Im Dunkeln der Nacht von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 6: Geisterträume ------------------------ … wie eine ungezügelte Naturgewalt bricht das Biest durch das dichte Unterholz, springt ihr mit aller Kraft entgegen. Die Bäume halten den Atem an. Unheimliche Stille legt sich über das Bild. Einen Moment scheint die Zeit zu gefrieren – das Biest im Sprung erstarrt, die Frau mit schreckgeweiteten Augen und einem stummen Schrei auf den Lippen. Seine Augen glühen und brennen sich in ihre. Mächtige Kiefer öffnen sich, im Licht des Mondes blitzen seine Zähne auf. Er grollt, laut und erbarmungslos. Die Zeit setzt wieder ein, lässt das Bild weiterlaufen. Angst beschleunigt ihre Reflexe und sie schafft es ihm auszuweichen. Sein Fell streift ihre Wange, sie kann sogar die Bewegungen der Muskeln darunter spüren. Und die Wärme die sein Körper ausstrahlt. Der Wald atmet aus, als das Tier mit Wucht wieder auf dem Boden aufkommt. Sie rennt, dreht sich nicht um und gönnt sich keine Pause. Immer weiter geht es durch die Finsternis – gleichzeitig in sie hinein. All ihre Gedanken lösen sich auf, Vergangenheit und Zukunft trennen sich vom hier und jetzt; hören auf zu existieren. Nur er ist da – in ihrem Kopf – in ihrer Seele – in ihrem ganzen Sein. Nur er. Knurren und Tosen, junge Bäume geben krachend der Gewalt der jagenden Bestie nach. Die Stille des Waldes ist den Geräuschen einer blutrünstigen Hatz gewichen. Sie bekommt einen Hieb mit seiner Pranke ab und wird davon geschleudert. Der Aufprall ist dumpf und schmerzhaft. Er thront plötzlich über ihr, die Zähne gefletscht …   „NEIN!“ Ruckartig schreckt die junge Frau hoch. Ihre Atmung geht schnell und flach, ihr Herz rast und stolpert, als würde sie immer noch durch den Wald rennen. Panisch huscht ihr Blick umher. Wo ist sie, und warum? Sie zittert und bebt, und hat das Gefühl jeden Moment in Tränen auszubrechen – ohne, dass sie den Grund dafür wüsste. „Beruhige dich“, flüstert er warm an ihrem Ohr und seine kräftigen Arme legen sich von hinten um sie. „Du bist im Herrenhaus; in Sicherheit“, erklärt Nicolae ruhig und zieht sie an sich heran, bis ihr Rücken gegen seinen Brustkorb drückt. Es fühlt sich an, als würde durch diese simplen Worte eine tonnenschwere Last von ihr abfallen. Emma sinkt in sich zusammen und dadurch tiefer in die schützende Umarmung. Sie spürt den starken Oberkörper hinter sich und wie er sein Kinn sacht auf ihrem Haar abgestützt. Dass sie auf dem Schoß ihres Arbeitgebers hockt, ignoriert sie einfach. Sie fühlt sich viel zu durcheinander und aufgewühlt, als das sie auf diesen Trost gerade verzichten könnte. Auch, wenn die Berührung an sich natürlich kalt ist, fühlt sie sich absurderweise warm an, zumindest emotional warm. Und vor allem eins: sicher. „Was ist passiert?“, flüstert sie ungläubig nach einiger Zeit. Immer noch fällt es ihr schwer, ihre Gedanken und Erinnerungen zu sortieren. Es ist immer alles so schnell weg, oder verschwimmt ineinander. „Das ist schwierig zu sagen.“ Nicolae seufzt und schweigt gedankenverloren einige Momente. „Scheinbar, hat Etwas, etwas dagegen, dass ich mich einmische.“ „Etwas?“, fragt sie erschrocken und richtet sich ein wenig auf. Sie dreht sich leicht um, um den Mann anzusehen und dadurch vielleicht besser einordnen zu können, was er sagt; gleichzeitig löst sie dadurch seine Umarmung etwas. Sie fühlt sich dadurch sofort wieder etwas mehr verloren, obwohl sie ja immer noch auf ihm sitzt. Das sollte sich allerdings eher befremdlich für sie anfühlen … aber das tut es nicht. Der Älteste der Bartholys sieht sie schweigend an. Seine graugrünen Augen mustern die junge Frau, fahren jede Linie ihres Gesichts ab, als würde er dort irgendeine Antwort suchen. „Ich glaube, dass das mit deiner Gabe zu tun hat.