It was only a kiss. von natsuka-chan ([Wait...maybe it was not.]) ================================================================================ Kapitel 1: One. --------------- Kapitel 1. „Scheiße, scheiße, scheiße…“, fluchte ich, als ich in den Bus einstieg, dem Busfahrer mit mürrischem Gesicht meine Fahrkarte zeigte und mich auf einen der freien Sitze fallen ließ. Dabei hinterließ ich eine nasse Spur, wobei man sagen musste, dass ich mehr aussah als käme ich gerade frisch aus der Waschmaschine. Meine schwarzen Haare klebten an meinem Kopf, von einer Frisur war nicht einmal mehr ansatzweise zu reden. Mein Gesicht war ebenfalls nass, sogar an meinen Wimpern hingen Wassertropfen. Meine Sweatjacke, meine schwarze Hose und meine Schuhe waren durchweicht, genauso wie meine Socken. Ich steckte mir die Stöpsel meines MP3players in die Ohren und fragte mich, was ich falsch gemacht hatte. Dieser Tag war einfach schrecklich. Zuerst hatte ich Schule gehabt, dann diese bekloppte KunstAG, nach der ich immer ein paar Schritte zu einer anderen Bushaltestelle laufen musste. Als wäre ich damit nicht gestraft genug gewesen, hatte es plötzlich angefangen zu regnen. Und wie. Innerhalb von zwei Minuten war ich von Kopf bis Fuß nass gewesen. Oh ja, so liebte ich mein Leben. Zehn Minuten später stieg ich aus, ignorierte den Regen so gut es ging. Jetzt war ich eh schon nass, also wozu sich unnötig beeilen. Als ich vor meiner Haustür stand, suchte ich in meinen durchgeweichten Hosentaschen nach dem Schlüssel. Tja, ich suchte vergeblich, stieß einen nicht jugendfreien Fluch aus und setzte mich auf die Treppe. So ein Scheiß. Naja, irgendwann würde meine Mutter schon von der Arbeit nach Hause kommen. Und ich hoffte für sie, dass dieses ‚irgendwann’ nicht allzu lange dauerte. Exakt eine Stunde, 36 Minuten und 21 Sekunden später stand meine Mutter vor mir. „Joshi, was machst du denn hier? Und wie siehst du überhaupt aus? Ist was passiert? Geht’s dir nicht gut?“, fing sie auch direkt an auf mich einzureden. Meine Fresse, war das nervig. „Schlüssel vergessen. Hat geregnet.“, entgegnete ich knapp. „Wärst du dann so freundlich, mich reinzulassen? Ich würde gern raus aus den nassen Sachen.“ Das erinnerte meine Mutter wieder an ihr ursprüngliches Vorhaben, sie schloss die Tür auf und während ich die Treppe hoch schlurfte, begleiteten mich ihre tollen Ratschläge – „Geh schön warm duschen, zieh’ dich warm an, ich mach’ dir einen Tee, nicht dass du krank wirst…“. Oh ja, danke. Sehr hilfreich. Grummelnd verzog ich mich unter die warme Dusche. Gerade hatte ich mir die Haare geföhnt und machte mich auf den Weg zurück in mein Zimmer, hörte ich mein Handy klingeln. Na super. Wer störte denn jetzt schon wieder? „Ja?“ – „Josh, alte Schlaftablette! Ein bisschen mehr Enthusiasmus bitte! Ich wollte dich nur an die Party heute Abend erinnern, wo wir zusammen hinwollten. Ich sag’s dir, ich steh’ in 15 Minuten bei dir auf der Matte und dann bist du fertig. Und wehe du trödelst.“, tönte mir die immerfröhliche Stimme meines besten Freundes Max, auch Mäx genannt, entgegen. Scheiße, verdammte. Die Party. Die ich erfolgreich aus meinem Hirn verdrängt hatte. Aber naja. Ich hatte Max versprochen, mit ihm dahin zu gehen, und dieses Versprechen würde ich wohl oder übel halten müssen. „Jaja.“, murrte ich also nur. „Gut. Bis gleich dann!