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Unter den Schwingen des Horusfalken 2

Die Gefahren des Delta
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach einer langen Zeit, bedingt durch eine häusliche Tragödie, geht es nun hier, hoffentlich regelmässig weiter. Da gibt es immer noch einige ungeklärte Todesfälle. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das ist mir in all den Jahren noch nicht passiert.... Ich hatte vergessen, das letzte Kapitel frei zu geben, es war nur als Entwurf gespeichert...
Darum heute gleich zwei, um mit dem Hochladen auf ff.de gleich zu ziehen.

hotep Komplett anzeigen

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Prolog


 

D

ie Atmosphäre in dem langen, schmalen Raum war angenehm. Das lag nicht nur an den Ziegelwänden, die die Hitze des Tages von den gelagerten Gütern abhielten, sondern auch an den grob gewebten Matten, die über die in Abständen auf die Wände gelagerten Akazien- und Sykomorenstämme gelegt worden waren und so die Sonnenhitze des Sommers abhielten. Aus diesem Grund war auch der Vorratsraum so schmal und lang. Obwohl das Holzrecht in ganz kemet allein dem Horus auf dem Thron der Lebenden zustand, gab es einfach zu wenig lange Hölzer. Stämme, die in den Grabmälern, vor allem natürlich den Pyramiden verwendet wurden, bestanden aus Zedernholz, das aus dem weit entfernten Gebirge der Stufen eingeführt wurde, als Tribut an den Herrn allen Lebens.

Linker Hand ruhten eine Menge Tonflaschen sorgfältig aufgereiht in einem tiefen Sandbett, so dass sie nicht umstürzen konnten, jedoch eng gelagert werden konnten. Ein Mann mit einem einfachen, weißen, Lendenschurz griff sich aus einem Weidenkorb feuchten Nilschlamm und verschloss damit sorgfältig Amphore um Amphore. Der Blick des zweiten Mannes folgte ihm. Mit einer Binse rührte er immer wieder in einem hölzernen Schüsselchen, das er vor sich trug und vermerkte sorgfältig Strich um Strich die erfolgte Arbeit. Auf einer Keramikscherbe. Diese Palette war an einem Riemen über seiner Schulter befestigt. Dies, aber auch die fleckigen Finger und das Zeichen der Herrin der Schriftkunst, Seschat, an seiner Halskette, bewies, dass er ein Schreiber war. Immer, wenn fünf hintereinander stehende Amphoren verschlossen worden waren und er das dokumentiert hatte, nahm er ein Rollsiegel, das er in einer Tasche in der Palette trug und rollte quer über den Lehmpfropf, siegelte so mit dem Zeichen des Palastes. Erst dann trat der Vornehmste des Trios hinzu und siegelte noch einmal quer, mit seinem eigenen Siegel und dem des Herrn der beiden Länder, als Beweis, dass diese Lieferung ordnungsgemäß abgeschlossen wäre.

Als er dies in der vorletzten Reihe getan hatte, musterte er missbilligend den Korb. „Dieser Lehm reicht nicht für die letzten Verschlüsse. Geh. Und hole neuen.“

Der Arbeiter nahm eilig den Korb. Erstens ziemte es sich nicht dem Vorsteher zu widersprechen, zweitens fürchtete er durchaus, mehrere Fehler könnten dazu führen, dass er nicht mehr die doch ruhigere Tätigkeit hier ausführen durfte, sondern auf die Felder der Domäne geschickt werden würde, natürlich nach einer Tracht Prügel.

Der Vorsteher sah zu dem Schreiber. „Geh ihm nach,“ befahl er leise. „Er soll nicht noch einmal nachlässig sein.“

Der Schreiber schob eilig die Palette zusammen, um sie so unter der Schulter zu tragen und legte die Tonscherbe, auf der er seine Notizen machte, zu Boden, ehe er ebenfalls den Vorratsraum verließ,

 

 

Der Vorsteher blickte kurz zu der zufallenden Tür aus festem Mattengeflecht, ehe er sich eilig in die andere Richtung wandte. Dort hing ebenfalls eine Mattentür. Neben dieser stand eine mit einem Tuch bedeckte Kiste auf dem Boden. Er hob den Stoff weg. Dort befand sich ein kleines Kästchen aus Ton, mit Deckel, ebenso eine Pinzette, die er einst einem Arzt abgeschwatzt hatte. Er hob den Deckel ab und nahm das Kästchen samt Pinzette, ehe er zu den noch geöffneten Amphoren zurück kehrte. Mit einem gewissen ingrimmigen Lächeln nahm er ein Stück aus der roten Flüssigkeit und ließ es in die erste Amphore fallen, ebenso in die nächsten, ehe er zurück huschte und alles wieder scheinbar harmlos verschloss.

Schon morgen würde diese Lieferung als Geschenk des Horus auf dem Thron der Lebenden an Beamte und Menschen in kemet gehen.

Und in wenigen Amphoren lauerte der Tod. Starben die Menschen, so war der Beweis erbracht, dass eben Horus Quahedjet nicht die wahre Inkarnation des Himmelsgottes sei, allwissend und unfehlbar.

Er selbst zweifelte ja schon daran, seit ihn dieser nicht weiter befördert hatte, ja, ihn nicht einmal in die Residenz nach Ibenu-hedj befohlen hatte, sondern ihn hier als, zugegeben, Vorsteher, aber doch im Sumpf des Deltas, verrotten ließ. Er war sicher, dass er mit solch einem wahrlich tödlichen Beweis dem neuen und wahren Herrscher dienen konnte. Er würde in die Hauptstadt gelangen, würde aufsteigen, womöglich sogar zu tjati ernannt werden. Immerhin hätte er dann seine Klugheit bewiesen.

 

Unerklärlich


 

E

s war relativ kühl im „Monat der Herdfeuer“ in kemet, aber der alte Mann, dessen Amulette um den Hals, wie das der Skorpiongöttin Selket oder auch der Herrin von Sau, Neith, auch ohne seine Tasche verrieten, dass er ein Arzt war, wickelte seinen wollenen Umhang nur fester um sich, damit seine Insignien auch verbergend. Die Dämmerung war hereingebrochen, aber er hoffte, dass der Mann, den er aufsuchen wollte, auch bereits zuhause war. Hekaptah, der Siegler des Königs, dessen Halbbruder, war ein vielbeschäftigter Mann. Erleichtert sah der Arzt, dass eine Sänfte auf der Hauptstraße zu eben dem Haus getragen wurde, das auch sein Ziel war. Voran gingen vier hem-per, Diener des Hauses, Wachen des Lebenden Horus, hier natürlich nur mit langen Stäben um die Menschen zu verscheuchen, hinter der Sänfte die engsten Schreiber, die auch hier im Haus oder dessen Nachbarschaft wohnten.

Er trat näher und schob seine Kapuze weg.

 

Hekaptah war es gewohnt, dass auf seinen Wegen ihn immer wieder Leute um etwas baten, und behielt die Menschen, die vor den Wachen beiseite wichen, im Auge. Es war notwendig, die einfachen Leute anzuhören, die nicht schreiben konnten, sich jedoch an die Gerechtigkeit des Horus wenden wollten. Umso erstaunter war er, als er den Arzt stehen sah. Ramose war der Oberste der Ärzte des Königs, der Älteste des Lebenshauses – wenn der so deutlich auf ihn wartete, konnte es nichts Gutes bedeuten. War etwa etwas mit seinem Halbbruder? Natürlich durfte ein Arzt nicht über seine Patienten reden, aber wenn der Falke zum Himmel flog, würde das das gesamte Land betreffen, die Maat stillstehen, ja, die Sonne nicht mehr aufgehen, bis der Nachfolger den Thron bestieg. So richtete er sich auf, so gut das in der engen hölzernen Sänfte möglich war. „Ramose, alter Freund – komm, begleite mich. Du wirst Gewürzwein bei diesen Temperaturen angenehm finden.“

 

Eine offenkundig gewünschte, vertrauliche, Unterhaltung war in der gewöhnlichen Empfangshalle nicht möglich und so schickte Hekaptah nicht nur seine Schreiber weg, sondern lud den Obersten der Ärzte in sein Schlafzimmer. Er nahm auf dem abgeschrägten, hölzernen Bett mit vergoldeten Löwenfüßen Platz, rutschte gegen die Fußstütze um nicht abzugleiten und deutete auf den lederbespannnten Hocker. „Nimm Platz. Der Gewürzwein wird gleich gebracht, dann sind wir unter uns.“

„Danke. - Ich finde es immer erstaunlich wie viel Zeit du für jeden findet. Ebenso natürlich wie Sobeknacht, unser tjati.“

„Ich fürchte, mein Bruder sogar noch mehr. Er ist der zweite Mann nach dem Lebenden Horus, und sein Arbeitspensum ist unerschöpflich. Ich hüte dagegen nur die Ernten und deren Verteilung.“ Der Siegler zog sich die Perücke ab und strich über den kahlgeschorenen Kopf. Es war das Gefühl nach Hause zu kommen, nicht mehr unter Beobachtung zu stehen.

Der kluge Blick Ramoses musterte den vor ihm Sitzenden. „Natürlich. Und wir dienen alle dem Lebenden Gott kemets, nicht wahr? - Oh, Gewürzwein. Aus Retenu, vermute ich?“ Selten und nur für die königliche Familie zu erlangen.

„Ja. - Danke, du kannst schlafen gehen.“ Die Anweisung galt dem Diener. Hekaptah wartete, bis dieser das Türrollo hinter sich geschlossen hatte, ehe er aufstand und hinausblickte. Dann nahm er wieder Platz. „Ramose, der Wein ist aus syrischen Granatäpfeln, da hast du recht. Aber ich vermute doch, dass der Älteste des Lebenshauses mich nicht privat aufsucht, um meine Vorräte zu überprüfen.“ Sie kannten sich seit Jahrzehnten, der Königssohn und der Arztsohn, waren gemeinsam in der Palastschule gewesen, hatten ihre ersten Anfänge in Schwimmen und kriegerischen Übungen zusammen erlebt – und ihre ersten Lieben.

„Ich wollte, es ginge nicht um deine Vorräte. Sozusagen. - Was weißt du von den Wirkungen von verdorbenem Fleisch?“

„Es verursacht Krankheit, manchmal sogar Tod.“ Hekaptah zog alarmiert die Brauen zusammen. „Und, es sollte nicht vorkommen. Es gibt die Kühlhäuser im Palast, die Scheunen und Lagerhäuser werden auf Mäuse und anderes Ungeziefer überwacht ...“ Und die wilden Katzen, die sich freiwillig in die Lagerhäuser geschlichen hatten, leisteten vorzügliche Arbeit.

„Das stimmt. - Ich habe einige Schüler, aber auch andere Ärzte in kemet wenden sich an mich, wenn sie vor Rätseln stehen. So erlangte ich Kenntnis von einigen sehr eigentümlichen Zwischenfällen, die anscheinend auf verdorbenes Fleisch zurückgehen.“

Der Siegler des Königs atmete durch. „Sage mir jetzt bitte nicht, dass diese Zwischenfälle von Fleisch kommen, das der Lebende Horus Leuten schickte.“

„So ist es, leider. Und das in sechs verschiedenen Orten, alle im Delta.“

Das fiel bedauerlicherweise in seinen Verantwortungsbereich. Und Hekaptah kannte Horus Quahedjet gut genug, um zu wissen, dass der, Halbbruder hin oder her, ihn für Fehler seiner Untergebenen bestrafen würde. „Gab es auch Tote?“

„Sieben bislang. In jedem Ort einer, einmal zwei Kinder.“

„Sicher eine Vergiftung?“

„Die Symptome sprechen dafür. Allerdings, und das ist eben das Seltsame: das Fleisch wurde von verschiedenen Personen gegessen. Aber nur einer jeweils erkrankte und starb daran.“

Hekaptah richtete sich auf. „Das ist unmöglich. Ich sehe, wo das Problem ist. Danke. Ich werde mich mit Anchnefer zusammensetzen. Du weißt, Sobeknacht …“ Der Wesir litt noch immer unter den Toden in seiner Familie, auch, wenn er sich selbstverständlich zusammen nahm und auch keine Medizin mehr benötigte.

„Es geht ihm immer besser, ja, er ist noch ein wenig ...“ Der Arzt schwieg. „Nun, ich kann dir die Berichte zukommen lassen. Hier oder im Palast?“

„Rahotep ist doch dein Schüler? Er wurde gerade zum Leibarzt der Königssöhne ernannt. Wenn du ihn entbehren kannst, schicke mir die Briefe doch mit ihm. Ich werde ihn auf diese Spur setzen, und einige andere Leute auch.“

„Natürlich. Ich bin froh, wenn das überprüft wird, ehe noch mehr Leute sterben. Und Rahotep ist intelligent und diskret. Ich vermute, du wirst auch Meruka, deinen Stiefsohn, einsetzen wollen, wenn der Herr der beiden Länder auf einen der beiden Vorsteher seiner privaten Schreiber verzichtet.“

„In der Tat.“ Ramose war sehr schlau, das gab Hekaptah zu. „Und, um ehrlich zu sein, alter Freund, wenn das stimmt, was du erfahren hast, ist das ein großer Verstoß gegen die maat. Wir sollten alle zusehen, dass wir das klären, ehe es noch mehr Leute gibt, die in den Westen gehen.“ Dort, wo die Sonne unterging, lagen auch die Schilffelder des Westens, das Totenreich.

„Ich werde Rahotep alle Briefe mitgeben, die ich bekommen habe, und ihm freie Zeit geben, solange er benötigt. Ich selbst werde ihn vertreten, um Fragen zu unterbinden. Soll er in dein Büro im Palast kommen?“

„Nein. Ich bin sicher nach einer kurzen Erklärung meinerseits wird der Lebende Gott kemets meiner Bitte zustimmen und Meruka freigeben. Rahotep soll sich an Meruka wenden. Keine Umwege nach Status und Sitte. Je schneller das geht, desto besser. Oder, bist du anderer Meinung?“

„Ganz und gar nicht, Hekaptah. Und ich bin sehr erfreut, dass du nicht auf deinem Vorrang als Siegler beharrst. Nun, ich kenne dich doch eine Weile. – Der Wein ist vorzüglich.“

„Danke. Ich hoffe, wenn das Problem erledigt ist, können wir uns auch einmal abends im Garten auf einen Wein aus Trauben zusammensetzen, der aus meinen eigenen Domänen im Ostdelta stammt.“

Der Oberste der Ärzte lächelte. „Ich bin fast überzeugt davon. Denn, mein werter, alter, Freund, ich bin ebenso davon überzeugt, dass du mir nicht die gesamte Wahrheit gesagt hast. Nun, im Auftrag des Lebenden Horus, unter dessen Schwingen wir alle leben, er lebe, sei heil und gesund.“

„Er lebe, sei heil und gesund. - Auf dein Ka, Ramose.“ Der alte Trinkspruch auf das, was einen Menschen unsterblich machte. Während der Königsbruder trank, dachte er, dass der alte Arzt recht hatte. Nicht nur Meruka und Rahotep würden an dieser Sache arbeiten, sondern auch die drei Anderen, die sich im letzten Auftrag wieder einmal als nützlich erwiesen hatten. Zum Glück lag eine Eheschließung zwischen Meresanch und dem Thronfolger noch in Monaten entfernt, da die junge Dame aus dem ipet doch noch einiges lernen musste. So konnte sie Meruka zur Verfügung stehen. Ptahnacht als Wache des Königs sowieso, und Nefertari als Wärterin des Apis-Stieres, wie ihr Priesterinnentitel lautete, auch.

 

In einem in diesen Abendstunden leeren Raum des sogenannten Hauses des Lebens, in dem Patienten geheilt, aber auch Ärzte ausgebildet wurden und lebten, traf sich die Gruppe. Die drei Neuankömmlinge warfen unwillkürlich einen Blick auf die verschiedenen Briefe und Buchrollen, die zwischen Rahotep und Meruka auf dem Boden lagen, nahmen jedoch Platz. Von ihnen konnte nur Meresanch, genannt Merit, lesen.