“ „Das kann nicht sein“, wiegelt sie fast schon beleidigt ab. „So funktioniert meine Gabe nicht, dass …“ Nicolae unterbricht sie unorthodox, in dem er ihr seinen Zeigefinger auf den Mund legt. Wieder mustert er die junge Frau forschend, lässt seinen Finger sanft auf ihren Lippen ruhen. „Möglich, dass du glaubst, dass sie so nicht funktionieren kann, aber das bedeutet nicht, dass es unmöglich ist. Denk über die letzten sechs Monate deines Lebens nach: Wieviel Unmöglich ist inzwischen Realität für dich?“ Da das Familienoberhaupt offenbar noch nicht gewillt ist, ihren Mund wieder freizugeben, nickt sie lediglich leicht. Er hat natürlich Recht. Vieles, was sie für unmöglich gehalten hat, ist jetzt Normalität. Kann ein Geist Einfluss auf ihre Träume nehmen? Ist das überhaupt möglich? Sie kann zwar die Seelenfragmente sehen, und bedingt mit ihnen interagieren, aber … Andererseits, wenn Nicolae es sagt, wird es wohl eine Option sein. Er ist schon alt und hat mehr gesehen und erlebt, wie sie sich wahrscheinlich vorstellen kann … Doch ihre Gedanken schweifen unweigerlich komplett ab. Zunächst waren ihre Lippen kalt, an der Stelle wo Nicolaes Finger ruht, jetzt setzt ein eigenartiges Kribbeln ein, was synchron auch unterhalb ihres Nabels anfängt. Das ist doch verrückt! Wieso auf einmal?! Ja, der Älteste der Brüder ist ein sehr ansehnlicher Mann, mit einer unfassbar eleganten und starken Ausstrahlung die einem den Atem nehmen kann … und er ist äußerst zuvorkommend und ein wahrer Gentleman – ein Mann aus einem anderen Jahrhundert eben. Sie hat dennoch nie etwas Anderes in ihm gesehen, wie das was er ist; das Familienoberhaupt – ein großer Bruder vielleicht, weil er doch sehr beschützend ist; aber definitiv nichts Anderes. Warum also fühlt es sich nicht falsch an, dass sie hier auf seinem Schoß hockt? Oder das er sie mit diesem intensiven Blick ansieht? Warum erregt sie das eher, als dass sie sich dafür schämt? „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein sehr starker und mächtiger Geist, in der Lage wäre, dich zu beeinflussen. Nur in einem gewissen Rahmen und unter bestimmten Bedingungen … aber, ich halte es für möglich“, erklärt Nicolae, ohne Emma aus den Augen zu lassen. „Ich muss etwas nachforschen dazu, aber wir finden heraus, was da los ist.“ Er nimmt seinen Finger von ihren Lippen und umarmt sie wieder, drückt sie sacht gegen seinen Brustkorb. „Keiner von uns wird zulassen, das dir etwas geschieht, das weißt du?“, flüstert er in ihr Haar. Schüchtern nickt sie. Allerdings verunsichert sie das eigentümliche Verhalten gerade mehr, als, dass es sie beruhigt. Droht ihr womöglich Gefahr? Reale Gefahr durch ein Seelenfragment? Tatsächlich, hat sie sich noch nicht wirklich mit ihrer Gabe auseinandergesetzt. Sie hat sie auch eher als „einfach da“ empfunden und sich nie Gedanken dazu gemacht, was denn alles möglich sein könnte. Sie ist immer davon ausgegangen, dass sie eben Seelen von Toten sehen konnte, wenn diese noch in dieser Welt waren, oder in einer Zwischenwelt – mehr aber nicht. So wie Nicolae das eben ausgedrückt hat, klang es so, als wäre viel mehr möglich … von beiden Seiten aus. Das Feuer wirft Schatten an die Wände des Wohnzimmers. Es wirkt, als wären sie fröhlich, und würden tanzen und spielen. Sie Zucken und Zappeln mit den Flammen um die Wette, während das Knistern den Rhythmus vorzugeben scheint. Der Schutz, den sie in der Umarmung empfindet, scheint allmählich irgendwelche Blockaden zu lösen. Der Anblick des Feuers lässt plötzlich einige Erlebnis aus ihrem Traum wieder aufflammen. „Es hat gebrannt …“, nuschelt sie gegen den Brustkorb des Mannes. „Was hat gebrannt?“, fragt Nicolae leise zurück, als würde er befürchten, dass er den Moment verscheuchen könnte, wenn er zu laut ist. „Der Wald in dem Traum, der so anders war. Die Bäume waren ganz verkohlt und haben im inneren noch geglimmt. Es hat fürchterlich gestunken – nach Fleisch und Haaren. Irgendwo hat jemand geschrien.