzen am Tisch und malen; eine blühende Wiese die eine, eine nicht näher definierbare Gestalt die andere. Sie plaudern ein wenig, als die Tür sich öffnet und Nicolae den Raum betritt. Etwas verwundert betrachtet er die Szene die er sieht. Ihm ist zwar bewusst gewesen, dass die beiden sich angenähert haben, aber solche Eintracht, vor allem über den kompletten Tag hinweg, ist sehr ungewöhnlich. „Die Damen“, grüßt er höflich in das Zimmer. Lorie dreht den Kopf und beginnt zu strahlen „Nicolae!“, ruft sie überschwänglich und springt auf. Die junge Frau sieht dabei zu, wie das Mädchen zu ihrem Bruder stürmt und ihm förmlich in die Arme springt, als hätten sie sich seit Monaten oder Jahren das erste Mal wiedergesehen. Sie muss unweigerlich schmunzeln bei dem Anblick und schüttelt leicht den Kopf. Aber sie will sich nicht beschweren, der Tag mit Lorie war ausgesprochen angenehm. Es gab keinen Streit und keine Tobsuchtsanfälle – der Tag kann also als voller Erfolg verbucht werden. Der Anblick wie der Älteste der Bartholys das Mädchen anlächelt und ihr sanft über den Kopf streicht, wärmt ihr dann doch unweigerlich etwas das Herz. Gleichzeitig hat sie das Gefühl, an etwas erinnert zu werden, aber irgendwie kommt da nichts. Vielleicht eine Erinnerung an ihre eigene Familie, die sich vielleicht verdrängt hat? In Momenten wie diesen, könnte man nämlich fast vergessen, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Familie handelt. Nicolae lässt Lorie wieder runter und redet mit ihr. Die Kleine schmollt, strahlt dann aber plötzlich wie die Sonne und nickt eifrig. Schnell wie der Wind stürmt sie aus dem Wohnzimmer. Verdutzt legt die junge Frau den Kopf schief. Was ist da gerade passiert? Und noch viel wichtiger: warum? Das Familienoberhaupt sieht dem kleinen Mädchen nach und wendet seine Aufmerksamkeit dann dem Kindermädchen zu. Er sieht sie konzentriert an und lächelt. „Du siehst … gut aus.“ Gemächlich geht er zu ihr, lässt sie dabei keinen Moment aus den Augen. Etwas pikiert sieht sie weg und beginnt geschäftig die Zeichensachen zusammen zu räumen. Die Art und Weise wie er sie angesehen hat und dann noch sein „Du siehst gut aus“ wecken plötzlich ein eigenartiges Gefühl in ihr, dass sie nicht zuordnen kann. Ihr Blick fällt auf Lories Zeichnung. Wie hypnotisiert nimmt sie das Blatt in die Hand. „Eigenartig.“ Sie verliert sich einen Moment, zuckt dann aber erschrocken zusammen, als Nicolae sich plötzlich neben sie setzt und ihr Bild aus der Hand nimmt. „Tatsächlich.“ Er mustert das Kunstwerk. „Sonst malt Lorie eher …“ „Blut und Gedärme?“, kichert Emma. Sie fühlt sich eigenartig locker in der Nähe des Ältesten der Bartholys, obwohl da immer noch diese andere Empfindung ist. Offenbar hat er es tatsächlich geschafft, ihrem Unterbewusstsein zu vermitteln, dass er keine Gefahr darstellt – oder die gemeinsame Zeit hat einfach das Eis gebrochen. Nicolae muss lachen, bemüht sich aber schnell wieder um Contenance. „Ja, so in der Art.“ Gedankenverloren sieht er das Bild noch einmal an, er scheint angestrengt über etwas nachzudenken. Nach einigen Momenten legt er es schließlich beiseite. „Wie fühlst du dich?“, fragt er die junge Frau. „Gut, ohne, dass ich es näher definieren könnte“, erklärt sie bemüht lässig. Die Nähe des Familienoberhauptes und sein Interesse an ihr, lösen ein für sie ungewohntes Flattern tief unten in ihrem Magen aus. „Kein Traum letzte Nacht?“, hakt er weiter nach. „Oder, etwas Anderes?“ Seine Augen sehen sie ausgiebig an und scheinen unruhig, oder besorgt zu sein. „Das … Ich …“ Das Kindermädchen seufzt und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Sie fühlt sich nervös und hibbelig. „Ich weiß, dass ich geträumt habe, aber es ist nichts mehr da.“ Und irgendetwas anderes scheint auch zu fehlen, aber das behält sie lieber für sich. Beinahe väterlich legt Nicolae seine Hand auf den Unterarm der jungen Frau. „Wie ich gestern bereits sagte: ich glaube …“ „Ich weiß“, unterbricht Emma ihn. „Aber diesmal ist wirklich nichts da. Kein Gefühl, keine vage Erinnerung – nix.