„Guten Abend,“ grüßt der Leiter höflich. „Es handelt sich um ein medizinisches Problem, daher sollte Rahotep anfangen. Ihr werdet kaum euch im Ärztestand auskennen.“

Das entsprach den Tatsachen und so begann der Arzt: „Ramose ist der Älteste des Lebenshauses und Oberster aller königlichen Leibärzte. Und er ist mein Lehrer. In der Ausbildung ist es so, dass man, wenn man zum Schreiber geworden ist, aber Arzt werden will, sich einen Lehrer sucht oder auch zugeteilt bekommt. Ramose war so freundlich mich aufzunehmen. Als solcher Schüler lebt man Tag und Nacht mit seinem Lehrer. Zunächst trägt man nur die Arzttasche, aber man lernt, darf auch selbstständig Verbände anlegen … und wenn der Lehrer meint, man sei reif genug, beginnt die eigentliche Arztausbildung. Ich habe fast drei Jahre mit Ramose gelebt und denke doch, ich kenne ihn. Er ist niemand, der grundlos Alarm schlägt.“ Rahotep atmete durch. „Er ist aber eben auch der Oberste Arzt in ganz kemet und ehemalige Schüler des Lebenshauses wenden sich mit Fragen oft an ihn. Wenn jemand Arzt auf einer Baustelle ist oder in einer Mine, oder auch in einer Stadt, so hat er seine eigenen Papyrusrollen mit Behandlungen und Medikamenten dabei, aber natürlich nicht alle, die hier in der Bibliothek sind. Das läuft so, wenn eine solche Anfrage kommt, überprüft der zuständige Bibliothekar, ob es zu der Frage eine Buchrolle gibt und lässt diese dann abschreiben und schickt sie zurück. Nur zu Dingen, zu denen es nichts gibt, wird Ramose selbst befragt. Soweit ich weiß, liest er, antwortet, wenn er jedoch keine Antwort weiß, legt er den Brief beiseite. Diesen Stapel arbeitet er immer wieder durch, auch, um mit Kollegen zu reden. So fiel ihm vor einigen Tagen auf, dass er aus verschiedenen Orten, von verschiedenen Ärzten, die gleiche Anfrage erhalten hatte. - Es gibt eine Krankheit, die ab und an vorkommt, aber stets tödlich ist. Vermutlich liegt es an unsauber eingelegtem Gemüse oder verdorbenem Fleisch. Die Menschen, die davon gegessen haben, bekommen Fieber, Übelkeit und sie ersticken schließlich. Eine Krankheit, wo jeder Arzt sagt, es ist eine, die man nicht behandeln kann. Oft stirbt die gesamte Familie. Solch eine Krankheit ist selten, aber sie kommt leider immer wieder vor. In diesem Fall jedoch handelt es sich um eine Krankheit mit diesen Zeichen – aber nur eine Person bei Tisch wird krank und stirbt, alle anderen sind unversehrt. Manche der anfragenden Ärzte vermuten einen Dämon der Sachmet dahinter. Das mag sein, aber es bleibt die Frage: warum nur einer.“

„Diese Todesfälle,“ übernahm Meruka: „Und die entsprechenden Anfragen dazu, gab es bislang in verschiedenen Orten im Delta. Sieben Todesfälle wurden Ramose bekannt. Was leider nicht bedeutet, dass es alle sind. Wenn es sich um Dörfler handelt, so wird kaum ein Arzt davon erfahren. Aber Tatsache ist, dass diese sieben Toten alle in Städten wohnten und alle Mitglied der Familie des Stadtoberhauptes waren, Männer, Frauen, Kinder.“

„Die Bürgermeister und Stadtvorsteher haben natürlich Zugriff auf einen Arzt,“ meinte Ptahnacht. „Und dass es doch eine andere Krankheit ist?“

Rahotep zuckte die Schultern. „Jeder Arzt lernt als erstes eine sorgfältige Analyse der Symptome, um sein Urteil fällen zu können. Es müsste eine Krankheit mit identischen Symptomen aber anderen Folgen sein, von der noch nie jemand gehört hat.“

„Ja, und wieso nur im Delta?“ Merit sah zu dem Arzt. „Wir haben den Monat der Herdfeuer, das Wasser des Iteru ist zurückgegangen, es ist trocken und die Mücken sind weniger als gleich nach der Überschwemmung.“

„Es ist die angenehmste Jahreszeit im Delta, das stimmt.“ Jetzt wurden auch die Herden aus Mittel- zum Teil sogar Oberägypten auf die reichen Weiden des Delta getrieben, teilweise waren sie Wochen unterwegs. Aber es zahlte sich aus. Die Fruchtbarkeit und das Fleisch stiegen deutlich an.

„Rahotep,“ begann Nefertari ein wenig zögernd, da man einen Arzt eigentlich nicht kritisieren sollte. „Wenn es eine Krankheit ist, die ihr kennt – warum könnt ihr sie nicht behandeln?“

„Weil wir keine Götter sind, liebe Nefer. Es gibt, das wisst ihr alle, nach der Diagnose nur drei Dinge, die ein Arzt als Verdikt sagen kann: eine Krankheit, die ich heilen werde – und das wird auch so geschehen, denn die Erfolgsaussichten nach allem, was man gelernt hat, sind gut. Dann gibt es eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde, das ist eine Krankheit, bei der die Erfolgsaussichten nicht so gut stehen, aber es genügend Leute in der Vergangenheit gab, die es überlebt haben, und das Letzte: eine Krankheit, die man nicht behandeln kann, denn soweit bekannt ist, hat das niemand überlebt. Natürlich geschehen auch dann manchmal Wunder, aber ein Arzt lügt seinen Patienten nicht an, sondern versucht ihm sein Leiden zu mildern. Mehr kann man dann nicht tun. In dem Fall der Lebensmittelvergiftung – in diesem, sehr seltenen, Fall kann man nichts tun. Es gibt eine andere Form der Vergiftung, im Getreide, tescheref, genannt. Die Leute, die von diesem Getreide essen, bekommen Halluzinationen, wirre Träume, manchmal rasen sie – aber dann lässt dieser Rausch der Sachmet nach und sie sind zwar erschöpft, aber leben. Manchen müssen allerdings abgestorbene Finger oder Zehen amputiert werden. Nur sehr wenige sterben, und die meist an Geschwüren der Haut und Fieber. Auch hier wird nicht behandelt, denn niemand weiß, was dagegen zu tun ist, aber man weiß, dass die Menschen überleben. Natürlich versucht man es mit Sellerie und anderen Pflanzen, alles, was gegen eine Seuche der Sachmet hilft, aber … Nun ja. Man kann Menschen nicht verbieten Weizen oder Gerste zu essen. Übrigens, in diesem Fall, ist oft eine ganze Dorfernte betroffen und wenn es vorkommt leidet ein komplettes Dorf. Auch hier, keine Einzelfälle.“

„Einzelfälle sehen eigentlich nach etwas anderem aus.“ Ptahnacht blickte zu seinem Vorgesetzten. „Könnte es sein, dass die Fälle nichts miteinander zu tun haben – und rein zufällig Giftmorde sind?“

„Dazu müssten man die gleichen Symptome entwickeln.“ Aber Meruka sah zu dem Arzt. „Rahotep?“

Dieser schüttelte den Kopf. „Dazu müsste jemand nicht nur wissen, wie man die Symptome dieser Vergiftung künstlich hervorruft, und das kann kein Arzt, sondern auch noch dieses Wissen quer über das Delta verbreitet haben. Es gibt einen Vorfall in Chem, leider auch meinen Onkel in Sau, zwei Kinder in Per-Bast, eine Tote in Pe und Dep, einen Mann in Djedu und ein Kind in ...“

„Lass nur, ich habe verstanden.“ Ptahnacht dachte kurz nach. „Aber das würde doch auch bedeuten, wenn da jemand so etwas herausgefunden hat, hat er die perfekte Mordmethode entwickelt, denn kein Arzt kann sie heilen, oder?“

„Um ehrlich zu sein, wir denken eher ...“ Mit diesem Satz verriet Meruka, dass er mit dem Siegler des Herrn der beiden Länder die Lage bereits besprochen hatte. „Dass es vermutlich zu irgendeiner Nachlässigkeit in der Lieferung gekommen ist. Diese Nachlässigkeit sollen wir herausfinden. Dazu ist es notwendig, zunächst einmal zu sehen, woher die jeweiligen Lieferungen der tödlichen Speisen kamen, wer sie in die Hand bekam und anderes. Wir werden morgen früh Richtung Norden aufbrechen und abends in Chem sein. Der dortige Stadtvorsteher heißt Anchsachmet, seine Ehefrau Merithor starb. Wir haben für morgen und alle anderen – denn wir reisen nach Sau und dann Pe und Dep weiter - den Vorwand, dass Merit vor ihrer Eheschließung noch alle möglichen Tempel des Landes besuchen soll. Dazu begleite ich als Vorsteher der privaten königlichen Schreiber sie, ein königlicher Leibarzt, ein Wächter, und du, meine liebe Nefer, wirst als ihre Dienerin durchgehen.“ Er lächelte etwas. „Du weißt sehr gut, dass Diener untereinander oft mehr reden.“

Die junge Frau aus Abu nickte. „Ja, ich weiß.“ Aber sich unter die doch Neue unterzuordnen... Nun ja, Das war die künftige Gemahlin eines lebenden Gottes.

Der Vorsteher der Schreiber blickte zu dem Mädchen aus dem ipet: „Hast du noch Fragen, Merit?“

„Ja. Ihr sagtet, die Toten gab es in Chem, in Sau, in Pe und Dep, aber auch in Per-Bast und Djedu. Diese Städte, also, die beiden Letzteren, liegen an einem der östlicheren Arme des Flusses. Der Palast der Harpunierenden Horus und seine Domänen versorgen zwar viele, aber doch eher mehr an den beiden westlichen Armen des Iteru.“

„Das ist eine der Sachen, die wir herausfinden müssen,“ gab Meruka zu. „Der Fehler kann auf einer Domäne passiert sein, in den Kühlhäusern des Palastes, aber auch auf dem Transport auf dem Iteru. Und in dem schlimmsten Fall, den ich mir vorstellen kann, ist ein Bootsführer oder ähnliches erkrankt ohne es zu wissen und steckt alle Lebensmittel an, mit denen er in Berührung kommt. Das würde die räumlichen Abstände zwischen den Toten erklären, ebenso wie die Tatsache, dass alle betroffenen Familien zwar auch alle Domänen haben, aber doch auch von denen des Herrn der beiden Länder beliefert werden.“

„Was aber auch bedeutet,“ nahm Rahotep den Faden auf: „Dass es weitere Opfer bereits gegeben hat und noch weiter geben wird. So gesehen sollten wir hoffen, dass es sich um eine einmalige Nachlässigkeit gehandelt hat, die nie wieder vorkommt.

„Lausige Zeiten,“ murmelte Ptahnacht. „Schön, ich packe alles.“

„Ja. Wir treffen uns morgen bei Sonnenaufgang am Nordhafen. Ein Schnellruderer mit vierundzwanzig Mann wird uns nach Chem bringen. Befehl des Lebenden Horus.“ Das bedeutete, dass Meruka für diese Fahrt wahrlich von allerhöchster Stelle gedeckt war – und Papiere mit sich trug, auf denen, neben der Petschaft der königlichen Kanzlei, auch der Vermerk befestigt war: gesiegelt in der lebenden Gegenwart des Herrn der beiden Länder. Widerspruch war undenkbar, gleich, was er fordern würde.

Nefer fragte auch nur: „Zur Sicherheit nehme ich die große Kiste mit, oder?“

„Ja.“

Darin befanden sich auch allerlei Schmuck- und Schminksachen, die ihrer Rolle nicht angemessen wären – aber für ihre männlichen Partner bestimmt waren. Allerdings auch ein sehr scharfes Obsidianmesser, dessen Gebrauch sie sich vor einigen Jahren angewöhnt hatte – und in Übungen mit Ptahnacht verfeinert hatte. Nie wieder wollte sie das Opfer eines Mannes werden. Und, das gab sie zu, eines Tages würde sie diesen Mistkerl für seine Untat an ihr vor die Götter fordern. Seit sie für den mächtigen Apis, der Verkörperung der Seele des Ptah, singen und tanzen durfte, flehte sie ihn um Gerechtigkeit an. Nachdem der Lebende Horus ihr jetzt jedoch ein Grab in seinem Heiligen Bezirk bewilligt hatte, würde sie ewig unter dem Schatten seiner Flügel leben – und sie würde dafür sorgen, dass dieser Minenaufseher, gleich, wie teuer er sein Grab erbaut hatte, das sicher nicht tun würde. Sollte das ewige Nichts ihn verschlingen!

 
 

Die Fahrt nach Norden


 

P

aadiptah, der Kapitän des königlichen Schnellruderers „Wildstier“, war mit seinen über vierzig Jahren ein erfahrener Mann, der den Iteru schon seit langem mit all seinen Tücken und Strömungen kannte. In dieser, seiner, wichtigen, beruflichen, Eigenschaft hatte er bereits viele hochrangige Beamte und Boten des Herrn der beiden Länder transportiert. Darum auch hatte er bei Auftragserteilung sich behutsam nach dem Namen erkundigt. Neugier wäre natürlich unziemlich, aber die hohen Herren wünschten manchmal Extratourliches, sei es Halt an einer ihrer Domänen, an denen sie vorbeifuhren oder sonstige Besuche, und es war besser darauf vorbereitet zu sein.

Das, was er dann erfuhr, war so bedeutsam, dass er nicht zögerte seinem Schwager und erstem Steuermann, der an Bord geblieben war, zu sagen: „Eine höchst wichtige und deutlich vertrauliche Reise sollen wir da fahren. Das Auge des tjati scheint mehr als wohlwollend auf uns zu liegen. Wir dürfen hier nicht versagen, dann erhalten wir vielleicht, ach was, bestimmt eine Belohnung.“

„Wird der tjati etwa selbst mit uns fahren?“ erkundigte sich der Steuermann, dessen Name gleichlautend mit dem seines Schwagers war, zu Ehren eines gemeinsamen Großvaters. So redeten sie sich meist mit großer und kleiner Bruder an. Dass der Lebende Horus zu ihnen kommen würde, war undenkbar, dieser besaß das Staatsschiff, und reiste auch nur darauf, das nicht von Ruderern betrieben wurde, sondern von Ruderbooten gezogen wurde. Niemand, außer der königlichen Familie und vielleicht noch besonders Begnadeten, würde der Nähe der Macht eines Lebenden Gottes widerstehen können und überleben.

„Nein, aber pass auf: offiziell wird die Reise von einem der Vorgesetzten der Schreiber des privaten Büros des Lebenden Horus geleitet. Von einem der Männer, die ihn jeden Tag sehen, sogar mit ihm sprechen dürfen! Es ist ein Königlicher Leibarzt dabei, aber auch ein Mädchen. Und die ist die Hauptperson. Ich habe mich genau erkundigt, weil ich doch keinen Fehler machen wollte. Sie trägt den Titel einer Schreiberin der maat-hor, war zuvor schon Schreiberin der Königsmutter – und, jetzt kommt es, sie hat den gleichen Hofrang wie die jeweils jüngste Königstochter.“

„Sie ist aber keine?“

„Nein, aber mein Freund sagte mir, dass Gerüchte laufen, sie werde demnächst den Ältesten Königssohn heiraten. Sie ist die künftige maat-hor. Deswegen wohl auch die Route nach Sau und Pe-Dep. Sie besucht sicher alle wichtigen Tempel um dort eingewiesen zu werden. Offizieller Leiter der Reise ist natürlich der hochrangige Schreiber des Herrn der beiden Länder. Sag unseren Männern, wenn der Schreiber oder das Mädchen auch nur ein Wort sagen, sollen sie eilen.“

„Haben die auch einen Namen?“

„Oh, ja, der Schreiber heißt Meruka. Mein Freund meinte, der sei aus sehr hoher Familie, das Mädchen heißt Meresanch.“

„Sie trägt aber nicht den Titel einer Königstochter?“

„Nur den Hofrang. Noch.“

„Nur wegen der Ansprache.“

Kapitän Paadiptah wurde blass. „Bist du verrückt, kleiner Bruder? Eine künftige maat-hor anreden zu wollen? Wenn was ist, sagt es ihrer Dienerin!“

„Die, die den Horus sieht … oh, ja. Natürlich.“ Jemand, der im Herrn der beiden Länder den wahren Gott erkennen konnte, ja, dessen unmittelbare Nähe aushalten konnte, war sicher niemand, den ein einfacher Schiffer ansprechen sollte. „Ich werde dann mal lieber den Männern sagen, dass sie die Hütte und die Plätze unter dem Sonnensegel noch einmal gründlich säubern sollen. Und Kissen hinlegen.“

„Ja, ich mag mir gar nicht vorstellen, was geschieht, wenn sich einer der Beiden beschwert.“

„Aber es hieß doch fünf Passagiere? Nun ja, die Königstochter hat sicher eine Dienerin dabei, aber ...“

„Natürlich eine Wache. Du weißt schon, jemand aus dem Palast, die auch bei Strafexpeditionen und so stets um den Lebenden Gott sind. Bitte, Paadiptah, stell dich nicht dümmer als du bist. Das wäre hier fatal, jede Lässigkeit.“

Ja, das war auch dem Steuermann klar. Auf Nachlässigkeiten konnte man nur zu leicht Prügel erhalten, bis zu hundert Schläge wurden da verabreicht. Nein, danke. Von der Degradierung wieder zu einem Ruderer oder Matrosen ganz zu schweigen. „Ich weiß, großer Bruder. Gehen wir uns noch rasch von den Familien verabschieden, ehe wir das Schiff überprüfen.“

„Ja, und die Männer zusammensuchen. Zwanzig Ruderer, wir beide und vier Matrosen. Ich werde zusehen, dass sie jeweils in guter Verfassung sind. Die Wildstier und ihre Besatzung darf sich nicht blamieren.“

 

Paadiptah der Ältere war froh um seine Vorsicht, als er im Morgengrauen im Nordhafen von Ibenu-hedj, am Königssee, vor seinem auf das Sorgfältigste hergerichteten Schiff stand und seine Passagiere erwartete. Da kamen sie: voran sechs Getreue des Herrn der beiden Länder, die den Weg freimachten, dann ein Mann in einer von vier Männern getragenen Sänfte mit Amuletten und Ketten über dem Leibchen, das in diesem kühlsten Monat des Jahres angeraten war, einen Stab in der Hand. Der Kapitän wusste nicht genau, wie solch ein Stab hieß, aber er zeugte von Amt und Würden – und Macht. Dahinter ging ein weiterer Getreuer, neben einem offenkundigen Arzt, denn der trug die bekannte Tasche eines sunu, eines ausgebildeten und studierten Arztes. In der Sänfte dahinter saß ein augenscheinlich sehr junges Mädchen von kaum dreizehn Jahren, gerade so in ds heiratsfähige Alter gekommen, gehüllt in einen mit bunten Fransen und Fäden verziertem Umhang, daneben lief eine Dienerin, deren Kleidung noch immer verriet, dass sie am Königshof hergestellt sein musste. Danach trugen Diener mehrere Truhen. Ja, das waren überaus wichtige Personen. Paadiptah wartete kurz ab, bis die Sänfte des Vorstehers der Schreiber absetzt wurde, dieser ausgestiegen war, ehe er auf ihn zueilte und sich verneigte.

