Halbwahrheiten von Nimsaj ================================================================================ Alice - Kapitel 1 ----------------- Kapitel 1 Missmutig hob Kid den Kopf und ignorierte den kalten Wind, welcher durch die Straße fegte. Anmutige Häuserfassaden erhoben sich zu seinen beiden Seiten und verwiesen damit auf den einzig möglichen Weg: die Straße mit ihrem groben Kopfsteinpflaster. Fast schien es, als würde der Tod selbst ihm aus seinem Schlund heraus seinen Atem ins Gesicht hauchen, so unbarmherzig frostig peitschte der Wind. Nichts als schlechte Märchen. Grummelnd setzte Kid sich in Bewegung, immer der Straße entlang, hinein in die Stadt, den Wald vor ihren Toren verlassend. Es war kein Wunder, dass man Kindern Schauergeschichten über solch eine Stadt erzählte, wenn sie von keiner einzigen Straße aus zu erreichen war und mitten in diesem düsteren Wald lag. Fast hätte man also annehmen können, dass die Stadt Himmelreich gar nicht existieren würde, tatsächlich nur eine Erzählung war. Doch eben weil auch so auffällig viele Erwachsene, eigentlich ja vernünftige Menschen, an diese Geschichte glaubten, war die tatsächlich existierende Stadt nicht bewohnt, sondern vollkommen verlassen. Kid schnaubte verächtlich. Er war kein Priester, kein Dämonentöter. Niemals würde er etwas hinterherlaufen, was gar nicht existent war. Als kleines Kind glaubte man natürlich den Worten, welche man den ganzen Tag auf der Straße aufschnappte. Man ließ sich von alten, strickenden Frauen Märchen erzählen und sah daraufhin tatsächlich das Übernatürliche. Doch als Kind lebte man auch nicht in der wirklichen Welt, sondern eben in seiner eigenen. In einer, in der selbst die schlechteste Lüge Wahrheit werden konnte. Doch wenn man erst einmal diese Welt verlassen hatte und erwachsen geworden war, dann sah man so etwas auch nicht mehr, sah nur mehr die Wirklichkeit. Und in dieser gab es weder Geister, noch Dämonen, noch Monster. Aber Schätze gab es, so viele Schätze. Versteckt in angeblich verwunschenen Burgen, tiefen Höhlen oder auf dem Grund eines Sees, bedeckt von Schlamm und Algen. Und eben solche Schätze jagte Kid, keine Geister oder Dämonen oder sonstige Schauermärchen. Nur hartes, glänzendes, klimperndes Gold. Nichts fühlte sich besser zwischen den Fingern an, nichts klang lieblicher als ein praller Beutel Münzen. Doch solche Schätze waren rar geworden, verloren mit ihren Schatzkarten oder gefunden, wenn sie nicht gar erfunden waren. Und so war das Leben als Schatzsucher schwieriger geworden und man musste sich selbst in Dienst stellen, um andere Leute Schätze zu finden. Uralte Violinen, Siegelringe, kleine Handspiegel, kaputte Spieluhren, die Schreibfeder im vertrockneten Tintenfass. Wo die Adeligen das Gold der üblichen Schatze schon besaßen, suchten sie nach Zerstreuung, glaubten an Mythen und Legenden und beauftragten Schatzsucher wie ihn nach solchen magischen Artefakten, wie sie selbst zu säuseln pflegten, suchen zu lassen. Eine lästige, aber lukrative Arbeit, welcher Kid nachging, hatte er keine genauen Anhaltspunkte auf einen Schatz. Und es war auch nicht der Reichtum, den er suchte, nicht die Macht, welche er sich mit eben dem Reichtum hätte kaufen können, kein Ruhm, welcher ihn trieb die Schätze zu finden und welchen er ernten würde, mit jedem neuen Fund erntete. Jeder Schatz war ein neues Abenteuer, brachte ihm pure Freude und beschenkte ihn mit mehr als Reichtum, Macht und Ruhm. Freiheit. Nichts wog mehr in der Welt, in der das Volk in Ketten lag und abhängig war von seinen Königen, Fürsten und Priestern. Freiheit von all dem, Unabhängigkeit, die Möglichkeit hinzugehen, wohin man wollte, Träumen hinterher zu jagen. Umso mehr hasste er es sich vor den Fürsten zu verbeugen, welche ihn riefen ließen um wertlosen Schund suchen zu lassen. Doch tat er es trotzdem, nicht des Geldes wegen, sicher, es lebte sich leichter mit ein paar Münzen in der Hand, doch hätte er es auch ohne diese Aufträge geschafft zu überleben. Nein, der Grund war viel mehr, dass er dadurch Orte besuchte, an denen sich eventuell mehr verbergen könnte, als eben das alte Schaukelpferd oder die Robe des angeblichen Vampirsohns. Nicht selten fand man in den Kerkern auch Gold, in kleinen Nischen Schmuck oder hinter Wandteppichen Edelsteine. Und selbst wenn nicht, so hatte Kid dennoch nicht in seinem tiefsten Innersten sich selbst widersprochen, wenn er dem armen adeligen Pack ihr Spielzeug brachte. Denn ebenso wie er, lebten auch sie nur einen Traum, klammerten sich daran und sponnen aus ihm ihr Leben. Und in dieser Hinsicht konnte Kid sie fast schon verstehen, waren Schatzsucher selbst doch vielerorts belächelt, weil die Menschen nicht an verstecktes Gold glaubten. Aber an Geister glaubten sie, glaubten sie alle. Der Dreck auf der Straße knirschte unter Kids Stiefeln, in den Fenstern der Häuser spiegelte sich der kalte graue Himmel. Er musste es nicht sehen, wer so lange schon unter dem bloßen Himmel gelebt hatte wie er, begann den Regen zu riechen und das Gewitter zu spüren. Doch blitzen würde es nicht, lediglich regnen und damit der Stadt und ihrem düsteren Gerüchten alle Ehre machen. Vorsichtig späte Kid durch eines der Fenster, erblickte eine Küche, ordentlich aufgeräumt, als würden ihre Besitzer jeden Moment vom Markt zurückkehren. Er war nicht hier um Monster zu töten oder einen Fluch zu brechen. Er war einzig und allein nur des Schatzes wegen hier. Und eben dieser verbarg sich, wenn er denn existierte, sicherlich nicht hinter dem Fenster eines einfachen Hauses. Diese Stadt war außergewöhnlich prunkvoll aufgebaut, besaß Terrassen und Brücken über anderen Straßen, wie Kid gehört hatte. Verschiedene Höhen, welche die Adeligen von dem gemeinen Volk getrennt hatten und eine Kathedrale, welche bis in die Wolken ragen sollte. Die Erzählungen vermischten sich mit den Märchen und so lag es wie immer an Kid allein sich ein Bild der Lage zu machen. An einer Kreuzung anhaltend blickte er sich um und zog seinen Mantel enger um sich. An dieser Stelle teilte sich der Weg zum ersten Mal in vier weitere Richtungen, zwei große und zwei kleine Straßen, zwei helle und zwei dunkle, zwei in die Stadt hinein und zwei hinaus. Und doch waren sie alles zusammen, denn Kid kannte Labyrinthe. Am Ende kam man doch überall heraus. Ein Baum wuchs in der Mitte des kleinen Platzes, kränklich und knorrig, sicherlich war er schon alt und der Platz um ihn herum errichtet worden. Gar die ganze Stadt um ihn herum errichtet worden. Interessiert umrundete Kid den Baum, musterte ihn von allein Seiten und besah sich von seinem Stamm aus die weiteren Wege. Sein Laub bedeckte teilweise das Pflaster, mischte dumpfes Rot und blasses Gelb in das triste Grau, füllte die Stille mit ihrem trockenen Rascheln. Prüfend musterten die goldenen Augen die Verteilung der Blätter auf dem Boden, eine Straße war fast vollkommen frei von ihnen, sicherlich hatte Wind das Laub hinfort getragen. Fast gegenüber von dieser lag eine der dunklen, kleinen Straßen in das Stadtinnere, welche viel mehr des toten Grüns aufwies, als die anderen Straßen. Ein Lächeln schlich sich auf Kids Züge, als er sich vom Baum abstieß und seinen Weg auf eben dieser Straße weiterhin bestritt. Es machte nichts aus wohin er ging, am Ende kam er immer an, wo er hatte ankommen wollen. Doch solche Wege, entschied er von neuem, als der dem Schlängeln der Gasse folgte, waren selbst schon Teil des Ziels, an welche sie führten. Ein Schatten. Blitzartig wandte Kid sich um, doch da war nichts, eine leere Wand. Forschend starrte er die helle Mauer an, selbst wenn dort ein Mensch stehen würde, ein solcher Schatten wäre nicht möglich gewesen, dafür stand die Sonne vollkommen falsch. Also nur eine Täuschung. Nachdem er sich die Stelle gemerkt hatte wollte er sich gerade wieder umdrehen, um weiter zu gehen, als eine Katze um die Ecke strich und ihn scheinbar verwundert anstarrte. Das magere Tier beobachtete Kid aus großen grünen Augen heraus, während ihr Schwanz interessiert hin und her schwang. Rasch durchwühlte Kid seine Tasche und zog schließlich ein kleines Stück Wurst hervor, welches er der Katze, vor der er in die Knie ging, hinhielt. Katzen waren gute Wegweiser, wenn es darum ging versteckte Räume oder Gänge zu finden, da die angeblichen Hexentiere solche gerne für ihre Verstecke und Jungen nutzen und außerdem schlaue Tiere waren. Das Tier streckte vorsichtig den Kopf und schnupperte aus sicherer Entfernung an dem dargebotenem Stück Fleisch, wandte jedoch dann desinteressiert den Kopf ab und lenkte sich übers Maul, als es über die Schulter blickte und schließlich furchtlos auf ihn zuging, sich an seinem Bein rieb. „Keinen Hunger? Zeigst du mir trotzdem, wo der Schatz versteckt liegt?