Eurus Gedanken von YuriyKajomi ================================================================================ Kapitel 1: Eurus Gedanken ------------------------- Auf dem Boden sitzend, im Schneidersitz, blicke ich zur Tür, die sich gerade schließt und mich allein zurücklässt, allein in meiner leeren Zelle. Ein Raum getrennt durch eine Wand aus Sicherheitsglas, damit mir ja niemand zu nahe kommen kann. Oder eher… damit ich niemanden zu nahe komme. Immerhin geht, laut der Meinung Anderer, von mir die Gefahr aus, nicht von meinen Besuchern. Lächerlich! Als wenn ich Jeden, der meine Zelle betritt, etwas antun würde. Ich manipuliere sie nur, damit sie sich selbst etwas antun … oder Anderen. Irgendwie muss man sich ja die Zeit versüßen, wenn man hier schon festsitzt. Doch selbst das verwehren sie mir, indem vorgeschrieben wird, dass Jeder einen gewissen Sicherheitsabstand zu mir halten muss, damit meine manipulierenden Fähigkeiten nicht funktionieren. Gemeinheit! Dabei würde ich sie noch nicht mal bei Jeden anwenden, bzw. funktionieren sie nicht bei Jeden. Mycroft, zum Beispiel, ist so eine Ausnahme. Ich kann machen was ich will. Er widersteht jedem Versuch, ihm Dinge einzureden, die er machen soll, obwohl er es nicht will. Er ist einfach immun gegen jede Art der Manipulation. Mistkerl! Und Sherlock, natürlich, der jüngere meiner zwei Brüder. Ihm könnte ich nie etwas antun. Physisch gesehen. Psychisch habe ich ihn wohl schon ein paar mal verletzt. Ungewollt. Aber da ist er auch selber Schuld. Wieso muss er sich auch immer an Dingen emotional binden, die ich auslöschen muss, weil sie den Großteil seiner Aufmerksamkeit auf sich lenken? Dabei sollte seine Aufmerksamkeit doch mir gehören, mir allein. Doch immer findet er etwas, was ihn mehr interessiert, als mich. Sei es ein Spielzeug oder ein Freund, von dem er, allerdings und zum Glück, nur den einen in seiner Kindheit hatte. Victor Trevor. Rotbart. Wie Sherlock ihn genannt hatte. Ein Spitzname. Ein bescheuerter Spitzname. Doch die Beiden fanden ihn toll. Warum auch immer. Mir gefiel er nicht. Ging mir eher auf die Nerven, immer wenn Sherlock von ihm gesprochen hat. Und das hat er. Ständig! Rotbart hier, Rotbart dort. Heute hat er das gemacht. Heute hat er das gesagt. … Es war fast so, als war Sherlock besessen von ihm. Unverständlich! Dabei war er doch nur ein normaler Junge. Nicht wie du oder wie ich. Oder Mycroft ... auch wenn er nicht zählt. Das hat er nie! Mycroft. Ständig hatte er was an uns auszusetzen. Nie waren wir gut genug für ihn. Entweder war ihm Sherlock zu langsam beim Denken oder zu begriffsstutzig, wenn er mal etwas nicht verstand. Oder ich war ihm zu gefühlskalt und zu besitzergreifend, wenn es um Sherlock ging. Andererseits hat er ihm wieder vorgeworfen zu emotional zu sein. Nichts konnten wir ihm Recht machen. Und nie war er zufrieden, egal wie viel wir lernten, wie viel Wissen wir uns aneigneten und wie hart wir an unseren Fähigkeiten arbeiteten. Immer wenn wir dachten, jetzt wird er mal stolz auf uns sein, hat er etwas anderes gefunden, was er an uns auszusetzen hatte. Nie hat er uns für unsere Arbeit gelobt. Immer nur neue gegeben. Sklaventreiber! Auch er fand deine Freundschaft zu Viktor nicht nachvollziehbar. Seiner Meinung nach hat er dich nur abgelenkt, dich in deiner Entwicklung behindert. Mycroft hat es zwar nie gesagt, doch ich hab ihm diese Gedanken angesehen. Er wollte, genau wie ich, dass Viktor endlich verschwindet. Wenn