Morgenstern von totalwarANGEL ================================================================================ Kapitel 7: Lupus Sanginue ------------------------- 🌢 Henrik lag auf dem Bett und kämpfte noch immer mit dem Schock. Den Anblick des blutüberströmten Mädchens konnte er nur schwer verdauen. Plötzlich klopfte es an der Tür. “Nein!”, rief er. Doch das Klopfen hörte nicht auf. Henrik wollte allein sein. Also stand er auf, um den Klopfer zum Schweigen zu bringen. Es wurde schon dunkel. Wer konnte um diese Zeit etwas von ihm wollen? Er schloss die Tür auf und Annemarie kam ungefragt hinein gestürmt, noch bevor er etwas dagegen unternehmen konnte. Sie setzte sich auf sein Bett. “W-Was willst du hier?!” fragte er, halb gereizt und halb aufgelöst. “Und w-wieso bist du noch wach?” “Ich kann nicht schlafen”, antwortete die Kleine. “U-Und da s-soll ich helfen?” “Nein, ich will DIR helfen.” “Kein I-Interesse!” “Du weißt doch, ich kann Dinge sehen. Ich dachte, wenn wir dahin gehen, wo es passiert ist, bekomme ich vielleicht eine Vision. Und das hilft vielleicht.” “Funktioniert das nicht nur bei Händen?” Annemarie zuckte mit den Schultern. “Versuchen kann man es doch.” “Frag doch lieber N-Nebula.” “Ne, ich frage dich!” “Das ist viel zu g-ge-gefährlich!” “Feigling! Feigling!”, stichelte die Kleine. Henrik versuchte, sie von seinem Bett herunterzuziehen, in der Hoffnung, er könne wieder in den Laken versinken. Sein Ziel: Sie aus dem Zimmer buchsieren. Er war wirklich nicht dazu aufgelegt, mit dem Kind auf Monsterjagd zu gehen. Die Kleine gab nicht nach. Bald schon zerrte sie an ihm, satt er an ihr. “Mach schon!”, versuchte sie, ihn zum Mitkommen zu bewegen. Letztlich ergab er sich ihrem Drängen und lenkte ein. “Na schön! Wir gehen!” Denn Schlaf finden konnte er auch nicht. In Faringart gab es keine Torwachen, so wie in Henriks Heimatstadt Bärenhag. Er und Annemarie mussten sich einzig vor den Patrouillen der Nachtwächter in Acht nehmen, welche mit Laternen bewaffnet durch die Straßen zogen und stündlich in unverständlichem Dialekt die Uhrzeit ausriefen. Sie schafften es mit Mühe und Not, die Wachen zu umgehen und machten sich auf den Weg. Mitten in der Nacht erreichten sie, was von der Forstwirtschaft übrig war. Sie gingen an den aneinander aufgereihten, frischen Gräbern der Bewohner vorbei, welche Henrik Stunden zuvor half auszuheben. Provisorische Holzkreuze zierten die hastig aufgeschütteten Grabhügel. Henrik konnte nicht einmal hinsehen. Er schüttelte seinen Kopf in der Hoffnung, das Bild der sterbenden Henrike würde hinaus purzeln und er müsse es nicht länger ertragen. Henrik führte Annemarie zum Pfotenabdruck. “D-Den Abdruck haben wir gefunden”, sagte er und zeigte mit dem Finger darauf. Die Kleine hockte sich vor der Spur hin. Beobachtete, wie sich das Mondlicht in dem feuchten Schlamm spiegelte. Begeistert zog es sie in ihren Bann. “W-Wolltest du nicht irgendetwas finden?”, drängelte der Schmied. Er fürchtete, dass das Monster jeden Moment auftauchen könnte. Das Mädchen fasste in den Schlamm und hatte prompt eine Vision. “Was siehst du?” “Da ist ein Mann, der wird zum Wolf” “Blödsinn! Das gibt es doch gar nicht!” Annemarie schmollte. Sie ballte die Hände zu fäusten und streckte die Arme vom Körper weg. “Wenn du mir nicht glaubst, dann gehe ich eben allein!” Dann stapfte sie demonstrativ in den Wald hinein. “Mo-Moment, wo willst du hin?” Henrik entschied, ihr besser zu folgen. Er fürchtete, sie könnte der Kreatur in die Pranken laufen. Sie durchquerten den Wald und erreichten eine weitere Lichtung. Der Boden war durchzogen von silbrig glänzenden Adern. Henrik musste feststellen, dass sie sich immer weiter von bekannten Pfaden entfernten. “Du, wir s-sollten wirklich umkehren”, empfahl das braunhaarige Nervenbündel besorgt. “Nö!”, verweigerte sich das Kind. “Aber-” Ein Wolfsheulen schnitt ihm das Wort ab. “Da kommt er!”, kündigte Annemarie an. “Was, du hast uns zum Monster geführt?!” “Hab ich doch gesagt!” Plötzlich brach ein grauer Schatten aus dem Wald gegenüber den beiden aus. Eine Kreatur, wie eine Mischung aus Mensch und Wolf. “Das gibt’s doch nicht!”, graute es Henrik. Bis ihm klar wurde, dass er lieber weglaufen sollte. Er packte Annemarie und zerrte sie mit sich. Der Werwolf musste sie bereits als seine Beute gewittert und ihre hektischen Fluchtversuche ausgemacht haben. Er rannte auf allen Vieren auf sie zu. In der Dunkelheit übersah Henrik einen Stein und stürzte. Dabei riss er die Kleine mit sich zu Boden. “Hey!”, beschwerte sich Annemarie. Die Bestie war nur noch dreißig Meter entfernt. Bald würde sie sie zerfleischen. Annemarie hielt noch immer Henriks Hand. “Der Boden”, sagte sie. “Was ist damit?”, fragte Henrik unter Stress. “Ich habe es gesehen. Du musst ihn benutzen.” “B-Benutzen?” Während er noch überlegte, kam der Tod mit Riesenschritten unaufhaltsam näher. Henrik sah sich die Adern im Stein genau an. Es musste sich um ein natürliches Vorkommen von Silber oder einem ähnlichen Edelmetall handeln. “Bitte funktioniere!” Kurz bevor sie der Werwolf