Ainoko von Frau_Erdbeerkuchen ================================================================================ Kapitel 1: Der Abend im Juni ---------------------------- Karpfen Sucht einen endlosen Weg im Teich Erreichst du die Tränenreichen? Schutz „Kimie - chan? Kimie – chan! Wo bist du?“. Das junge Mädchen drehte sich um und sah ihre Freundin Karen die Steinplatten hinunter kommen. Sie trug bereits den guten Seidenkimono für die Unterhaltung am Abend. Jetzt war es gerade 16 Uhr. „Warum antwortest du nicht, wenn ich dich rufe? Ich dachte, du seiest schon gegangen!“ Karen stemmte die Hände in die Hüften und sah sie herausfordernd an. Kimie hatte am Fischteich – mit den farbenprächtigen koi darin – gesessen und die Seele baumeln lassen. Sie war 18, Karen zwei Jahre älter als sie und ihre o – nee – san. Was bedeutete, dass sie sich den Wünschen der älteren Schwester fügen musste und auf alles zu hören hatte, was sie sagte. Aber so streng war Karen dann doch nicht und außerdem waren sie ja keine richtigen Schwestern. Die beiden waren Geishas und so war es Brauch, dass die erfahrenere Geisha – sie konnte auch nur einen Monat älter sein als die andere – die ältere Schwester, eine Art Mentorin, wurde. Dass die okiyas, die Geisha-Schulen, noch existierten, war ein großes Glück. Einige Stadtteile Kyotos und auch ein paar Häuser Gions waren vollkommen von den Luftangriffen zerstört. So kurz nach dem Krieg, im Juni 1946, im Jahre des Hundes, waren viele okiyas auf die zugewiesenen Lebensmittelmarken angewiesen. Doch die Watabe – okiya, in der Kimie und Karen lebten, bekam wegen der Schönheit ihrer Mädchen rasch wieder Aufträge. „Gomennasai!“, entschuldigte sich Kimie und erhob sich. Die beiden gingen ins Haus zurück um sich fertig zu machen. Die Dielen knarrten, als die Mädchen mit ihren zoris die Treppe hinauf liefen. Die Dienstmädchen wanderten geschäftig herum, trugen da ein shamisen hinunter, brachten dort einen Kimono zum Schneider. Alles wieder ganz normal. Eine Veränderung hatte der Krieg dennoch gebracht: wesentlich öfter zeigten die Geishas ihre Kunst für die Amerikaner, die alles für Geishas hielten, was einen schönen Kimono trug und bleich war. Das Amüsement für den heutigen Abend war ein solches „amerikanisches“ Geishafest. Die Amerikaner waren gleich am Tag nach der Kapitulation, dem 3.9.1945, in die Miyagi – Grund – und Mittelschule eingezogen, sie war nun Lazarett und Kaserne zugleich. Es war ein merkwürdiges Schauspiel gewesen, wie die Jeeps sich durch die schmalen Straßen schoben und dann auf den Schulhof rollten, wo erst vor wenigen Wochen die letzten Schüler gelernt hatten, mit Bambusstöcken auf Strohpuppen loszugehen. Als ob man jemals von Strohsoldaten angegriffen werden würde! Ein ganzes Volk kämpfte gegen die großen, weißen Windmühlen. Doch was für ein Bild hatte es dann gegeben! Waren die Amerikaner doch als kinderfressende, gefährliche Teufel beschrieben worden, die Frauen die Zunge an den Tisch nagelten, so schenkten die Teufel den Kindern nun eine ganz besondere Leckerei: Schokolade. Vielleicht wollten sie die Kleinen ja auch nur mästen… Aber was jetzt erst aus dem Wagen stieg war eine Sensation – Menschen, so schwarz wie die vorher ausgehändigte Schokolade. Solche Leute nannte man also „Neger“. Anscheinend lebten sie auch in Amerika. Die Japaner kannten die Neger nur aus den Rundfunkübertragungen aus der Hauptstadt. Sie waren gemeinsam mit Juden, Russen und Zigeunern Feinde des „großen Reichsfreundes Adolf Hitler“ gewesen und wenn es Hitlers Feinde waren, waren sie auch Feinde das japanischen Reiches. So einfach war das. Aber nun war Hitler tot und Japan war von den „Antimenschen“ besetzt. Die Kinder drückten sich ängstlich an ihre Mütter, wenn die Neger lächelten und das dunkle Gesicht eine Reihe schneeweißer Zähne entblößte – dabei wollten sie doch nur freundlich sein. Aber die Zeit hatte dieses Misstrauen hervorgerufen und das japanische Volk hatte resigniert und fügte sich. Auch die Geishas hatten alles aus sicherer Entfernung betrachtet und die Besatzer schauten die neuen Untergebenen ebenfalls mit großem Interesse an. Am heutigen Abend gingen Karen und Kimie ins Hiyama – Teehaus. Bei Feiern mit den Amerikanern war Anmut weniger gefragt – was zählte, war, dass sich die Mädchen nah an die Soldaten setzten und ihren Kimono ein Stück offen ließen. Oka – san bezeichnete sie wohl nicht ohne Grund als „sittenlose, rüpelhafte Affen“, was sie stets mit einem großen Rauchschwall aus ihrer Moxa – Pfeife dem Zuhörer ins Gesicht paffte. Nun ja, oka – san war eine Sache für sich… Kimie hatte eigentlich nur Abscheu und Wut gegenüber den Fremden empfunden. Sie stammte aus Hiroshima, die Töpferei ihrer Eltern war nur 2 km vom Ground Zero der Atombombe entfernt gewesen – von der Kawada - Töpferei und seinen Besitzern war nichts mehr übrig. Das Mädchen hatte Glück im Unglück gehabt, denn die Trauerfeier für ihren Bruder war am 6. August gewesen und die oka – san hatte ihr verboten hin zu fahren, da am Abend eine sehr wichtige Feier stattfinden sollte. Sie war wütend gewesen und gab sich ganztägig verstockt und furienartig, doch als sie abends das Radio einschalteten, hörte sie von der Detonation einer Bombe mit ungeahnter Sprengkraft in der Nähe ihres Elternhauses. Sie dankte der Mutter auf Knien dafür, dass sie sie nicht hatte fahren lassen. Yoshinori, ihr Bruder, war zwei Jahre älter als sie und überzeugter Pazifist – schon immer gewesen. Und doch hatte man ihn gleich nach der Abschlussfeier der Oberschule eingezogen – gegen seinen Willen. Er wollte Arzt werden, kein Soldat. Ironie war es schon: er war zu jung, um die 22 Uhr Kinovorstellung zu besuchen, aber alt genug, in den Krieg für ein Vaterland zu ziehen, das ihn als Kanonenfutter brauchte. Bereits nach 3 Monaten war er als Kamikazeflieger Richtung Osten geflogen, um die Unterdrücker anzugreifen, dabei hatten sie ihn kurze Zeit später einfach über Okinawa abgeknallt. Die letzten Reste seiner zu weißer Asche verbrannten Knochen und seine verkohlte Brille waren in einer Urne nach