“ Ein Schauer huscht ihre Wirbelsäule hinunter und sie zittert kurz. Sie spürt, wie die Angst sich wieder ihrer bemächtigen will, aber sie schafft es nicht. Die kraftvolle Ruhe, die Nicolae ausstrahlt, vertreibt sie noch, bevor sie sich wieder festsetzen kann. Der Älteste der Bartholys beginnt sacht über den Rücken der jungen Frau zu streichen, als würde er spüren, dass gerade mit sich selbst und ihren Emotionen kämpft. „Weißt du noch, was gerufen wurde?“ „Lauft weg, der Tod, es ist der leibhaftige Tod“, flüstert sie. Sie überkommt ein ungutes Gefühl, als würde sie Etwas mit diesen Worten heraufbeschwören. Sie schließt die Lider, da der Schein des Feuers zu grell ist und unschön in ihren Augen brennt. Das sanfte Streicheln auf ihrem Rücken fühlt sich gut an, allgemein diese Nähe zwischen ihr und Nicolae. Was merkwürdig ist. Sie haben bisher nicht so viel mit einander zu tun gehabt. Eigentlich ist sie ihm oft auch ein wenig aus dem Weg gegangen, weil sie nicht so recht wusste, wie sie sich ihm gegenüber verhalten soll. Nun sitzt sie hier, auf seinem Schoß und schmiegt sich an ihn. Es ist befremdlich, aber gut. Sie fühlt sich gut. Wenn sie als Kind nachts Angst hatte, kam ihr Vater oft und nahm sie in den Arm und tröstete sie. Das jetzt fühlt ähnlich an, und gleichzeitig völlig anders. Dass, was sie gerade empfindet ist stärker und scheint auch auf einer anderen Eben stattzufinden. Ihr Herz klopf kräftig und ihr Magen flattert. So behütet, triften Emmas Gedanken ab und verlieren sich ein wenig in der Vergangenheit. Ihr Vater ist nicht mehr da, genauso wie ihre Mutter. Ihr Großmutter, bei der sie die Jahre danach verbracht hat, war nun auch schon seit zwei Jahren tot.  Niemand ist mehr da. Sie ist allein … Halt, Stopp! Sie darf sich nicht wieder in Selbstmitleid verlieren. Außerdem, ist sie nicht mehr allein. Sie hat Sarah, die ihr eine sehr gute Freundin ist und, ja, auch ihre Gastfamilie ist inzwischen mehr Familie wie nur Arbeitgeber. Sie sollte sich nicht beschweren, sie sollte glücklich sein! Wie aufs Stichwort erklingt Klaviermusik. Entgegen der üblichen Art, scheint Peter diesmal ein etwas positiveres Stück gewählt zu haben. Es ist zwar auch eher langsam und bedächtig, aber in der Grundstimmung locker und entspannt. Es zaubert der jungen Frau ein Lächeln auf die Lippen, ohne, dass sie selber sagen könnte warum. Gleichzeitig fühlt sie, wie die Müdigkeit langsam wieder überhandnimmt. „Wir belassen es für heute dabei. Ich bringe dich hoch und werde versuchen, dir einen traumlosen Schlaf zu schenken“, erklärt Nicolae und richtet sich ein wenig auf. Er räuspert sich und scheint sich plötzlich nicht mehr sicher zu sein, was hier gerade passiert. Emma spürt die Unruhe, die von dem sonst so besonnenen Familienoberhaupt ausgeht. Dadurch wird sie selber nervös und diese Nähe zwischen ihnen, fühlt sich plötzlich nicht mehr nur angenehm an; nein, sie fühlt sich intim an, ohne, dass sie sagten könnte warum genau. Sie richtet sich auf und hebt den Blick. Sie sieht ihn an – natürlich nicht zum ersten Mal, aber jetzt gerade in diesem Moment, scheint es, als hätte er sich verändert. Oder hat sie sich verändert? Oder ist es die Situation? Auf jeden Fall ist es gänzlich anders wie sonst. Sein Gesicht wirkt ruhig und gesetzt – wie immer. Seine Augen hingegen sind voller Bewegung und etwas brennt tief in ihrem Inneren.   [Bonus-Kapitel – Nicolae]   Die junge Frau fühlt, wie sich eine angenehme Müdigkeit in ihrem Körper ausbreitet, die auch ihren Geist einzulullen scheint. Die Augen offen zu halten fällt ihr zunehmend schwerer und sie fallen ihr schließlich zu. Sie fühlt wie sie hochgehoben wird. Als würde sie schweben bewegt sie sich fort, durch das Esszimmer, ins Foyer und die große Treppe hinauf. Die Umarmung fühlt sich vereinnahmend an, als würde sie sie gegen die Welt abschirmen. Es ist wie eine zarte Blase, darin nur sie, das Gefühl von Sicherheit, Liebe und diese süße Klaviermusik, die sie mehr und mehr in den Schlaf wiegt. Langsam schmiegt sich ihr Bett an ihren Körper und die Decke darüber. Sie hört wie Nicolae ihren Namen sagt und öffnet schwerfällig die Augen einen Spalt. Er sieht sie mit dieser eindringlichen und intensiven Art an. Sie weiß, dass er gerade in ihren Geist eindringt, aber aus ihr unbekannten Gründen stört sie es nicht. Sie lässt es geschehen und ohne Vorwarnung wird ihre Welt dunkel – aber es ist warm und sicher.   Eine Frauenstimme erklingt; sie ist sanft und weich. „Gib Obacht …“ Wer spricht da? Die junge Frau versucht etwas zu erkennen, aber da ist nur Schwärze. „Es wird der Falsche sein.“ Die Stimme klingt traurig. „Warum?“, fragt Emma in das Nichts hinein. „Lass dich nicht von ihrem Wahn anstecken. Der Erste wird der Flasche sein … du musst es verhindern.“ Ein Schauer schüttelt das Kindermädchen. „Wovon redest du? Wer bist du?“ Schemenhaft bildet sich eine Person in einiger Entfernung. Eine Frau in alter Barocker-Kleidung. Ihr rotes Haar ist zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Das Gesicht ist verschwommen. „Du musst verhindern, dass sie den Falschen strafen … dass er den Falschen straft.“ „Verursachst du …?“, fragt die junge Frau unsicher. „Ich versuche zu helfen, aber ich bin nicht stark genug. Ich kann ihn nicht lange von dir Fernhalten …“ „Ihn? Wer ist er? Wer tut mir das an?!“ Die Panik über die Erkenntnis, dass Nicolae offensichtlich Recht hatte ist unüberhörbar. Ein Seelenfragment quält sie in ihren Träumen. „Nicht du – sie – er will sie und du bist nur Mittel zum Zweck … Du musst es verhindern; der Erste wird der Flasche sein!“ Die Stimme der altertümlich angezogenen Frau wird heiser und kreischend; als würde die Verbindung abbrechen.   Emma öffnet die Augen. Es ist still um sie herum und … hell. Verwirrt blinzelt sie. Die Sonne scheint in ihr Zimmer und es scheint bereits mitten am Tag. Hat sie so lange geschlafen? Ihr Blick geht zu ihrem Wecker. 12:24 Uhr! Erschrocken setzt sie sich auf und springt förmlich aus dem Bett. Sie will hastig ins Badezimmer, doch die Tür ist verschwunden. Aber … sie müsste da sein – definitiv. Sie dreht sich um und steht plötzlich im Foyer des Herrenhauses. Ein ungutes Gefühl kriecht langsam aus den Ecken, wie flüssige Schatten breitet es sich aus und ergreift Besitz von ihr. Ein Traum! Sie träumt – immer noch! Doch hier wird sie keine freundliche Frau begrüßen, so viel scheint gewiss. Ein tiefes Knurren ist hinter ihr und breitet sich beben im ganzen Raum aus. Sie will nicht über ihre Schulter sehen, sie weiß was da sein wird. Das Knurren wird zum Grollen und schließlich zu einem tosenden Sturm. Sie will nicht, aber eine unsichtbare Macht zwingt sie dazu, sie langsam zu drehen. Sie kneift die Augen zu. Irgendwie weiß sie, dass sie diesen Schrecken ansehen muss, damit er seine volle Macht entfaltet. Doch ihr Gegner scheint sich nicht so leicht austricksen zu lassen. Energie zupft an ihren Augenlidern, zieht sie langsam auf. Eine mächtige Böe fegt plötzlich durch die Szenerie, begleitet von einer kraftvollen Klaviersonate. Als würde jeder Ton das Bild in seinen Grundfesten zerstören, löst sich alles Stück für Stück auf. Das tosende Grollen der Bestie kämpft dagegen an, eine Schlacht entbrennt – urtümliches Knurren gegen feinabgestimmte Noten. Eine ungewöhnliche Auseinandersetzung, die einige Minuten anhält und ein Tongemisch erzeugt, welches nicht aus dieser Welt stammen kann. Schließlich wird das Knurren zunehmend leiser und verstummt irgendwann – zurück bleibt eine sanfte Melodie und warme Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)