erreichte, ließ Henrik Annemarie los und schlug mit beiden Handflächen auf den Boden. Ein greller Blitz erhellte die Nacht, wie jener damals in Greymores Arena. Das Geräusch von aufgespießten Fleisch erfüllte die Luft, begleitet von einem erbärmlichen Jaulen. Henrik sah auf und traute seinen Augen nicht. Vor seinen Händen ragten mehrere silberne, scharfe Spitzen empor. Zwei von ihnen hatten die Bestie getroffen. Eine durchstieß die Schulter, die andere den Oberschenkel. Dampf trat aus den Wunden empor, als würde das Edelmetall das Untier verbrennen. Unter Schmerzen war die Kreatur bestrebt, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Der Werwolf umfasste das Silber. Auch von den Innenflächen seiner Pranke stieg Rauch auf. Als er sie zerbrochen und aus dem Fleisch gezogen hatte, ergriff er sichtlich verstört die Flucht. “W-War ich das?” Henrik betrachtete seine Hände. “W-Woher wusstest du das?” “Ich hab deine rechte Hand gelesen, als wir gerannt sind.” “Das hast du ohne hinzusehen gelesen?” “Deine Lebenslinien haben es mir verraten. Alles was man schmieden kann, beugt sich deinem Willen. Das habe ich dir gesagt!” Henrik erhob sich und ergriff eine der aus dem Boden ragenden Spitzen. Sie war brüchig und weich, wie man es von Silber kannte. Aus diesem Grund stellte niemand Waffen aus reinem Silber her. Eine Legierung wäre vielleicht stabil genug, bräuchte jedoch noch immer einen harten Kern aus Eisen oder Stahl und sie müsste oft erneuert werden. Als er sein Werk weiter befühlte, bemerkte er, dass er sich in seinen Gedanken verlor. Auf einmal kniff er die Augen zusammen und verzog den Mund. Annemarie sah ihn verwundert an. “Musst du mal?”, fragte sie. “N-Nein. Ich versuche, sie zu v-verformen”, erklärte er sich. “O, da passiert aber nix.” “Es b-beugt sich wohl nur, wenn es Lust dazu hat.” Henrik schnappte Annemaries Hand. “Wir sollten hier verschwinden. Wer weiß, ob das M-Mo-Monster zurück kommt.” Gemeinsam rannten sie zurück nach Faringart, während der graue Werwolf tief im Wald seine Wunden leckte. 🌢 Ein Sonnenstrahl drang durch das Kellerfenster ein und verriet den angebrochenen Morgen. Das Licht fiel auf den am Boden liegenden Clay, mühte sich, ihn wach zu kitzeln. Bis zu diesem Moment, ohne Erfolg. Er hatte zwar seine menschliche Gestalt angenommen, war aber noch nicht wieder aufgewacht. Ein obszön lautes Geräusch erfüllte das steinerne Kellergeschoss. Die Finger an Clays auf dem Rücken fixierten Händen zuckten und er schlug seine Augen auf. Was die Sonne nicht vermochte, vollbrachte dieser Krach. Verwirrung hatte sich in ihm breit gemacht, wie es nach jeder Vollmondnacht der Fall war. Behutsam setzte er sich auf und bemerkte, dass er sich in der Mitte des Raumes befand. Der Blick noch getrübt, konnte er nicht in die Ferne schauen. Er erinnerte sich, dass er sich selbst gefesselt hatte. Die Schellen schlangen sich zwar noch immer um seine Gelenke, doch ihre Enden waren nicht mehr an der Wand befestigt. Überrascht musste er feststellen, dass sie verknotet waren. Clay sah sich um, als sein verschwommenes Sichtfeld klarer wurde, und entdeckte Nebula in einer Ecke lehnend. Sie riss den Mund auf und Clay erkannte, das der abscheuliche Krach, der ihn geweckt hatte, ihr lautes Schnarchen war. “Hey, wacht auf!”, rief er der schlafenden Schönheit zu. Nebula sah gähnend auf. “Ihr seid aufgewacht”, stellte sie fest. “Euer Organ ist nicht zu überhören.” “Das sagen meine Begleiter auch immer...” Clay streifte die viel zu großen Schellen von Armen und Beinen ab. “Was war letzte Nacht?”, fragte die Blondine. “Ihr habt ganz schön zugebissen.” Sie fasste sich in den Nacken, wo ein Teil ihrer Kleidung fehlte. Clay wurde umgehend kreidebleich. “Ich habe Euch gebissen?!”, fragte er fassungslos. “Wie kann es dann sein, das Ihr nicht tot seid? Der Biss verwandelt einen Mann in einen Werwolf. Aber eine Frau bringt er einfach nur um. Darum gibt es auch keine weiblichen Werwölfe.” Seinen Blick kurz abwendend, fügte er hinzu: “Oder zumindest sollte es die nicht geben.” Was er wohl damit meinte? “Nun, Euer Biss ist anstandslos verheilt.” Sie präsentierte ihr im Nacken zerrissenes Oberteil. Darunter war nicht ein Kratzer zu erkennen. “Heißt das, ich bin…” Der Jägersmann gab ein gequältes Lachen von sich. “Nein. Das hättet Ihr bemerkt! Der ersten Verwandlung geht eine lange und schwere Infektion voraus. Das ist es wohl auch, das weibliche Opfer normalerweise tötet.” Nebula schwieg daraufhin andächtig. “Wie kann es sein, das Ihr nicht gestorben seid?” “Vielleicht, weil ich selbst ein Monster bin.” Sie zeigte ihm das rote Glühen ihrer Augen. Entsetzt starrte sie der Jäger an. Zwar wusste er, wie der Wahn die Augen eines Wolfes zum Glühen bringen konnte, aber das hatte er auch noch nicht gesehen! “Ich weiß, wie Ihr Euch fühlt. Die Kontrolle zu verlieren und dann Dinge zu tun, die man nicht entschuldigen kann, ist mir sehr wohl auch bekannt.” Dann setzte sie ein gezwungenes Lächeln auf. “Außerdem wart Ihr überraschend leicht zu besiegen.” “Deshalb seid Ihr wohl auch eingeschlafen.” Der lustigen Aussage folgte sofort ein ernster Ton. “Ihr hättet mich dennoch töten sollen. Von uns beiden, bin ich mit Abstand das abscheulichere Monster.” “Ihr lebt in Einsamkeit und meidet die Menschen. Mehr kann man nicht erwarten.” “Dennoch sind mir bereits Menschen zum Opfer gefallen.” Nebula horchte auf. “Bevor ich nach Faringart kam, hatte ich alles, was sich ein Mann wünschen kann. Eine liebende Frau, einen mutigen Sohn und eine schöne Tochter. Eines Nachts…” Er pausierte - musste wohl die Worte finden. “...