Hiroshima überführt worden. Kimie hing sehr an ihrem Bruder und sein Tod traf sie schwer. Ihre o - nee - san war ihr in dieser Zeit eine große Stütze gewesen. Karen hatte keine Eltern gehabt und lebte bis zu ihrem siebten Lebensjahr in dem Waisenhaus, vor dem man sie einst abgelegt hatte. Danach hatte sie Reiko Watabe in ihre okiya geholt. Das musste man der oka – san schon hoch anrechnen, dass sie solchen Mädchen eine Chance auf ein Leben außerhalb von Armenhäusern und Bettelei bieten konnte. Sie suchte gezielt nach neuen Mädchen, denen sie die Fähigkeit zur Geishaschülerin ansah. Weiterhin ging das Gerücht um, dass eine Geisha aus Pontocho ein uneheliches Kind bekommen hatte und dieses vor dem Waisenhaus abgelegt hatte – vermutlich war Karen dieses Kind. Denn sie war wirklich ein hübsches Mädchen: ein ebenmäßiges Gesicht, anmutiger Gang, langes schwarzes Haar und dunkelbraune Augen. Ihr sanftmütiger Charakter machte sie bei jedem beliebt und es war fast schon klar, dass sie von der okiya als Tochter adoptiert werden würde. Eine Adoption resultierte aus der Tatsache, dass Geishas im Normalfall keine eigenen Kinder hatten, die einmal die Schule übernehmen konnten, sodass die Mutter ein ihr passend erscheinendes Mädchen aussuchte, welches ihr Lebenswerk weiterführte. Kimie war dafür relativ ungeeignet, denn sie war wesentlich aufbrausender und eine gewisse Unruhe war ihrem Charakter zu eigen. Ein widersprüchlicher Charakter, der zum einen Konfrontationen scheute, aber auch provozierte. Sie hatte es ihren Eltern nicht immer leicht gemacht, obwohl sie einigermaßen folgsam war. Karen war ein Büffel, 1926 geboren. Sie war verlässlich, entschlossen und unerwartet gebildet. Das sollte nicht bedeuten, dass sie auf den ersten Blick dumm wirkte, aber wenn man ihre Vergangenheit kannte, traute man ihr das enorme Wissen, dass sie zum Beispiel über japanische Geschichte oder Haikus hatte, nicht im Geringsten zu. Kimie war 1928, Jahr des Drachen, am 17. April, geboren. Sie war 1935 hierher gekommen, nachdem ihre Mutter bemerkt hatte, dass sie sehr geschickt im Umgang mit den schönen Künsten war. So malte sie beispielsweise – ohne schreiben zu können – verschiedene Schriftzeichen so detailliert ab, wie einst Hokusai seine 36 Ansichten des Fuji. Nach eingehender Beobachtung hatten sich Ii und Onui Kawada also entschlossen, ihr zweites Kind nach Gion zu schicken. Schließlich gab es keinen besseren Platz für künstlerisch Begabte als die Geishaviertel Kyotos. Als die kleine Kimie nach Gion kam, weinte sie ihren Eltern zunächst nicht nach. Nicht, dass sie sie nicht vermisste, aber es gab so viel Neues zu entdecken: die vielen neuen Menschen, die große okiya, die farbenprächtigen Kimonos und das ganze neue Leben überhaupt. Karen hatte sie gleich am ersten Tag freundlich aufgenommen, denn kleine Mädchen in ihrem Alter gab es in der Watabe – okiya nicht. Junko, die einzige jüngere Maiko, war bereits 13 Jahre alt und konnte mit dem kindlichen Verhalten der beiden nichts anfangen. Seither waren elf Jahre vergangen. Sie waren vorüber gezogen wie Kraniche, die im Spätherbst nach Kyushu flogen. Die beiden jungen Frauen hatten ihren Lebensweg gemeinsam beschritten; die Maikozeit durchlebt und waren nun das Aushängeschild ihrer okiya. Selbst während des Krieges gab es ausreichend Aufträge für Geishapartys. Die Landverschickung kurz vor Kriegsende war jedoch weniger schön gewesen. Die makellosen Hände der Mädchen hatten vom Rübenverziehen Schwielen und Risse bekommen und es hatte lange gedauert und der Hilfe von Schlangenölsalbe bedurft, bis die Haut wieder geglättet war. Viele Geishas waren immer noch auf dem Land, aber Reiko Watabe, die in ihrer okiya geblieben war, hatte darauf bestanden, ihre besten Mädchen, zu denen Kimie, Karen und Junko gehörten, eher wieder zu bekommen, da die Nachfrage nach ihnen so groß sei. Damit hatte sie die Mädchen vor der totalen Herabwirtschaftung ihrer Körper und auch ihrer Seelen bewahrt. Die jungen Frauen waren in Kimies Zimmer gegangen, damit Kimie sich „zurecht machen“ konnte. Die Hausgehilfinnen zogen ihr mit flinken Fingern den Kimono an, insgesamt waren drei kleine Mädchen an ihr beschäftigt. So schnell war sie angezogen, so schnell der obi gebunden, dass man hätte denken können, dass die Arbeit nur so von Fehlern wimmele. Doch alles war perfekt, makellos und entsprach den Erwartungen – die Mädchen erfüllten ihr Arbeitspensum wieder in Rekordzeit. Sie trug ein weißes, hartes Puder auf ihr rosiges Gesicht auf und rußte die Augenlider und – brauen dunkel. Damit bezweckte sie, dass die Augen größer und strahlender wirkten. Die Lippen salbte sie mit einem aufgeschlagenen Mus aus roten Beeren und Sojaquark ein. Dieser war so hart, dass man ihn heutzutage wohl als Lippenstift bezeichnet hätte, dabei förderte er auch die Durchblutung der Lippen und machte die Verwendung von zuviel Creme unnötig. Karen hatte sich währenddessen auf den Boden gekniet und schaute über den Shirakawa auf das nachmittäglich beleuchtete Pontocho, denn die Watabe – okiya befand sich am Rand von Gion. Es war jetzt Mitte September und seit die Amerikaner, die gaijin, die Viertel „unsicher“ machten, hatten sich vermehrt Bordelle etabliert. Wie gesagt erkannten die gaijin den Unterschied zwischen Geisha und Prostituierter nicht und damit rutschte auch das einst so berühmte Geiko – Viertel, dass zum Kern der Geishakunst, den Kyotoer Bezirken Gion –kobu, Miyagawa – cho, Kamishichiken und eben Pontocho selbst gehörte, zur Vergnügungsmeile ab. Was natürlich nicht hieß, dass es hier keine Geishas mehr gab. Sie waren nur von den Amüsierdamen verdrängt worden. Wenn die beiden Frauen ein wenig spazieren gingen, spürten sie förmlich die lüsternen Blicke im Rücken. Im Prinzip hätten sie beide daran gewöhnt sein müssen, denn ihre mizuage lag erst drei bzw. zwei Jahre zurück. Doch im Gegensatz zu ihrer Freundin war Kimie im Hinblick auf Männer verschüchtert. Sie wusste sich zwar durchzusetzen, doch wenn man sie begehrlich anstarrte, schwand ihre Selbstsicherheit. Viele Leute