„Ehrenwerter Meruka, Vorsteher der privaten Schreiber … ich bin Kapitän Paadiptah. Ich darf dich ... und deine Begleitung an Bord der Wildstier willkommen heißen. Ich hoffe, du findest alles zu deiner Zufriedenheit.“

Meruka wandte kurz den Kopf, nur um festzustellen, dass Merit wahrlich ihre Rolle kannte. So sagte er: „Danke, Kapitän. Nun, du weißt sicher, wie wichtig diese Reise ist. Wie lange werden wir bis Chem benötigen?“

„Die Ruderer sind ausgeruht und kräftig. Der Iteru und seine Strömung werden uns helfen. Ich hoffe, dass wir heute Abend gegen Sonnenuntergang in Chem eintreffen werden. Danach soll es ja weitergehen? Nach Sau? Oder zunächst nach Pe und Dep?“

„Nein, nach Sau. Das liegt doch an dem Arm des Iteru wie Chem?“

„Ja, an einer weiteren Abzweigung. Und von Sau aus kann man über einen Kanal quer fahren nach Pe – vorausgesetzt, es begleiten weitere Boote unser Schiff. Wie dir sicher bekannt ist, lauern im Papyrusdickicht mancherlei Gefahren, denen ich die … ich meine, deine Begleitung nicht aussetzen möchte.“

Flusspferde, vor allem, dachte Meruka. Der Kapitän war höflich und vorsichtig. Gut. Andererseits wäre er sonst kaum zu einem solchen Rang bei einem königlichen Schiff aufgestiegen. Er warf einen Blick auf die „Wildstier“. Sie war aus Holz, schon das allein bewies, dass sie dem Herrn der beiden Länder gehörte. Jeder andere hatte Papyrusboote. Jeder Holzeinschlag war königliches Privileg, von den seltenen und teuren Importen an Zedernholz aus dem Gebirge der Treppen ganz zu schweigen. „Gut. Dann lass das Gepäck in die Kabinen bringen. Ich möchte dich Meresanch vorstellen. Sie ist eine Schreiberin der maat-hor.“ Und weitaus älter als sie wirkte, aber das ging den Kapitän nichts an.

Paadiptah der Ältere hätte um ein Haar zugegeben was er wusste, aber er meinte nur: „Danke.“ Das fehlte noch, dass ihm ein persönlicher Schreiber des Lebenden Gottes Neugier – zurecht – unterstellen konnte.

Meruka wandte sich um und suchte Nefers Blick, ehe er ihr mit einem Kopfnicken bedeutete, dem Gepäck zu folgen. Das war für eine Dienerin nur pflichtbewusst, aber er wollte verhindern, dass sich einer der Matrosen zu sehr um die Truhen kümmerte. Das Meiste wäre zu erklären – nicht jedoch der aus Antilopengehörn und Holz zusammengesetzte Bogen und die fünfzehn Pfeile sowie der Bronzedolch, was alles ihm gehörte, zur Gewissheit indes im offiziellen Gepäck Merits untergebracht worden war. Da er jedoch nicht wusste, was dort im Delta geschehen war, wollte er sicher gehen. Handelte es sich nur um eine Nachlässigkeit, würde der Schuldige bestimmt bestraft werden. Aber Meruka hatte bereits gegen Sandleute und Libyer gekämpft und befürchtete, gerade im Delta, deren Intrigen – und Raubüberfälle.

„Meresanch, ich möchte dir unseren Kapitän Paadiptah, vorstellen, der, der in den Augen ist.“

Merit lächelte kurz, ehe ihr Blick zu dem Schiff glitt. In der Tat befand sich dort, wie wohl auch auf der anderen Seite, ein aufgezeichnetes Auge, das Schutz versprach. Und der Platz des Kapitäns war dazwischen. Logisch. Obwohl diese Bezeichnung vermutlich eigentlich mehr bedeuten sollte: der seine Augen überall hat. „Ich freue mich dich kennen zu lernen. Ich bin bereits auf dem Iteru gereist, aber das ist doch Jahre her.“

„Natürlich.“ Auch ohne den Tipp seines Freundes hätte der Kapitän gewusst, dass es sich um ein hochgestelltes Mädchen handeln musste. Selbst der Umhang, den sie sich schützend um die Schultern geschlagen hatte, war aus feinem, wenngleich dichtem, Leinen, aber eingewebte bunte Fäden und Fransen hatte nicht eben jeder. Ebenso wenig wie die drei Reihen aus Gold, Karneol und Amnethystperlen um ihren Hals oder die vier an ihrem linken Arm, der das Tuch hielt. Und, was das deutlichste Zeichen war: um ihre modisch kurze Perücke lag ein Stirnband, wie es aus Lotus und Papyrus gewoben auch ein einfacher Schiffer tragen mochte – aber sicher nicht aus getriebenem Kupfer, der diese Pflanzen kunstvoll nachahmte. Auch die Stoffbänder, die das Diadem am Hinterkopf zusammenhielten, zeigten diese Blüten. Da war eindeutig ein Handwerker des Lebenden Gottes am Werk gewesen – und natürlich dessen Zustimmung. Noch freilich trug die junge Dame vorn an der Stirn nicht den Gazellenkopf, der Töchtern des Königs zustand, aber das würde sicher folgen, sobald sie verheiratet war.

 

Nur kurz darauf waren Gepäck und Passagiere verstaut und der Kapitän gab den Befehl zur Abfahrt. Der Weg nach Chem war doch weit für eine Tagesfahrt aber er hoffte es zu schaffen. Die Strömung war stark und seine Ruderer ausgeruht. Dennoch sollte man kaum Pausen machen und er hatte den Matrosen neben ihrer üblichen Arbeit – die Bilgen auf dem Boden ausschöpfen und die Ruderer mit Wasser versorgen - auch aufgetragen, für einen mittäglichen Imbiss der Passagiere zu sorgen. In Chem würden sie beim Herrn der Stadt sicher ein größeres Abendessen bekommen.

 

Die Fünf saßen vor der Kabine im morgendlichen, kühlen, Fahrtwind unter dem Sonnensegel, Merit und Meruka hinten auf Kissen. Der Vorsteher der Gruppe sah sich kurz um, aber die Ruderer, die mit dem Gesicht zu ihnen waren, konzentrierten sich auf ihre Arbeit und die Zurufe des Kapitäns. Dieser stand hinten auf der Kabine, zwischen den beiden Steuermännern, die mit Hilfe der Steuerruder das Schiff auf Kurs hielten. Die Strömung würde es sonst gegen das Ufer drängen, sobald eine Kurve des Iteru kam. Nun, so würde niemand zuhören und er meinte leise: „Gegen Mittag ziehen wir uns in Merits Kabine zurück und besprechen uns für heute Abend. Sonst spielt einfach eure Rollen. - Ist alles dabei, Nefer?“

Diese nickte. „Ja, auch deine Sachen.“ Sie wollte nicht gerade Waffen sagen. „Auch meine.“ Sie hatte auch Schminke für die Männer dabei, um sie je nach Notwendigkeit im Äußeren etwas verändern zu können. Jetzt trug Meruka, wie es sich für einen Einzigen Freund des Königs gehörte, grünen Malachit um die Augen, was sich ein Bauer oder einfacher Bürger nicht leisten konnte. Da fanden andere Materialien als zerriebene Halbedelsteine Verwendung. Geschminkt freilich war jeder, schließlich schützte dieser Zauber und man wurde weniger leicht krank an den Augen als ohne.

„Gut. Ich gehe nicht davon aus, dass wir in Chem schon die Lösung finden, aber wir müssen irgendwo anfangen. - Merit, was weißt du über diese Stadt?“

Das Mädchen aus dem ipet zuckte ein wenig die schmalen Schultern. „Nicht viel, gebe ich zu. Ich war dort nie. Ich weiß nur, dass da der Mächtige Horus verehrt wird, in der Gestalt des Falken, als der Erste von Chem. Es ist eine sehr königstreue Stadt. Und, dass der Vorsteher der Stadt Anchsachmet ist. Seine Ehefrau starb ja.“

„Ja, Merithor. Was weißt du über sie?“

„Nichts, ich kenne sie nicht, ich meine, ich habe sie nie kennengelernt. Ich weiß nur, dass Anchsachmet aus einer Beamtenfamilie stammt und auch bei Hofe ist.“ Das bedeutete eigentlich, dass auch seine Ehefrau dort gewesen sein musste, aber zwischen den Damen um die maat-hor oder die Königinmutter und Beamtengattinen bestand doch eine erhebliche Distanz.

„Hm. Anchsachmets Vater kannte den meinen. Ich werde es so versuchen. - Leise jetzt.“ Ein Matrose kam heran und brachte heute morgen gebrautes Dattelbier.

 

So herrschte Schweigen und gerade Nefer und Merit, die selten auf dem Fluss unterwegs waren, musterten die kleinen Dörfer am Rande, die Bauern auf den Feldern. Es war bereits der vierte Monat der Jahreszeit des Sprießens, Peret, angebrochen und der Flachs wurde eingebracht. Die Getreideernten würden in den kommenden Wochen folgen, aber das war dann schon die Jahreszeit der Ernte, Schemu, und damit würde sich auch die Zeit der Hitze wieder nähern.

Gegen Mittag blickten die beiden Frauen neugierig zu der großen Stadt, die sich rechter Hand erhob. Über den eng zusammengedrängten Häusern ragte der Haupttempel auf.

„Iunu,“ erklärte Meruka hilfsbereit. „Der Tempel des Ra. - Oh, Rahotep, hast du die Neuigkeiten schon gehört?“

Der Arzt zuckte die Schultern. „Viele, aber keine im Zusammenhang mit dem Tempel des Ra. Dort ist doch auch die Schule der Architekten und die zweite, neue, Schreiberschule untergebracht?“

„Ja. Und der Lebende Gott, er lebe, sei heil und gesund, sagte deinem Lehrer Ramose zu, ebenfalls dort eine zweite Schule für Ärzte unterzubringen. Sobekhotep, das ist der Leiter der Schule in Iunu, soll entzückt gewesen sein. Mehr Schreiber und mehr Fortbildung. Das Lebenshaus wird dort neben dem Tempel gebaut werden, wie auch die anderen Schulen.“

„Da sind doch schon Häuser,“ warf Ptahnacht ein, korrigierte sich jedoch eilig: „Ich weiß, sie werden abgerissen und weiter draußen wieder gebaut. Dekret des Herrn der beiden Länder. Daher weißt du es auch wohl.“

„Auch, ja.“

Rahotep lächelte etwas. „Kemet braucht mehr Ärzte, ja. Jede Baustelle, jede Mine, jede Expedition, die in die Wüste zieht, benötigt jemanden. Und eigentlich jedes Dorf, jede Stadt, zumal, wenn man bedenkt, dass es so viele Augenärzte geben müsste. Zu viele Menschen werden blind.“ Gut, wenn der Horus auf dem Thron der Lebenden daran dachte. „Ich fürchte sogar, man kann nie genug Ärzte haben.“ Von Iunu aus zogen die Expeditionen und Steinsucher in die östliche Wüste und zu den Oasen. So war es nur sinnvoll, hier ebenfalls eine Ärzteschule einzurichten und nicht nur in Ibenu-hedj.

 

Zum Mittagessen zogen sich die Passagiere in die Kabinen zurück, zumal es tatsächlich ein wenig zu regnen begonnen hatte, um diese Jahreszeit im Delta durchaus eine übliche Erscheinung, wenn auch eine recht vorübergehende. Es gab sogar Jahre, in denen oben an der Mündung des Iteru, in den Marschen zum Großen Grünen, Schnee fiel. Aber, dachte Meruka, das war in seinem gesamten Leben nur drei Mal vorgekommen, soweit er wusste.

Er blickte lieber in die Runde, schließlich warteten alle auf seine Anweisungen, wenn sie Chem erreicht hatten. „Ich werde mit Anchsachmet reden, unsere Väter kannten sich, und er ist der Stadtvorsteher. Merit, du wirst sicher in den Räumen der Hausherrin untergebracht. Vermutlich haben sie dort schon aufgeräumt. Merithor starb vor vier Wochen, wir könnten höchstens in eine Beerdigung geraten. Nefer, du verschwindest möglichst sofort zu den Dienerinnen in die Küche, Ptahnacht zu den Wachleuten. Ihr alle versucht herauszufinden, wie dieser verhängnisvolle Abend ablief, wer kochte, ob wer bestraft wurde, wer was aß. Es wird schwierig, denn es verging Zeit, aber die Leute sollten sich solch einen tragischen Zwischenfall doch gemerkt haben. Aber sie könnten auch etwas dazu erfinden. - Rahotep, du redet mit dem Arzt, Hekasobek. Natürlich unter Anteilnahme, mit Berufung auf Ramose als deinen Lehrer. Immerhin hat der an ihn auch einen Brief geschickt. Wenn wir möglichst viele Menschen befragen, könnte sich etwas Verdächtiges ergeben. Dann fahren wir weiter nach Sau, wo ja dein Onkel in den Westen ging, Rahotep.“

„Ja. Aber ich bin sicher, ich komme damit zurecht, zumal die Bestattung sicher bereits erfolgte. Es ist der Befehl des Herrn der beiden Länder. Ich kann vermutlich sogar vertrauter mit meinem Vater reden als du.“

Da hatte Rahotep vollkommen recht und Meruka war zu sachlich um nicht nur wortlos zu nicken.

 
 

Chem


 

K

urz hinter Iunu teilte sich der große Fluss in zwei Arme, die sich später zur Mündung hin noch weiter verzweigen würden. Manchmal kamen andere Lastschiffe ihnen entgegen, das Segel gesetzt in dem stetig wehenden Wind aus Norden, der die Ruderer bei der Fahrt gegen die Strömung unterstützte.

Die Götter hatten kemet wahrlich gesegnet, dachte Merit. Die Strömung half immer bei der Fahrt nach Norden, der Wind bei der Fahrt nach Süden. Der Iteru war das Leben des ganzen Landes. Die Überschwemmungen brachten fruchtbaren Boden, Reisen und Handel erfolgte über ihn, viele Fische tummelten sich, und hier, je näher man zum Delta kam, umso mehr erkannte man auch in den Dickichten am Ufer Papyrussammler und andere Leute, die Lotusknollen ernteten, Fische fingen. Die Papyrusboote der Fischer waren freilich jetzt am Nachmittag schon an Land gezogen, wie man in den Dörfern sah. Nur vereinzelt wurden noch die Reusen in Seitenkanälen geleert. Während der Mittagszeit hatten sie und Nefer sich in ihre Kabine zurückgezogen, vorgeblich, um zu ruhen, aber das Mädchen aus dem ipet war zu neugierig auf die Dinge gewesen, die ihre Partnerin an Schminksachen so bei sich führte. Einiges kannte sie, anderes war ihr fremd, da Bauersfrauen oder Fischer sich doch anders herrichteten als Personen im Palast des Lebenden Horus. Umso glaubwürdiger wirkten dann die Rollen, die sie spielten, wie ihr Nefer erklärte, durchaus angetan, die Lehrerin spielen zu sollen.

„Man erkennt an der Schminke, am Schmuck, auch immer den Status der Person, der man gegenübertritt. Natürlich auch am Benehmen, aber das ist der erste Blick. Wenn, sagen wir, Ptahnacht einen Diener spielt, wird er nur eine Perlenkette um den Hals tragen, oder sogar gar nichts. Ist er Wächter des Lebenden Gottes, trägt er Waffen und einen Oberarmring, dazu das Zeichen des Upaut an der Kette. Und so weiter. Die meisten Menschen denken nicht weiter nach, und erkennen nur das, was sie sehen. Oder, sei ehrlich: wie sehr beachtest du die Dienerinnen, die um dich schwirren?“

„Schon, ich meine, wir sind zu viert in unserem Zimmer, ein Fremder würde mir da doch auffallen. Aber, ja, wenn ich in den Gang gehe und jemand dort fegt, würde ich sie immer für eine Dienerin halten und mir gar nichts dabei denken.“

Nefer lächelte. „Genau das ist es.“

„Du bist sehr klug.“

„Danke.“ Die Ältere fühlte sich tatsächlich geschmeichelt. Sie sollte ihre Vorurteile gegen Merit ablegen. Meruka war schließlich auch hochgeboren und behandelte sie fast gleichwertig. „Aber, um ehrlich zu sein, habe ich das aus Notwendigkeit gelernt, nicht ganz freiwillig. Meruka nützt es nur, wie er alle unsere Fähigkeiten nützt.“

 

Jetzt saß Merit, mit Nefer schräg neben sich, wieder unter dem Sonnensegel und betrachtete den Fluss.