“, murmelte Kid, ehe er sich die Wurst selbst in den Mund steckte und die Katze streicheln wollte, welche jedoch elegant auswich und ihm entgegen miaute. Der kleinen, mutigen Katze entgegengrinsend, erhob er sich schließlich wieder und beobachtete, wie die Katze sich nun anschickte eben die Straße entlang zu laufen, welche er selbst gewählt hatte. So dem Tier erst folgend und schließlich von ihm verfolgt werdend, betrat er einen größeren Platz, an welchem er auch sogleich fand, was er unter anderem gesucht hatte. Seine Intuition lag nun mal fast immer richtig. Die prachtvolle Kathedrale war tatsächlich so groß wie man sie beschrieben hatte. Aus hellem, grauen Stein errichtet, zierten weiße Wasserspeier das grüne Dach und seine Vorsprünge, während bunte, vollständig intakte Fenster die Wände durchbrachten und einen Hauch Farbe in die Stadt brachten. Interessiert spähte Kid durch das weit offene Tor in die Kirche hinein, konnte jedoch auf den ersten Blick in dem relativ dunklen Gebäude nichts erkennen. Amüsiert bemerkte er die Katze, welche neben seinem Fuß sitzend ebenfalls aufmerksam in die Kirche blickte. Womöglich kannte sie sich dort drinnen aus, ein Grund mehr sie nicht aus den Augen zu lassen. Kid jedoch war fürs erste nicht daran interessiert das Gotteshaus zu betreten, zuerst musste er sich eine Unterkunft suchen, der Himmel drohte selbst durch die dicke Wolkendecke hindurch bereits mit der Nacht. Somit würde er erst morgen mit der tatsächlichen Suche beginnen und jetzt fürs erste nur einige Dinge vermerken und die Stadt etwas kennen lernen, auf der Suche nach einem Nachtlager. Fast schon enttäuscht hörte er das Maunzen der Katze, als er sich wieder von der Kathedrale entfernte und auf eine größere Straße zusteuerte, welche sicherlich irgendwann zu einer Treppe auf die obere Ebene führen würde, welche Kid schon jetzt sehen konnte. Einer zweiten Stadt fast auf Mauern gleich, erhob sich der Teil der ehemaligen adeligen Bevölkerung verteilt in der Stadt, erreichbar durch lange Brücken zwischen einander, welche quer über die übrige Stadt verliefen oder hohe Treppen. Und eben eine solche suchte Kid ebenfalls, da er die obere Etage der Stadt unter allen Umständen ebenfalls untersuchen musste. Wenn schon Gold vergessen worden war, dann dort in den Schränken des Adels. Die Katze weiterhin um seine Füße streichen habend, schritt er durch die Stadt und besah sich die verlassenen Häuser durch die Fenster. Überraschenderweise waren alle Türen verschlossen, alle Fenster zu, sogar heil und ebenfalls die Wohnungen waren ordentlich und aufgeräumt. Was nur hatte einstmals die Menschen hier vertrieben? „Du solltest dich von den Katzen fern halten.“ Fast glaubte Kid sein Herz würde für Schreck vollständig stehen bleiben, doch er irrte. Ganz im Gegensatz dazu schlug es plötzlich im doppelten Takt und riss damit seine Gedanken mit sich, welche zu rasen begannen, als er die Stimme vernahm. Und erst dann den Mann erblickte, welcher nur einige Meter vor Kid mitten auf der Straße stand, als wäre er dort von jetzt auf gleich aus dem Boden gewachsen. Kid hätte schwören können, keine Sekunde zuvor war er da nicht gestanden. Die Augen verengend musterte er den plötzlich erschienenen Fremden und das seltsame Lächeln, welches auf seinen Lippen lag. „Wer bist du?“, lautete deshalb die erste Frage. Kid konnte nicht umhin zuzugeben, dass er vollkommen überrascht war, schließlich hatte man ihm ewig mit einer vollkommen menschenleeren Stadt in den Ohren gelegen. Wer war dieser Mann also? Ebenfalls ein Schatzsucher oder vielleicht einer der Dämonentöter? Kid erschien letzteres unwahrscheinlicher, da der Mann lediglich einen Spazierstock in der Hand hielt, jedoch keine Waffe bei sich hatte, zumindest keine ersichtliche. Außerdem trug der Mann keinerlei Gepäck mit sich herum, was hieß, dass er entweder hier lebte oder aber seine Sachen in einem Unterschlupf versteckt hatte, wie Kid es selbst getan hätte. Der Fremde stelle den bis eben nur in der Hand getragenen Spazierstock mit einem deutlichen Geräusch senkrecht auf den Boden und hielt noch immer das Lächeln aufrecht. „Wie unhöflich, zuerst sollte doch eine eigene Vorstellung folgen, bevor man solche Fragen stellt.“ Fast glaubte Kid einen diabolischen Hauch in der Stimme zu vernehmen. Scheinbar war er nicht gerne gesehen, was wiederum auf beide Möglichkeiten der Identität des Mannes hindeuten konnte. „Gestellte Fragen sollten ebenfalls erst beantwortet werden, bevor man eigene Forderungen stellt.“ Der Fremde tippe sich mit dem Finger fast schon spottend anerkennend gegen die Krempe seines schwarzen Zylinders, bevor er ansetzte seine Stimme erneut zu erheben. „Wir werden sehen, ob in dieser Stadt Fragen über Forderungen gehen. Mein Name ist Law Trafalgar. Und wie ich bereits zu deinen Gunsten bemerkte, solltest du dich von den Katzen fern halten.“ „Ich heiße Eustass.“, antwortete Kid, doch zu seiner Verwunderung schien er die Aufmerksamkeit seines Gegenübers verloren zuhaben. Stattdessen war der Blick der dunklen, blauen Augen neben ihn gefallen, wo er nach einem raschen Blick die Katze vorfand, welche ebenso den Fremden anstarrte. Noch viel mehr stieg sein Misstrauen, als die Katze leise miaute, dann jedoch lauter wurde, schließlich einen beeindruckenden Buckel machte und mit einem Satz fauchend einen halben Meter auf den Fremden zusprang, alle Haare zu Berge stehend. Dann jedoch legte sich ihr Fell und sie wandte sich um als sei nichts gewesen, um zwischen zwei Häusern zu verschwinden. „Es freut mich nicht Sie kennen zu lernen, Herr Eustass. Und Sie werden noch feststellen, dass es Sie genauso wenig freut, mich kennen gelernt zu haben.“, gewann der Fremde namens Trafalgar Kids Aufmerksamkeit zurück. Dieser verengte augenblicklich die Augen. „Dafür brauche ich keinerlei Bedenkzeit. Wer bist du?“ „Ich dachte, das hätte ich schon gesagt. Doch vielleicht sollten wir hineingehen, es scheint bald zu regnen zu beginnen.“ Trafalgar drehte sich halb und wies mit der Hand hinter sich, wo Kid nun eine Treppe erkennen konnte, welche eindeutig in die obere Etage führte. „Ich will ja nicht, dass du dich erkältest.“ Das Lächeln wandte sich ins süffisante, während Kid erneut den seltsamen Wechsel vom Sie zum Du bemerkte. Dieser Mann war deutlich seltsam und sollte von Kid besser nicht zu lange aus den Augen gelassen werden. „Kommst du, Eustass?“ Misstrauisch musterte er den Fremden nochmals eindringlich, ehe er sich in Bewegung setzte und dem Mann folgte, welcher bereits vorgegangen war. Tatsächlich steuerte Trafalgar auf die aufwendige Treppe zu, schien sich scheinbar hier auszukennen. Auch war allein die Art wie er gekleidet war viel zu elegant um auf einen Reisenden schließen zu lassen. Viel mehr war er typisch adelig gekleidet, wenngleich mit einem Reisemantel, wie es schien. „Hast du schon die Kathedrale von Innen gesehen?