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But sometimes love hurts

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Danke für die Favos ❤ Komplett anzeigen

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~1~

Es war an der Zeit, sich vom kalten Wetter zu verabschieden. Man konnte glasklar miterleben, wie die Umgebung in ein neues Leben getaucht wurde, wie die Vögel langsam wieder zurückkehrten und einen jeden Morgen durch ihren melodischen Gesang weckten. Es war eine schöne Zeit, wie ich fand. Schon bald würden wir die Gelegenheit des wärmeren Wetters wieder nutzen können und uns außerhalb treffen, da wir in den letzten, kalten Monaten nie dazu fähig gewesen waren. Wie sehr ich mich schon auf die anderen freute. Es hatte sich nichts zwischen uns allen geändert. Wir waren in einer gewissen Hinsicht noch immer wie kleine Kinder, die es liebten, sich gegenseitig zu ärgern. Genau diese Tatsache zauberte ein Lächeln auf meine Lippen. Ich wischte mir mein schwarzes Haar aus dem Gesicht und drehte mich auf meinem Stuhl herum, um einen Blick durch mein Zimmer schweifen zu lassen.
 

Es hatte sich hier drin so einiges geändert. Und auch wenn es hier nicht mehr wie früher aussah, konnte ich mich dennoch an all die Einzelheiten von damals erinnern. Es kam mir so vor, als wäre es erst gestern gewesen, als Kai und Ruki nebeneinander auf meinem Sofa übernachtet hatten und ich mit Aoi, der wie ein großer Bruder für mich war, mein Bett geteilt hatte. Wie wir ab und an gemeinsam unsere Nächte hier verbracht und gefeiert hatten oder wie ich Reita meine Unschuld geschenkt hatte.. Ah, zu viel Information, das interessierte euch sicher nicht, tut mir leid! Es waren schöne Erinnerungen, die mich meist aufbauten und mir auch klar machten, dass viele weitere Erinnerungen folgen würden, die ich wertschätzen würde.
 

Ich seufzte einmal leise und erhob mich, ging barfuß durch mein Zimmer und verließ es, um hinunter in die Küche zu gehen und nach meiner Mutter zu sehen. Obwohl sie jetzt 39 Jahre alt war, benahm sie sich sehr selten ihrem Alter entsprechend. Sie konnte meist sogar alberner sein als Ruki und Aoi zusammen. Und das musste schon was heißen. Es hatte sich bei ihr also so gesehen nichts geändert, bis auf das Alter eben. Und selbst ihr Aussehen war noch immer so geblieben. Wenn man ihr ins Gesicht sah, dachte man meist, dass man ein junges Mädchen vor Augen hatte. Ich konnte nur allzu gut verstehen, wieso mein Vater sich damals in meine Mutter verliebt hatte. Sie war eine so liebenswerte Person, die einen immer aufzubauen versuchte und einem Mut machte, einfach in jeder Lebenslage für einen da war. Lächelnd betrat ich die Küche und schlich von hinten lautlos auf sie zu. Hatte ich schon erwähnt, dass sie es wahnsinnig toll gefunden hatte, als ich eines Tages aus einer spontanen Laune heraus plötzlich mit schwarzen Haaren nach Hause gekommen war? Sie war nie wirklich Fan meiner blonden Mähne gewesen.
 

Wir sahen uns jetzt noch viel ähnlicher, wie wir auch oft zu hören bekamen, und viele Außenstehende dachten sogar, dass wir Geschwister waren. Und meine Mutter nahm dies natürlich immer als Kompliment. Mir ein Lachen verkneifend, da sie gerade lautstark irgendeinen alten Pop-Song sang und dabei auf ihrer Stelle tanzte, während sie vor dem Herd stand, stellte ich mich dicht hinter sie und schlang dann ohne Vorwarnung meine Arme um ihren Oberkörper, um sie fest an mich zu drücken. Sie quiekte daraufhin erschrocken auf, beruhigte sich aber wieder und ich merkte, wie sie sich in meinen Armen sofort entspannte. „Also wirklich, Schatz.. Wieso erschreckst du mich so?“, fragte sie leise und ich konnte sie lächeln hören. „War nicht meine Absicht, tut mir leid“, redete ich mich raus und drückte ihr von hinten einen Kuss auf die Wange, was sie lächelnd seufzen ließ, und stütze dann mein Kinn auf ihrem Kopf ab, da sie so klein war. „Ich muss später noch einmal zur Arbeit, Papierkram absegnen“, sagte sie, obwohl es nicht nötig war, da ich es ja schon wusste. Sie hatte es mir heute schon mehrmals gesagt. „Ich weiß“, gab ich also von mir und schmiegte mich noch etwas dichter an sie, was sie anscheinend verwirrte. Denn sie drehte sich in meiner engen Umarmung herum und sah fragend zu mir auf.
 

„Stimmt denn etwas nicht?“, fragte sie mit einem Anflug von Besorgnis und lächelte sofort breit, als ich knapp den Kopf schüttelte, ihr eine lange, glänzende Strähne hinters Ohr wischte und schmunzelnd, „Hm, nein, alles bestens. Mir ist gerade nur durch den Kopf gegangen, wie sehr ich dich liebe“, murmelte. Manchmal überkam mich eben das Bedürfnis, meiner Mutter zu sagen und zu zeigen, wie sehr ich sie liebte. War doch wohl nicht verkehrt? Ich bekam von ihr einen Kuss auf die Wange und strich ihr sachte durchs Haar, da sie mich umarmte. Jedoch mussten wir uns aus dieser wärmespendenden Situation lösen, da es plötzlich an der Haustür klopfte. „Machst du bitte auf, Schatz?“, fragte sie mich und wandte sich wieder dem Essen zu. Ich drehte mich gehorsam herum und zog die Hosenbeine meiner Jogginghose dabei leicht hoch, da sie mir etwas zu lang waren und ich nicht stolpern wollte, und trat aus der Küche in den Flur. Ich konnte anhand der Silhouette ausmachen, wer da vor der Haustür stand. Mir grinsend durchs Haar streichend machte ich die Tür auf und sah somit meinem Freund entgegen, der ziemlich fertig wirkte und obendrein einige Ölflecken im Gesicht und auf den Klamotten hatte.
 

„Wie siehst du denn aus?“, fragte ich ihn zur Begrüßung und ließ es nicht zu, dass er mich umarmte, da ich keine Flecken auf meinen Klamotten haben wollte. „Mann, wieso bist du immer so fies?!“, maulte er nur rhetorisch und ging an mir vorbei in den Flur, ohne auf meine Frage zu antworten, grüßte nebenbei meine Mutter, die begeistert zu ihm rüber ging und ihm trotz des schmutzigen Gesichts einen Kuss auf die Wange drückte und ihn fragte, ob er Hunger hatte. Reita zog sich die Schuhe aus und nickte ob dieser Frage hin. Ohne noch etwas anderes zu sagen, ging er einfach die Treppen rauf und ich lächelte stumm vor mich hin, machte dann die Haustür zu und folgte ihm nach oben.
 

„Meine Eltern sind nicht zu Hause und ich habe meinen Schlüssel vergessen“, erklärte er sofort die Situation, als ich mein Zimmer betrat. Er hatte sich im Schneidersitz auf dem Boden niedergelassen, da es auch nicht klug von ihm gewesen wäre, sich auf eines meiner weißen Sofas zu setzen. Immerhin waren seine Klamotten schmutzig. „Oh, armer Akira!“, machte ich sarkastisch und wich ihm sogleich lachend aus, da er sich herumgedreht und schnell nach meinem Bein geschnappt hatte. „Na los, geh dich duschen. Ich lege dir Sachen raus“, bot ich ihm an und kniff lächelnd die Augen zu, da er mir im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte. Er verschwand ins angrenzende Bad und ich ging auf meinen Eckschrank zu, um ihm Klamotten rauszusuchen.
 

Da Reita öfter mal bei mir war und umgekehrt, hatten wir Klamotten des jeweils anderen in unseren Schränken liegen, was meist praktisch war. Zwar übernachteten wir nicht mehr so oft bei dem jeweils anderen, wie wir es damals zu Schulzeiten noch getan hatten, aber dennoch sahen wir uns sehr oft. Es sei denn, ich musste auf irgendeine Schulung, wegen meiner Ausbildung. Ich machte eine Ausbildung zum Masseur und Physiotherapeuten, und ehrlich gesagt machte mir die Arbeit sehr viel Spaß. Auch wenn es ab und an ziemlich unangenehm war, wenn ich von älteren Männern und Frauen angeflirtet wurde. Aber insgeheim wünschte ich mir, irgendwann einen eigenen Salon aufzumachen. Ich wollte irgendwann selbstständig sein und ich würde es auch sicher schaffen. Immerhin hatte ich meine Mutter und wunderbare Freunde, die mir beistanden. Und um einen Traum zu verwirklichen, brauchte man ja auch gewissermaßen etwas Hilfe, nicht?
 

Völlig in Gedanken stand ich vor dem offenen Schrank, fasste dann jedoch einen klaren Kopf und kramte Reita einige Sachen raus, um diese auch sogleich ins Bad zu bringen. Ich öffnete leise die Tür und bespitzelte ihn, während er duschte. Die Klamotten legte ich über die Heizung und lehnte mich dann mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Tür, um ihn dabei zu beobachten, wie er sich das ganze Öl und den Schmutz des Arbeitstages wegwusch. Ein Grinsen schlich über meine Lippen, als ich mich daran zurückerinnerte, wie wir damals gerne zusammen geduscht hatten. Jetzt badeten oder duschten wir kaum noch gemeinsam, aber fragt nicht, wieso. Ich wusste es ja selbst nicht. Ich seufzte leise und drehte mich herum, um aus dem Raum zu verschwinden. Er hatte mich nicht einmal bemerkt. Und daraus schloss ich, dass er ziemlich müde war. So war das immer mit ihm.
 

Die Arbeit laugte ihn des Öfteren aus. Ich ging auf die Ecke zu, an der mein neues, rundes Bett stand. Irgendwie wirkte das Bett wie ein Präsentierteller. Das hatte mir zumindest Reita mal gesagt, als er ins Zimmer gekommen war und mich auf dem Bett entdeckt hatte. Ich weiß noch ganz genau, wie hingerissen meine Mutter von dem Bett gewesen war, dass sie sogar die erste Nacht neben mir geschlafen hatte, weil sie wissen wollte, wie es sich anfühlte. Eigentlich war es ja ein ganz normales Bett wie alle anderen, aber das hatte ich ihr dann nicht unter die Nase gerieben, weil sie so aufgeregt gewesen war. Ich wusste ganz genau, dass Reita auf eine Massage bestehen würde. Deshalb schnappte ich mir die Flasche mit dem Massageöl, die neben meinen Kuscheltieren, die ich einfach nicht wegwerfen konnte, stand und setzte mich schon einmal aufs Bett und wartete.
 

Es dauerte noch ein wenig, ehe ich das Rauschen des Wassers in der Dusche nicht mehr vernahm. Ich hatte schon befürchtet, dass er vielleicht im Stehen eingeschlafen war, da man sich bei ihm nie sicher sein konnte. Einige Minuten darauf kam er aus dem Bad, samt tropfenden Haaren und nacktem Oberkörper. Wozu hatte ich ihm überhaupt die Klamotten rausgelegt, also wirklich? Ich wette, er würde sich gleich wieder total bei mir einschleimen, damit ich ihn massierte. Ich hatte meine Ausbildung eigentlich nur wegen und dank ihm angefangen, da er mir damals klargemacht hatte, dass ich fürs Massieren geboren war. Und noch für so einige andere Dinge, die jetzt aber nicht von Belang waren. Ich grinste nur bei seinem Anblick.
 

Tapsend und sich am Nacken kratzend kam er auf mich zu und lächelte dann schief. Bevor er jedoch etwas sagen, geschweige denn tun konnte, klopfte ich neben mich auf die Matratze und sagte, „Na komm her, mein Kleiner!“ Er schob ob dieser Bezeichnung beleidigt die Unterlippe vor, ließ sich aber neben mir nieder und legte sich sofort auf den Bauch. „Du hattest schon damals eigennützige Gedanken was das hier betrifft, nicht wahr?“, vermutete ich scherzend und machte es mir auf seinem Hintern gemütlich. „Hmhm..“, machte er nur gedehnt und brachte mich somit zum Lächeln. Er hatte seinen Kopf auf seine ineinander verschränkten Arme gelegt und die Augen geschlossen. Ich wiederum nahm mir etwas von dem kalten Öl, welches nach Vanille duftete, und verrieb es geübt zwischen meinen Händen, um es zu erwärmen. Und dann folgte der Teil, den sowohl er als auch ich liebte. Ich durfte ihn anfassen. Ich genoss es, während ich jeden Millimeter seiner weichen Haut durchknetete, abtastete und auch abwechselnd streichelte, da ich es mir nicht verkneifen konnte.
 

„Wie war dein Tag heute?“, fragte ich leise, hatte mich zu seinem Ohr vorgebeugt und massierte seine Schultern. „Wie immer.. War anstrengend“, murmelte er und gähnte leise. Ich lächelte nur stumm und richtete mich leicht auf, nur um mich wieder vorzubeugen, ihm mit meiner Nasenspitze das nasse Haar aus dem Nacken zu streichen und ihm einen federleichten Kuss aufzuhauchen, was ihn genießend seufzen ließ. Ich hörte von unten plötzlich meine Mutter rufen. Da ich aber nicht aufstehen und Reita auch nicht unnötig erschrecken wollte, indem ich laut zurückrief, blieb ich einfach still und massierte meinen Schatz weiter, der langsam weg zu dämmern schien. Es wunderte mich nicht wirklich, da es fast immer so ablief, wenn er von der Arbeit sofort zu mir herüberkam. Sachte, so dass er es kaum vernehmen konnte, zeichnete ich mit einem Finger seine ausgeprägte Rückenmuskulatur nach und schmachtete ihn innerlich an.
 

Sein Körper hatte sich unverkennbar geändert, seit er seine Ausbildung zum Mechaniker angefangen hatte. Er war so viel definierter und härter als noch zu Schulzeiten. Und mir gefiel das ungemein. Ich hatte den schönsten Freund auf Erden, kein Zweifel. Mit einem Mal ertönten Schritte auf den Treppen, die näher kamen, und ich wusste, dass meine Mutter gleich klopfen und einfach hereinkommen würde, so wie sie es immer machte, weil Privatsphäre für sie ein Fremdwort war. Und ich behielt Recht. „Schatz, das-“ Sie brach mitten im Satz ab und sah zu uns herüber, lächelte dann jedoch wissend, nickte stumm und schloss die Tür wieder hinter sich. Ich wandte mich wieder meinem schlafenden Freund zu, der angefangen hatte, leise zu schnarchen. Mir war aufgefallen, dass er immer nur dann schnarchte, wenn er richtig erschöpft war. Aber irgendwie war das süß. Ein wenig massierte ich ihn noch, kletterte dann sachte von ihm runter und zog vorsichtig die Bettdecke unter ihm weg, um ihn gleich darauf damit zuzudecken. Immerhin wollte ich nicht, dass er sich erkältete. Ich legte mich neben ihn und betrachtete ihn, während er schlief, spielte dabei mit seinem nassen Haar und entlockte ihm somit ab und an ein Schmatzen.
 

„Du bist so süß..“, murmelte ich und mir war bewusst, dass er wieder herumgestänkert hätte, wenn er wach gewesen wäre. Denn er mochte es nicht, wenn man “süß“ in Zusammenhang mit seinem Namen aussprach. Ich strich ihm das noch immer tropfende Haar aus dem Gesicht und gab ihm einen warmen Kuss auf die Stirn, drängte mich dann seitlich an ihn und schlang einen Arm zwischen seinen verschränkten hindurch. Oh ja, ich war mir sogar sehr sicher, dass ich den schönsten Freund auf Erden hatte.

~2~

„Junger Mann, wenn du nicht endlich aufstehst, zieh ich dich an deinen Beinen aus dem Bett!“ Ich murrte leise und drehte mich in meinem Bett herum. Irgendwie kam es mir so vor, als wäre ich nicht allein in meinem Zimmer. Da war doch noch jemand.. Oder? „Kouyou!“, rief es und ich kniff die Augen fest zusammen und motzte leise, „Seit wann kann mein Wecker reden?!“ Das darauffolgende Schnauben interpretierte ich kurzerhand in meinen Traum, genauso wie ich es vor einer halben Stunde mit dem Klingeln meines Weckers getan hatte, ohne es zu merken. „Ich zähle bis drei!“, ertönte es und ich fragte mich innerlich, ob ich denn nicht wenigstens in meinen Träumen meine Ruhe haben durfte. „Eins-“ Hach Gottchen, mein Bett war so schön weich, da brachte ich es nie übers Herz, aufzustehen. Ich war ein Morgenmuffel und Aufstehen war definitiv die verabscheuungswürdigste Tätigkeit in meinen Augen. „Zwei-“ Konnte dieses Ding denn nicht endlich leise sein? Ich versuchte hier zu schlafen! „Drei!“ Ich gab ein erschrockenes, „Woaaah!“, von mir und gleich darauf folgte ein Schmerzenslaut und ein Rumpeln. Ich war soeben aus meinem Bett gezogen worden.
 

Mit zugekniffenen Augen rieb ich mir den schmerzenden Schädel und öffnete dann blinzelnd die Augen. Oh, das war ja meine Mutter! „Kouyou, hast du eine Ahnung, wie spät es ist?“, motzte sie mit in die Hüften gestemmten Händen und ich gab ein fragendes, „Ähm.. Nein?“, von mir, was sie die Augen zu gefährlich kleinen Schlitzen verengen ließ. „Du gehst ab jetzt um acht ins Bett, Freundchen!“, ordnete sie streng an und ich öffnete entrüstet den Mund und wandte, „Aber Ma!“, ein. „“Aber Ma“ mich nicht an, Kouyou! Keine Widerrede! Jeden verdammten Morgen dasselbe mit dir. Du bist doch kein kleines Kind mehr! Und jetzt, zieh dich an, hopp, hopp. Du kommst zu spät zur Arbeit!“, meckerte sie und war schneller aus meinem Zimmer verschwunden, als ich “Möp“ sagen konnte. Na toll. So fing der Tag ja schon einmal gut an.
 

Ich hatte mich so schnell wie möglich angezogen und fertig gemacht, da ich schon eine ganze Stunde zu spät dran war und nicht noch später erscheinen wollte. Das würde sicher wieder großes Gemecker bei der Arbeit geben, wenn ich erst einmal eingetroffen war. Ich hastete die Treppen hinunter, hatte mein Handy bei dem ganzen Stress oben in meinem Zimmer vergessen, aber daran dachte ich gar nicht. Im Vorbeilaufen schnappte ich mir mein Essen, was meine Mutter für mich liebevoll gemacht hatte und jetzt mit langem Arm aus der Küchentür streckte, damit ich es nicht vergaß. Ich stellte die Bento-Box kurz auf der Kommode im Flur ab und zog mir eilig meine Schuhe und gleich danach meinen dünnen Mantel an. „Bin weg, Ma. Ich werde dann so gegen fünf zu Hause sein!“, verabschiedete ich mich laut von ihr und registrierte mit einem Lächeln, wie sie, „Bis dann, mein Schatz. Ich liebe dich!“, sagte, jedoch, trotzig wie sie war, nicht im Flur erschien. Sie konnte nie lange sauer auf mich sein. Spätestens zum Feierabend hätte sich das gelegt. Ich zog die Haustür hinter mir zu und eilte durch den Vorgarten, der so langsam wieder Grün-Töne annahm. Ich trat die kleine Tür des Vorgartens auf und stolperte auf meinen Hyundai zu, der dieselbe Farbe hatte, wie mein Haar. Ich war stolz auf meinen Wagen, auch wenn er nichts Besonderes war. Ach, was dachte ich hier? Natürlich war mein Hyundai besonders! Reita und ich hatten vor einiger Zeit gemeinsam auf dem Rücksitz dafür gesorgt, dass er besonders wurde. Mit einem dümmlichen Grinsen schloss ich meinen Wagen auf und warf mich auf den Sitz. Das Anschnallen vergaß ich trotz allem Stress nicht. Also schnallte ich mich an, nachdem ich mein Essen auf den Beifahrersitz gestellt hatte, und startete den Motor. Dass mir meine Mutter aus dem Küchenfenster kopfschüttelnd und mit einem Lächeln hinterher sah, bemerkte ich dabei nicht.
 