„Dort vorne ist Chem.“ Kapitän Paadiptah hatte sich auf dem Kabinendach vor bewegt um seine hohen Gäste zu informieren. „Es wird einen Ruck geben, wenn wir ans Ufer fahren, wenn ich die Damen bitten dürfte sich festzuhalten.“

„Ja, danke, Kapitän,“ gab Meruka zurück. Das kiellose Schiff würde direkt auf den sandigen Strand aufsetzen und von dort entladen werden. „Schickst du gleich Nachricht an den Stadtvorsteher?“

„Ja, natürlich, wie du möchtest, ehrenwerter Vorsteher der Schreiber.“ Diese Passagiere waren pflegeleichter als so manche, die er schon gefahren hatte. Still, leise, keine Sonderwünsche, höflich. War das etwa, weil sie eben dermaßen hochrangig waren, es gar nicht nötig hatten ihre Stellung zu zeigen? Er zog sich zurück, um seinem Schwager und dem anderen Steuermann kurz Anweisungen zu geben. Das Schiff musste jetzt gegen die Hauptströmung hinüber an das östliche Ufer gelenkt werden. Chem, wie jede Stadt, lag auf dem Ostufer, jenseits des Flusses befanden sich die Gräber. Der Westen war das Land der Toten.

 

Merit betrachtete die näher kommende Stadt. Sie war, wie so viele. Weißgekalkte Häuser aus luftgetrockneten Lehmziegeln, die sich zu schmalen Gassen zusammenduckten, der steinerne Haupttempel war in der Mitte zu erkennen. Auch die Häuser darum, Lager, Wohnungen und ähnliches, waren aus Ziegeln. Nur Gräber und Tempel wurden in Stein für die Ewigkeit gebaut. Sie sah beiseite. „Wir werden in das Haus des Stadtvorstehers gebracht?“

„Ja. Sein Name ist Anchsachmet. Ich bin sicher, du wirst passende Unterkunft finden, Meresanch.“ Er war beruhigt, dass sie sich an die Vorgaben hielt. Sie war doch erst zum zweiten Mal bei einer solchen Ermittlung dabei, aber sie hatte wohl im ipet gelernt vorsichtig zu sein. Und Nefer wirkte auch entspannter seit der Mittagspause. Vielleicht verstanden sich die beiden Damen doch besser, als er es schon befürchtet hatte.

 

Anchsachmet, das Stadtoberhaupt, wurde beim Abendessen von dem außer Atem ankommenden Boten überrascht, der ihm die wichtigen Gäste ankündigte. Der Herr von Chem und des dazugehörigen Gaus schluckte hastig. Ein Vorsteher der Schreiber des privaten Büros des Lebenden Horus wäre schon ein Besuch, der aller Aufmerksamkeit bedurfte. Dazu aber noch der Hinweis, die junge Dame in seiner Begleitung sei im Rang einer Königstochter … nun ja. Da galt es Höflichkeit und Bereitschaft zu zeigen. Die Befehle, die seine Lippen geradezu gewitterartig verließen, ließen die Dienerschaft eilig losrennen und Gästezimmer herrichten, das Abendessen deutlich erweitern und Plätze mit den kleinen Tischchen aufzubauen, seine Kinder sich hastig zurückziehen – und die Küche in hektischste Betriebsamkeit verfallen.

Anchsachmet selbst überprüfte kurz sein Äußeres, ehe er sich scheinbar gelassen auf seinen Sessel auf der Empore des Empfangssaales setzte. Er war Mitte Dreißig, Vater von vier noch lebenden Kindern und seit vier Wochen Witwer. Leider, dachte er. Merithor war in den Westen gegangen und hatte ihn nicht nur mit den Kindern, sondern auch nun mit dem Problem allein gelassen, wie man eine Königstochter ihrem Rang entsprechend versorgen sollte. Die Beerdigung war erst vor wenigen Tagen geschehen – und er vermisste nicht nur das Lächeln seiner Frau schrecklich. Sie war seine Ratgeberin gewesen, sein Halt in allen kritischen Lagen. Sie hatte ihn in seiner Laufbahn unterstützt, geholfen, ihn zu einem Stadtvorsteher und adjmer, einem Gauvorsteher, zu machen. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren war er in einer kritischen Lage ohne ihren Rat, ihre Hand auf der Schulter, und er hoffte, wenigstens ihr Ka würde ihm beistehen können. Solch ein hoher Beamter und eine Königstochter kamen vielleicht wirklich nur um der Übernachtung willen zu ihm – aber, wenn sie sich bei dem Horus auf dem Thron der Lebenden beschwerten … Oh, er wollte gar nicht daran denken, dass nicht nur er in den Steinbrüchen zur Zwangsarbeit verurteilt werden konnte, sondern auch seine Kinder irgendwo für den Herrn der beiden Länder arbeiten mussten. Berufsverbote für den Vater wirkten sich auch auf die folgende Generation aus.

 

So musterte er keine halbe Stunde später seine Gäste. Ja, ein Schreiber des Herrn der beiden Länder, dazu mit Amtsstab. Zur gewissen Erleichterung trug dieser Meruka nur die üblichen Amulette seines Berufs: die Göttin Seschat, Halsketten, die er sicher, den Steinen und der Qualität nach, vom Lebenden Gott geschenkt bekommen hatte. Das Mädchen neben ihm trug die neueste Hofkleidung, und Anchsachmet, wie alle Beamten, war oft genug in Ibenu-hedj um das abschätzen zu können. Das kupferne Diadem um ihre Perücke deutete auf extrem hohen höfischen Stand hin, wenn auch nicht auf den einer Königstochter, denn die trugen vorn Gazellenköpfe. Nun, vielleicht sah das auf Reisen auch anders aus? Ein Mann mit Lanze und Dolch im Strick an der Hüfte war an der Tür stehen geblieben. Von hier aus konnte der Hausherr das Amulett nicht genau erkennen, aber er war sicher, dass das einen liegenden Schakal darstellte: Upaut, der Wegöffner, einer der Begleiter des Horus. Und das trugen nur die Leibwachen des Herrn der beiden Länder. Der dritte Mann war eindeutig ein Arzt, das konnte man schon an seinem Koffer sehen, wie auch an dem Amulett der Neith und dem Horusauge, das er trug. Leibarzt des Horus, also.

Meruka neigte höflich den Kopf und so sagte der Ortsvorsteher hastig: „Ich heiße dich, Vorsteher der Schreiber und deine Begleitung in Chem willkommen. Wünscht ihr bei mir zu übernachten?“

„Das wäre in der Tat sehr freundlich. Wir sind auf dem Weg nach Sau und Pe-Dep. - Oh, ich hörte, deine Frau sei verstorben. Möge ihr Ka glücklich sein.“

„Danke, ja. Wir hatten vorgestern die Beerdigung. - Deine Begleitung ….“

„Oh, wenn du Meresanch und ihre Dienerin in die Frauengemächer lassen würdest? - Das ist Rahotep, königlicher Leibarzt. Er, und meine Wenigkeit, haben die Aufgabe diese Reise zu begleiten.“

Das klang geheimnisvoll und interessant. Vielleicht würde der hochrangige Schreiber ihm mehr erzählen? War das nicht der Sohn von einem von Vaters Bekannten? Und nun der Stiefsohn des Sieglers des Königs? Vielleicht konnte er alte Erinnerungen auffrischen und so erfahren, was los war? „Natürlich. Aber darf ich euch zuerst zu einem Abendimbiss einladen, ich bestellte schon in der Küche, als ich hörte, das ihr kommt. Das Reisen auf dem Iteru mag bequem sein, aber richtig zu Essen erhält man doch an Land. - Oh, dort kommen sie schon mit den Schüsseln zum Händewaschen. Bitte, nehmt doch Platz.“ Er sah durchaus interessiert, wie der hohe Beamte unauffällig dafür sorgte, dass diese Meresanch neben ihm zu sitzen kam, obwohl gewöhnlich Frauen und Männer sich gegenüber saßen. Aber es gab ja keine Hausherrin. Sie war also die eigentliche Hauptperson. Ihre Dienerin ließ sich hinter ihr nieder. Sie würde sich bestimmt später etwas in der Küche holen können. Dann erst nahm Meruka Platz und der Arzt. Damit war die Reihenfolge eindeutig geklärt. Er besann sich auf seine Gastgeberpflichten, während die Diener die Schüsseln zum Handwaschen herumtrugen, und die Gäste sich die Hände mit der parfümierten Mischung aus Natron und Pottasche abrieben, die jedermann in kemet nutzte – nur einfache Leute natürlich nicht nach Lotus duftend. „Oh, Rahotep, wenn ich dich so ansprechen darf, königlicher Leibarzt. Vielleicht hast du später Lust mit meinem Arzt zu sprechen? Hekasobek war ebenfalls einst Schüler im Haus des Lebens in Ibenu-hedj, so dass ihr vielleicht gemeinsame Bekannte habt.“

Rahotep nickte prompt, da das ja auch seine Aufgabe war. Von Arzt zu Arzt redete es sich leichter – und er musste dann nur zusehen, was er seinem eigentlichen Vorgesetzten erzählen konnte und was unter das Arztgeheimnis fiel. „Das wäre sehr freundlich von dir, Stadtvorsteher. Ich glaube sogar, er lernte bei meinem eigenen Lehrer, dem Ältesten des Lebenshauses.“

„Das mag sein, ich erinnere mich nicht genau. - Hekasobek lebt und arbeitet drüben am Tempel, mit seinem eigenen Lehrling. Dort behandelt er auch alle Patienten. Fast alle.“ Denn natürlich war der Arzt zu Merithor gekommen, als es ihr so schlecht ging. Aber gewöhnlich machten Ärzte in kemet keine Hausbesuche, sondern die Patienten kamen zu ihnen. „Wenn du möchtest, lasse ich dir den Weg zeigen, natürlich nach dem Essen.“

„Vielen Dank,“ sagte der Leibarzt des Lebenden Gottes höflich. Gut, damit war schon einmal sein Auftrag erleichtert und er konnte, wie Meruka es wollte, mit seinem Kollegen ein wenig diskret plaudern.

 

Nach dem Essen wurden Merit und Nefer in die Frauengemächer begleitet, natürlich mit dem Hinweis, dass die Hausherrin in den Westen gegangen war und leider noch nicht alles wieder so sei, wie es sollte. Merit nickte nur und blickte sich um. „Es ist reizend eingerichtet. Und die Fahrt hat mich doch ermüdet. - Nefertari, ich werde auch ohne dich zurecht kommen, wie ich hier sehe. Schminke mich nur ab, dann geh in die Küche und besorge dir etwas zu essen.“ Eine Handbewegung, die sichtlich langer Gewohnheit entstammte, schickte die übrigen, durchaus neugierigen, Dienerinnen des Hauses hinaus.

Nefer lächelte. „Danke, meine Herrin. Wie großzügig.“ Und leiser: „Man merkt, dass du das schon öfter gemacht hast, perfekt. Komm ins Bad, ich sollte mich beeilen. Die Frauen sind sicher neugierig. Du wirst hier allerdings kaum etwas herausfinden können.“

Merit zuckte die schmalen Schultern, folgte aber ihrer Kollegin in das kleine Bad. „Wie sagt Meruka so schön: aufmerksam bleiben sei alles?“

„Gut, dass du dir das gemerkt hast. Ich gehe in die Küche und rede mit dem Personal, genug Vorwand habe ich. Und sie werden neugierig auf das Leben bei Hofe sein. Ich denke, Ptahnacht und Rahotep kommen dann auch hierher, auch Meruka. Unser Vorgesetzter benötigt die Berichte.“

Merit wollte einen Moment um ihre Tugend besorgt werden, aber sie dachte dann daran, dass ihre Kollegen das sicher schon öfter so getan hatten und auch vorsichtig sein würden. So ließ sie sich nur das weiße Puder abwischen, die Lidstriche und Farbe um die Augen, das Diadem abnehmen. „Danke, Nefer, geh nur, den Rest schaffe ich allein.“ Das mit hellem Ocker eingefärbte Puder schützte das Gesicht vor dem stets leicht wehenden Sand, der bis in die Häuser vordrang. Überdies ließ es die Haut blasser erscheinen und damit interessanter.

Da sie sich auch prompt allein fand, zog sie sich die Ketten ab und den anderen Schmuck, legte die Perücke sorgfältig ab. Darunter trug sie ihr eigenes Haar sehr kurz geschnitten. Dann löste sie den Umhang und das langärmelige Oberkleid. Hier im Haus war es doch deutlich angenehmer, zumal die Pfannen nicht nur Licht sondern auch Wärme gaben. Zugegeben, wie im Sommer unbekleidet mochte sie nicht schlafen, aber sie hatte ein leichtes Hemd dabei. Zusätzlich waren ihr Decken hingelegt worden. So viele, dass sie bestimmt Nefer etwas davon geben konnte, die nur eine Decke und eine Nackenstütze zum Drauflegen zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Sie selbst hatte ihre eigene natürlich dabei, die für ihre Schulterbreite maßgefertigt worden war. Dann legte sie sich auf das Bett und bettete die Schläfe auf das kühle Akazienholz. Bis die Anderen kamen, konnte sie auch schlafen.

 

Sie fuhr in der Tat erst auf, als sie unbewusst die Gesellschaft eines anderen Wesens spürte. Meruka, der gerade behutsam durch die Tür kam und das Rollo hinter sich wieder schloss, lächelte in gewisser Anerkennung. „Vorsichtiges Mädchen, gut.“ Er kam heran und setzte sich ohne weitere Umstände auf ihr Bett. „Du hast nichts in Erfahrung bringen können.“

„Nein.“ Sie wies auf den leeren Raum um sie.

„Die Anderen werden bald kommen. Morgen früh geht es weiter nach Sau. Warst du dort schon einmal?“

„Nein. Aber ich dachte, Rahotep stammt von dort.“

„Ja. Sein Vater ist der Gauvorsteher, und sein Onkel war der Stadtvorsteher. Der starb. Wir werden sehen, ob sein Vater in Sau ist. Als Vorsteher ist er auch zuständig für die militärische Absicherung der Grenzen kemets gegen die libyschen Stämme, die gerade um diese Jahreszeit gern ins Delta einfallen, um Tiere und Ernten zu rauben. Als Wächter der westlichen Grenze, wie dieser Titel lautet, ist es ihm gestattet ohne Rücksprache mit dem Lebenden Horus ein Heer aufzustellen, aus seinem Gau und bis hier, Chem hinunter.“

„Das sind dann kaum nur fünfhundert Mann.“

Man merkte ihre Ausbildung an der Palastschule. „Nein, ich denke um die fünfundzwanzigtausend, im Notfall. Er genießt das Vertrauen des Herrn der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund.“

 

Als die anderen drei der Gruppe ebenfalls fast lautlos hereingekommen waren und sich ebenso formlos auf Merits Bett setzten, zog diese die Beine an und richtete sich ebenfalls lieber auf.

