Heilloser Romantiker von Pansy ================================================================================ Kapitel 18: Kapitel 18 ---------------------- Kapitel 18: Seine Knöchel wurden immer weißer, während sich seine Finger krampfhaft in den weißen Stoff, der über seiner Brust lag, hineinkrallten. Sie zitterten unablässig und lautes Keuchen erfüllte den Raum um sie herum. Rick stand die Angst in den dunkelblauen Augen und ein nebliger Schleier umspielte die Iriden, die fortan jedwedem freudigen Glanz entsagten. Vielleicht schimmerten sie doch ein wenig, allein durch die Tränen, die nicht versiegen wollten, veranlasst, aber das kam einzig von der Trauer, die sich über sein Herz gelegt hatte. Wie konnte ein Mensch nur solch grausame Dinge tun? Wie kann ein Mann nur jemanden zu einem Kuss zwingen, sich das nehmen, was der andere gar nicht möchte? Warum kann jemand anderen nur solche Schmerzen zufügen? /… und dann mit einem eiskalten Gesichtsausdruck verschwinden… / Während Rick jeglichen Blick in den Spiegel vermied, drehte er sich zum Waschbecken und hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn, den er anschließend aufdrehte. Etwa eine Minute lang verharrte er unter dem kühlen Nass, wollte alle Sünden wegwaschen, die ein anderer gegen seinen Willen begangen hatte. Er füllte immer wieder seinen Mund mit Wasser und versuchte den abscheulichen Geschmack loszuwerden, der ihm noch mehr kleine Perlen in die Augen trieb. Wie in Trance vernahm Rick eine wütende Stimme, die dumpf durch die Tür drang. Er brauchte ein wenig, sie zu erkennen, doch er konnte sie alsdann Amelia zuordnen. /Sie wartet ja auf mich!/ „Was hast du denn so lange gemacht?“, fuhr ihn das Mädchen an, als Rick aus der Herrentoilette trat. Er sah sie gequält an. „Der Seifenspender streikte und ich habe versucht, ihn zu überlisten und seine Rache bestand darin, mein Hemd vollzuspritzen.“ Genauestens studierte Amelia seine Kleidung, die am Kragen tatsächlich feucht war. „Mhh, wir haben den Anfang des Films verpasst. Aber wenn wir uns beeilen, dann verpassen wir nichts Wichtiges.“ „Dann los, hier sind die Karten“, erwiderte Rick und zückte zwei Papierstreifen, die ihm das Mädchen sofort entriss. Mit langsamen Schritten folgte er ihr in den Kinosaal, in dem viele Menschen gebannt auf die große Leinwand schauten. Erstickte Klänge drangen von allen Seiten her und Rick kämpfte sich durch die volle Reihe, nahm ein ’Weg da!’ wortlos in Kauf und setzte sich neben Amelia, die ebenfalls wie der Rest nur noch einen Blick für den Film hatte. Dumpf das Prasseln im Herzen der Tropfen jeder Träne… im Schweigen ergossen. Verzweifelt versuchte Rick der Handlung zu folgen, versuchte mit aller Kraft, seinen Körper zu entkrampfen. Er stierte mit gepressten Lippen nach vorne, sah zwei Männer, wie sie durch Gänge eingefasst durch dickes Glas mit seltsamer Inschrift liefen und immer neue kritische Blicke hinter die gläsernen Wände warfen. Die Musik wurde zunehmend bedrohlicher und helle Töne mischten sich ab und an darunter, die in Ricks Kopf schrill nachhallten und einfach nicht verklingen wollten. „Hey, Rick?“, fragte Amelia, aber Rick nahm ihre Stimme nicht wahr. Wehmütig das Klagen des Herzens jedweden Stiches Nadeln gleich… im Dunkel aller ungeachtet gefühlt. ’… ich bezweifle, dass du so viel Begierde beim ersten Mal ertragen könntest…’ Worte… nur Worte… die in Rick geschrieen wurden. Er sah wie einer der Hauptdarsteller in der Mitte gespalten wurde, sah eine Hälfte am Glas hinabgleiten und rotes Blut hinterlassen. Vor Ricks Augen färbte sich alles rot, tiefrot und obwohl auf der Leinwand bereits kein Blut mehr zu sehen war, sah er es immer noch. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und seine Atmung beschleunigte sich. Seine Fingernägel bohrten sich zittrig in die Armlehnen seines Sitzes. Als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, sprang er auf, um der Berührung auszuweichen, und stolperte anschließend über die Beine sich beschwerender Menschen. Er verlor das Gleichgewicht und fiel auf einen Jungen, der ihn unsanft wegstieß. Verstört fühlte er alsbald härteren Boden unter sich, stieg die Treppen hoch und fiel aus der Tür. Auf allen vieren kroch er vom Saal weg hin zur langen Reihe aus Heizung und stabilen Holzbrettern. Kraftlos zog er sich auf eines der Bretter und kauerte sich in