überfiel mich ein weißer Werwolf und biss mich. Irgendwie überlebte ich. In der darauffolgenden Vollmondnacht verlor ich das erste Mal die Kontrolle und habe jene gejagt und gefressen, die mir alles bedeutet haben!” “Ihr habt Eure Familie angegriffen?” Clay senkte den Kopf und bejahte stillschweigend. Nebula dachte zurück an den Tag, als sie im Palast die Kontrolle verlor. Die Leben, die sie in dieser Nacht genommen hatte. ”Ihr wart nicht bei Verstand. Euch trifft keine Schuld.” “Aber sie sind dennoch alle tot! Ich habe am nächsten Morgen mit eigenen Augen gesehen, was der Biss meiner Frau angetan hat.” Für eine Weile erfüllte die Stille den Kellerraum. “Nach meiner Tat musste ich fliehen. Eines Tages erreichte ich Faringart mit nichts außer meinem Bogen. Meine Bestiensinne erlaubten es mir, als Jäger ein neues Leben aufzubauen.” “Jetzt ist aber mal Schluss mit dem ganzen Selbstmitleid!”, unterbrach ihn Nebula. “Da wird man ganz depressiv von. Ich bin nicht hergekommen, um Euch jammern zu hören! Ich brauche Eure Hilfe! Ich suche ein richtiges Monster. Das ist Eure Gelegenheit, Buße zu tun!” Nebulas Worte waren harsch. Aber Clay kümmerte das nicht. Etwas an ihrem Geruch war ihm so vertraut und dennoch ängstigte es ihn zutiefst. War es ihre dämonische Hälfte? Er war nicht imstande, es einzuordnen. Gefährliche Neugier erfasste ihn. “Was verlangt Ihr von mir?” “Ich wollte Euch als Fährtenleser. Doch als Werwolf könnt Ihr mir viel nützlicher sein. Ihr vermögt es wahrscheinlich, den anderen direkt zu wittern.” Nebula spürte, wie die Lebensgeister in den Mann zurückkehren. Sie interpretierte es so, dass er das Gefühl hatte, gebraucht zu werden. Also setzte sie noch einen oben drauf. “Hört auf zu jammern und führt mich zu seinem Versteck, damit ich ihm die Kerze löschen kann!” Henrik war früh am Morgen in die Küche gegangen, um sich Material zum Üben zu beschaffen. Mit der Unterseite seines Oberteils nach oben gebogen, floh er aus der leeren Küche des Gasthofes. Bei jedem Schritt klirrte und klang es. Er eilte sich auf sein Zimmer zu gelangen, bevor ihn jemand erwischte. Er verschwand in seinem Raum und stieß die Tür mit dem Fuß hinter sich zu. “Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich gemacht habe!”, sprach er zu sich selbst. Schnell entleerte er den Inhalt des gefalteten Oberteils auf dem Bett. Messer, Gabeln und Löffel purzelten heraus und fielen auf die Decke. Henrik schwebte etwas für das entwendete Essbesteck vor. Er hockte sich auf den Boden vor dem Bett und ergriff einen Löffel. Ich habe echt einen Sockenschuss, dachte er. Er hielt den Löffel auf Abstand und erhob ihn mit gebeugtem Arm auf Augenhöhe. Seine Augen fixierten das archaische eiserne Essgerät und ließen nicht mehr von ihm ab. Henrik konzentrierte sich mit aller Macht auf den Suppenaufnehmer in seiner Hand. Jeden Moment würde es passieren. Etwas musste passieren! Doch passierte nichts. Der Löffel blieb das, was er war. Ein Löffel. Enttäuscht ließ Henrik seinen Arm fallen, ohne das Besteck dabei loszulassen. Was habe ich mir nur dabei gedacht?, tadelte er sich selbst. Plötzlich fühlte er eine fremde Bewegung in seiner Hand. Er führte das Essgerät erneut vor seine Augen und musste feststellen, dass es seine Funktion völlig verändert hatte. Nun war es eine Gabel. Ungläubig ließ er sie fallen und ergriff eines der Messer. Während er es anstarrte, bog es sich nach hinten, als versuche es, vor seinem Blick zu fliehen. Das konnte nur zwei Dinge bedeuten. Entweder war Henrik der größte Illusionist seiner Zeit oder Metall beugte sich tatsächlich seinem Willen. Clay konnte das Blut seiner Beute wittern. Er führte Nebula zu dem Ort, an dem Stunden zuvor das Leben ihrer Begleiter auf dem Spiel stand. Aber das war ihnen nicht klar. Sie wussten beide nichts mit den seltsamen Silberformationen anzufangen, wie sie aus dem Boden sprossen, als seien sie wie ein Pflanze gewachsen. “Was ist das?”, fragte Nebula, als sie einen der silbernen Stalagmiten berührte. “Ich weiß es nicht”, antwortete Clay. “Ich weiß nur, dass das Blut des Wolfes an ihnen haftet.” Er deutete auf die abgebrochenen Spitzen auf dem Boden, welche mit einer rotbraunen verkrusteten Patina überzogen schienen. Nebula bemerkte, dass er einen Sicherheitsabstand zu den Gebilden zu halten versuchte, als übertrugen sie die Pest. “Wenn Ihr näher ran kämt, könntet Ihr mehr sehen.” “Ich kann nicht! Das ist Silber!” “Mögt Ihr keine Edelmetalle?”, scherzte Nebula, obwohl ihr die alten Legenden sehr wohl bekannt waren. “Silber wirkt