auch nicht aus dem selben Grund, wie ich. Aber das spielt keine Rolle. Ganz und gar nicht. Hm… Deswegen versteh ich nicht, warum Mycroft so wütend und enttäuscht und auch geschockt war, als ich dafür gesorgt habe, dass der Störenfried verschwindet. Er hätte mir dankbar sein müssen, mich für den Einfall loben. Stattdessen hat er mich angeschnauzt und mich gedrängt, zu sagen, wo Viktor ist. Wie alle anderen. Die nicht verstanden haben, dass ich das doch nur für Sherlock getan habe. Und für mich. Aber das hat Niemanden interessiert. Sie wollten nur wissen, wo dieser unbedeutende Junge war. Das war für mich einfach … Unverständlich! Dabei hätte ich es ihnen doch gesagt. Wenn sie nur mein Rätsel gelöst hätten. Doch dieses hat niemanden interessiert. Außer dir, Sherlock. Du hast es versucht, aber dennoch nicht geschafft. Du warst einfach noch nicht so weit. Warst noch nicht das Genie, dass du heute bist. Und doch… Hast du es versucht. Wolltest das Rätsel lösen. Wenn auch nicht wegen mir, sondern wegen Victor. Um heraus zu finden, wo er ist. Egal! Du bist auf mein Spiel eingegangen und nur das hat gezählt. Leider wurde es unterbrochen, nachdem Victor gefunden wurde. Für ihn zu spät. Etwas, was dich so sehr geschockt hat, dass du nicht mehr weiter mit mir spielen wolltest. Warum? Ich wollte doch nicht, dass er stirbt. Habe damit nicht gerechnet. Wer konnte auch ahnen, dass der Brunnen, in dem er war, sich durch den Regen so weit mit Wasser füllt, dass er darin ertrunken war. Doch das war doch seine Schuld! Wär er nicht so dumm gewesen und hätte gelernt, wie man unter Wasser atmet, dann hätte er überlebt. Wahrscheinlich… Mir ist natürlich klar, dass ein Mensch sowas nicht lernen kann… Doch auch ich war nur ein Kind und in dem Moment bockig, da man mir seinen Tod in die Schuhe schieben wollte. Mich dafür verantwortlich machen wollte. Ungeheuerlich! Nagut… Vielleicht habe ich es etwas übertrieben. Und vielleicht hätte ich sagen sollen, wo er ist, als es anfing zu regnen. Oder spätestens, als der Regen nicht mehr nachließ. Immerhin wusste ich ja doch, was passieren könnte. Denn obwohl ich die jüngste von uns dreien bin, war ich schon immer die schlauste. Ein Genie, mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, an denen ihr nicht ran kommt. Damals nicht und heute nicht. Obwohl… Du, Sherlock. Du schon. Immerhin hast du es diesmal geschafft, mein Rätsel zu lösen. “Das letzte Problem“ endlich zu beseitigen. Ja! Diesmal hast du mich nicht enttäuscht. Du hast es gelöst und verstanden. Verstanden, warum ich es getan habe. Verstanden, was in mir drin vorgeht. Wie ich mich wirklich fühle, was ich wirklich will. Und auch ich habe etwas verstanden…. Habe dich endlich verstanden. Vermutlich… Du hattest dich ein zweites Mal auf dieses Spiel von mir eingelassen. Es noch einmal versucht, dieses Rätsel zu lösen. Wenn auch wieder nicht, wegen mit. Sondern diesmal wegen diesen Dr. John Watson. Deinen neuen besten Freund. … Und diesmal hast du es geschafft. Du hast es gelöst und mich gefunden und nicht nur das. Du hast mich damit auch gerettet, aus meiner Einsamkeit. Auch wenn du nur wissen wolltest, wo dein Freund ist. Weil du ihn retten wolltest. … Hast du mir versprochen wieder mit mir zu spielen, mich nicht wieder auszuschließen. Genau damit hast du mich letztendlich gerettet und doch auch in einen Abgrund gestoßen. Sinnbildlich! Ich habe es deutlich gesehen. Die Angst! Die Verzweiflung! Die