Götterdämmerung von 35M3R0D ================================================================================ Kapitel 2: Rom -------------- Ciel POV Die untergehende Sonne tauchte den Hafen in rotes Licht. Eine Welt, die in ihrem eigenen Blut ertrank. Ciel konnte nicht anders als zynisch den Mundwinkel nach oben zu ziehen. Die Zeit für seine Verabredung mit Bull näherte sich und obwohl sich jede Faser seines Körpers vor Abscheu sträubte, wusste er, dass er gehen würde. Es war wieder eine jener Unannehmlichkeiten, die man ertrug, um ans Ziel zu gelangen. Und Ciel war sehr gut darin geworden zu ertragen. Agni trat hinter ihn. „Herr? Wollt Ihr das wirklich tun?“ Ciel gab keine Antwort, stattdessen warf er dem Inder nur einen stummen Blick zu. Die Sonne verschwand langsam endgültig hinter dem Horizont. Er hatte sich vorgenommen, dass er dann aufbrechen würde, wenn ihre letzten Strahlen erloschen waren. „Ihr seid Euch gewiss bewusst, dass dieses Unterfangen nicht ungefährlich ist“ fuhr Agni mit leiser Stimme fort. „Nichts hier in dieser Welt ist ungefährlich, “ entgegnete der Earl sardonisch, „und entgegen dem Sprichwort führt nur ein einziger Weg nach Rom.“ Er blickte hinauf zu Bulls Büro, welches sich in der grossen Halle, eine kleine Treppe hoch, oben auf der Balustrade befand. Ein schummriges, oranges Licht trat durch sein verdrecktes Fenster und markierte nur allzu deutlich wo Ciels Weg hinführen sollte. Agni nickte stumm. Es hatte keinen Sinn dem Earl dieses Unterfangen ausreden zu wollen. Wer war er schon, um das zu tun. Der Earl of Phantomhive hatte sich entschieden, also sollte er seinen Willen kriegen. Er würde gewissenhaft seine Rolle darin spielen. „Dann werde ich das Büro von der gegenüberliegenden Seite aus beobachten. Sollte irgendetwas Unerwartetes geschehen… schreit einfach.“ Ciel beobachtete wie die letzten Sonnenstrahlen noch einmal die asymmetrische Silhouette der Stadt umrahmten und dann endgültig erloschen. Es wurde Nacht. Die Tageszeit perfekt für das, was er vorhatte. Er warf einen letzten abschätzigen Blick nach draussen und setzte sich dann mit gleichmässigem Schritt in Bewegung. „Auf nach Rom“ flüsterte er leise. Angi folgte ihm erst noch, schlug dann aber, nachdem sie etwa die Hälfte der Halle passiert hatten, eine andere Richtung ein. Ohne sich umzudrehen, konnte Ciel hören, wie der Inder sich entfernte. Sein eigener Blick ruhte stattdessen auf der kleinen, hölzernen Treppe, die ins obere Stockwerk führte und immer näher kam. Er war nicht nervös, lediglich ein bisschen angespannt, ob Bull nun wirklich die Informationen bereithalten würde, die sie sich von ihm erhofften. Wenn nicht, würde ihre Tarnung nämlich umsonst auffliegen und das war nichts, woran Ciel unnötig Gedanken verschwenden wollte. Er hatte schon seine Hand an das morsche Geländer gelegt, als ihn plötzlich etwas sacht an der Seite berührte. Erschrocken wirbelte er herum. „Du solltest wirklich auf mich hören und nicht gehen.“ Eine Person trat aus dem Schatten, die sich selbst in dem fahlen Halblicht der Halle schnell als der verlaute Strichjunge vom Nachmittag herausstellte. Ciel warf ihm erst einen bösen Blick zu und erwiderte dann während er bereits schon wieder dabei war sich der Treppe zuzuwenden: „Und ich habe dir gesagt, dass ich weiss, was ich tue.“ Sein erster Fuss war schon auf der Treppenstufe, doch der Junge liess nicht locker und griff stattdessen nach Ciels Oberarm. „Hör auf mich! Du wirst es sonst bereuen!“ Er blickte den wütenden Ciel eindringlich an, „Bull zahlt nicht nur nicht, er hat auch noch eine gewalttätige Ader. Einmal hat er einen Jungen so schlimm zugerichtet, dass er an den Verletzungen gestorben ist. Also geh nicht zu ihm!