Meruka sah von einem zum anderen. „Beginnen wir bei dir, Ptahnacht. Nach deinem Bericht bewache die Tür.“

Der Krieger nickte. „Alle bedauern den Tod der Dame, sie scheint sehr reizend gewesen zu sein. Anchsachmet trug sie auf Händen. Vier Kinder, der älteste Sohn zehn. Er hatte noch zwei ältere Geschwister, aber die starben. An dem fraglichen Abend fiel auch niemandem etwas auf, die Küche kochte, die Familie aß zusammen, mit einigen Gästen aus der Stadt. Ein Unbekannter kommt nachts hier nicht herein, es ist doch der Sitz des Stadtvorstehers und alle Tore werden verschlossen, das Haupttor bewacht, bis alle Gäste weg sind. Nach einigen Stunden alarmierten Dienerinnen den Herrn und der schickte eilig um den Arzt. Der kam auch, und nach zwei Tagen war Merithor im Westen.“

„Danke. Geh zur Tür. - Was sagt der Arzt, Rahotep?“

Der zuckte die Schultern. „Er steht vor einem Rätsel. Die Symptome, wie er ja bereits in dem Brief geschrieben hatte, erinnerten ihn an eine bestimmte Lebensmittelvergiftung. Aber es traf nur Merithor. Keinem Gast, keinem der Kinder, wurde auch nur schlecht oder er bekam Fieber. Ich fragte ihn, ob sie vielleicht irgendetwas nicht mochte und darum etwas anderes als alle anderen aß, aber das verneinte er. Sie war ja die Hausherrin und sie sagte, was serviert wird. Das Essen wurde auf großen gemeinsamen Platten gebracht und jeder nahm sich oder bekam, die Kinder, einen Teil davon. Es gab Brot, Obst, Fleisch von Enten und Rind und zum Nachtisch Datteln in Wein eingelegt. Das Rind stammte, soweit er weiß, aus den eigenen Herden hier vor der Stadt, die Datteln in Rotwein und der Weizen für das Brot aus den Vorräten des Palastes des Harpunierenden Horus.“

Meruka blickte zu Nefer. „Du warst in der Küche?“

Diese nickte. „Ja. Und sie waren dort alle etwas empört, aber vor allem tief betroffen über den Tod der Herrin des Hauses. Merithor genoss wohl einen vorzüglichen Ruf. Empört deswegen, weil auch schon der Arzt bezüglich der Nahrungsmittel nachfragte und sie sich weder einer Schuld bewusst waren, noch ihnen klar war, wo ihr Fehler gelegen haben könnte. Das Bier, das dazu getrunken wurde, wurde aus der großen Brauerei der Stadt geholt. Frisch am Tage gebraut und an hunderte Menschen verteilt. Das Brot aßen alle, das wurde hier im Haus gebacken, das Obst stammte aus den Gärten Anchsachmets. Kurz, sie sagen, es hätte nichts gegeben, was nicht mindestens einer bis viele auch gegessen haben. Deswegen schließen sie eine Lebensmittelvergiftung vollständig aus, zumal sie für Fleisch und anderes auch ein Kühlhaus haben. Und, natürlich, es auch die kälteste Jahreszeit ist.“

„Hm. Doch der Weizen?“ Der Gruppenleiter blickte zu Rahotep. „Du sagtest doch es gibt eine Getreidekrankheit?“

Der Arzt nickte. „Aber, wie gesagt, das betrifft dann ein komplettes Feld. Ein ganzes Dorf und die Ernte, wohin auch immer diese geliefert wurde. Das sieht man und lässt sich nachverfolgen. Das mit Fieber und Ersticken sind Fälle, die kein Arzt behandeln kann – und so gut wie immer tödlich. Aber, auch noch einmal muss ich darauf bestehen: das passiert nicht einem Einzelnen, sondern einer Familie, oder wer auch immer davon isst. Verdorbenes Fleisch oder auch Gemüse scheint die Hauptursache zu sein. Das kann es bei Merithor jedoch nicht sein.“

„Doch ein zielgerichtetes Attentat,“ vermutete Nefer. „Aber sie war beliebt – und was ist mit den anderen Toten?“

Meruka legte unwillkürlich seine Hand an die Schutzgöttin der Schreiber Seschat, die er an seinem Hals trug und ihn schützen sollte. „Im schlimmsten Fall haben wir es mit jemandem zu tun, der ein unbekanntes Gift verwendet und es willkürlich ausprobiert. Nur, warum sollte jemand das tun?“

„Oder ein Versehen.“ Rahotep dachte nach. „Wenn ein Schiffer, der Essen vom Palast des Harpunierenden Horus verteilt, an irgendeiner unbekannten Seuche erkrankt ist und immer nur einzelne Teile der Ladung berührt ….“

„Ich werde nachdenken,“ beschoss der Gruppenleiter. „Und wir fahren morgen nach Sau. Ich denke nicht, dass wir hier noch viel mehr in dieser Nacht erfahren werden.“

 
 

Zur Festung "Der Schrecken vor den beiden Ländern"


 

A

m folgenden Tag, an Bord der „Wildstier“, zog sich Meruka in die Kabine zurück und legte sich, gegen die Regeln, mit unter dem Kopf verschränkten Armen hin und schloss die Augen. Es war Zeit nachzudenken und für morgen Abend einen Plan zu haben. Heute Nacht würden sie auf einer Sandinsel irgendwo am Ufer des Iteru übernachten, oder in einem kleinen Dorf, die hier, im Überschwemmungsgebiet, nun in der Trockenzeit wieder besiedelt waren. Diese waren alle auf Sandhügeln angelegt, wurden aber bei höheren Fluten überschwemmt. Erst morgen, oder gar übermorgen, würden sie in Sau eintreffen, der Stadt der Neith.

Nach allen Aussagen, auch, was Anchsachmet ihm selbst erzählt hatte, war bei dem Abendessen, an dem Merithor offenbar erkrankte, nichts Ungewöhnliches geschehen. Das Haus selbst war bewacht, abgeschlossen, alles verlief in geordneten Bahnen, wie es sich gehörte. War etwa das Essen gar nicht Schuld an dem Tod der Dame gewesen? Aber die Ärzte waren sich einig, dass die Symptome auf eine besondere Vergiftung durch Lebensmittel hindeuteten. Vor allem das Ersticken am Schluss.

Aber, wenn alle Personen, gerade auch die Kinder, das Gleiche gegessen und getrunken hatten – wo hätte da das Gift liegen sollen? Niemand anderer zeigte auch nur eine Krankheit oder starb.

Überdies, was sollte das für ein Lebensmittel sein, dass nur eine Person aß? Noch dazu immer nur ein Opfer in sieben verschiedenen Fällen und Orten? Hätte es nur Kinder getroffen, hätte man schließen können, dass sie eben zu schwach waren. Aber Merithor war eine gesunde Frau gewesen, die ihre sechs oder sieben Schwangerschaften gut überstanden hatte, alle ihre Kinder waren lebendig zur Welt gekommen, wenngleich die beiden Ältesten in den schweren Jahren zwischen drei und fünf verstorben. Aber hohe Kindersterblichkeit war leider nur zu üblich. Auch seine Mutter hatte mehr Kinder geboren als ihn – und nur er lebte. In Sau hatte es den Stadtvorsteher getroffen, Rahoteps Onkel, ein Mann in den besten Jahren.

Was nur hatten diese Personen gemeinsam? Nichts, im Prinzip, außer, dass sie alle etwas gegessen hatten, das aus dem Palast des Harpunierenden Horus und dessen Domänen stammte.

Oder war genau das der Denkfehler? Das war das Offensichtliche. Gab es noch eine andere Gemeinsamkeit, an die niemand dachte, weil die Orte zwar alle im Delta lagen, aber doch recht weit auseinander? Tagesreisen?

In Chem konnte er niemand mehr fragen, aber in Sau sollte es mit Rahotep als Familienmitglied möglich sein, herauszufinden, was außer Lebensmitteln noch geliefert wurde. Manchmal wurden auch Salböle oder ähnliches als Geschenke des Herrn der beiden Länder verteilt. Da sollte er Nefer fragen, die gewiss von der Herstellung von ihnen allen die meiste Ahnung hatte. Nicht das Essen, vielleicht brachte ein unscheinbares Fläschchen den Tod. Männer, Frauen, Kinder schminkten sich, zumal in den höher gestellten Familien, wie lieber umso mehr mit einem Ehrengeschenk des Lebenden Gottes. Ja, sicher, solch eine wertvolle Gabe geriet nur in die Hände der Familien der hohen Beamten.

Ein Gift, das womöglich die gleichen Anzeichen einer Lebensmittelvergiftung aufwies.

Trotz allem, wie lange die Ausbildung dauerte und wie erfahren und fähig die Ärzte in kemet auch waren – damit würde niemand rechnen. Und Meruka war seinerseits erfahren genug, um zu wissen, dass man nur finden konnte wonach man suchte.

Gleichzeitig bat er Ptah und Sachmet, die Schutzgötter von Ibenu-hedj, dass es doch alles nur Zufall wäre und kein Mörder herumlief, der in diesem Fall überaus wahllos mordete. Andererseits - auch ein Fehler bei der alltäglichen Routine der Salbölherstellung mochte solche fatale Folgen haben. Nun, genau das war sein Auftrag. Und er würde seinen Gott nicht enttäuschen.

Oben an Deck unter dem Sonnendach beobachtete Merit die fruchtbaren Felder und Wiesen, die sich allerdings zumeist hinter den Papyrusstauden verbargen. Sie entdeckte allerlei Vögel im Schilf. „Sieh nur, ein Wiedehopf!“

Nefer, die annahm, dass ihre neue Kollegin versuchte solcherart ihre Rolle zu spielen, meinte höflich: „Du kennst dich gut mit den Tieren am Nil aus. Lernt man das in der Palastschule?“

„Ein bisschen, aber meine Eltern stammten ja aus Per-Bastet im Delta, wenngleich weiter im Osten. Mein Vater war der Stadtvorsteher, aber auch ein wichtiger Beamter am Hofe des Herrn der beiden Länder. So reisten wir oft hin und her. - Nun ja, jetzt am Vormittag wird man keine Ginsterkatze sehen. Sie schleicht sich immer durch den Papyrus und stiehlt Vogeleier. Das habe ich als Kind einmal gesehen.“ Merit redete etwas lauter als nötig, da sie bemerkte, dass der Kapitän Paadiptah auf dem Dach der Kabine über ihnen stand.

Nefertari kannte aus Erfahrung die Bedeutung einer solchen betonten Rede. „So hattest du eine sehr lebhafte Kindheit, Herrin. Ich war ja stets nur in meinem Dorf, bis mich der mächtige Horus, er lebe, sei heil und gesund, zu sich befahl. Und dort gibt es am Iteru keine Schilfpflanzen.“

„Ach, ja, du kommst ja aus der Gegend von Abu, auch, wenn man deinen Dialekt fast nicht hört. Woher bekommt ihr dann den Papyrus?“

„Das weiß ich nicht. Ich denke, er wird eben eingetauscht, gegen andere Waren, wie es üblich ist.“ Nefer war erst wenige Male im Delta gewesen und noch nie zu dieser Zeit, wenn die Flachsernten eingebracht wurden, die Rinder Kälber warfen, alles grünte und blühte. Verglichen mit dem schmalen Fruchtland, das in ihrer Heimat nur direkt am Fluss lag, während dahinter gleich die steinigen Berge der Wüsten aufstiegen, ein Paradies. Kein Wunder, dass die Hirten die Herden bis hierher trieben, um hier das Kalben und Aufwachsen der Jungtiere zu fördern.

„Ja, es wird getauscht,“ mischte sich Ptahnacht ein, dem langweilig war. „Gegen Ziegen oder Papyrus bekommt man schon einen feinen Schurz aus Leinen oder auch die doppelte Menge an Brot, jedenfalls im Süden. Ich war zwar schon in Nechen und so, aber stets im Gefolge des Herrn der beiden Länder, da hat man keine Zeit zu handeln. Und man ist wohlversorgt. Aber, Herrin, du musst bedenken, dass Papyrus ja nur die Schreiber benötigen. Und wie viele gibt es schon. Außer am Hofe des Horus, er lebe, sei heil und gesund. - Oh, wenn ich fragen darf, ich hörte, dass die Königstöchter bei den Jungen ausgebildet werden, ebenso in die Schreiberschule gehen.“

„Ja,“ sagte Merit ehrlich. „Allerdings gab es einen kleinen Vorteil. Wir wurden nicht geschlagen wie die Beamtensöhne, wenn sie Fehler machten. Aber es war das gleiche Arbeitspensum. Man sitzt stundenlang da und schreibt, was der Lehrer aus den alten Schriften vorliest, dann wird mit Rot korrigiert. Jungen, die zu faul waren, wurden geschlagen oder auch gefesselt, um sie an den Sinn dieser Übungen zu erinnern. Später kamen dann auch Rechenaufgaben dazu. Und natürlich war ich mir, eigentlich wir alle, uns des Privilegs bewusst. Mädchen können doch nur wenige Lesen und Schreiben lernen, noch weniger als Jungen. Aber die Damen der königlichen Familie müssen das natürlich beherrschen – und auch die, die für sie arbeiten.“

„Aber ich dachte, keine Frau darf einem Mann befehlen?“ erkundigte sich Ptahnacht. „Also, Verzeihung, Herrin ….“ Er bedachte den Kapitän.

„Du bist neugierig, Wächter,“ tadelte Merit auch prompt. „Nun, das wäre schlimm, wenn es so wäre. Eine Regentin, wenn der Horus noch ein Kind ist, muss allen befehlen. Und auch die Königinmutter, die maat-hor, alles, was sie sagen, wird ihnen getan. Und eine private Schreiberin der Königinmutter, die deren Befehle an deren Domänen weitergibt ….Wo ist das Problem? Jede Herrin eines Hauses befiehlt ihren Kindern, ihren Knechten.“

„Ich bitte um Entschuldigung. Höre, oh Bekannte des Königs … ich wollte dich nicht verärgern.“ Ptahnacht warf einen Blick empor, aber Paadineith hatte sich wieder zu seinen Ruderern zurückgezogen. So lächelte er flüchtig, ehe er leise ergänzte, um auch von den Ruderern nicht mehr verstanden zu werden: „Du hast es drauf, Merit, muss ich sagen. Diesen vermutlich unbewussten Kommandoton.“

„Ich habe nun einmal den Rang der jeweils jüngsten Königstochter.“ Aber sie lächelte ebenfalls, um lauter zu erwähnen: „Ich werde mich jetzt zurückziehen und in der Kabine ein wenig Schutz suchen. Nicht, dass die Sonne noch meine Haut bräunt und ich wie eine Bauersfrau aussehe.“

„Der Ocker und die Kreide schützen,“ erwiderte Nefer, um sich zu verneigen und leise zu sagen: „Aber ja, komm nur, hier sind mir zu viele Zuhörer.“ Natürlich würden sie sich in ihre eigene Kabine zurückziehen, nicht in die, in der Meruka angeblich schlief.

 

Ptahnacht setzte sich etwas aufrechter hin. Er stammte aus einem Fischerdorf an der Meeresküste und musterte noch immer fasziniert die Boote und Reusen, die schwer beladen mit allerlei Fischen nun an Land geschafft wurden. Vor allem natürlich Barsche, die angeblich so groß wie ein Mann werden konnten, aber auch andere kleine Fische, vor allem Äschen, aber auch Hechte und Aale. Er hatte gehört, dass es Waller gäbe, deren Fleisch alles andere als wohlschmeckend sei, aber dafür auch noch giftige Dornen in der Rückenflosse besaßen. Aus seiner Kindheit erinnerte er sich natürlich nur an Meeresfische, wie Rochen, Schwertfische, Drückerfische, aber auch Langusten, Muscheln und vieles andere. Aber Meeresfische waren schwerer zu fangen als hier am Nil. Gerade in den nun ruhigen Kanälen und Armen drängten sich geradezu die Fische um diese Jahreszeit. Zur Zeit der Überschwemmung, im achet, war es fast unmöglich zu fischen, wenn das Hochwasser strudelnd die Dörfer versenkte und das weite Land des Deltas in eine gigantische Wasseroberfläche verwandelte. Selbst von manchen Tempeln ragten nur noch die steinernen Pylonen der Eingänge aus den Fluten des Iteru, der dann natürlich der Gott Hapi war. Umso wichtiger war es nun, möglichst viel Fisch zu fangen, natürlich auch frisch zuzubereiten, aber auch in der Sonne an langen Leinen zu trocknen, um Vorrat für die drei Monate des Wassers zu haben.

„Schlafen unsere Gäste?“

Ptahnacht sah auf und lächelte den Arzt an. Rahotep nahm Platz. Er hatte einen Ruderer behandelt, der sich einen tiefen Riss am Arm zugezogen hatte, um eine Hitze des Körpers und eine Entzündung zu vermeiden. Der Kapitän nutzte es, dass er einen königlichen Leibarzt an Bord hatte. Rahotep hatte, wie jeder Arzt, stets wichtige Zutaten in seiner Tasche, für solch einen Fall Küchenzwiebeln und Honig, sowie Blätter der Nilakazie. Allerdings waren diese Dinge für die Kollegen gedacht, da sie sich so manches Mal im Auftrag des Herrn der beiden Länder Verletzungen zugezogen hatten. So erwiderte der königliche Wächter: „Du kennst doch vornehme Damen. Meresanch fürchtet die Sonne. - Den Vorsteher der Schreiber habe ich lange nicht gesehen.“

Das bedeutete für Rahotep, dass sich ihr Vorgesetzter und die Damen vermutlich unterhielten – und hier zugehört werden konnte. „Nun ja, mir soll es recht sein wenn sie nichts von mir wollen.“ Er lehnte sich gegen die Kabine. „Weißt du, wie lange es noch bis Sau ist?“

Ptahnacht war ein wenig überrascht, stammte sein Kollege doch von dort, meinte jedoch: „Der Kapitän meinte heute Abend übernachten wir auf einer Insel. Nun, keine richtige Insel, ich vermute doch, dass er uns die Nilpferde und Krokodile vom Hals halten will. Dort liegt eine Festung, um den Weg hinüber in das Tal des Natron zu schützen. Sie heißt der Schrecken vor den beiden Ländern.“

„Ah, ich erinnere mich. Von dort aus sind wir einmal zu einer Strafexpedition gegen die Libyer, die tehenu, aufgebrochen. Der Lebende Gott selbst nahm daran teil, er lebe, sei heil und gesund. - Dann werden wir übermorgen in Sau sein.“

„Ja. Warst du schon einmal dort?“

„Ja. Du?“ Harmlos bleiben, Gespräche führen, die die Ruderer oder auch den Kapitän nicht misstrauisch machen würden, das war wichtig. Meruka und die Damen würden ihren Part übernehmen. Und wer wusste schon, was noch alles auf sie wartete.