Hoffnung… Als du mich gefragt hast, wo dein Freund ist. Als du mir versprochen hast, mit mir zu spielen, wenn ich dir nur verrate, wo er steckt. Deine Gefühle für ihn… Sie haben mich überwältigt. Auch wenn ich diese nicht verstanden hab. Nicht verstehen kann. Wieso? Wieso bedeutet er dir soviel? Was siehst du in ihn? Was kann er dir geben, was du nicht auch von mir bekommen kannst? Ich begreife es nicht. Kann es nicht nachvollziehen. Deine Gefühle für ihn. Gefühle… Abrupt steh ich auf. Gehe nach hinten, in die eine Ecke, wo meine Violine steht. Die Violine, mit der ich vorhin zusammen mit dir musiziert habe. Schnell öffne ich den Violinen Kasten und vorsichtig nehme ich das Instrument raus, genauso wie den Bogen. Ich bringe mich in Position und fange an zu spielen. Meine Verzweiflung hinaus zu spielen. Da ich sie einfach nicht mehr ertragen kann und raus lassen muss. Verzweiflung! Aber das ist nicht alles. Da ist noch mehr. Da sind noch mehr… mehr Gefühle in mir, die raus wollen, die ich mit der Musik rauslasse. Auch wenn ich diese Gefühle nicht beschreiben kann, sie nicht verstehe. Sie sind da und wollen endlich an die Oberfläche, wollen endlich vernommen werden. Musik… Damit kommunizieren auch wir miteinander, Sherlock. Du hast es mir gezeigt, mir beigebracht. Schon an den ersten Tag, an dem du hier warst, nachdem du “das letzte Problem“ gelöst hast. Du hast dein Versprechen wirklich gehalten. Du kamst mich besuchen und hast mit mir gespielt. Wenn auch anders, als ich es als Kind erhofft hatte. Doch damit hast du das Richtige getan. Ich wollte immerhin nicht mit dir reden. Du aber wahrscheinlich auch nicht mit mir. Und dennoch… Haben wir uns mitgeteilt, wenn auch durch die Musik. Sie ist seitdem unsere Art zu kommunizieren. Sie ist unsere …. Sprache. Und während ich daran denke, durchströmt mich ein weiteres Gefühl. Eines, dass mein Spiel leicht werden lässt und dennoch bedrückend wirkt. Wie würdest du es nennen, Sherlock? Freude? Sehnsucht? Liebe? Verwirrt höre ich mit dem Spiel auf und lasse dieses Wort in meinen Gedanken nachklingen. Liebe… Kann es das sein? Was ich gerade fühle? Oder ist es doch eher Sehnsucht? Immerhin kann ich es nun kaum erwarten, dass du mich wieder besuchen kommst, obwohl du doch erst vor kurzer Zeit gegangen bist. Oder ist es doch schon länger her? Hier drin hat man einfach kein Zeitgefühl… Wie auch? immerhin gibt es hier kein Fenster, durch dessen ich sehen kann, ob es Tag oder Nacht ist. Noch habe ich hier eine Uhr, die mir die Zeit anzeigt. Daher weiß ich wirklich nicht, wie lange du schon weg bist. Vielleicht erst seit ein paar Stunden, vielleicht aber auch schon ein paar Tage. Obwohl… Es gab zwischenzeitlich nichts zu Essen, also kann das nicht sein. Dann muss ich wohl doch noch eine ganze Weile warten, bis ich dich wiedersehe. Und dabei fällt mir das so schwer. Bin ich dafür doch einfach zu ungeduldig. Ich will dich sehen! Jetzt! Frustriert blicke ich zur Tür, möchte, dass diese sich sofort öffnet und du wieder reinkommst. Doch das wird nicht passieren. Oder? ... Nein! Natürlich nicht! Bist du doch gerade erst gegangen. Zurück zu diesem Doktor. Zu deinem Freund. Und hast mich hier zurückgelassen. Allein! Dabei hasse ich es allein zu sein. Obwohl ich es seit Jahren ständig bin und mich eigentlich daran gewöhnt haben müsste. Dennoch! Seufzend räume ich das Instrument wieder ordentlich weg, dann setzte ich mich wieder in den Schneidersitz, in die Mitte meiner Seite