Es dauerte eigentlich nur ungefähr 25 Minuten mit dem Auto bis zu meinem Ziel. Doch zu meinem Pech hatte sich der Verkehr heute gegen mich gestellt. War anscheinend nicht mein Glückstag heute. Also kam ich mit insgesamt zweieinhalb Stunden Verspätung bei meinem Arbeitsplatz an. Au weh, das war wirklich nicht gut. Das würde mich ganz viel Ärger kosten. Ich parkte in einem der für die Angestellten vorgesehenen Parkplätze hinter dem kleinen Gebäude und lief so schnell ich konnte durch die Hintertür in die so genannte Praxis. Die meisten Leute kamen hierher zu uns, weil sie gesundheitliche Probleme hatten und von ihren Ärzten dazu aufgefordert wurden. Viele andere jedoch waren einfach nur hier, weil sie es sich gut gehen lassen wollten.
 

Ich eilte den langen, beleuchteten Flur entlang und stieß die Tür zu den Angestelltenräumen auf. Und sofort sprang mich Hotaru an und grinste, was ich förmlich fühlen konnte. Eine hübsche, 1,58m große Frau mit braun-blonden Haaren, großen, rehbraunen Kulleraugen und einer überaus nervtötenden Art, wie sie nicht jeder besaß. Außer ihr war keiner im Raum anwesend. „Hach ja, Kouyou. Schön, dass du auch mal vorbeischaust. Hat unser Prinzesschen auf der Erbse wieder verschlafen?“, quäkte sie laut in mein Ohr, was mich dazu brachte, erst aufzuzucken und sie dann murrend von mir zu drücken. „Du hast Glück!“, sprach sie mit einem breiten Lächeln und ich hätte beinahe zynisch aufgelacht. Oh ja, sicher. Hatte ich schon seit heute Morgen. „Wieso?“, murrte ich leise und stellte die Bento-Box weg, zog mir dann die Jacke aus und mein Gesicht erhellte sich sofort hoffnungsvoll, als meine Arbeitskollegin feixend, „Ono-san ist noch nicht da. Auftrag außerhalb der Praxis. Sie wird erst später kommen“, sprach und dabei mit den fein gezupften Brauen wippte. Oh, ok, das verhieß nichts Gutes. „Was genau verlangst du von mir?“, fragte ich kleinlaut, da ich wusste, dass sie wieder irgendwelche Anforderungen hatte, wenn sie mich schon decken sollte. Und ich wollte wirklich nicht, dass Ono-san erfuhr, dass ich wieder zu spät gewesen war. „Hmm..“, machte sie gespielt und tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger auf die volle Unterlippe, was mich innerlich aufregte. „Jetzt sag halt!“, maulte ich und zog eine Grimasse, als sie, „Ich will eine Gratis-Massage von dir!“, ausrief und mich dabei mit glitzernden Augen ansah. Na, wenn das alles war.
 

„Und gleich kommt jemand, den du übernehmen musst. Hat speziell nach dir verlangt“, sprach Hotaru neben mir, während ich nur zuhörte. Sowas kam öfter vor, da ich mir unter unseren Patienten und Kunden einen Namen gemacht hatte, was mich doch sehr stolz stimmte. Wir gingen gemeinsam den Flur zur Empfangstheke entlang, dessen Wände verspiegelt und hell beleuchtet waren, und ich ließ mir von ihr die heutigen Aufgaben geben. Meine Arbeitskleidung, die aus einer weißen Hose, weißen Schuhen und einem weißen, kurzärmeligen Hemd bestand, hatte ich schon an. Ich nickte immer wieder nur und drehte mich zum Gehen herum, als sie, „Nimm Raum fünf!“, sagte und dann eine schnelle, scheuchende Handbewegung machte. Ich knurrte sie nur ob dieser Geste an, was sie grinsen ließ, und ging in den gewünschten Raum, um diesen für meinen nächsten Termin herzurichten. Leider war es immer so, dass ich schnell dösig wurde, wenn ich arbeitete. Das kam aber auch nur von all den Aromen und der abgedunkelten und rauchigen Atmosphäre, die hier jedes Mal herrschte. Von der beruhigenden Musik im Hintergrund ganz zu schweigen. Nachdem ich mir gründlich die Hände gewaschen hatte, suchte ich mir einige Öle vom Regal heraus und stellte sie vor mir auf den kleinen Tisch, der neben dem Massagetisch stand.
 

Es vergingen nicht einmal fünf Minuten und schon ging die Tür auf und ich drehte mich sofort mit einem breiten Lächeln auf den Lippen herum, um die Person zu grüßen, als mir jedoch alles aus dem Gesicht fiel. „Aoi?!“, krächzte ich überrumpelt, woraufhin dieser lachend die Hand hob, die Tür hinter sich zumachte und auf mich zukam. „Na, Hübscher? Überrascht, mich zu sehen?“, fragte er mit seinem smarten Grinsen, was mich sofort wieder lächeln ließ. Sobald er vor mir stand, zog ich ihn in eine innige Umarmung, die er leise seufzend erwiderte. „Find ich schön, dich mal wieder zu sehen..“, wisperte ich und zog lächelnd eine Schnute, als er sich von mir löste und mir in die Wange kniff. „Geht mir genauso, Großer“, erwiderte er und legte den Kopf lächelnd schief, als ich ihn fragte, was er hier eigentlich machte. Immerhin war noch nie einer meiner Freunde hier erschienen, bis auf Reita.
 

„Ach, weißt du, Totchi hat wieder seine Tage und hat mich aus dem Appartement geschmissen. Er hat gesagt, ich soll erst in drei Stunden wiederkommen. Vorher will er mich nicht sehen“, redete Aoi und ließ geknickt den Kopf hängen. „Oh, armer Aoi. Und da dachtest du dir, dass du deinem Kumpel aus alten Schulzeiten schnell einen Besuch abstatten kannst, ja?“, redete ich lächelnd und tätschelte seine Schulter, doch kräuselte ich sofort die Nase und zog meine Hand beleidigt wieder zurück, als er den Kopf schnell hob und, „Öööy, ich bin doch nicht nur hier, um dir einen Besuch abzustatten. Ich hab‘ dafür bezahlt, von dir verwöhnt zu werden, also bitte ich jetzt darum. An die Arbeit, du faules Stück!“, nörgelte. „Du bist ein Arsch, ehrlich!“, motzte ich und drehte ihm den Rücken zu, um beleidigt an der Verschlussklappe der Handcreme zu spielen, die vor mir stand. „Da hinten ist die Kabine. Auf dem kleinen Regal findest du Handtücher. Zieh dich aus und komm wieder her!“, befahl ich und musste auflachen, als er feixend, „Willst du mir dabei zusehen, wenn ich mich nackig mache?“, fragte und dabei immer wieder mit dem Zeigefinger zwischen meine Schulterblätter piekte.
 

„Nein, danke. Ich verzichte liebend gern auf dieses Angebot!“, wandte ich grinsend ein und schob ihn von mir Richtung Tür, die in die kleine, angrenzende Umkleidekabine führte. Sobald Aoi wiederkam, mit nichts weiter als einem großen Handtuch um die Hüfte gebunden, streckte er die Arme von sich und drehte sich einmal im Kreis, was mich zum Kopfschütteln antrieb. „Bin ich nicht ein Adonis? Los, gib es zu, ich bin einer, nicht wahr?“, säuselte er und fuhr sich mit den Fingerspitzen aufreizend über die gut sichtbaren Bauchmuskeln, jedoch brachte mich seine Aktion nur dazu, wie blöd zu lachen. “Du spinnst ja total. Jetzt komm her, du Adonis. Du bist nicht der Einzige, den ich heute noch massieren muss“, presste ich nach Luft ringend aus mir und klopfte auf den Massagetisch, auf dem er es sich sogleich breit grinsend gemütlich machte. Dass ich damals zu Schulzeiten, bevor Reita und ich zusammengekommen waren, tatsächlich wirklich kurz mit meinem Verlangen nach Aoi gekämpft hatte, hatte ich dem Älteren nie verraten. Es waren für mich sehr verwirrende Zeiten gewesen, da ich mich bis dato nie wirklich mit meiner Sexualität auseinandergesetzt und dementsprechend nicht gewusst hatte, was ich eigentlich gewollt hatte. Mir war damals nie bewusst gewesen, dass ich schwul war. Ich konnte diesen ausschlaggebenden Tag noch immer beinahe bildlich vor meinem inneren Auge sehen, wie der Ältere halbnackt in meinem Bett gelegen hatte, einen Arm fest um mich geschlungen, mich dicht an seinen Körper gezogen und selenruhig schlafend. Mann, waren das wilde Zeiten gewesen.
 

Es war schön, Aoi bei mir zu haben. Irgendwie fühlte ich mich immer in der Zeit zurückversetzt, wenn er anwesend war. Doch nicht nur bei ihm hatte ich das Gefühl, das galt auch für die anderen. Aber besonders Aoi rief dieses Gefühl in mir hervor. Während er leise und abwechselnd stöhnte und seufzte, suchte ich all die Verspannungen, die er hatte, um diese zu lösen, und dachte nebenbei daran, wie wir uns kennen gelernt hatten. Es war eine eigentlich nicht so erfreuliche Situation gewesen. Jedoch konnte ich nur lächeln, wenn ich daran zurückdachte, wie er gemeinsam mit Ruki aus der Klokabine gestolpert und Reita für mich verscheucht hatte, da mir dieser an den Kragen gegangen war. Ja, unsere Schulzeit war eben verwirrend gewesen. Als ich mein Gewicht auf meine Arme verlagerte und somit fest mit beiden Händen, die ich zu Fäusten geballt hatte, gegen einen Punkt unter seinem linken Schulterblatt drückte, unterdrückte er ein gequältes Aufstöhnen. „Musste das sein?“, fragte er mit weinerlicher Stimme und ergab sich murmelnd, als ich, „Ja, musste es. Du bist total verspannt, was treibst du eigentlich?“, fragte. Jedoch bekam ich keine Antwort, was mich aber nicht weiter störte. Nach etlichen Minuten des Durchknetens seufzte Aoi plötzlich, „Ich wäre dir echt dankbar, wenn du das Toshiya auch beibringen könntest..“, und ich lachte, während ich beide Daumen links und rechts von seiner Wirbelsäule hinab streichen ließ und dabei leichten Druck ausübte. „So schwer ist das gar nicht“, sagte ich gedankenversunken und schlug im nächsten Moment hart mit meiner flachen Hand auf seinen blanken Rücken, da er giggelnd, „Reita hat’s verdammt gut. Sicher ist so eine Massage nach dem Sex göttlich!“, gesagt hatte und jetzt leise jaulte. „Als hätte ich danach nichts Besseres zu tun!“, meckerte ich, lächelte aber innerlich.
 

Es war bei der Arbeit ziemlich gut gelaufen, trotz des misslungenen Starts, den ich hingelegt hatte. Meine Kunden waren zufrieden gewesen, Ono-san ebenfalls, und ich konnte jetzt guten Gewissens Feierabend machen. Ich verabschiedete mich von den anderen im Aufenthaltsraum und rollte, bevor ich die Tür hinter mir zuzog, mit den Augen, da Hotaru gezwinkert und, „Vergiss unsere Abmachung nicht!“, geflötet hatte. Von wegen Abmachung! Wir hatten gar nichts abgemacht. Gähnend ging ich zu meinem Wagen rüber und schloss auf, um mich sogleich hinters Steuer zu setzen und den Motor aufbrummen zu lassen. Ich schob kurz meine Hand in meine Manteltasche, doch als ich die Leere fühlte, riss ich die Augen weiter auf und griff entsetzt in die andere Tasche hinein. Als ich dort ebenfalls nichts zu spüren bekam, geriet ich in Panik. Hatte ich mein Handy vielleicht im Aufenthaltsraum gelassen? Das konnte aber eigentlich gar nicht sein, denn ich nahm mein Handy so gut wie nie aus meiner Manteltasche, wenn ich auf der Arbeit war. Dann vielleicht.. Ah, ok. Ich hatte es zu Hause vergessen. Irgendwie war ich ziemlich vergesslich geworden. Über mich selbst den Kopf schüttelnd fuhr ich aus dem Parkplatz und war erleichtert, dass der Verkehr im Vergleich zu heute Morgen nicht mehr so schlimm war. Viertel nach fünf war ich endlich zu Hause angekommen. Erleichtert stieg ich aus dem Wagen, schloss ab und hetzte dann auf die Haustür zu, die sogleich vor meiner Nase aufgerissen wurde, sodass ich meiner Mutter unbeholfen um den Hals fiel. „Irgendwann brichst du dir noch was!“, scherzte sie lachend und ließ mich herein, wo mich schon der wohlige Duft von Essen empfing. Sie nahm mir meinen Mantel und die leere Bento-Box ab, und ich schleuderte meine Schuhe in irgendeine Ecke, um schnell in die Küche zu laufen.
 

„Hey, nicht so schnell!“, rief sie, nachdem sie meine Schuhe schnaubend aufgesammelt und im Schuhschrank verstaut hatte, und drängte mich jetzt vom Herd weg. „Ich glaub, es hackt! Geh dir erst einmal die Hände waschen. Ich tue dir schon was auf einen Teller!“, versicherte sie und meinte noch, „Toshiya hat heute angerufen. Anscheinend hast du dein Handy oben liegen gelassen, hm?“, und ich entschied, ihn nach dem Essen anzurufen. Jetzt wollte ich erst mal meinen Magen füllen. Ich ging schnell rüber ins Gästebad, um mir dort die Hände zu waschen. Und auf dem Weg zurück in die Küche klopfte es plötzlich an der Haustür, was mich unwillig brummen ließ. Verdammt, ich wollte endlich etwas essen. Mein Magen verdaute sich schon förmlich von selbst! Ja, ich weiß, ich war dramatisch. Ich stampfte auf die Tür zu und riss diese auf, um mich sogleich bockig umzudrehen und endlich in die Küche zu gehen. „Kriegt man hier nicht einmal mehr ein “Hallo“ zu hören oder was?“, beschwerte sich Reita, nachdem er ebenfalls in die Küche getreten war, und schnalzte grimmig mit der Zunge, als ich emotionslos, „Hallo!“, sagte, ohne ihn anzusehen, und mich sogleich über das köstliche Essen meiner Mutter hermachte. Meine Mutter hingegen lachte nur kopfschüttelnd und umarmte Reita zur Besänftigung, der sich beleidigt bei ihr beschwerte, dass ihr Sohn so fies zu ihm war.
 

Ich hob nur eine Braue, während ich meine Nudeln schlürfte, und sah ihn dabei abschätzend an. Der Blick von ihm rief eine Gänsehaut bei mir hervor. Ich wusste, dass ich das sicher noch zurückkriegen würde. Auf eine angenehme Art und Weise natürlich. Die beiden setzten sich mit an den Tisch und aßen ebenfalls. Während sie sich leise miteinander unterhielten, hörte ich nur mit einem Ohr zu und genoss nebenbei meine Mahlzeit in vollen Zügen. Gott, ich könnte essen, bis ich es wieder auswürgen müsste. „Wenn deine Mutter nichts zu tun hat, komm ich mal wieder vorbei“, sagte meine Mutter jetzt, während Reita die Teller in die Spülmaschine räumte. „Ach was, sie wird schon nichts dagegen haben. Für dich nimmt sie sich immer gern die Zeit. Komm einfach rüber, wenn dir der Sinn danach steht“, lächelte Reita sie an, was sie hingerissen aufseufzen und ihn in die Wange kneifen ließ. Es machte mich glücklich zu sehen, wie sehr meine Mutter Reita mochte.
 

Ich war derweil schon vorgegangen und beschleunigte meine Schritte, als ich hörte, wie Reita mir die Treppen hinauffolgte. „Bleib stehen!“, sagte er hart, doch ich rannte hastig in mein Zimmer und lehnte mich von innen lachend gegen die Tür, um ihn zu ärgern. Für einige Sekunden passierte nichts, sodass ich neugierig wurde und die Tür einen Spalt breit aufmachte, um hinaus zu lugen. Dies sah Reita als Gelegenheit und schlug die Tür komplett auf, woraufhin ich rückwärts zurücktaumelte und mich noch gerade so gegen die Rückseite des Sofas lehnen konnte, um nicht hinzufallen. Der Kleinere knallte die Tür hinter sich zu, nachdem er eingetreten war, und sprang mich schon fast an, was mir ein heiteres Lachen entlockte. Jedoch brachte er mich schnell zum Verstummen, indem er seine weichen Lippen ungestüm auf meine presste. Hingerissen von seiner Nähe und seinem Kuss ließ ich mich gegen ihn sinken und hielt mich an seinen Oberarmen fest, um nicht umzufallen. Er drehte sich herum, ohne von mir abzulassen, und drückte mich mit leichter Gewalt gegen die Tür in meinem Rücken, um mich nun heftiger zu küssen, was ich mit einem leisen Stöhnen quittierte. Als er jedoch eine freie Hand mit etwas Nachdruck um meinen Hals schloss und die andere vorwitzig unter mein Oberteil schob, während er mit seiner feuchten Zunge meine eigene zurückdrängte, hob ich ein Bein zwischen unsere Körper und drückte ihn somit ein wenig von mir, sodass wir auch den Kuss unterbrechen mussten. Aus halbgeöffneten Augen sah er mich wie in Trance an, leckte sich leicht über die glänzenden Lippen und wisperte dann nahe an meiner Wange, „Ich musste heute bei der Arbeit die ganze Zeit an dich denken“ Ich genoss die Wirkung, die sein Satz auf mich hatte, und blinzelte dann kokett, ehe ich, „Ich aber nicht an dich“, säuselte und ein gemeines Grinsen zeigte, als er beinahe enttäuscht aufseufzte und komplett von mir abließ. Er ging um das Sofa herum und ließ sich wie ein Sandsack darauf fallen, und ich stand noch immer an der Tür gelehnt herum.
 

„Totchi hat mich heute angerufen“, teilte er mir mit und erinnerte mich somit daran, dass ich mich ja noch bei diesem melden wollte. „Ach, dich auch? Und was wollte er?“, fragte ich und ging auf meinen Schreibtisch zu, um mein Handy in die Hand zu nehmen und es zu entsperren. „Keine Ahnung!“, zuckte Reita nur mit den Schultern und sah mich gelangweilt an, als ich mich zu ihm herumdrehte. „Dann werde ich jetzt mal zurückrufen“, überlegte ich leise und schritt auf Reita zu, als er, „Komm her“, sagte und mit seiner Hand neben sich auf das weiße Leder klopfte. Sobald ich neben ihm saß, zog er mich in seine Arme und lehnte sich zurück. Ich streckte indessen meine Beine auf der großen Sitzfläche aus und kuschelte mich weiter in seine Arme, ließ mich von ihm hinterm Ohr kraulen und wählte dabei Toshiyas Nummer. „Du bist manchmal echt fies, weißt du das?“, fragte er leise, während er einige meiner Haarsträhnen um seinen Zeigefinger wickelte und mich dabei verträumt ansah. „Weiß ich. Aber es macht mir eben Spaß, dich zu ärgern“, gestand ich mit einem schiefen Lächeln und hielt mir zeitgleich das Handy ans Ohr. Reita grinste nur kopfschüttelnd und beugte sich erstaunlich tief zu mir runter, um mir einen Kuss auf die Stirn zu geben. Und gerade in dem Moment, in dem Toshiya auf der anderen Seite abnahm und ein fröhliches, „Hallo!“, in den Hörer rief, platzte, „Weißt du, so tief, wie du dich vorbeugen kannst, kannst du dir sicher selbst einen blasen!“, aus mir, was Reita schadenfreudig herumgackern ließ. Mir wiederum stieg die Schamesröte ins Gesicht und ich entschuldigte mich mehrmals peinlich berührt bei Toshiya, der nur, „Wie bitte?!“, gebrüllt hatte und jetzt total herum zickte. Nachdem ich ihm hundertmal versichert hatte, dass ich wirklich nicht ihn gemeint, sondern mit Reita geredet hatte, reagierte er sich ab, und ich boxte sauer in Reitas Bauch, was auch diesen endlich ächzend verstummen ließ.
 

