kyoosha - the answer to his questions von ivy-company ================================================================================ Kapitel 2: Re: Fangirl-Verhalten -------------------------------- Es war ein scheiß Morgen. Ich hatte gefühlte zwei Stunden geschlafen, in denen ich auch nicht gerade entspannende Träume gehabt hatte. Einen Becher Kaffee aus dem Kaffeeautomaten um die Ecke in der Hand saß ich im Proberaum und versuchte zumindest noch ein bisschen zu entspannen. Ich war ziemlich früh dran, weil ich absolut keine Lust gehabt hatte weiter zu Hause vor der verdammten Mail zu sitzen und mir den Kopf zu zerbrechen. Hiroto und Saga ging es wohl ähnlich – wenn auch sicher nicht genau wie mir – denn die beiden waren auch viel zu früh dran. Der Blonde klimperte schon eine Weile auf seiner Gitarre herum und Saga schlurfte gerade zur Tür rein. Er schien ziemlich überrascht uns zu sehen. „Wieso seid ihr denn schon hier?“ Als er keine Antwort bekam, wandte er sich an mich und hob mit einem skeptischen Blick eine Augenbraue. „Man Tora, du siehst echt scheiße aus. Was hast du denn die ganze Nacht getrieben?“ „Danke für die Blumen“, kam es grummelnd von mir und ich schenkte Saga einen Todesblick. Hiroto lachte leise. „Hey, entspann dich mal.“ Plötzlich tauchte ein Grinsen auf dem Gesicht unseres Bassisten auf. Er ließ seine Sachen an Ort und Stelle fallen, warf die Tür hinter sich ins Schloss und setzte sich neben mich aufs Sofa. Er grinste weiter. Ich sah ihn skeptisch an. Hirotos Gitarre verstummte und aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie er jetzt auch den Kopf hob. „Was denn??“, fauchte ich leicht gereizt. Ich war heute wirklich nicht auf Spielchen aus. Das war eine scheiß Nacht und je mehr ich darüber nachdachte, desto schlechter gelaunt wurde ich. „Nichts“, flötete Saga und nahm mir meinen Kaffee aus der Hand, um davon zu trinken. Zum Glück verbrannte er sich den Mund, was mich unwillkürlich lachen und ihn fluchen ließ. Geschah ihm ganz recht. Der Bassist drückte mir den Kaffee wieder in die Hand und warf dem Becher einen Todesblick zu, der sich gewaschen hatte. „Selbst Schuld, wenn man seine Bandmitglieder bestiehlt und dazu auch noch ungeduldig ist“, lachte ich meinen Kollegen aus, dessen trotzige Schnute sich sogleich in ein anzügliches Lächeln verwandelte. „Ich steh halt auf stürmisch und heiß.“ Saga schaute mir tief in die Augen und legte seine Hand ungeniert auf meinen Oberschenkel. Äußerlich versuchte ich cool zu bleiben, doch in dem Moment schossen tausend Fragen durch meinen Kopf. Was sollte das? Saga war sich noch nie für eine Anspielung zu schade gewesen, doch das ging über seine typischen Sprüche hinaus. Am meisten überraschte mich jedoch seine Hand. So offensiv wurde er sonst wirklich nicht! „Also wenn das deine Prioritäten sind, darfst du dich auch nicht wundern, wenn du dich mal verbrennst.“ Eigentlich hatte ich meinen Spruch für ziemlich harmlos gehalten, aber ich schien ganz eindeutig einen Nerv getroffen zu haben. Sofort verschwand die Hand von meinem Bein und gesellte sich zu der anderen auf Sagas Schoss. Der Bassist starrte auf seine Hände als hätte er noch nie etwas Spannenderes in seinem Leben gesehen. Ich schluckte. Das war eigenartig. Sehr eigenartig. Auch wenn wir uns eigentlich alle mochten, herrschte innerhalb der PSC oft ein ziemlich harter Tonfall. Eigentlich hatte ich Saga immer für seine schlagfertigen und souveränen Konter bewundert. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Saga jemals einen kleinen Schlagabtausch verloren hatte. Und schon gar nicht gegen mich! Im Nachhinein verstehe ich sein Verhalten und bereue auch meine Aussage. Manchmal verletzt man die Leute, die einem Nahe stehen, ohne wirklich zu registrieren, was für einen Schaden man angestellt hat. „Ist bei dir alles in Ordnung, Saga?“, fragte ich meinen Freund schüchtern und legte ihm dabei eine Hand auf die Schulter. Als sich ein fieses Grinsen auf den Lippen des Bassisten bildete, bereute ich meine Geste schon wieder. „Macht sich da etwa jemand Sorgen um mich? Wie süß! Du hast ja einen richtigen Beschützerinstinkt, Tora. Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Echt sexy.“ Die Hand, die ich ihm eigentlich besorgt auf die Schulter gelegt hatte, holte zum Schlag aus, aber Saga wich ihr aus, indem er breit grinsend aufsprang. Ich schüttelte nur den Kopf über sein Verhalten und verdrehte die Augen. Hiroto grinste mich schulterzuckend an und entlockte seiner Gitarre dann wieder ein paar altbekannte Klänge. Ich war unkonzentriert. Die ganze Probe über. Ich weiß nicht genau, ob die anderen es alle bemerkt hatten, aber für mich war jede Sekunde der Probe anstrengender gewesen als normalerweise. Immer musste ich darüber nachdenken, von wem die Mails kamen. Oder eher, ob wieder eine in meinem Postfach war. Mein Handy steckte in meiner Hosentasche und ich hatte in kurzen Unterbrechungen ein- oder zweimal nachgesehen, aber nichts. In einer Kaffeepause legte ich es dann endlich und ziemlich genervt zu meinem anderen Zeug neben das Sofa, weil ich keine Lust hatte, jede Sekunde durch das Ding an die kleine Stalkerin erinnert zu werden. Ich hatte zu arbeiten!! _____ „Hab ich dich vorhin so sehr abgelenkt?“, grinste mich Saga von der Seite her an, als wir mit der Bahn nach Hause fuhren. Saga und ich mussten zumindest ein Stück weit in dieselbe Richtung. Und natürlich hatte er es bemerkt. Wär ja auch zu schön gewesen, wenn er es einfach mal übersehen hätte. Ich verdrehte wieder einmal die Augen und schüttelte nur den Kopf. „Dann vielleicht… Irgendein anderer Kerl?“, flötete er weiter und ich sah mich erschrocken um. Wir standen ziemlich eng aneinander, weil es um diese Uhrzeit voll in der Bahn war, aber anscheinend schenkte uns niemand seine Aufmerksamkeit. „Saga!“, zischte ich trotzdem. Nicht das Thema schon wieder. „Was denn? So oft wie du auf dein Handy geguckt hast…“ Ein Lachen seinerseits. „Sag mal…“, fing ich an, seinen Kommentar einfach mal ignorierend. Nicht nur, um das Thema zu wechseln. „Wurdest du eigentlich schon mal gehackt?“ Das Grinsen meines Gegenübers verschwand und stattdessen zog er eine Augenbraue hoch. „Wieso fragst du?“ „So halt. Also?“ „Ich habe mal ein paar ziemlich lästige Anrufe auf meine private Handynummer bekommen. Wie sich aber dann herausgestellt hat, hatte Kai nur mal wieder sein Handy verloren und ein neugieriger Fan hat damit ein bisschen herumgespielt. Nachdem Kai einen Anschiss, ich eine neue Handynummer und der Fan wahrscheinlich einer Gehirnwäsche bekommen hat, war alles wieder in Ordnung.“ Ich nickte. Diese Option hatte ich noch gar nicht in Betracht gezogen gehabt! Und dabei verlor Kai so oft seine Sachen. Darauf musste ich unbedingt Reita bei nächster Gelegenheit ansprechen. „Und was mein E-Mail Postfach angeht“, fuhr Saga weiter, „also damit hatte ich noch nie Probleme. Wie sollte auch jemand auf unsere Adressen kommen? Ich habe ja selbst fast ein Jahr lang gebraucht, um sie mir endlich merken zu können! Da müsste dann schon ein Profi-Hacker am Werk sein!