Casino Wonderland von Mothgirl (Between midnight and tomorrow) ================================================================================ Prolog: Zeit ------------ "Zeit. Was ist eigentlich Zeit? Ist es der Fluss, der unter unserem Boot fließt? Oder ist es das Ding, das uns voran zerrt? Immer wieder höre ich Leute sagen, sie brauchen mehr Zeit. Dabei denke ich es ist die Zeit, die uns braucht. Ohne Menschen gäbe es keine Uhren, ohne Uhren gäbe es keine Zeit. Oh, wusstest du das nicht? Doch, es ist eigentlich ganz logisch. Wenn man etwas weder sehen, noch hören, noch schmecken oder riechen oder fühlen kann das existiert es nicht. Simpel, ich weiß. Nur durch die Uhren existiert Zeit überhaupt, durch Uhren können wir sie sehen und hören. Sie ist wahrnehmbar. Sie sollte dankbar sein, die Zeit. Ich bin mir sicher das ist sie auch, schließlich gab sie uns allen ein wenig von sich selbst. Jeder besitzt ein kleines bisschen Zeit, welches wir wieder zurück geben müssen. Sandkorn für Sandkorn, nie mehr als eine Sekunde zugleich. Außer du, natürlich, du gibst sie mir" Der Raum war nicht hell, doch auch nicht sehr dunkel. Was wohl keine große Rolle spielen würde, der weiße Anzug des Spielers würde wohl auch noch in finsterster Nacht hell strahlen. Nicht ein einziger Fleck war darauf zu sehen, nicht einmal ein Haar verdarb den Anblick des reinen Stoffes, als wäre er aus der Sonne selbst gewoben. Sonnenstrahlen, ein seltsames Konzept an einem Ort wie diesem. Niemand wusste ob es in dieser Welt überhaupt eine Sonne gab, doch wahrscheinlich was es nicht. Es gab nicht einmal Fenster im Haus, Fenster die die Welt da draußen zeigten. Man brauchte sie einfach nicht. Die Welt, meine ich. Fenster an sich sind höchst nützlich, so kann man sich daran zum Beispiel die Finger kühlen wenn man sie sich verbrennt oder die Wange an das kühle Glas legen wenn man an jemanden denkt der einem viel bedeutet. Hin und wieder nehme ich mir ein Fenster, einfach nur um nicht zu vergessen wie sie aussehen. Sie sind nicht sehr schön anzusehen, sehr durchschaubar, aber das ist mir nicht so wichtig. Ich habe nichts gegen Fenster, das wollte ich nur sagen. Ich mag sie sogar sehr gerne. Doch das ist auch gar nicht der Punkt. Ach, es ist manchmal so schwer den Punkt zu finden. Hier im Haus verliert man leicht den Faden, so leicht das ich allmählich besorgt bin das mir alle Fäden ausgehen. Ich habe gehört das der Herzbube ein Funbüro für verlorene Fäden aufmachen will, vorne im Foyer, doch ich glaube das ist vergeudete Zeit. Wenn ich meinen Faden schon nicht selbst finden kann, wie soll es dann jemand anders schaffen? Wie dem auch sei, genug von dem Geschwaffel. Oder besser gesagt, beginnen wir mit dem anderen Geschwaffel. Ich mag das Wort, Geschwaffel. Ich möchte euch eine Geschichte erzählen. Hier, jetzt, wo immer und wann immer das auch ist. Eine Geschichte über das Haus, über die Menschen und über die Träume die sie her führen. Verlorene, gefundene und erneut verlorene Dinge. Über rechtschaffene und nicht rechtschaffene Rache, über Spielkarten und Würfel, über die Dinge die man sucht obwohl sie direkt vor der eigenen Nase sind oder jene die man niemals finden wird. Darüber, wie viel dir etwas bedeutet wenn es verschwunden ist. Und natürlich über Zeit, jene die uns gegeben ist und jene die wir uns nehmen um sie mit anderen zu teilen. Denn manchmal, ganz selten, hat man selbst nicht genug Zeit. Manchmal reicht alle Zeit der Welt nicht, um einen Moment so zu würdigen wie er es verdient. Doch es reicht ein Fingerhut an Zeit, um