wunderten sich über dieses Verhalten und tuschelten hinter vorgehaltener Hand., weil Kimie – san doch einen danna, einen Gönner, gehabt hatte! Ein danna war eine feine Institution: in den meisten Fällen war er auch der mizuage – Partner, zahlte dafür einen hohen Preis und erwartete aber gleichzeitig etwas dafür. Die mizuage war der Übergang von der Maiko, der Lerngeisha, zum vollwertigen Mitglied der Geishazunft, eine Art rituelle Hochzeit. Nach diesem Ritual durfte man den bestickten Kragen des Kimonos mit einem blütenweißen Exemplar tauschen. Das nannte man eri – kae, Kragenwechsel. Die Mädchen waren nach dem Ritus meist die Geliebten ihres Gönners – unabhängig davon, ob sie ihn liebten oder nicht. Mit Prostitution hatte das nichts zu tun, schließlich unterstützte der danna die okiya mit einer nicht unerheblichen Summe (ein unvermögender Mann konnte auch niemals danna werden, das wäre eine Beleidigung der Geisha - Schule gewesen!). Denn während sie ihrem Förderer zu Diensten war, konnte die Geisha ja keine Partys besuchen, hatte also einen enormen Verdienstausfall. Und Fürst Tsutumi, Kimies danna, war ein Paradebeispiel für diese Männer. Der Geruch des Geldes drang aus jeder Pore seiner alten, gelben, faltigen Haut – der Fürst war 83 Jahre alt gewesen… Aber sein Aussehen spielte ja für die oka – san keine Rolle, solange er ihre okiya finanziell unterstützte. Im Hinblick auf den Fürsten hütete Kimie ein schweres Geheimnis: er hatte die mizuage nicht ordnungsgemäß vollzogen. Am entscheidenden Abend war das Mädchen zu ihm gebracht worden, mit Aufmunterungen von Karen im Ohr und einer gewissen Gleichgültigkeit, ahnte sie doch, dass außer einem Priester und einer Teezeremonie nichts Besonderes auf sie warten würde. Die Dienstmädchen hatten sie in eine Art Hochzeitskimono gesteckt, ein riesiges weißes Ding, in dem sie sich schrecklich verloren vorkam. Die Mädchen schubsten sie unter Freudenbekundungen in das Zimmer und schoben die Tür rasch zu, um sich zu entfernen. Nun war sie allein. Kaum saß sie im dunklen, mit tatami ausgelegten Zimmer, kroch die Furcht in ihr hoch. Tsutumi hatte sie vorerst gar nicht wahrgenommen, doch er hockte ihr gegenüber, zusammengefallen wie ein nasser Sack. Er sah in seinem Gewand sehr feudal aus, hatte ein kantiges Gesicht und kleine, gelbe Schweinsäuglein, mit denen er alles, jedoch nicht Kimies Gesicht begutachtete. Seine Hände wirkten wie die Schemen normaler Hände, wie die Extremitäten Leprakranker. Von Leberzirrhose fleckige, gelbe Haut auf Fingerknochen, die ebenso gut von einem Hund abgenagte Hühnerknochen hätten sein können. Wahrscheinlich sprach er dem sake mehr zu, als gut für ihn war. Nun erhob sich der Tattergreis und kam auf sie zu – ihr Herz klopfte so laut, dass sie Blut im Ohr rauschen hören konnte. Er ging am Stock und schob sich über den Boden, als hätten Lausbuben seine Füße aneinander gebunden. Während er sich niederließ, knackten seine Knie und Kimie schauderte bei dem Gedanken, der Mumie aus der Meiji – Epoche später wieder hoch helfen zu müssen. So versuchte sie krampfhaft, nicht an das Später zu denken. Aber ihr fiel lediglich Karens Erklärung zum Thema „mizuage“ ein: Das die Männer anonym gegeneinander boten, der mizuage – Partner eines Mädchens zu sein, dass sie für hübsch erachteten. Derjenige, welcher gewann, zahlte die Summe an die okiya und zum bald möglichst astrologisch günstigsten Termin wurde die Lerngeisha zu ihm gebracht. Die Aufgabe der mizuage war es, einer Maiko die Unschuld zu nehmen und sie damit zur Geisha zu machen. Unschuld meinte aber nicht die Entjungferung, das tat es nur bei Prostituierten, die Unschuld war hier die Bezeichnung für den Übergang vom Kindlichen zur erwachsenen Frau. Mit dieser Erwartungshaltung hatte man auch Kimie in das Hochzeitszimmer irgendeines ihr unbekannten ryokans geschubst. Doch der Greis blickte auf ihren Körper und sagte ruhig: „Weißt du, meine Kleine, der Priester ist heute leider verhindert und ich selbst bevorzuge sake gegenüber diesem starken Tee. Ich werde nach dieser eigentlich nutzlosen Tradition ohnehin dein danna sein, von daher – lass uns diesen Schritt übergehen und gleich zu deiner Aufgabe als meine Geliebte über gehen.“ Kimie war entsetzt. Sie hatte ja mit dem Schlimmsten gerechnet – aber doch nicht mit Betrug! Es wäre ja noch legitim gewesen, wenn er den Wunsch geäußert hätte, sie sofort zu entjungfern, aber dies war nur ein Betrug an der okiya um eine ganze Menge Geld! Wenn die Mutter misstrauisch wurde, waren ihrer Ausbildung meterhohe Felsblöcke in den Weg gelegt. Dann hätte sie zurück nach Hiroshima gemusst, in ihre ehemalige Heimat, in der sie nun eine Fremde war und die Schande hätte sich herum gesprochen, sodass sie nie einen Ehemann finden würde. Eine entehrte Geisha wurde doch von niemandem geheiratet! Was blieb also zu tun? Der Fürst erledigte das jedoch von selbst, indem er Kimies Kimono auseinander zog. Seine Hände schlängelten sich über ihren Körper wie eigenständige Lebewesen, suchten sich ihren Weg über den Kleiderwulst auf die nackte, weiche Jungmädchenhaut. Vor Scham wäre das Mädchen am liebsten im Boden versunken, aber keiner der Götter war ihr gnädig. So blieb ihr nur, den Blick zur Decke zu wenden und die Intarsien, auf denen die chinesischen Sternzeichen beim Gang zu Buddha dargestellt waren, zu betrachten. Auch die Katze, das 13. eto, war erkennbar, sie saß abseits und grämte sich, da die Ratte sie ausgetrickst hatte. Das war der Grund warum es nur 12 etos gab: Buddha strafte die Katze, weil sie nicht zu seiner Feier erschienen war und die anderen Tiere, zu denen Ratte, Hahn, Büffel, Hund, Pferd und auch Drache zählten, wurden dafür belohnt, indem sie zu Sternzeichen wurden. Sie hatte die Katze immer besonders gern gehabt. Eine alte Legende, Geschichten für Kinder. Doch das hier war keine Kinderei mehr… Inzwischen hatten die knorrigen, mit dünner Haut überzogenen Finger ihren „Bestimmungsort“ gefunden. Mit ungeahnten Kräften drückten sie ihre Brüste, sodass dich Kimie zusammenreißen musste, um nicht vor Schmerz zu schreien. Deshalb floh ihr Blick wieder zur Decke, ihre Seele schien den Körper zu entweichen und betrachtete das Geschehen wie von einem Turm herab. Geduldig erwartete sie das Ende und mit jeder Minute stieg die Abscheu gegenüber dem alten, verbrauchten Mann, der nun schnaufte, als hätte er eine Strecke von Kyoto nach Tokyo rennend zurückgelegt. Bis es vorbei war, sollte noch eine geschlagene Stunde vergehen. Sie träumte vor sich hin, lief über die Wiesen mit den 12 etos, trug dabei die Katze auf dem Arm, winkte ihren Eltern, Yoshinori und Karen, die in einer Kutsche vorbei fuhren und glaubte, dass dies die Realität sei. Mit einem „…hast du verstanden?