toxisch auf Werwölfe”, begann Clay zu erklären, da er glaubte, sie wisse es nicht. “Es verbrennt unsere Haut und vergiftet unser Blut.” “Ich weiß. Ich wollte Euch erheitern.” Clay hielt seine Nase in den Wind. Die Fährte des anderen Werwolfs wurde nun immer klarer. Doch er konnte noch mehr riechen. Angstschweiß. “Hier hat jemand gegen den Werwolf gekämpft... und sich fast dabei in die Hosen gemacht.” “Das tut mir Leid ... für Eure Nase”, scherzte Nebula. “Wer auch immer das war, hat den Wolf in die Flucht geschlagen.” “Das könnt Ihr alles riechen? Hat das vielleicht mit diesem Silber zu tun?” Nebula dachte unweigerlich an Henrik, hatte dieser immerhin ein zerbrochenes Schwert mit bloßen Händen zusammengefügt. Da schien es nicht so abwegig, dass diese Gebilde sein Werk waren. “Ich bringe ihn um!” “Den Wolf?” “Nein, Henrik!” Sie ballte die Hand zur Faust. “Wer ist das?” “Ein Trottel! Wie kann er sich nur so in Gefahr begeben und auf eigene Faust auf Monsterjagd gehen?” “Ihr meint, er hat den Wolf verfolgt und dabei dies hier vollbracht? Mir scheint, wer auch immer dieser Henrik ist, muss sehr mächtig sein.” “W-W-Was?”, Nebula begann zu kichern. “Alles nur das nicht! Ein Idiot ist er!” “Für Euch ist er mehr als nur das, habe ich Recht?” “Ja, ein Riesenidiot!” Nebula setzte sich wütend in Bewegung. “Jetzt lasst uns keine weitere Zeit mit dummen Geschwätz verlieren und zeigt mir, wo dieser Werwolf sein Versteck hat!” Sie folgten der Fährte über die Lichtung und wieder hinein in den Wald. Hoch im Geäst saß ein Schatten in schwarzer Kleidung. Dunkle Handschuhe spannten eine Armbrust. Das eingefügte Projektil war vollkommen mit einer Legierung überzogen, welche einen hohen Silberanteil aufwies. Ein Geschoss, wie geschaffen für die Jagd nach Lykantrophen. Die Waffe wurde von ihrem Träger auf die linke Armbeuge gelegt und an der rechten Schulter angelehnt. Durch dichte Haarsträhnen hindurch schauten die Augen eines Killers auf der Suche nach einem Ziel. Erneut ragte die Nase des Jägers hinauf in die Luft. Der typische Geruch des Waldes erfüllte Clays Riechorgan. Im Süden, in etwa zweihundert Meter Entfernung, befand sich eine Rehmutter mit ihrem Jungen. Im Westen durchstreifte eine Rotte halbstarker Überläufer den Forst, auf der Suche nach Fressbarem. Auf einem Baum im Westen schlief eine vollgefressene Wildkatze. Die Maus mundete ihr bestimmt vorzüglich. Doch mittendrin war der Gestank der Abscheulichkeit. Clay und Nebula folgten der Fährte. Plötzlich zuckte das Ohr des Waidmanns unter dem Geräusch einer herranschnellenden Bedrohung. Sofort warf sich der Mann auf seine schöne Begleitung, um sie zu schützen. “Hey, was soll das?!”, beklagte sich Nebula, als er sie zu Boden riss. Im nächsten Moment schlug ein Bolzen im Baum neben ihnen ein. “Wir werden angegriffen!”, erklärte sich Clay. “Ja, offensichtlich!” Nebula drückte den schweren Mann von sich. “Runter von mir! Ich kann selbst auf mich aufpassen!” Sie sah zu dem Projektil, welches nur noch zur Hälfte aus dem Stamm herausragt. “Außerdem galt dieser Anschlag sowieso Euch.” Clay erkannte, aus welchem Material der Bolzen gefertigt war, und stimmte ihr zu. Er nahm seinen Bogen, den er über der Schulter trug, und legte einen Pfeil aus dem Köcher an. Nebula streckte ihren Arm aus. “Verfehle niemals dein Ziel, Gastraphetes!” Es bestand kein Grund mehr, es länger zu verheimlichen. In seiner stoischen Gelassenheit nahm Clay es augenscheinlich hin, dass diese Frau eine Waffe offenbar aus dem Nichts herbeirufen konnte. Aber seine Instinkte rieten ihm zu äußerster Vorsicht mit diesem Weibsbild. “Wenn er sich zeigt, ist er tot!”, sagte Nebula selbstsicher. “Gastraphetes, Nachladen!” Die Teufelswaffe lud und spannte sich von selbst. Nebula legte die Waffe an und wartete auf eine Gelegenheit, sie einzusetzen. Clays feiner Geruchssinn trat erneut in Aktion. Zwischen all den Gerüchen war noch etwas anderes. Eine sanfte feminine Duftnote flutete seine Nebenhöhlen. “Nicht er wird tot sein”, sagte er, “sondern sie. Die uns angreift, ist eine Frau. Ich kann sie riechen.” Er nahm noch einen tiefen Atemzug. Der Duft der Frau, die ihn töten wollte, betörte ihn. Er inhalierte ihn wie Kräuterbalsam. “Sie ist gerade in ihren fruchtbaren Tagen.” “Eure tierischen Sinne sind zutiefst beeindruckend!” Insgeheim dachte Nebula, dass er sich aufführte, wie ein Rüde, der einer läufigen Hündin nachstellte. Ein Geräusch versetzte Clays Ohr erneut ins Zucken. “Achtung!” Nebula reagierte sofort und feuerte das Gastraphetes ab. Sein Bolzen und der der Fremden Armbrust stießen mitten im Flug genau aufeinander und prallten voneinander ab. “Eure Schießkunst beeindruckt mich immer wieder!”, staunte der Jäger. “Das ist die besondere Fähigkeit dieser Waffe. Solange ich ein Ziel habe, trifft sie. Einen Bolzen im Flug könnte ich auch nicht treffen. Könnt Ihr mir sagen, wo das Miststück ist?” “Sie muss irgendwo dort hinten sein.” Er deutete nur mit den Augen auf eine dichte Baumgruppe, die von Büschen flankiert wurde. “Sie bleibt in sicherer Entfernung, sodass ich ihr