“ Sie ist sich sicher, dass sie geträumt hat, aber da ist einfach nur ein großes Loch. Genau wie an der Stelle zwischen dem Gespräch mit dem Familienoberhaupt ihre Müdigkeit, wie zwischen der Begegnung mit Drogo im Wald und dem nach Hause Weg … Wird sie verrückt? Sind das Nebenwirkungen ihrer chronischen Übermüdung? „Hm, scheinbar konnte ich dich nicht vom träumen abhalten“, philosophiert der Mann leise vor sich hin. Er ist offensichtlich betreten wegen der Situation, gleichzeitig wirkt er merkwürdig zufrieden. „Zum Glück konnte Peter ihn aber verscheuchen“, erklärt die junge Frau wie selbstverständlich und stutzt dann sofort. Sie sieht perplex und irritiert den Mann neben sich, der sie genauso verwirrt betrachtet. „Peter?“, hakt er nach und runzelt leicht die Stirn. „Ähm, ja, ich denke. Irgendwie weiß ich noch, dass Klaviermusik gespielt hat und dann war es weg … was auch immer es war.“ Es verwirrt sie, Dinge zu wissen, ohne zu wissen warum. Aber, sie will sich auch nicht beschweren, immerhin ist sie heute ausgeschlafen und fit. Auch, wenn sie ihre Gedächtnislücken langsam aber sicher unruhig werden lassen. Vielleicht sollte sie doch mit Nicolae darüber sprechen? Nein, erstmal sind andere Dinge wichtiger. „Hast du etwas herausgefunden?“, fragt sie vorsichtig nach. „Nein, zumindest noch nichts was eine Erklärung liefert oder uns hilft“, antwortet der Mann. Er ist unzufrieden darüber, dass merkt man. Emma hadert kurz mit sich. Da es offenbar nichts Neues gibt, könnte sie eventuell etwas Anderes ansprechen. Sie muss dringend noch wegen Halloween mit ihm reden. Wo sie einmal hier sitzen und ungestört sind, fasst sie sich ein Herz. „Sarah hat mich für Halloween zu einer Party eingeladen.“ Nicolae wird hellhörig. Er sieht sie an und scheint unschlüssig, schweigsam ringt er mit sich. Emma weiß, dass er zu Überfürsorglichkeit neigt und sich, gefühlt, ständig um Alles und Jeden sorgen macht. Besonders natürlich um sie. So als Mensch ist sie in seinen Augen wahrscheinlich ein hilfloses ‚kleines Ding‘, dass man behüten muss. „Es wäre schön, mal den Kopf freizubekommen und einfach einen netten Abend mit einer Freundin zu verbringen“, setzt sich nach, als ihr das Schweigen zu lange andauert. Sie möchte so gern einfach mal nur irgendein Mädchen sein, ohne sich zusammen nehmen zu müssen, weil ihre Gemütslage und Laune auf Lorie abfärben, oder Drogo anstacheln könnten, oder Peter traurig, oder, oder, oder … Ständig muss sie im Herrenhaus darauf achten, wie ihre Emotionen sind, weil die Familien alles überdeutlich wahrnimmt und einige noch ihre Probleme damit haben, dass richtig zu kanalisieren oder blocken. „Ja, du hast recht. Außerdem steht dir der freie Abend zu“, lenkt das Familienoberhaupt ein. Er scheint alles andere als glücklich damit, bemüht sich aber, es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen. Überglücklich umarmt die junge Frau den Mann, ohne wirklich darüber nachzudenken. Was sie da gerade tut, wird ihr erst bewusst, als es einen Moment dauert, bis die Geste erwidert wird. Ja, ihre Überschwänglichkeit ist ihr kurz peinlich und auch, dass sie etwas die Beherrschung verloren hat, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. „Danke“, flüstert sie. Ihr Herz klopft einige Augenblicke etwas kräftiger und die Umarmung fühlt sich vertraut an – wieder so etwas, dass sie gerade nicht wirklich versteht. „Schon gut.“ Nicolae streicht ihr sacht über den Rücken und löst dann die Umarmung. Ihm ist die Situation unangenehm, gleichzeitig scheint er froh darüber. „Ich muss dann mal. Ich habe Lorie versprochen, den Rest des Tages mit ihr zu verbringen.“ Er steht auf und verlässt das Wohnzimmer. Emma grinst, während sie dem Ältesten der Bartholys hinterher sieht. Daher wehte also vorhin der Wind. Was ihre kleine Schwester angeht, sind die Brüder alle drei unverbesserlich, da ist wirklich Hopfen und Malz verloren. Aber irgendwie findet sie das auch süß … auch wenn es pädagogisch natürlich kontraproduktiv ist. Ihre Gedanken schweifen in andere Gefilde ab, als sie wieder das Bild ansieht, dass Lorie gemalt hat: zu sehen ist eine hübsche Frau in einem alten barocken Kleid. Die Zeichnung wirkt recht düster und die Dame etwas unscharf. Dem Kindermädchen kommt das bekannt vor, aber sie weiß nicht woher. Sie packt es ein und geht nach oben in ihr Zimmer. Jetzt muss sie erstmal dringend Sarah anrufen und ihr die gute Nachricht überbringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)