“ Ciel starrte den Jungen an. Er konnte nicht abschätzen, ob das, was der Strichjunge erzählte nun tatsächlich stimmte; immerhin konnte es sich ja auch bloss um ein böswilliges Gerücht handeln, um die Konkurrenz klein zu halten, trotzdem hatten seine Worte ihre Wirkung nicht ganz verfehlt. Sie hatten Ciel nämlich tatsächlich für einen Moment in Zweifel versetzt, ob sein Plan wirklich gelingen konnte. Trotzdem löste er sich mit einem reichlich vehementen Ruck aus dem Griff des andern und hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu erwidern, doch dieses Mal kam ihm Bull persönlich zuvor. Seine tiefe Stimme dröhnte über die Balustrade und liess beide Jungen gleichsam erschrocken zusammenzucken. „HEY DU DA!“ Er meinte offensichtlich den blonden Strichjungen. Dieser schaute sich auch panisch nach einer Fluchtmöglichkeit um, als wäre er sich bewusst, dass er mit seiner Näherung an Ciel verbotenes Terrain betreten hatte. „Was tust du da?! Verschwinde gefälligst!“ donnerte Bull weiter, doch es war gar nicht mehr nötig den Jungen verscheuchen zu wollen, dieser hatte ganz von allein das Weite gesucht und war noch schneller wieder in den Schatten verschwunden als er aus ihnen hervorgetreten war. Ciel schaute ihm noch für einen Moment nachdenklich nach, richtete dann aber seinen Blick wieder nach oben zu Bull. Dessen Gesicht war wutverzerrt, erst als er bemerkte, dass Ciel ihn ansah, wandelte es sich innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einer entschuldigende Maske. „Ich hoffe, der Junge hat dir keine Flöhe ins Ohr gesetzt. Er ist bloss eifersüchtig. Aber komm doch hoch…“ damit streckte er seine Hand aus. Ciel stieg die Treppe hoch, trotzdem wollte das ungute Gefühl nicht mehr von ihm ablassen. Er wusste, dass er sich gerade in die Höhle des Löwen begab. Kaum war er oben angekommen, legte Bull auch schon überschwänglich seinen Arm um ihn. Ciel musste sich zusammenreissen nicht zu schaudern und legte stattdessen ein gekünsteltes Lächeln auf. „Aber nicht doch. Ich glaube doch so etwas nicht.“ Er schaute Bull direkt an, welcher wohl auch wirklich für einen Moment gefangen von dem Anblick schien. Unbewusst leckte er sich über die Lippen, schüttelte dann aber den Kopf und begann Ciel mit leichtem Nachdruck in Richtung seines Büros zu leiten. „Ich muss sagen, ich bin etwas überrascht, dass du tatsächlich kommst, Junge. Heute Nachmittag schienst du noch so unsicher…“ er zwinkerte Ciel zu und schob ihn dann durch die Tür. Sie fiel hinter ihnen mit einem schweren Klacken ins Schloss. Ciel schluckte einmal unauffällig und bemühte sich dann aber wieder zu lächeln. Er warf einen Blick in den spärlich eingerichteten, verdreckten Raum, bevor er antwortete: „Oh Mister Bull, Sie können manchmal ziemlich furchteinflössend sein. Da musste ich es mir zweimal überlegen, ob ich wirklich kommen soll.“ Bull lachte tief auf, es schien ihm wohl zu gefallen, was er hörte. Trotzdem liess er von Ciel ab und steuerte den einzelnen Holzstuhl an, der an dem kleinen Tisch stand. Er setzte sich darauf und deutete dem Jungen dann mit einer eindeutigen Geste an, dass er sich auf seinen Schoss setzen sollte. Ciel näherte sich ihm zögerlich. Einerseits war es gespielt, Teil der Rolle, die ihn als unschuldigen, verzweifelten Jungen darstellte, andererseits war allein die Vorstellung mit Bull in weiteren Körperkontakt treten zu müssen derart abstossend, dass der junge Earl eine gewisse undefinierte Übelkeit in der Magengegend aufsteigen fühlen konnte. Er überwand die kurze Distanz und setzte sich auf den Schoss des Mannes. Dieser umfasste sofort mit der einen Hand Ciels Hüften und zog ihn dicht zu sich hin, mit der anderen griff er nach einer Glasflasche, die mit irgendeiner gelblich-braunen Flüssigkeit gefühlt war und einen eindeutig alkoholischen Geruch von sich gab. Ciel verzog das Gesicht, während Bull dass Getränk mit grosszügigen Schlucken hinunterstürzte. Dann rieb er sich mit dem Handrücken den Mund ab. „Entschuldige Junge, das mit dem Essen wird wohl nichts. Ich hatte, wie gesagt, nicht wirklich mit deiner werten Gesellschaft gerechnet. Aber du kannst was hiervon haben.