Herz nicht schlagen hören und ihre Position nicht genau bestimmen kann.” “Also weiß sie auch um die Fähigkeiten eines Werwolfs Bescheid." “Davon müssen wir ausgehen.” Mordlüsternes Grinsen verzerrte Nebulas Gesicht. “Na wollen wir mal sehen, ob wir sie nicht herauslocken können!” Sie streckte erneut den Arm zur Seite weg. “Erschüttere die Grundfesten der Welt, Quake!” Nach der Anrufung tauschte die Armbrust den Platz mit einem Schwert. Ein absurd großes, wie Clay meinte. Nebula hob die Waffe mit Leichtigkeit an und der Unterkiefer Clays senkte sich mit steigender Gradzahl des aufgespannten Höhenwinkels weiter zu Boden. Wie konnte diese kleine Frau, die ihm kaum bis zum Kinn ragte, eine so gewaltige Waffe heben? Nebula ließ die Klinge in Richtung der Bäume zu Boden schnellen. “Erdrutsch!” Ein Graben riss auf und setzte sich bis zu der Baumgruppe fort. Die Pflanzen verloren ihren Halt und kippten zur Seite um. Eine feminine Gestalt sprang mit wehenden Haaren und Umhang aus ihrem Versteck auf den Boden und eilte sich ein neues zu finden. Clay spannte seinen Bogen und schoss. Der Pfeil bohrte sich in der Höhe in einen der nicht umgestürzten Bäume, in der einen Moment zuvor noch der Kopf der Fremden war. Hinter einem dicken Stamm suchte die Attentäterin Schutz und sah auf den letzten verbliebenen Silberbolzen in ihrem Besitz. In dieser Situation war ein Angriff aussichtslos. Gegen einen Werwolf und einen Waffenmeister zugleich, konnte sie nicht gewinnen. Hier würde sie nichts finden, außer den Tod. Darum beschloss sie, sich zurückzuziehen, verstaute den Bolzen und suchte nach einem sicheren Fluchtweg. Auf dem Boden war sie für zwei Gegner mit Fernwaffen zu verwundbar. Mit Hilfe ihrer Handschuhe, deren Fingerkuppen mit Krallen bewehrt waren, kletterte sie den Stamm des Baumes hinauf und nutzte das Blattwerk, um im Schutz des Geäst zu entkommen. Clay schnüffelte, aber konnte ihre Ausdünstungen nicht mehr riechen. “Sie ist weg”, verkündete er. Schade, fügte er in Gedanken an. Insgeheim hoffte er, der Besitzerin dieses wundervollen Duftes eines Tages von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Nebula entspannte sich und Quake verschwand. Der Fährte des Monsters zu folgen, nahm eine weitere Viertelstunde in Anspruch. Der Geruch führte Clay und Nebula zu einem Felsvorsprung mit einer kleinen Höhle. Das einfallende Licht verlor sich rasch im finsteren Loch. Der Boden vor der Höhle war weich und feucht und Spuren von Mensch und Tier hatten sich in ihm verewigt. “Sind wir hier richtig?”, fragte Nebula. “Meine Nase irrt sich niemals”, versicherte Clay. “Oder ist es nicht wahr, dass Ihr gerade eure Periode habt, Mädchen?” Nebula überkam eine Mischung aus zorniger Erregung und quälendem Scham. Sie lief rot an und wandte sich von Clay ab. “W-Was fällt Euch ein, Ihr P-Perversling!”, quäkte sie beschämt. “Das ist meine Privatsphäre! Das geht Euch gar nichts an!” “Ha ha ha!” Das Gelächter triggerte eine inbrünstige Wut in der Söldnerin. Nebula zog ihr Schwert und ließ es unter Clays Kinn ragen. “Genug ist genug!” Feuriges Rot brannte in ihren Iriden. “Sachte, sachte!” Nebula steckte ihr Schwert zurück an ihren Bund. “Spart Euch das einfach!” Sie ließ ihre Blicke in das finstere Loch in der Felswand vor ihnen schweifen. “Dort ist der Werwolf also drin... Ein Glück, dass wir Fackeln mitgenommen haben.” Clay reichte ihr die Beleuchtungskörper. “Wünscht Ihr meine Begleitung?” “Nein. Geht zurück nach Faringart. Falls die Höhle einen zweiten Ausgang hat und der Wolf die Stadt angreift, sollte jemand anwesend sein, der es mit ihm aufnehmen kann.” “Ich verstehe!” Clay begab sich eilig auf den Rückweg. Nebulas skeptische Blicke folgten ihm. Etwas stank ihr an der Geschichte, die sie von ihm aufgetischt bekommen hatte. Sie wollte keinen zweiten Wolf im Rücken haben, wenn sie drauf und dran war, einen zu jagen. 🌢 Auch mit der Macht des Bösen in den Venen, war Nebula im Dunkeln genauso blind wie jeder andere. Darum musste auch sie eine Fackel entzünden, bevor sie es wagen konnte, den Spuren zu folgen. Tief führten sie in die Finsternis hinein. Der Boden der Grotte war mit Matsch bedeckt. Ein Teil eines menschlichen Oberschenkels erinnerte sie daran, dass sie sich bei diesem Ungetüm wenigstens nicht zurückhalten musste. Es würde die volle Macht ihres Arsenals zu spüren bekommen, das hatte sie beschlossen. Je weiter sie eindrang, desto mehr abgenagte Überreste stachen aus dem Matsch hervor. Die Wände der Höhle veränderten ihre Beschaffenheit. Mehr und mehr wirkten sie, als wären ihre Schöpfer nicht Zeit und Natur, sondern fleißige Hände gewesen. Die willkürlich anmutenden Formen des Ganges glichen sich stetig einem Quadrat an und in der Ferne erspähte Nebula ein Licht. Es führte sie in einen großen runden Raum. Hier waren die Wände mit Holz verkleidet und es schien, als gäbe es in etwa vier Metern Höhe einen Laufsteg mit einem Geländer. Die Verkleidung der Wand wies viele tiefe Kratzspuren auf. Gegenüber der Passage befand sich ein großes metallisches Gitter, welches möglicherweise