die letzte Ecke hinein. Amelia schlüpfte durch die große Tür des Kinosaals und lief geradewegs auf den Dunkelhaarigen zu, der seinen Kopf unter seinen Armen vergraben hatte, die auf seinen angewinkelten Beinen lagen. Lautlos setzte sie sich nicht unweit von ihm hin und sah ihn mit ihren leeren Augen an, legte eine ihrer zierlichen Hände auf das Holz direkt neben Rick, kam mit ihrem Gesicht nahe an seine Schultern heran. „Kämpfe dagegen an, lass das Dunkel nicht die Überhand gewinnen“, flüsterte sie mit weicher Stimme. „Denke an dein Licht, das für dich erstrahlt... nur für dich…“ /Mein Licht…/ „Du bist viel zu wertvoll, als dass du dich von der Finsternis verleiten lassen könntest… glaube an das Licht,…. Bitte glaube daran… bitte!!!“ /… Joe… mein Joe…/ „Spüre die Wärme der Strahlen deines Lichtes… lass sie in deine Haut dringen und dir das Böse vertreiben… Rick, glaube!“ /… seine grünen Seen beschützen mich… hüllen mich ein… / „Stehe über allen Dingen und siehe nach vorne… in dein Licht hinein… es wärmt dich,… es schützt dich… es erstrahlt einzig und allein für dich.“ Vorsichtig hob Rick den Kopf an und sah in Amelias leere Augen, die in diesem Moment überhaupt nicht leer waren, sondern den ganzen Schmerz in sich trugen, der dem Mädchen zugefügt worden war. „Kämpfe Rick, bitte!“, flehte sie und nahm ihren Blick nicht von ihm. „Mache nicht denselben Fehler wie ich, ich bitte dich.“ Rick legte langsam seine Arme um sie und drückte sie erst leicht, dann immer fester an sich… „Du schmeckst so gut…“, säuselte Julia und knabberte an Joes Ohr. „Ja…“ „Die Sonne ist blau.“ „Hm-mm.“ „Du hörst mir gar nicht zu!“, fuhr sie ihn laut an, wofür sie wütende Rufe der anderen Besucher erntete und Popcorn zugeschmissen bekam. „Erst sehe ich dich tagelang nicht und dann nimmst du mich gar nicht mal richtig wahr. Weshalb gebe ich mich eigentlich mit dir ab!“, fauchte sie nun um einiges leiser. Joe sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und versuchte sie mit einem liebevollen Blick zu beruhigen, was aber anscheinend das Gegenteil bewirkte. „Bist du etwa in Gedanken nur noch bei deinem Freund? Der ist alt genug, der wird schon ohne dich klar gekommen! Du brauchst ihn nicht bemuttern, er steht auf eigenen Füßen!“ In Joes Kehle steckte ein dicker Kloß und er wusste im ersten Moment nichts zu erwidern. Julia funkelte ihn böse an und er begriff nicht, weshalb sie dermaßen wütend war. Es stimmte, dass er ihr abgesagt hatte und das nicht nur einmal, sondern mehrmals. Ja, er hatte die Verabredungen mit ihr gecancelt… und? War das ein Grund, ihn nun so anzugreifen? Er saß doch jetzt neben ihr, war mit ihr hier im Orange Star und schaute mit ihr zusammen einen Film. /Rick ist mir nun einmal wichtig, er ist mein bester Freund. Verflucht, kannst du das nicht verstehen? Er hat niemanden als mich!/ „Beruhige dich erst mal“, versuchte Joe Julia zu besänftigen. „Wir stören die anderen.“ „Was interessieren mich die anderen? Ich möchte wissen, ob er dir wichtiger ist als ich.“ Joe schluckte schwer. Was sollte er auf die Frage antworten? Natürlich war Rick der Mensch, der ihm am Herzen lag, eben als guter Freund, als Kumpel, als d-i-e Bezugsperson. Und Julia? – War eine Bekanntschaft, ein Flirt, aber wirklich seine Liebe? Er mag sie, sogar sehr… doch sein Herz schlägt nicht für sie. So sehr er sich das in den letzten Tagen einzureden versucht hatte, hatte sein Körper ihm jedes Mal etwas anderes gesagt, als er mit ihr telefoniert oder sie gesehen hatte. Sein Herz schlug nicht schneller, wenn er mit ihr Kontakt hatte, er fühlte keine Schmetterlinge im Bauch, da war nichts, was auf intime Zuneigung hin deutete. Immer wieder hatte er sich gewünscht, dass die Rothaarige seinen Verstand vernebeln würde, doch sie tat es nicht, in keinster Weise. Betroffen erwiderte er ihren Blick, hielt ihm stand, doch wusste im selben Augenblick noch, dass er sie verletzen würde, wenn er ihr etwas in der Art sagen würde, zumal er sich etwas anderes nicht eingestehen wollte. Zärtlich legte er eine Hand auf ihre Wange und küsste sie auf die Stirn, was sie immer noch Groll verspürend zuließ. „Ich möchte dich nicht verlieren, denn ich habe dich sehr gerne.