“ wurde sie aus ihrer Traumwelt gerissen und schaute den Fürsten mit großen Augen an. „Ich verlange von dir, dass du darüber schweigst, was heute vorgefallen ist, denn sonst ginge es zu deinen Lasten. Ich bin ein alter Mann, aber ich bin liquid. Dir wird es nicht schlecht ergehen, wenn ich dein danna bin – schließlich fordere ich ja keine naturwidrigen Dienste von dir. Solltest du dich verplappern, Kimie – chan, dann – nun ja – könnte ich die Zahlungen an die okiya einstellen und das würde deiner oka – san gar nicht gefallen, nicht wahr? Sie würde unangenehme Fragen stellen, oder? Womit du mich verärgert haben könntest…“ Kimie schluckte schwer und nickte. Unter seinem Beisein ordnete sie ihre Gewänder, als wären sie nie geöffnet worden und der Mann grinste zufrieden und diabolisch. Danach tranken beide den Tee und die halbe Geisha wurde dann wieder zurück nach Hause gebracht. Ihr Blick verfinsterte sich, als sie an das Abkommen dachte. Dieser widerliche alte Kerl ließ ihr tatsächlich die Wahl zwischen Pest und Cholera, wie überaus gnädig von seiner Eminenz… In dieser Art unter Druck gesetzt, blieb Kimie nichts weiter übrig, als die Geliebte des alten Zausels zu bleiben. Immer wenn er nach ihr verlangte, ließ er sie mit einer Sänfte abholen und in sein Landhaus außerhalb Kyotos bringen, wo sie dann seinen Wünschen zur Verfügung stand. Das Haus war sehr schön, abgelegen und umgeben von vielen, jahrhundertealten Zedern und künstlich angelegten Teichen mit Fischen darin. Niemals kam jemand hinzu, wenn der Fürst mit ihr ‚allein’ sein wollte. Sie ließ sich von ihm betatschen und überlegte währenddessen, welches Lied sie heute Abend auf dem shamisen spielen sollte oder ähnliche Dinge. Meist spielte sie in dieser Zeit sehr traurige Lieder, doch niemand kümmerte sich darum, da sie sich sonst wie immer benahm. In ihrem Inneren hatte sich eine negative Ansicht über Männer und ihre Verhaltensweisen in ihren Kopf hinein gefressen. Dort hockte nun diese Weltanschauung wie ein oni, ein böser Dämon, und streckte ihr sein hässliches Gesicht entgegen, um ihr zu zeigen, dass sie nur eine Marionette der okiya und des Fürsten war. Daraus resultierte ihre heutige Scheu vor dem anderen Geschlecht. Aber auch Karen und der oka – san erzählte sie nichts von dem Abkommen zwischen ihr und Tsutumi oder davon, dass sie eigentlich nur eine halbe Geisha war – schließlich tat der Fürst immer die selben Dinge mit ihr, wie an diesem Abend – selbst als ihr danna vollzog er ihre Entjungferung nicht. Letztendlich klärte sich die ganze Geschichte aber unerwartet plötzlich am 31. August. Mit der in Aussicht stehenden Kapitulation des Landes hatte der Fürst seinem Leben mit seppuku ein vorzeitiges – aber nicht zu spätes – Ende gesetzt. Der alte Mann stieg in das Bett, aus dem niemand mehr aufwachte. Schließlich sah er in der Unterwerfung den Zerfall des mächtigsten Weltreiches überhaupt – man könnte auch sagen, dass er der rechteste alles Nationalisten und Patrioten war. Nicht nur dass er in China einige Bauern abgeschossen hatte, er hielt sich auch Koreaner als Haussklaven (nur dass er sie Bedienstete nannte). Auch diese waren „Antimenschen“, wie die Neger. Natürlich hatte jeder, zumindest öffentlich, den Tod von Kimies Gönner bedauert. Der arme Fürst – er war doch noch in seinen besten Jahren – leicht gesagt, wenn einer über 80 Jahre alt war! Doch das Mädchen war froh, ihr Joch losgeworden zu sein und trotz allem schwieg sie weiterhin. Damit erfuhr also auch niemand über das Abkommen und die große Verwandtschaft Tsutumis trauerte inzwischen einige Wochen über den Verlust dieses „edelsten Menschenfreundes“, der immer nur Gutes für die Gesellschaft getan hatte. Während die Dienstmädchen nun eifrig durch die Gänge trippelten, hörten Karen und Kimie, die sich jetzt gegenseitig beim Zurechtzupfen der Kleidung halfen, schwere Schritte auf der ausgetretenen Treppe. Sie waren lange genug hier, um zu wissen, dass die Schritte zu Reiko Watabe gehörten. Das Personal sank auf die Knie und verbeugte sich, wie es sich im Angesicht der Besitzerin der okiya gehörte. Die oka – san schob die Tür zu Kimies 15 m² - großem Zimmer auf und trat ein. Das rechte Bein zog sie nach, denn sie war während ihrer Geishaausbildung an Polio, der Kinderlähmung, erkrankt und dadurch gehbehindert. So hatte sie mit elf Jahren die Lehrzeit abbrechen müssen, war aber von der gütigen oka – san Nana Watabe adoptiert worden, was ihr später eine Bleibe und eine Zukunft sicherte. Ihrem guten Beispiel aus Dankbarkeit folgend, suchte sie darum später gezielt Mädchen aus armen Verhältnissen oder aus Waisenhäusern aus, um ihnen eine Chance zu geben. Jeder wusste das und respektierte sie dafür, denn es war ein risikoreiches Geschäft. War ein Mädchen nicht gewillt, sich den strengen Regeln eines Geishalebens zu unterwerfen und türmte auf Nimmerwiedersehen, blieb die Mutter auf den Ausgaben für Kost und Logis sitzen. Allerdings war das seit Kimies Zeit hier nicht vorgekommen und auch Karen konnte sich nicht an einen solchen Vorfall erinnern. Jetzt war Reiko Watabe 52, 158 cm groß, trug eine randlose Brille und schmauchte beständig an ihrer Moxa – Pfeife. Der Geruch des Beifusses war sehr durchdringend und die Dienstmädchen beklagten sich oft, dass man ihre Kimonos und yukatas immer zweimal waschen musste, um die Ausdünstungen des Krautes herauszubekommen. Dadurch