“, fragte Trafalgar auf einmal im Plauderton und ohne sich auch nur ansatzweise zu ihm umgedreht zu haben. „Nein.“ Scheinbar überrascht blieb Trafalgar plötzlich stehen und warf ihm einen Blick über die Schulter zu. „Wirklich nicht?“ „Nein. Warum fragst du?“ Ein amüsiertes Lachen hallte durch die leere Straße, ehe Trafalgar sich vollständig zu ihm umdrehte. Den Spazierstock drehte er locker in der Hand. „Dann ist es vielleicht noch nicht zu spät. Ich dachte wirklich, die Katzen hätten dich schon in ihr Nest gelockt.“ Irritiert starrte Kid dem Zylinderträger entgegen. Aus dessen Worten wurde er einfach nicht schlau, verstand nicht, was Trafalgar ihm sagen wollte. Offenbar hatte er ein Problem mit den Katzen in der Stadt. „Was ist denn in der Kathedrale?“ Die Katzen waren Kid vollkommen egal, sollte der Kerl seinen kleinen Krieg gegen das Katzengetier führen. Viel interessanter war die Anspielung auf die Kathedrale, von der Trafalgar offenbar nicht wollte, dass man sie betrat. War dort etwas versteckt, was nicht gefunden werden sollte, womöglich sogar der gesuchte Schatz? „Nicht hier auf der Straße, komm mit.“ Und tatsächlich blieb Trafalgar den gesamten weiteren Weg stumm, ignorierte geflissentlich sämtliche Fragen, die Kid ihm stellte und schien auch sonst keinerlei Notiz mehr von ihm zu nehmen. So sah sich Kid gezwungen fürs erste nur die Umgebung zu mustern und die obere Etage, welche sie betreten hatten, zu begutachten. Tatsächlich sah man den Gebäuden hier deutlich an, welche Sorte Mensch einmal in ihnen gelebt hatte. Aufwendige Fenster und Balkonkonstruktionen, welche das gemeine Volk nur träumen ließen, Gärten, welche wunderlicherweise selbst jetzt noch als solche erkennbar waren, Springbrunnen, schmiedeeiserne Zäune. Kid bezweifelte, das außer den Adeligen jemals ein Mensch diesen Stadtteil zu Gesicht bekommen hatte, sicherlich war die Treppe mit Wachen gesichert gewesen um den Pöbel zu ihren Füßen zu halten. Da, wo die Adeligen ihre Untertanen am liebsten sahen. Vor einem der imposanten Gebäude hielt Trafalgar kurz, um das schwere Tor zu öffnen. Interessiert musterte Kid das Haus genauer, konnte jedoch keine Besonderheiten zu den sonstigen Häusern feststellen. Das gleiche Tor, der gleiche Kiesweg, die gleiche Tür, welche sogleich von dem Schwarzhaarigen geöffnet würde, welcher mit einer einladenden Geste ins Innere des Hauses wies. „Geh du vor.“, war jedoch der einzige Kommentar seitens Kid zu dieser eigentlich höflichen Geste. Ein Lächeln, gepaart mit einem minimalen Kopfschütteln erschien auf dem Gesicht Trafalgars, eher er der Aufforderung Folge leistete. Das Innere des Hauses war ebenso prunkvoll, wie schon seine Fassade, doch sah man hier die Jahre deutlicher. Staub, hauchfein, bedeckte alles. Ebenso waren die Fenster, nun gegen das Licht betrachtet schmutzig und trüb, während in jeder Ecke ein Schatten lag und den eigentlich früher sicherlich hellen Raum mit einer beklemmenden Finsternis füllte. Und trotzdem, das alles sollte schon Jahrhunderte alt sein? Kid kamen immer mehr Zweifel. „Setz dich doch, Eustass. Aber pass auf, dass du keine Spinne tötest.“ Erst jetzt registrierte Kid, dass sich Trafalgar bereits auf einem imposanten roten Sessel niedergelassen hatte, den Spazierstock über die Lehnen gelegt und den Zylinder über eine der aufwendigen Schnitzereien an der Ecke der Rückenlehne gehängt. „Lebst du hier?“ „Nun, das ist eine interessante Frage. Ich denke nicht.“ Kid, welcher sich nun ebenfalls auf einen der Sessel am gegenüberliegenden Ende des Raumes niedergelassen hatte, runzelte die Stirn. „Was soll das denn für eine Antwort sein. Entweder du wohnst hier, oder nicht.“ „Ah, ja, hier wohnen tue ich, das stimmt.“ Verständnislosigkeit starrte dem Schwarzhaarigen entgegen, was diesen nur milde lächeln ließ. „Man merkt, dass du Schatzsucher bist. Priester oder Dämonentöter sind nicht so schwer von Begriff.“ Abwehrend hob er die Hände, als Kid ansetzten wollte Konter zu geben. Sein Lächeln erstarb. „Für solchen Unsinn ist keine Zeit. Nicht für dich. Hör mir einfach nur genau zu. Alles, was du bis jetzt gesehen hast, gehört hast über die Stadt – vergiss es. Es hat keinen Wert, wenn du hier überleben willst.“ „Geht es um die Kathedrale? Was ist darin, das One Piece?“ „Was ist dir wichtiger, dein Leben oder das Gold?“ „Ist das ein ja?“ Trafalgar überschlug die Beine und legte den Spazierstock auf sein Knie, wo er erst leicht hin und her wankte, nur um dann im perfekten Gleichgewicht liegen zu bleiben. „Du glaubst nur an das, was du siehst, nicht wahr?“, fragte er und stützte das Gesicht in seine Hand. „Woran sollte ich sonst glauben? Selbst Gott ist nur eine Ausrede des Klerus um Gold zu kassieren.“ Ein amüsierter Laut füllte das Zimmer. „In dieser Stadt musst du schon an den Teufel glauben, nicht an Gott. Der wird dir hier nichts bringen.“ „Hör auf unverständliches Zeug zu reden! Erkläre dich erst einmal, wer bist du?“ „Ich höre nicht auf Befehle, das habe ich nicht nötig.“ Ungerührt griff Kid nach der Tasche zu seinen Füßen und erhob sich. „Fein, diese Unterhaltung lag sowieso nicht in meinem Interesse. Ich werde mir die Kathedrale ansehen und mir holen, was auch immer du zu verstecken versuchst. Halte dich einfach von mir fern, dann bekommen wir auch keine Schwierigkeiten mit einander.“ Gerade, als Kid sich zum Gegen gewandt hatte, packte ihn eine Hand an der Schulter und ließ ihn wieder herumfahren. „Aber du hast es offenbar nötig auf Befehle zu hören, wie mir scheint. Wenn du in diese Kathedrale gehst, wirst du dein Todesurteil besiegeln. Du hast keine Ahnung von dieser Stadt, Schatzsucher wie du sterben noch in der ersten Nacht, in der sie hier sind, weshalb ich dir rate hier zu schlafen.“ Wütend riss Kid sich los und starrte furchtlos in die plötzlich kalten Augen seines Gegenübers. „Damit du mich im Schlaf töten kannst? Sicherlich nicht.“ „Ich habe dir nur einen Rat gegeben. Mir ist es egal, ob du aus der Tür gehst und dort tot umfällst. Aber ich will keinen unnötigen Ärger und Wirbel, den du mit Sicherheit veranstalten würdest.“, antwortete Trafalgar plötzlich wieder entspannt und schritt scheinbar gedankenverloren durch den Salon. Noch immer aufgebracht folgte Kid ihm mit den Augen, ehe er neben sich einen großen Vorhang bemerkte, der offenbar über ein großes Bild an der Wand gehängt worden war. Kaum hatte er jedoch die Hand aus Neugier danach ausgestreckt, schallte auch schon die Stimme des Hausherrn durch das Zimmer. „Schau nicht in Spiegel!“ Von neuem irritiert warf Kid dem Schwarzhaarigen, welcher nun stehen geblieben war und ihn musterte, einen Blick zu, ehe er den Vorhang mit einem Ruck herunterzog und in den Spiegel sah. Und was er da sah, ließ ihn vor Schreck einen Schritt zurück machen. Denn es war nicht so, dass er dort etwas Besonderes sah, viel eher war es deshalb, weil eben etwas Entscheidendes fehlte. Er selbst. Bevor er jedoch noch einen weiteren Gedanken daran verschwenden oder einen Blick in den Spiegel werfen konnte, stand erneut Trafalgar vor ihm und von neuem ruhte ein Tuch, diesmal ein rotes, über dem Spiegel. „Ich habe doch gesagt, du solltest nicht in Spiegel sehen. In keinen in dieser Stadt.“ Für einen Moment funkelten die beiden Männer sich gegenseitig an, bevor Kid sich von Trafalgar abwandte und die Tür ansteuerte, an welcher er anhielt. „Ich hole mir den Schatz und dann verschwinde ich aus der Stadt. Glaub nicht, dass ich deinen billigen Zaubertricks auch nur einen Funken Furcht zolle.