„Ich will echt nicht wissen, was ihr da anstellt, während du telefonierst!“, meinte er abgeneigt und ich entschuldigte mich noch einmal kleinlaut, ehe ich ihn fragte, wie es ihm ging. „Och, ganz gut würde ich meinen. Und dir?“, fragte er und ich teilte ihm mit, dass es mir blendend ging. “Meine Ma hat mir erzählt, dass du heute angerufen hast“, sagte ich und gab einen zustimmenden Laut von mir, als er, „Ja, habe ich. Dein Handy war aus. Und da dachte ich mir, sag ich eben deiner Mutter Bescheid, damit du mich später zurückrufst“, erklärte und zu erzählen begann, als ich wissen wollte, worum es ging. „Weißt du, ich habe mir überlegt, jetzt, wo das Wetter wieder so schön wird, könnten wir ja zusammen was unternehmen. Und außerdem wollte ich euch alle morgen zu uns einladen!“, sprach er und klang wieder gut gelaunt, was mich innerlich beruhigte. Die Idee fand ich sehr gut und auch nahm ich seine Einladung sofort an. „Wir kommen sehr gerne“, lächelte ich, war schon voller Vorfreude, doch verdüsterte sich meine Miene sofort, als Reita leise und dreckig grinsend, „Dass du gerne kommst, wissen wir inzwischen alle“, säuselte und lachend zusammenzuckte, als ich in sein Seitenspeck kniff. „Na gut, ihr beiden. Ich muss mich jetzt ums Essen kümmern. Morgen so gegen sechs?“, brachte er unser Telefongespräch zu Ende und ich stimmte zu und wünschte ihm lachend gutes Gelingen beim Kochen, was er mit einem trockenen, „Ha, ha!“, kommentierte. Sobald ich aufgelegt hatte, hatte ich Reitas Lippen auf meinen. Ich ließ mein Handy rücksichtslos neben mich fallen, schlang meine Arme fest um seinen Hals und ließ mich von ihm hochziehen, sodass ich mich gemütlich auf seinen Schoß setzen konnte. „Weißt du was?“, flüsterte er zwischen zwei Küssen und ich schüttelte den Kopf, um auch sogleich wieder an seiner Unterlippe zu nippen. „Ich schlafe heute hier“, hauchte er grinsend, was mir ebenfalls ein Grinsen entlockte, und drückte mich fest an sich, um sein Gesicht in meiner Halsbeuge zu vergraben. Anscheinend würden wir heute Nacht wieder so einiges nachholen..

~3~

Ich hatte meinen Wecker vor dem Schlafengehen auf sieben Uhr gestellt, weil Reita früher raus musste als ich. Und da ich wusste, dass er nicht freiwillig aufstehen würde, wachte ich selbst auf, um ihn gemeinsam mit dem Wecker wach zu kriegen. Meine Digitaluhr von damals, die Reita aus Versehen kaputt gemacht hatte, hatte ich schon längst durch eines dieser ratternden Mistteile ersetzt, wofür ich mich manchmal verfluchte. Als mein Wecker zu klingeln begann, schnappte ich ihn mir gähnend und hielt ihn dicht an Reitas Ohr, doch der zuckte nicht einmal mit der Wimper. Wie konnte man nur so tief schlafen?! Na gut, und das von mir. Selig schlummerte er weiter und kuschelte sich tiefer unter die wärmespendende Bettdecke. Ich seufzte leise. So war das doch immer, wenn er hier schlief und am nächsten Tag früh raus musste. Ich brachte den Wecker zum Verstummen und stellte ihn zurück auf meine runde Nachtkonsole. Gleich darauf zog ich die Bettdecke von Reitas Körper, was ihm ein unwilliges Murren entlockte. „Kalt..“, murmelte er und ich kniff ihm fest in die entblößte Pobacke, woraufhin er einen Schmerzenslaut von sich gab. „Rei, steh auf!“, forderte ich laut und schlug ihm dabei sachte immer wieder auf den nackten Hintern, merkte belustigt, wie die blasse Haut schon bald rosa leuchtete. Doch selbst da kam keine wirkliche Reaktion. Er verzog nur immer wieder leicht das Gesicht und drehte sich letztendlich auf den Rücken, um weiterzuschlafen. Ungefähr fünf Minuten lang zwickte und boxte ich ihm in jeden erdenklichen Körperteil und irgendwann reichte es auch mir. Warum war er morgens immer so bockig? Konnte er mir die Arbeit nicht ersparen und einfach aufstehen? Ah, so fühlte sich meine Mutter also.
 

Sauer erhob ich mich und machte Gebrauch von der unkonventionellen Weckmethode meiner Mutter. Ich warnte ihn vor, dass ich ihn aus dem Bett ziehen würde, doch er nuschelte nur schlaftrunken, “Mach doch“, und kratzte sich unberührt im Schritt, was mich mit den Augen rollen ließ. Er dachte wahrscheinlich, dass ich es nicht ernst meinte. Ich knackte laut mit den Fingern. Bei drei zog ich ihn mit einem Ruck an den Beinen aus dem Bett und hüpfte schnell zur Seite, als er sofort hellwach wurde und keifend nach meinen Beinen zu schnappen versuchte. „Schrei hier nicht herum! Meine Ma schläft sicher noch, du Blödmann!“, meckerte ich gedämpft und sprang wieder auf mein Bett, um mich zuzudecken. Immerhin war mir kalt, da ich nichts anhatte und es im Zimmer etwas kühl war. „Geht’s dir eigentlich noch gut, mich einfach so aus dem Bett zu ziehen? Du hast wohl die Pfanne heiß, mein Freund!“, zeterte er, setzte sich ebenfalls aufs Bett und krallte sich in meine nackten Waden, da ich versucht hatte, ihn wieder runter zu treten. „Auauau, lass loooos!“, winselte ich leise und versuchte, um mich zu treten, doch Reita setzte zum Sprung an und schmiss mich um, um mich auch sogleich außer Gefecht zu setzen. Er hielt meine Hände über meinem Kopf fest und presste seinen Körper so fest auf meinen, dass mir die Luft förmlich aus der Lunge gequetscht wurde. Röchelnd versuchte ich zu atmen und ihn von mir runter zu drücken, doch der Ältere grinste nur süffisant und beugte sich vor, um mir in die Wange zu beißen. „Aua!“, rief ich und drehte schnell mein Gesicht zur Seite, als er versuchte, mich zu küssen. „Geh von mir runter, du Fettsack. Du musst zur Arbeit!“, schimpfte ich und zog eine Grimasse, als er trotzig, „Ich will da aber nicht hin. Die belästigen mich!“, maulte und seine Wange unwillig an meine schmiegte, um ein wenig Mitleid zu erringen. Ich entgegnete daraufhin aber nur wie immer, „Wer würde dich schon belästigen? Guck dich doch mal an!“, und er zeigte dieselbe Reaktion wie jedes Mal. Er schob die Unterlippe vor und zog die Brauen dicht zusammen, blies zudem noch die Wangen auf und sah somit aus wie ein Hamster.
 

Es machte mir jedes Mal Spaß, ihn zu ärgern. Aber er wusste ganz genau, dass ich es nie so meinte, und genau das war das Gute an der Sache. Ich brauchte somit also keine Angst haben, dass er etwas falsch verstand und mich wahrscheinlich links liegen ließ, was er sowieso nie tun würde, so wie Toshiya es gerne mal mit Aoi machte. Durch diesen Gedanken musste ich leicht grinsen, was Reita wiederum verwirrte. „Was? Was grinst du so doof?“, fragte er verpeilt und hob eine Braue. Doch ich schüttelte nur den Kopf und spreizte meine Beine unter ihm, um diese sogleich um seinen Rücken zu schlingen und ihn somit fester an mich zu drücken. Er gab nur ein gesäuseltes, „Uuuhh!“, von sich, was mich kichern ließ. „Mir fällt gerade auf, dass..“, fing er leise an und bewegte sein Becken nebenbei leicht gegen meines, was mich zum Schnurren brachte. Ich schloss genießend die Augen und dachte dabei an vergangene Nacht. Es war alles einfach nur herrlich gewesen. Meiner Meinung nach hatten wir einfach nicht genug Sex! „Wir noch nie Guten-Morgen-Sex hatten!“, beendete er, woraufhin ich die Augen wieder aufmachte und ihn somit schief grinsen sah. „Du kommst doch morgens nie in die Pötte, also brauchst du auch gar nicht erst an so etwas denken!“, machte ich seine Fantasien zunichte und nahm sein Gesicht in meine Hände, um ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen zu drücken und ihn dann von mir runter zu schieben. Sein missfallenes Seufzen entging mir keinesfalls. „Zieh dich endlich an, du kleiner Perverser“, befahl ich und zog die Bettdecke erneut über mich, um ihm im Liegen beim Anziehen zuzugucken. Ich brauchte noch nicht aufstehen, da ich ja später losmusste. Der Blonde ging beleidigt rüber ins Bad und kam die nächsten fünfzehn Minuten nicht raus. Ich hatte so das Gefühl, dass er heute mal wieder zu spät kommen würde.
 

Ich hatte den Blonden an der Tür verabschiedet, aber nicht, ehe ich ihm noch etwas zu essen gemacht hatte. So langsam musste auch ich mich ranhalten, denn immerhin wollte ich heute endlich mal pünktlich sein. Vielleicht sollte ich doch früher schlafen gehen. Aber diesmal war es Reitas Schuld gewesen, dass wir erst so spät schlafen gegangen waren! Ich hechtete schnell die Treppe hoch und prallte im Flur mit meiner Mutter zusammen, die anscheinend gerade in die Küche wollte. „Ach, der werte Herr ist schon wach?“, stichelte sie und piekte mir im Vorbeigehen mit dem Finger in die Seite, was mich fiepen ließ. Ich streckte hinter ihrem Rücken nur die Zunge heraus und betrat dann mein Zimmer, um auch sofort ins Bad zu gehen und mich zu duschen. Aufs Schminken verzichtete ich komplett. Das würde ich dann machen, wenn wir später zu Aoi und Toshiya fahren würden. Ich brauchte zehn Minuten im Bad. Als ich wieder draußen war, zog ich mir schnell irgendwelche Klamotten an, bemerkte dann aber erst unten in der Küche, dass ich Reitas Weste trug. Stören tat es mich aber nicht, also behielt ich sie an, da sie so schön warm war und nach ihm roch. „Ich fahre heute Aoi und Totchi besuchen“, informierte ich meine Mutter, während ich nebenbei im Kühlschrank nach dem Multivitaminsaft suchte. „Das ist schön!“, wandte sie abwesend ein und schmierte mir nebenbei meine Brote. „Ma, wo ist der Saft?“, fragte ich verwirrt, während ich noch immer halb im Kühlschrank hing, und seufzte auf, als sie, „Den hast du doch gestern leer getrunken“, verkündete und mich mit schief gelegtem Kopf ansah, als ich wieder aus dem Kühlschrank gekrochen kam. „Dann sollten wir heute Einkaufen fahren“, überlegte ich laut und nickte dankend, als sie sagte, dass sie das später mit Reitas Mutter übernehmen würde.
 

Da heute Freitag war, hatte ich bei der Arbeit etwas mehr zu tun als sonst. Hotaru half mir aber bei allem, wofür ich ihr dankbar war. Und dafür, dass sie für mich immer wieder ein gutes Wort bei Ono-san einlegte, bekam sie in der Mittagspause auch ihre wohlverdiente Massage von mir. Ich zog im Aufenthaltsraum einen weiteren Stuhl heran und setzte mich dicht hinter sie, um mich an ihren Schultern zu vergreifen. Ich merkte wie sie die Massage genoss. Munter redete ich mit ihr, doch sie wandte nichts ein. Irgendwie war sie weggetreten. „Hotaru, pennst du?“, fragte ich und musste lachen, weil sie zusammenhanglos, „Oh verdammt, das ist so gut..“, säuselte und dabei ihren Kopf nach vorne hängen ließ. Beinahe die komplette Mittagspause ging dafür drauf, und so musste ich gehetzt meine Brote runterwürgen, wenn ich nicht hungrig weiterarbeiten wollte. Hotaru grinste nur schadenfreudig und fasste sich mit einem genießerischen Gesichtsausdruck an die eigene Schulter, ehe sie den Aufenthaltsraum verließ. Ich folgte ihr einige Minuten später und wurde von meiner Chefin angewiesen, mich um eine ältere Frau zu kümmern, da diese anscheinend irgendein Problem mit dem Rücken hatte und ich gut mit so etwas auskam. Ja, ich war halt der Beste! „Die Dame liegt bereits im Raum Nummer drei, Takashima-san“, berichtete mir Ono-san, ehe sie sich zur Empfangstheke begab. Ich nickte nur und wollte mich gerade herumdrehen, als ich stehen blieb und Hotaru einen vernichtenden Blick zuschickte, da sie, „Na los, Kouyou. Mach sie so richtig glücklich!“, geträllert hatte und mich breit angrinste. „Ich mach dich gleich mal glücklich!“, meckerte ich gedämpft und hob die Hände resigniert gen Decke, als sie mit großen Augen und hoffnungsvoll, „Jetzt echt?“, fragte und mich mit klimpernden Wimpern anblinzelte. Sie versuchte es auch jedes Mal. Ich mochte Freitage, obwohl ich da immer mehr als sonst zu tun hatte. Das Gute daran war, dass ich dann immer etwas früher Schluss hatte. Ich erledigte also alles, was zu tun war, und machte mich gegen Viertel nach vier auf den Weg nach Hause.
 

„Kouyou, ich habe deinen Lieblingssaft nirgendwo gefunden“, meinte meine Mutter entschuldigend, nachdem sie mich hereingelassen hatte. Ich hatte mir soeben meine Schuhe und meine Jacke ausgezogen und hatte meinen Schlüsselbund an einen der Haken hinter der Haustür gehängt. Mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck sah ich meine Mutter an, sagte dann aber, dass es nicht so schlimm war. Jetzt wollte ich mich erst einmal fertig machen, denn immerhin war ich zu Aoi und Toshiya eingeladen. Ich eilte die Treppe hinauf, um mich umzuziehen und zu schminken. Seit neuestem übertrieb ich es, wenn es um mein Augen Make-up ging. Aber irgendwie gefiel mir dieses ganze Schwarz. Auch meine Klamotten waren überwiegend schwarz, aber was soll’s. Mir gefiel es eben. Sobald ich fertig war, ging ich zurück in die Küche, um schnell etwas zu essen. „Mein Sohn ist ein Grufti.. Wann hören diese Phasen endlich auf?“, hörte ich meine Mutter murmeln, und ich wollte gerade protestieren, als sie mir plötzlich ein Glas mit Multivitaminsaft vor die Nase hielt. „Hä?! Aber ich dachte, du hast keinen gefunden!“, merkte ich verwundert an, schnappte mir das Glas aber, um einige Schlucke daraus zu nehmen. Lecker! „Nein, ich wollte dich nur veräppeln“, sprach sie unberührt und lief lachend aus der Küche, als ich von meinem Stuhl sprang, um ihr hinterher zu hasten. Sobald ich fertig gegessen hatte, eilte ich noch einmal hoch, um mir in meinem Badezimmer die Zähne zu putzen, und verabschiedete mich danach von meiner Mutter. Gegen halb sechs verließ ich das Haus und ging zu Fuß zu Reita. Immerhin brauchte ich ja nicht mehr als fünf Minuten dort hin. Wie immer wurde ich an der Haustür laut von Reitas Vater empfangen, der versuchte, mich mit ins Wohnzimmer zu bugsieren und sich mit mir zu unterhalten. „Tut mir leid, aber wir haben nicht so viel Zeit! Wir müssten eigentlich schon auf dem Weg sein“, entschuldigte ich mich mit einem verlegenen Lächeln und verbeugte mich leicht, als Reitas Vater, „Ah, ok. Verstehe schon“, lächelte, mir auf die Schulter klopfte und mich dann entließ.
 

Bevor ich die Treppen hinaufging, grüßte ich noch seine Mutter, die mich freudig in die Arme schloss und mir dann mitteilte, dass Reita oben auf seinem Zimmer war. Ja, wo denn auch sonst? Lautlos erklomm ich die Treppe nach oben, wobei meine Schritte noch zusätzlich gedämpft wurden, da die Stufen mit einem bordeauxroten Teppich bedeckt waren. Seltsam, dass er mich nicht an der Haustür empfangen hatte. Was tat er denn? Ich ging den Flur entlang und stellte mich vor Reitas Zimmertür, legte dann meine Hand auf die kalte Klinke und öffnete diese leise. Der Blonde, der sich schon komplett angezogen hatte und selbst seine Jacke trug, saß vor seinem PC und starrte wie gebannt auf den Monitor. Seine Sitzhaltung war gekrümmt, sodass man seine Wirbelsäule erahnt hätte, hätte er nicht seine dunkelrote Lederjacke an. Ich räusperte mich laut und hob verwirrt eine Braue, als er hochschreckte, mich mit geweiteten Augen ansah und sich sofort wieder dem Monitor zuwandte, um irgendetwas hektisch weg zu klicken. „Was machst du da?“, fragte ich mit einem bedrohlichen Unterton und ging mit vor der Brust verschränkten Armen auf ihn zu, nachdem ich die Tür hinter mir zugemacht hatte. Der Ältere druckste nur herum, gestikulierte dabei wild mit den Händen und gab es schließlich mit hängenden Schultern auf, als er meinen Gesichtsausdruck sah. „Nichts“, murmelte er leise, und durch das schwarze Bandana, welches seine Nase und seinen Mund verdeckte, klang es nur noch gedämpfter. „Das soll ich dir jetzt glauben?“, schnarrte ich und stellte mich schnell hinter ihn, um auch sogleich die Maus zu ergreifen und auf “Chronik“ zu klicken. Immerhin wollte ich wissen, was er sich da angeguckt hatte. Doch zu meinem Ärger hatte er die Chronik anscheinend mit einer Vorahnung schon vorher gelöscht, denn die Liste war leer. Als hätte er etwas geahnt..
 

„Rei..“, fing ich leise an, legte meine Arme von hinten um ihn und näherte mich seinem Ohr. „Hm?“, machte er wie weggetreten und sah perplex hinter seine Schulter, als ich gespielt tadelnd, „Hast du dir etwa einen Porno ohne Sound angeguckt?“, fragte und mich schnell auf seinen Schoß setzte. Na ja, eine Beule in der Hose hatte er jedenfalls nicht. „Wie kommst du auf so einen Mist?!“, war seine verwirrte Gegenfrage und sein Blick wurde noch verwirrter, als ich gespielt beleidigt und ohne auf seine Gegenfrage eingehend, „Du musst dich doch nicht schämen, Rei. Ich bin dein Freund! Du kannst es mir ruhig sagen, wenn ich dir nicht mehr genüge und du dir hinter meinem Rücken lieber irgendwelche dreckigen Pornos reinziehst, in denen sich irgendwelche armen Schweine von alten Säcken für ein wenig Geld ficken lassen!“, jammerte und dabei gekünstelt die Unterlippe vorschob. „Junge, du hast echt einen Knall“, murrte Reita, verpasste mir mit zwei Fingern einen leichten Schnipser gegen die Stirn und schüttelte den Kopf. „Steh auf. Wir sollten langsam los!“, befahl er und seufzte, als ich, „Gib mir einen Kuss!“, forderte und dabei beleidigt aus der Wäsche glubschte. „Uruha, du-“ „Ich will jetzt einen Kuss!“, jammerte ich auf seinem Schoß hin- und herwippend und schlang meine Arme fester um seinen Hals. Der Ältere erbarmte sich dazu und packte das Bandana, um es bis unter sein Kinn zu ziehen. Mir entwich ein genervtes Seufzen, als ich das weiße Nasenband darunter erblickte. Wieso konnte er nicht einfach darauf verzichten? Er war doch so schön! „Irgendwann.. Irgendwann verbrenn ich all deine Nasenstrings, mein Freund“, drohte ich leise, ehe ich ihm einen kurzen Kuss auf die warmen Lippen drückte. „Mach das“, säuselte er nur unbeeindruckt und schob mich von seinem Schoß runter, um sich zu erheben und das Zimmer zu verlassen. Ich sah ihm nur kopfschüttelnd nach und drehte mich noch einmal zum Monitor. Ich fragte mich gerade wirklich, was es gewesen war, dass er mir nicht einmal sagen wollte, was er sich angesehen hatte. Grübelnd legte ich mir einen Finger auf die Lippen und verengte die Augen leicht, entschied mich dann aber dazu, den PC einfach herunterzufahren und Reita zu folgen.
 