“ Er hielt Ciel die Flasche hin, welcher sie auch tatsächlich ergriff. Doch anstatt sie zum Mund zu führen, stellte er sie erstmal auf seinem Oberschenkel ab. Er drehte sich auf Bulls Schoss herum und schaute diesen mit grossen Augen. „Aber Mister Bull, sie haben doch gesagt, wir werden reden. Das können wir doch trotzdem tun, oder?“ Bulls Mundwinkel wanderte in allzu schmieriger Manier nach oben. Er drehte Ciels Gesicht wieder nach vorne und platzierte sein eigenes an der Schulter des Jungen. „Aber natürlich. Worüber möchtest du denn reden?“ Ciel antwortete für einen Moment nichts, meinte dann aber zögerlich: „Vielleicht über die Arbeit. Ich hab mich immer schon gefragt, was eigentlich in diesen Kisten drin ist, die wir den ganzen Tag rumschleppen.“ Hinter sich konnte er fühlen, wie Bull seinen Kopf wieder hob, eine offensichtliche Anspannung schien den Mann plötzlich erfasst zu haben. Ciel fuhr fort: „Die Lagerhalle gehört doch der Funtom Company…“ Er bemühte sich seinem Tonfall einen möglichst kindlichen Klang zu geben, „…ist es dann also vielleicht Spielzeug?“ Bulls Anspannung schien sofort wieder von ihm abzufallen und ein tiefes, grollendes Lachen brach aus ihm heraus. Es war so stark, dass Ciel auf seinem Schoss die Erschütterung davon regelrecht spüren konnte und er sich automatisch an der Flasche in seinen Händen festklammerte. Er warf dem Mann einen irritiert vorwurfvollen Blick zu, als könne er überhaupt nicht verstehen, was an dieser Idee so lustig sein sollte. Bull wischte sich noch eine Träne aus dem Augenwinkel und klopfte Ciel dann tröstend auf den Oberschenkel. „Ach Junge, du bist wirklich goldig.“ Der fragende Blick aus dem grossen blauen Auge war dann wohl genug, um ihn hinzufügen zu lassen: „In den Kisten ist etwas viel besseres als Spielzeug.“ Er zwinkerte Ciel zu und angelte sich dann noch mal die Flasche aus dessen Händen. Nachdem er einen weiteren grossen Schluck daraus genommen hatte, drückte er sie ihm wieder in die Hände und meinte nun mit sehr offenkundiger Alkoholfahne im Atem: „Nimm doch auch einen Schluck, Junge. Es wird dir gut tun nach der ganzen harten Arbeit heute.“ Ciel führte die Flasche nun auch tatsächlich zum Mund, täuschte aber ein Trinken nur vor, indem er seinen Adamsapfel einmal geschickt rauf und runter hüpfen liess. Allerdings war der scheussliche Geschmack des Getränks an seinen Lippen allein schon genug, um ihn sofort angewidert das Gesicht verziehen zu lassen. Ein weiteres schweres Lachen folgte, Bull empfand die Reaktion wohl als durchaus authentisch. Er nahm Ciel die Flasche wieder aus der Hand und stellte sie dieses Mal auf den Tisch. „Ich verrate dir ein kleines Geheimnis, Junge…“ unerwartet plötzlich umschlang er ihn erneut von hinten und drückte ihn fest an sich. Ciel konnte die Stimme des Mannes nun direkt an seinem Ohr hören, weil Bull sein eigenes aufgedunsenes Gesicht an seines presste. „… an den Dingen, die hier dieser Halle lagern, hat nicht nur die Funtom Company Interesse.