“ Trafalgar jedoch winkte ab, während er zurück in den Salon und damit aus Kids Blickfeld verschwand. „Versuch ruhig aus der Stadt heraus zu kommen. Wenn du damit fertig bist, kannst du hier her zurückkommen, vielleicht kann man dann eher mit dir reden. Aber vergiss eines nicht, trau niemandem in dieser Stadt!“ Ohne eine weitere Antwort fiel die Tür geräuschvoll ins Schloss. Ein Zauberer also, welcher ihn erst von dem vermeintlichen Spuk in der Stadt überzeugen wollte, nur um ihn dann hinterrücks zu meucheln. Kid kannte solche Leute, wenngleich sie selten waren, da es selten einfach war Leuten so große Angst zu machen, dass sie einem Fremden blind vertrauten, erst recht ein Reisender. Wenngleich Kid zugeben musste, dass der Trick mit dem Spiegel im ersten Moment tatsächlich einen kleinen Schreck bei ihm verursacht hatte, so war die Erklärung doch simpel. Bei dem vermeintlichen Spiegel handelte es lediglich um ein Bild, welches genau zeigte, was ihm gegenüber hing. Es war also nicht verwunderlich, dass Trafalgar es sogleich wieder verhängt hatte, ehe man es sich näher besehen und den Schwindel bemerken konnte. Nein, da musste man schon früher aufstehen, um ihn derartig hinters Licht führen zu wollen. Womöglich, überlegte Kid, als er die Treppe zurück in den unteren Teil der Stadt bestieg, waren auch in der Kathedrale ein paar angebliche Hexerein von dem Trickser installiert. Immerhin schien ihm die Kathedrale wichtig zu sein. Was immer dort versteckt war, war sicherlich gut gesichert worden. Im fahlen Abendlicht wirkte die große Kirche noch beeindruckender. Die langen Schatten, welche nun überall lauerten gaben ihr ein fast unzerstörbares Aussehen, was nicht über die majestätische Wirkung hinwegtäuschen konnte. Nun da sich das Licht jedoch angeglichen hatte, war es für Kid leichter möglich in die Kathedrale zu sehen, als er durch den öffnen Torbogen trat, dessen Türen schief in den Angeln hingen. Irgendjemand schien mit großer Kraft die Torflügel aufgestoßen zu haben, wenngleich Kid keinerlei Spuren eines Rammbocks erkennen konnte. Im Inneren der Kirche jedoch war alles weitestgehend unbeschädigt. Feiner Sand und Schmutz knirschten unter Kids Stiefeln, während er den langen Weg zum Altar beschritt, vorbei an schier hunderten Reihen dunkler Holzbänke, die noch eben so dastanden, als warteten sie auf die Rückkehr der Gläubigen. Dumpfes, buntes Licht erhellte durch die großen Fenster die Seiten- und das Hauptschiff, malte leuchtende Bilder auf den polierten Steinboden. Jeder Schritt schien bis in die Unendlichkeit hinein zu hallen, wurde zurückgeworfen und wieder eingefangen und vermittelte den Eindruck von Ruhe und Macht. Die Säulen, welche die Schiffe trennten, waren überaus kunstvoll gestaltet worden, zu Anfang mit Dämonen und Teufeln und je näher man dem Altar kam, desto öfter bedeckten die gefiederten Flügel von Engel den hellen Marmor. Mit leeren Augen folgten sie dem rothaarigen Mann, der ihre ewige Ruhe störte und seit langer Zeit erstmals wieder Fußspuren im feinen Staub hinterließ. Kid stoppe einige Reihen vor dem Altar und musterte den großen Altarraum ausgiebig. Sehr viel mehr, als der Rest der Kathedrale war der Stein der Wände hier kunstvoll zu Engeln und Walküren geschlagen worden, deren feine Hände alle zu der großen Heiligenstatue verwiesen, welche genau im Zentrum des Raumes stand. Kid hatte keine Ahnung, welche Heilige die Statue verkörperte. So gesehen hatte jede Stadt ihren eigenen Schutzpatron, welcher immer irgendwann einmal unter heldenhaften Umständen und mit der Hilfe eines Gottes die Stadt gerettet hatte, vor Menschen oder Monstern war dabei vollkommen unerheblich. Fakt war allein, dass das Gold in den kupfernen Schalen am Tor der Kathedrale sicherlich nicht eben dieser Heiligen zugute gekommen war, sondern den Priestern ein gutes Leben ermöglicht hatte. Die Hände in die Manteltaschen steckend, legte Kid den Kopf in den Nacken und musterte auch die Decke interessiert. Selbst dort war man vor Verherrlichung nicht sicher und so zeigte sich hier ein Himmel voller Sterne und Rosenranken, welche im Schein eines Goldkranzes zu leuchten schienen, welcher sich von der Statue aus weit über die Decke erstreckte und deren feine Strahlen bis in alle Ecken der Schiffe reichten. Sicherlich echtes Gold, doch nur dünn aufgetragen und so schwierig erreichbar, dass Kid sich nicht die Mühe machte sich wegen ein paar Splittern das Genick zu brechen. Den Blick wieder senkend musterte er nun nochmals den Altar eindringlicher, welcher in dieser Hinsicht weitaus interessanter war. An den Ecken des kunstvollen Stück Steins waren kleine Säulen aus einem dunklen, blauen Stein gefertigt worden, welcher mit seinem Rosenmuster das dumpfe Licht in der Halle sehr gut brach und schwach leuchtete. Womöglich Saphir, wenn nicht Tansanit, welcher oft in alten Kirchen zu finden und aus fernen Ländern importiert gewesen war. Alles Gold für ihre Heiligkeit. Ebenfalls war die glatte obere Platte des Altars golden, ebenfalls nur mit dünnem Gold bedeckt, doch weitaus interessanter, als das unerreichbare Edelmetall an der Decke. Am Besten wären jedoch einige goldene Kronleuchter oder zeremonielle Instrumente aus Gold, wobei Kid erst mit einem Magnet ihre Echtheit überprüfen würde. Nicht selten hatte man nur billiges Eisen mit Gold bemalt – und reines Gold würde von einem Magneten nicht angezogen. Eine plötzliche Bewegung im Augenwinkel ließ Kid herumfahren, ehe er vollkommen perplex einen Kopf zwischen den vordersten Bankreihen sich heben sah und große blaue Augen ihm überrascht entgegen blickten. Scheinbar irritiert erhob sich das Mädchen nun gänzlich und späte furchtlos zu ihm herüber. Was nur suchte dieses kleine Mädchen in der Kathedrale, gehörte es zu dem Zauberer? „Wer bist du?“ Missmutig verzog Kid angesichts der dünnen Stimme den Mund. Falls sie Essen haben wollte oder sich an ihn zu hängen gedachte, war sie bei ihm sicherlich an der falschen Adresse, wenn sie ihm nicht gerade die Schatzkammer präsentieren konnte. „Kid. Und wer bis du?“ Das Mädchen kam zwischen den Bankreihen hervor geschlichen und stand nun, fast schon traurig blickend, mit ihrem schmutzigen, jedoch äußerst edlen Kleidchen mitten im Mittelgang. Auch ihre Haare waren durcheinander und wie als hätte sie seine Gedanken gehört, glitten die kleinen Finger durch die schmutzig blonden Haare. „Du darfst hier nicht herkommen. Es ist zu gefährlich.“ Kid runzelte die Stirn. „Was meinst du?“ „Du musst hier weg. Sie kommt und tötet dich sonst.“ Aha, die Tochter des Zauberers also. Ärgerlich verzog Kid das Gesicht. Sie würde also versuchen ihm ebenfalls Angst zu machen und war sicherlich auch dazu zuständig einige Hebel zu betätigen. „Ich habe dem Zauberer schon gesagt, dass ich mich vor seinem billigen Spuk nicht führte. Du musst also hier kein Theater veranstalten.“ Das Mädchen senkte den Blick und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Würde Kid es nicht besser wissen, dann hätte er ihr den traurigen Blick fast abgekauft. „Du darfst nicht hier sein. Du wirst sterben. Aber ich wollte es nicht.“ „Wer bist du denn? Wie heißt du?“ „Alice.“ Überrascht legte Kid den Kopf leicht schräg. Seit er von Himmelreich gehört hatte, hatte man ihn auch immer vor Alice gewarnt. So genau wissen, wer oder was das war, tat man nicht, aber dafür war dieser Name in aller Munde. Alice hieß es, war der Teufel. Oder eine Hexe. Oder ein Fluch. Keiner wusste das. Nur, dass man sterben würde, wenn Alice einen fand. „Du solltest nicht allein in dieser Kirche sitzen, Alice. Hat dir dein Vater befohlen hier zu sein? Der Zauberer?