 

Meruka hörte, dass die Damen sich zurückzogen und richtete sich auf, ordnete etwas den verrutschten Schmuck, seine Perücke. Er musste mit Nefer reden. So wartete er kaum, bis die beiden Frauen ihre Kabine betreten hatten, sondern huschte gleich hinüber und fing das Rollo ab. Nefer fuhr prompt herum, erkannte ihn jedoch sofort. Er bedeutete hastig leise zu sein. „Ich habe eine Frage,“ gab er gedämpft an.

Beide Frauen nahmen Platz und sahen ihn an, bis er sich neben der Kiste niedergelassen hatte. „Zeig mir deine Schminkartikel, Nefer. Was davon würde der Herr der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, als Geschenk oder Ehre geben?“

Nefertari öffnete den Deckel. „Ich muss nur deine Waffen beiseite legen,“ murmelte sie und legte diese auf den Teppich. „Nun ja, sicher diese Juwelenfarben für die Augen. Sie werden schon gemahlen, meist, und dann als feste Paste vergeben. Man nimmt dann nur einen Pinsel aus Binse mit Wasser und streicht sich die Lider an. Aber natürlich vor allem auch Salböle aller Arten. Je kostbarer, umso höher die Ehre.“ Sie unterdrückte ihre Frage, was er damit wollte. Das sollte er als doch Vertrauter des Lebenden Gottes eigentlich wissen.

„Wenn wir in Sau sind, wird sich Rahotep vor allem mit seiner Familie unterhalten. Aber fragt ihr die Damen des Hauses, denn seine Mutter und Schwägerin leben dort, auch seine Tante, die durch den Zwischenfall Witwe wurde. War unter den Geschenken nicht nur Essen, sondern auch Leinen oder Salböl oder anderes. Es ist nicht gesagt, dass nicht in der Salbenherstellung ein, durchaus tödlicher, Fehler passiert ist.“

„Ja, das klingt logischer,“ meinte Merit leise. „Es starb ja immer nur einer. Und selbst Kinder werden eingeölt.“ Es schützte die Haut vor dem stetigen Sand und der stechenden Sonne.

„Schon,“ wandte Nefer ein. „Aber, soweit ich weiß, werden große Krüge von Öl aller Arten hergestellt. Dann werden die Pflanzen gesucht, wie Lotos, und in Tücher gewickelt und darüber ausgepresst. Das tropft in das Öl und das erhält dadurch den Duft. Das macht niemand allein. Und die Krüge sind doch recht groß. - Oh.“ Sie hatte ihren Gedankenfehler erkannt und nahm ein Fläschchen aus blaugrüner Fayence aus der Kiste. „Das hier ist Horusöl, das wertvollste. Ich sah noch nie, dass es größer abgepackt war. Aber ich weiß auch nicht, was darin ist.“

„Es riecht mild,“ meinte Merit. „Und, um ehrlich zu sein, es ist immer so klein, eben, weil es kostbar ist. Außer dem Herrn der beiden Länder selbst erhalten es nur hohe Günstlinge und die königliche Familie. Es muss sehr schwer zum Herstellen sein. Aber ich hörte, dass einige Leute in ihren Gräbern sich das Öl für die Schilffelder des Westens auf ihren Opfertafeln bestellen. Zusammen mit anderen Ölen. Es sind, denke ich, immer mehrere. Für den Körper, die Lampen, zum Kochen.“

Nefer nickte und blickte zu ihrem Vorgesetzten. „Das meinst du. Öl, so kostbar, dass es eine hohe Ehre ist. So etwas Feines lässt doch kein Stadtvorsteher oder hoher Beamter stehen. Er schenkt es seiner Frau oder nimmt es selbst her, nicht wahr?“

„Ja, daran dachte ich,“ gab Meruka zu. „Denn wir müssen herausfinden, ob es einen Fehler in der Herstellung gibt – oder es jemand absichtlich tut. Gleich, was es ist, jeder Tote ab nun geht auf uns.“

Beide Frauen nickten.

 

Die Festung „Schrecken vor den beiden Ländern“ lag auf der Westseite des großen Flusses und überragte das kleine Dorf, das sich dort gebildet hatte. Die Festung selbst war aus Lehmziegeln erbaut, von einer hohen Mauer umgeben. Fast hundert Krieger waren hier stetig stationiert, im Augenblick allerdings nur eine kleinere Einheit, wie die Besucher rasch erfuhren. Der Gauvorsteher und Wächter der westlichen Grenze, Rahoteps Vater Merigeb, hatte alles an Männern, was zu dieser Zeit zu entbehren war, zu einem Zug gegen die Libyer aufgefordert.

Daher war der derzeitige Kommandant der Festung kaum vierzehn Jahre alt und begrüßte den hohen Besuch bemüht höflich – und erfreut, denn er erkannte seinen Cousin. Merira war der Sohn des verstorbenen Merinut, und erst vor drei Tagen nach der Beerdigung seines Vaters in Sau hierher zurückgekehrt.

Da sich die Damen höflich zurückzogen, in ein winziges Gästezimmer im Dorf, wo ihnen die Frauen behilflich sein sollten, und Ptahnacht ihnen als Wächter folgte, sah der junge Mann von dem ranghohen Vorsteher der privaten Schreiber des Horus zu seinem Cousin.

Meruka ahnte, dass Merira erzählen wollte, nun, das wäre in ihrer aller Sinn. So meinte er nur: „Es scheinen die tehenu nie Ruhe geben zu wollen. Ich selbst nahm schon an einer Strafexpedition teil, die der mächtige Horus, er lebe, sei heil und gesund, in höchsteigener Person anführte. Daher kenne ich diese Festung. Es mag schon acht Jahre her sein.“

Der junge Festungskommandant nickte. Natürlich konnte man solch einem hochrangigen Beamten, der sicher jeden Tag den Lebenden Gott erblickte, gar ihn reden hörte, auch alles sagen. „Ja, die Libyer haben eine Karawane in die Oasen abgefangen und eine Reihe Waren erbeutet, dazu auch einige Herden, die auf dem Weg zu den Weiden hier in den Norden kamen. Onkel… ich meine, der Gauvorsteher Merigeb ist dafür verantwortlich und wird sicher einige der Dörfer dort zerstören und Rache nehmen.“

Meruka sah beiseite, um sicherzugehen. „Merigeb, der Herr des Gaus, ist dein Vater, Rahotep, und dein verstorbener Vater, Merira, hieß Merinut. Aber, wenn du nun hier bist, wer ist in Vertretung der Herr der Stadt Sau?“

Merira nickte etwas: „Da Rahotep ja die ärztliche Laufbahn vorgezogen hat, natürlich mein anderer Cousin, Cheprihotep. - Oh, Rahotep, Sesheshet ist schwanger. Dein Bruder wird sicher bald Vater.“

Eine große Familie, dachte der Ermittler. Und, da Rahotep persönlich betroffen war, würden sie hier hoffentlich auch mehr Informationen bekommen. Hier, und in Sau selbst. Denn, soweit er sich entsann, war Merigeb verheiratet, Merinut war es gewesen und auch Cheprihotep, der jüngere Sohn war anscheinend verheiratet. Rahotep hatte nach dem Tod seiner Verlobten nach keiner anderen Frau mehr gesucht, obwohl sicher viele bereit gewesen wären, einen Leibarzt des Königs zu ehelichen. Nun ja, dachte er selbstkritisch. Er hätte auch die Auswahl – aber er liebte nur seine Ermittlungen. Eine Ehefrau und mögliche Kinder würde er nur in Gefahr bringen.

Der Arzt des Königs blieb familienorientiert. „So ist Vater mit vielen Männern ausgezogen, wenn er auch hier den Kommandanten mitnahm?“

Merira sah auch prompt zu ihm.„Oh ja, fast fünfzehntausend. Mehr wollte er nicht, er sagte, er könne auch sein, dass weiter nördlich ein zweiter Schlag erfolgen solle. Immerhin ist es doch ungewöhnlich, dass sich mehrere Stämme zusammentun.“ Etwas leiser fügte er hinzu: „Er konnte ja nicht wissen, dass mein Vater ….“

Sein älterer Cousin beruhigte sofort. „Nein, natürlich nicht. Dann habt ihr nur Boten zu ihm schicken können, ich meine, du und Cheprihotep?“

„Um ehrlich zu sein, hat das hauptsächlich deine Mutter, Tante Baunefer, in die Hände genommen. Meine arme Mutter befand sich in einem schrecklichen Zustand. Vater so leiden zu sehen machte sie selbst krank.“ Und ihn fast auch. Er hatte nicht gewusst, wie grässlich es sei, einen Menschen qualvoll sterben zu sehen.

„Natürlich,“ sagte Meruka hastig. „Es ist immer schlimm, einen Familienangehörigen sterben zu sehen, noch dazu den eigenen Ehemann. - Darf ich nur um etwas zu trinken bitten?“

Der junge Kommandant erkannte entsetzt, dass er seinen Gästen weder zu Trinken noch zu Essen angeboten hatte. Was wohl Onkel oder gar der mächtige Horus davon halten mochten? „Verzeih. Ich war so überrascht von der Meldung ….“ Nun, das machte es vermutlich nicht besser. Ein Festungskommandant sollte nie überrascht werden können. Aber er bestellte eilig bei den Dienern das Mahl.
 

Nachdenken


 

N

ach dem Abendessen mit dem jungen Festungskommandanten und Rahotep war Meruka überzeugt sehr viel neu erfahren zu haben. Oder auch nicht.

 

Der adjmer, Gauvorsteher, des Neithgaus war nach den Meldungen über die Überfälle unverzüglich aufgebrochen, zunächst mit allen in Sau und Umgebung verfügbaren Männern, die anderen waren unter Befehl seiner engsten Mitarbeiter gefolgt. Die Regierung des Gaus hatte er seinem Bruder anvertraut, der das schon öfter durchgeführt hatte. Nicht seinem Sohn. Schön. Laut Rahotep war das immer schon so gewesen, dass Merinut die Vertretung innehatte, noch aus Zeiten, als die jeweiligen Söhne in Ibenu-hedj in der Ausbildung waren. Überdies war Merinut der Stadtvorsteher gewesen. Rahotep selbst, der als Ältester gewiss in Frage gekommen wäre, hatte sich für den Beruf des Arztes entschieden, eine Wahl, mit der sich inzwischen auch sein Vater angefreundet hatte, zumal die Karriere seines Sohnes doch recht zufriedenstellend für den hohen Beamten verlief. Der junge Merira hatte hier als Festungskommandant arbeiten sollen – das Interesse der Familie und die Sicherheit des Gaus wahrend und doch etwas außerhalb der eigentlichen Gefahrenzone eines Krieges.

Soweit Merira wusste, war sein Vater nach einem Abendessen erkrankt, das er im Kreis der Familie zu sich genommen hatte. Es waren also mindestens seine eigene Ehefrau, seine Schwägerin, Rahoteps Bruder und dessen schwangere Ehefrau dabei gewesen. Und nur Merinut war erkrankt und nach wenigen Tagen in den Westen gegangen. Wieder die Symptome einer Lebensmittelvergiftung, wieder nur ein Opfer im Kreis einer Familie. Was war bloß falsch? War es doch ein Salböl? Irgendetwas vollkommen anderes, an das niemand dachte?

Er brauchte mehr Informationen, und die würde es in Sau geben. Und de facto vor allem im Palast des Harpunierenden Horus in Pe und Dep und dessen Domänen. Aber da sollte man vorsichtig mit der Tarnung sein. Merit würde natürlich als Königstochter agieren können, er selbst als Vorsteher der privaten Schreiber des Lebenden Gottes - aber, um in die Scheunen und Werkstätten gehen zu können wäre etwas anderes notwendig. Und würden Ptahnacht und Nefer die wichtigeren Sachen übernehmen können und müssen. Und auch und gerade Rahotep als Arzt. Was passierte wo und welche Wirkung konnte es haben?

Nun, erst einmal sollte er sich die Vorgehensweise in Sau gut überlegen. Es handelte sich um Rahoteps Familie, und auch, wenn der Arzt gelernt hatte nüchtern und sachlich zu agieren – es war nun einmal seine engste Familie. Überdies war der adjmer, der Gauvorsteher, Merigeb, einer der Männer, denen der Herr der beiden Länder am meisten vertraute, auch entfernt mit diesem verwandt.

 

Meruka verschränkte die Hände hinter dem Kopf – eine sehr unübliche Haltung, wie er wohl wusste, aber so dachte er am Besten nach.

Er würde Rahotep sein Leben anvertrauen, kannte den seit sieben oder acht Jahren – aber wie reagierte der in seiner Familie? Es half nichts, er musste sich selbst gegen seinen Freund absichern. Wobei, Freund? Das durfte man sich bei verdeckten Ermittlungen nicht leisten. Er wusste, seitdem ihn Hekaptah, der Siegler des Königs und dritter Mann in kemet, der Ehemann seiner Mutter, ihn seit drei Jahren so einsetzte, dass er seine Mitarbeiter in Gefahr und womöglich den Tod schickte. Aber das hatte er auch schon als Befehlshaber einer Schar von fünfzig Männern gegen die Sandleute tun müssen, und da war er knapp achtzehn gewesen. Das war der Preis, wenn man hoch in der Hierarchie stand, lesen und schreiben konnte. Und manchmal fragte er sich, wie Hekaptah oder auch der tjati, Sobeknacht, das empfanden. Die Verantwortung, die sie trugen, wog noch viel schwerer. Der Herr der beiden Länder, Horus Quahedjet, mochte das ähnlich verspüren, war er doch ein Gott und den anderen Göttern gegenüber für die Aufrechterhaltung der maat in kemet, und damit in allen Ländern, über denen die Sonne aufging, verantwortlich.

Nun, Selbstmitleid half nicht. Er musste einen Plan haben, wenn ihn seine Mitarbeiter später aufsuchten.

 

In dem kleinen Raum, in dem man sie und Nefer als ihre vorgebliche Dienerin untergebracht hatte, wartete Merit geduldig bis diese wiederkam. „Sie waren neugierig?“ fragte sie nur.

Die „Wärterin des Apisstieres“, wie Nefers offizieller Priestertitel lautete, dem sie ihr geregeltes Einkommen verdankte, nickte schlicht, als sie sich niederließ. „Das kannst du dir vorstellen. Es ist eine Festung des mächtigen Horus, er lebe, sei heil und gesund, aber dennoch haben sie meist nur Beamte zu Gast, die eben dort übernachten. Frauen haben sie selten. Und natürlich wollen sie möglichst viel über das Leben in einer Stadt wie Ibenu-hedj wissen oder gar am Hofe des Herrn der beiden Länder.“

„Ich denke mal, du hast sie auch ausgefragt?“

„Natürlich.“ Die Ältere beschloss aus der auf dieser Reise gewonnen Erfahrung ehrlich zu sein. Merit gab sich Mühe und sie sollte ihre persönliche Antipathie gegen eine junge Frau, die in ihrem Leben kaum auf Probleme gestoßen war, sein lassen. Das war unprofessionell. „Der Trick ist in tausend Worten weniger zu sagen, als der Andere in hundert. - Der Befehlshaber der Festung ist der Sohn des Toten, Merira, ungefähr fünfzehn. Er erhielt das Kommando, da sein Vater die Stadt Sau leiten sollte, während der eigentlich Verantwortliche, namens Merigeb, sich mit Tausenden von Männer auf einem Feldzug gegen aufsässige tehenu befindet.“

„Das ist Rahoteps Familie.“

„Ja. - Wir werden heute sicher kaum mehr Anweisungen erhalten, eher morgen, wenn wir Meruka wieder sehen und an Bord der Wildstier gehen.“

„Darf ich dich noch zu Meruka etwas fragen, oder eher, zu dem, was du für ihn in meiner Kiste hast?“

Nefer, die bereits die Augenbrauen hochgezogen hatte, verstand. „Nichts privates, der Bogen?“

„Ja. Ich wusste nicht, dass ein Bogen aus mehreren Teilen zusammengesetzt werden kann.“

„Wird er gewöhnlich auch nicht. Aber Meruka hat ihn von einem besonderen Lehrer, einem Nubier, den sein Vater einst gefangen nahm. Der bildete ihn im Bogenschießen aus. Er war vom Stamm der Medjai. Sie sind berühmt für ihre Bogenkünste. Und Meruka war wohl ein guter Schüler.“

„Ich dachte in kemet gibt es nur Lanzenträger und Steinschleuderer.“

„Und wenige Bogenschützen, geschweige denn solche, ja. Ich weiß nicht genau, was er kann. Ptahnacht sah einmal, wie er auf mehr als dreißig Schritte einen Mann tötete. Und dass das seine noch sichere Entfernung ist. So ein Bogen muss ja erst auch noch zusammengebaut und gespannt werden. Ich weiß nur, das Meruka da sehr schnell ist.“ Nefer lächelte etwas. „Ich bin froh, dass ich in aller Regel auf seiner Seite stehe.“

Merit rieb sich unbehaglich die Arme. „Seltsam. Ich hätte immer gedacht, dass er eben ein Schreiber ist und denken kann. Und Ptahnacht der Gefährlichere ist.“

Nefertari lächelte etwas. „Wir sind alle irgendwie gefährlich. Auch Rahotep oder ich. Ich würde sagen, du reist in ziemlich gefährlicher Begleitung durch kemet, Königstochter.“

„So sollst du mich nicht ansprechen, das steht mir nicht zu,“ protestierte Merit prompt, aber sie dachte nach. „Ja, vermutlich. Und in kaum sichererer.“

 

Die drei männlichen Gäste hatten ein gemeinsames Zimmer in der Enge der Festung zugeteilt bekommen und es war bereits spät, als auch Rahotep zu seinem Vorgesetzten und Ptahnacht zurückkehrte. Er hatte noch mit seinem Cousin geredet und zog sich Perücke und Schmuck ab.