alles zu verändern. Also, wenn du die Zeit erübrigen kannst, dann setz dich hin und höre zu. Ob es sich für dich lohnt, das erfährst du wenn ich deine Zeit bereits gestohlen habe. Ach, da ist er ja. Mein Faden. Böser Bursche du, das du mir nicht nochmal abhanden kommst. Zumindest nicht bis Kapitel 2. Schließlich muss ich einen guten Eindruck machen, die Leser kennen mich doch noch nicht. Wie dem auch sei, ich weiß wieder wo wir waren. Wir waren bei dem Spieler im weißen Anzug, im Gespräch mit dem toten Mann mit den Händen voller Spielkarten. Genau, da, er erhebt sich und nimmt dem vertrockneten Leichnam die Karten ab um sie zu mischen. Als hätte er alle Zeit der Welt ließ er sie zwischen seinen schlanken Fingern hin und her schnippen, ehe er sie wieder in die Tasche seines Jackets aus Sonnenstrahlen steckte. Er hatte nicht alle Zeit der Welt, noch nicht, doch definitv mehr als vorhin. Seltsam, nicht wahr? Der Spieler hatte Zeit gewonnen, denn dieser Spieler im weißen Anzug gewann immer. "Keine Zeit, keine Zeit. Du hast keine Zeit mehr. Doch sei unbesorgt, toter Mann, ich werde deine Zeit gut nutzen" Kapitel 1: Down the rabbit hole ------------------------------- Piep. Piep. Piep. Das Mädchen erwachte wie immer von dem penetranten Piepen der Maschine, doch es schlug seine Augen nicht auf. Wozu auch, es wusste was es sehen würde. Es würde die selbe Decke sehen, den sterilen Kalk mit dem winzigen roten Fleck, und es würde ganz leicht im Augenwinkel die Maschine sehen. Dieses...Ding, diese technische Abomination war es, weswegen sie die Augen geschlossen hielt. Sie musste sich erst innerlich wappnen, konnte und wollte noch nicht aus der warmen Umarmung des Schlafes in die kalte, gnadenlose Realität. Es war grausam, niemand konnte dies von ihr verlangen. Das sie sich jetzt schon dem Anblick des Bildschirmes stellte, der ihr mal wieder klar machte wieso sie noch immer hier war. Früher, da hatte das Mädchen eine seltsame Fantasie, eine närrische Hoffnung die sie jeden Abend lächelnd einschlafen ließ. Sie stellte sich vor was wäre, wenn sie eines Tages aufwachen würde und und sah, dass der Bildschirm anzeigte das alles gut war. Das sie wieder gesund war und endlich Heim könnte. Endlich zu ihrer Familie könnte. Endlich ein normales Kind sein könnte. Das Mädchen hatte nie eine Chance gehabt. Sie war krank zur Welt gekommen und seitdem krank geblieben. Die Ärzte hatten bei ihrer Geburt um ihr Leben gekämpft und auch lange danach war sie in steter Lebensgefahr. Sie sagten ihr ständig wie stark sie sei und was für ein tapferes Kind sie doch war. Vielleicht war sie stark, das wollte sie nicht abstreiten auch wenn es etwas hochtrabend klang, doch ihr Körper war es offensichtlich nicht. Ihr Herz, dies war das Problem. Ihr Herz war nicht stark genug um ihren Körper alleine zu versorgen, so wurde es ihr erklärt als sie noch ein kleines Mädchen war. Mittlerweile wusste sie auch, dass es niemals stark genug sein würde. Sie war hier im Krankenhaus, weil sie nicht alleine lebensfähig war und ohne Spenderherz es auch nicht sein würde. Früher, da hatte sie noch gehofft das alles würde sich eines Tages ändern. Das sich ein Herz für sie finden würde, das jemand ein Herz für sie übrig hatte. Ihre Mutter würde sich sicherlich ihres herausreißen und ihr überreichen wenn sie denn könnte, doch so einfach war es nicht. Heute, an ihrem 17ten Geburtstag hier in der Klinik, wusste sie das es niemals so einfach sein würde. Sie hatte einen eigenwilligen Bluttyp oder so, hatte ihr der Arzt nervös erklärt. Sehr selten, sie sei