“ Was sollte nur so gruseliges an dem kleinen Mädchen sein? Doch Kid dämmerte, dass Trafalgar wohl selbst dafür zuständig gewesen war, dass der Name dieses Mädchens in aller Munde war. Womöglich hatte er sogar die Gerüchte über den Schatz verbreitet, damit Schatzsucher hier her kamen und er sie plündern könnte. Gab es also gar keinen Schatz? Und selbst wenn, dann musste die Beute Trafalgars, das Hab und Gut seiner früheren Opfer, ja auch irgendwo sein. Und Gold war Gold. „Mein Vater? Nein … meine Mutter wollte mit mir in die Kirche gehen, aber ich wollte das alles nicht. Ich habe Albträume von dem Dämon.“ „Welcher Dämon?“ Das Mädchen schritt langsam auf ihn zu, die kleinen Füße erzeugten kaum ein Geräusch auf dem harten Steinboden. „Du musst hier weg gehen, die Stadt verlassen. Ich kenne dich nicht. Wach für mich auf.“ Wie klein sie war, fiel Kid erst auf, als sie tatsächlich vor ihm stand. Sie konnte kaum älter als fünf Jahre sein und noch dazu entweder verwirrt oder aber geübt darin ihren Text aufzusagen. Sich selbst gut zuredend ging er vor dem Mädchen in die Knie. „Hör mal zu, Alice. Ich bin hier her gekommen, weil es in dieser Stadt einen großen Schatz geben soll. Hast du vielleicht eine Idee, wo der sein könnte?“ Der Blick des Mädchens wurde verzweifelt. „Bitte! Du musst hier weggehen! Gold kann kein Leben ersetzten, du wirst sterben! Bitte!“ Bevor das Mädchen reagieren konnte, hatte Kid sie bereits am Handgelenk gepackt und sich erhoben, Alice hinter sich her ziehend die Tür ansteuernd. „Es gibt also einen Schatz und du weißt wo er ist. Also weiß Trafalgar auch wo er ist und er ist sicherlich irgendwie mit dir verwandt. Vielleicht redet er ja, wenn ich mit dir zu ihm komme. Keine Angst, ich tue dir schon nichts, wenn der Zauberer redet.“ Die Versuche des Mädchens sich zu befreien vollkommen ignorierend durchquerte Kid rasch das Mittelschiff und beglückwünschte sich selbst zu seinem Plan. Selten war es so einfach einen Schatz zu finden. Ihn einfach finden zu lassen. Die Stadt erstrahlte in einem einzigen blutroten Licht, als er aus der Kathedrale trat und am oberen Treppenabsatz kurz hielt. Das Mädchen hatte mittlerweile aufgehört sich gegen ihn zu wehren und war gehorsam hinter ihm hergelaufen, vollkommen schweigend. Über die Schulter warf er ihr einen Blick zu. „Also, du hast die Wahl, entweder du zeigst mir wo der Schatz liegt oder wir gehen Trafalgar besuchen.“ „Trafalgar ist tot.“ Irritiert drehte Kid sich nun gänzlich zu Alice um und musterte das Mädchen, welches auf einmal einen seltsam leeren Blick bekommen hatte und fast schon krankhaft starr in die Luft stierte. Sie war leichenblass und schien mit einem Mal wie weggetreten. Kid konnte nicht umhin plötzlich ein mulmiges Gefühl zu bekommen. Wie aus Reflex ließ er sie los. „Was meinst du mit ‚Trafalgar ist tot’?“ „Er ist tot. Meine Mutter ist tot, alle sind tot, du bist tot, die Stadt ist tot – aber ich lebe.“, sprudelte es mit einer fast beängstigenden Geschwindigkeit aus ihr hervor, ehe sie plötzlich stoppte und leicht schwankend ihren Blick hob, um geradewegs in die goldenen Augen ihres Gegenübers zu blicken. „Pass auf die Wasserspeier auf.“ Und in diesem Moment fiel etwas mit einem ohrenbetäubenden Krachen vom Dach der Kathedrale vor Kids Füße, genau an die Stelle, an der eben noch Alice stand und an deren Stelle sich plötzlich eine Blutlache mit rasender Geschwindigkeit über den gesamten Steinboden ausbreitete und Kid schockiert zurückweichen ließ. Ein Wasserspeier. Einer der großen, steinernen Dämonen war geradewegs vom Dach gestürzt und hatte Alice erschlagen, von der nun nur noch das schier unendliche Blut und die kleine Hand zeugten, welche unter dem Gesteinsbrocken hervorlugte. Die Aufregung ließ Kids Herz rasen, welcher kaum fassen konnte, was gerade geschehen war. Rasch warf er einen Blick nach oben und wich in die Kathedrale zurück, um eventuellen erneuten Objekten zu entgehen, als er ein Geräusch hinter sich, aus der Kathedrale selbst vernahm. Alarmiert drehte er sich um und glaubte vollkommen den Verstand verloren zu haben, als er eben das kleine Mädchen, welches vor keiner Minute vor seinen Augen auf brutalste Art und Weise zerquetscht worden war, auf dem Altar liegend vorfand, wo es, als wäre nie etwas geschehen, vollkommen unversehrt und vor allem plötzlich sauber und ordentlich gekleidet lag. Noch immer starr vor Schreck konnte Kid nur sprachlos dabei zusehen, wie Alice sich aufrichtete und ihm den Kopf zuwandte, die blauen Augen fast schmerzhaft starr auf ihn gerichtet. „Verschwinde aus der Stadt.“ Was sollte das alles, was war hier nur los? War das das Werk des Zauberers? Doch wie sollte so etwas funktionieren? Nicht im Stande adäquat zu reagieren, machte er einige Schritte rückwärts, bis ihm einfiel, dass er womöglich über den Wasserspeier stolpern könnte und deshalb einen Blick hinter sich warf – und nichts vorfand. Kein Blut, kein Wasserspeier, kein totes Mädchen. „Hey du! Ich würde an deiner Stelle besser nicht in die Kathedrale gehen.“ Von der fremden Stimme aufgeschreckt wandte Kid sich zum wiederholten Mal um und erblickte auf dem Platz vor der Kathedrale eine junge Frau, welche eine Hand in die Seite gestemmt hatte und ihn mit schief gelegtem Kopf musterte. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden verließ er das Gebäude und lief eilig die Treppe hinunter, welche zum Platz führte. Niemals hätte er gedacht tatsächlich einmal Dinge zu sehen, welche ihn an seinem rationalen Verstand zweifeln lassen würden. Die Frau musterte ihn mit einem Grinsen im Gesicht. „Hast du Alice schon getroffen? Das passiert immer, wenn sie versucht die Kathedrale zu verlassen, einer der Wasserspeier stürzt sich auf sie und erschlägt sie. Bist du ein Dämonentöter? Dann solltest du wissen, dass es unmöglich ist Alice zu befreien. Ich bin Priesterin und kenne den Fluch, der sie festhält. Ich heiße übrigens Viktoria.“ Die Frau vollkommen ignorierend hastete Kid an ihr vorbei, sie keines weiteren Blickes würdigend. Nie in seinem Leben hatte Kid tatsächlich Angst gehabt. Vielleicht als kleines Kind einmal, aber da wusste man ja ohnehin noch nicht, was wirkliche Gefahr war und was nicht. Doch in diesem Moment spürte er tatsächlich Angst und Furcht, ohne wirklich zu verstehen, woher diese eigentlich kam. Fakt war nur, dass etwas in dieser Stadt nicht stimmte und zwar ganz gewaltig. Es war mehr ein Gefühl als eine Gewissheit, das Kid dazu trieb umgehend die Stadt zu verlassen und später noch mal wieder zu kommen, um eventuell den Schatz zu suchen. Rasch lief er den Weg zurück, welchen er bei seiner Ankunft genommen hatte und konnte nicht verhindern eine Gänsehaut zu bekommen, als eine Katze um die Ecke strich und ihm entgegenmiaute, ihm schließlich folgend, als er sie ignorierend stehen ließ. Seit wann waren Katzen denn so zutraulich? An dem Baum in der Mitte des kleinen Platzes haltend sah Kid sich kurz um, sich plötzlich unsicher, aus welcher Straße genau er gekommen war. Ihm gegenüber befand sich nur eine kleine, dunkle Gasse, an welche er sich nicht erinnern konnte und ihn schlucken ließ, als eine weitere Katze aus eben der Dunkelheit trat und ihm mit schwingendem Schwanz entgegenblickte. Allerdings versuchte er nicht darauf zu achten, als auch diese Katze ihm folgte und er die Gasse betrat. Es war einfach nur absurd, wie lächerlich schnell sein Herz schlug und ihm fast schon in den Ohren widerhallte. Das stetige Miauen der Katzen, deren Zahl nun mit Sicherheit die zwei von eben überstiegen hatte, in den Ohren, schlängelte er sich durch die dunkle Gasse, welche seine Schritte laut widerhallen ließ. Jedoch verstummten sie mit sofortiger Wirkung, als Kid nach dem Ende der Gasse einen kleinen Hinterhof betrat, welchen er zuvor mit Sicherheit noch nie zuvor betreten hatte. Verwirrt sah er sich um, konnte jedoch nur noch mehr Katzen zwischen Holzstapeln und Fässern entdecken, was nicht sonderlich dazu beitrug seine Fassung zu bewahren. Von dem Gefühl geleitet, sich lieber nicht zu lange an einer Stelle aufhalten zu wollen, entschied er über ein niedriges Gatter zu steigen, um den matschigen Garten dahinter zu durchqueren, während die Katzen ihm leichtfüßig über den Zaun und die Dächer hinweg folgten. Was nur stimmte nicht mit den Tieren? Gehetzt durch eine Hecke stolpernd konnte Kid nur knapp verhindern gänzlich den Boden zu begrüßen und verscheuchte fluchend eine graue Katze, welche es allen Ernstes gewagt hatte ihm im schwankenden Zustand auf den Rücken zu springen und damit fast noch zu Fall gebracht hätte. Missmutig warf er den mittlerweile verhassten Tieren einen giftigen Blick zu, ehe er der kleinen Straße, welche er eben betreten hatte folgte und schließlich glaubte nun vollkommen zu spinnen. Er hatte erneut den Kathedralenplatz erreicht und das ironischer Weise sogar aus der entgegen gesetzten Richtung, als aus welcher er ihn verlassen hatte. „Das kann doch jetzt gar nicht wahr sein.