Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 59: Nächtlicher Besuch ------------------------------ Nächtlicher Besuch Catherine lag auf ihrem Bett und hatte das Tagebuch in ihre Nachttischschublade gelegt, als sie bemerkt hatte, dass sie sich nun wirklich nicht mehr länger wach halten konnte. Das Sonnenlicht fiel in dunklen, warmen Strahlen über das hölzerne Parkett in das Zimmer und beschien Catherines rotbraunes Haar, sodass es noch mehr schimmerte. Ihr Atem ging regelmäßig, aber flach und vermochte es kaum, ihre Brust zu heben und zu senken. ‚héo naefre wacode dægréd tó bisig mid dægeweorcum, ac oft héo wacode sunnanwanung thonne nihtciele créap geond móras...’ Unruhig warf Catherine den Kopf auf die andere Seite und gab ein murrendes Geräusch von sich. ‚héo naefre wacode dægréd tó bisig mid dægeweorcum, ac oft héo wacode sunnanwanung thonne nihtciele créap geond móras...’ Catherine schlug die Augen auf und richtete sich auf. Die Sonne schien noch immer in das Zimmer und ein leichter Nebel aus winzigen Staubkörnern zeichnete sich gegen das Licht ab. Es war still im Schloss. Catherine konnte nicht einen Laut hören. Gemächlich erhob sie sich und trat zum Fenster. Der Park lag still unter ihr und das Licht spielte mit den spärlichen Blättern in den großen Bäumen bei den Gräbern. Catherine stützte sich auf dem Fensterbrett ab und schärfte ihren Blick. Mit den Gräber stimmte etwas nicht, doch sie wusste nicht, was sie an ihrem Anblick störte. Sie waren heller und - so wie sie es sehen konnte – nicht teilweise abgesenkt und schräg. Das war es: sie waren zu ordentlich und daher zu neu! Catherine wich erschrocken einige Schritte zurück. Was war nun schon wieder los? Plötzlich hörte sie, wie die Tür hinter ihr geöffnet wurde, doch es klang wie eine alte Holztür, die man nur mühsam und trotzdem versucht leise, öffnen konnte. Catherine fuhr herum und blitzartig waren der Himmel und das Zimmer bis auf wenige Kerzen dunkel. Draußen lag Schnee. „Zögere nicht!“ flüsterte eine Stimme, die Catherine nicht kannte. Sie sah einen Schatten, der sich von der Wand löste und zu Bett schlich. „Nimm’ es an.“ flüsterte der Mann wieder. Nun war es eindeutig ein Mann, der sich dem Bett näherte. Catherine bewegte sich ebenfalls vorsichtig vom Fenster zur anderen Seite des Bettes und erblickte nun eine Frau, wie Mary sie im Tagebuch beschrieben hatte. „Der Preis für deine Gesundheit ist nicht dein Leben.“ drang wieder das Flüstern zu Catherine. Obwohl die Worte nicht an sie gerichtet waren, blickte sie unsicher auf und blickte wieder zu der kranken Mutter hinunter, die keine Regung zeigte. „Du wirst leben.“ flüsterte der Mann und beugte sich ein Stück hinunter. „Leben!“ Catherine stieß einen leisen Schrei aus, als er seine langen Finger nach der Stirn der Kranken ausstreckte und ihre Wange nach unten entlang strich, der ihn scheinbar innehalten ließ. Doch das war unmöglich – er wusste nicht, dass sie im Zimmer war. Sie war nicht im Zimmer, das wusste sie. Entweder ihre Sinne spielten ihr wieder einen Streich oder sie träumte wieder, doch das war im Moment egal. Der Mann zog seine schlanken Finger zurück und blickte direkt in Catherines Richtung. Sein schwarzes Haar fiel in wenigen Strähnen in seine Stirn, der größte Teil jedoch war mit einem Band zurückgenommen. Der Blick aus seinen schwarzen Augen traf Catherine wie ein Messer in ihr Innerstes. Erschreckt fuhr Catherine hoch und blickte sich verwirrt um. Ihre Hand legte sich unwillkürlich an ihren Hals, obwohl er sich in ihrem Traum nicht ihr genähert hatte, sondern der kranken Mutter von Mary. Hatte der Vampir sie zu seiner Gefährtin durch die Ewigkeit gemacht? Catherine schüttelte den Kopf, stand auf und trat zum Fenster. Prüfend blickte sie hinaus und stellte fest, dass die Gräber nun ihrem Alter entsprechend überwuchert und eingesunken waren. Erleichtert atmete sie auf: es war alles in Ordnung. Dieser Traum erschreckte sie immer noch, da sie fest annahm, dass er wie die meisten ihrer Träume nicht nur einfach ein Traum war, den man einfach so vergessen konnte, sondern ihr viel mehr etwas zu sagen versuchte. War es so gewesen? Natürlich hatte sie in ihrer Version in Georges Körper schon diesen Vampir gesehen und natürlich war es möglich, doch war es tatsächlich so, dass dieser Vampir die kranke Mutter zu einem Vampir gemacht hatte? Catherine dachte angestrengt nach und kam zu dem Schluss, dass es sein konnte und sie die Ereignisse, die im Tagebuch beschrieben waren, nun endgültig vor denen der Vision ansetzen musste. Die Mutter war krank und Mary war das einzige Kind. Dann war die Mutter genesen und George war noch da. Catherine ging zum Schreibtisch, nahm sich einen Zettel und einen Stift und setzte sich dann wieder auf ihr Bett, wo sie das Tagebuch wieder aus der Nachttischschublade nahm. Mit zitternden Fingern versuchte sie, eine grobe Übersicht über die Ereignisse zu machen und ihnen eine Zeit, ein Jahr oder auch einen Monat zuzuweisen. ‚1587 – Geburt der Tochter von Marguerite de Valois.’ Catherine stutze einen Moment und überlegte, wie sie diese Tochter benennen sollte und entschied sich dann für ‚Madame X’, da es das Einfachste war und sie so nicht immer ‚Tochter von Marguerite de Valois’ schreiben musste. ‚1600 – Geburt des ersten Kindes/Sohnes (namenlos) von Madame X.’ Catherine blätterte im Tagebuch, rechnete kurz und verzeichnete dann das Geburtsdatum des zweiten Kindes Mary. ‚1601, 25. Januar – Geburt des zweiten Kindes (Mary).’ Im selben Jahr hatte Mary vom Tod ihres älteren Geschwisters gesprochen. ‚1601 – Tod des ersten Kindes/Sohnes (namenlos).’ Dann kam eine Zeitspanne von zwei Jahren, in der die Mutter depressiv gewesen war. Catherine verzeichnete sie ebenfalls. ‚1601-1603 – Depression von Madame X.’ Catherine las sie nächsten Zeilen bis zu der Stelle, an der Mary über die Todgeburt geschrieben hatte, bevor sie den nächsten Punkt niederschrieb. Das Jahr allerdings konnte sie nicht genau sagen. ‚1603/1604 – Todgeburt des dritten Kindes (namenlos).’ Catherine hielt inne und ging die einzelnen Punkte noch einmal durch. Ihr erstes Kind gebar sie also mit dreizehn, das zweite mit vierzehn, wobei sie mit vierzehn ihr erstes Kind zu Grabe tragen musste, und die Todgeburt erlebte sie mit ungefähr siebzehn Jahren. Sie schauderte. So viel Grausamkeit in so einem jungen Leben! Kein Wunder, dass sie keine Kraft mehr besaß, um gegen ihre Krankheit anzukämpfen – zumal die ständigen Aderlass-Prozeduren ihren Körper zusätzlich zu ihrem gebrochenen Herzen und niedergeschlagenen Geist noch schwächten. Das Tagebuch begann im April 1607 und reichte in das Jahr 1608 hinein. Das bedeutete, dass Madame X ungefähr zwanzig Jahre alt gewesen war – so alt wie Catherine nun. Sie schüttelte den Kopf wegen dieser zufälligen Übereinstimmung und zum ersten Mal fiel ihr auch auf, dass sie genau vierhundert Jahre nach Madame X geboren war, nahm den Stift erneut auf und schrieb den letzten Punkt auf die Liste dazu. ‚1604-1608 (?) – schwere Krankheit Madame X.’ Catherine blätterte bis zum Ende des Tagebuchs und klappte es dann zu. Es reichte nur noch bis zum März 1608. Was danach geschehen war, würde sie anhand des Tagebuchs also nicht herausfinden können. Danach war irgendwann noch George geboren, woraus Catherine schloss, dass Madame X doch noch genesen war. Und danach hatte sie noch Besuch von dem Vampir mit dem schwarzen Haar und den schwarzen Augen bekommen, doch wo war die Verbindung zwischen ihnen? Madame X war zumindest nicht gleich zum Vampir gemacht worden, sonst hätte sie George nicht mehr zur Welt bringen können. So viel war sicher, doch über alles andere war sich Catherine noch im Unklaren. Am späten Abend trafen sich Catherine und Lea bei Catherine im Zimmer und brachten sich gegenseitig auf den neusten Stand. Lea war zuversichtlich, dass Elizabeth und Elatha nicht weiter nach den Geschehnissen in Edinburgh fragen würden, nachdem sie erst einmal die Fotos gezeigt hatte, und Catherine erzählte ihr das Neuste aus dem Tagebuch und legte ihr das Papier mit der stichwortartigen Übersicht hin. Lea sah sich das Papier an und ging die Stichpunkte durch. „Es ist unglaublich, dass ein Kind das alles schreibt, nicht wahr?“ „Ja, stimmt. Ich denke aber, wir sollten uns vor Augen halten, dass das damals andere Zeiten waren. Madame X – wie auch immer sie wirklich hieß – war ungefähr zwölf, als sie geheiratet hat, und hat mit dreizehn Jahren ihr erstes Kind geboren. Ich denke, da kann man auch von einer siebenjährigen kleinen Adligen erwarten, dass sie so etwas schreibt, wenn sie schon einmal schreiben kann.“ „Da hast du Recht. Es ist ungewöhnlich, dass sie schreiben kann.“ bemerkte Lea, worauf Catherine nickte. „Ich bin froh, dass sie es konnte, sonst würden wir noch weiter im Dunkeln tappen.“ „Was wissen wir nun mehr als dein Großvater? Hat er nicht schon so einen Zeitplan gemacht?“ „Nein. Ich vermute nun auch, dass er dazu nicht mehr gekommen ist.“ Lea nickte zähneknirschend. „Ja, weil meine Verwandtschaft Gift in sein Essen geträufelt hat.“ meinte sie leise. Catherine nickte. „Du solltest dir eines merken, Lea.“ entgegnete sie. „Und was ist das?“ fragte Lea und blickte Catherine an. „Ich glaube, ich habe es schon einmal erwähnt… Wir definieren uns nicht durch Verwandtschaft, Familie oder die Situationen, in die wir ohne unser direktes Zutun hineingeraten, sondern durch die Entscheidungen, die wir treffen und für unser Leben durchsetzen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)