zu einem weiteren Ausgang führte. An den Seiten gab es mehrere kleine Öffnungen, die ebenfalls vergittert waren. Nebula ging bis in die Mitte des Raumes und nahm ihn in Augenschein. Plötzlich vernahm sie hinter sich ein Schleifen, gefolgt von einem Knall. Sie wandte sich dem Geräusch zu und musste feststellen, dass nun ein massives Eisengitter den Eingang versperrte, den sie just genommen hatte. “Willkommen im Zwinger!”, tönte eine Stimme von oben. Nebula sah sich auf der Suche nach ihrer Herkunft um. “Zeigt euch!”, forderte sie. “Aber wo wäre dann der Spaß?” Die Gitter links und rechts von ihr hoben sich und mehrere Tiere, Kreuzungen zwischen Wolf und Hund - Wolfsblüter - betraten Zähne fletschend die Arena. “Ihr hättet nicht hierher kommen sollen!” Knurrend zogen die Tiere ihre Kreise um ihre vermeintlich wehrlose Beute. Unterdessen erreichte Clay Faringart. Ein Halbstarker und ein Mädchen kamen ihm entgegen, als er den Marktplatz betrat. Clay kannte die Beiden. Sie waren Nebulas Begleiter. Hätte er sie nicht bereits zusammen gesehen, hätte er zumindest den Jungen an seinem Geruch erkannt. Er roch meilenweit nach Angst und Feigheit. Er war eindeutig dieser Henrik, von dem Nebula gesprochen hatte. Aber auch das Mädchen wieß eine seltsame Duftnote auf. “Kann ich euch helfen?”, fragte der Jäger. “Wir warten schon lange auf Nebula”, erklärte Henrik. “Wisst Ihr vielleicht wo sie ist.” “Ich kann euch nicht helfen”, log Clay, in der Hoffnung sie blieben in der Stadt. Das Mädchen sah ihn fragend an. Es war fast, als durchschaue sie seine Lüge. Obendrein roch sie so merkwürdig. Nach Tinte und altem Pergament, statt nach Schweiß, Schlamm und Dreck, wie andere Kinder. Nicht dezent und schwach, sondern penetrant und aufdringlich. So viel konnte sie nimmer in dem Werk gelesen haben, welches sie stets mit sich führte. “Sag mal, wer - oder viel mehr was - bist du eigentlich?”, fragte er das Kind. “Ich?”, antwortete die Kleine. “Na die Annemarie.” So hatte er es nicht gemeint. “Du riechst nach Tinte.” “Ich lese gern.” Clay überlegte, ob seine Phantasie ihm Streiche spielte. Aber ein vollkommen anderer Geruch beunruhigte ihn viel mehr, als dieser sich dazwischen mischte und alles andere unwichtig erscheinen ließ. Der abscheuliche Gestank des anderen Werwolfs. Selbst als Werbiest empfand Clay diesen Geruch als herausragend widerlich. Seine Präsenz bedeutete, die Kreatur trieb in der Nähe der Stadt ihr Unwesen. “Entschuldigt mich”, sagte er und begab sich zurück zum Stadttor. Mehrere verängstigte Leute rannten ihm schon von weitem entgegen. Das war keineswegs ein gutes Zeichen! Als der Jäger das Tor erreichte, sah er den Grund für die Angst der Bewohner: Mitten auf der Straße stand der Lykantroph. Seine Schulter, eine der Pranken und sein Bein von verheilten Brandwunden verziert, die er sich beim Kontakt mit dem Silber auf der Lichtung zugezogen haben musste. Regungslos starrte er auf die Stadt, als warte er noch auf seine Einladung zum großen Fressen. Wildes Bellen und Knurren erfüllte die Höhle. Der Meister der Wolfshunde war sich seiner sicher und grinste zufrieden. Darauf trainiert Angst und Schrecken zu verbreiten, würden seine Tiere genau das tun, was er von ihnen erwartete: Diese Frau in Stücke reißen! Ein Rudel ausgehungerter Hunde mit dem Blut wilder Bestien in ihren Adern macht kurzen Prozess mit seiner Beute. Aber die aggressiven Laute schlugen schnell in klägliches Jaulen und Wimmern um. Nach und nach wurden sie weniger, bis sie endgültig verebbten. Das Grinsen hing dem Bestienmeister nun arg schief in der Visage. Er musste einen Blick in den Zwinger riskieren. Was er sah, schockierte ihn zutiefst. Überall war Blut. Doch es gehörte nicht der Frau, sondern seinen Wolfshunden. Jeder einzelne von ihnen lag zu Tode massakriert auf dem Boden. Einigen war der Kopf abgeschlagen worden. Andere hatten Gliedmaßen eingebüßt oder lagen aufgeschlitzt in einer Lache ihres eigenen Lebenssaftes. “Allmächtiger!”, stieß der Mann voller Entsetzen aus. “Falsche Adresse”, sprach es auf einmal hinter ihm. Mit einem krausen und irritierten Blick wandte er sich der Quelle zu und umklammerte dabei das Geländer hinter seinem Rücken. Es war die Frau, die ihr Ende durch seine Hunde finden sollte. Stattdessen fand er sich nun mit der Spitze eines merkwürdigerweise völlig unbefleckten Schwertes konfrontiert, welches sie auf sein Gesicht richtete. Nebula hatte ihn bereits an seiner Stimme erkannt und war nicht überrascht, als sie dem Meister der Hunde von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand. Der Mann am Ende ihrer ausgestreckten Waffe war kein Geringerer als Jonathan, der Sohn von Fürst Georg. “Ihr werdet mir das hier erklären!”, forderte die Söldnerin nach Antworten. “Was ist das für ein Ort? Wieso waren die Hunde hier?” “Und Ihr glaubt, dass ich mich dazu erniedrige, Eure Fragen zu beantworten?” “Nun, wenn Ihr es vorzieht, in kleine feine Scheibchen geschnitten zu werden, anstatt mir ein paar Fragen zu beantworten, so will ich Euch diesen Wunsch gern erfüllen!” Um ihre