etwas ganz besonderes. Doch das Mädchen wusste inzwischen was er ihr in Wahrheit sagen wollte. Sie würde kein neues Herz bekommen. Sie würde hier nicht mehr heraus kommen. Sie wäre dazu verdammt, jeden Morgen vom Piepsen der Maschine zu erwachen und sich zu fragen, wieso sie noch erwachte. Doch die Antwort wäre ihr klar, wie jedes Mal. Ihre Familie. Dies waren die Menschen, die sie nie aufgegeben haben selbst wenn sie selbst es tat. Ihre Mutter, die ihr selbst nach all den Jahren Dinge wie Sportschuhe oder Badeanzüge kaufte auch wenn sie sie nicht brauchte, einfach nur weil sie daran glaubte das es jeden Tag so weit sein könnte. Ihr Vater, der sich jeden Tag neben ihr Bett setzte und mit ihr sprach, ihr von der Welt draußen erzählte damit sie sich nicht ganz so allein und isoliert fühlte. Ihre Schwester, die trotz wöchentlich wechselnder Freunde und stetigem Streit mit ihren Eltern immer wieder Zeit für das Mädchen fand. Selbst ihr Lehrer, der ihr tagtäglich Dinge beibrachte die sie vermutlich niemals brauchen würde war ihr ans Herz gewachsen. Wenn das Mädchen mal wieder keine Hoffnung hatte, dann gaben sie ihr etwas von ihrer Hoffnung ab. Denn sie hatten genug davon, mehr als genug. So viel das es das Herz des Mädchens erwärmte wenn sie daran dachte. Für diese Menschen wollte sie leben. Auch wenn sie selbst bereits die Nase voll hatte, von einem Leben das sich ohne sie abspielte wie ein Film. Sie saß da, doch sie war nicht beteiligt. Ja, sie wollte leben. Das war es, was sie mehr als alles andere begehrte. Ein Leben, auch wenn sie sehr genau wusste das sie niemals eines besitzen würde. Das Mädchen schlug die Augen auf. Kennt ihr das, wenn ihr etwas seht das so unbegreiflich und merkwürdig ist dass man es gar nicht mit den Gedanken erfassen kann? Man sieht es und denkt sich, huh. Für Worte reichen die Denkkapazitäten in diesem Moment nicht aus. Man ist nicht erschrocken, nicht erstaunt oder überrascht. Alles was man empfindet ist eine tiefe, stumpfe, bodenlose Gleichgültigkeit. Nicht weil es einem egal ist, sondern eher weil man noch nicht weiß was es ist das man da ansieht. Genau einen solchen Moment hatte das Mädchen nun, als sie die Augen aufschlug und nicht die weiße, sterile Krankenhausdecke sah die sie erwartet hatte. Oder doch, sie sah diese, doch sie war so unheimlich weit weg. Das Mädchen lag im Bett, im selben Krankenhausbett wie immer, doch dieses stand nicht im Zimmer. Es stand am Boden eines Loches, so unheimlich tief das die Zimmerdecke mit dem roten Fleck nur ein weißer Punkt in der Ferne war. Wie ein Stern im Nachthimmel, so fern und bedeutungslos war es für das Mädchen. Langsam, bedächtig, richtete es sich auf. "Hallo? Ist da jemand?" fragte sie in die Schwärze hinein die sie umgab. Doch es kam keine Antwort, bis auf das Piepen der Maschine. Die Maschine, ihr tiefster Vertrauter kannte sie das Mädchen doch besser als es irgendjemand sonst tat. Doch nein, etwas war seltsam. Das Piepen war kein Piepen. Es war eben noch ein Piepen, doch nun hatte es sich verändert. Es war anders, anders als es noch gestern oder auch heute war und definitiv kein Piepen mehr. Tick tack, Tick tack, Tick tack "Maschine? Wo bist du?" fragte das Mädchen und drehte sich um, hin und her und einmal im Kreis ehe es aufstand und unter das Bett schaute. Tick tack, Tick tack, Tick tack Die Maschine war eine Uhr geworden. Da stand sie, auf dem Podest auf dem sonst die Maschine stand. Direkt neben ihrem Bett. Eine große, runde Uhr war es die metallisch glänzte. Das war auch das einzige was sie mit der Maschine