verblichen sie auch schneller und es mussten neue angefertigt werden, die nach Möglichkeit den verschlissenen glichen. Ihre „guten“ Geishas – solche wie Kimie und Karen – hatten bei ihr einen so hohen Status, dass sie sich nicht vor ihr verbeugen mussten. Sie behandelte die Mädchen als fast ebenbürtig. Das war die Wertschätzung für die harte Arbeit, die die beiden leisteten. Die oka – san stützte sich auf ihren Krückstock, eine Antiquität aus China, gefertigt aus dunkel – gebeiztem Eichenholz mit dem Kopf eines fauchenden Tigers als Griff. Dieser Kopf war aus echtem Elfenbein (irgendein indischer Elefant hatte wohl dafür sein Leben gelassen) und genauso hart wie blank geputzt. Auch dieser Stock war bei den Dienstboten gefürchtet, denn es war eine gehörige Strafe, diesen Tigerkopf blank zu putzen. War man nicht rechtzeitig fertig oder glänzte der Stock nicht, bekam das Dienstmädchen den Kopf des Tigers auf dem eigenen Haupt zu spüren. Daher hieß die Putzstrafe auch „die Faust des wütenden Tigers“. Während sich nun die oka – san ächzend auf ihr Kissen niederließ (von welchem in jedem Raum für ihre geschundenen Knie eines ausgelegt war), kamen ihre beiden Schützlinge zum Tisch, knieten sich um sie herum und schauten sie erwartungsvoll an. Schließlich war es schon eine Besonderheit, wenn einen die oka – san im eigenen Zimmer aufsuchte – denn für gewöhnlich schickte sie ein Dienstmädchen in das Zimmer der betreffenden Geisha und ließ sie nach unten in ihre Räumlichkeiten bringen. „Was führt euch zu uns, Mutter?“, ergriff Karen das Wort. Sie hatte eine Souveränität im Umgang mit Reiko Watabe gewonnen, die Kimie – chan nur bewundern konnte. Ihre eigene Hitzköpfigkeit hatte ihr bei der Mutter schon einige Rüffel eingebracht und deshalb war sie im Hinblick auf ein Gespräch mit ihr etwas verklemmt und froh, wenn die o – nee – san ihr diese Bürde abnahm. So riskierte sie nur einige verstohlene Blicke zur Mutter herüber. „Nun, ihr beiden, was mich zu euch führt, ist folgendes: da ihr heute die erste Geishaparty mit Amerikanern abhaltet, die dieses ehrwürdige Haus erlebt, ist es meine Aufgabe, euch darüber aufzuklären, wie dies von statten geht. Zunächst ist es nicht anders als Feiern vor einheimischen Gästen. Ihr kommt in den Raum, verbeugt euch und beginnt mit dem Standardprogramm, wie ihr es gelernt habt. Das einzige Problem ist die Unterhaltung danach…“. Sie blickte viel sagend in die Runde und fuhr fort: „Sicherlich habt ihr schon von anderen Mädchen von dem Gewissenskonflikt mit den ‚Affen’ gehört. Viele kommen sich vor wie eine baishunfu, wie Prostituierte, wenn sie mit ihnen Umgang haben. Daher will ich euch den Ablauf schildern. Sobald ihr euch zu den Männern setzt, löst ihr euren obi und zieht Kimono sowie Unterkleid etwas auseinander – aber nur so weit, dass euer Brustansatz sichtbar ist. Ihr lehnt euch beim Einschenken des sake sehr weit nach vorn, dann können sie euch in den Ausschnitt schauen und zahlen mehr Trinkgeld. Aber – um es gleich vorweg zu nehmen – ich werde es nicht dulden, wenn ihr weit über die vereinbarte Zeit hinaus in den ochayas bleibt und womöglich in einigen Monaten die okiya mit einem weiteren Bewohner beglückt. Lasst euch das gesagt sein! Aber ich weiß, dass ich mich auf meine beiden Kirschblüten verlassen kann, nicht wahr?“ „Hai, oka – san!“, echoten die Mädchen. „Gut, dann macht euch auf den Weg und lasst euch von Herrn Beppu noch einmal abbürsten und anschauen.“ Reiko Watabe ließ sich wieder auf die Beine helfen und zuckelte langsam hinaus. Die beiden Geikos prüften ihren Anblick noch einmal im großen Standspiegel auf dem Gang und kamen dann wieder die quietschende Treppe herunter, wo Herr Beppu schon wartete. Herr Hachidai Beppu war Chinese, aber in Japan geboren. Er war 72 Jahre alt und so schwerhörig, als hätte er sein ganzes Leben neben einer Tempelglocke gewohnt. Seine Brillengläser waren von billiger Machart, fielen manchmal aus dem Gestell – dennoch gingen sie nicht kaputt, da sie die Dicke von sake – Fässerböden hatten. In seinem Mund führten drei Schneide- und vier Backenzähne ein trauriges Dasein und gewöhnlich roch er nach Tiger – Balsam, einer Salbe, die er sich aus einem ‚Traditionelle Chinesische Medizin’ – Geschäft aus Tokyo von seinem Bruder Tomu extra besorgen ließ. Die war für seine alten, krachenden Gelenke bestimmt. An den Feiertagen roch man an ihm jedoch auch den stechenden Geruch des Moxa, den er an solchen Tagen gern zu kauen pflegte (vielleicht waren die Zähne deshalb ausgefallen?). Er hielt die Pflanze für etwas sehr Wichtiges und ehrte sie, indem er ihre Blätter eben nur zu Festen verzehrte – dann wirkte er immer wie ein alter Ziegenbock, den man vor dem Haus angebunden hatte und der etwas Gras zwischen den Pflastersteinen gefunden hatte und dieses nun bedächtig kaute. Na ja, zumindest war er immer freundlich und erzählte mit lauter Stimme Witze, die er zwar selbst nicht hören konnte, aber über die er lauthals mit meckernder Stimme lachte. Alle Mädchen mochten den alten Graukopf und hörten ihm gerne zu, auch wenn sie die eingeflochtenen chinesischen Wörter nicht verstanden. Nun stand Herr Beppu mit seiner Bürste aus Pferdehaar im Eingangsbereich der okiya, lächelte sein zahnloses Lächeln und winkte seinen Herzblättchen, wie er Kimie und Karen immer nannte, fröhlich zu. Sie ließen sich von ihm den Rücken abbürsten und somit von allen Schmutzpartikeln befreien und diese Art der Massage war ja auch alles andere als unangenehm. Der alte Mann erzählte wieder, während er an den Kimonos herumnestelte, die Geschichte von „momo taro“, dem Däumling aus dem Pfirsich und machte aus dem Jungen einfach „momo Kimie – chan“. Er lachte über seinen tollen Witz und klopfte den beiden Frauen aufmunternd auf den Rücken. Im Prinzip kannten sie die Geschichte vom Pfirsichjungen, aber wenn der Hauswart sie erzählte, war sie plötzlich ganz lustig. Draußen warteten die Sänftenträger, um die Geishas in das Hiyama – Teehaus zu bringen. Seit Jahrhunderten war dies ein überaus angenehmer Teil der Geishaarbeit: man wurde wie