des geteilten Raumes und schließe die Augen. Meine Handflächen lege ich zusammen. Meine Hände halte ich unter mein Kinn, so dass dieses meine Fingerspitzen berühren. Diese Haltung nimmt auch gerne Sherlock ein, wenn er nachdenkt. Und Mycroft wohl auch… Unwichtig… Und genau wie Sherlock, habe auch ich einen Gedächtnispalast, in den ich mich nun zurück ziehe. Und ja! Ich weiß, dass auch mein anderer Bruder diese Fähigkeit besitzt. Interessiert mich aber nicht. … Wie auch immer. … Da mir langweilig ist, immerhin habe ich, bis auf meine Violine, nicht womit ich mich hier beschäftigen kann, ziehe ich mich zurück. Gedanklich. Immerhin kann ich in meinen Gedächtnispalast alles machen was will. Ich kann hingehen, wohin ich will. Dafür muss ich nur den richtigen Raum öffnen. Und Räume habe ich viele. Schließlich ist es ein Palast! Und in jedem Raum ist etwas anderes. Entweder ein bestimmtes Wissen, welches ich mir angeeignet habe oder eine Erinnerung, die ich behalten wollte und somit gespeichert habe, sicher, wie auf einer Festplatte eines Computers. In anderen Räumen wiederum befinden sich Orte oder Räumlichkeiten, die ich mal gesehen habe. Ob jetzt, weil ich selbst da war oder weil ich es auf einem Foto oder in einem Film gesehen habe. Was allerdings keine Rolle spielt. So oder so, kann ich jedes Detail abrufen und es vor mir sehen, als ob ich an diesem Ort oder dieser Räumlichkeit bin. So wie das Flugzeug, dass dabei war abzustürzen und die Stadt auf der es zusteuerte. Ich konnte alles so klar vor mir sehen, als wäre ich wirklich dort und erlebte dies. Auch kann ich mich in Gedanken an diesen Orten frei bewegen. Obwohl mein Körper natürlich regungslos bleibt. Selbstverständlich! Es würde mir ja auch nichts bringen, hier in dieser Zelle herum zu laufen. Das würde nur aufmerksamkeit erregen. Und das möchte ich vermeiden. Sonst steht nur Mycroft wieder hier und versucht mich zu deduzieren oder noch schlimmer! Mich auszufragen und dabei ein auf besorgt zu machen. Okay…. Vielleicht ist er wirklich besorgt. Immerhin könnte ich ja was im Schilde führen, was sein geliebtes Vaterland schadet. Als ob mir das irgendwas bringen würde… Außer für einen Moment meine Langeweile zu vertreiben. Doch das ist es nicht Wert. Das ist selbst mir klar. Immerhin… Würde es auch Sherlock schaden. Und dann könnte ich ihn ein weiteres mal verlieren. Und dass vielleicht sogar endgültig. Etwas was ich nicht will. Ganz und gar nicht will. Daher…. Sollte ich lieber nicht weiter darüber nachdenken und lieber das machen, was ich vor hatte. Nämlich einen leeren Raum finden und dort meine Erinnerung von heute ablegen. Mein Treffen mit Sherlock. Sein Spiel auf der Geige, mein Spiel auf der Geige, unser Spiel. Die Musik die den Raum erfüllte, für diese Zeit. Die Gefühle, die diese Musik übermittelt hat, die Sprache, die sie gesprochen hat. Jeder Blick, jede Bewegung, die Sherlock getätigt hatte. Alles wird ordentlich abgelegt und gespeichert. Immerhin will ich es nicht vergessen. Nie! Als ich damit fertig bin, rufe ich alles wieder auf, gehe gedanklich zurück, als du den Raum betreten hast und erlebe deinen Besuch noch einmal. Immer und immer wieder, so oft ich will. Dabei lasse ich mich von niemanden stören. Außer von dir! Solltest du wieder hier her kommen. Mich wieder besuchen. Ich ... warte! Auf … dich! Komm schnell zurück! Damit wir wieder spielen können, mein geliebter Bruder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)