Heilloser Romantiker von Pansy ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Kapitel 11 „Ich hatte gar nicht mehr in Erinnerung, dass die Fahrt nach Histerian so lange dauert“, seufzte Joe, der heimlich nach der Tasche griff, in die Rick das Essen gepackt hatte. „Unterstehe dich!“ „Wie-“ „Das Rascheln der Folie hat dich verraten. Also leg es wieder weg und warte, bis wir da sind.“ „Nichts darf man hier.“ Rick zuckte mit den Schultern. „Tja, wenn du dich auch nicht zu benehmen weißt.“ „Sonst geht es dir noch gut, ja?“ „Natürlich.“ Grummelnd schloss Joe den Reißverschluss des Rucksacks wieder und legte seinen Kopf an die Fensterscheibe, aus der er nun sah. Der Bus, mit dem sie fuhren, war kaum besetzt, so dass das Brummen des Motors fast das einzige war, was an seine Ohren drang. „Rick?“ Auf seltsame Art und Weise klang er gedankenverloren und plötzlich bedrückt, was Rick das Lächeln aus dem Gesicht trieb. „Ja?“ „Irgendwie ist es schon komisch, wieder dorthin zu fahren.“ „Ja schon… aber ist es nicht auch schön, etwas zu besuchen, was einem am Herzen liegt?“ „Du hast Recht.“ Einverständlich nickte Joe seinem fahlen Spiegelbild entgegen und betrachtete sich dann die Silhouette, die zu seinem Freund gehörte. Lange ruhte sein Blick auf dem Dunkelhaarigen, bis er dann die Augen schloss und durch das ruhige Atmen des jungen Mannes neben ihm beseelt eindöste. „Wach auf!“ „Mhh?“, kam es verschlafen aus Joes Mund. „Wir sind da. Komm schon, sonst lass ich dich hier zurück.“ Rick zupfte an Joes Jackenärmel und zog dann daran. /Zwar würde ich dies nie tun, doch es scheint zu wirken./ Plötzlich hellwach sprang Joe auf, hätte Rick beinahe umgerempelt, konnte ihn aber noch festhalten, so dass sie lediglich gemeinsam aus dem Bus stolperten. Als er das schmerzverzerrte Gesicht seines Freundes sah, setzte Joe ein besorgtes Gesicht auf. „Hab ich dir wehgetan?“ „Halb so wild.“ „Nein, zeig her, denn du hörst nicht auf, deine Hand zu reiben.“ Er griff nach Ricks Hand und begutachtete sie. /Ich hätte nie im Traum daran geglaubt, dass du so schnell erneut meine Hand hältst… fühlst du auch diese vielen kleinen Schmetterlinge im Bauch, die wild mit den Flügeln schlagen?/ „Haben wir Pflaster im Rucksack?“ „Ich denke schon“, entgegnete der Kleinere kleinlaut. Ihm war die Situation irgendwie unangenehm, da sich wohlige Hitze nach und nach in seinem Körper ausbreitete und all seine Gegenwehr nichts nützte. „Ha, da haben wir es. Nun drauf damit. Tut mir leid, dass ich nicht aufgepasst habe.“ „Das hast du schon längst wieder gut gemacht.“ Verlegen drehte sich Rick weg und lief ein paar Schritte. Er musste Luft holen, damit sein Herz nicht mehr so schnell schlug. Die Nähe zu Joe häufte sich zunehmend und er hatte sehr viel Mühe damit sich zu beherrschen. Wenn er ihm doch sagen könnte, dass… Energisch schüttelte er den Kopf und hoffte, Joe bemerke seine Nervosität nicht. „Hier hat sich nichts verändert“, begann Joe, als er Rick eingeholt hatte. „Sieht noch genauso aus wie früher.“ Die Blicke der beiden schweiften in Einklang zu den hohen Bergen, dann über die weiten Wiesen bis hin zu dem kleinen Waldstück rechts von ihnen. Ein Schwarm Vögel kreiste über ihre Köpfe hinweg, bildeten eine neue Formation und verschwand hinter den bereits in bunten Farben schillernden Wipfeln. Der Bus hinter ihnen startete seinen Motor wieder und fuhr ab. „Ebenso so herrlich schön.