Aoi und Toshiya wohnten in der belebten Innenstadt Yokohamas. Mir persönlich würde es sicher nicht guttun, jeden Tag so einen Lärm um mich herum zu haben. Ich war ziemlich zufrieden mit unserem Haus. Es stand entfernt von der Innenstadt und war somit etwas abgelegen, wenn man denn von abgelegen reden konnte. Immerhin war unsere Straße voll von Ein-Familien-Häusern. Reita, der für meinen Geschmack etwas zu lebensmüde fuhr, meckerte die ganze Fahrt über, weil er der Meinung war, dass die Fahrer vor, neben und hinter ihm anscheinend ihren Führerschein selbst ausgedruckt hatten. „Weißt du, Schatzi-“, fing ich provozierend an, während Reita sich über die rote Ampel beschwerte und mit den Fingern ungeduldig auf dem schwarz glänzenden Lenkrad trommelte. „Das hier ist nun mal das reale Leben und nicht “Need for Speed“, weißt du? Hier herrschen Verkehrsregeln und-“ „Ach, halt den Mund, bevor ich ihn dir stopfe!“, meckerte er gereizt und schnaubte grinsend, als ich neugierig, „Womit willst du ihn mir denn stopfen?“, fragte und dabei leicht seinen Oberschenkel streichelte. „Ich kann’s dir ja später zeigen, wenn du willst“, sagte er leise mit einem Blick zu mir, der mich total kribbelig werden ließ, und gab dann Gas, als wir wieder grün hatten. „Hm, gern“, schnurrte ich mit halb geschlossenen Augen und unterdrückte dieses aufkeimende Gefühl von Zufriedenheit in mir, welches sich langsam in meinem Körper breit machte und bis zu meinem Herz vorzudringen schien. Ich konnte gar nicht beschreiben, wie sehr ich es genoss, bei ihm zu sein. Und auch wenn wir uns manchmal gegenseitig beleidigten, zum Spaß, verstand sich, war ich trotzdem jedes Mal glücklich und dankbar, dass ich ihn hatte. Was wäre ich nur ohne meinen süßen, herummotzenden Reita..
 

Es war immer etwas schwer, hier in der Innenstadt einen Parkplatz zu finden. Und es endete damit, dass Reita dreist einen der Parkplätze besetzte, die eigentlich für die Bewohner des großen Gebäudes gedacht waren. „Aber Rei, das darfst du eigentlich nicht!“, meinte ich tadelnd und schnallte mich beleidigt los, als er gereizt, „Quak mir nicht die Ohren voll, du Grufti-Schlampe. Steig lieber aus!“, schnarrte und sogleich selber ausstieg. Ich hatte ja erwähnt, dass wir uns gerne zum Spaß beleidigten, nicht wahr? Na, mal sehen, ob ihm das gleich gefallen würde. Ich knallte die Autotür hinter mir absichtlich mit voller Wucht zu, in dem Wissen, dass er es hasste, weil es “seinem Baby“ wehtat, wenn man die Türen so zuschlug, wie er immer sagte, und ging Hüfte schwingend auf die weiße Haustür des hohen Gebäudes zu, ihn und sein Gekeife dabei völlig ignorierend. Nachdem er mich wütend eingeholt hatte, holte er kräftig aus und schlug mir so heftig auf den Hintern, dass dieser zu zwiebeln begann und ich mir mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck darüber rieb. „Du bist ein verblödetes Arschloch!“, machte ich ihm mit Tränen in den Augen klar und schnalzte bockig mit der Zunge, als er unberührt, „Ich weiß“, sagte und mich Richtung Fahrstuhl zog. Immerhin wohnten die beiden im zehnten Stockwerk und ich hatte eher wenig Lust, die Treppe zu nehmen. Den ganzen Weg hinauf schwiegen wir. Reita checkte seine Frisur im Spiegel, welcher an der Fahrstuhlwand befestigt war, und überlegte nebenbei laut, ob er sich die Haare wieder blondieren sollte. Seine jetzige Haarfarbe wich eher ins Brünette. Sein Ansatz wurde auch schon wieder schwarz und er hatte hier und da noch vereinzelte blonde Strähnen. Mir gefiel es jedoch so, also ließ ich es ihn auch kleinlaut wissen. Er nahm daraufhin lächelnd meine Hand und schleppte mich aus dem Fahrstuhl, als dieser endlich stehen blieb.
 

Vor deren Wohnungstür blieben wir stehen und ich besah mir noch einmal die Türklingel, über der auf einem kleinen Silberschildchen “Shiroyama und Hara“ geschrieben stand. Wenn es nach Toshiya ginge, würde da nur “Shiroyama“ stehen. Immerhin hatte er für sich stolz Aois Nachnamen angenommen. Der Tag ihrer inoffiziellen Hochzeit ging mir plötzlich durch den Kopf, und ich musste bei der Erinnerung lächeln. Welch Schande, dass die gleichgeschlechtliche Ehe in Japan verboten war. Toshiya hatte an dem Tag doch tatsächlich ein weißes, gigantisches Brautkleid getragen, obwohl wir nur unter unseren Freunden und der Familie gewesen waren. „Ich fühle mich wie eine Prinzessin!“, hatte er mir aufgeregt stotternd und mit Freudentränen in den Augen gebeichtet, während ich freudig sein Haar frisiert hatte. Der Tag war wirklich schön gewesen. Toshiya hatte überglücklich ausgesehen. Als ich plötzlich in die Seite gepiekt wurde, schreckte ich aus meinen Tagträumen und blinzelte Reita verwirrt an, als dieser, „Träumst du?“, fragte. Anscheinend hatte er schon geklingelt, wovon ich rein gar nichts mitbekommen hatte. „Hmhm“, machte ich nur und hatte sogleich einen breit grinsenden Aoi vor mir, der laut und verzückt, „Uruha, mein kleiner, großer Schatz. Komm her!“, rief, seine Hand schnell in meinen Nacken legte und mein Gesicht somit grob zu sich runterzog, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. Reita und ich lachten daraufhin nur, und sobald Aoi mich entlassen hatte, um Reita eine feste Umarmung zu geben, hatte ich sogleich Toshiya an der Backe kleben, der mich durchknuddelte und verzückt herumquietschte. „Schätzchen, wir müssen unbedingt mal wieder shoppen gehen! Die haben unten in der Stadt einige neue Klamottenläden eröffnet. Ich bin sicher, sie werden dir gefallen!“, plapperte er aufgeregt und ließ mich gar nicht zu Wort kommen, was mich aber nicht störte. Toshiya war immer so, wenn wir uns eine längere Zeit nicht sahen. Ich lächelte nur, als er mich entließ, und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen. Das taten wir eigentlich immer zur Begrüßung, hatten wir es uns damals in der Schulzeit irgendwann mal zur Angewohnheit gemacht, um unsere beiden Partner damit zur Weißglut zu treiben. Inzwischen war es für uns selbstverständlich. Ich entledigte mich schnell meiner Jacke und meiner Schuhe.
 

Gleich nachdem Toshiya mich entlassen hatte, warf er sich Reita um den Hals und redete ihm entzückt eine Kante ans Bein, während der Blonde nur lächelte und Toshiyas Rücken tätschelte. Aoi machte die Wohnungstür wieder zu und eilte schnell rüber in die Küche. Ich wiederum war im Flur stehen geblieben und bemerkte jetzt mit einem stechenden Blick, wie Reitas Hände plötzlich in einer geschmeidigen Bewegung langsam an Toshiyas Seiten hinabwanderten und auf dessen Hüften ruhten. „Habt ihr Hunger?“, fragte Toshiya breit und glücklich lächelnd, der Situation völlig unbewusst, den einen Arm noch immer um Reitas Hals geschlungen, der den Schwarzhaarigen stetig an den Hüften entlang streichelte und meinen eifersüchtigen Blick mit einem fiesen Grinsen registrierte. Ich riss mich von diesem Anblick los und entgegnete versucht gelassen, „Nein, danke. Ich habe zu Hause etwas zu mir genommen“ Reita wiederum meinte sofort, dass er großen Hunger hatte, und folgte dem anderen in die Küche. Ich schaute ihnen nur mit einer vorgeschobenen Unterlippe nach und entschloss mich dann dazu, ins Wohnzimmer zu gehen. Als ich die dunkle Tür aufstieß, bot sich mir ein ziemlich befremdliches Bild. Kai, der auf der einen Seite des langen, schwarzen Sofas saß, hatte den Kopf zurückgelehnt, die Augen geschlossen und den Mund ganz leicht geöffnet. Ruki wiederum saß am anderen Ende, hatte die Beine übereinandergeschlagen und den Kopf gelangweilt in seiner Handfläche abgestützt. „Was ist denn mit euch los?“, gluckste ich belustigt und hob die Hand zum Gruß, als Rukis Hand unter seinem Kinn wegrutschte und er mit großen Augen und freudig, „Uruha!“, von sich gab. Ich ging auf den Kleineren zu, umrundete dabei den gläsernen Couchtisch und umarmte ihn dann fest, nachdem ich mich zu ihm gebeugt hatte. „Wie geht’s dir?“, fragte Ruki, nachdem er mir eine schwarze Strähne aus dem Gesicht wischte, und mir fiel auf, dass er mich beinahe mit einem mütterlichen Blick bedachte. Unser jüngster war wirklich erwachsen geworden.
 

Seine sanften Gesichtszüge spannten sich leicht an, doch dann lächelte er ein atemberaubendes Lächeln und erwiderte meine Aussage, als ich ihm verkündete, dass es mir gut ging. Er entließ mich und sah mir dabei zu, wie ich neben Kai rutschte, der beim genaueren Hinhören leise schnarchte. Ich tippte ihm auf die Schulter, was dazu führte, dass er sofort die Augen aufriss. Als ich die unzähligen roten Äderchen in seinen Augen erkannte, bekam ich doch ein recht mulmiges Gefühl. Mir ging es plötzlich durch den Kopf, dass ich meinen besten Freund ziemlich vernachlässigte.. Ich rief ihn ja kaum noch an, um einfach mal zu fragen, wie es ihm ging, was er so machte. „Oh, Uruha“, gab Kai heiser von sich und zeigte ein zerknirschtes Lächeln, und als ich meine Arme zur Begrüßung um ihn legte, merkte ich, wie er seinen Kopf in meiner Halsbeuge vergrub und erneut zu schnarchen anfing. Hilfesuchend drehte ich mich zu Ruki herum, dessen Gesichtsausdruck sich leicht verdüstert hatte. „Was ist mit ihm?“, fragte ich besorgt nach und streichelte nachvollziehend Kais Rücken, als Ruki mir sagte, dass Kai nicht mehr genug Schlaf bekam, weil er von einem Ort zum anderen hetzen musste. „Studieren und nebenbei kellnern tut ihm nicht gut. Manchmal bleibt er die ganze Nacht wach, weil er viel zu lange kellnern und nebenbei für sein Studium irgendwelches Zeugs lernen muss“, leierte Ruki tonlos vor sich hin, der seinen Blick wieder abgewandt hatte. Das klang irgendwie nicht gut. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es so schlimm um ihre Situation stand. „So Mädels, hier habt ihr was zu trinken!“ Aoi kam, gefolgt von Toshiya und Reita, ins Wohnzimmer und stellte Gläser und Getränke auf den gläsernen Tisch, ehe er sich gemeinsam mit seinem “Ehemann“ gegenüber von uns auf das Sofa setzte und breit in die Runde grinste.
 

Reita, der Ruki lächelnd begrüßt hatte, sah jetzt unschlüssig zu mir und Kai rüber, der noch immer in meinen Armen döste und anscheinend auch nicht vorhatte, aufzustehen. „Was geht’n mit dem?“, fragte der Nasenbandträger grob und setzte sich neben mich, um an mir vorbei zu greifen und gegen Kais Nase zu schnippen. Dieser öffnete dadurch die geröteten Augen und schielte müde, ehe er sich übers Gesicht rieb, sich wieder anständig hinsetzte und sich leise entschuldigte. „Ach, schon gut..“, murmelte Reita verunsichert, als er dessen Anblick sah. Toshiya rettete die verkorkste Situation, indem er uns alle ausfragte. Was wir in letzter Zeit so gemacht hatten, wie es mit der Arbeit und dem Studium lief. Ich fühlte mich verdammt wohl zwischen meinen Freunden. Es war ein tolles Gefühl, hier in dem großen Wohnzimmer der beiden zu sitzen und mit allen zu plaudern. Das schönste war für mich aber immer noch, wenn wir von den alten Zeiten schwelgten. Ruki hatte sich inzwischen neben Kai niedergelassen und sich an ihn gekuschelt. Dieser wiederum hatte einen Arm um seinen Partner seit Schultagen gelegt und bemühte sich, die Augen offen zu halten. Ich saß neben Kai und hielt dessen Hand fest in meiner, streichelte mit dem Daumen über seinen Handrücken, und Reita klebte an meiner linken Seite und hatte einen Arm besitzergreifend um mich geschlungen. „Ich glaube, es wäre das Beste, wenn ich schnell mit der Sprache rausrücke. Dann könnt ihr ja wieder nach Hause fahren, damit sich Kai endlich ausschlafen kann“, begann Toshiya an seinen Fingern spielend und lächelte kopfschüttelnd, als Aoi hoffnungsvoll, „Bist du etwa schwanger, Liebling?“, fragte und seine Hand sanft auf den flachen Bauch des anderen legte. „Erzähl doch keinen Unsinn, Schatz!“, mahnte Toshiya lächelnd, aber ich bemerkte, dass sich trotz des ehrlichen Lächelns auf seinen Lippen Trauer in seinen dunklen Augen widerspiegelte. Was zum Teufel?
 

Gespannt warteten wir darauf, dass Toshiya zu erzählen begann. Aoi hatte sich nur beleidigt an Toshiya geschmiegt und sah jetzt abwesend aus einem der drei großen Fenster, die sich hinter uns befanden. „Ich habe ein Picknick für morgen Mittag geplant. Ich fand die Idee recht gut, im Freien zu sitzen und das jetzige Wetter gemeinsam mit euch zu genießen. Was würdet ihr davon halten?“ Der Schwarzhaarige sah uns alle hoffungsvoll an und lächelte sofort breit, als ich begeistert zustimmte und Reita ebenfalls bejahte. Nur Ruki sah ein wenig geknickt drein, was Kai wiederum bemerkte. Mein bester Freund erhob sich plötzlich mit einem Seufzen, zog somit alle Blicke auf sich, und lächelte müde. „Die Idee finde ich sehr gut. Dann müssen wir jetzt aber auch nach Hause, damit ich morgen beim Essen nicht einschlafe!“, wandte Kai ein und brachte Ruki dazu, freudig zu lächeln. „Wie? Ihr wollt wirklich schon gehen?“, fragten Toshiya und ich gleichzeitig und ich versuchte, nicht so enttäuscht zu gucken, als Kai sich zu mir herunterbeugte und mich umarmte. „Tut mir leid, Ruha, aber ich bin wirklich verdammt müde. Und wenn ich den morgigen Tag genießen und Ruki nicht schon wieder enttäuschen will, muss ich mich halt mal so richtig ausschlafen“, flüsterte er mir ins Ohr und gab mir einen Kuss auf die Wange, als ich verstehend nickte. Dabei hatte ich mich doch so darauf gefreut, mich ununterbrochen mit ihm zu unterhalten. Aber na ja, morgen hätte ich ja die Gelegenheit dazu. Wir erhoben uns ebenfalls, um die beiden an der Tür zu verabschieden. Ich drückte Ruki fest an mich, ehe dieser aus dem Appartement trat und Kai verabschiedete sich noch schnell von den anderen. Als Kai wissen wollte, was sie morgen mitbringen mussten, blockte Toshiya sofort ab und meinte, dass er sich um alles kümmern würde.
 

Toshiya und ich gingen in die Küche, während Reita und Aoi sich wiederum zurück ins Wohnzimmer begaben, um sich dort zu unterhalten. Ich setzte mich an den großen Mosaiktisch, der etwas weiter entfernt von der Küchenzeile stand, und beobachtete Toshiya dabei, wie er sich die langen Nackenhaare zu einem Zopf zuband und sich dann eine Zigarette anzündete. Meine Einstellung gegenüber Zigaretten hatte sich nicht geändert. Und leider war auch Reita noch immer Raucher, jedoch rauchte er nicht mehr so oft und viel, was mich wiederum halbwegs zufrieden stimmte. Auch Toshiya wusste, dass ich nichts fürs Rauchen übrighatte und dass mir von dem Gestank schlecht wurde. Also öffnete er zuvorkommend das Küchenfenster und stellte sich mit seinem Aschenbecher davor, um einen gewissen Abstand zwischen uns zu bringen. Ich stützte meinen Kopf in meinen Händen ab und sah lächelnd zu ihm herüber, was er sofort erwiderte. „Sag, Toshiya“, fing ich an und er gab einen fragenden Laut von sich. „Diese Sache mit dem Picknick, du kannst doch nicht alles alleine vorbereiten. Das ist doch zu viel Arbeit“, sprach ich und neigte den Kopf leicht nach rechts, als er mir abwinkend, „Ach Quatsch, das regle ich schon! Immerhin habe ich doch Aoi, der mir hilft. Du brauchst wirklich nichts mitbringen“, versicherte und mit leicht zusammengekniffenen Augen an seinem Glimmstängel zog. Mir war aufgefallen, dass Raucher oft so aussahen, als hätten sie Verstopfung, wenn sie rauchten. Fand ich jedenfalls. Mir hatte es wirklich gefehlt, mich ausgelassen mit Toshiya zu unterhalten. Fakt war, dass wir einen ganz bestimmten Draht zueinander hatten, wie es mit den anderen nicht der Fall war. Wir hatten gemeinsam schon so einige Dinge erlebt und unternommen, wovon die anderen nichts wussten. Und sie mussten auch definitiv nichts darüber wissen. Jetzt, wo ich genau darüber nachdachte, kam mir der Tag in den Sinn, als Aoi zusammen mit Reita abends in die Stadt gegangen war, weil sich die beiden “unter Männern“ hatten amüsieren wollen.
 

Die freie Zeit hatten Toshiya und ich damit genutzt, aus Trotz miteinander einige Stellungen des Kamasutras nachzuahmen, die wir im Internet entdeckt hatten. Bei den ganzen Verrenkungen, die wir beide vollzogen hatten, hatten wir totale Schmerzen bekommen, aber trotzdem war es lustig gewesen. Gott, wie wir gelacht hatten. Jetzt versteht mich nicht falsch, es war einfach nur zum Spaß gewesen. Und unsere Klamotten hatten wir auch anbehalten. Als Toshiya mich so dämlich grinsen sah, fragte er belustigt, was ich hatte, doch ich schüttelte nur glucksend den Kopf. „Wie läuft’s mit der Ausbildung?“, fragte er interessiert und pustete nebenbei den gräulichen Rauch aus dem Fenster. Ich wog den Kopf überlegend von links nach rechts, ehe ich, „Ich verspäte mich zwar ab und zu mal, aber eigentlich läuft es recht gut!“, sagte und schmunzelte, als er leise lachte und, „Also wie damals in der Schule!“, bemerkte. Das überhörte ich jetzt mal gekonnt. “Und wie läuft es so als Hausfrau?“, wollte ich interessiert und mit einem breiten Grinsen wissen. Toshiya hob daraufhin eine Braue, grinste spitzbübisch, doch gab er gleich darauf ein zufriedenes Seufzen von sich. „Es ist zwar ab und zu anstrengend, aber Aoi ist einfach ein Schatz. Er hilft mir bei allem, aber er gibt sich auch gern mal faul. Und das sind dann immer die Momente, in denen ich ihn verprügeln will. Der Gute weiß aber auch, wie er sich verhalten muss, damit ich sofort erweiche und ihn wieder ins Appartement lasse“, erzählte er leicht verträumt und brachte mich somit zum Lachen. „Du solltest ihn nicht so oft rauswerfen, Totchi!“, nickte ich und prustete, als er schief grinsend, „Wieso? Der Versöhnungssex danach ist immer der geilste, weil er sich so richtig ins Zeug legt!“, von sich gab und dann noch Aoi nachahmte, indem er mit verstellter Stimme, „Vielleicht klappt’s ja diesmal mit der Schwangerschaft, was Liebling?“, aus sich brachte und gemeinsam mit mir zu lachen anfing. „Was ist denn hier los?“, fragte Aoi, der zusammen mit Reita in der Tür erschien, und schaute beleidigt drein, als Toshiya ihm nebenbei, „Nichts, ich mache mich nur über dich lustig“, erklärte und mir danach vielsagend zuzwinkerte.
 

