Der Traum des Gänseblümchens von Labrynna ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war einmal ein kleines Städtchen in dessen Nähe ein verwunschen wirkender Hain gelegen war. Angeblich sollten dort liebliche Feen und Einhörner hausen, die den Wald und seine Schönheit beschützten. Viele Menschen begaben sich auf der Suche nach den sagenumwobenen Fabelwesen ins Unterholz, doch niemals bekamen sie eines zu sehen. Dennoch waren die Wenigsten enttäuscht darüber den Ausflug vergebens unternommen zu haben, denn in seinem Innersten verwahrte das Wäldchen einen kleinen Schatz, der die Meisten für ihre Mühen entschädigte: von majestätischen Buchen und uralten, stämmigen Eichen gesäumt blühte auf einer in einer sanften Senkung gelegenen Lichtung die schönste Blumenpracht, die ein menschliches Auge je erblickt hatte. Dort reihten sich prächtige, blutrote Wildrosen neben betörend duftenden Glockenblumen, filigranen Schlüsselblumen, zart gefärbtem Wiesenschaumkraut und buschigen tränenden Herzen. Schon bald wurde es zur Tradition, dass sich die heiratswilligen Männer der Stadt zu dieser Wiese begaben, um dort für ihre Auserwählten Sträuße zu pflücken, der ihrer Schönheit ebenbürtig waren. Nach nur wenigen Jahren schon war ein buntes Blumenbouquet für die Einheimischen traditioneller Bestandteil eines jeden Antrags – so wie bei uns zu Lande ein funkelnder Verlobungsring. Nahezu jede Blume hatte im Laufe der Zeit schon mehrere Blüten zu diesen den Menschen so wichtigen Sträußen beigetragen. Alle bis auf eine… Inmitten der farbenprächtigen Vielzahl wuchs dicht über dem Boden, fast vollständig von langen, saftig grünen Grashalmen verborgen, ein kleines Gänseblümchen, dessen größter Traum es war, nur einmal im Leben gepflückt und verschenkt zu werden, um ein verliebtes Herz zu erfreuen. Es gab nichts, nach dem sich das winzige Blümchen mehr gesehnt hätte. Wann immer ein junger Galan auf die Wiese trat, reckte es seinen kurzen Hals der Sonne entgegen und präsentierte sich von seiner schönsten Seite. Sein Pollenkissen war von einem ungewöhnlichen Goldgelb und seine zarten Blütenblätter waren strahlendweiß gefärbt mit einem zartrosafarbenen Rand. Das kleine Gänseblümchen war wirklich eine Pracht, doch die Kavaliere übersahen es jedes Mal. Manche waren gar so unaufmerksam, dass sie auf die unscheinbare Blume traten und so lange auf ihr herumtrampelten, bis sie hässlich zerpflückt zurückblieb. So ging es Jahr um Jahr und das arme Gänseblümchen wurde immer verzweifelter, bis es seinen Traum beinah aufgab. Eines Tages im Winter, als es zusammen mit den anderen Blumen auf den nächsten Frühling wartete, beschloss es, dass es aufhören wollte, sich anzustrengen. All seine Mühen hatten ihm nie etwas gebracht, außer enttäuschten Hoffnungen. Es war eben nicht mehr als ein kleines, unscheinbares Gänseblümchen… Selbst sein Duft war ein wenig zu streng und alles andere als lieblich. Oh, was hätte es nicht alles darum gegeben, eine prächtige Rose oder zumindest eine langhalsige Margerite zu sein! Als der Frühling kam, strömten mit ihm auch die nächsten Heiratswilligen auf die Lichtung, um ihre Sträuße zu pflücken. Obwohl ihm noch immer das Herz schmerzte, wenn andere Blumen ihm vorgezogen wurden, duckte sich das Gänseblümchen tief in die Schatten, wenn sich ihm Schritte näherten. So konnte es sich wenigstens einreden, es würde nur deswegen nicht gesehen, weil es nicht gesehen werden wollte. Doch dann kam eines Tages ein junger Mann, der gänzlich anders war als die anderen zuvor. Anstatt sich blind auf die Blütenfülle zu stürzen und munter drauf los zu pflücken, schritt er vorsichtig zur Mitte der Lichtung und sah sich prüfend um. In seinen Augen brannte Leidenschaft und eine tiefe Liebe wie die Blumen es noch nie gesehen hatten. Auf einmal hatten sie das Gefühl, von den anderen Galanen um ihre Blüten betrogen worden zu sein. Angesichts dieser Augen wurde den Blumen bewusst, dass keiner von ihnen wirklich geliebt hatte. Sie hatten begehrt oder geschwärmt, aber ihre Gefühle waren so seicht gewesen wie eine Pfütze. Da plötzlich jede Blume die Aufmerksamkeit des jungen Mannes erregen wollte, entbrannte innerhalb einer Minute ein regelrechter Wettstreit zwischen ihnen. Die Rose war die Erste, die siegessicher ihre prallen Blüten in einen goldenen Sonnenstrahl hielt und eine Extraportion ihres lieblichen Dufts ausströmte. In dem weichen Licht schimmerten ihre Blätter wie erlesener Samt und sie war sich sicher, gepflückt zu werden – immerhin war sie die Königin unter den Blumen! Doch der junge Mann schüttelte nur den Kopf und sagte: „Nein, liebe Rose. Zwar bist du ohne Zweifel wunderschön, doch auch gewöhnlich. Dich verschenkt man, wenn man nichts Besseres weiß. Deshalb bist du kein geeignetes Symbol für die Liebe in meinem Herzen. Diese ist etwas Besonderes, tief und rein. Ehrlich.