“ „Ich mag die heilige Atmosphäre ja nicht stören, doch hörst du nicht meinen armen Magen?“ Entgeistert wandte sich Rick seinem Freund zu und bedachte ihn mit einem geringschätzigen Blick. „Hey, habe Nachsicht, mein kleiner Romantiker. Ich verspreche dir, dass ich dich dies hier alles genießen lasse, wenn mein Hunger gestillt ist.“ „Du bist eine Sünde. Betrittst kaum solch prächtige Landschaft und denkst nur ans Essen.“ „Kann ja nicht jeder so heillos romantisch veranlagt sein wie du.“ „Gib mir den Rucksack.“ Fordernd streckte Rick seinen Arm aus, den der Blonde nun fest umklammerte. „Da denke ich im Leben nicht dran.“ „Fresssack.“ „Na und?“ Joe lief ein paar Schritte rückwärts, denn Ricks Hand kam gefährlich nahe, wollte ihm das nehmen, was sein Magen so sehr begehrte. „Das ist alles meins.“ Bevor Rick doch einen Teil des Rucksacks erhaschen konnte, begann er in Richtung des Waldes zu rennen. „Wer zuerst da ist, darf alles aufessen“, rief er über die Schulter hinweg dem Kleineren zu. Der verdrehte die Augen, rannte dann aber hinter Joe her. Völlig außer Atem erreichte Joe zuerst den großen Kastanienbaum, der seine Äste weit von sich streckte. Eilig öffnete er die Tasche und holte einen großen Beutel heraus. Da er kurz nicht aufpasste, ergriff eine Hand den Beutel und entriss ihn ihm. „Und nun?“, kam es frech über Ricks Lippen. „Das ist nicht fair.“ „Ach was. Klettere da rauf und du bekommst was ab.“ „Das klingt ja, als ob du mit einem Hund reden würdest.“ „Komm Blondschopf, rauf da!“ „Pah und ich höre auch noch“, murrte Joe, als er den Fuß auf den ersten Ast aufsetzte. Es dauerte keine drei Minuten, da hatten es sich beide auf dem Geäst gemütlich gemacht. Mit einem zufriedenen Grinsen fing Joe den Beutel mit den belegten Broten auf. „Du hast eben doch ein Herz für Tiere.“ „Es ist schon ungefähr zwei Jahre her, dass wir das letzte Mal hier oben saßen.“ „26 Monate, es war mitten im Hochsommer“, sagte Rick eher zu sich selbst, denn in Gedanken war er weit in die Ferne geschweift. Einerseits genoss er in vollen Zügen den Ausblick, er konnte über die gesamte Grünfläche blicken, die am Fuß des mittelhohen Berges endete, andererseits schwelgte er in den Bildern, die sich vor seinem inneren Auge aufgetan hatten, als er den Baum berührt hatte. Die Drucke von Realität und Vergangenheit verschmolzen allmählich miteinander und woben ihn in ein seidenes Band. „Wir wollten uns von diesem Ort verabschieden und dies mit einer uns selbst erdachten Zeremonie“, erzählte Rick leise. „Weißt du noch, wie die Kerzen unter uns brannten und den Baum in ein warmes Licht tauchten? Du hieltest mich für verrückt, weil ich das unbedingt durchziehen wollte, doch am Ende fandest selbst du Gefallen daran und wurdest traurig, weil wir von hier fort gingen.“ /Tagelang hast du mich dazu überredet… all meine Widerreden waren vergeblich gewesen. Und als ich dann in deinen Augen las, dass es dir ernst war, stimmte ich zu/, dachte Joe im Stillen. „Die Nacht war lauwarm und wir verbrachten sie komplett hier. Erst als die ersten Sonnenstrahlen am Himmel auftauchten, bliesen wir die Kerzen aus und sagten Lebewohl… Warum sind wir nicht eher wieder hergekommen?