“, trällerte Max und legte auf. Erwähnte ich schon, wie wunderbar mein Leben heute wieder war? Jetzt durfte ich mich auch noch hetzen und den ganzen Abend einen auf gute Laune machen. Goodbye Internetspiel, goodbye Lieblingsbuch. Nun denn. Ich durchwühlte meinen Schrank nach einem passenden Outfit, vielleicht gab es wenigstens das ein oder andere hübsche Mädchen dort. Letzten Endes entschied ich mich aber doch nur wieder für eine schwarze, enge Hose und mein ebenso schwarzes Lieblings-T-Shirt. Man, war ich wieder kreativ heute. Schnell noch den Nietengürtel unter dem Bett hervorgekramt, ein Paar fingerlose Handschuhe an und schon war ich fertig. Warum dachte Max denn, ich würde trödeln? Die ganze Aktion hatte nicht mehr als zehn Minuten gedauert. Achso. Ja, stimmt. Ich wollte noch etwas essen. Also ging ich in die Küche, wo ich mit Bedauern feststellte, dass meine Mutter nichts gekocht hatte. Der Blick in den Kühlschrank war ebenfalls nicht sonderlich erfreulich, da sich dort nicht wirklich viel befand. Missmutig schlug ich die Kühlschranktür wieder zu. Und – oh du perfektes Timing – genau in dieser Sekunde klingelte es an der Tür. Ich schnappte mir Schlüssel, Handy und Jacke, schlüpfte in meine Schuhe und rief meiner Mutter ein einfaches ‚Bin weg’ zu. Schon als unsere reizende Gastgeberin die Tür öffnete, wollte ich am Liebsten wieder umdrehen. Laute Musik tönte uns entgegen und obwohl ich nicht viel sah, waren augenscheinlich schon viele Leute da. Laura strahlte uns an, begrüßte uns mit einer kurzen Umarmung und ließ uns dann eintreten. Wow. Wunderbar war es hier. „Josh!“, quietschte irgendetwas von irgendwoher, als wir den Partyraum betraten, den man bei der Stadt mieten konnte, und zwei Sekunden später klebte eine äußerst aufdringliche Klassenkameradin an mir. Ich atmete tief ein, dann setzte ich ein hoffentlich überzeugendes Lächeln auf und tat so, als würde ich ihrem unglaublichen Redefluss zuhören. Eine halbe Stunde und zwei Bier später saß ich auf einem Sofa, Cora immer noch neben mir. Mein Gott, ging mir das Mädchen auf den Wecker! Das war ja nicht zu fassen. Endlich stand sie auf um sich was zu trinken zu holen, und nachdem ich ihre Frage, ob sie mir etwas mitbringen könne, dankend verneint hatte, sah ich zu, dass ich mich irgendwo versteckte. In einer der Nischen fand ich schließlich Schutz, der Platz war nicht direkt zu sehen, doch er war schon besetzt. Ein Kerl, ungefähr in meinem Alter, lehnte dort an der Wand, eine Augenbraue hochgezogen, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und einer Bierflasche in der Hand. „Versteck’ mich!“, flehte ich ihn an. Er lachte leicht, strich sich sein hellbraunes Pony von den Augen und hielt mir die Hand entgegen. „Hey, ich bin Jules. Du darfst gern diese wunderbare, äußerst komfortable Ecke mit mir teilen.“ Ich grinste, dann erwiderte ich: „Joshua. Aber Josh wäre mir lieber. Für mich ist diese Ecke wirklich etwas Wunderbares. Hier gibt es wenigstens keine Cora.“ „Nun, ob die nun schlimmer ist als ich, wirst du wohl herausfinden müssen.“, meinte Jules fröhlich. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Wenn er auf meine Schule ginge, wäre er mir sicher aufgefallen – sein Lippenpiercing war, genauso wie seine klaren, grünen Augen, nicht gerade unauffällig. „Ich hab’ dich noch nie gesehen, also gehst du wahrscheinlich nicht auf meine Schule.“, erklärte ich ihm auch direkt. „Woher kennst du Mila denn?“ „Das ist eine recht banale Sache. Ich bin ihr Cousin. Und du bist, wenn ich das richtig sehe, der weltberühmte Josh.