Wir verabschiedeten uns gegen acht am Abend voneinander und machten eine Zeit für das morgige Treffen aus. Aoi sagte noch, dass er Ruki Bescheid geben würde, damit dieser wusste, wann und wo wir uns trafen. Wir hatten als Ziel den kleinen Stadtpark gewählt, der für ein Picknick super geeignet war. Nachdem ich mich mit einem Küsschen von Toshiya verabschiedet hatte, winkten wir den beiden noch einmal zu, ehe wir zum Fahrstuhl gingen und darauf warteten, dass dieser ankam. Den ganzen Weg nach Hause schwiegen Reita und ich, was ich jedoch kein wenig als lästig empfand. Seine Hand, die auf der Gangschaltung ruhte, erweckte meine Aufmerksamkeit. Mit einem leichten Lächeln legte ich meine Hand auf seine und musste leise lachen, als er mich verwundert ansah. „Du hast sicher nichts dagegen, wenn ich noch schnell bei dir vorbeikomme, oder?“, fragte er wispernd und entlockte mir somit einen perplexen Blick. „Du kannst von mir aus gleich über Nacht bleiben, du Blödmann“, lächelte ich und neigte mich zur Seite, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Er nickte nur und fuhr in einem annehmbaren Tempo, was bei ihm doch ziemlich selten vorkam. Als wir vor der Tür hielten, stieg ich gähnend aus und ging voraus zur Haustür. Ich konnte von draußen meine Mutter erkennen, die in der Küche herumwerkelte. Auch erkannte ich sofort Reitas Mutter, die am Tisch saß und sich angeregt mit meiner Mutter unterhielt. Wie lange hatten die beiden heute schon aufeinander herumgehockt? Schon süß, zu sehen, wie sehr sich die beiden mochten. Ich schloss die Haustür auf und merkte, wie das Stimmengewirr sofort verstummte und ein lautes, „Kouyou?“, ertönte. „Bin da!“, rief ich bestätigend durch den Flur und ließ Reita rein, der mir in die Küche folgte. Das Lächeln, was mir unsere Mütter präsentierten, wirkte irgendwie aufgesetzt, wie mir auffiel. „Ähm.. Wir gehen dann mal hoch“, sagte ich nur etwas verwirrt und zog Reita mit mir mit, der nur wortlos gewunken hatte.
 

Oben angelangt schloss ich die Tür hinter mir und sah Reita dabei zu, wie dieser sich breitbeinig auf mein Bett setzte. Ich folgte ihm und ließ mich vor seinen Füßen auf meinem violetten Flauschteppich nieder, sah somit zu ihm auf. „Weißt du, irgendwie..“, verließ es überlegend meine Lippen und ich schloss genießend meine Augen, als Reita mir leicht über den Kopf streichelte und seine Hand weiter in meinen Nacken wandern ließ, um mich dort zu kraulen. „Hm?“, machte er und ich erzählte ihm, dass mir heute bewusst geworden war, dass ich mich gar nicht mehr um Kai kümmerte, wie ich es damals getan hatte, und dass ich mich deswegen ziemlich schuldig fühlte. „Baby, Zeiten ändern sich nun mal. Schau doch, es kommen Tage vor, da sehen wir uns auch nicht und hören nicht einmal voneinander, weil wir eben nicht die Zeit dazu haben“, sagte er sanft und lächelte, als ich mit einem schlechten Gewissen den Blick abwandte. „Damals war alles anders. Wir mussten nur dafür sorgen, dass wir jeden Tag unsere Hausaufgaben hatten. Danach konnten wir anstellen, was wir wollten. Und jetzt geht das einfach nicht mehr, was aber völlig normal ist. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu. Mach dich deswegen nicht selbst fertig“, redete er leise weiter und ich legte meine Hände dankbar auf seine Oberschenkel, um leicht über den Jeansstoff zu kratzen und zu seufzen. „Hast wahrscheinlich Recht..“, gab ich kleinlaut von mir und musste amüsiert grinsen, als ich merkte, wie er, mit seiner Hand in meinem Nacken, plötzlich meinen Kopf leicht zu sich zog, sodass ich genau in seinen Schritt blicken konnte. „Wolltest du nicht noch vor einigen Stunden wissen, womit ich dir den Mund stopfen will?“, hauchte er leise und leckte sich anzüglich über die Lippen, als ich kokett grinsend zu ihm aufsah. „Doch, wollte ich. Willst du’s mir denn noch zeigen?“, fragte ich scheinheilig und musste leise lachen, als er bejahend nickte und meinen Kopf weiter Richtung seines Schritts drückte. Genau in dem Moment, als ich den Reißverschluss seiner schwarzen Jeans öffnete, flog die Tür zu meinem Zimmer auf und meine Mutter stand dahinter.
 

Ihr Lächeln schwand sofort und sie schaute peinlich berührt drein, ehe sie sich mehrmals entschuldigte und mit den Händen auf den Wangen, „Oh Gott, das nächste Mal klopf ich an!“, brabbelte. Genervt legte ich meine Hände wieder auf Reitas Oberschenkel und sah zu meiner Mutter rüber. „Das sagst du jedes verdammte Mal! Und dann klopfst du wieder und reißt die Tür einfach auf, ohne dass ich dich hereinrufe! Langsam reicht’s, Ma!“, meckerte ich angesäuert und rollte mit den Augen, als sie leise, „Tut mir echt leid“, fiepte und sich umdrehte. „Essen ist fertig. A-also kommt bald runter, ja?“, krächzte sie noch und zog schnell die Tür wieder zu. Ich merkte, wie Reitas Körper zitterte. Und ich kannte auch den Grund dafür. Genervt seufzend sah ich zu ihm auf und schüttelte den Kopf, da er rot angelaufen war, weil er sein Lachen unterdrückt hatte. Er prustete auf und lachte laut, ehe er sich wieder beruhigte und erneut seine Hand in meinen Nacken legte. „Na, was ist? Vor oder nach dem Essen?“, fragte er scheinheilig und ich überlegte kurz. „Hm.. Ich bevorzuge vor dem Essen“, beichtete ich dreckig grinsend und öffnete mit einigen schnellen, geübten Handgriffen seine Hose und zog sie ihm sogleich bis unter die Kniekehlen.

~4~

„Wollen wir nicht wenigstens etwas zu trinken mitnehmen?“ Reita machte sich gerade hinter mir die Haare, während ich im Schneidersitz vor meinem Schrank saß und mich davor schminkte, da mein Eckschrank einen großen Spiegel besaß. „Können wir machen. Eigentlich meinte Totchi, dass er das übernimmt, aber ich fände es auch besser, wenn wir wenigstens eine Kleinigkeit zum Picknick beitragen würden. Wir können doch nicht mit leeren Händen dort aufschlagen. Das ist unhöflich“, sprach ich und tuschte mir nebenbei die Wimpern. „Baby, nicht so viel schwarz, ja? Ich kriege langsam Angst vor dir“, meinte Reita, als er mir dabei zusah, wie ich mir nachträglich etwas mehr schwarzen Lidschatten auftrug. „Tut mir leid“, wandte ich ein, legte den Applikator zurück und sah ihm nach, da er ins Bad ging, um sich die Hände zu waschen, weil er seine Haare gerade mit Wachs in Form gebracht hatte. Meine Mutter war längst nicht mehr im Haus. Sie hatte gesagt, dass sie sich ein wenig die Beine vertreten wollte, also hatte ich nicht weiter nachgefragt und hatte sie noch einmal daran erinnert, dass ich heute vielleicht nicht nach Hause kommen würde, da ich mit dem Gedanken spielte, das Wochenende bei Reita zu verbringen. Ich erhob mich also und strich mir den weißen Wollpullover glatt, ehe ich mein Zimmer verließ, um die Treppe hinunter zu gehen und dann unten in unserem Keller nach irgendwelchen Getränken zu sehen, da die Getränkekästen dort standen. Reita war mir natürlich sofort lautlos gefolgt, wovon ich erst nichts mitbekommen hatte, und knipste das Licht absichtlich aus, sodass ich die eigene Hand vor Augen nicht mehr erkennen konnte. Er wusste, dass ich mich in der Dunkelheit nicht wohl fühlte. Kellerräume waren im Allgemeinen schon beängstigend genug, aus dem Alter würde ich nie rauswachsen. „Mach das verdammte Licht wieder an, du Wichser!“, brüllte ich, meine Angst überspielend, hoch und konnte oben im Türrahmen seinen Schatten sehen. Ich musste ja nicht verschweigen, dass ich noch immer Angst hatte, in den Keller zu gehen, oder? Der war einfach unheimlich. Nachdem Reita genug gelacht hatte, machte er das Licht wieder an und hüpfte grinsend die Treppen nach unten, um sich von hinten an mein Gesäß zu drängen. „Verpiss dich bloß!“, fuhr ich ihn sauer an und trat nach hinten aus, damit er meinen Hintern in Ruhe ließ. „Bah, hat die kleine Schlampe wieder ihre Tage oder was?“, provozierte er mich taktlos und machte kehrt, um wieder hoch zu gehen. Also, manchmal könnte ich ihn.. Ich könnte ihn erwürgen, hier und jetzt!
 

Nachdem ich die Getränkeflaschen in der Küche in eine Stofftüte gelegt hatte, warf ich mich in meine schwarze Lederjacke und schlüpfte in meine Stiefel. Reita, der gerade von oben die Treppen runterkam, hatte Schuhe und Jacke schon an. „Habe ich dir nicht tausendmal gesagt, dass du nicht mit deinen Schuhen im Haus herumlaufen sollst?“, schimpfte ich mit einem tadelnden Blick und schnaubte, als er, mich völlig ignorierend, aus dem Haus trat und auf mein Auto zusteuerte. Glaubt ihr’s? Da ärgerte mich dieser Penner erst und schnappte zum Schluss ein?! Ich griff mir die Tüte und meinen Schlüsselbund, um die Haustür hinter mir zweimal abzuschließen. Danach schritt ich auf mein Auto zu und schloss es auf, woraufhin Reita auch sofort einstieg und sich tonlos auf dem Beifahrersitz niederließ. Ich lief einmal um mein Auto und stieg auch ein, drehte mich leicht herum, um die Tüte auf den Rücksitz zu legen, und wandte mich wieder nach vorne, um mich anzuschnallen. Als ich den Motor startete, merkte ich, dass Reita sich noch immer nicht angeschnallt hatte. Ok, Ruhe bewahren. „Schnall dich an, oder du kannst zu Fuß in den Park latschen!“, maulte ich ungeduldiger als gewollt und hielt ihn panisch am Ärmel zurück, als er tatsächlich, ohne mit der Wimper zu zucken, die Tür wieder aufmachte, weil er aussteigen wollte. „Manchmal kotzt du mich sowas von an, echt..“, flüsterte ich wütend, während ich ihn anschnallte. Dass er schadenfreudig grinste, bemerkte ich nicht, da ich meinen Kopf gesenkt hielt. Nachdem auch er angeschnallt war, konnte es endlich losgehen. Es war jetzt viertel nach zwölf, also nicht zu früh und auch nicht zu spät. Wenn nicht schon wieder so ein Verkehrschaos herrschte, würden wir in fünfzehn Minuten dort sein.
 

Wie hätte ich auch nur ansatzweise denken können, dass heute nicht so schlimmer Verkehr war? Es würde sich wirklich nie etwas ändern in dieser Stadt. Ich hatte meinen Wagen einige Ecken weiter weg geparkt, weil es keinen Parkplatz in der Nähe des Parks gegeben hatte. Und jetzt gingen Reita und ich die letzten Meter Hand in Hand zu Fuß. Ich schwenkte die Tüte im Gehen in meiner Hand leicht vor und zurück und genoss die Sonne, die warm auf uns nieder schien. Trotzdem war es ein wenig kalt und auch hing leichter Nebel über der Straße, sodass man die eigenen Füße nicht richtig erkennen konnte. Na hoffentlich froren wir uns dort nicht den Hintern ab. „Ich liebe dich!“, ertönte es plötzlich leise neben mir, weshalb ich auch verwirrt zur Seite blickte und Reita anschaute, der mit einem leichten Lächeln geradeaus sah und meine Hand leicht drückte, während wir weitergingen. Aww, er war so süß! Ich schmiegte mich im Gehen an seine rechte Seite und hauchte ihm, „Ich dich auch.. vielleicht. Manchmal jedenfalls“, ins Ohr, was ihn leise lachen ließ. Ich konnte das große Tor des Parks vor uns erkennen. Wir betraten den Park und ich fing an, mich suchend umzusehen. „Zum Brunnen“, murmelte ich leise und Reita zog daraufhin an meiner Hand und sagte bestimmend, „Komm!“ Der Kieselweg vor uns führte immer tiefer in den Park hinein, der in verschiedenen Grün-Tönen erstrahlte. Verzückt drehte ich meinen Kopf hin und her und nahm den Geruch der Sicheltannen wahr, die hier vereinzelt herumstanden. Auf Reitas Seite lichtete sich der Park dann und man konnte eine riesige Grasfläche mit einem großen Pyramidenbrunnen sehen, in dessen Nähe ein Fächerbaum stand, dessen waagerecht wachsenden Äste so tief hingen, dass man sich sicher mit Leichtigkeit dort rauf ziehen und sich auf einen der Äste setzen konnte. Unter dem Schutz des Fächerbaums konnte ich unsere Freunde erkennen, die sich auf einer großen Decke niedergelassen hatten und sich ausgelassen unterhielten. Doch ließ der Nebel auch alles ein wenig schwummrig wirken. Beinahe wie in einem Märchen.
 

Reita bugsierte mich über den Rasen, hinüber zu unseren Freunden, die schon bald auf uns aufmerksam wurden und freudig zu winken und rufen begannen, als sie uns sahen. „Da seid ihr ja endlich! Was hat denn da so lange gedauert?“, fragte Toshiya neugierig und umarmte mich fest, als ich mich neben ihn auf die schwarze Decke setzte. „Sind wir denn so spät?“, fragte ich verwundert an Reita gewandt, der nur knapp mit den Schultern zuckte und alle nacheinander grüßte. Ich besah mir Kai, der mir sein atomares Grinsen zeigte und richtig frisch wirkte. Gestern hatte er eher wie ein Junkie ausgesehen, aber heute erstrahlte er wieder in seinem guten, alten Aussehen. Das war wirklich beruhigend. Sobald wir mit allen durch waren, machten wir es uns gemütlich und konnten gar nicht so schnell gucken, wie uns Toshiya plötzlich Stäbchen in die Hände drückte. „Wir wollten nicht ohne euch anfangen“, sagte der Schwarzhaarige lächelnd und bat Aoi dann, das ganze Essen rauszuholen, was sich neben dem Ältesten in dem Flechtkorb befand. „Was ist das?“, fragte Toshiya neugierig und griff nach der Stofftüte in meiner Hand, um hineinzusehen. Gleich darauf schlug er mir empört gegen den Oberarm und zeterte, „Habe ich nicht gesagt, ich mach das schon?“, worauf ich nur entschuldigend lächeln konnte. „Jetzt haben wir so viel zu trinken“, seufzte er und presste die Lippen aufeinander, als Ruki wahrheitsgemäß, „Besser zu viel als zu wenig!“, sagte und mit seinen Stäbchen in Kais Seite piekte, was diesen immer wieder fiepen ließ. Bei all den Köstlichkeiten, die uns Toshiya vor die Nase hielt, klappte mir der Mund auf. Der Schwarzhaarige hatte sich wirklich selbst übertroffen, wie ich fand. Er hatte so viele verschiedene Sushi-Sorten gemacht, die sich in einer großen, schwarz glänzenden Bento-Box mit Rosenverzierungen befanden. Zudem hatte er diverse Nachtische vorbereitet, etwas zum Knabbern und es sah alles so unsagbar lecker aus!
 

Wir aßen gemächlich und unterhielten uns dabei lautstark und ich bemerkte nebenbei, wie sich der Nebel endlich verzog und die Sonne plötzlich viel mehr Wärme spendete. Es war nun nicht mehr so kalt. Vorhin waren meine Finger noch taub gewesen vor Kälte. Auch füllte sich der Park mehr und mehr und schon bald spielten kleine Kinder mit ihren Hunden um uns herum und wurden dabei von ihren Eltern beaufsichtigt. Ich schnappte mir noch ein wenig von dem gebratenen Reis und merkte nebenbei, wie mich Reita grinsend von der Seite betrachtete, während er selber im gemächlichen Tempo aß. „Wasch’n?“, fragte ich schmatzend, schob mir gleich darauf eine Maki-Sushi in den Mund und guckte beleidigt drein, als er, „Ich wundere mich gerade nur, dass du so schlank bist, obwohl du andauernd so viel in dich reinspachtelst. Wie machst du das?“, grinste und lachte, da Ruki für mich geantwortet hatte. „Das macht der Sex!“, hatte der Kleine lässig gesagt, der jetzt seine dunkle Designer-Sonnenbrille aus der Tasche seiner zerfetzten Jeansjacke zog und sich diese aufsetzte, um den Kopf genießend und mit geschlossenen Augen in den Nacken kippen zu lassen und leise vor sich hin zu summen. Ich gab daraufhin nichts von mir, sondern kaute beleidigt weiter, während die anderen herzhaft lachten und Kai seinen kleinen Schatz auf den Schoß nahm, um ihn zu kitzeln. Die Zeit verging wirklich sehr schnell, wenn ich unter meinen Freunden war. Es erstaunte mich immer wieder, wie aus einem Augenblick plötzlich drei Stunden werden konnten, daran konnte ich mich einfach nicht gewöhnen. Aber heute würden wir noch etwas länger aufeinander herumhocken, was mich umso mehr freute. Toshiya hatte, nachdem wir fertig gegessen und uns mehrfach bei ihm bedankt hatten, weil es einfach köstlich gewesen war, das ganze Geschirr zurück in den Flechtkorb gepackt, und nur noch unsere Getränke und Knabbereien standen jetzt herum. Die Stimmung war gelassen und fröhlich. Der Schwarzhaarige hatte sich zwischen Aois ausgestreckte Beine gelegt, der mit Toshiyas Haar spielte und dabei ausgelassen mit Kai über dessen Studium redete. Ich fing nur einige Fetzen auf, während Kai redete. Mein eigentliches Augenmerk galt nämlich Reita, der mich die ganze Zeit so seltsam von der Seite betrachtete.
 