“, fluchte er murmelnd vor sich hin. Doch das konnte es wirklich nicht, da er einen wirklich guten Orientierungssinn besaß und nicht ein einziges Mal wirklich die Richtung geändert hatte, sondern einzig geradeaus gelaufen war. Sein Schatten war immer vor ihm geblieben, das wusste er genau und auch jetzt tat er es noch, wie Kid vor sich starrend feststellte. Es war einfach unmöglich. Gab es zwei Kathedralen in der Stadt, zwei exakt identische? Sich zur Ruhe zwingend atmete Kid kurz tief durch, ehe er sich die Kathedrale und die umgebenden Häuser genauer besah. Wirklich sah alles genau gleich aus, selbst den Wasserspeier, welcher gerade eben noch das Mädchen erschlagen haben sollte, konnte er am Dach des Gotteshauses identifizieren. Anscheinend war das der beste Zaubertrick, der Kid jemals begegnet war, da er auf Anhieb keine Erklärung hatte, wie das alles funktionieren sollte. Denn es war ein Zaubertrick, es musste einer sein. Von der Frau, deren Namen Kid bereits vergessen hatte, war keinerlei Spur zu erkennen. Entnervt, jedoch nun wieder etwas an Fassung gewinnend, fuhr er sich kurz durch die wirren roten Strähnen, überlegend, was nun zu tun sei. Fakt war, dass er sich gerade anscheinend auf der gigantischen Bühne Trafalgars bewegte, der mit Sicherheit Jahre damit zugebracht hatte diese Stadt für seine Zwecke zu präparieren. Sollte er also dafür verantwortlich sein, wovon Kid mit wachsendem Unmut ausging, so wäre es fürs erste das Beste den Zauberer aufzusuchen und ihn zur Not dazu zu zwingen mit den Albernheiten aufzuhören und ihm zu zeigen, was er verbergen wollte. Allein schon zum Selbstschutz, da der verdammte Steinklotz auch ihn mit Leichtigkeit hätte töten können. Mittlerweile war Dunkelheit in die Stadt eingezogen und vertrieb damit das letzte rote Licht der Sonne aus den Straßen, deren Verlauf Kid nun folgte um in den Stadtteil der Adeligen zu gelangen und Trafalgar in seinem Anwesen aufzusuchen. Die Luft kühlte schnell ab, sodass der Wind nun weitaus unangenehmer war, als er es schon bei seiner Ankunft gewesen war. Viel mehr beunruhigte ihn jedoch, dass die ihm stetig folgenden Katzen eine gewisse Nervosität in ihm hervorriefen, wann immer er einen ihrer Schatten an eigentlich unmöglichen Stellen an den Häuserfassaden vorbeiziehen sah. Jedoch zwang er sich es zu ignorieren, da es einfach nur lächerlich war vor ein paar Katzentieren in Panik zu geraden, welche ihm höchstens ein paar Kratzer zufügen konnten. Zugegeben, das alles war gut inszeniert, doch jeder Spuk hatte seine hässliche Kehrseite aus kleinen Mechanismen und versteckten Helfern. Und wenn diese einmal ans Tageslicht kam, war Zauberern kein besserer Rat gegeben, als schnellstens die Beine in die Hand zu nehmen. So weit würde Kid es jedoch nicht kommen lassen, da er Trafalgar einige Dinge zu sagen hatte und es überhaupt nicht leiden konnte verarscht zu werden. Der Schwarzhaarige würde sich noch wundern, wohin er sich selbst gezaubert hatte. Nachdem er die leicht zu finden gewesene Treppe bestiegen hatte und bereits die breite Straße entlang schritt, an welcher Trafalgars Anwesen sich befand, bemerkte Kid die Katzen unruhig werden. Die bis eben vollkommen lautlosen Tiere huschten plötzlich zunehmend wild durcheinander und maunzten scheinbar unzufrieden. Bisweilen wagten sie es gar mit ihren Krallen nach seinem Mantel zu schlagen, was Kid immer wieder innehalten und die Tiere versuchen zu verscheuchen ließ, deren Zahl Kid schon seit einiger Zeit nicht mehr überblicken konnte. Jedoch unterließ er Versuche den aufdringlichen Tieren einen Tritt zu verpassen, da Katzen ohnehin erfahrungsgemäß schneller als Menschen waren und er sie außerdem nicht unnötig reizen wollte um noch langsamer voran zu kommen. In dem Moment jedoch, in dem er bereits das Anwesen mit seinem schmiedeeisernen Zaun und den hohen Fenstern erblickte, schienen die Katzen vollkommen in Aufregung zu geraten. Noch bevor er sich, aufgeschreckt von dem plötzlichen Geschrei, hatte umdrehen können, spürte er bereits wie etliche Krallen sich in seinen Rücken bohrten. Ein Stein flog an Kid vorbei, so knapp und so schnell, dass er fast geglaubt hätte, es wäre ein Pfeil gewesen. Mit einem Ruck lösten sich die Katzen von ihm und ließen ihn vorwärts stolpern, ehe er hinter sich blicken konnte. Von dem Stein ausgehend wichen die Katzen immer weiter zurück, die Ohren angelegt und das Fell gesträubt, während sie mit gebleckten Zähnen laut fauchten. Ein weiterer Stein flog an Kid vorbei und scheuchte die Katzen auf, ehe er es erstmals in Erwägung zog nachzusehen, woher die Steine eigentlich kamen. Trafalgar. Breit grinsend hockte er auf dem gemauerten Pfosten des großen Tores, einen Stein immer wieder in die Luft werfend und fangend, ehe auch dieser zielsicher zwischen den Katzen landete und sie auseinander fahren, zurückweichen ließ. Und obwohl das laute Fauchen nun ihm galt, kamen die Tiere nicht näher, sondern zogen sich zurück, widerwillig vielleicht, aber stetig. Ein lautes Donnern ließ Kid, welcher noch immer leicht starr vor Schreck war, zusammenzucken. Überrascht warf er einen Blick in den Himmel, schließlich war er fest davon überzeugt gewesen, es würde nicht anfangen zu Blitzen. Seltsamer Weise war jedoch kein Leuchten am fast schwarzen Himmel zu erkennen gewesen, was Kid noch stutziger machte, als erneut ein Donnern durch die Straßen hallte, gefolgt von einem weiteren. Einem Albtraum gleich musste er feststellen, dass das regelmäßige Donnern näher kam und bereits nach kürzester Zeit den Boden vibrieren ließ. „Ich schätze wir sollten reingehen.