“ Während alle anderen Blumen bei diesen Worten verzückt aufseufzten, zog sich die Rose beleidigt zurück. Ihr Platz blieb jedoch nicht lange leer, da sich sogleich das tränende Herz in Pose warf. Bei diesem Anblick lachte der junge Mann laut auf und neckte: „Du wärst nun wirklich keine gute Wahl! Oder hältst du es wirklich für einen gelungenen Start für eine erblühende Liebe, wenn ich dich verschenkte? Mein Herz weint nicht. Es frohlockt und lacht und möchte Purzelbäume schlagen.“ Die Glockenblume konnte kaum abwarten, dass ihre Konkurrentin sich zurückzog. Dieses Frühjahr waren ihre Blütenkelche besonders exquisit gefärbt und wirkten mit ihrem leichten, metallischen Schimmer tatsächlich beinah wie kleine Glöckchen. Wenn sie geklingelt hätten, hätte es vermutlich niemanden überrascht. Doch auch dieses Mal lehnte der junge Mann ab: „Du bist wirklich bezaubernd, liebe Glockenblume, aber ich will meiner Liebe kein Glöckchen umbinden wie einem Hund. Außerdem wirkst du mir mit deiner dunklen Farbe zu ernst. In mir ist aber alles leicht und unbeschwert, sodass ich mich wieder fühle wie ein Knabe.“ Enttäuscht ließ die Angesprochene die Blätter hängen, während sich Wiesenschaumkraut und Schlüsselblume gleichzeitig in die Brust warfen und dem wählerischen Fremden ihre Blüten entgegenreckten. Dieser legte den Kopf schief und nickte anerkennend: „Ihr seid Beide außerordentlich schön. Bei dir, liebes Wiesenschaumkraut, gefällt mir deine zarte, blasse Färbung. Sie hat etwas Unschuldiges – so wie die reine Liebe in meinem Herzen. Und du, Schlüsselblume, kannst bestimmt jedes Herz aufschließen.“ Hin und her gerissen zwischen den beiden Blumen ging der junge Mann in die Knie und blickte zweifelnd erst die eine, dann die andere an. Beide waren davon überzeugt, als gemeinsame Siegerin hervorzugehen. So ein Strauß aus ihren Blüten, ach, der musste gar entzückend aussehen! Doch da fiel der Blick des Mannes auf das Gänseblümchen, das ihn neugierig aus seinem Versteck heraus beobachtete. Dass jemand so viele ihrer Schwester verschmähte, überraschte die kleine Blume. Als sich die Augen des Fremden auf es richteten und sich ein breites Lächeln auf die Lippen des Mannes stahl, wurde dem Blümchen plötzlich ganz warm ums Herz und es breitete automatisch seine Blüte aus, um sich zu zeigen. Das Lachen des Mannes erhob sich wie ein graziler Vogel in den wolkenlosen Himmel und er rief erfreut aus: „Du bist es!“ Vollkommene Verblüffung ergriff sämtliche Blumen und das Gänseblümchen hatte das Gefühl, dass sich die rosafarbenen Streifen an seinen Blütenblättern intensivierten, als es innerlich errötete. Sollte es wirklich wahr sein? Konnte es wahr sein? Mit einer schnellen Bewegung streckte der junge Mann seine Hand nach der kleinen Blume aus und pflückte zärtlich die einzelne Blüte. Es tat ein wenig weh, als der Stängel abbrach, doch das war dem Gänseblümchen vollkommen egal. In ihm war nur Platz für Euphorie und Glück. Es war nicht nur endlich gepflückt worden, sondern sollte auch noch das Symbol für die größte Liebe von allen werden! Als hätte er die fragenden Blicke der anderen Blumen in seinem Rücken gespürt, wandte der Mann sich wieder um und erklärte: „Ich wähle das Gänseblümchen, weil es bescheiden und ehrlich ist. Es hat es nicht nötig, sich in Pose zu werfen und anzubiedern. Es ist zart und klein – so wie die Liebe in mir noch ein zarter Spross ist, der noch wachsen und gedeihen wird. Außerdem ist es etwas Besonderes und ein wenig eigenwillig – so wie ich.“ Mit diesen Worten machte der Mann sich zusammen mit dem Gänseblümchen auf den Weg zurück zur Stadt, um endlich um die geliebte Hand anzuhalten. Auf dem Rückweg begegneten ihnen andere Galane, die auf der Lichtung Blüten sammeln wollten. Als sie die Wahl des jungen Mannes sahen, lachten sie ihn aus, bis ihnen Tränen in den Augen standen. Doch weder Mensch noch Blume ließen sich davon beeindrucken. Jeglicher Harm und Spott prallten einfach von ihnen ab, denn sie wussten, dass sie etwas sahen, das für die verhangenen Augen der anderen verborgen war: wahre Liebe braucht keine pompösen Gesten und teure Geschenke. Wahre Liebe braucht Herz und Persönlichkeit. Sie braucht eine Seele. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)