„Noch etwas Neues?“ erkundigte sich Meruka.

„Leider nein, nichts, was zu unserem Fall passt. Außer, dass Merira ein Mädchen im Auge hat, aber er hat sie noch nicht gefragt.“

„Aus Sau.“

„Ja. Sein Vater hätte wohl nichts dagegen gehabt, aber der meine. Nun ja. Das ist wie bei mir. Er befürchtet, wenn man nicht rasch und gut Verbindungen knüpft, kann man nie wirklich weit aufsteigen.“

„Deswegen war er auch gegen deine Lehre als Arzt?“ fragte Ptahnacht, der sich bereits niedergelegt hatte, aber bei Weitem nicht schlief.

„Ja. Ein Arzt ist eben, bis auf die ranghöchsten Männer, nur ein unterer Hofbeamter, über „semer des Hauses“ kommst du nicht hinaus.“ Und der Hoftitel, der die Nähe zum göttlichen Falken anzeigte, zählte weit mehr als der Amtstitel. Selbst im Grab galt diese Regel: wenn man nur einen Titel schreiben konnte, wählte man den ranghöchsten Hoftitel.

„Das ist wahr.“ Meruka dachte kurz nach. „Aber er ließ dich studieren, nachdem der Vorsteher der Ärzte und Älteste des Lebenshauses deine Bildung übernahm.“ In der Hoffnung, dass der seinem Sohn in die höchsten Ehren helfen würde.

„Ja, genau. Und ich denke, als ich ihm vor einigen Wochen schrieb, dass ich semer und königlicher Leibarzt geworden bin, hat ihn das doch sehr beruhigt.“ Ein Mann, der nur den Titel eines „semer“ führte, stand im Hofrang über dem „semer des Hauses“, da er näher zum Herrn der beiden Länder durfte, bei Audienzen oder auch einfach in den diversen Wartehallen. Früher hatte dieser Titel sogar nur Königssöhnen zugestanden, nun gut, vor hundert Jahren. Und ein königlicher Leibarzt wurde bei Problemen in der königlichen Familie gerufen, gar des Herrn der beiden Länder selbst, durfte ihn manchmal sogar berühren. Das war sicher etwas, was auch seinen Vater beeindrucken konnte, denn dieser war als so ranghoher Provinzbeamter durchaus auch oft genug bei Hofe, um die dortigen Spielregeln zu kennen. Schließlich wollte der tjati mindestens ein Mal im Jahr persönlichen Bericht, nach solchen Zwischenfällen wie im Augenblick mit den Sandleuten des Westens sicher auch prompt. Falls nicht sogar der Lebende Horus persönlich Bericht wünschte.

„Gut.“ Meruka zog sich die Decke über und drehte sich seitwärts, um die Schläfe auf seine private Kopfstütze zu legen, die für seine Schulter maßgefertigt worden war. „Dann weiß ich schon, wie ich dich deinem Vater vorstellen werde. - Und überlege dir, Rahotep, ob dir nicht noch irgendeine Pflanze, ein Öl, einfällt, dass diese Symptome hervorrufen kann – obwohl es vielleicht in einem vollkommen anderen Zusammenhang steht.“

„Die Bücher der Ärzte werden seit Jahrhunderten geführt, Meruka. Was da drin steht, ist hundertprozentig wahr und erprobt. Nur, wenn etwas Ungewöhnliches und Neues dazu kommt, wird es ergänzt. Es können nicht alle Ärzte vor dir sich geirrt haben. - Nun ja. Ein anderer Zusammenhang. Vielleicht ein neues Salböl, ein neuer Duft, ausprobiert, mit verheerenden Folgen, meinst du.“

„Ja, genau das.“ Meruka wusste, er musste behutsam sein. Alle Ärzte hatten eine lange Lehre hinter sich und das Wissen ihrer Vorgänger gelernt. Sie hatten es nicht gern, wenn ein Laie daran zweifelte.

 

Nach dem ausgiebigen Frühstück, der Mundwaschung, wie man es nannte, zu dem auch die beiden Damen geholt worden waren, wurden die Besucher, Merit und Meruka in den hölzernen Sänften, wieder zurück zu der Wildstier begleitet,

Kapitän Paadiptah begrüßte seine hohen Gäste bereits vor seinem Schiff mit einer tiefen Verneigung, wartete jedoch höflich ab, bis der ranghohe Schreiber der jungen Dame an Bord geholfen hatte und diese mit ihrer Dienerin sich in die Hütte zurückzog, gewiss, um ihre Kisten wieder einzurichten. Frauen hatten doch immer recht viel Schmuck und Schminke, je ranghöher sie waren, desto mehr, wobei auch die Herren da kaum zurückstanden.

Meruka senkte seinen Amtsstab auf den Boden um sich abzustützen. „Nun, Kapitän?“

„Ich weiß bislang noch nicht, wie dein weiterer Reiseplan aussieht. Nun, ja, Sau, aber dann? Muss ich die Männer austauschen oder bekommen sie zwei Tage in Sau?“

„Du sorgst dich um sie, das ist gut und zeugt von deiner Verantwortung. - Nein, ich denke, wir sind sicher zwei Tage in Sau und sie können sich erholen.“ Sau war mit Rahoteps Hilfe einfach DIE Gelegenheit herauszubekommen, was genau bei diesen fatalen Essen serviert wurde oder überhaupt geschah. Das wäre der Ort an dem man, mit Ausnahme eben des Königspalastes bei Pe weiterkommen musste. Er musste es schaffen. Vor dem lebenden Gott kemets versagte man nicht – die Konsequenzen für das jetzige Leben und in alle Ewigkeit waren zu schrecklich.

 

Auf der weiteren Fahrt in den Norden wurde es merklich kühler und begann zu regnen, ein seltener Genuss, der weder Meruka noch seine Mitarbeiter davon abhielt, sich unter dem Sonnendach leise zu unterhalten, gegenseitig Bericht zu erstatten.

„Es ist wahrlich ein Rätsel,“ murmelte Merit am Ende. „Wenn alle das Gleiche gegessen haben ….“

„Und es unterschiedliche Wirkungen hatte, ja.“ Meruka sah sie an. „Aber das bedeutet nur, dass vermutlich etwas anderes als das Essen die Ursache des Todes war.“

Sie sah ihn an. „Und was, glaubst du?“

„Ich glaube gar nichts. Wir müssen es finden.“

„Ich habe nachgedacht,“ sagte Rahotep. „Deine Idee mit einem Salböl wäre im Prinzip gut. Es wurde, nun, sagen wir verunreinigt, und das spätere Opfer freut sich ein so wertvolles Geschenk des Herrn der beiden Länder zu erhalten. Es reibt sich ein, natürlich nur sich selbst, und stirbt. Das wäre durchaus denkbar, es gibt gewisse Stoffe, die ich natürlich nicht nennen werde. Nur: in Chem war es die Hausherrin, in Sau mein Onkel, woanders Kinder … Wer gibt seinen Kindern solch ein Fläschchen in die Hand? Das wertvollste Öl überhaupt? Womöglich denken wir zu kompliziert und es handelt sich um etwas ganz einfaches, das wir nur nicht sehen.“

Der königliche Schreiber nickte. „Ja, das befürchte ich auch. Es gibt manche Menschen, die auf bestimmte Nahrung hin krank werden. Womöglich so etwas, aber in Salbenform. Und es kam nur auf, weil es sich eben um hochstehende Personen handelte, die einen Arzt befragen konnten. Ich befürchte, dass durchaus hundert Bauern gestorben sind.“

„In diesem Fall würde es aber kaum um königliche Geschenke gehen,“ warf Merit prompt ein.

Meruka nickte erneut, froh, dass seine Mitarbeiter auch mitdachten. Schon in jungen Jahren, bei Einsätzen gegen die Sandbewohner, hatte er gelernt, dass nur Befehle erteilen zwar einfacher war, aber nicht unbedingt zum Erfolg führte. „Ja, aber das müssen wir eben herausfinden. Wenn ein bestimmtes Öl Menschen in den Westen schickt, wird der göttliche Falke, er lebe, sei heil und gesund, das sicher nicht mehr herstellen lassen. Liegt dagegen ein Fehler eines Menschen vor, nun ….“ Ja, dann würde der Schuldige den Zorn eines Gottes zu spüren bekommen. Aber, und da machte sich Meruka keine Illusionen, fand er keine Lösung, würde er eben dieses tun. Und auch sein Stiefvater würde ihn weder schützen wollen noch auch nur können. Der Fluch des Herrn der beiden Länder war wirksam und mächtig in alle Ewigkeit. Abgesehen davon, dass er sich auch nur ungern als Befehlshaber über fünf Mann, oder gar als Rangniedrigster, an einem öden Wachposten am Horusweg nach Osten wiederfinden würde. „Wenn wir in Sau sind, Merit und Nefer, redet mit den Frauen. Rahoteps Mutter heißt Baunefer, ihr Mann ist auf dem Feldzug. Ihr zweiter Sohn heißt Cheprihotep und ist momentan der Stadtherr, in Vertretung seines Vaters. Sesheshet ist seine Ehefrau. Die Witwe des Opfers und Mutter von Merira, unseres Gastgebers letzte Nacht, heißt Meritneith. Kennst du jemanden, Merit?“

Das Mädchen aus dem ipet dachte kurz nach. „Baunefer, denke ich. Sie hat den Titel einer Königsbekannten und war öfters auch bei der maat-hor oder der Königinmutter, wenn sie in Ibenu-hedj waren.“ Sie warf einen Blick auf Rahotep. „Ich habe allerdings nicht gewusst, dass sie deine Mutter ist.“

Der Arzt zuckte ein wenig die Schultern. „Nun ja, ich besuchte sie bislang, wenn sie in Ibenu-hedj waren. Vater nimmt Mutter ja immer mit, wenn er Bericht erstattet oder Steuerklärungen abgibt. Ihre Familie stammt aus Nechen und so bietet es sich an, dass sie sich bei den jährlichen Treffen sehen können. Ich selbst lebe seit meiner Ausbildung im Lebenshaus. Ich werde mit meiner Muter auch reden, mit meinem Bruder, aber ihr seid natürlich auch gefragt. So nahe wie in Sau kommen wir an keine andere der betroffenen Familien heran. Und, ehrlich gesagt, ich habe meinen Onkel gemocht. Ich möchte gern wissen woran er starb und damit auch die anderen. Ich gebe zu, ich persönlich vermute, dass es nicht am Essen lag sondern an etwas anderem. Meruka meint Salböl oder so, das mag sein. Aber das würde wenigstens erklären, warum es nur eine Person traf. Es könnte ein Gewürz, ein Kraut, aus der Fremde sein, ich hörte schon einmal, dass jemand ausgerechnet auf den göttlichen Weihrauch reagierte.“

„Ich denke auch an den Versuch Menhekat zu töten,“ erwiderte der Gruppenleiter sofort. „Eine Feuerschale mit gewissen Kräutern. Aber, sowohl dein Onkel war verheiratet, als auch in Chem Merithor, sie hatte sogar Kinder. Das Risiko nicht nur einen, sondern mehrere zu treffen, falls es Absicht war. War es nur ein Versehen? Hat jemand neue Kräuter als Tribut nach kemet geschickt und niemand kennt die Gefährlichkeit? Und, da sie so kostbar sind, werden sie eben auch selten verarbeitet und verteilt? Ich bezweifle nicht, dass der Stadtvorsteher von Chem, Anchsachmet, oder auch deine restliche Familie, Rahotep, unschuldig sind. Das ist kein einfacher Mord. Niemand anderer hat etwas bemerken können. Aber es ist eben die Frage ob Fahrlässigkeit oder Mord. Wir drehen uns im Kreis. In Sau liegt die beste Möglichkeit etwas zu finden. Und, leise jetzt.“ Er sah warnend zu den Ruderern.

Nefer begriff sofort. „Oh, Herrin,“ begann sie lauter als nötig, aber ja, einige Ruderer bemühten sich anscheinend zuzuhören, was bei dem Wind und Regen schwierig war aber natürlich musste man vorsichtig sein. „Sieh doch, da drüben, ein Flusspferd. Ich hörte, das sind die gefährlichsten Tiere in ganz kemet. Aber so ein großes Schiff werden sie nicht angreifen.“

„Nein, du kannst unbesorgt sein,“ erwiderte Ptahnacht prompt. „Sie greifen solche hölzernen Schiffe nicht an, nicht einmal die Papyrusboot, die hier im Delta üblich sind.“

„Überdies hat der Kapitän gestern und vorgestern stets Opfer gebracht, um die Götter zu beruhigen,“ meinte Merit. „Das sollte man nie vergessen. Und er machte auch, als wir losfuhren das Handzeichen gegen … nun ja, Seths Tiere.“ Man sollte die Gefahr nie aussprechen oder zeichnen, sonst wurde sie zur Wirklichkeit. Selbst in den Gräbern wurden Tiere, die gefährlich werden konnten, nur teilweise oder tot dargestellt, Schlangen zumindest durchgestrichen. „Oh, mir fällt ein, Nefer, wenn wir im Palast des Harpunierenden Horus sind, können wir sicher auch das Öl bekommen, das aus dem Horn gewonnen wird.“

„Äh, Antilopenhorn?“ Nefer war ehrlich verwirrt.

„Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht. Es ist aber sehr selten und mir sagte Hekaptah, der Siegler, zu, dass ich ein Fläschchen bekommen könne. Hornöl, heißt es, das weiß ich. Und ich weiß, dass die Königinmutter es erhielt. Der mächtige Horus, er lebe, sei heil und gesund, verwendet es sogar zur Ehre der beiden Herrinnen, wenn er morgens deren Riten im Tempel vollzieht.“ Der Kronengöttinen, die ihn wie eine Mutter beschützten.

Hornöl. Meruka dachte nach. Das kannte er nicht, aber er vermutete so etwas Seltenes als Ursache. Solange man Götter damit schmückte, geschah nichts – und bei Menschen? Andererseits: wieso wirkte das dann nicht bei dem Herrn der beiden Länder selbst? Weil er eben göttlich war und die Opfer Menschen? Dann wurde die Ermittlung nur noch schwieriger. In göttliche Sphären konnte man sich kaum vorwagen.

 
 

Informationen


 

A

ls sich die beiden Frauen in die Kabine zurückzogen, bemerkte Merit ein wenig erstaunt, dass sich ihre Partnerin mit einer leichten Grimasse in die Kissen niederließ. „Probleme, Nefer?“

„Nachlässigkeit.“ Die „Wärterin des Apis“ griff unter ihren Umhang in ihr Kleid und zog zur Überraschung ihrer Partnerin eine gut geschliffene Obsidianklinge heraus.

„Oh,“ machte Merit nur. „Hast du dich geschnitten?“

„Etwas. Aber selbst schuld. Ich habe die Bandage nicht korrekt umgelegt.“

„Du bist immer mit dem Messer bewaffnet? Meintest du das mit: auch du bist gefährlich?“

„Ja, auch.“ Nefer seufzte etwas, erkannte jedoch die Neugier. „Soweit: ich wurde … vor langer Zeit ….von einem Mann überfallen und musste aus meinem Heimatdorf fliehen. Als ich Ptahnacht kennenlernte und dann auch Meruka, bat ich sie mir solch eine Klinge zu besorgen und mir beizubringen, wie ich damit umgehen kann. Ich will nie wieder das Opfer eines Mannes werden.“

„Das verstehe ich,“ erwiderte Merit so ernst, dass die Ältere sie ansah. Verstand sie wirklich? So fuhr das Mädchen aus dem ipet fort: „Das ist und war ja auch immer mit ein Grund, warum ich nicht heiraten wollte. Sicher, ich kenne Menhekat seit Jahren, wir sind gut befreundet, da mag es etwas anderes sein, aber ein Fremder …. - Hast du das Messer je benutzen müssen?“

„Ja, einmal. Aber der Kerl hatte nicht mich überfallen, sondern wollte Ptahnacht umbringen.“

„Du hast ihn getötet?“ fragte Merit mit großen Augen, die durch die Schminke sowieso schon vergrößert wirkten.

Nefer zuckte die Schultern. „Er war gerade dabei Ptahnacht zu erwürgen. Und so viele Freunde habe ich nicht. Ja. Ich stieß ihm das Messer zwischen die Schulterblätter.“

„Ich vermute, Ptahnacht war dir dankbar. - Was ist eigentlich aus dem Mann geworden, der …?“

„Er ist Vorarbeiter geworden, das hat Meruka herausfinden können. Er sagt, er lässt ihn im Auge behalten. Wenn er einen Fehler macht, ist er dran. Aber der macht keinen, der Mistkerl. Aber, da der mächtige Horus so gnädig war, mir ein Grab bei seiner Pyramide zuzuweisen, werde ich ihn im Westen anflehen mich zu rächen.“ Und diesen Mann aus der maat, der Welt der Ordnung, in das isfed zu schicken, oder besser noch, in das ewige Nichts.

