Die Nacht macht uns zu Gleichen von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 1: Die Nacht macht uns zu Gleichen ------------------------------------------ Bei Tag sage ich Herrin zu dir, oder gnädige Frau. Es verlangt uns viel ab, dabei ernst zu bleiben. Manchmal, wenn niemand hinschaut, dann zwinkern wir, oder tauschen verschwörerische Blicke. Ich war fünfzehn, als deine Eltern mich in ihren Dienst nahmen, ebenso wie du damals. Doch während du das sticken lernst, das Malen und das Klavierspielen, scheuere ich auf den Knien eure Fußböden. Während sie dich dreimal täglich zum Essen zwingen müssen, stehe ich stets hungrig vom Tisch auf. Wir leben unter demselben Dach, doch ich soll unsichtbar sein, ein dienstbarer Geist, kaum mehr als ein Schatten. Dein Vater kennt nicht einmal meinen Namen, wenn deine Mutter mich anruft, klingt es wie eine Beschimpfung. Doch wenn du mich des nachts heiser, rauh und sinnlich: "Eloise!" rufst, dann ist das wie Sirenengesang, der mich lockt, hypnotisiert und schließlich in den süßen Abgrund reisst. Am Tag ist mein langes, schwarzes Haar unter einer weißen Haube verborgen. Deine wilden, blonden Locken sind gezähmt, hochgesteckt zu einem Knoten. Doch bei Nacht, wenn wir eins sind, fließt dein Haar in meines, wie ein wilder Strom. Am Tag ist mein magerer Leib in ein hässliches, kratzendes Schürzenkleid gewandet, dennoch habe ich es besser getroffen als du, in deinem eng geschnürten Mieder. Oft habe ich gesehen, wie du darin das Bewusstsein verloren hast, weil es dir den Atem raubte. Bei Nacht jedoch, wenn unsere ungestümen Hände im Schein des Feuers auf die Wanderschaft gehen, dann ist da nichts weiter, als weiches Fleisch und weiße Haut unter unseren Fingerspitzen. Bei Nacht, wenn du dich heimlich in meine Kammer schleichst und dich zu mir legst, dann sind wir glücklich. Dann sind wir eins. Dann sind wie Gleiche. Wir ahnen wohl was uns droht, sollten sie uns je auf die Schliche kommen; das Kloster für dich, Stockschläge und möglicherweise der Tod für mich. Und dennoch kommst du Nacht für Nacht an meine Tür. Und dennoch lasse ich dich Nacht für Nacht ein. Weil es die Sache wert ist! Wir wissen, dass unsere Stunden gezählt sind. Du hasst deinen Vater und deine Mutter fürchtest du. Beide suchen bereits einen geeigneten Gemahl für dich. Er wird dich fortholen, dich rauben, ob du willst, oder nicht und niemals werde ich dich wiedersehen. Manchmal, nachdem wir uns geliebt haben, erzählen wir uns davon, wie wir zusammen davonlaufen werden, davon wie wir uns irgendwo verbergen, ein Heim gründen, zusammen alt werden, um unser Glück kämpfen... ... und doch wissen wir, dass es keinen Ort für Mädchen wie uns gibt, kein Glück, kein Hausstand und keine Hoffnung. Alles was wir haben, ist diese Nacht. Manchmal erzählen wir uns davon, wie wir unserem Leben gemeinsam ein Ende machen. Vielleicht hat der Tod Erbarmen mit uns? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)