“ Kid, der mittlerweile felsenfest davon überzeugt war, dass ihn absolut nichts mehr erschrecken konnte, warf Trafalgar, welcher nun plötzlich neben ihm stand, einen Blick zu. Dieser starrte, noch immer grinsend, zu den Katzen, welche allein durch den Blick zurückwichen. Kids Aufmerksamkeit wurde jedoch wieder von dem Donnern eingefangen, welches mittlerweile beängstigende Ausmaße angenommen hatte und die Erde beben ließ. Selbst die Katzen hielten nun in ihrem Fauchen inne und blickten, die Ohren erst aufgestellt und dann angelegt, über die Schulter, bevor sie mit einem einzigen Huschen im Schatten eines Hauses verschwanden. Immer lauteres Grollen peitschte durch die Straßen, ließ die Fenster klirren, kleine Steinchen wie panisch über die Straße tanzen. Was dann jedoch plötzlich am Ende der Straße erschien, brachte Kids Herz fast zum Stillstand. Mit einem Mal, einer einzigen, geschmeidigen Bewegung, lugte ein Schatten von gigantischen Ausmaßen um die Häuserfassade am Ende der Straße. Lange, dünne, schwarze Arme mit gewaltigen Krallenhänden, welche sich gleich einem heißen Messer in Butter in das Dach des Hauses bohrten, auf welches sich das Monster stützte. Pechschwarz und sicherlich zehnmal so groß wie Kid selbst richtete sich das Wesen erst vollständig auf, bevor es mit geradezu gespenstischer Sanftheit den Kopf drehte und sich gigantische weiße Augen scheinbar direkt auf Kid richteten. Niemals in seinem Leben hatte Kid ernsthaft an Riesen und ihre Geschichten geglaubt. Doch nun in dieser verhexten Stadt stehend, diesem Monstrum entgegenblickend, schien es die letzte mögliche Erklärung. Quälend langsam öffnete der Schatten sein Maul und Kid konnte nur starr vor Schreck mit ansehen, wie etliche lange, scharfe, ebenso schwarze Zähne entblößt wurden und gleich darauf ein unglaubliches Brüllen durch die Straße fegte, begleitet von einem peitschenden Wind gleich Eiswasser. Bevor Kid entscheiden konnte, ob Panik eine geeignete Option wäre, packte ihn Trafalgar, welcher wie die Ruhe selbst dem Monster entgegengelächelt hatte, am Arm und zerrte ihn mit sich. Durch das Tor, durch den Garten, durch die Eingangspforte, in den Salon. Erst als der Schwarzhaarige Kid wieder losließ registrierte dieser was eigentlich passiert war und warf einen alarmierten Blick durch das Fenster. „Ich sagte doch, wir sollten hineingehen. Der Schatten ist es nicht gewohnt lebendes Fleisch auf den Straßen zu finden.“ Noch immer sprachlos sah Kid sich nach Trafalgar um, welcher im Salon umherging und Kerzen entzündete. „Ach und keine Sorge, dieses Haus wird der Schatten nicht anfassen.“, fügte er mit einem milden Blick hinzu und drückte Kid eine der Kerzen in die Hand, bevor er sie entzündete. „Warum?“ „Weil das mein Haus ist.“ Das flackernde Licht warf tanzende Schatten gegen die Wände und die verstaubten Möbel. Und tatsächlich war es nicht nur das, was Kid die Dinge plötzlich in einem anderen Licht sehen ließ. Er kannte Zauberer und ihre Magie, die faulen Tricks hinter den kleinen Kunststücken. Und das waren sie auch. Kleine Tricks, nicht mehr. Gute Zauberer ließen vielleicht auch mal einen Hasen verschwinden, von dem Verschwinden von Jungfrauen hatte Kid nur gehört. Doch selbst die wagemutigsten Lügengeschichten über Hexer waren nichts im Vergleich zu dieser Stadt. Hier konnte es nicht mit rechten Dingen zugehen. Den Griff um die Kerze in seinen Händen festigend, forderte er erneut die Aufmerksamkeit des Schwarzhaarigen. „Was war das da draußen?“ Trafalgar, welcher eben die letzte Kerze in dem pompösen Kerzenleuchter auf der Kommode entzündet hatte, legte nachdenklich das silberne Feuerzeug beiseite, ehe er sich auf seinem Sessel niederließ und auch Kid mit einer Handbewegung gebot sich zu setzten. Das Trommeln von Wassertropfen begann sich in die Stille zu mischen. „Ich denke, man könnte ihn am ehesten als Albtraum bezeichnen.“ „Ein Albtraum?“ „Du hast den Schatten geweckt, also warst du in der Kathedrale, richtig?“ Die Erinnerung an die unglückliche Begegnung mit dem kleinen Mädchen ließ Kid einen nervösen Blick aus dem regennassen Fenster werfen. „Ja, war ich. Und ich habe dort ein Mädchen namens Alice getroffen. Sie ist gestorben, als wir die Kathedrale verlassen haben.“ Seltsamerweise schien Trafalgar diese Neuigkeit nicht sonderlich zu beeindrucken, deutete man die unentwegt gefasst blickenden Augen. „Ja, aber es ist nicht deine Schuld.“ „Ist das Alice?“ Trafalgars Mundwinkel zuckten. „Du meinst die Alice, von der man außerhalb dieser Stadt redet? Das kann man auffassen wie man will. Tatsächlich ist sie Alice aber eben doch nicht ganz in dem Sinne, wie man sie außerhalb der Stadt kennt.“ „Ich habe eine Priesterin vor der Kathedrale getroffen.“, erinnerte Kid sich selbst und legte grübelnd die Stirn in Falten. „Sie sagte, dass Alice von einem Fluch festgehalten werden würde. Aber so etwas gibt es nicht, oder? Ich habe allerdings ihren Namen vergessen.“ Fast schon mitleidig hätte man den Blick nennen können, welcher Kid daraufhin zuteil wurde, bevor der Schwarzhaarige sich herabließ Auskunft zu geben. „Eine Priesterin, hm? In der Stadt ist zurzeit außer dir niemand, aber ich weiß wen du meinst. Sie heißt Viktoria und hat mit einem Fluch nicht ganz Unrecht, wenngleich es wohl nicht die ganze Wahrheit ist. Ich sagte dir ja bereits, dass du niemandem in der Stadt trauen solltest.“ Ein Schnauben war die einzige Antwort Kids, welchem der belehrende und hochmütige Unterton in der Stimme seines Gegenübers ein Dorn im Auge war. „Nun, wenn ich mich recht entsinne schließt ‚niemandem’ dich ein.“ „Oh! Anscheinend bist du doch schlauer, als ich anfangs dachte.“ Ein leises Lachen erfüllte den Raum. „In der Tat, wenn ich von niemandem und damit von jedem rede, so schließt das mich selbst ein. Aber auch mit dieser Erkenntnis bist du nur einen sehr kleinen Schritt vorangekommen bei dem, was dieser Satz dir eigentlich sagen soll.“ Trafalgar erhob sich und lief zu einer Vitrine hinüber, aus welcher er zwei Gläser und eine Flasche Wein zog. Misstrauisch wurde diese Tätigkeit genaustens beäugt und schließlich auch nur mit Skepsis das Glas Rotwein entgegen genommen. „Du bietest mir nicht wirklich Wein an, nachdem du mich aus eigenem Munde vor dir gewarnt hast?“ Trafalgar zuckte mit den Schultern. „Ich sagte lediglich, dass du niemandem in der Stadt trauen solltest. Das heißt nicht, dass dich jeder zu jeder Zeit umbringen will. Wäre das so, wärst du schon lange tot.“ „Meinst du die Katzen?“ Trafalgar schwenkte den Wein in seinem Glas. „Unter anderem auch.“, antwortete er und nahm einen Schluck. Kid jedoch fühlte sich dadurch kein Stück sicherer, er kannte Leute, welche mit ihren Opfern vergifteten Wein tranken, weil sie selbst zuvor bereits das Gegengift eingenommen hatten. „Eben das meine ich. Du hast keinerlei Ahnung wer dein Feind ist. Diese Wahrheit würde deinen Horizont übersteigen.“ Kid knurrte wütend. „Ich würde dir raten deinen eigenen Horizont mit solchen Äußerungen nicht zu übersteigen.“ „Dass Schatzsucher aber auch immer nur mit den Augen denken.“ Fast schon ärgerlich murmelnd erhob sich Trafalgar und stellte sein Glas beiseite bevor er den Salon verließ. In Windeseile war Kid so leise wie möglich aufgesprungen und hatte einem Gedankenblitz nahe beide Gläser vertauscht, in welchen ohnehin noch fast gleich viel war. Noch bevor Trafalgar den Salon wieder betrat hatte sich das Schwappen in beiden Gläsern gelegt. Falls nicht der Wein sondern das Glas vergiftet gewesen war, so würde Trafalgar sein blaues Wunder erleben. Nun interessierter beobachtete er seinen Gegenüber wieder und das große verhängte Bild, welches dieser mitgebracht hatte und nun vor Kid auf den Boden stelle, wo er es mit der Hand aufrecht hielt. „Das ist ein Spiegel. Und da du ohnehin schon in einen geblickt und Alice getroffen hast, macht es das nun auch nicht mehr schlimmer.