gemein hatte, war sie doch sonst ganz anders. Nicht einmal einen Bildschirm hatte die Uhr, sie war vollkommen undurchsichtig und ganz aus Metall. "Welchen Zweck hat eine Uhr ohne Zeiger?" fragte das Mädchen verwundert und trat auf die Uhr zu. "Welchen Zweck hat ein Mädchen ohne Herz?" antwortete die Uhr schnarrend. Das Mädchen erschrak schrecklich und wich zurück. "Du sprichst?!" "Du doch auch. Siehst du mich deswegen einen Aufstand machen?" Das ergab Sinn, musste sich das Mädchen eingestehen. Einigermaßen beruhigt trat sie wieder auf die Uhr zu und strich über die glatte Oberfläche. "Tut mir leid, Uhr, ich wollte nicht unhöflich sein. Aber wie zeigst du die Zeit an ohne Zeiger?" fragte das Mädchen, nun in einem deutlich höflicheren Ton. "Gar nicht. Es ist nicht meine Aufgabe die Zeit anzuzeigen, ich zähle sie nur. Und manchmal, wenn sie mich ganz lieb bittet, dann zähle ich auch rückwärts. Das gefällt der Zeit immer besonders" Das Mädchen wusste nicht was der Zeit an einer rückwärts zählenden Uhr so gefiel, doch sie wollte nicht schon wieder unhöflich sein und fragte darum nicht nach. Stattdessen legte sie den Kopf in den Nacken und sah hoch, den unendlich hohen Schacht hinauf. Wie war sie nur hier herab gekommen? "Liebe Uhr, sag mir bitte, schlafe ich?" fragte sie vorsichtig, nicht gewillt den Zorn der Uhr erneut auf sich zu ziehen. "Du träumst. Das ist ein Unterschied" "Worin besteht der Unterschied?" "Wenn du schläfst, existierst du nicht. Doch wenn du träumst, dann existiert Alles" Alles. Aus irgendeinem Grund hatte dieses Wort eine so große Bedeutung das das Mädchen es mit seinen dünnen Gedankenärmchen nicht umfassen konnte. Es war so...riesig. So schwer und unhandlich das es unmöglich ein Wort war welches sie mit sich herum tragen wollte. Nein, Alles war ein Wort welches ihr nicht gefiel. Sie wollte es hierlassen, bei der Uhr, diese schien das Wort ja zu mögen. Doch die Uhr hatte anscheinend andere Pläne als das Wort zurück zu nehmen, denn in diesem Moment klapperte es in dem metallischen Gehülse bedeutungsschwer. Erst einen Moment später begriff das Mädchen, das die Uhr sich soeben geräuspert hatte. Zugleich merkte sie, dass die Uhr aufgehört hatte zu zählen. "Wir sind da. Wir befinden uns nun zwischen Mitternacht und Morgen" Das Mädchen wollte fragen was das nun wieder bedeutete, ob es eine Ortsangabe oder eine Zeitangabe war, doch sie kam nicht dazu als hinter ihr etwas knarrte. Es war nicht sehr laut, doch es war wichtig. Ein unheimlich, unglaublich wichtiges Knarren welches sie nicht mit ihrer Stimme unterbrechen wollte. Langsam, als könnte sie die Quelle des Knarrens verscheuchen, drehte sie sich um. Es war eine Tür. Direkt vor ihr, dort wo bis eben noch ihr Krankenbett stand, war nun eine Tür aufgetaucht. Woher sie kam und wohin sie führte war ein Rätsel, doch das sie da war war offensichtlich eine Tatsache. So sicher, dass das Mädchen mit der Hand welche sie langsam hob über das raue, rote Holz streichen konnte. Es roch nach Rosen, jene Rosen welche die Tür umringten wie einen Kranz. Sehr seltsam, bis eben roch es hier doch noch nach Metall und Desinfetionsmittel. Doch nein, es war nun der süßliche Rosenduft der ihr in die Nase drang und sie begriff das sie weinte. Wieso weinte sie? Langsam, als bestünde sie aus Porzellan, hob das Mädchen eine Hand und wischte mit zitternden Fingern die Tränen fort. Was war es nur was sie so traurig machte? Darüber nachzudenken hatte sie keine Zeit, schließlich war die Uhr stehen geblieben. Ohne weiter zu zögern schob das Mädchen die