eine Prinzessin erwartet und zu den Veranstaltungen getragen - wenn man seinen Status hatte. Kimie und Karen bevorzugten die zwei – Personen – Sänfte, weil man sich in ihr eine Weile ungestört unterhalten konnte. Allerdings brauchte man hierfür nicht vier, sonder sechs Träger. Nachdem sie eingestiegen waren und bequem saßen, machten sich die kulis auf den Weg an das andere Ende von Gion. Kimie schaute aus dem kleinen Guckloch hinaus und spielte eines ihrer Lieblingsspiele: Leute beobachten und über ihr Leben sinnieren. Schon als Kind hatte sie das gerne gemacht, in der Töpferei ihres Vaters. Oft war sie gedankenversunken hinter der Kundschaft hergelaufen und Yoshinori hatte sie suchen müssen, weil sie irgendwann nicht mehr wusste, wo sie war – spätestens zum Abendessen konnte sie sich eine Standpauke der Mutter abholen, weil sie wieder einmal unerlaubt weggelaufen war. Und doch passierte es in den folgenden Jahren immer wieder und immer suchte sie „o –nii – chan“, ihr Bruderherz. Gerade jetzt kamen draußen ein junger Mann, vermutlich war er Bankangestellter, und seine Freundin, ein hübsches, aber einfaches Mädchen vorbei. Sie gingen Arm in Arm und sahen sehr glücklich aus. Das Unterhaken war eine durchaus neumodische Erfindung. Kimie konnte sich nicht erinnern, jemals andere Menschen gesehen zu haben, die in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschten. Sicherlich würde sich in den nächsten Jahren einiges ändern, irgendwie lag so ein Geschmack nach Veränderung in der Luft. Es war genau so eine Änderung wie das Stadtbild, in dem die Leute in den Trümmern herum stiegen und ihre Häuser wieder aufbauten, sofern das möglich war. Wahrscheinlich war das junge Paar verlobt oder sogar verheiratet. Verheiratet sein… Kimie wandte sich wieder ihrer Freundin zu. „Karen – sama? Kannst du dir vorstellen, zu heiraten?“. Karen blinzelte ungläubig und fragte: „Wie kommst du denn darauf?“. Verlegen sah das Mädchen aus Hiroshima zu Boden. „Weißt du, manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, eine Ehefrau zu sein, abends zu warten, dass mein Mann nach Hause kommt, ihm ein leckeres Abendessen zu kochen und dann mit ihm gemeinsam einzuschlafen. Unser Leben ist in dieser Hinsicht so trostlos und leer. Niemand liebt uns, doch wir werden bewundert… Jeder Tag der gleiche Trott, die selbe Art von Männern, die gleichen Floskeln und dasselbe Programm. Es fehlen so viele Dinge!“. Karen schaute sie nachdenklich an. „Die Sache ist die, dass ich mit meinem Leben, so wie es jetzt ist, vollkommen zufrieden bin. Ich möchte um nichts in der Welt mit einer Ehefrau tauschen.. Sie ist ihr ganzes Leben an Heim, Herd, Kinder und einen einzigen Mann gebunden. Wer von unserem Stand möchte schon mit ihr tauschen? Wir können von uns sagen, fast gleichgestellt zu den Männern zu sein. Eine einfache Bäuerin wird das nie behaupten können. Männer lieben Frauen, die sich rar machen und begehrenswert sind. Ihre Gattinnen dulden sie nur, denn meist werden diese von den Eltern ausgesucht, die Ehen sind arrangiert, sodass sie keine Gefühle füreinander haben. Wir hingegen sind frei und haben viele Männer – auch wenn wir sie nie ganz besitzen können. Für deinen danna bist du diejenige, die seine Wünsche erfüllen kann und jeder Mann, der unsere Partys besucht, träumt noch lange von deinen Fähigkeiten und von den Dingen, die er gern mit dir tun würde, wenn er das Geld dazu hätte, dein Gönner zu werden.“ Sie lächelte und erzählte weiter: „Ich bin froh, Geiko zu sein, denn mich selbst hätte es weitaus schlimmer treffen können. Hätte mich oka – san nicht aus dem Waisenhaus geholt, so wäre ich heute Armenhäuslerin, hätte eine Horde Kinder und einen Mann, der vielleicht noch im Krieg gefallen ist. Als Kind war ich immer hungrig, Süßigkeiten waren für mich unerreichbar, denn ich habe nie gestohlen. Heute kann ich einfach in ein Geschäft gehen und mir kaufen, was ich will, weil ich mir selbst Geld mit harter Arbeit verdient habe. Jeder bringt unserer Arbeit Wertschätzung entgegen und weiß, dass der Weg dahin sehr schwer und hart gepflastert ist. Niemand beneidet uns um die schwere Bürde, eine Künstlerin zu sein. Warum sollte ich also mit meinem Leben unzufrieden sein?“. Kimie schwieg. Sie wusste, dass ihre und Karens Sicht auf ein erfülltes Leben meilenweit auseinander lagen. Es war sinnlos, weiter darüber zu diskutieren. Sie hatte das Bild ihrer Eltern vor Augen, die sich bis zur letzten Minute geliebt hatten und die auch miteinander gestorben waren. Und so ein Leben blieb ihr verwehrt – sie zweifelte wirklich daran, weiterhin Geisha sein zu können. Die Freundin jedoch hatte nur erlebt, dass man leichter überlebte, wenn man alleine war und niemanden bemuttern musste. So bekam man auch immer die größte Portion Reis im Armenhaus ab und brauchte sich nicht darum kümmern, ob andere hungern mussten. So war halt das Gesetz des Stärkeren. Wenn man keine Gefühle für andere hatte, gab es auch nichts, was einen verletzen konnte. Die Sänftenträger hatten inzwischen das ochaya, die „Bühne“ erreicht. Schwer trugen sie nicht, denn das Gewicht der beiden betrug mit ihren Gewändern nur knapp 250 Pfund. Als die kleine Schiebetür der Sänfte geöffnet wurde, stieg Karen als o – nee – san zuerst aus. Sie musste immer darauf achten, sich nicht den Kopf zu stoßen, denn mit ihrer hoch aufragenden Frisur maß sie 173 cm – während Kimie nur 168 cm groß war. Die beiden richteten sich noch einmal die Kleidung und die Frisur, dann gingen sie zielstrebig zum Teehaus hin, die kulis machten sich auf den Weg zurück nach Hause. Das Hiyama – Teehaus war eines der ältesten Teehäuser Gions, vielleicht sogar ganz Kyotos. Die Besitzerin Tanako Hiyama war wahrscheinlich genauso alt wie ihr Haus, aber ebenso hell und freundlich, wie es eingerichtet war. Die alte Frau schob mit arthritischen Fingern die Eingangstür auf, verbeugte sich tief auf den Knien und lächelte die Geishas an. „Yoku irasshaimashita, meine hochverehrten Gäste! Wie schön, dass ihr unser armseliges Haus besucht. Bitte kommt doch herein, die gaijin warten im Kranich – Zimmer.