Ich reckte leicht mein Kinn in seine Richtung, um zu verdeutlichen, dass ich wissen wollte, warum er so doof guckte. „Alles in allem macht es Spaß, wenn da nicht dieses hektische Hin und Her wegen meinem Aushilfsjob wäre. Manchmal krieg ich einfach nicht alles unter einen Hut!“, erzählte Kai gerade angeregt, während er auf einer Salzstange herumkaute, und ich hörte, wie Aoi einen verstehenden Laut von sich gab. Toshiya spielte währenddessen an seinen manikürten Nägeln herum und Ruki, der sich in Kais Armen befand, betrachtete die ganze Zeit über die Kinder, die von ihren Hunden um den Platz gejagt wurden und dabei lautstark giggelten. Nur Reita stütze sich im Sitzen mit einem Arm nach hinten ab und musterte mich mit verengten Augen, was langsam an meiner Geduld nagte. „Was ist denn?“, fragte ich genervt und zog eine Grimasse, als er gedankenversunken, „Wieso ist mir noch nie aufgefallen, dass dein Mund von der Seite wie ein Entenschnabel aussieht?“, fragte und dabei meine Lippen genauer musterte. „Ich tret’ dich gleich, du Vogel!“, meckerte ich, woraufhin sich die anderen uns zuwandten und neugierig wissen wollten, was los war. Ich wollte Reita gerade zuzischen, dass er schweigen sollte, als dieser seine neue Erkenntnis auch sofort in die Welt hinausposaunte und mich damit nur noch mehr verärgerte. „Warte, lass mich sehen!“, rief Toshiya gehetzt, der sich sofort aufsetzte, seine Hand unter mein Kinn legte und meinen Kopf zur Seite drehte, um sich mein Profil prüfend zu besehen. Hatten die alle irgendwas gesoffen oder was?! „Hast Recht!“, quäkte er und lachte, als ich schnaubend seine Hand wegwischte und beleidigt die Arme vor der Brust verschränkte. „Seid ihr bald fertig mit Lachen?“, fragte ich geknickt und schmollte, als Toshiya erneut zu mir herüberrutschte und in meine Wangen kniff. „Du bist so knuffig, wenn du schmollst, Schätzchen!“, schwärmte er mit großen Augen und drückte mir im nächsten Augenblick einen feuchten Kuss auf die Lippen, was mich wieder munter werden ließ.
 

Die anderen lachten und Reita ging dazwischen, indem er laut, „Hey!“, machte und mich von Toshiya wegzog, damit er seine Arme besitzergreifend um mich legen und mich fest an sich drücken konnte. „Meins!“, zischte der Blonde mit zu Schlitzen verengten Augen, woraufhin Toshiya sich elegant eine dunkle Strähne aus dem Gesicht wischte, sich auf Aois Schoß setzte und unbeeindruckt, „Bleib mal frisch, Kindchen. Ich nehme dir deinen Schatz schon nicht weg. Immerhin habe ich meinen eigenen!“, säuselte. Darauf folgte ein kleiner Kuss, den Aoi verliebt lächelnd auf Toshiyas Wange drückte. Hatte ich schon einmal erwähnt, dass es einfach niedlich war, die beiden zusammen zu erleben? Damals war es mir immer unangenehm gewesen, da sie als Jugendliche nie etwas Besseres zu tun gehabt hatten, als sich gegenseitig in der Öffentlichkeit beinahe flachzulegen, doch jetzt waren sie einfach ein süßes Vorzeigepärchen. Oder inoffizielles Ehepaar, wie man’s nahm. Ich kuschelte mich in Reitas Arme, dessen linke, kühle Hand vorwitzig unter meine Jacke geschlüpft war, um meine Haut zu streicheln. Ich schloss gerade schnurrend die Augen, als ich sie wieder aufriss, da Ruki plötzlich verwundert, „Ruha, ist das nicht deine Mom?“, gefragt und somit unser aller Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Der Kleine deutete unauffällig in Richtung einer kleinen Ansammlung von hohen Scheinzypressen, die ungefähr fünfzehn Meter von uns entfernt standen. Ich schaute genauer hin und mir klappte der Mund auf, als ich tatsächlich meine Mutter erkannte. Das war sie, keine Frage! Ich hatte sie heute Morgen noch in den Klamotten aus dem Haus gehen sehen. Meine Mutter war aber nicht die einzige Person, die neben den Scheinzypressen stand und hingerissen lachte, sodass ich ihre wohlige Stimme sogar bis hierhin hören konnte und dadurch eine Gänsehaut bekam. Ein Mann, ungefähr zwei Köpfe größer als sie, hatte sich an den drei Meter breiten Baumstamm gelehnt, stand meiner Mutter von Angesicht zu Angesicht und lachte ebenfalls dunkel. Mir ging sofort nur eines durch den Kopf. Wer zum Teufel war das?
 

Auch die anderen sahen hin, doch keiner sagte etwas. Es schien plötzlich so, als wären alle nebensächlichen Geräusche im Park verstummt, sodass ich nur die Lache der beiden Personen hören konnte, die voreinander standen und gar keine Notiz von ihrer Umgebung nahmen. Reita hatte schnell dafür gesorgt, dass ich meinen Mund wieder schloss, um mögliche Sabberattacken zu vermeiden. Auch er sah zu dem Gewächs hinüber und mir blieb das Herz schmerzhaft stehen, als ich den großen, schwarzhaarigen Mann dabei betrachtete, wie er beinahe viel zu sanft eine Strähne aus dem Gesicht meiner Mutter wischte. Zu allem Übel schloss diese auch noch verliebt lächelnd die Augen und schmiegte sich in die Berührung. Woah, schämte sich diese Frau denn nicht, so in aller Öffentlichkeit mit einem wildfremden Kerl herumzustehen, zu lachen und sich auch noch von dem anfassen zu lassen!? Ok.. Überreaktion. Ich spürte, wie Reita mir in die Seite zwickte, und ich zuckte zusammen und sah mit offenem Mund zu ihm hoch. „Uruha?“, wiederholte sich Ruki vorsichtig und ich wusste nichts anderes zu tun, als nervös zu lachen und dann abzuwinken. „Nein, nicht doch, niemals! Das ist nicht meine Mutter. Ne, Reita? Ne?“, plapperte ich völlig von der Rolle und lächelte unbeholfen, als Reita sofort nickte und, „Nein, das sieht man doch, dass das nicht Nami ist!“, versicherte. Ruki, der nur perplex in die Runde sah, entschuldigte sich gleich danach kleinlaut für die Verwechslung und blieb still. Nur Kai sah mit zusammengezogenen Brauen zu meiner Mutter rüber und fixierte mich dann, worauf es mir unangenehm den Rücken hinunterkroch. Dann lächelte er jedoch nur und sagte nichts weiter dazu. Aber ich wusste genau, dass auch er gemerkt hatte, dass dort meine Mutter stand. Kannte er sie doch beinahe genauso gut wie ich. Warum, in aller Welt, traf sich meine Mutter mit einem Mann, und das auch noch hinterrücks ohne mein Wissen?
 

Mir war diese Entdeckung den Rest unseres Aufenthalts im Park einfach nicht aus dem Kopf gegangen. Egal wann die anderen einen Witz gerissen hatten, ich hatte nicht lachen können. Egal wann sie mich angesprochen oder mich etwas gefragt hatten, ich hatte sie nicht gehört und war in Gedanken gewesen. Jetzt saß ich in meinem Auto und ließ mich von Reita nach Hause fahren, weil ich nicht die Lust dazu verspürt hatte, mich hinters Steuer zu setzen. Wahrscheinlich wäre ich vor lauter Abwesenheit irgendwo gegen gerasselt. Das konnte ich nicht verantworten. Ich empfand die Stille, die im Inneren des Wagens herrschte, zum ersten Mal als sehr unangenehm und erdrückend. Unbewusst spielte ich an meinen Zeigefingern und kaute auf meiner Unterlippe herum, während ich versuchte, das überglücklich wirkende Gesicht meiner Mutter aus meinem Kopf zu bannen. Wann hatte sie das letzte Mal so ehrlich gelächelt? Ich glaubte, das war damals vor drei Jahren gewesen, bevor mein Vater an dem Autounfall gestorben war. Damals hatte sie immer dieses strahlende Lächeln auf den Lippen gehabt und heute hatte ich genau dieses nach drei Jahren zum ersten Mal wieder gesehen. Irgendwie brach es mir das Herz, wenn ich daran dachte, dass es nicht mein Vater gewesen war, der ihr dieses Lächeln entlockt hatte.. „Das war sie“, bemerkte Reita nur, weil ihm die Stille zwischen uns anscheinend auch nicht bekam. Ich gab ein heiseres, „Ja“, von mir und verfiel wieder dem Schweigen. „Wirst du sie darauf ansprechen?“, fragte er leise weiter und löste somit so etwas wie Unwohlsein in mir aus. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich traute mich nicht, ihr ins Gesicht zu sehen und sie darauf anzusprechen, auch wenn es albern klang. Ich kam mir plötzlich so hilflos vor, weil ich immer gedacht hatte, dass ich meine Mutter genauestens kannte. Aber heute hatte sich das Gegenteil bewiesen.
 

Sie hatte mir verheimlicht, dass sie sich mit einem Mann traf. War ich ihr denn nicht vertrauenswürdig genug? Oder hatte sie Angst gehabt, es mir zu sagen und mich somit vielleicht zu enttäuschen? Und seit wann sahen sich die beiden eigentlich schon? Es hatte wirklich nicht so gewirkt, als hätten sie sich erst vor ein paar Minuten kennengelernt. Es war so vertraut rübergekommen. „Baby?“, kam es leise von Reita, der mich besorgt musterte. „Hm?“, machte ich verwirrt und lächelte hilflos, als er sich wiederholte. „Ich.. Ich weiß es nicht..“, fing ich an und überlegte angestrengt vor mich hin, während Reita darauf wartete, dass es wieder grün wurde. „Ich denke, ich warte, bis sie es mir von selbst sagt“ Ja, ich denke, genau das würde ich tun. Das war immer noch das Beste. Immerhin wollte ich nicht, dass sie sich von mir in die Ecke gedrängt fühlte. Wenn sie noch nicht wollte, dass ich es erfuhr, dann würde ich eben warten. Nach dem heutigen Tag hatte ich wirklich auf nichts mehr Lust, also blieb ich auch zu Hause. Reita hatte vollstes Verständnis dafür gehabt. Er hatte mich an der Haustür verabschiedet und war den Rest bis zu sich nach Hause zu Fuß gegangen. Dass bei meiner Ankunft keiner im Haus gewesen war, hatte mich doch irgendwie nieder gemacht. Bis jetzt hatte mich meine Mutter immer empfangen, wenn ich zurückgekommen war. Wahrscheinlich dachte sie, dass ich gerade bei Reita war. Immerhin wollte ich ja eigentlich bei ihm bleiben. Aber er hatte selbst gesagt, ich solle nach Hause gehen und mir einen klaren Kopf machen. Ja.. Nur wie? Meinen Kopf aufschrauben und mir das Hirn rausnehmen konnte ich ja schlecht, und anders verstand ich das “im Kopf klarmachen“ auch nicht. Hatte ich also Pech, hm? Ich hatte mich nach meiner Ankunft erst einmal ausgiebig geduscht und hatte mich danach warm angezogen, um mich sogleich auf mein Bett zu legen.
 

Ich setzte meine Lesebrille auf, schnappte mir mein Buch über verschiedene Massage-Griffe und deren richtige Anwendung und begann, zu lesen, da ich in dieser Stille sonst noch wahnsinnig werden würde. Ungefähr eine Stunde lang versuchte ich mich mit dem dicken Klotz zu beschäftigen, doch als ich plötzlich hörte, wie unten die Haustür aufging und meine Mutter hereintrat, sank mir das Herz in die Hose und meine Finger wurden schwitzig, worauf ich das Buch schnell zuklappte. Jetzt ja nicht aufregen, Uruha, immer mit der Ruhe. Pah, wenn das mal so einfach wäre! Ich blieb auf dem Bauch liegen und tat wieder so, als würde ich lesen. Die polternden Schritte meiner Mutter waren zu hören. Sie klopfte an und riss sogleich die Tür auf, was mich prusten ließ. Also, das würde sich sicher nie ändern! „Kouyou mein Schatz, was machst du denn hier?“, fragte sie leicht außer Atem und sprintete auf mich zu, um sich sogleich johlend auf mein Bett zu schmeißen und sich auf mich zu legen. „Ich wohne hier, Ma!“, presste ich nach Luft ringend aus mir und nahm schnell meine Brille ab, damit ich mich nicht verletzte. Komisch.. Sie war so gut drauf. Beinahe wie ein verliebter Teenager. „Das weiß ich doch auch, du Scherzkeks! Ich dachte nur, dass du heute bei Akira übernachten willst“, erklärte sie lachend und stutzte, als mir, „Ach, willst du mich etwa nicht hier haben?“, rausrutschte und ich mir sofort die Hand auf den Mund presste. „Was?“, fragte sie verwirrt und hockte sich auf meinen Steiß, beugte sich vor und schielte mich dann von der Seite an. „Ich glaub, du spinnst wohl, Freundchen!“, grinste sie und gab mir einen übereifrigen Kuss auf die Wange. Ok, das war mir wirklich zu viel gute Laune. „Ma, hör auf mich abzuschlabbern!“, protestierte ich und rollte mich herum, sodass sie seitlich von mir runterkippte und vergnügt zu lachen begann. Was hatte dieser dreckige Mann mit meiner Mutter angestellt, dass sie jetzt so aus dem Häuschen war?! Wenn ich den je wieder sehen sollte, würde ich ihn verprügeln!
 

„Wie lief euer Picknick?“, fragte sie lächelnd und sah zur Seite, um mich zu mustern. Ich hatte mich seitlich hingelegt, meinen Kopf in einer Hand abgestützt, und sie lag auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt. „War schön. Toshiya hat uns mit seinen phänomenalen Kochkünsten so richtig verwöhnt. Und außerdem war der Park für das heutige Treffen wie für uns gemacht“, erzählte ich und wählte meine Worte sorgsam aus. Ich hatte meiner Mutter nicht gesagt, dass wir in einem Park hatten picknicken wollen. Ich merkte, wie sie kurz die Luft anhielt, diese dann jedoch leise und pfeifend entließ und mich anblinzelte, ehe sie, „In welchem Park wart ihr denn?“, fragte und neugierig auf eine Antwort wartete. „Im Yamashita Park, Ma“, gab ich so unberührt wie möglich von mir und entdeckte mit aufkommender Zufriedenheit, wie sie plötzlich nervös wurde, es aber zu überspielen versuchte. „Ach, echt? D-da bin ich auch gewesen, um mir die Beine zu vertreten und sowas“, sagte sie stotternd und grinste mich schief an, was ich leider nicht erwidern konnte. Mir stand wirklich nicht der Sinn nach Grinsen. „Ach, warst du das?“, entgegnete ich gespielt überrascht und fügte im sarkastischen Ton, „Hab dich dort nicht gesehen“, hinzu. Und genau die unscheinbare Reaktion, die sie nach meinem Satz zeigte, verletzte mich wirklich. Sie atmete erleichtert aus, legte sich eine Hand auf die Brust und schloss lächelnd die Augen. Danke, Ma, wirklich. Es war schön zu sehen, wie wenig du mir vertraust.. „Könntest.. Könntest du jetzt bitte gehen? Ich bin ein bisschen müde und würde nun gerne schlafen“, murmelte ich leise, und meine Mutter, die so etwas gar nicht von mir kannte, sah mich perplex an und wirkte plötzlich nicht mehr so erleichtert und fröhlich. „Geht’s dir nicht gut, mein Schatz?“, fragte sie besorgt und rollte sich zur Seite, um sanft meine Stirn zu befühlen. Ich zeigte ein seichtes Lächeln und versicherte ihr, dass alles in Ordnung war und ich nur schlafen wollte. „Aber es ist doch noch so früh“, flüsterte sie und neigte ihren Kopf zur Seite, als ich bedeutungslos abwinkte und sie noch einmal höflich darum bat, mein Zimmer zu verlassen. „Na gut, ich bin ja schon weg!“, ergab sie sich geschlagen und stieg aus meinem Bett, jedoch nicht, bevor sie mir einen Kuss auf die Stirn gab und mir süße Träume wünschte. Sobald die Tür hinter ihr zufiel, gab ich ein trauriges Seufzen von mir und wälzte mich in meinem Bett herum.

~5~

Nach der Entdeckung im Park war alles wieder wie vorher. Wenn ich nicht schon wüsste, dass meine Mutter sich heimlich mit einem Mann traf, würde ich jetzt in der Gewissheit leben, dass sich rein gar nichts geändert hatte. Ihr Verhalten war an dem Tag nach dem Picknick recht auffällig gewesen, doch das hatte sich sofort wieder gelegt. Sie ging wie gewohnt zur Arbeit, besuchte zwischendurch mal meine Tante oder Reitas Mutter und hing den Rest des Tages zu Hause herum, um bei mir zu sein. Vielleicht.. Vielleicht hatte ich das Gesehene ja doch nur falsch aufgefasst und bildete mir jetzt irgendetwas drauf ein? Der Gedanke, dass ich doch nur alles falsch verstanden hatte, beruhigte mich ungemein. Ich ging an diesem Montagvormittag die Treppen nach unten, weil ich meine Mutter an der Tür verabschieden wollte, da sie zur Arbeit musste. Ich wiederum hatte heute frei und durfte den ganzen Tag faulenzen. „Bist du dir sicher, dass ich dich nicht doch fahren soll?“, fragte ich sie und presste missmutig die Lippen aufeinander, als sie den Kopf schüttelte und mir schnell einen Kuss auf die Wange gab. „Es kann sein, dass ich heute etwas länger arbeiten muss und es spät wird!“, informierte sie mich und zog sich dabei ihren schwarzen, taillenbetonten Blazer an, öffnete dann die Haustür und trat hinaus. Och ne, schon wieder Überstunden? Ah.. AH! Augenblick mal! Wieso fiel mir das erst jetzt auf?! Sie hatte schon vor längerer Zeit angefangen, mir immer wieder zu sagen, dass sie vielleicht Überstunden machen musste. Und sie war wirklich jedes Mal später nach Hause gekommen, als üblich. Konnte es etwa sein, dass sie sich nach der Arbeit mit diesem Schnösel traf und Überstunden als Ausrede verwendete?! So oft konnte man doch nicht länger machen! Mein Gesichtsausdruck musste ziemlich verwirrend ausgesehen haben, denn meine Mutter hatte wissen wollen, ob etwas nicht stimmte. „Nein, alles in bester Ordnung! Bis später!“, blockte ich ungewollt kühl ab und schlug die Haustür vor ihrer Nase zu. Gott, ich war so dumm! Wie blind war ich eigentlich? Meine Mutter nutzte die Zeit nach der Arbeit, um diesen Kerl zu sehen. Ah, ich wollte heulen!
 

Wie es zu erwarten gewesen war, kam meine Mutter heute tatsächlich nicht pünktlich um sechs nach Hause. Betrübt musterte ich mein Essen und blickte dann zur anderen Seite des Tisches rüber, auf der der Teller meiner Mutter stand. Ich hatte extra Essen gekocht und den Tisch gedeckt. Und außerdem wollte ich mich bei ihr entschuldigen, weil ich heute Morgen einfach so die Tür vor ihr zugeknallt hatte. Trübsal blasend stütze ich meinen Kopf in meinen Händen ab und schimpfte innerlich mit mir selbst, als ich auch sofort aus meiner Einsamkeit gerissen wurde. Es klopfte an der Tür. In der Hoffnung, dass es meine Mutter war, hastete ich in den Flur und riss die Haustür auf, doch schnell verwehte mein Lächeln, als ich nicht meine Mutter, sondern Reita vor mir sah. Der Blonde schaute verdutzt und schüttelte den Kopf, als ich mich seufzend zum Gehen umwandte. „Wenn du willst, geh ich wieder“, sagte er mit einem abgespreizten Daumen, mit dem er hinter seine Schulter deutete, doch konnte ich hören, dass er schmunzelte. Ich drehte mich herum und winkte ihn herein. „Ach was, schon gut. Tut mir leid, war nicht so gemeint. Komm rein, dann kannst du gleich mitessen“, sagte ich mit ansteigender Lustlosigkeit und schlurfte zurück in die strahlende Küche, die ich vor Stunden sauber gemacht hatte, weil mir langweilig gewesen war. Der Ältere folgte mir nach einigen Augenblicken in die Küche und setzte sich neben mich, um mich eingehend zu mustern. „Hm?“, machte ich nur und sah ihn leicht abwesend an. Er schaute sich kurz in der Küche um, fixierte mich dann wieder und fragte leise, „Müsste Nami nicht schon längst da sein?“ Auf seine Frage hin nickte ich nur. Doch dann entschied ich mich dazu, in einem vorwurfsvollen Ton, „Sie macht Überstunden!“, zu sagen und dabei düster vor mich hin zu starren. Reitas große Hand, die, seit er mit seiner Ausbildung angefangen hatte, viel rauer geworden war, streichelte mir leicht über die Wange und ließ mich erschaudern. Ich liebte es, wenn er mich so anfasste. Er drehte mein Gesicht sanft zu sich und lächelte beruhigend, was mich wohlig aufseufzen ließ.
 