“ Er grinste. Weltberühmt? Ich sah ihn fragend an. „Mila redet ständig von dir. Sie wäre sicherlich Präsidentin deines Fanclubs, wenn du einen hättest.“ WAS? Das war mir neu. „Wusste ich zwar noch nichts von, aber okay.“, meinte ich also nur. Er lachte wieder leise. „Hey, Jules. Was machst du eigentlich hier ganz allein in der Ecke? Also bis ich kam.“, fragte ich irgendwann. „Hm, ganz einfach. Erstens kenne ich hier nicht so viele, und zweitens verpestet mein Exfreund hier irgendwo die Luft.“ „Achso, na dann.“, meinte ich leichthin. Es dauerte ein paar Sekunden bis die Information in meinem Hirn verarbeitet war. Dann: „Häh? Moment. Exfreund?“ Hatte er Exfreund gesagt? „Jap. Ich bin schwul. Stört dich das?“, fragte er mich geradeheraus. Hatte ich ein Problem damit? „Nein, eigentlich nicht. Ich hab’ nichts gegen Schwule.“, verneinte ich. „Das ist gut. Ich hätte auch nicht damit gerechnet, aber man weiß ja nie.“, lächelte Jules. Zu reichlich fortgeschrittener Stunde saßen wir schließlich immer noch in unserer Ecke, mittlerweile mit einer Flasche Hochprozentigem, und unterhielten uns blendend, auch wenn zumindest ich leicht beduselt war. Scheiß’ nüchterner Magen. Trotzdem waren meine Sätze klar verständlich und ich war noch voll funktionsfähig. Mir fiel ein, dass ich Max, der ja immerhin mein bester Freund war, den ganzen Abend schon nicht gesehen hatte, aber er war sicher irgendwo mit seiner Freundin beschäftigt. Ich musste mir also keine Sorgen machen, dass ich ihn hier so vernachlässigte. „Josh? Du bist echt ein netter Kerl.“, grinste mich Jules an und riss mich somit aus meinen Gedanken. „Ich mag dich auch.“, grinste ich zurück. „Gut, dass uns diese wunderbare Ecke hier heute zusammengeführt hat.“ Er lachte sein leises Jules-Lachen. Irgendwie fand ich es… süß, schob den Gedanken allerdings zur Seite, denn er nahm wieder einen Schluck aus der Flasche und reichte sie mir rüber. Ich wusste nicht einmal mehr, worüber wir bis jetzt alles geredet hatten, aber ich hatte Spaß. Jules war ausgesprochen witzig und nachdem wir jetzt anfingen, über sämtliche Partygäste, die in unser Blickfeld kamen, zu lästern, waren wir eigentlich ständig am Lachen. Auf einmal horchte ich auf. Wow – ein Lied von Panic at the disco! Nicht zu fassen. Begeistert blickte ich zu Jules: „Das erste gute Lied heute Abend. Ich bin geschockt. Und erleichtert. Ich dachte schon, ich müsste die ganze Nacht dieses schreckliche Technozeug hören…“ Er nickte. „Ich dachte ich bekomm’ einen Ohrenschaden oder so davon. Aber so lässt’s sich aushalten.“ Ich lächelte, konzentrierte mich auf das Lied. Dann bewegte sich Jules so plötzlich auf mich zu, dass ich es erst registrierte, als seine Lippen schon auf meinen lagen. Was machte der denn da? Dumme Frage. Warum küsste er mich? Ich wollte das doch gar nicht! Wir waren beide Kerle, und ich war nicht schwul. Ich wollte ihn zurückstoßen, doch bewegte ich mich keinen Millimeter. Als ich mich doch endlich bewegte, war das Einzige was ich tat, meine Augen zu schließen, meine Arme um seinen Hals zu schlingen und den Kuss zu erwidern. Verdammt, küsste der gut! Ich ließ mich regelrecht in den Kuss fallen, spürte seine Zunge an meinen Lippen und öffnete meinen Mund leicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließen wir voneinander ab, und mit dem Verschwinden seiner Lippen kehrte auch mein Verstand zurück. Ich sprang auf, geschockt, erschrocken über mich selbst, über den Kuss, dass es mir gefallen hatte. Was zur Hölle war nur in mich gefahren? Fluchtartig verließ ich den Partyraum, schnappte mir meine Jacke und rannte soweit ich konnte, einfach nur weg. Irgendwann blieb ich stehen, keuchend, die kalte Nachluft hatte den Alkohol in meinem Kopf vertrieben. Ich fror, zog meine Jacke über und machte mich auf den Heimweg. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, ich war völlig aus der Bahn geworfen. Jules, Jules, Jules. Alles an das ich dachte war Jules. Wie konnte ich ihn küssen? Naja, eigentlich hatte er mich geküsst. Aber ich war auch noch drauf eingegangen, ich Idiot. Wäre ich nur bei Cora geblieben. Die war wenigstens ein Mädchen. Auch wenn sie sicher nicht so gut küsste wie Jules. Argh! Schon wieder. Sauer auf mich selbst und mit wankendem Weltbild latschte ich durch die Dunkelheit Richtung Zuhause, in meinem Kopf spielte ironischerweise die ganze Zeit „Kiss me“ von New Found Glory und ich hasste mein Leben mehr denn je. Was hatte ich da nur wieder für einen Mist gebaut? _______________ Ende Part 1/2. Ich hoffe, es hat euch ein bisschen gefallen. ._. Kommentare, inklusive konstruktiver Kritik, sind äußerst gern gesehen. [: Kapitel 2: Two. --------------- Kapitel 2. Drei Tage, 56 Ermahnungen wegen sogenannter ‚Träumerei im Unterricht’ und gefühlte 24462874 abgestorbene Nerven später lag ich in meinem Zimmer und starrte meine absolut fesselnde, weiße Zimmerdecke an. Wo sollte das enden mit mir? Seit jenem schicksalhaften Freitagabend in der Ecke des örtlichen Partykellers war einfach gar nichts in meiner kleinen, süßen Welt mehr wie vorher. Max wusste nicht mehr, was er mit mir machen sollte. Ständig war ich in Gedanken, wusste einfach nicht mit der Situation anzufangen. Nachts träumte ich von dem Kuss, wieder und wieder, von Jules’ Lächeln und von dem unglaublichen Kribbeln, was er in mir ausgelöst hatte. Verdammt, es sollte nicht so hart sein. Es war nur ein Kuss gewesen, ich würde den Kerl hoffentlich nie wieder sehen und konnte alles auf den Alkohol schieben. Der Großteil meines Hirns tat das auch – aber da war so ein kleiner Teil, der mich immer wieder daran erinnerte, dass es mir gefallen hatte und nachts gewann dieser kleine Teil die Kontrolle über meine Gedanken. Warum riss mich das eigentlich so aus der Bahn? Ich wusste doch, dass ich nicht schwul war. Ich hatte durchaus Beziehungen gehabt, und ich hatte meine Exfreundinnen auch wirklich geliebt. Daran bestand kein Zweifel. Was machte mir dann so zu schaffen? Ich wusste es nicht, aber ich wusste, dass ich bald wieder normal werden musste. So konnte das mit mir ja nicht weitergehen. Deprimiert schmiss ich den Rechner an, in der Hoffnung, ein bisschen zocken zu können. Völlig vertieft in mein Spiel, hörte ich weder die Klingel, noch wie jemand die Treppe zu meinem Zimmer hochkam. Ich schlachtete gerade einen ultimativ hässlichen Zombie ab, als es an meiner Tür klopfte, ich erschrocken zusammenzuckte und nach einer kurzen Schrecksekunde „Herein“ rief, ohne den Kopf vom Bildschirm abzuwenden. „Hey Josh.“, erklang es hinter mir. Ich wirbelte herum – und da lehnte er im Türrahmen. Lässig wie immer, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und den Händen in den Hosentaschen. „Hi Jules.“, nuschelte ich, sah ihn vorsichtig an. Er kam rein, schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf’s Bett. „Woher hast du meine Adresse?“, fragte ich. „Von Mila. Ich dachte, wir sollten vielleicht über Freitag reden.