“ /Die Rhetorik deiner Frage überrascht mich nicht… ich nahm dir zuliebe Abschied von diesem Ort, damit du mit deinem alten Leben abschließen konntest. Ich bin dir gefolgt, habe selbst alles hinter mir gelassen, denn ich konnte dich nicht unbeschützt den großen Schritt wagen lassen./ „Es erfüllt mich mit Freude, dass ich solch prachtvolle Umgebung nicht nur mit schlechten Erinnerungen in Verbindung bringen kann. Diese Schönheit und Anmut ist ein Teil von mir, auch wenn ich ihr eine Zeit lang entsagen musste. Ich bin wirklich glücklich hier zu sein.“ /Du hast tapfer gekämpft, mein kleiner Romantiker. Für den Sieg über die erlebten Grausamkeiten habe ich immer gebetet und nun zeigst du mir, dass mein Hoffen nicht umsonst war./ „Rick, sieh mal nach unten!“ Ein kleines Kitz knabberte an dem einen Riemen des Rucksacks, den sie unten am Fuß des Baumes stehen gelassen hatten. Als er aber aufgrund seiner Leichtigkeit zu schnell nachgab, schüttelte sich das Tier und trabte weiter. „Irgendwie haben es die Waldbewohner auf deine Sachen abgesehen.“ „Hm? Ah meinst du den Biber?“ Rick war noch immer von seichter Melancholie umgeben und nickte nur. „Solange sie Spaß daran haben“, schloss Joe das Thema. /In deinen Augen zeichnet sich ein unbeschreiblicher Glanz ab, während du das Spiel der Natur verfolgst. Dein Herz ist ebenso rein wie dieses Fleckchen Erde, so unschuldig, aber auch ebenso leicht zu verletzen. Lass es dir niemals zerstören, dafür bist du zu wertvoll./ „Wollen wir nun ein wenig spazieren gehen?“, fragte Joe hoffnungsvoll. Sein Bauch fühlte sich so voll an, dass er Bewegung dringend nötig hatte. „Jetzt schon?“ „Habe Erbarmen.“ „Wir sind doch gerade erst gekommen.“ Ein Blick auf die leere Tüte genügte Rick, um zu verstehen. „Du hast doch nicht im Ernst alles auf einmal gegessen?“ „Also das war so… Du hast geredet und da ich dich nicht unterbrechen wollte, habe ich mich anderweitig beschäftigt.“ „Nun bin ich schuld, oder was!?“ „Sicher, siehst du sonst noch wen?“ „Geh doch allein.“ „Klopf, klopf. Komm schon mit.“ „Ich soll mich mit solch einem Vielfraß abgeben?“ „Ohne dich ist es nicht das gleiche.“ „Darauf fall ich nicht rein.“ „Och Rick, lass dich doch nicht immer von mir aufziehen.“ /Auch wenn es lustig ist./ „Los klettere schon runter, sonst muss ich über dich drüber steigen.“ „Danke vielmals, mein großzügiger Magenfüller.“ In stiller Zweisamkeit liefen sie durch den Wald, stiegen über hoch herausragende Wurzeln und ließen heruntergefallene Blätter unter ihren Füßen rascheln. „Triffst du Julia noch?“ Die Frage war ungewollt laut ausgesprochen, doch sie beschäftigte Rick schon eine ganze Weile. Das Schweigen, das seit dem Verlassen des Kastanienbaumes eingetreten war, war damit durchbrochen. „Wir sind für heute Abend verabredet.“ „Wie… wie ernst ist das zwischen euch beiden?