schwer aussehende Tür auf, welche jedoch ganz leicht war. Manchmal waren die Dinge eben nicht wie sie wirkten. Hinter ihr fiel die Tür hämisch lachend zurück ins Schloss. Kapitel 2: The Girls Desire --------------------------- Ah, da seid ihr ja wieder. Gut, gerade rechtzeitig zum Tee. Nehmt euch doch eine Tasse und setzt euch zu mir, ich habe viel zu erzählen. Wie wäre zum Beispiel die Geschichte von Fürst Winter und wie er den Juli bezwang? Oder soll ich euch vom Rabenmann und seinen 14 Töchtern erzählen? Oh nein, ich sehe schon, ihr wollt mehr von dem Mädchen ohne Herz hören und den Dingen die ihm im Haus begegneten. Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit. Seltsame Ausdrucksweise, nicht wahr? Alles zu seiner Zeit. Zu wessen Zeit? Wer ist er? Oder es? Spielt das Sprichwort in diesem Zusammenhang vielleicht auf das Mädchen an? Denn Sprichwörter müssen stets im Zusammenhang betrachtet werden. Nun, das wäre in diesem Falle aber schlicht falsch, denn das Mädchen hatte nicht viel Zeit. Ihr müsst wissen, die Zeit gab jedem von uns ein wenig von sich selbst. Manchen mehr, manchen weniger. Das Mädchen hatte nicht sehr viel Zeit bekommen und das meiste auch schon zurück gegeben, übrig war nicht mehr als ein klein wenig Bodensatz. Vielleicht noch einige Wochen, mehr nicht. Interessanterweise ahnte sie davon nichts, schließlich weiß niemand wie viel Zeit ihm gewährt wurde. So sehr die Zeit auch versucht uns zu verstehen, sie wird nie ganz begreifen was die Menschen ausmacht. Sie werden niemals ein Geschenk annehmen können ohne mehr zu wollen. Die Zeit ist nicht grausam, sie dachte sie macht uns eine Freude mit der Zeit die sie uns schenkt. Niemals hätte sie geahnt, dass wir so darunter leiden würden. Denn es sind nicht die Dinge die einem fehlen die Leid verursachen. Es sind die Dinge die man verliert. Also, was bedeutet hier alles zu seiner Zeit? Nun, ich weiß wessen Zeit hier gemeint ist. Ihr kennt doch sicher den Spruch im Bezug auf Kasinos "Das Haus gewinnt immer", oder? Nun, im Kasino Wonderland trifft dies nicht mehr zu. Schon lange gewinnt jemand anders immer. Ich bin sicher der Spruch meint seine Zeit. Also, alles zu seiner Zeit. Kaum war das Mädchen durch die Tür getreten, zaghaft wie ein junges Reh, begann es bereits sich zu wundern. Wo war sie hier gelandet? Was war dieser Ort? Und wieso war er hier unten, am Boden dieses kolossalen Loches? Er wirkte viel zu vornehm. Er war dunkel und...groß. Wie groß genau der Raum war, der vor ihr lag, konnte das Mädchen nur erahnen. Die Wände aus dunklem Stein liefen links und rechts von ihr in die Schatten, verschwammen zunächst ehe sie vollkommen unsichtbar wurden. Wenn man seine Gedanken nur ein wenig zu weit schweifen ließ, konnte man sich leicht vorstellen das der Raum einfach rechts und links bis ins unendliche weiter ging. Doch was wenn man seine Gedanken noch weiter schweifen ließ und sie nicht mehr wieder fand? Wenn sie sich in den unendlichen Weiten dieses Raumes verloren gingen und nie mehr wieder zurück kamen? Das Mädchen erschauderte bei dem Gedanken. "Unmöglich!" wisperte sie, um sich selbst Mut zuzusprechen. Das eine Antwort kam, damit hatte sie nicht gerechnet. "Bist du dir da sicher?" Erschrocken sah das Mädchen auf, vergaß für einen Moment die Wände und die unendlichen Schatten welche sie warfen. Stattdessen blickte sie vor sich. Der Boden war ein Parkett aus dunklem Holz, geradezu übermäßig dunkel in diesem ohnehin recht schattenreichen Milieu. Im starken Kontrast dazu war ein leuchtend roter Teppich, welcher von der