“, meinte er sanft. „Ich wüsste nicht worüber wir reden sollten.“, entgegnete ich bissig. Anstelle einer Antwort hob er einfach nur die Augenbrauen an und sah mich mit diesem Blick an. Jaah, okay. Vielleicht wusste ich doch, worüber wir reden sollten. Aber – Herrgott noch mal, wer hatte dem Jungen erlaubt, so gut auszusehen wenn er diesen Blick draufhatte? Verdammter Kerl. „Ich wollte mich eigentlich für den Kuss entschuldigen, ich hätte dich nicht so überrumpeln dürfen. Obwohl du-“ „Natürlich solltest du dich entschuldigen! Was sollte der Mist denn? Ich bin nicht schwul, verdammt.“, fuhr ich ihn an. „Jetzt ist’s aber gut. Du bist auf den Kuss eingegangen und offensichtlich schien es dir ja zu gefallen. Also warum beschwerst du dich?“, blaffte Jules zurück. „Weil ich nicht schwul bin, man! Verstehst du das nicht? Ich will nicht von dir geküsst werden. Bleib’ mir in Zukunft bloß vom Leib, Schwuchtel!“ Ich war völlig außer mir. Warum wusste ich auch nicht genau. Jules war gekommen, weil er reden wollte. Aber alles was ich wollte, war auf irgendetwas einzuprügeln. Die ganze Verwirrung der letzten Tage, dazu diese Gefühle und das Kribbeln, weil Jules mir direkt gegenüber saß, mein Frust, dass ich etwas nicht kontrollierte. Eine leise Stimme in mir sagte, dass das absolut nicht okay war, was ich hier gerade abzog, dass ich Jules mochte, dass ich mich völlig unfair verhielt. Aber der wütende, irrationale Josh hatte eindeutig die Oberhand und sah wortlos schnaubend zu, wie Jules zusammenzuckte, als wäre er geschlagen worden. Dann stand er auf und ging, schlug die Zimmertür hinter sich ins Schloss. Langsam beruhigte ich mich wieder. Trotzdem war ich noch immer aggressiv, ich wollte einfach nur weiter Zombies schlachten. Doch als ich mich zum Bildschirm drehte, blinkte mir das rote ‚Game Over’-Schild entgegen. Ich stöhnte auf, ließ mich auf mein Bett fallen und vergrub meinen Kopf im Kissen. So fühlte ich mich auch. Game Over. „Joshua! So kann das einfach nicht weitergehen mit dir.“, fauchte Max zwei Tage nach Jules’ Besuch. Oha. Höchste Zeit den Schwanz einzuziehen. Wenn Max ‚Joshua’ zu mir sagte, dann war es ihm wirklich ernst. „Du hängst ständig durch, mit dieser furchtbaren Trauermiene, passt im Unterricht nicht auf, und bist unglaublich aggressiv. Du sagst mir jetzt augenblicklich was los ist, sonst kannst du was erleben.“ Max’ Augen durchbohrten mich regelrecht. Ich seufzte, ergab mich meinem Schicksal. Schließlich war er mein bester Freund. „Ich, also, ich… Puh. Ich hab’ am Freitag auf Milas Party jemanden kennengelernt und wir haben uns unterhalten und zusammen was getrunken und irgendwann haben wir uns geküsst und jetzt weiß ich nicht was ich machen soll.“ Sein Gesicht wurde finster. „Du hast sie geküsst und deswegen machst du so ein Theater?! Verdammt, wie alt bist du? 10? Das ist doch nicht dein erster Kuss!“, wetterte er auch schon los. „Max – das Problem ist, dass Jules männlich ist. Und er hat mich geküsst, nicht ich ihn.“, berichtigte ich. „Oh.“ Oh. Na super. Mehr hatte er dazu nicht zu sagen? „Ja, oh.“, meinte ich genervt. „…Und, ähm, wie ist das jetzt mit euch? Bist du jetzt schwul?“ „NEIN! Auf keinen Fall. Oh mein Gott. Also. Er war am Montag hier und wollte mit mir darüber reden, aber ich bin total ausgerastet und hab’ ihn angeschrien und ja. Ist er aber selbst Schuld. Wegen diesem Idioten hab’ ich keine ruhige Minute mehr. Ständig spukt der in meinem Hirn rum. Das nervt so, Alter.