“ Eine Antwort ließ lange auf sich warten und Rick hätte beinahe seinen Freund angeschrieen, er solle doch endlich etwas sagen. Doch der Kleinere hielt sich zurück und nestelte stattdessen an dem Reißverschluss seiner Jacke. Innerlich schalt er sich für die Frage, denn er war sich nicht sicher, ob er tatsächlich eine Antwort hören wollte. Insgeheim hatte er zu viel Angst, dass sie seine schlimmsten Befürchtungen bestätigen würde. „Das kann ich nicht sagen. Wir verstehen uns wirklich blendend, aber…“ /Aber was? Joe, tu mir das nicht an! Schaffe Klarheit in das Chaos meiner Gefühle… du bist hier bei mir und doch verweilt dein Herz bei einer Frau, hab ich Recht?... Oder nicht?/ „Aber?“, wiederholte Rick dezent. „Ach, wir kennen uns noch nicht lange, aber es könnte noch sehr ernst werden.“ /Warum hast du gezögert?... Sag mir, warum!/ „Eine Beziehung baut sich langsam auf, da kann ich nicht sofort sagen, dass ich sie über alles liebe. Das verstehst du doch, oder?“ /Wenn du solch ein Geständnis gerne hören würdest, könnte ich dir diesen Gefallen tun…/ „Ja. Heißt das, dass du dir bei ihr noch nicht sicher bist?“ „Ich habe sie wirklich sehr gerne und bekomme weiche Knie, wenn ich sie sehe. Also das spricht doch für sich.“ Verschmitzt grinste er den Kleineren an, der halbherzig zurücklächelte. Rick war mit einem Mal elendig zumute, musste dies aber verstecken, konnte seine Gefühle aber nicht lange verbergen. Er hielt sich den Bauch und beugte sich vornüber. „Hey Rick. Hast du Schmerzen?“ „Hab wohl das Essen nicht vertragen“, redete er sich aus der Wahrheit heraus. Joe stützte ihn und half ihm auf eine Bank, die ganz in der Nähe stand. „Ein Schluck Wasser sollte helfen. Ohweh, haben wir den Rucksack etwa am Baum stehen gelassen!?“ Ein weiteres Mal drehte sich Joe im Kreis und suchte alles nach dem dunkelblauen Stoff ab. „Kann ich dich hier einen Moment allein lassen, dann hole ich ihn schnell.“ „Kein Problem, bis gleich.“ Nichts war Rick lieber als das. Einen Augenblick der Einsamkeit ausgeliefert zu sein war das, wonach er sich gerade sehnte. Warum war er so idiotisch gewesen und hatte Joe nach Julia gefragt? Das Beisammensein mit ihm an dem Ort, der sie sehr miteinander verband, war so schön gewesen und er stellte dennoch diese Frage. Wie konnte man nur so dumm sein? In Rick stiegen Tränen auf, die leise an seinen Wangen hinabkullerten. Die Frage, ob er ’Mission 2’ überhaupt noch antreten würde, kreiste in seinem Verstand. /Ist doch eh vergebens!/, schreite es in Rick. /Vergiss es, du wirst ihn nie für dich bekommen!/ Kraftlos stampfte er mit einem Fuß auf den weichen Untergrund, der nachgab und lediglich leises Knistern von sich gab. /Mach dir nichts vor und sieh es endlich ein!/ „Ich will aber nicht“, hauchte er in die herbstlich duftende Luft hinein, die seine Worte in sanften Schwingen mit sich trug. Trotzig beseitigte er die kleinen schimmernden Perlen, die ihm auch nicht halfen. /Ich gebe nicht auf! Niemals!/ Joe kehrte zurück und reichte ihm eine Plastikflasche. „Geht’s wieder?“ „Ja, danke dir.“ Danach gingen sie weiter, redeten über belanglose Dinge, was Rick sehr zugute kam. Als es allmählich zu dämmern begann, beschlossen sie, nach Hause zu fahren. Kurz vor der Bushaltestelle, drehte sich Rick noch einmal um, sah auf den Wald, glaubte, ihren Baum sehen zu können. /Ich werde nicht wieder zwei Jahre auf mich warten. Mach’s gut, heil’ger Ort, der du mir die Sehnsucht nachempfinden kannst./ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)