“ Damit drückte er Ciel einen feuchten Kuss auf, was diesen augenblicklich zurückzucken liess. Er kollidierte mit der Tischkante und bemerkte unter seinem gepeinigten Aufstöhnen erst zu spät, dass der Tisch begonnen hatte, wie in Zeitlupe zur Seite zu kippen. Mit einem lauten Knall und dem noch viel lauteren Geräusch von zersplittertem Glas kamen Tisch und Flasche auf dem Boden auf. Ciel betrachtete mit verzogenem Gesicht das Chaos. Eine drückende Stille hatte sich nach dem ganzen Lärm in dem kleinen Büro breit gemacht. Bull gab ein abschätziges Geräusch von sich, das an ein Grunzen erinnerte und stiess Ciel grob von seinem Schoss herunter. Dieser musste aufpassen nicht in die Scherben zu stolpern und konnte sich gerade noch mit einem kleinen Sprung darüber retten. Hinter ihm hatte sich auch Bull erhoben, sein Gesichtsausdruck wirkte jetzt eindeutig anders. „Argh Junge, warum musstest du das tun? Dabei hatte es so gut angefangen mit uns beiden…“ er starrte auf den Boden. Die Lache des ausgelaufenen Alkohols begann sich mehr und mehr auszubreiten. „Warum musstest du wie all die anderen reagieren?“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten, während er Ciel immer noch nicht angesehen hatte. Dieser machte einen kleinen Schritt zurück. Hier drin war die Luft gerade heisser geworden. Möglicherweise hatte der Strichjunge doch die Wahrheit gesagt. Er warf einen unauffälligen Blick zu dem verdreckten Fenster. Vielleicht wäre das jetzt der richtige Moment für eine Unterbrechung. Agni POV Agni hatte sich auf der Balustrade an der gegenüberliegenden Seite der Halle positioniert. Die Lage war zwar nicht optimal, weil er durch das kleine Fenster zu wenig von dem, was im Innern des Büros vor sich ging, erkennen konnte, aber es war trotzdem noch besser als gar nichts zu sehen. Schliesslich hatte er es sich nicht nur zur Aufgabe gemacht Rache zu üben, sondern auch seinen neuen Herrn zu beschützen. Auch wenn dieser Herr dazu neigte, es ihm schwieriger zu machen als sein vorheriger. Der Earl war – zugegebenermassen – wagemutig. Er benahm sich ganz und gar nicht wie der fragile 18-jährige, der er eigentlich war. Allerdings hatte er das noch nie getan. Immer schon hatte er sich wie ein Mann gegeben, dem nichts und niemand etwas anhaben konnte. Ein kaltes Lächeln hier, eine vernichtende Geste da. Er war gewiss nie ein Kind gewesen. Nicht so wie sein Prinz…. Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf Agnis Gesicht. Jetzt hatte er schon wieder an ihn gedacht, dabei hatte er sich doch so fest vorgenommen es nicht zu tun. Doch Ciel war anders, vollkommen anders. Nicht nur wie er sich gab unterschied sich von seiner Majestät, sondern auch wie er ihn behandelte. Er und Soma – der Name allein versetzte ihm einen Stich ins Herzen– waren sich nah gewesen, doch der Earl war von ihm weiter entfernt als die Sonne vom Mond. Wenn sie zusammen unterwegs waren, dann wurde es nicht nur optisch deutlich, dass sie Meister und Diener waren, sondern auch jede Bewegung schien es auszudrücken. Sie waren sich nicht nah, absolut nicht. Ciel behandelte ihn wie einen Diener und Agni behandelte ihn wie seinen Herrn. Er tat sein Bestes und trotzdem war klar, dass es niemals gut genug für den jungen Earl of Phantomhive sein würde. Immer wollte er mehr, immer mass er ihn an ihm. Der Schatten dieses Butlers lag über ihnen beiden. Ciel wollte, dass er ihn bediente und beschützte, wie Sebastian es getan hätte. Aber er war nicht Sebastian und er wollte es – um ehrlich zu sein – auch nicht sein. Agni hatte stets gefühlt, dass dieser Butler von etwas umgeben wurde, das jeden vernünftigen Menschen eigentlich sofort in die Flucht hätte schlagen müssen. Trotzdem hatte der Prinz damals darauf bestanden, dass sie blieben und die Gastfreundschaft