“ Er schien zu überlegen. „Hm“, sagte er dann. Warum grinste der plötzlich so doof? „Also ich würde ganz klar verliebt sagen.“ „Was?! Bist du noch ganz dicht? Ich bin nicht verliebt. Never ever.“ Der hatte ja wohl einen an der Klatsche. Sonst ging’s ihm aber gut. Klar, er hatte ja schließlich auch eine Freundin und war nicht schwul. Wobei ich das ja auch nicht war. „Ach komm schon.“, meinte Max, die Augen verdrehend. „Du kannst dir das jetzt langsam eingestehen und uns allen und dir selbst einen Gefallen tun. Was soll’s, ist mein bester Freund halt schwul. Mich stört das nicht.“ „Aber mich! Interessiert sich denn hier keiner dafür, was ich will?“, meckerte ich. War ja schön und gut, wenn er kein Problem damit hatte. Aber ich wollte nicht schwul sein. Außerdem hasste mich Jules jetzt sowieso. Wobei ich ja nicht mal wusste, ob er mich vorher gemocht hatte, also nicht als Freund, sondern so richtig. Sicher hatte der nur seinen Exfreund eifersüchtig machen wollen oder gerade Lust gehabt jemanden zu küssen. „Solange du nicht weißt, was gut für dich ist, muss ich dir eben helfen. Ich kenn’ dich seit wir drei sind – und du bist eindeutig verliebt. Und genau deswegen wirst du zu ihm gehen und ihm das sagen. Mehr als nein kann er auch nicht sagen. Und ich denke, die Chancen für ein ja stehen gut. Und wage es nicht, nein zu sagen!“ „Komm, Max. Halt einfach die Klappe.“, meinte ich. Aber ich musste immer wieder daran denken, was er gesagt hatte. Verliebt? In Jules? Klar kannte ich dieses Kribbeln im Bauch, aber ich wollte einfach nicht schwul sein. Oder bi. Oder überhaupt. Trotzdem, immer wenn ich mich an den Kuss erinnerte, fühlte er sich richtig für mich an. Ich hatte diesen Kuss gewollt. Ich seufzte. Das war doch nicht zu fassen. In dieser Nacht träumte ich, mal wieder, von ihm. Anders als in den Nächten davor, hatte ich auch beim Aufwachen sein Bild vor Augen. Seine wunderschönen Augen, sein Lächeln und dieser Blick, der definitiv sexy war… Gott, ich sollte aufhören, so einen Mist zu denken. Aber es ließ sich irgendwie nicht leugnen. Scheiße. Ich seufzte, schon wieder. Dann tapste ich ins Bad, machte mich fertig. Ging in die Küche, suchte meine heißgeliebten Cornflakes, stellte fest, dass die Milch fast alle war. Also klebte ich nach dem Essen meiner fast staubtrockenen Cornflakes einen Post-it-Zettel an die Kühlschranktür, mit dem Hinweis an meine Mutter, dass sie Milch kaufen sollte. Missmutig machte ich mich auf den Weg zur Schule, ohne Mathehausaufgaben, aber mit wunderschönen Augenringen. Der Schlafmangel der letzten Tage zeigte seine Wirkung. In der Schule angekommen ließ ich mich auf meinen Platz neben Max fallen, der noch vor der Tür stand und mit seiner Freundin knutschte. Na wunderbar. Fünf Minuten später kam er allerdings rein, steuerte auf mich zu und erklärte mir, dass ich heute Nachmittag gefälligst zu Jules gehen sollte. „Ich weiß aber nicht wo er wohnt.“, versuchte ich mich herauszuwinden, doch mein Einwand wurde einfach mit einem „Mila wird das doch wohl wissen. Und die fragst du. Jetzt.