“ Plötzlich stellte ich mir meine Stalkerin als ein kleines Otaku-Mädchen vor, welches den ganzen Tag nur vor seinem Computer saß. Eine Vorstellung, die ich irgendwie niedlich fand und mich schmunzeln ließ. Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Saga richtete, musste ich aber einsehen, dass meine Reaktion wohl eine falsche war. Auf dem Gesicht des Bassisten spiegelte sich nämlich eine gewisse Besorgnis wieder. „Dein Mail-Account wurde doch nicht gehackt, oder?“, hakte er sofort nach. „Falls das nämlich der Fall sein sollte, solltest du sofort dem Management Bescheid sagen. Die lassen den Hacker ausfindig machen, sodass er dich nicht mehr belästigt.“ Ich schluckte. „Hacker ausfindig machen“? Das hörte sich für mich ziemlich nach Polizeieinsatz und Anwälten an. Das wollte ich dem Mädchen wirklich nicht antun! Sie war doch nur ein kleines Fangirl! Also wählte ich den einzig richtigen Ausweg aus diesem Gespräch: Lügen. „Unsinn! Ich wurde doch nicht gehackt und bekomme jetzt auch keine eigenartigen Mails oder so! Ich wollte es nur mal wissen. Interessehalber! Small-Talk halt!“ Ich lächelte meinen Kollegen dümmlich an, welcher sich davon aber kein Stück beindrucken ließ. Wieso sollte er auch. Schließlich bin ich der schlechteste Lügner aller Zeiten. „Du weißt schon, dass Stalker etwas sehr gefährliches sein können? Egal, wie schmeichelnd einem die Extra-Aufmerksamkeit anfangs vorkommen kann“, erklärte mir Saga ernst. Ich rollte leicht die Augen. „Sexy-Saga“ war mir irgendwie lieber als „Mama-Saga“. Mein Gegenüber warf mir aber nur einen tadelnden Blick zu. „Extra-Aufmerksamkeit.“ Ich winkte ab und versuchte auf andere Weise die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. „Als ob ich die nötig hätte!“ „Also“, begann Saga und ich bemerkte, wie sich in mir ein Triumph-Gefühl breitmachte. Er stieg darauf ein. Zumindest ließ das überhebliche Lächeln darauf schließen, das sich gerade auf seine Lippen gelegt hatte. „Wenn wir meine Anzahl von Fanbriefen mal mit deiner vergleicht… Da würde ich vielleicht auch über jeden Fan mehr froh sein. Auch wenns ein Stalker ist!“ Ich war kurz davor zu protestieren, dass ich keinen Stalker hatte! Aber dann wäre meine ganze Taktik von dem Thema abzulenken wieder im Eimer. Also, den Protest runterschlucken und weiter! „Du hast keine Ahnung wie viele Mails ich krieg!“ „Das hätt ich jetzt auch gesagt.“ Weiter kamen wir nicht und ich war auch ganz froh darüber, dass ich ausstiegen musste. Hoffentlich dachte Saga nicht weiter darüber nach. Und hoffentlich erzählte er niemandem davon! Ausfindig machen. Das klang wie in einem Krimi. Und mein Leben war schließlich kein Krimi. Mit schnellen Schritten machte ich mich auf den Weg von der Haltestelle nach Hause. Ich spürte das Handy in meiner Hosentasche. Ich hatte seit der letzten Pause nicht mehr draufgeguckt. Den Ton für Textmitteilungen hatte ich ausgestellt und wenn jemand etwas Wichtiges wollte, würde er mich anrufen. Zu Hause fiel mein Blick sofort auf den Laptop im Wohnzimmer. Eigentlich war ich ziemlich geschafft und wollte einfach nur baden, vielleicht noch kurz was essen und dann schlafen gehen, so wie eigentlich immer, wenn es ein anstrengender Tag gewesen war. Ich zwang mich meinen Blick von dem Gerät zu lösen, warf mein Handy auf die Couch und ging dann ins Bad. Es war schon immer so gewesen. Zuerst baden, dann alles andere machen. Wieso sollte es heute anders sein? Meine Mails konnte ich später auch noch checken. Wie zu erwarten war, konnte ich mein Bad nicht vollends genießen. Sonst sorgte das heiße Wasser auf meinem, von der Probe völlig verspannten, Körper