dieses seltsamen Paares in Anspruch nahmen. Doch es war schnell klar gewesen, dass da etwas zwischen dem Herrn und seinem Butler vor sich ging, an dem niemand sonst teilhaben konnte. Es spannte sich ein Band zwischen ihrer beider Herzen, das dunkler war als die Nacht. Weswegen es Agni auch umso mehr erstaunte, dass der Earl Sebastian nun auf so raue Weise von sich gestossen hatte. Aber das war eine weitere Sache, die er im Bezug auf diese beiden nicht verstand. Es hatte wohl genau mit jenem Band zu tun, dass Ciel ihm die Niederlage jenes Tages nicht verzeihen wollte. Ein Rascheln erklang. Agni wandte blitzschnell sein Haupt und schalt sich innerlich dafür, dass er sich wieder hatte ablenken lassen. Er war wahrhaft eine schwache Natur. Um diese Uhrzeit hielt sich von den normalen Arbeitern eigentlich keiner mehr in der Halle auf, aber da zwischen den Kisten schlich tatsächlich jemand umher. Agni verengte die Augen zu Schlitzen. Der Unbekannte seinerseits schien den Inder noch nicht bemerkt zu haben, stattdessen wandte sich sein eigener Kopf nur immer wieder zu Bulls Büro hinauf. Wohl auch jemand, der interessiert daran war, was da drinnen gerade vor sich ging. Angi schlich auf seiner Balustrade lautlos ein paar Schritte in die Richtung des Beobachters und musste zu seinem grossen Erstaunen feststellen, dass es sich schon wieder um den Strassenjungen handelte. Ihn hatte sein zweites Auftreten dem Earl gegenüber vorhin schon überrascht, aber dass er jetzt immer noch nicht von der Sache ablassen konnte, erschien ihm etwas zuviel, um es noch nur als gutgemeinte Warnung abzutun. Dieser Junge musste ebenfalls etwas im Schilde führen, und Agni konnte nicht zulassen, dass es des Earls und seine Pläne durchkreuzte. Er näherte sich ihm noch ein paar Schritte und hatte eigentlich vorgehabt, sich ihm zu erkennen zu geben und den Jungen damit zu vertreiben, doch ein lautes Scheppern aus Bulls Büro kam ihm zuvor. Es liess beide erschrocken zusammenzuckten und veranlasste den Jungen dazu, kaum hatte er sich erholt, zu einem Sprint aus den Kistenreihen hinaus anzusetzen und den Ausgang anzusteuern. Agni verzog den Mund, der Mut des Jungen war also etwa so viel Wert wie seine Warnungen. Trotzdem setzte auch er sich in Bewegung. Er musste sehen, was da im Büro passiert war und ob der Earl tatsächlich in Gefahr schwebte. Seine Schritte waren so schnell und leise wie die einer Katze, während er sich immer mehr den orangen Fenster näherte. Es war jetzt wieder vollkommen still, dennoch traute Agni der Ruhe nicht. Ein paar Meter vor der Tür hielt er inne und versuchte einen weiteren Blick auf das Innere zu erhaschen. Das trübe, dreckige Glas machte es schwer etwas zu erkennen, trotzdem sah er die Form des Earls. Sie lehnte an der Wand und Bulls mächtiger Körper schob sich langsam über sie. Agni überfiel ein kleiner Schauer. Das war nicht gut! Gleichzeitig warnte ihn aber auch sein Gefühl, dass wenn er dieses Treffen zu früh stürmte und der Earl sich noch in gar keiner wirklichen Notlage befand, würde er sich wieder eine – wohlgemerkt verdiente – Schelte einfangen, weil er den Plan verdorben hatte. Es galt also abzuschätzen, wann der richtige Moment gekommen war. Er durfte sich nicht irren, denn würde dieser Abschaum Bull seinem neuen Herr auf irgendeiner Weise zu nahe treten, war das für ihn als seinen Butler unverzeihlich. Also wartete und beobachtete er. Die Schemen bewegten sich und gedämpfte Stimmen drangen an sein Ohr. Er konnte nicht richtig verstehen was sie sprachen, trotzdem liess ihn etwas in Bulls Stimme aufhorchen. Es klang bedrohlich. „da- …-irst… du …-ssen, JUNGE!