“ abgeschmettert. So saß ich sechs Stunden und um eine Adresse reicher in meinem Zimmer, drehte den kleinen Zettel in meiner Hand. Sollte ich wirklich? Ich wusste doch noch nicht einmal genau was ich sagen sollte. Mich entschuldigen, in jedem Fall. Ich seufzte, was irgendwie eine Dauerbeschäftigung zu werden schien. Dann stand ich auf, machte mich fertig, steckte mir die MP3playerstöpsel in die Ohren und machte mich auf zur Bushaltestelle. Dem Zettel nach wohnte Jules in einem anderen Stadtteil. Eine halbe Stunde später stand ich vor einem großen Wohnblock und blickte skeptisch daran hinauf. Na das konnte ja was werden. Ich betrat das Gebäude, sah auf den Zettel, sah auf das ‚Defekt’-Schild am Aufzug und hätte am Liebsten meinen Kopf gegen die nächste Wand geschlagen. Warum wohnte dieser Idiot im 5. Stock? Nach einer gefühlten Ewigkeit stand ich vor seiner Haustür, wollte eigentlich nur weg. Dann aber dachte ich an den Weg, den ich als unsportlicher Mensch für ihn in Kauf genommen hatte, nahm mein klägliches Restchen Mut zusammen und klingelte. Ein paar Herzschläge später öffnete sich die Tür. Jules sah mich überrascht an. „Hi.“, sagte ich schüchtern, verfluchte meine Stimme, weil sie so verdammt unsicher klang. „Kann ich reinkommen?“, fragte ich, als er sich nicht bewegte. Daraufhin nickte er, ließ mich eintreten und schloss die Tür hinter sich. „Was willst du?“, fragte er. Ich merkte erstaunt, dass auch seine Stimme alles andere als sicher klang. „Naja“, druckste ich, „ich wollte mich entschuldigen. Für das was ich am Montag gesagt habe. Ich war so wütend, ich weiß nicht mal auf was. Das.. der Kuss hat mich total aus der Bahn geworfen. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung. Ich meinte das nicht ernst, was ich am Montag gesagt habe. Nichts davon. Und ich wollte nur sagen, dass es mir Leid tut.“ Ich sah ihn mit meinem besten bitte-bitte-verzeih’-mir-Blick an. Warum sagte er nichts? „Ist schon okay. Ich kann ja verstehen, dass du überfordert warst.“, meinte er nach einer knappen Ewigkeit und lächelte sein typischen Lächeln. „Bist du noch sehr böse?“, fragte ich. Jules schüttelte den Kopf. „Ich war nie wirklich böse. Nur enttäuscht.“ Okay. Part 1, erfolgreich abgeschlossen. Jetzt kam der harte Teil. Oh Gott. Was machte ich hier eigentlich? Das war eine klare Selbstmordmission. Ich atmete tief ein. Augen zu und durch. „Jules? Da.. ist noch was.“, begann ich. Himmel, was war denn mit meiner Stimme passiert? Ich war 17, aus dem Stimmbruch lange heraus. Eigentlich. Denn irgendwie klang meine Stimme… piepsig. Wie peinlich. Jules legte den Kopf schief. „Was denn?“ „Hm. Ich weiß nicht genau wie ich das sagen soll… Also. Das Problem ist, dass ich den Kuss nicht scheiße fand. Ich, also. Ich fand ihn schön, um ehrlich zu sein.“, gestand ich, so leise wie es nur irgendwie möglich war. Verdammt. Ich wurde rot wie ein Schulmädchen. Das war wohl meine gerechte Strafe. Jules Mundwinkel zuckten. Gleich konnte ich was erleben. Ich fand das Muster ihres Fußbodens auf einmal mehr als interessant. „Dummerchen.“, sagte Jules auf einmal. Dummerchen. Na super. Er würde mich auslachen. Ich war nichts weiter als irgendein Kerl für ihn. Es versetzte mir einen Stich, aber ich ließ mir nichts anmerken. Hoffte ich. Ich blickte auf. Und machte einen Satz zurück. Seit wann stand der denn so dicht vor mir. Er lächelte schief. „Dachtest du wirklich, ich hätte dich geküsst, wenn ich keine Gefühle für dich hätte?“ Äh – was? Stopp. Er war in mich verliebt? Das war gut. Oder? Ja, das war gut. Ich grinste. Er nahm meine Hände in seine, trat einen Schritt auf mich zu und küsste mich. Dann war ich halt verliebt in einen Kerl. Who cared? Solange er mich küsste, war meine Welt in Ordnung. ____________ Ende Teil 2/2 Thaha, fertig. Würde mich wie immer über 'nen Kommentar freuen. [: Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)