Dieses eine Mal von NiKaTaru ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Manchmal steht die Welt einfach Kopf. Und wenn man dann nicht schnell herausfindet, wo oben und unten ist, verliert man sich irgendwo dort zwischen. Damals war das Leben wirklich einfach. Man ging wohin man wollte, man nahm sich was man wollte und nicht einen Gedanken verschwendete man daran, was aus denen wurde, denen man es weggenommen hatte. Keine Schuldgefühle quälten einen. Alles schien einfach richtig, so wie es war. Dann war da ihr Lächeln, wie die Strahlen der Sonne. Und plötzlich stand die Welt Kopf. Doch ich will die Geschichte von vorne beginnen, auch wenn ich noch zwischen dem oben und unten schwimme. Geboren wurde ich im Viktorianischen Zeitalter in London, als Sohn eines einfachen Zimmermannes. Ich hatte mich nie der Illusion hingegeben, dass aus mir etwas anderes würde als mein Vater. Meine Mutter war im Kindbett gestorben, als meine Schwester Sophie geboren wurde und unser Vater hat nie wirklich Ahnung von der Kindererziehung gehabt. Immer wieder strolchte ich durch die Straßen Londons und suchte nach dem Abenteuer, welches ich in Alkohol, Gangs und Freudenmädchen zu finden glaubte. Es gehörte für mich, neben der Lehre bei meinem Vater einfach dazu. Das alles änderte sich an einem einzigen Tag. Wieder war ich mit einigen Jungs unterwegs, als plötzlich meine Schwester in der nächtlichen Gasse vor mir stand. „Was willst du hier, Sophie?“ fragte ich sie etwas zu barsch, denn ich war der Meinung kleine Mädchen hatten um die Zeit nichts mehr auf der Straße zu suchen und genau das schlug ich ihr ins Gesicht. Gerade als sie ansetzen wollte und eine Erklärung liefern wollte, was sie in der nächtlichen Straße suchte, stoppte einer der anderen Jungs sie, indem er mich ansprach. „Oh, nun schaff deine Schwester hier weg. Die anderen halten uns noch für Weicheier und Muttersöhnchen, wenn sie uns mit der da sehen.“ Ich war damals jung und dumm, was soll ich dazu sagen? Ich schickte sie Heim. Sie solle sich besser dort verkriechen und erst rauskommen, wenn sie eine richtige Frau wäre, denn nur dann könnte ein richtiger Mann, wie ich, etwas mit ihr anfangen. Sie sollte nie zu einer Frau heranreifen. Noch in derselben Nacht wurde sie von irgendeinem Irren mit einer Kutsche überfahren. Ich erfuhr später, dass sie mir zu meinem Geburtstag etwas bringen wollte, dass sie selbst hergestellt hatte. Ich hätte sie damals heim bringen sollen, ich hätte zu ihr stehen sollen, da sie alles war, was ich hatte. Doch ich gab ihr auch die Schuld am Tod unserer Mutter. Bis heute war mir das alles nie klar gewesen. Denn in derselben Nacht änderte sich noch mein ganzes Leben. Die Frau, bei der ich mich betrank, als ich hörte, dass Sophie gestorben war, bezeichnete sich selbst als Geschöpf der Nacht. Was ich damals für den Kosenamen eines Freudenmädchens gehalten hatte. Als ich eine Nacht später erwachte, war ich tot. Oder besser gesagt untot. Sie hatte mich zu einem der ihren gemacht, einem Geschöpf der Nacht oder im Volksmund auch Vampir. Von ihr lernte ich in den nächsten Jahren alles, was ich als Vampir wissen musste und kostete es bis auf den letzten Tropfen aus. Irgendwann hatte ich es aufgegeben die Leichen zu zählen, die meinen Weg zierten. Die vielen Männer, Frauen und Kinder, die ihr Leben ließen, weil ich es so wollte. Weil es mir Spaß brachte sie zu quälen, ihnen die Zähne in den Hals zu jagen, wenn ihre Liebsten zusahen. Sie bis auf die letzten Tropfen leer zu saugen, um ihnen dann die Chance zur Flucht zu geben, die sie nicht antreten konnten, weil sie zu geschwächt waren. Der sie dennoch ab und an versuchten zu folgen, nur damit ich sie noch einmal Jagen konnte, ehe sie vor Erschöpfung zusammen brachen, um mit der Erkenntnis in ihren Augen zu sterben, dass sie nie eine Chance hatte und ich das Letzte sein würde, dass sie in ihrem erbärmlichen Leben sehen würden. Hundert Jahre und mehr hinterließ ich überall in Europa eine Spur des Blutes hinter mir. Nicht einer der verfluchten Hexenjäger kam je näher an mich heran. Ich hörte von ihnen, doch sehen tat ich keinen, zumindest nicht bewusst. Ein einziges Mal hatte es einer der Jäger geschafft in der gleichen Stadt zu sein wie ich, doch am Ende hatte sich selbst dabei herausgestellt, dass er nur seine Familie besucht hatte. Auch sie zählt seit seiner Abreise damals zu den vielen Opfern meiner blutigen Jahre. *Warum hatte sich eigentlich alles verändert?* kam es mir jetzt in den Sinn, als ich mit dem Rücken auf dem Asphalt der Straße lag und in die Sonne starrte. Erneut schweiften meine Erinnerungen ab. Es war letzte Nacht gewesen, als ich sie entdeckt hatte. Sophie! Sicher, selbst ich weiß, dass sie es nicht wirklich sein konnte, da sie vor beinahe 126 Jahren gestorben war, aber sie war es doch. Ich habe sie nie angesprochen. Ich bin ihr einfach nur nachgegangen. Ich habe auch jetzt noch keine Erklärung dafür, was so ein junges Mädchen um diese Zeit noch auf der Straße gemacht hat, immerhin war Sophie gerade mal 8 Jahre alt. Es war wie bei einer Jagd gewesen. Die Heimlichkeit, die Schatten, die Stille und das beständige tapsen der kleinen Füße auf dem Asphalt. Erst als die Sonne zwischen den Schluchten der Hochhäuser aufging, merkte ich, dass es Zeit war Heim zu gehen. „Mami!“ hörte ich das kleine Mädchen rufen. Voller Freude. Das Tapsen der Füße wurde schneller und die Geräusche der Hauptverkehrsstraße drangen an mein Ohr. Jede der nächsten Sekunden schienen wie in Zeitlupe zu vergehen. „Sophie, nein!“ hörte ich mich rufen, als ich mich wieder zu ihr umwandte. Ich war schon im Flug, als ich merkte, dass ich sie erreicht hatte. Das Auto konnte nicht mehr bremsen können. Es erwischte mich frontal. Und jetzt liege ich hier und verkohle in der Sonne. Langsam aber unaufhaltsam steigt sie den Himmel empor. Ich sterbe, wirklich. Dennoch ist dies der glücklichste Moment in meinem ganzen Dasein. Denn dieses eine Mal, konnte ich sie retten. Liebevoll lächelnd stand das kleine Mädchen vor dem Fremden. Dankbarkeit strahlte aus ihren Augen, als er zu Staub zerfiel und vom Wind davon getragen wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)