“ Dann schepperte wieder etwas und Agni vernahm ein Zeichen, wie es deutlicher nicht hätte sein können. „Seba-.. AGNI!!!!!“ Die Stimme des Earls ging ihm durch Mark und Bein. Ohne noch einen Augenblick länger zu zögern, stiess er die Türe auf und sah, wie Ciel von dem riesigen Kerl an die Wand gepinnt wurde. Bull hatte dabei seine Hand um den Hals des Jungen gelegt und riss gleichzeitig an dessen Hemd. Es war wahrhaft ein Anblick des Grauens für Agni, so dass sein rationaler Verstand in diesem Moment auszusetzen schien und er sich wie in Trance nach vorne bewegte, Bull am Kragen packte und ihn einfach einmal quer durch den kleinen Raum schleuderte. Sein Körper kollidierte mit der Wand, welche Tür und Fenster beherbergte, und sackte erst einmal in sich zusammen. Doch Agni zollte dem nicht weiter Aufmerksamkeit und ging stattdessen sofort auf den jungen Earl zu, um diesem aufzuhelfen. Anstatt eines Dankes erhielt er aber nur ein heiseres „Du hast zu lange gewartet, Idiot.“ Schamhaft betreten senkte er seinen Blick und erwiderte leise: „Bitte vergebt meine Nachlässigkeit, Herr. Es lag nicht in meiner Absicht Euch…“ während er noch versuchte sich zu entschuldigen, hatte sich hinter ihm aber Bull doch schon wieder soweit erholt, dass er auf dem Boden kriechend nach dem Hals der zerbrochenen Flasche griff und sich schwerfällig aufraffte. „DU…“ er hatte nun ganz eindeutig Agni ins Visier genommen. Torkelnd ging er auf den Inder los, welcher dem Angriff gerade noch knapp ausweichen konnte. Sofort wollte er nach Ciel greifen, um diesen aus der Schusslinie zu bringen und versetzte Bull dazu einen gezielten Tritt in die Bauchgegend. Leider hatte er nicht damit gerechnet, dass die Körperfülle des Mannes einen derart bremsenden Effekt auf ihn ausüben würden, so dass Bull sich einfach weiter auf ihn zu bewegte und ihm die Flasche in vollem Tempo in die Schulterpartie rammte. Das Glas blieb stecken, während Agni einfach nur mit weit aufgerissenen Augen Bull anstarrte, der laut auflachend von der Flasche abgelassen hatte und nun rückwärts taumelte. Der Schmerz begann sich pochend in seinem Körper auszubreiten. Agni sank in die Knie. Ein Flimmern hatte sich über seine Augen gelegt und er atmete schwer durch den Mund. Er wusste nicht, was ihn mehr quälte, die Verletzung oder das Gefühl schon wieder versagt zu haben. Nicht einmal diesen simplen, unkontrollierten Angriff hatte er abwehren können. Seine Majestät wäre beschämt gewesen. Er atmete tief ein griff nach der Falsche. Mit einem einzelnen Ruck zog er sie aus seinem Fleisch. Ein ganzer Schwall Blutes folgte. Bull lehnte an der Wand und lachte immer noch wie ein Wahnsinniger vor sich hin. „Du glaubst wohl, dass ich Angst vor dir habe, Inder.“ Angi zwang sich wieder auf die Beine und fokussierte den rot angelaufenen Mann. Er hatte die Flasche in der Hand. „Ich sehe, dass du keine Angst vor mir hast“ flüsterte er gefährlich. Damit wollte er auf ihn losgehen, doch Ciel hielt in zurück. Ein einzelner kühler Blick genügte, um ihn wieder zur Besinnung kommen zu lassen. Agni verstand, was der Earl ihm damit sagen wollte, wenn du ihn tötest, wird das die Polizei auf den Plan rufen. Er liess die Flasche sinken. Ja, der Earl hatte recht. Die Polizei war etwas, das sie momentan gar nicht gebrauchen konnten. Sie waren nicht in einer Position, in welcher man Scottland Yard besonders gut manipulieren konnte, denn dafür hätten sie ihre Deckung aufgeben und zurück ins Mansion gemusst, aber genau das wollte der Earl ja um jeden Preis vermeiden. Also würde dieser Abschaum Bull wohl noch eine Weile sein wertloses Leben behalten. TBC Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)