“ Er strich mit zwei Fingern über ihre vollen Lippen, bevor er seine auf sie legte und mit seiner Zunge um Einlass bat. Der innige Kuss nahm die Spannung aus ihrem Körper und ließ sie in seine Arme sinken. Im Dunkel des Kinos erkannte man kaum die Wehmut in Joes grünen Augen, die durch seine Lider nicht verdeckt waren. Keuchend löste sich Julia von ihm und lächelte ihn dankbar an. „Ich liebe dich“, hauchte sie ihm entgegen, was sein Herz beinahe zerriss. /Wenn ich nicht bald Herr über meine Gefühle werde, werde ich dir irgendwann sehr weh tun… / „Amelia…?“ „Ich möchte nicht darüber reden.“ „Aber ich… möchte dich verstehen.“ „Bitte Rick, frage nicht nach.“ Rick fuhr sich langsam durchs dunkle Haar und fixierte einen Punkt auf der geschlossenen Tür des Kinosaals, in dem sie nun eigentlich hätten sitzen und einen Film schauen sollen. „Auf der Welt passieren Dinge, dich ich einfach nicht begreife… Menschen begehen Verbrechen und haben sichtlich auch noch Spaß daran, andere zu verletzen… Ich wünsche mir manchmal, noch klein zu sein, denn da sieht man die grausame Wirklichkeit nicht, man kann sich vor ihr verstecken und lebt meist in harmonischer Eintracht…“ „Auch als Kind kann man Schmerzen erfahren“, sagte Amelia leise. „Ich lebte in einer intakten Familie… das machte mich wirklich glücklich… Meine Eltern kümmerten sich um mich… doch dann wurde ich älter und-“ „Sie ließen dich im Stich“, unterbrach sie ihn. Traurig sah er auf das weiße Papier auf der schwarzen Tür, auf dem eine große zwölf stand. Er hatte innerlich ein Bild vor sich, das ihm zu teuer war, als dass er es gleich wieder verdrängen konnte. /Meine Eltern waren wirklich immer für mich da, bis ich ihnen offenbarte, dass ich ihnen keine Enkelkinder auf dem üblichen Wege schenken kann… mein Vater war in seinem Weltbild total erschüttert und verstieß mich, erkannte mich nicht mehr als Sohn an… Obwohl sie mich weggeschickt haben und ich sie seitdem nicht mehr gesehen habe, liebe ich sie… ich bin ihr Fleisch und Blut und kann sie nichts als lieben…/ „Ich glaube, manchmal haben die Eltern zu große Erwartungen in ihre Kinder oder wünschen sich, dass sie ihre unerfüllten Träume verwirklichen… Mein Vater zum Beispiel wollte immer noch ein zweites Kind haben, eine Tochter, doch meine Mom wurde nach mir nicht mehr schwanger…“ Warum erzählte er das Amelia überhaupt? Hatte sie nicht selbst genug Probleme, musste er sie dann mit seinen auch noch belasten? Ihre Nähe tat Rick gut und er war heilfroh, dass er jetzt nicht alleine war. Selbstverständlich konnte sie Joe nicht ersetzen, aber in manchen Situationen war ein Mensch, der ähnliches erlebt hatte, genau der richtige, weil er nachvollziehen konnte, was in einem vorging. Und Rick glaubte fest daran, dass sie von ihren Eltern enttäuscht war, nicht nur, weil sie unter anderem in einer ihrer Mails erwähnt hatte, dass sie wegen ihrem Vater betrübt war, sondern auch, weil sie vorhin exakt die richtigen Worte gewählt hatte. Zwar war er wegen diesem widerlichen Kerl so aufgelöst gewesen, und doch hatte ihr Zureden ihn auch daran erinnert, wie viel Leiden er schon wegen seinen Eltern überwunden hatte. „Ich sollte ihm eine Enkelin schenken,… keine, durch deren Adern nicht sein Blut floss…“ „Väter können kaltblütig sein“, erwiderte Amelia, fügte aber ansonsten nichts hinzu, schloss stattdessen die Augen und dachte an den Funken, den Rick immer wieder entfachte, wenn sie seine Stimme vernahm. Die Türen der Kinosäle öffneten sich und alsbald tummelten sich rege unterhaltende Menschen, bepackt mit Jacken und Taschen, in den Gängen. Die einen liefen schnell an Rick und Amelia vorüber, die anderen blieben ab und an stehen, um wilde Szenen nachzuspielen, die sie eben gesehen hatten. „Viele verschließen sich vor der Torheit der Welt… Falls ihr Lachen ehrlich ist, sind sie einfach nur zu beneiden.“ Rick betrachtete sich das Mädchen, von dem er immer noch nichts wusste außer ihrem Namen und dem Fakt, dass sie Schlimmes durchgemacht haben musste. Er hatte all ihren Schmerz gesehen und war sich nun sicher, dass es eine harte Aufgabe wurde, ihr zu helfen. Doch nun war sie für ihn da, hatte ihm ungemein geholfen, über dieses schreckliche Erlebnis in der Toilette einigermaßen hinwegzusehen, und er beschloss, alles Erdenkliche zu tun, um sich dafür zu revanchieren, wenn es in seiner Macht liegen sollte. /Ihr Schicksal und meines sind vielleicht total verschieden, auf gewisse Weise aber doch ähnlich gestrickt…/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)