Doch sofort verschwand dieser Ausdruck von Zufriedenheit aus meinem Gesicht, als er blauäugig, „Sie kann doch nichts dafür, wenn sie länger arbeiten muss“, sagte und mir dabei einige Strähnen hinters Ohr wischte. Ich schnippte ihm grob gegen die Stirn, was ihn perplex und leicht angesäuert gucken ließ, und brummte unzufrieden, „Denk doch mal nach, Rei. Ich glaube kaum, dass sie wirklich Überstunden macht!“, woraufhin es auch ihm langsam dämmerte. Seine Augen weiteten sich leicht und er gab ein verstehendes, „Oh!“, von sich, woraufhin ich, „Ja, oh!“, machte und schnaubend die Arme vor der Brust verschränkte. „Weißt du, du hast dich selbst dafür entschieden zu warten bis sie es dir selbst sagt. Also solltest du dich jetzt auch nicht so aufführen!“, meinte er besserwisserisch und regte mich somit unnötig auf. „Verschone mich mit deinem klugscheißerischen Gehabe!“, fuhr ich ihn an und fing an, das Essen murrend in mich hinein zu spachteln. Reita erhob sich tonlos, um sich ebenfalls etwas von dem Essen zu nehmen und dann schweigend zu essen. Nachdem wir fertig waren, entschuldigte ich mich kleinlaut bei ihm, weil ich kein Recht dazu hatte, ihn einfach so anzufahren, nur weil ich schlechte Laune hatte. „Schon gut“, versicherte er lächelnd und scheuchte mich aus der Küche, um für mich aufzuräumen. Nach einigen Minuten öffnete sich meine Zimmertür und der Blonde betrat den Raum, lächelte mir zu und setzte sich neben mich aufs Bett. Ich blickte nur verdutzt auf die Zeitung, die er in der Hand hielt. Hatte er wahrscheinlich aus dem Wohnzimmer mitgehen lassen. Er schnappte sich einige der kleinen Kissen, die auf meinem Bett verstreut waren, und lehnte sich dann an die Kopfseite des runden Bettgestells, faltete die Zeitung auf und räusperte sich laut, ehe er tatsächlich zu lesen anfing. Ich krabbelte neben ihn und neigte mich zur Seite, um ebenfalls in die Zeitung gucken zu können. Keine Frage, das war wirklich eine Zeitung! „Seit wann liest du Zeitung, um Himmels Willen?“, fragte ich verwirrt und sah ihn dementsprechend an. Er grinste mich nur kurz an, widmete sich dann wieder dem Schwarz-Weiß-Druck und antwortete knapp, „Seit eben!“
 

Ich schüttelte nur den Kopf und zwang ihn dazu, einen Arm um mich zu legen, damit ich mich gemütlich an ihn schmiegen konnte. Nachdem ich bequem neben ihm saß und meinen Kopf auf seiner Schulter ablegte, blätterte er auf die nächste Seite und erntete von mir ein Schnauben. „Reichen dir die Pornos auch nicht mehr, dass du dir jetzt auch noch die Kontaktanzeigen durchlesen musst, um dir hinter meinem Rücken ’ne Vorzeigeschwuchtel zu schnappen und mich mit diesem zu hintergehen, du Schwein?“, fragte ich gespielt vorwurfsvoll, während ich auf eben Genannte deutete, und wurde sofort leicht rot um die Nase, als er die Zeitung weglegte, mich am Kinn packte und mein Gesicht zu sich drehte, um leise, „Jetzt hör mir mal zu, du Trottel!“, zu flüstern. Mit jedem folgenden Wort seinerseits wurde mir nur noch wärmer, was sich in meinem Gesicht widerspiegelte. „Ich bin seit drei spektakulären Jahren mit dem wunderbarsten Mann Japans zusammen, wofür ich wirklich dankbar bin, und werde von diesem geliebt, was für mich noch immer ein Wunder ist. Denkst du, da habe ich es nötig, mir irgendwelche schmutzigen Kontaktanzeigen durchzulesen oder Pornos zu glotzen und mich dran aufzugeilen? Ich habe tagtäglich einen lebenden Porno neben mir sitzen, da habe ich so etwas echt nicht mehr nötig!“, redete er und schüttelte lachend den Kopf, als ich kleinlaut, „Wieso nicht der wunderbarste Mann der Welt?“, fragte, mich aber dichter an ihn kuschelte. Ich konnte nicht leugnen, dass mein Herz ob seiner Worte gerade wie verrückt hart gegen meine Brust hämmerte. Und als ich leicht mit einer Hand über seine Brust streichelte, fühlte ich, dass es ihm nicht anders ging. „Ich liebe dich so sehr, Rei“, flüsterte ich ihm ins Ohr und senkte mein Gesicht verlegen lächelnd in seine Halsbeuge, als er leise, „Siehst du? So ein verkorkster Typ wie ich wird von so jemandem wundervollen wie dir geliebt. Da stimmt doch was nicht!“, meinte, meine Aussage dann aber lächelnd erwiderte und mir einen Kuss auf den schwarzen Schopf hauchte. Und gleich danach schlug er die Zeitung wieder auf, blätterte um und riss eine Seite heraus. Ohne hinzugucken fragte ich, „Was machst du?“, und biss ihm beleidigt in den Hals, als er feixend, „Ich reiße mir die Kontaktanzeigen raus!“, antwortete, dann aber aufjaulte.
 

Sobald er den Papierfetzen in seiner hinteren Jeanstasche verstaut hatte, schubste er mich von sich und kletterte über mich, um mich grinsend zu kitzeln. Während ich so von Reita gequält wurde, merkte ich nicht, wie die Zeit verging. Sie hätte doch schon längst zurück sein müssen.. Als er endlich von mir abließ, holte ich versucht ruhig Luft, da ich nicht genug Sauerstoff bekam. Er hatte sich auf den Bauch gedreht und lag jetzt neben mir, betrachtete mich, während ich angestrengt Luft holend gen Zimmerdecke stierte und an nichts zu denken versuchte. „Meinst du nicht, dass es besser wäre, wenn du sie einfach darauf ansprichst?“, ertönte es plötzlich neben mir und ich sah ihn verwundert an, dachte dann schweigend über seine Worte nach. Ich wusste ja nicht, was das Beste war. Einerseits fand ich es falsch, ebenfalls darüber zu schweigen, aber andererseits war es auch so, dass mich das eigentlich nichts anging. Ah, halt! Natürlich ging mich das was an! Ich war immerhin ihr Sohn! „Ich brauche noch ein wenig Zeit“, sagte ich heiser, hustete kurz und drehte mich dann auf die Seite, um ihn besser ansehen zu können. „Du meinst, du musst dich für das Gespräch, was du so oder so bald mit ihr führen musst, vorbereiten?“, merkte er an und schloss lächelnd die Augen, als ich nickte. Ich betrachtete ihn eine Weile und wurde dann auf seine hintere Hosentasche aufmerksam. Der Papierfetzen lugte leicht heraus, also zog ich mit einer schnellen Bewegung den Fetzen aus seiner Tasche, was ihn die Augen schnell aufmachen ließ, und faltete das Papier auf, um mir die Kleinanzeigen anzusehen, die sich hinter den Kontaktanzeigen befanden. Während er versuchte, mir den Zettel hastig zu entreißen, indem er sich auf mich schmiss, las ich mir schwerfällig die Wohnungsangebote durch und musste unwillkürlich lächeln. Wie gerne würde ich gemeinsam mit Reita in eine Wohnung ziehen. Wir hatten uns schon des Öfteren darüber unterhalten. „Oh, schau mal. Das klingt doch eigentlich nicht schlecht, oder?“, sagte ich aus und deutete mit einem Finger auf die Anzeige, woraufhin sich Reita ergeben auf mich legte und ebenfalls aufs Papier schielte.
 

„Hmhm“, machte er nur desinteressiert, betrachtete dennoch die Anzeige wie gebannt, die ich mir jetzt noch einmal durchlas. Die Wohnung befand sich in der Stadt, in der Nähe von Aoi und Toshiya, hatte Küche, Bad, ein kleines Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Und der Preis stimmte eigentlich auch. Nur war es für mich zurzeit unmöglich, hier auszuziehen. Besonders jetzt, wo ich nicht wusste, was meine Mutter hinter meinem Rücken trieb, wollte ich nicht gehen. Ich wollte Gewissheit über die Situation haben. „Würdest du noch immer mit mir zusammenziehen wollen, auch wenn es noch länger dauert?“, fragte ich Reita einfach mal so, zog dabei einen Schmollmund und legte meine Arme lächelnd um ihn, als er, „Wieso sollte ich es nicht wollen? Ich warte nur auf dein Zeichen. Von mir aus könnten wir jetzt sofort zusammenziehen!“, sagte und seine Stirn gegen meine lehnte. „So würden wir uns wenigstens endlich jeden Tag sehen..“, murmelte er dann in meinen Kragen und presste sich fester auf mich, schnappte mir aber den Ausschnitt aus der Hand und stopfte ihn schwerfällig zurück in seine Hosentasche, um mir gleich danach einen dieser Küsse zu geben, die ich so sehr liebte und nie mehr auf diese verzichten wollte. Ich ließ mich von Reita auf andere Gedanken bringen, gab mich ihm hin und erlaubte es ihm wie so oft, mich zu dominieren. Gerade als ich anfing, seine rauen Finger zu genießen, die unter meinen Hosenbund geschlüpft waren und mich sanft aber dennoch bestimmend streichelten und abzulenken versuchten, hörte ich die Haustür auf- und wieder zu gehen. Dies trug dazu bei, dass ich mich sofort mit flachen Händen gegen seine Brust stemmte, damit er von mir runter ging. Doch der Ältere hatte seinen eigenen Willen. „Steh schon auf, Rei. Wenn sie plötzlich wieder reinplatzt, was dann?“, fragte ich leicht verzweifelt und zappelte unter ihm hin und her, was ihn jedoch nur grinsen ließ. „Wenn sie uns so erwischt, lernt sie vielleicht endlich, anzuklopfen und wieder zu gehen, wenn du sie nicht hereinbittest“, wisperte er mir mit einem erregten Knurren ins Ohr und zeichnete dieses sogleich provokativ mit seiner Zunge nach, was mir ein leises Seufzen entlockte.
 

Als er mir grob in den Schritt griff und sich an meinem Hals festsaugte, entfleuchte mir ein verzücktes Stöhnen und ich krallte mich in seinen Rücken, um ihn fester an mich zu drücken. Nur ging in dem Augenblick auch die Tür auf und meine Mutter blieb mit einem vereisten Gesichtsausdruck vor der Tür stehen. Ihre Gesichtsfarbe veränderte sich schlagartig, und so glich sie jetzt eher einer roten Ampel. Meine Beine, die ich vorher noch fest um Reitas Hintern geschlungen hatte, sackten auf die Matratze zurück und ich erhob mich leicht, so auch Reita. Doch während der Blonde nur verkrampft sein Lachen unterdrückte, versuchte ich mit rot angelaufenem Gesicht nicht zu stöhnen, da der Blödmann noch immer nicht von mir abgelassen hatte und mich weiterhin mit einer Hand in der Hose unauffällig massierte. „M-ma, ich wär’ dir echt dankbar, w-wenn du-“, gab ich zittrig von mir und ließ mich laut keuchend zurück auf die Matratze fallen, da sie wortlos die Tür schnell wieder zugezogen hatte. „Geht doch!“, gab Reita schelmisch von sich und ließ es sich nicht nehmen, meinen Schritt weiter zu massieren. „Wäre das deine Mutter gewesen, hättest du mich schon vorher aus deinem.. Aaaah, Rei.. Aus deinem-“ „Bett gekickt?“, beendete er leise meinen Satz nahe meinen Lippen für mich, und das war nicht das Einzige, was er beendete. Nachdem ich einige Augenblicke später erleichtert in mir zusammensackte, erhob sich der Ältere, um rüber ins Bad zu gehen und seine Hände zu waschen. Gleich darauf kam er mit einigen Tüchern zurück, um mich ebenfalls zu säubern. Ich schnaubte nur mit einem versucht bösen Blick, brachte ihn somit aber nur zum Lachen. „Den Blick musst du noch mal üben, Schönheit!“, stichelte er und verschwand erneut im Bad.
 

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass es kurz vor halb zehn war. Diesmal war sie sogar noch länger weg gewesen! Ich erhob mich von meinem Bett und ging runter in die Küche, um nach meiner Mutter zu sehen, da ich wusste, dass sie dort war. Als ich eintrat, blickte sie kurz auf, senkte ihren Kopf aber sofort wieder über den Teller, weil sie ihre roten Wangen verstecken wollte. Verdammt, wieso geriet immer ich in solche peinlichen Situationen?! Mich verlegen am Nacken kratzend grüßte ich sie kleinlaut und setzte mich gegenüber von ihr an den Tisch. Sie murmelte nur eine kleine Begrüßung und aß weiter. Und in diesem Moment war mein Hirn wie leer gepustet. Unbeholfen schaute ich in der Küche umher und wusste auch nicht, was ich sagen sollte. Doch dann entkam mir leise, „Du hast in letzter Zeit wirklich viele Überstunden, kann das sein?“ Sie hielt daraufhin ihren Atem an, was ich bemerkte. Schnell kaute sie zu Ende, schluckte alles schwerfällig runter und druckste, „Hm, ja, es gibt zurzeit vieles zu tun in der Agentur!“, was für mich kein wenig glaubwürdig rüberkam. Ich konnte mich nur schwer zurückhalten, um nicht verächtlich zu schnauben. Wieso tat sie das? Was wollte sie damit bezwecken? Hatte sie sich denn nicht überlegt, dass ich irgendwann vielleicht herausfinden würde, dass sie sich mit einem Mann traf? Sie müsste doch wissen, dass es für mich noch schlimmer wäre, es auf diese Weise zu erfahren, als wenn sie es mir persönlich sagte. Während ich versuchte, mir das Verhalten meiner Mutter zu erklären, kaute ich auf meiner Unterlippe herum und zuckte verschreckt zusammen, als sich plötzlich zwei starke Arme von hinten um mich legten. Meine Mutter räusperte sich nur verhalten und ich sah leicht hinter mich und hatte sofort das fette Grinsen Reitas vor meinen Augen. „Du bist unmöglich!“, zischte ich ihm so leise wie möglich zu und erhob mich vom Stuhl, um ihn zu verabschieden. Der Blonde winkte meiner Mutter nur gut gelaunt zu, die mit roten Bäckchen und einem beschämten Lächeln zurückwinkte, und ließ sich dann von mir in den Flur ziehen.
 

„Musst du so sehr provozieren?“, fragte ich angesäuert, war aber bedacht darauf, dass meine Mutter uns nicht hören konnte. Immerhin gab es keine Tür, die die Küche vom Flur trennte. Der Blonde schnürte sich gerade die Chucks zu und giggelte dabei leise, wofür ich ihm leicht auf den Hintern schlug und ihn so zum Krächzen brachte. „Lass das!“, maulte er und zog eine Schnute, als ich unberührt, „Wieso? Du machst das auch andauernd bei mir!“, argumentierte und ihm fest an den Po langte. Hatte ich schon mal erwähnt, dass mein Freund einen tollen Hintern hatte? „Ja, aber ich darf das!“, motzte er und entkam meiner Hand, indem er sich einmal im Kreis drehte. Gleich darauf gab er mir einen feuchten Abschiedskuss und lief lachend aus dem Haus, weil ich ihm zeternd hinterher hasten wollte. Ich sah ihm lächelnd nach, wie er pfeifend die matt beleuchtete Straße entlangging, und verschwand wieder zurück ins Haus, nachdem ich ihn nicht mehr in der Dunkelheit erkennen konnte. Meine Mutter trat aus der Küche und lief schnell die Treppen hoch, und es wirkte für mich so, als wolle sie vor mir flüchten. Ich überlegte nicht lange, sondern öffnete schnell den Mund, um etwas von mir zu geben. „Ma!“, fing ich wahllos an, doch sie unterbrach mich, indem sie mit einem nervösen Lächeln, „Tut mir leid, mein Schatz, aber es ist schon so spät und ich bin völlig fertig. Ich werde mich jetzt schlafen legen, ja?“, von sich gab, sich wieder herumdrehte und die letzten Stufen nach oben hopste. Ja, so konnte man sich auch vom Acker machen! Unzufrieden mit der ganzen Situation schlurfte ich später in mein Zimmer, nachdem ich mir vorher einen Tee gemacht und diesen in der Küche ausgetrunken hatte. Ich warf mich rücklings auf mein Bett, faltete die Hände auf meinem Bauch zusammen und schloss die Augen.
 

Ich konnte einfach nicht in Ruhe über die Situation nachdenken. Ich war mir nicht einmal mehr im Klaren, was ich überhaupt für eine Beziehung mit meiner Mutter führte. War ich ihr inzwischen schon so unwichtig, dass sie es nicht für nötig hielt, mir beizubringen, dass sie sich wahrscheinlich neu verliebt hatte? Denn so war es doch, oder nicht? Mit einem abfälligen Laut raufte ich mir die Haare und rollte mich auf der Matratze hin und her. Wenn sie es mir nicht bald selbst sagen würde, würde ich wahrscheinlich platzen! Ich traute mich einfach nicht, sie von allein darauf anzusprechen. Wie würde sie reagieren? Was wenn sie es vielleicht sogar abstreiten würde, auch wenn ich sie selbst gesehen hatte? Oder was, wenn ich mir das alles wirklich nur einbildete und meine Mutter somit ohne Grund beschuldigte? Mir schwirrten plötzlich absurde Folgen eines Gesprächs im Kopf herum. Meine Mutter, wie sie so tat, als wüsste sie nicht, was ich meinte. Wie sie sich empört erhob, mich ohrfeigte und aus dem Zimmer schritt, um tagelang nicht mehr mit mir zu reden. Würde so etwas passieren, würde ich sicherlich innerlich sterben. Allein der Gedanke, dass meine Mutter enttäuscht von mir sein könnte, brachte mich fast um. Ich seufzte laut und lang gezogen und rollte mich zuletzt auf den Bauch, schaltete das Licht aus – ich hatte seit neuestem einen Lichtschalter gleich neben mir an der Wand, damit ich nicht immer aufstehen musste – und versuchte, meine Gedanken zu ignorieren, was mir kein wenig gelang. Ich fand keinen ruhigen Schlaf wegen all der Überlegungen, die mir nacheinander durch den Kopf brausten und mir somit Schmerzen bereiteten. Ich brauchte einfach den ultimativen Beweis, dass meine Mutter sich mit diesem Schnösel traf. Und was war da nicht besser als Stalken? Genau, und zwar gar nichts! Dass sie durch so eine Aktion meinerseits sicher enttäuscht wäre, blendete ich jetzt einfach mal aus.
 