“ Natürlich war das Teehaus ein sehr prächtiger Bau und in ihm zu feiern war sehr kostspielig, aber ältere Japaner untertrieben gern etwas, damit sich die Gäste nicht von zuviel Prunk verschüchtert fühlten. Sie stand auf und wies den beiden, während sie mit wackeligen Schritten voran ging, den Weg. Als das ochaya gebaut worden war, dass musste in der Sengoku – Ära gewesen sein, also vor 400 Jahren (zur Zeit des großen Oda Nobunaga), befand es sich auf einem künstlich angelegten See, den vermutlich der Kaiser selbst erbauen ließ. Das Haus war nur über einen breiten Steg erreichbar gewesen, wie die Besitzerin stolz erzählte, während sie ihre Künstlerinnen zum Zimmer führte. „Ich habe Zeichnungen aus dem 17. Jahrhundert, auf dem der See noch zu sehen ist, voll mit Kranichen, die hier nisteten. Das Zimmer in das ich Sie bringe, heißt Kranich – Zimmer, weil man die Vögel von dort am besten sah. Mein Großvater hat mir einst erzählt, dass, als er ein kleiner Junge war, der See bereits 50 Jahre zugeschüttet war, – wegen der Ausdehnung unseres schönen Kyotos – die Kraniche aber immer noch kamen und das Wasser suchten. Sogar auf dem Dach haben sie gesessen und in die Ferne geschaut. Aber ich habe schon lange keinen dieser Vögel mehr gesehen, vielleicht, weil ich so selten aus der Stadt heraus komme. Schade, nicht wahr?“ Mit Sicherheit gab es vielerlei Dinge, die zwei junge Mädchen mehr interessierten als Kraniche und zugeschüttete Seen. Aber das Taktgefühl, von Kindheit an antrainiert, und der herzliche Umgangston der alten Frau Hiyama ließen sie alles mit Kopfnicken und einem Interesse vortäuschenden „Mhm, Mhm“ quittieren. Das Zimmer schien sehr weit hinten im Haus zu liegen, der Gang nahm kein Ende. Doch schließlich stoppte die kleine Gruppe abrupt, sodass Kimie fast gestürzt wäre, weil sie mit den Gedanken wieder mal ganz woanders war. „Ich werde Sie ankündigen, wenn Sie die Güte hätten, hier zu warten?“ „Natürlich.“ Aus dem Zimmer war das dumpfe Gelächter vieler Männer mittleren Alters zu hören. Ein dröhnendes Lachen, das japanische Männer in dieser Situation für unangemessen gehalten hätten. So lachte man nur, wenn man schmutzige Witze erzählte und die waren erst nach einem halben Fass sake an der Reihe. Vor Aufregung, dass sie nun das erste Mal vor Ausländern ihre Künste zeigen musste, formten Kimies Lippen zittrig die Worte: „Es sind nur gaijin, nur gaijin, einfach nur gaijin…“. „Warum bist du so aufgelöst? Es sind doch nur ganz normale Männer!“ Karen schien dafür überhaupt kein Verständnis zu haben oder ihr war das Schicksal von Kimies Familie gerade entfallen. Das Mädchen wurde regelrecht zur Furie. „Du verstehst das nicht!“ Kimie fuhr herum, ihre Augen wirr, das Haar haftete wie festgeklebt am verschwitzten Kopf und das Gesicht war durch die Schminke noch bleicher. Sie wirkte wie eine Wasserleiche mit angemalten Lippen. „Ich soll hier das Liebchen vor Leuten spielen, die meine Familie auf dem Gewissen haben – jeder einzelne von ihnen ist ein Mörder und ich muss sie bedienen und für sie tanzen und singen und ihr dreckiges Geld annehmen und brav sein, das kann ich nicht!“ Karen wollte sie beschwichtigen, legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte ruhig: „Du solltest das nicht so…“. In diesem Moment kam Tanako Hiyama zurück und wies ihnen mit der rechten Hand den Weg. Kimie sog scharf die Luft ein, atmete tief aus und ging bestimmten Schrittes, dem aber die Angst vor der Bewährungsprobe anzusehen war, mit erhobenem Haupt in den Raum mit den Kranichen und den ihr so verhassten amerikanischen Bestien. Der folgende Ablauf war in jahrelanger Arbeit angeeignet, erprobt und rein auf Wirkung aus. Die Geishas verbeugten sich und schlagartig verstummten alle Gespräche – hatte doch General Orbison seinen Soldaten eingeschärft, wie sie sich vor den Japsen zu verhalten hatten. Dieses Land war so ziemlich das absonderlichste Land überhaupt: eine Sprache, die so fremd und ungewöhnlich war und zudem aus tausenden von Teilen zu bestehen schien; Essen, das teilweise noch ungekocht auf dem Teller landete; katzbuckelnde Männer, die aber dennoch niemals falsch und aufgesetzt auftraten, sondern ehrliches Interesse heuchelten, sowie Esswerkzeuge, bei denen man, wenn man überhaupt den Versuch dazu unternahm, mit ihnen zu essen, glatt verhungerte. Geishas waren auch so eine Seltsamkeit – hatten doch die GIs einen Haufen Prostituierte erwartet, die sich willfährig zu Diensten stellten, was auch in einigen Fällen durchaus zutraf. Also harrten sie aus und warteten gespannt auf die Dinge, die da kommen würden. Einige hatten sogar Wetten abgeschlossen, welches der Mädchen sich zuerst das komische Nachthemd vom Körper reißen würde: Die souveräne Löwin oder das niedliche Kätzchen. Kimies große, angstgeweitete Augen zuckten unruhig durch den Raum, wie die eines jungen Rehs, dass seine erschossene Mutter sucht. So weckte sie genau das Interesse, welches sie unbedingt vermeiden wollte: den Beschützerinstinkt. Sie ließ sich auf die Knie herab und legte das shamisen vor sich, woraufhin sie zu Karen aufblickte und, wobei die Freundin zu singen begann, anfing zu spielen. Sie hatte ein zu hartes Plektrum gewählt, die Melodie war eigentlich ein einziger Missklang, bei der jeder Japaner sie taktvoll, aber bestimmt unterbrochen hätte. Aber die Amerikaner waren entzückt von der sonderbaren Weise, die zu dem traurigen Lied des armen Fischermädchens, das sich aus Kummer den Göttern übergab, erklang. Karen hätte auch irgendwelche Wörter erfinden können, wenn ihr die passenden nicht eingefallen wären, denn die Sprache des Liedes entsprang der Heian – Periode, selbst die meisten Japaner verstanden sie nicht zur Gänze und es war auch hart für eine Geiko, solche alten Worte auswendig zu lernen. Die Zeit verging, es wurde 18 Uhr, es wurde 20 Uhr und Kimies Anspannung ging etwas zurück – auch wenn sie nicht ganz verschwand. Ständig hatte sie das Gefühl, als bohrten sich unzählige Nadeln in ihren Rücken, ein Gefühl, wie sie es zuletzt unter den Händen