Drohung zu untermalen, stieß Nebula ihr Schwert näher an seinen Kopf heran und bremste erst um Haaresbreite vor Jonathans Auge ab. Jonathan hing an seinem Leben, weshalb er angesichts der Drohgebärden der Blondine einlenkte. ”Na schön! So sei es! Ich werde Euch alles erzählen!” Er versuchte der Klinge auszuweichen und beugte sich dabei rücklings über das Geländer. “Aber bitte, tötet mich nicht! Ich flehe Euch an!” Entschlossene Männer passierten den Eingang zur Stadt und Clay, welcher noch immer unbeweglich unter dem Torbogen stand und es vorzog, den grauen Werwolf mit finsteren Blicken in Schach zu halten. Gib mir den Jungen!, tönte eine Stimme im Kopf des Jägers. Werwölfe waren in der Lage, telepathisch Kontakt mit ihresgleichen aufzunehmen. Sogleich verneinte Clay die Forderung. Nein, das werde ich nicht tun! Unterdessen umzingelten die anderen die Bedrohung und spannten ihre Bögen. Die Pfeile bohrten sich in das Fleisch des Monsters, schienen aber nicht die geringste Wirkung zu entfalten. Der Graue zog sie unbeeindruckt heraus und stürzte sich anschließend auf die Jäger. Ein gewaltiger Hieb mit der Pranke warf einen von ihnen mit immenser Wucht um. Der Mann prallte auf den Boden, ohne sich noch einmal zu rühren. Einem anderen trafen die Klauen an der Schläfe und zertrümmerten ihm den Schädel. Auch er wurde meterweit durch die Luft geschleudert. Einer nach dem anderen fielen die Männer dem Monster zum Opfer. Als er sich um sie gekümmert hatte, wandte sich der Graue wieder Clay zu. Gib mir den Jungen!, forderte erneut eine hallende Stimme in Clays Kopf. Niemals!, weigerte er sich telepathisch. Dann hole ich ihn mir einfach! Und töte jeden, der sich mir in den Weg stellt! Versuche es doch! Der Werwolf stieß ein furchteinflößendes Brüllen aus. Clay antworte mit einem ebenwürdig monströsen Laut. Dann legte er Bogen und Köcher ab. Er löste seine Gürtel, ließ sie zu Boden fallen und entledigte sich seines Oberteils. Er sah zu den Menschen hinter sich. “Keine Angst, ich beschütze euch!”, versprach er. In Menschengestalt hätte er keine Chance gegen die Kreatur. Ihm blieb keine andere Wahl, als sein Geheimnis zu enthüllen “Ich habe viel zu lange weggesehen!” Unter entsetzlichen Schmerzen verwandelte er sich in ein Werbiest. Seine guten Absichten erkannten die Bewohner von Faringart nicht. Alles was sie sahen war wie einer der ihren sich als Monster entpuppte. Voller Entsetzen und Abscheu starten sie auf Clay und hatten noch mehr Angst als zuvor. Der andere hatte sich die Verwandlung aus sicherer Entfernung angesehen. Ein zweites Mal brüllten sich grauer und schwarzer Werwolf an, bevor sie sich in einen Kampf auf Leben und Tod stürzten. Auf allen vieren rannten sie aufeinander zu. Sie sprangen sich an und umschlossen sich in einer Umarmung des Todes. Auf den Hinterläufen stehend, versuchte jeder seine Zähne in den Nacken seines Gegners zu schlagen, ihm die Halsschlagader zu zerfetzen, auf das er jämmerlich verbluten sollte. Ihre Mühen untersetzt von aggressiven Knurren und Brüllen. Als das keinem von beiden so richtig gelingen wollte, lösten sie sich und traten jeweils etwas zurück. Der Graue begann abwechselnd mit der rechten und der linken Pranke zuzuschlagen. Clay wehrte die Schläge ab. Aber schnell stellte er fest, dass der andere Wolf ihm in Kräften überlegen war. Möglicherweise weil dieser Menschen fraß und sich nicht nur mit blutigem Tierfleisch begnügte. Ein mächtiger Schlag beförderte ihn zu Boden und hinterließ vier parallele Furchen auf seiner Brust. Der Graue packte ihn und beugte sich über ihn. Dumm von dir, sich gegen mich zu stellen!, belehrte er Clay und ließ seine Stimme in dessen Kopf dröhnen. Wir hatten eine Übereinkunft! Warum musstest du sie brechen? Er erhob eine Klaue, um seinem Gegner den Todesstoß zu versetzen. Wir sehen uns in der Hölle!, dachte Clay und knurrte dabei verächtlich. Soweit sollte es nicht kommen. Der graue Wolf zuckte unverhofft zusammen. Von seinem Rücken stieg weißer Qualm auf, als stünde er in Flammen. Er versuchte verzweifelt zu entfernen, was ihn plagte. Während er sich drehte und wendete, lag für einen Augenblick ein betörender Duft in der Luft, verschwand aber sofort wieder. Die Verzweiflung seines Gegners, gereichte Clay zum Vorteil und er rammte ihm die Klaue in die Brust. Er durchbrach den Brustkorb des Grauen und drang dort ein, wo das Leben schlug, um es ihm zu entreißen. Der aschfarbene Werwolf brach umgehend tot zusammen. Clay ließ das entrissene Herz zu Boden fallen, sank auf alle Viere und verwandelte sich zurück. Dabei verheilte auch seine Wunde. Er verharrte so für eine unbestimmte Zeit. Als er seine Sinne wiederfand, kehrte Nebula mit dem Sohn des Fürsten als ihren Gefangenen zurück. Sie musste den Mann weder fesseln noch knebeln. Er folgte ihr aus freien Stücken. Eine Flucht hielt er für ausgeschlossen. Clay hockte sich hin und starrte den blutigen Arm mit Entsetzen an, mit dem er zuvor seinen Gegner umgebracht hatte. Die Abscheu hatte ihn mit voller Wucht getroffen. Er wollte nie wieder jemanden töten müssen