Die Nacht war für mich nicht sehr erholsam gewesen. Immer wieder hatte ich mich im Bett unruhig hin- und hergewälzt, hatte aus dem Fenster den sternenlosen Himmel über mir betrachtet und hatte mir überlegt, wie ich am besten vorgehen sollte, wenn ich meiner Mutter nachspionieren wollte. Es wäre fatal, wenn sie mich entdecken würde. Aber ich hatte beschlossen, dass ich das durchziehen würde, jedoch nicht allein. Reita würde ich mitnehmen. Fragte sich jetzt nur, ob er auch mitmachen würde. Wenn er nicht freiwillig zustimmte, würde ich ihn schon mit anderen Mitteln dazu überreden. Am Morgen wachte ich überpünktlich und voller Tatendrang auf, sodass ich noch eine halbe Stunde in der Küche herumsitzen konnte, weil ich mich schon fertig gemacht hatte. Ich frühstückte in Ruhe und ging in Gedanken den Arbeitstag meiner Mutter durch. Sie würde eine Stunde nach mir das Haus verlassen, würde sicher wie immer keine Pause machen und müsste dann eigentlich um sechs Feierabend haben. Aber wahrscheinlich hatte sie heute wieder “Überstunden“. Ich hätte heute nach fünf Feierabend, und das hieß für mich, dass ich gleich nach der Arbeit rüber in die Agentur fahren würde, um sie dort zu beobachten. Aber wie sollte ich dann Reita mitnehmen? Er würde sicher lieber schlafen wollen, als sich meinem verrückten Entschluss anzuschließen und müde meiner Mutter hinterher zu spionieren. Ich kratzte mich überlegend am Hinterkopf, während ich mit einem Strohhalm meinen Saft trank, und schrak zusammen, als meine Mutter sich hinter mir verwundert zu Wort meldete. „So früh und du bist schon fertig?“, hatte sie überrascht gefragt und machte sich jetzt stumm einen Kaffee, nachdem ich nur genickt hatte.
 

Ich konnte die Spannung, die plötzlich zwischen uns herrschte, förmlich riechen. Sicher fragte sie sich, wieso ich mich so seltsam benahm. Aber irgendwie taten wir es ja beide, oder nicht? Sie verschwieg, dass sie jemanden kennengelernt hatte und ich verschwieg, dass ich darüber Bescheid wusste. Eigentlich waren wir beide doof. Ach, was soll’s. Ich wartete gerade darauf, dass mir meine Mutter mitteilte, dass sie heute wieder länger arbeiten müsste. Doch kam nichts in der Richtung von ihr. Sie setzte sich zu mir an den Tisch, nippte an ihrem heißen Kaffee und sah mich dann direkt an. „Ich werde heute nach der Arbeit noch in die Stadt, weil ich einige Besorgungen machen muss. Brauchst du vielleicht etwas?“, fragte sie aus heiterem Himmel und mir entkam nur ein verwirrtes Blubbern. „Ähm..“, machte ich einfallsreich, nachdem ich aufgehustet hatte, und überlegte kurz, ehe ich verneinte. „Bist du dir sicher?“, wollte sie wissen und verstummte lächelnd, als ich nur verwirrt nickte, um ihr erneut zu verdeutlichen, dass ich nichts brauchte. Ach, wollte sie sich also in der Stadt mit dem Kerl treffen? In aller Öffentlichkeit?! Ja, ich reagierte wieder über. Ich versuchte nicht zu zeigen, dass ich plötzlich ziemlich aufgeregt war. Ich erhob mich entschuldigend, räumte mein benutztes Geschirr weg und schrieb Reita sofort eine Nachricht, als ich aus der Küche raus ging, um mir im Flur Jacke und Schuhe anzuziehen. Nachdem die Nachricht versendet war, verabschiedete ich mich übereilig von meiner Mutter, die mir nur verdutzt nachsah, und verließ eilig das Haus. Es war nicht verwunderlich gewesen, dass mein Handy einige Augenblicke später zu klingeln begonnen hatte. Ich hatte mich in meinen Wagen gesetzt und mein Handy schnell aus meiner Jackentasche gefischt. Dass es Reita war, der mich anrief, wusste ich.
 

„Bist du bescheuert?“, ertönte es sofort in meinen Ohren als ich dranging, und ich entgegnete sarkastisch, „Dir auch einen guten Morgen, mein Schatz. Ich liebe dich auch!“ Ich hörte den Blonden nur am anderen Ende des Hörers schnauben und gleich darauf ertönte im Hintergrund ein Rufen, der sicher von einem seiner Arbeitskollegen abgelassen wurde. „Ich habe dich für etwas erwachsener gehalten, Uruha. Das ist doch wohl nicht dein Ernst, oder?“, sprach er, und ich hörte aus seinem Tonfall, dass er ungläubig die Brauen zusammengezogen und die Stirn in Falten gelegt hatte. „Was soll ich denn sonst tun, Rei? So habe ich wenigstens den Beweis vor Augen, verstehst du? Ansonsten kann ich noch lange warten, bis sie es mir von selbst sagt und ich endlich weiß, was Sache ist!“, rechtfertigte ich mich und Reita fing an zu protestieren, doch plötzlich wurde die Beifahrertür aufgerissen, was mich aufschrecken ließ, und meine Mutter hielt mir breit lächelnd mein Frühstück hin. „Du hast deine Bento-Box auf der Anrichte vergessen, mein Schatz!“, sagte sie und lehnte sich zu mir rüber, um mir einen sanften Kuss auf die Wange zu geben. „D-danke!“, gab ich aufgelöst von mir und hörte Reita gar nicht, der, „Hey, hörst du mir überhaupt zu?“, fragte und laut herummotzte, weil er es nicht mochte, wenn ich mich anderweitig beschäftigte, während wir telefonierten. Nachdem sich meine Mutter von mir mit einem, „Fahr vorsichtig und bis später!“, verabschiedet hatte, schnallte ich mich an, klemmte mein Handy zwischen Ohr und Schulter und startete den Motor.
 

„Jetzt kreisch nicht rum, du Blödmann. Meine Ma war eben da, deshalb habe ich auch nichts gesagt! Sie soll das doch nicht mitkriegen!“, informierte ich ihn meckernd und fuhr aus dem Parkplatz. „Was auch immer. Wenn du das wirklich durchziehen willst, dann tu das. Aber ich werd’ bei so ’ner Sache nicht mitmachen!“, meinte er eiskalt und gab nicht einmal nach, als ich zu schmollen anfing. „Aber Reita!“ „Ehrlich Baby, ich liebe und vergöttere dich, aber bei dem Scheiß mach ich trotzdem nicht mit. Sieh zu, wie du das allein hinkriegst!“ „Ab-“ „Kein Aber! Ich muss auflegen, der Meister kommt gerade um die Ecke. Ich liebe dich, du Vollidiot“ „Hm, ich dich auch, Arschloch“, verabschiedete ich mich liebevoll und schmollend von ihm und hörte sogleich das monotone Tuten. Dann würde ich das halt allein hinter mich bringen, war ja keine große Sache! Von wegen.. Irgendwie bangte es mir davor, ihr zu folgen, sie zu bespitzeln und dann vielleicht von ihr erwischt zu werden. War das wirklich richtig, was ich vorhatte? Aaach, ich hatte die ganze Nacht Zeit zum Überlegen gehabt und jetzt würde ich sicher keinen Rückzieher mehr machen! Entschlossen ging ich alles noch einmal in Gedanken durch, während ich zur Arbeit fuhr. Na, hoffentlich tat ich heute meinen Kunden nicht weh, da ich doch mit dem Kopf ganz woanders war.
 

Die Stunden vergingen nur schleppend, und genau das machte mich wahnsinnig. Warum nur verging die Zeit am langsamsten, wenn man etwas Wichtiges vorhatte? Es war schon immer so gewesen und es würde auch so bleiben, leider. Ich fieberte meinem Feierabend regelrecht entgegen und verfluchte nebenbei die Zeit, weil sie sich wie alter Kaugummi in die Länge zog. Als es aber soweit war, stürmte ich heilfroh aus dem Gebäude, hinaus auf den Parkplatz. Dass Hotaru mir heute besonders auf die Nerven gegangen war, brauchte ich ja nicht erwähnen, oder? Immer wieder hatte sie mich in der Praxis zwischen Terminen abgefangen und gefragt, ob ich nicht doch mal mit ihr in ein Café gehen wollte. Die gute Frau war eben schwer von Begriff. Ich schloss meinen Wagen auf und hetzte hinein. Wenn ich meine Mutter noch rechtzeitig erwischen und nicht im Verkehr stecken bleiben wollte, musste ich mich beeilen. Hier in Yokohama wusste man ja schließlich nie. Während der Fahrt knabberte ich unaufhaltsam auf meiner Unterlippe herum und trommelte dabei nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Schon zum tausendsten Mal an diesem sonnigen aber kalten Tag fragte ich mich selbst, ob ich das wirklich durchziehen wollte. Und immer wieder redete ich die Sache schön, sagte mir selbst, dass ich richtig handelte. Doch irgendwo in meinem Hinterstübchen herrschte mich dauernd eine Stimme an, die, mal nebenbei bemerkt, Reita gehörte, dass es alles andere als richtig war, was ich vorhatte. Ok, mir war in der Tat bewusst, dass ich kindisch handelte, dass ich mich nicht meinem Alter entsprechend benahm. Aber hey, ich durfte das auch mal.
 

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich vor dem pompösen Gebäude parkte, in dem meine Mutter seit vielen erfolgreichen Jahren arbeitete und so unser Leben finanzierte. Ich zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, lehnte mich versucht ruhig im Sitz zurück und überlegte kurz im Stillen. Dass ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen erschien, konnte ich nicht verhindern. Wer weiß, vielleicht wäre ich jetzt ein abgemagertes, drogensüchtiges Model und kein Masseur in der Ausbildung, wenn damals alles anders gelaufen wäre. Meine Mutter erzählte mir manchmal noch heute davon, dass die Leute aus ihrer Abteilung damals sehr enttäuscht gewesen waren, als ich ein Probe-Fitting und Fotoshooting in der Agentur abgelehnt hatte. Aber sie war auch glücklich und stolz auf mich gewesen, da ich mich zu der Zeit gegen diesen Weg entschieden hatte. Ich denke jedoch, hätte ich schon damals mein heutiges Selbstbewusstsein gehabt, hätte ich sicher probeweise zugesagt. Ja, ja.. Ich stieg nicht aus, sondern blieb im Wagen sitzen. Flüchtig und im Sekundentakt blickte ich immer wieder auf meine Armbanduhr, wandte meine volle Aufmerksamkeit aber wieder dem Eingang zu. Immerhin wollte ich nicht, dass sie mir entwischte. Von hier aus konnte ich den großen, goldenen Wasserspeier ausmachen, der in der Mitte der gläsernen Halle prangte. Gerade als ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie der Wasserspeier aus der Nähe aussah, trat plötzlich meine Mutter aus der Drehtür und richtete den großen Kragen ihres schwarzen, taillenbetonten Blazers. Automatisch sank ich tiefer in meinen Sitz und krallte meine Hände krampfhaft um das lederne Lenkrad, als ich “ihn“ erblickte. Mr. NoName. Der Grund, weshalb ich mir in letzter Zeit Sorgen um meine Mutter machte und schlaflose Nächte hatte. Er ging neben ihr her, breit lächelnd und mit einer Aktentasche in der Hand. Gott, arbeiteten die etwa zusammen?!
 

Als sie sich immer weiter entfernten, sah ich keinen anderen Ausweg als auszusteigen, den Wagen in Windeseile zu verriegeln und schnell und unbemerkt hinter den Zielpersonen herzuhasten. Woah, ich kam mir wirklich vor wie ein Spion! Zur Sicherheit zog ich die Kapuze meiner Jacke über meinen Kopf und ging leicht gekrümmt, da ich nicht auffallen wollte. Dass ich mit der Aktion das genaue Gegenteil erreichte, war mir in diesem Moment völlig Schnuppe. Gespielt lässig schob ich meine Hände in die Hosentaschen und hielt beim Gehen sicheren Abstand zu den beiden. Jedoch sah es in mir ganz anders aus. Mit jeder verstreichenden Sekunde beschleunigte sich mein Herzschlag und ich merkte, wie meine Hände schwitzig wurden. Von hier konnte ich leider nicht hören, über was sie sprachen, das war völlig unmöglich. Wir gingen eine belebte Einkaufsstraße entlang, da konntet ihr euch ja denken, wie laut es gerade um uns herum war. Ich beschleunigte meinen Gang ein wenig mehr, stockte jedoch und fühlte mich plötzlich so seltsam und hilflos, als ich sah, wie sich meine Mutter bei dem Kerl einhakte und mit rosa schimmernden Wangen zu ihm auf lächelte. Ok, sie hatte zwar nichts angestellt, aber das war für mich gerade trotzdem unerträglich. Ich merkte allein durch ihren Anblick, dass es sie ziemlich erwischt haben musste. Oh Mann.. Was sollte ich jetzt tun? Es mochte durchaus kindisch rüberkommen, aber ich war nicht bereit dazu, jemanden anders an der Seite meiner Mutter zu sehen. Noch immer träumte ich von meinem Vater, wie er neben ihr stand und verliebt lächelnd zu ihr runter sah, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt. Ich hatte plötzlich keine Lust mehr, ihnen noch weiter zu folgen. Dabei war ich nicht einmal zehn Minuten hinter den beiden her. Aber mir graute es davor, was ich wohl sonst noch zu sehen bekommen würde, also beschloss ich, kehrt zu machen. Ich blieb stehen und sah, wie meine Mutter mit diesem Mann im Menschengewusel verschwand. Und der Anblick versetzte mir einen harten Stich. Es fühlte sich beinahe so an, als hätte ich meine Mutter soeben an einen anderen verloren.
 

Geknickt und mit gemischten Gefühlen begab ich mich zurück auf den Weg zu meinem Auto. Ich wollte jetzt nur noch nach Hause und mich mit irgendetwas belanglosem ablenken. Ich hatte mich gerade angeschnallt und schloss jetzt die Augen, um etwas klarer im Kopf zu werden und die aufkommenden, nervigen Tränen zu verdrängen, bevor ich losfuhr. Als mein Handy laut zu klingeln begann, fuhr ich zusammen und kramte das schwarze Technikwunder dann aus meiner Jackentasche. Unverwandt schielte ich auf das blinkende Display, auf dem Reitas Foto und Name erschien, und ging kurz darauf dran. „Ja?“ „Wo bist du?“ Ich kratzte mich kurz hinterm Ohr und nuschelte kleinlaut, „Ich mache mich grad auf den Weg nach Hause“ Und somit startete ich auch den Motor und fuhr aus dem Parkplatz, um das große Gelände zu verlassen. „Ach, hat mein kleiner Vollidiot es sich also doch anders überlegt?“, neckte er mich lachend, doch sein Lachen verstummte, als ich ernst, „Nein, ich war bis eben noch hinter ihnen her!“, antwortete. „Aber?“, kam es nur neugierig von der anderen Seite. Ich seufzte leise und versuchte mich aufs Fahren zu konzentrieren. Telefoniert bloß nicht beim Fahren, Leute! Ich machte das gerade nur, weil ich Sonderrechte hatte. „Na ja, ich wollte halt nicht sehen, wie die beiden wie verliebte Teenager aneinander kleben und so..“, war mein kleinlauter Einwand, der Reita hörbar zum Schmunzeln brachte. „Hör auf, dir darüber ’nen Kopf zu machen, hm? Weißt du was? Ich geh jetzt rüber zu euch und warte dort vor der Tür, bis du da bist, ja?“, redete er aufmunternd und ich hob fragend und verwundert zugleich die Brauen. „Aber du bist doch sicher müde“, stellte ich fest, musste aber lächeln, als der Blonde sich räuspernd, „Eigentlich ja. Aber ich kann ja auch in deinem Bett schlafen, nicht?“, murmelte und freudig auflegte, als ich ihm versicherte, dass ich nicht lange brauchen würde.
 

„Das ging aber schnell“, begrüßte mich mein Schatz lächelnd und umarmte mich, als ich durch den Vorgarten schritt und auf ihn zulief, um mich ihm an den Hals zu werfen. Ich vergrub mein Gesicht in seinem Jackenkragen und meinte leise, „Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht lang brauche!“ Nachdem wir uns voneinander lösten, schloss ich die Haustür auf und ließ ihn herein. Ich selbst ging gleich darauf in die Küche, um Tee zu kochen. Reita folgte mir sofort und schmiegte sich stumm von hinten an mich. Leicht lächelte ich, während ich den Wasserkocher an die Steckdose steckte. Als ich genauer über meine Mutter nachdachte, wurde mir klar, dass sie eigentlich nichts falsch machte. Sie verschwieg mir zwar, dass sie verliebt war, aber eigentlich sollte ich ihr deswegen nicht sauer sein. Vielleicht traute sie sich einfach nicht, es mir zu sagen. Genauso wie ich mich nicht traute, sie darauf anzusprechen. Sie war jetzt schon seit drei Jahren allein, ich zählte da nicht, und da war es doch eigentlich vollkommen natürlich, wenn sie sich nach Nähe sehnte. Und ich konnte ihr diese Nähe nicht geben. Es gab da nun einmal gewisse Grenzen. Leise seufzend senkte ich meinen Kopf und schimpfte innerlich mit mir selbst, da ich so misstrauisch gewesen war und sie auch noch verfolgt hatte. Ich hatte gar nicht das Recht dazu. Und wenn meine Mutter sich verliebte, war das auch ihre Sache und ich durfte da nicht dazwischenfunken. Eigentlich sollte ich mich für sie freuen. „Woran denkst du?“, erklang es sanft an meinem rechten Ohr und ich erschauderte, als Reita es küsste und sich fester an mich presste. „An meine Ma..“, antwortete ich wahrheitsgemäß und ließ mich von ihm herumdrehen, sah sogleich in die dunklen, glänzenden Augen meines Freundes, in denen ich mich immer wieder aufs Neue verlieren könnte. „Denkst du immer noch, dass es richtig gewesen war, ihr zu folgen?“, wollte er leise wissen und lächelte schief, als ich geknickt die Lippen schürzte. „Ich wusste von Anfang an, dass es nicht richtig ist, Rei. Hör auf, mich damit aufzuziehen“, murrte ich und legte meine Arme um seine Taille, beugte mich vor und lehnte mich gegen ihn. „Du darfst nicht vergessen, dass sie auch Bedürfnisse hat, hm? Sie ist vielleicht glücklich, aber irgendwas wird ihr immer fehlen, das verstehst du doch?“, waren die gehauchten Worte Reitas, die mich nur ergeben nicken ließen. Ja, ich verstand.
 

Während Reita im Wohnzimmer saß und Tee trinkend fernsehen guckte, trank ich meinen Tee in der Küche und kochte nebenbei eine Kleinigkeit für uns, da wir beide Hunger hatten. Gedankenversunken rührte ich in dem Wok um und schrak auf, als mein Handy, das auf der Anrichte lag, plötzlich fröhlich zu klingeln begann. Mit Verwunderung las ich Kais Namen auf dem Display und schielte noch einmal zur Küchenuhr, die an der Wand neben dem Türbogen hing. Soweit ich wusste, musste er doch jetzt arbeiten. „Ja?“, meldete ich mich und lächelte leicht, als Kai mich grüßte und sofort feststellte, dass ich kochte. „Woher weißt du das schon wieder?“, fragte ich lachend und nickte mit zusammengepressten Lippen, als er hörbar grinsend, „Ich höre es bis hier hin brutzeln!“, anmerkte und leise lachte. Dann wurde es jedoch leise und Kai fragte einige Sekunden später zögernd, „Wie geht’s dir?“ Eigentlich eine normale Frage, aber in diesem Moment fühlte ich mich tatsächlich ertappt damit. „Also ich, ähm, kann nicht klagen. Alles bestens!“, redete ich wirr und fragte ihn, wie es ihm ging. Er erwiderte, dass es ihm blendend ging, was ich ihm nicht wirklich glaubte, und ich unterbrach ihn, indem ich, „Musst du nicht gerade arbeiten?“, fragte. „Ja, ich habe aber gerade Pause. Also bin ich raus aus dem Lokal und sitze jetzt in einem ruhigen Café. Eigentlich wär’ es ja toll, wenn du auch hier sein könntest“, sprach er und machte mich somit perplex. „Wieso denn ich?“, fragte ich verwundert und erinnerte mich unwillkürlich an unser Picknick zurück, als Kai, „Ich würde gerne ein wenig mit dir reden“, sagte und dabei ernst klang. Oh nein, mir schwante nichts Gutes. „Reden? Worüber denn?“, mimte ich den Ahnungslosen und seufzte tonlos, als er tatsächlich auf meine Mutter zu sprechen kam. „Wie geht’s ihr denn so? Ich habe Nami ewig nicht mehr gesehen“, fragte er