Tür aus weit in den gigantischen Raum reichte. Wie ein roter Faden führte er, schnurgerade, durch die Schatten hin zu einem Tresen, welcher in der Ferne winzig und unbedeutend wirkte. Doch das er bedeutend war, daran zweifelte das Mädchen nicht. Wieso sonst sollte dieser rote Teppich dort hin führen? So weit weg wie der Tresen war, würde sie sicher Stunden brauchen um ihn zu erreichen. "Hab keine Angst, manchmal trügt der Schein" "Manchmal aber auch nicht" "Manchmal schon" "Manchmal nicht" Das Mädchen reckte den Kopf um zu sehen zu wem die Stimmen gehörten, doch der Tresen war einfach zu weit weg. Unmöglich dort hin zu kommen, vollkommen unmöglich. Besser wäre es, es gar nicht erst zu versuchen. Oder noch besser, umzudrehen und wieder zu gehen. Wieder durch die Tür hinaus, zurück zur Uhr. Die könnte ihr vielleicht sagen wie sie wieder hoch kam, raus aus dem Loch und... ...und was dann? Zurück in ihr Bett und darauf warten das ihr Herz irgendwann tatsächlich aufhört zu schlagen? Auf den Tod warten? Nein, das war falsch, falsch in jeder Hinsicht. Man wartete nicht auf den Tod, man lief vor ihm davon und versteckte sich. So war es doch, oder? Also gab es nur einen Weg, vorwärts. "Die Uhr hat gesagt ist träume..." sagte das Mädchen erneut zu sich selbst, um sich Mut zu machen, und schritt voran. Es brauchte nur drei Schritte und sie war dort. Vor ihr ragte ein Tresen auf, der ihr bis zur Brust ging und über den das Mädchen nur knapp hinweg schauen konnte. Es war unschön und sie mochte diesen Tresen nicht, er gab ihr das Gefühl ein kleines Kind zu sein. Wie ein kleines Kind lugte sie, dennoch neugierig, über den Tresen auf die beiden Gestalten die dahinter standen. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen, wobei Ei ein sehr passender Vergleich war. Sie waren hochgewachsen und stämmig, um nicht zu sagen fett, und ihre Köpfe waren vollkommen rund, bleich und kahl. Kleine, stechende Augen lugten zwischen den feisten Wangen und der wulstigen Stirn hervor. Sie waren gekleidet in Anzüge die vermutlich mehr Stoff verbrauchten als zehn normale Anzüge. Sie mussten Zwillinge sein, wirklich ausnehmen hässliche Zwillinge. Einer der beiden trat von einem Bein aufs andere und lächelte das Mädchen nervös an, der andere blätterte abwesend in einem Buch. "Ah, da bist du ja. Gut gut, ich dachte schon du hättest vergessen wie man läuft" sagte der lächelnde Zwilling. "Wir dachten das" fügte der lesende Zwilling hinzu. "Ich bin Dideldum und das hier ist Dideldei" "Idiot. Ich bin Dideldum, du bist Dideldei" "Wir sind zuständig für den Empfang..." "...und Abschied..." "...im Kasino..." "...Gefängnis..." "...Wunderland!" Der lächelnde Zwilling hüpfte zufrieden mit sich auf und ab während der lesende Zwilling eine Partytröte hervorholte und halbherzig hinein pustete. Das Mädchen war nach dieser sprunghaften Vorstellung nur noch verwirrter als vorher, es schaute mit nach Hilfe suchendem Blick von einem zum anderen. Der lächelnde Zwilling, scheinbar hieß er Dideldei, rieb sich die Hände und ergriff erneut das Wort. "Und du? Wie heißt du?" "Ich heiße ..." antwortete das Mädchen, erleichtert zumindest die Antwort auf diese Frage zu wissen. Im Gegensatz zu mir. Ich muss leider gestehen, ich habe den Namen des Mädchens vergessen. Nicht weil ich vergesslich bin, ich erinnere mich üblicherweise an alles was in und um das Haus geschieht. Nein, der Grund wieso ich den Namen des Mädchens nicht mehr benennen kann ist ein anderer. Doch ich kann ihn euch nicht sagen. Noch nicht. Wie gesagt, alles zu seiner Zeit. Dideldei blickte das Mädchen verwundert an und sogar Dideldum hob seinen Kopf vom Buch. "Das ist aber ein überaus faszinierender Name. Heißen bei euch alle so?" Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Nein, nur ich. Ich kenne noch nicht einmal jemanden mit diesem Namen" Dideldei und Dideldum schauten sich gegenseitig an und rieben ihre fleischigen Wangen. "Seltsam, überaus seltsam. Nun Mädchen, wieso bist du hier? Was ist es wonach du suchst?" Verwundert starrte das Mädchen Dideldei an, welcher die Frage gestellt hatte. Dieser merkte ihre Verwirrung und hob einen dicken Finger. "Nun, alle die ins Kasino Wunderland kommen suchen etwas..." "...etwas was sie mehr als alles andere begehren..." "...es beschäftigt sie..." "...verschlingt sie..." "...doch sie können es nicht bekommen" "Vollkommen unmöglich" "Darum finden sie her..." "...in ihren Träumen..." "...und spielen darum. Wenn sie es nirgends sonst bekommen können, dann können sie es hier bekommen" "Hier, im Kasino, kann man Alles bekommen" Da war es wieder. Das Wort, welches das Mädchen draußen bei der Uhr lassen wollte. Alles. Nun, jetzt war es zu spät. Jetzt musste sie es mit sich herum schleppen bis sie die Uhr wieder finden und ihr das Wort zurück geben könnte. Doch bis dahin, vielleicht könnte das Alles ihr nützlich sein. "Alles? Wirklich alles?" fragte das Mädchen, nun etwas mutiger. Dideldum und Dideldei nickte synchron. "Auch ein..." das Mädchen zögerte. Was wenn sie nein sagten? Doch halt, sie sagten Alles. Wirklich alles. "...neues Herz?" Dideldei lächelte verständnisvoll während Dideldum seinen Blick wieder auf sein Buch senkte. "Du wirst darum spielen müssen..." "...oder es lassen..." "...wenn du ein neues Herz haben willst. Pass jedoch auf, der Einsatz wird hoch sein..." "...geradezu unbezahlbar..." "...also überlege dir gut wen du herausforderst" Das Mädchen war verwirrt. Spielte man in einem Kasino nicht gegen das Haus? Das hatte sie zumindest in einem Film gesehen, den ihre Mutter ihr ins Krankenhaus gebracht hatte als sie alt genug dafür war. "Ist dies nicht ein Kasino? Ich dachte in einem Kasino spielt man gegen das Haus" Ihre Frage brachte nichts als ein spöttisches Grunzen von Dideldum und ein nahezu beschämtes Kopfschütteln von Dideldei hervor. "Nicht mehr. Es haben sich Dinge geändert..." "...drastisch, könnte man sagen..." "...und nun hat das Haus keine Zeit mehr gegen jeden zu spielen. Nur noch wenig Zeit, in der Tat" Dideldum und Dideldei schauten zeitgleich auf die goldenen Uhren an ihren feisten Handgelenken. "Du musst nun gehen. Wir haben nicht die Zeit hier mit dir zu reden..." "...und können sie uns auch nicht nehmen..." "...aber du wirst sicherlich verstehen wenn du erstmal drin bist" Daran zweifelte das Mädchen nicht, dennoch hätte sie noch gerne mehr erfahren. Doch es schien tatsächlich so als würden Dideldum und Dideldei nicht weiter reden wollen, stattdessen wandten sie sich einander zu und zupften sich gegenseitig die Anzüge gerade. Sobald die beiden Anzüge tadellos saßen, was erstaunlich bei solch unförmigen Leibern war, wandten sie sich wieder dem Mädchen zu und hoben ihre Hände über zwei für das Mädchen nicht sichtbare Knöpfe. "Halt dich gut fest..." "...und lass los..." "...aber was das wichtigste ist..." Damit drückten sie auf die Knöpfe, woraufhin sich unter dem Mädchen der Boden auftat. Sie kam nicht einmal mehr dazu zu schreien, sie riss nur die Arme in die Höhe und stürzte in die bodenlose Tiefe. "...hüte dich vor dem weißen Kaninchen!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)