Tsutumis gespürt hatte. Sie schielte verstohlen über die linke Schulter und ihr fiel immer wieder der Blick eines Mannes auf. Er war allenfalls zehn Jahre älter als sie selbst, hatte grüne Augen, ebenmäßige Züge und eine muskulöse Figur. Er war nur ein Fremdling, nichts Besonderes war an ihm –ausgenommen vielleicht seine rötlichen Haare, das war schon Aufsehen erregend. Wenn sie ihn ansah, vergaß sie das Spielen, erntete von der älteren Schwester einen strafenden Blick und war wütend auf den Ausländer und sich selbst. Warum waren gaijin immer nur so… gaikoku ? Nachdem der Kulturteil beendet war, folgte das feucht – fröhliche Gelage. Sake floss in die Becher wie Wasser und den meisten Soldaten stieg er schnell zu Kopf, sodass sie sich unangebrachte Freiheiten an den Bediensteten und den Künstlerinnen selbst herausnahmen. Karen machte gute Miene zum bösen Spiel, trank eifrig mit – zumindest tat sie so – und öffnete den oberen Teil ihres Kimonos, woraufhin ihr gleich ein GI an die Brüste fasste. Ob es ihr gefiel – vermutlich nicht. Aber das Marktwirtschaftsprinzip der Mutter war ihr in Fleisch und Blut übergegangen: Was mich nicht umbringt, hilft mir auf dem Weg nach oben. Kimie schaute schüchtern hinüber und trank ebenfalls Sake, um Mut zu bekommen. Allerdings trank sie wirklich, nicht nur angedeutet. Sie hatte eine der obersten Regeln vergessen, die sie während ihrer Zeit als Maiko gelernt hatte: trinke niemals wirklich etwas bei Partys – du weißt nie, ob du heute Abend noch einmal eingeladen wirst! Somit wurde sie relativ schnell betrunken und ließ sich auf die Spielchen der Soldaten ein. Sogar Karen war überrascht, wie gelöst sich das Mädchen gab – aber das kam ja der okiya zu Gute. Gegen 21 Uhr wurden die ersten schläfrig. Die Köpfe der Männer sanken auf die niedrigen Tische, als hätte man ihnen ein katana – Schwert über den Kopf gezogen. Erst gegen 21.30 Uhr war sich Karen sicher, gehen zu können. Sie war noch fast nüchtern, ihrem wachen Geist fügte der wenige Alkohol kaum Schaden zu. Bei Kimie schien das anders zu sein: sie hatte einen ziemlichen Schwips. Ihr schmaler Körper schwang hin und her wie ein Uhrpendel, sie wackelte auf Karen zu, als hätte sie gerade Laufen gelernt. Die o – nee – san stützte sie und draußen warteten sie noch eine halbe Stunde, bis sich der Verstand des Mädchens wieder erholt hatte und ein klarer Gedanke möglich war. „Willst du mit mir zurück fahren oder noch etwas warten? Ich denke, dass Mutter nicht erfreut sein wird, wenn sie den Sake an dir riecht. Lauf lieber den Weg, ich sage Herrn Beppu Bescheid, dass du noch kommst – dann sperrt er nicht zu und er kann dich suchen, wenn du verloren gehst. Ich werde den kuli gleich noch einmal losschicken, wenn ich angekommen bin – er soll dich dann hier abholen, aber nicht vor der okiya absetzen. Somit musst du noch ein Stück laufen und kriegst einen klaren Kopf. Ist das für dich in Ordnung?“ Das Mädchen nickte und hielt sich den Kopf; Karen streichelte ihr liebevoll den Rücken und ging dann zur Straße, um in die Sänfte zu steigen. Nachdem sich die Sänftenträger holpernd in Bewegung gesetzt hatten und die junge Geisha ihnen eine Weile nachgeschaut und zusammenhangloses Zeug gebrabbelt hatte, ging sie trägen Schrittes die Straßen hinab. An das, was Karen gesagt hatte, erinnerte sie sich nicht mehr. Die meisten Häuser glotzten mit dunklen Augen auf Kimie herab – wobei in einigen noch Licht brannte. Dies waren die Häuser der Frauen, die ihre Arbeit erst in der Dunkelheit aufzunehmen vermochten. Mit einer gewissen Abscheu betrachtete sie das Treiben hinter den Fenstern, obwohl alles nur schemenhaft erkennbar war. So in Gedanken versunken, führten ihre Füße sie selbst zur Shirakawa – Brücke an den Häuserfronten entlang, doch, sei es aufgrund von Unachtsamkeit, wegen des Alkohols oder wegen der Dunkelheit: Kimie stieß mit dem rechten Fuß gegen irgendeinen Gegenstand, sie strauchelte, suchte Halt doch mit dem sehr eng gebundenen Kimono war ihr Fall ungebremst. Sie stürzte zu Boden, hörte den Kimono entzwei reißen und spürte, dass sie sich das Knie aufgeschlagen hatte, weshalb dunkelrotes Blut erst das Unterkleid, dann auch das Obergewand durchdrang. Es sickerte durch die Lagen des Stoffes hindurch und setzte sich genau in den Kopf eines kleinen Vogels auf dem Muster des Kimonostoffes. Kimie rieb sich den Knöchel und betrachtete mit Entsetzen den abgerissenen Kimono; man konnte ihre bloßen Beine sehen, an denen das Blut Bahnen bildete. Sie biss sich auf die Lippen und entdeckte, dass sie sich auch diese aufgeschlagen hatte. Blut rann ihr Kinn hinab, sie musste ja furchtbar aussehen! Wahrscheinlich ähnelte sie einer dieser Geisterfrauen, deren untote Seelen in verlassenen Häusern herumspukten… Sie hörte schon die Schelte der oka – san und sah vor ihrem geistigen Auge eine ellenlange Rechnung erscheinen, welche die Schneiderkosten darlegte. Irgendwie musste sie zurück in die okiya, denn jetzt, nach dem Fest, würden die Dienstmädchen und Herr Beppu sie bald suchen. „Ich muss weiter!“, dachte sie, aber gerade, als sie sich an einer Laterne hochziehen wollte, gab es einen Stich im rechten Knöchel und sie sank zurück. Wohl noch vom Alkohol benebelt, begann Kimie zu weinen wie ein kleines Kind. „Aber.. ich muss… doch nach… Hause,“, stammelte sie und blickte Hilfe suchend in die Nacht. Sie rappelte sich auf, rutschte aber immer wieder zusammen, bis sie nur noch über das Pflaster rutschte und so den Kimono noch weiter beschädigte Gerade, als sie einen neuen Versuch zu Laufen startete, griffen zwei Hände behutsam unter ihre Achseln und zogen sie auf die Beine. Es waren Männerhände, das spürte sie. Seit Tsutumis Zeit waren der feste Griff und die männliche Entschlossenheit ihr wohl bekannt. Kimie drehte vorsichtig den Kopf, damit sie ihren Helfer sehen konnte, da sagte er freundlich: „May I help you?“. Sie erschrak zu Tode, denn die Augen in die sie blickte, waren groß, grün und das dazugehörige Gesicht weiß. Vor ihr stand ein gaijin! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)