und dennoch hatte er. “Was habe ich getan?”, fragte Clay, als Nebula ihn erreichte. “Das Richtige”, antwortete diese. Jonathan fiel auf die Knie, als er den grauen Wolf tot auf dem Boden liegen sah. Bei genauerer Inspektion des Kadavers entdeckte Nebula einen silbernen Bolzen. Auf dem Marktplatz enthüllte Jonathan sein Wissen, nachdem er von Nebula auf ihre einzigartige, liebenswerte und charmante Art und Weise darum gebeten wurde: Mit einer Klinge an seiner Kehle. Beide standen auf dem gleichen hölzernen Podest, auf dem zuvor die Treibjagd ausgerufen worden war. Währenddessen wurde dem inzwischen wieder bekleideten Clay der Eintritt nach Faringart von den anderen Jägern verwehrt. Seine ehemaligen Kameraden bedrohten ihn mit ihren Bögen, ihren Armbrüsten und ihren Sauspießen. Henrik und Annemarie warteten vor den Toren auf Nebulas Rückkehr, mit dem Gepäck bereits zur Abreise geschnürt. Sie wollten Faringart schnell hinter sich lassen. “Mein Vater und ich tragen die Verantwortung für die Wolfsangriffe!”, gestand Jonathan. “Das erschlagene Monster vor den Toren der Stadt… ist euer Fürst.” Eine Welle des Entsetzen fuhr durch die versammelte Bevölkerung. “Vor vielen Jahren wurde Vater von einem schneeweißen Wolf gebissen”, fuhr der Erbprinz fort. Clay horchte auf. Dank seiner Werwolfsinne konnte er die Ansprache auf dem Platz bis vor das Tor der Stadt deutlich verstehen. “Seither hat sich mein Vater in jeder Vollmondnacht in ein Monster verwandelt”, fuhr Jonathan fort. “Ich ließ ihm einen Zwinger errichten und durch Training gelang es ihm, selbst bei Vollmond bei klaren Verstand zu bleiben.” “Erzählt, warum es dennoch Übergriffe gab!”, forderte Nebula. “Vater wusste um eure Angst. Er wusste, wie gespalten die Stadt war. Wie jeder nur auf den eigenen Vorteil bedacht war und mehr Beute erlegen wollte, als alle anderen. Drum fiel er von Zeit zu Zeit jemanden an, um die Angst zu schüren.” Die Menschenmenge wurde wütend und begann mit Dingen nach Jonathan zu werfen. “Vabrecha!”, rief es. “Mörda!” “Aber versteht doch, es war nur zu eurem Besten! Man entfernt ein krankes Tier, damit die Herde gesund bleibt. Ihr hattet ein gemeinsames Ziel. Niemand hat mehr gegen den anderen, sondern mit dem anderen gearbeitet. Es war endlich Frieden in der Stadt.” “Warn des Madl und da Junge etwa kranke Viecher?!”, regte sich ein Bürger auf. “I drahe dia den Hals um, du Drecksau!” “Die gestörte Logik eines kranken Geistes!”, merkte Nebula an. “Vergesst nicht, auch von den Hunden zu erzählen!” “Wos fia Hunde?”, rief es aus der Menge. “Euer Fürst konnte nicht überall sein”, antwortete Nebula anstelle Jonathans. “Darum hat er Wolfsblüter gezüchtet und sie abgerichtet, Menschen anzugreifen.” “Unvazeihlich!”, rief ein aufgebrachter Einwohner. “Schaut Euch die Menschen an, vor denen Ihr Euch verantworten müsst”, sagte Nebula. Sie nahm das Schwert von Jonathans Kehle. Dann stieg sie vom Podest herab. Was nun mit ihm geschah, war ihr herzlich egal. Er war es nicht wert, einen Gedanken an ihn zu verschwenden! Darum ist auch nichts zu seinem Schicksal bekannt. Die anderen Jäger gingen zur Seite und machten ihr den Weg frei. Sie ging die Hauptstraße entlang, direkt zu Clay. “Ich hätte viel früher etwas tun sollen”, bedauerte der enttarnte Werwolf mit gesenktem Kopf. Er wirkte auf Nebula, wie ein getretener Hund. “Doch ich wurde selbstsüchtig. Ich wollte mein neues Leben nicht verlieren. Also ignorierte ich den Gestank des Fürsten, wo ich nur konnte und im Gegenzug half er mir mein Verlies zu bauen und meine Spuren zu verwischen. Und nun habe ich dennoch alles verloren.” “Schaut!”, orderte Nebula und geleitete ihn weg von den Jägern zu ihren Begleitern. “Die Bewohner von Faringart mögen Euch zwar fürchten und verachten, doch keiner von uns würde das tun.” Sie zeigte auf Henrik. “Ein Junge mit mysteriösen Kräften.” Dann auf Annemarie. “Ein Mädchen, das jedermanns Zukunft kennt, aber nicht die eigene Vergangenheit.” Als letztes deutete sie auf sich selbst. “Und das Weib, in dem der Teufel wohnt.” Nun streckte sie ihren Arm aus und reichte ihm die Hand. “Da ist ein Werwolf in bester Gesellschaft.” “Bietet Ihr mir tatsächlich an, Euch zu begleiten?”, fragte Clay unsicher. “Spricht etwas dagegen?” “Habt Ihr keine Angst, dass ich hungrig werden könnte?” “Zur Not könnt Ihr Henrik fressen.” “Ihr seid zu gütig!” Dass Clay auf ihren Spaß einstieg, war ein gutes Zeichen. ”Ihr gebt einem Mann, der alles verloren hat, ein neues Heim. Seid Ihr sicher, dass Ihr vom Teufel besessen seid?” “Ihr könnt weiter vor Euch selbst davon laufen oder mir folgen und mit Eurer Kraft dabei helfen, gegen das Böse zu kämpfen.” “Dann will ich Euch folgen.” Er ergriff Nebulas Hand. “Willkommen, neuer Gefährte.” Die vier begaben sich auf die Reise. Clay musste staunen, als Henrik wieder fast unter dem Gewicht eines gewaltigen Sacks zusammenbrach und es irgendwie dennoch stemmte. “Übrigens, Junge”, sagte er. “Ich habe ein Pferd. Lasst es uns holen und Euch von dieser Last befreien!” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)