immer für Entspannung. Die Leute vergaßen es gerne, doch Musiker zu sein war auch eine Art handwerklicher Beruf und am Ende eines langen Arbeitstages war nicht nur der Geist vom vielen Umkomponieren, sondern auch seine weltliche Hülle aufgebraucht. Da konnte ein langes, entspannendes Bad schon Wunder wirken. Doch nicht an diesem Abend. Zwar schaffte ich es, die Gedanken zur Arbeit beiseite zu schieben, aber ich musste zugeben, dass diese mich schon seit der Heimfahrt mit Saga nicht mehr interessierten. Anstatt der ersehnten Entspannung wurde ich nur unruhig. Ich seufzte tief und ließ meine Gedanken wandern. Vielleicht konnte wenigstens mein Körper etwas Erholung finden, während mein Kopf sich mit der entschiedenen Frage beschäftigte: Hat das Fangirl mir wieder geschrieben? Und wenn ja, was? War sie in der Zwischenzeit noch wütender geworden und erwarteten mich weitere Beschuldigungen? Oder war sie wieder das süße Mädchen aus den ersten Mails? Vielleicht entschuldigte sie sich ja sogar für ihren kleinen Wutausbruch. Oder sie hatte gar nicht geschrieben. Ich plätscherte mit meinen Fingern leicht auf der Wasseroberfläche, während ich die letzte Option sinken ließ. Und dann? Was passierte, wenn sie nicht geschrieben hatte? Ich kannte die logische Antwort darauf: Gut. Weil das bedeutete, dass sie vielleicht aufgegeben hatte, was zum Resultat hätte, dass doch keiner der von Saga beschriebenen Psycho-Stalkerinnen hinter mir her war. Gut. Ich stieg aus dem Wasser, trocknete mich schnell ab und zog mir bequeme Sachen an, nur um schnurstracks ins Wohnzimmer zurückzukehren. Schließlich musste ich mein Handy checken. Es könnte ja sein, dass mich jemand angerufen hatte, während ich im Bad gewesen war und ich es nicht gehört hatte. Am Ende hatte Saga wegen meines „Stalker-Problems“ doch den Manager eingeschaltet. Oder Reita hatte angerufen. Der Blonde konnte echt sauer werden, wenn er das Gefühl hatte, man ignoriere ihn. Oder Nao hatte wegen der Band angerufen! Oder meine Eltern! Ich war also dazu verpflichtet auf mein Handy zu sehen! Drei neue Nachrichten. Und so ziemlich alle meine Vermutungen hatten sich bestätigt. Meine Eltern hatten mich zwar nicht angerufen, dafür aber Nao. Und Reita hatte mir eine Nachricht geschrieben. Genau wie die Stalkerin. Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken an meinen Bandleader oder meinen besten Freund. Darum konnte ich mich später kümmern. Die liefen mir ja nicht weg. Stattdessen öffnete ich die Mail der Stalkerin. Es waren nicht viele Zeilen, die dort auf meinem Display erschienen und ich merkte schon dadurch die leichte Enttäuschung, die sich in mir ausbreitete. Die schob sich allerdings eher in den Hintergrund, als ich dann tatsächlich diese Zeilen las. Als erstes bekam ich Panik. Dann dachte ich an Saga. Dachte daran, wie mir dieser geraten hatte, das Management zu informieren. Dass Stalker gefährlich waren und man sie loswerden musste. Vor allem, wenn sie die private Mailadresse hatten. Man musste versuchen ihnen aus dem Weg zu gehen. Das Beste war wahrscheinlich, ihnen gar keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken und sie möglicherweise in dem Glauben zu lassen, dass ihre Mails nie angekommen waren. All das schoss mir durch den Kopf, als ich auf „antworten“ klickte. ______________________________ Betreff: Re: Fangirl-Verhalten Tut mir leid. Ich hab mich verhalten wie ein kleines, dummes Fangirl. Kommt nicht wieder vor. Du hast ab jetzt deine Ruhe vor mir. Ich schreib nicht mehr.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)