“ Irritiert, ob nun wieder der gleiche Zaubertrick folgen würde, beobachtete Kid, wie das schwarze Tuch mit einer einzigen, fließenden Bewegung beiseite gezogen wurde und einen polierten, gold gerahmten Spiegel offenbarte, welcher tatsächlich genau das zeigte, was Kid in einem Spiegel erwartete. Sich selbst und seine Umgebung. Penibel durchsuchte er das gesamte Spiegelbild nach einer Anomalie, konnte jedoch, zu seinem Verdruss, nichts dergleichen finden, was ihn ungeduldig werden ließ. Infolge dieser Gefühlsregung begann er eher unterbewusst mit den Fingerkuppen auf die Lehne seines Sessels zu trommeln. Und eben weil es nur unterbewusst war, brauchte Kid erstaunlich lange, um mit einem Schock festzustellen, dass sein Spiegelbild diese Bewegung nicht imitierte. In seiner Handlung ruckartig inne haltend, entglitten ihm die Gesichtszüge, was sein Spiegel-Ich, ganz so, als wäre es schon seit ewigen Zeiten sein Plan gewesen, ebenfalls nicht imitierte, sondern lediglich mit einem gespenstischen, plötzlich erwachenden Grinsen kommentierte. Hilflos musste Kid, welcher im Übrigen damit beschäftigt war sich in seinen Sessel zu drücken um dem Fluchtinstinkt gerecht zu werden, mit ansehen, wie sein Spiegel-Ich sich einfach so erhob und Gott weiß wie, auf ihn zugelaufen kam ohne den Spiegel zu verlassen, bis er so nah war, dass er sich bücken musste um noch durch den Spiegel zu sehen. Die Augen in einer nie da gewesenen Emotion weit aufgerissen starrte Kid sich aus dem Spiegel heraus selbst an und grinste mit einer fast schon wahnsinnigen Leidenschaft. Vollkommen erstarrt konnte Kid nur gebannt auf die Stelle starren, an welcher das Glas des Spiegels von innen beschlug, dort, wo sein Spiegel-Ich den Kopf dich an das Glas hielt und eben dieser eine Hand hob um mit einem eindeutigen Geräusch von innen gegen das Glas zu tippen. Kid hatte den Spiegel zertrümmert, bevor er auch nur die Chance hatte darüber nachzudenken. In blinder Panik, welche ihm sonst so fremd war wie die Wüsten des Südens und die Eismeere des Nordens, hatte er einfach seinem Instinkt nach gehandelt und stand nun, schwer atmend und mit blutender Hand zwischen den Splittern des ehemaligen Spiegels. Trafalgar, welcher eine solche Reaktion wohl erwartet hatte, war rechtzeitig beiseite gesprungen und hatte den Spiegel losgelassen, von dem nun nur noch der edle Rahmen und die messerscharfen Splitter zeugten. Eben diese Splitter starrte Kid nun gebannt an, sich selbst verzerrt darin sehend und sprang zurück, als sein Spiegelbild selbst durch diesen zerstörten Zustand hindurch noch den Kopf schief legte und ihm entgegenwinkte. Zu seiner Erleichterung entschied Trafalgar offenbar, dass es nun genug der Folter sei und breitete das schwarze Stofftuch über den Scherben aus, griff nach seinem Weinglas und setzte sich wieder. „Und? War das nun genug um dein lächerlich beschränktes Weltbild zu zerstören?“ Fassungslos starrte Kid Trafalgar an, welcher nun keineswegs mehr belustigt, sondern viel mehr todernst aussah und ihn damit seltsamer Weise nicht einmal verärgerte. „Was war das?“ „Kein Albtraum. Eher würde man es als den Wahnsinn der Stadt bezeichnen. Auch sich bewegende Schatten und Bilder, ebenso wie das Verhalten des Wassers in der Stadt gehören dazu. Die Katzen, der Schatten und auch Viktoria hingehen sind Albträume, auch wenn es davon keine genaue Definition gibt.“ Während Kid sich mit einem Tuch aus seiner Tasche die Hand notdürftig verbannt, lauschte er den verwirrenden Worten und ließ sich wieder in den Sessel sinken. „Und wozu gehörst du?“, fragte er matt. Die Tatsache, dass diese Stadt tatsächlich verflucht sein sollte, war immer noch zu unbegreiflich, als das Kid es einfach akzeptieren konnte, doch hatte er auch verstanden, dass es bei weitem nicht mehr darum ging, was er selbst dachte. Diese Stadt war verflucht, egal was er sich selbst einreden wollte. „Zu den Albträumen.“ Resignierendes Kopfschütteln folgte. „Alice sagte, dass du tot bist.“ „Da hat sie gar nicht mal so Unrecht, zumindest zum Teil. Ich habe einmal in dieser Stadt gelebt, bin jedoch vor über 200 Jahren gestorben ohne danach tot zu sein.“ „In Ordnung, ich gebe zu, dass diese Stadt nicht normal ist. Aber wenn du doch gestorben bist, musst du auch tot sein! Wo sind denn sonst die anderen Bewohner der Stadt?“ Wortlos streckte Trafalgar die Hand nach Kid aus, welcher im ersten Moment recht verständnislos auf die in der Luft hängenden Finger starrte, bis diese eine eindeutige Geste ausübten näher zu kommen. Doch auch nachdem Kid sich erhoben und auf ihn zugekommen war, wirkte Trafalgar nicht zufrieden damit, sondern wedelte weiterhin mit seiner Hand in der Luft herum. Doch recht unsicher, was dieses Manöver bedeuten sollte, fasste Kid schließlich mit der eigenen Hand nach den fremden Fingern, wie er es zuletzt wohl als Kind getan hatte. Und fühlte dabei nichts als Kälte. Alles durchdringende Kälte gleich Eis, doch viel unbeugsamer als Eis oder Schnee, welches sofort in seinen Händen geschmolzen wäre. Irritiert und doch verstehend ließ Kid rasch von Trafalgar ab, welcher den Kopf in eben diese Hand stützte und relativ abwesend wirkte, bevor sein Gegenüber wieder Platz genommen hatte. „Ich denke, dass sollte Antwort genug sein. Außerdem bin ich nicht der einzige Albtraum in Menschengestalt in dieser Stadt. Du hast nur noch niemand anderen getroffen, weil ich dich zuerst gefunden habe.“ „Und was genau willst du von mir? Hilfst du mir aus der Stadt wieder heraus zu kommen?“ Trafalgar schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Ich bin keine gute Fee, vergiss das nicht. In erster Linie will ich dich genauso umbringen, wie es jeder in dieser Stadt will. Schließlich solltest du niemandem trauen.“ „Ach, eben noch meintest du, du wolltest mich nicht umbringen.“, erwiderte Kid halb ärgerlich, halb spöttisch. Ein Lächeln schlich sich von neuem auf Trafalgars Züge. „Warum sollte ich dir also trauen und nicht so schnell wie möglich wieder aus diesem Haus verschwinden?“ „Erstens, weil du sonst mit sofortiger Wirkung von dem Schatten draußen gefressen werden und selbst wenn nicht heute Nacht mit Sicherheit verbrennen würdest. Und zweitens, weil ich der einzige in der Stadt bin, der dir, abgesehen davon, dass ich dich natürlich töten will, helfen kann hier zu überleben und weil ich absolut der einzige bin, der weiß, wie man aus der Stadt herauskommt.“ Zu seinem eigenen Verdruss musste Kid zugeben, dass Trafalgar doch ziemlich überzeugend klang. Und immerhin sagte er auch offen, dass er auf Mord aus war, sodass Kid nicht an seiner Aufrichtigkeit zweifelte. „Schön und gut. Warum sagst du mir dann nicht einfach, wie man hier herauskommt und ich gehe? Du versprichst dir doch etwas von dieser ganzen Sache, nicht wahr?“ „Da kommt wieder ganz der Schatzsucher in dir hervor. Ja, in der Tat verlange ich eine Gegenleistung für meine Hilfe und es dreht sich dabei nicht um Gold, denn wertloses Gold gibt es in dieser Stadt genug. Was viel schwerer wiegt als Gold, ist Freiheit.“ Fragend runzelte Kid die Stirn. „Die Sache ist ganz einfach. Du selbst wirst nur dann aus dieser Stadt herauskommen, wenn ich dasselbe tue. Ich existierte nun schon hunderte von Jahren in dieser Stadt und sehne mich nach der Freiheit, welche ich in dieser Stadt nicht finden kann. Willst du also Hilfe von mir, so musst du zuerst mir helfen. Das ist der Packt, den ich dir vorschlage.“ Unwillkürlich schluckte Kid, da Trafalgar auf einmal aus seiner schläfrigen Leichtigkeit zu erwachen schien und ihn mit einem unbekannt ernsthaftigen Blick festnagelte. Tatsächlich ging es hier nun nicht mehr nur um unbedeutende Worte und Floskeln. Wenn er auf dieses Angebot einging, so war ihm vollkommen klar, dass dieser Vertrag sehr viel mehr bedeutete, als ein leeres Versprechen zwischen Menschen außerhalb dieser Stadt. Wenn er diesen Vertrag besiegelte, so war es gleich einem Pakt mit dem Teufel, welchen er entweder erfüllte oder mit seinem Leben würde bezahlen müssen. Die Stille im Salon mischte sich mit dem stetigen Prasseln des Regens gegen die hohen Fenster an der Frontseite des Hauses, durch welche mageres Mondlicht fiel und fast gänzlich von dem Feuerschein der Kerzen im Raum gefressen wurde. Die goldenen Augen versuchten die blauen zu durchbohren, festzustellen, ob sie aufrichtig waren, oder ihn betrügen wollten. Doch letztendlich schlossen sich die goldenen Augen, ehe Kid kurz tief durchatmete und die Augen wieder öffnete, nun keinerlei Feindseligkeit mehr ausstrahlend. „Gut, ich bin einverstanden. Schließen wir einen Pakt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)