„Du konntest ihn nicht bei dem tjati und den Gerichtshöfen anklagen?“ Merit klang gedankenvoll.

Nefer lächelte nachsichtig. „Ja, theoretisch. Aber ich stamme aus Abu. Als ich aus meinem Heimatdorf floh, um ihn nicht heiraten zu müssen, musste ich …. nun, ich war außerhalb der maat. Ich musste mich bis nach Ibenu-hedj durchschlagen. Ja, ich wollte das dem mächtigen Horus melden. Und das Leben in diesen Jahren war meist nicht einfach und entsprach auch nicht der Weltordnung. Ptahnacht und Meruka haben mich dann zurück geholt, ich habe ein geordnetes Leben, im Auftrag des Herrn der beiden Länder, bin versorgt, sogar mit einem Grab nahe der Pyramide … Würde ich ihn anklagen, käme auch heraus, was ich gewesen bin. Das würde mein jetziges und ewiges Leben zerstören. Darum schweige auch du.“

„Ich werde schweigen.“ Merit war es ernst. Nefer, die so kühle, ruhige Nefer, war schon außerhalb der maat gewesen. Kein Wunder, dass sie den lebensspendenden Atem des göttlichen Falken und den Schatten seiner Flügel nie mehr verlassen wollte. Und sie sollte auch besser nicht nachfragen. Diesbezüglich. „Meinst du, ich könnte auch lernen mit einem Messer umzugehen? Nicht so gut wie du oder gar Ptahnacht, dessen bin ich mir bewusst, aber für den Fall …. nun, bei solch einem Auftrag.“

„Vielleicht. Das musst du Meruka fragen. Du spielst momentan die Rolle der Königstochter. Königstöchter hantieren höchstens bei Zeremonien mit Messern, oder?“

„Schon.“ Bei den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Horus, als Vorsteherin der Schlächter des Akazienhauses. Aber sonst wahrlich nicht.

„Das würde dann hier oder so auffallen. Und im ipet geht es auch kaum, sonst würde die maat-hor oder selbst der lebende Horus nachfragen, was da die zukünftige Schwiegertochter tut.“

„Auch wieder wahr. Ich muss mich wohl auf euch verlassen.“

Nefers Lächeln war plötzlich warm. „Das kannst du, Merit.“

 

Die „Wildstier“ kam mit den kräftigen Ruderern und der Strömung des Iteru gut voran. Der kurze Regen hatte aufgehört und es wurde wieder deutlich wärmer. Der Wind kam von Norden, ihnen entgegen, aber schon zeigte er an, dass der Monat der Herdfeuer vorbei war und es nur zu bald wieder die Hitze des Sommers selbst hier im Delta geben würde. Im Verhältnis zu den Ländern wie wawat oder kusch im Süden war es hier zumeist erträglich – aber die gespeicherte Feuchtigkeit der Überflutungen ließ leider nicht nur das Gras, sondern auch allerlei blutsaugende Insekten wachsen, die vor allem des Nachts mehr als lästig waren. Dichte Netze vor den Türen und schmalen Fenstern waren daher selbst bei einfachen Fischern eine Notwendigkeit.

Die Gruppe saß in der Kabine. „Noch einmal, damit sich alle die Namen einprägen,“ begann Meruka. „Rahotep, deine Familie, wenn es geht, mit Titeln.“

Ja, er hatte eine doch recht große Familie, gab der Arzt zu. „Mein Vater Merigeb ist der Gauvorsteher und Wächter der westlichen Wüste. Er ist also der militärische Befehlshaber und Priester der Neith, wie übrigens ich auch. Meine Mutter heißt Baunefer. Ihre Familie stammt aus Nechen, ihr Bruder ist Chnummose, der derzeitige Wächter von Nechen, und sie trägt den hohen Hoftitel einer Königsbekannten, wie auch du, liebe Merit. Mich kennt ihr ja, ich bin deren ältester Sohn. Mein jüngerer Bruder ist Cheprihotep, er ist momentan in Vertretung von Vater und Onkel der Stadtvorsteher. Er ist gewöhnlich Schreiber der Wirtschaftsanlagen von Sau, durchaus ein gebräuchlicher Einstieg in die Schreiberlaufbahn. Vater möchte ihn zu seinem Nachfolger. Seine Ehefrau heißt Sesheshet und ist laut meinem Cousin schwanger. Seid also freundlich zu ihr. - Der Verstorbene hieß Merinut, war der Bruder meines Vaters, der jüngere, und er war Stadtvorsteher von Sau und Leiter, falls der Falke zum Himmel fliegen würde, Leiter eines Teils des königlichen Begräbnisses. Auch er trug den Titel Priester der Neith. Er ist, war, verheiratet mit Meritneith. Sie haben einen Sohn, Merira, der ist königlicher Schreiber und momentan, wie ihr gesehen habt, Festungskommandant. Ich vermute, dass er auch der neue Stadtvorsteher werden soll, aber noch kam wohl keine Nachricht aus Ibenu-hedj, und durch den lästigen Feldzug gegen die tehenu konnte Vater auch noch nicht selbst an den Hof fahren um alles in Ordnung zu bringen. - Sie leben alle in einem großen Haus im Stadtzentrum, nahe des alten Tempels der Göttin. Neith ist Schutzherrin des Krieges, aber auch der Heilung, daher auch tragen Ärzte ihr Zeichen, manche ja auch das der Sachmet oder Selket.“

„Ist Sau nicht auch eine Hafenstadt, ähnlich wie Pe und Dep, wo die Schiffe, die über das Große Grün kommen anlegen?“ erkundigte sich Ptahnacht. „Ich dachte, die mit Holz und so?“

„Ja und nein,“ erwiderte der Arzt, „Du meinst die Schiffe, die kebenit genannt werden, da sie aus keben, der großen Stadt am Gebirge der Treppen kommen. Manchmal bringen sie das Zedernholz als Geschenk für den Lebenden Gott, das wäre natürlich auf dem Landweg, durch die Wüsten und über den Horusweg, kaum ratsam. Aber diese landen in Pe und Dep. Nach Sau gelangen hauptsächlich Schiffe aus dem Westen. Dort liegt im Gebiet der tehenu eine Stadt, deren Name mir gerade nicht einfällt. In dieser endet ein großer Handelsweg aus dem Süden, aber auch die Schiffe aus keftiu kommen dort an, wenn sie über das Große Grün gelangen. Von dort aus fahren sie her. Sie bringen vor allem Silber und Kupfer, aber auch besonders geflochtene Matten und, ich glaube, Olivenöl.“

„Die Sandleute lauern gern auf Karawanen,“ ergänzte Meruka. „Auch, wenn der Horusweg immer besser geschützt wird, ist eine Reise durch die Wüsten aus retenu nach kemet mühsam und gefährlich. Gut, auch Schiffe können untergehen.“

„Eigentlich gibt es nur Tribute aus dem Osten,“ meinte Merit nachdenklich. „Die tehenu im Westen liefern nichts. Nun, natürlich auch wawat und kusch im Süden.“ Von dort gelangte vor allem über Abu, aber auch über die Oasen der östlichen Wüste Elfenbein, Ebenholz, Gold ebenso nach kemet wie Straußenfedern und -eier. „Das sind dann auch wohl die Güter, die hier landen, wenn sie nicht über die Oasen bereits in die beiden Länder gelangt sind.“

„Ja, aber aus dem Osten stammen Lapislazuli, Zedernholz, Silber ...“ Meruka dachte nach. „Syrischer Wein aus Granatäpfeln, ach, vieles. Dafür erhalten die retenu und ihre Verbündeten den Lebenshauch des Horus und Leinen, Weizen und anderes.“ Kein Gold, denn das wenige, das man fand, wurde in kemet für den Horus und die Götter benötigt. Silber war allerdings noch kostbarer, da seltener. „Sag, Rahotep, könnte es sein, dass auf diesem Weg ein Gift nach kemet kam?“

„Du meinst, dass es nichts mit dem Palast des Harpunierenden Horus zu tun hat?“ Der Arzt dachte nach. „Ich kann mir ehrlich gesagt nichts vorstellen.“

„Nun, wir müssen suchen. Und unseren besten Möglichkeiten finden wir in Sau und in Pe-Dep, vor allem im Palast des Harpunierenden Horus. Warst du schon einmal dort, Merit?“

„Ja, vor drei oder vier Jahren,“ erwiderte das Mädchen aus dem ipet. „Es war die zeremonielle Jagd auf ein Flusspferd.“ Der Lebende Gott kemets tötete damit symbolisch alle Flusspferde, ja, das Chaos, und schützte das Land. Und diese Jagd war durchaus gefährlich. Es gab Legenden, nachdem sogar ein Horus vor langer Zeit von einem solchen Tier weggetragen wurde. Natürlich wurde versucht den Herrn der beiden Länder zu schützen, das Flusspferd in die Enge zu treiben und möglichst zu fesseln, aber es blieb stets ein Risiko.

„Oh, ja. Sie wird auch dieses Jahr stattfinden.“ Der Leiter der Gruppe fühlte sich unangenehm daran erinnert, dass er bereits früher als erwartet dem Lebenden Gott kemets Rechenschaft schulden würde, träfen sie sich bereits im Palast des Harpunierenden Horus. Bislang hatte er doch geglaubt erst bei seiner Rückkehr in die Residenzstadt Bericht erstatten zu müssen. Umso wichtiger war eine sorgfältige Überprüfung der Lage in Sau. Was war dort ebenso wie in Chem gelaufen, was anders - und, war etwas anderes dort aufgetaucht? Waren die Speisen, die Getränke, identisch? Oder eben auch nicht? Das würde in diesem Fall wahrlich auf Öl oder Parfüm hindeuten. Nur, woher und wie und wer? „Rahotep, wie und wo wird es eine Gelegenheit geben, wie wir uns alle unauffällig treffen können?“

„Im Palast des Stadtvorstehers? Ohne Zweifel wird Merit samt der lieben Nefer, im Frauentrakt untergebracht und ich müsste mich sehr irren, wenn meine Eltern nicht eine offiziellen Empfang vorbereiten würden. Du hast doch für so etwas auch Kleidung dabei?“ Da beide Frauen nickten, lächelte er flüchtig. „Gut. Zu deiner Frage, Meruka. Die Gästezimmer liegen in der Nähe der Frauengemächer und die sind nicht bewacht. Wachen stehen nur an den äußeren Türen und an der Außenmauer, nachts eher weniger sogar. Ich selbst werde sicher in mein altes Zimmer können. Auch das wäre nicht allzu weit weg von den Gästezimmern. Es dürfte am Besten sein, wenn wir uns nachts, wenn alles ruhig ist, zu dir gesellen und dir Bericht erstatten.“

„Gut. Wenn es irgend möglich ist, Ptahnacht, gehe zum Hafen und höre dich um, ob in dem letzten halben Jahr ein Schiff Waren aus dem Palast des Harpunierenden Horus brachte, das Waren nicht nur für Sau und dessen Stadtvorsteher brachte, sondern auch nach Chem weitersegelte.“

„Hm,“ machte der Wächter des Horus. „Also nicht auch aus dem Westen und keftiu?“

„Wenn es dir gelingt, ja.“ Meruka war wie stets angetan, dass seine Leute mitdachten. „Aber das Wichtigste ist natürlich, dass wir herausfinden, ob im Verantwortungsbereich eines Beamten aus kemet etwas vorgefallen ist.“ Damit hatte er für seine aufmerksamen Mitarbeiter durchaus zu erkennen gegeben, dass der Siegler und Schatzmeister zwar der Halbbruder des Herrn der beiden Länder war, Merukas Stiefvater jedoch durchaus um seine Existenz fürchtete, konnte jemandem in seinem Verantwortungsbereich ein Fehler nachgewiesen werden, der auf mangelnder Kontrolle beruhte. „Merit, du wirst genug mit Rahoteps Verwandtschaft zu tun haben. Versuche einfach herauszufinden, woher sie ihre Parfüme und Speisen beziehen. Nefer, wenn Ptahnacht zum Hafen geht, begleite ihn in Distanz.“

„Sicherung?“ erkundigte sich die junge Frau aus Abu nur.

„Sicherung,“ bestätigte ihr Vorgesetzter. „Wir wissen nichts. Und eine Sicherung schadet nie.“

„Danke.“ Aber der Wächter des Horus lächelte. Es stimmte und er hatte nicht vergessen, dass ihm Nefer bereits einmal das Leben gerettet hatte. Sie lebten unter den Schwingen des Horusfalken, aber sie waren auch seine Augen und Ohren. Manchmal wurde ein Abenteuer daher etwas zu abenteuerlich.

Rahotep dagegen verspürte einen leichten Druck auf den Magen. Es war seine Familie, seine Heimat und er hatte sich dort stets sicher gefühlt. Aber die Toten schrieen nach Gerechtigkeit und es war überdies seine Pflicht als Arzt weitere Krankheitsfälle, ja, Tote, zu verhindern. Der Lebende Gott kemets gab Leben, aber er forderte auch vollständige Pflichterfüllung. Meruka mochte die Last noch deutlicher auf seinen Schultern fühlen. Unwillkürlich blickte er zu Meresanch. Sie sollte den Falken im Nest, den Thronfolger heiraten. Das bedeutete, sie wäre nicht nur die künftige maat-hor, mit allen kultischen und politischen Pflichten, die das mit sich brachte, sondern, falls es ihr gelang einen überlebenden Sohn zur Welt zu bringen, die künftige Königinmutter. Das wäre die höchste Stellung, die eine Frau je erreichen konnte, aber das setzte sie auch unter den Zwang Söhne zu bekommen, zumindest einen, der die kritischen Jahre überlebte. Nein, niemandem wurde etwas geschenkt. Wobei … „Meruka, entschuldige, Merit – ich möchte dich etwas Ungewöhnliches fragen. Es hat nichts mit unserem Auftrag zu tun.“

Der Leiter der Gruppe wollte schon sagen, dass dann auch nichts hier verloren hätte, aber ihm war seit Jahren bewusst, dass auch die Stimmung seiner Leute passend sein musste. Immerhin konnten seine Befehle sie auch in den Westen schicken.

Das Mädchen aus dem ipet nickte neugierig. „Natürlich.“ Wenn ein Arzt einen schon etwas fragen wollte ….

„Man sollte nicht darüber reden,“ begann Rahotep ein wenig zögernd. „Aber, gibt es eigentlich Regeln, was geschieht, wenn der Falke zum Himmel fliegt?“

„Ja, natürlich, das ist seit den Zeiten der Ahnen, ja, der Götter festgelegt. Was meinst du?“

„Nun, falls Horus Qahedjet, er lebe, sei heil und gesund, zum Himmel fliegt, würde doch Menhekat sein Nachfolger, oder?“

„So ist es.“

„Und du wärst die maat-hor, ein Sohn, den du bekommen könntest, ich meine, wirst, wäre dann der Falke im Nest.“

„Ja, vorausgesetzt, dass Menhekat mich zur maat-hor ernennen würde.“ Merit sah durchaus das Lächeln all ihrer Partner, Sie hielten es wohl für sehr unwahrscheinlich, dass ihr Freund seit Kindertagen eine andere Frau an seiner Seite sah. „Aber ich verstehe nicht, was du meinst.“

Rahotep zögerte, immerhin sprach man keine schlechten Omen aus, da sie sonst zur Realität werden würden. „Nur mal angenommen, ihr seid verheiratet, du bekommst einen Sohn, aber Menhekat ist noch nicht der Lebende Gott. Und nur mal angenommen, er würde sterben, ehe er den Thron der Lebenden besteigt, was die Götter verhüten mögen …. wer erbt dann? Ich hörte einmal, dass der Tod des Vaters alle Söhne von der Thronfolge ausschließen würde.“ Unwillkürlich atmete er tief durch.

Oh. Merit dachte nach, ohne dass jemand sie störte. Endlich meinte sie: „Ja, doch, das habe ich auch einmal als Regel gehört. Aber natürlich ist es immer auch so, dass der Lebende Gott kemets seinen Nachfolger beliebig ernennen kann. Es gibt gewisse Regeln, aber durch die Tatsache, dass es nur noch zwei Königssöhne gibt in dieser Generation …. es käme ja nur noch Menka in Frage. Er müsste alt genug sein, denn der Herr der beiden Länder sollte nie ein Kind sein, aber auch nicht zu alt. Es würde sich wohl um den Zeitablauf handeln. Ist Menka alt genug oder … oh du liebe Zeit, wir reden hier über… über…“

Der Arzt senkte unwillkürlich den Kopf. Ja, das war eine mehr als ungehörige Frage. „Ja, entschuldige. Ich wollte eigentlich nur wissen, ob wir hier mit der möglichen Regentin reisen.“

„Ich denke sicher nicht.“ Merit nahm sich zusammen. „Entweder mein Sohn wäre in diesem unwahrscheinlichen Fall alt genug um den Thron zu besteigen oder es wäre Menka.“ Der Königssohn war immerhin auch schon neun Jahre alt.

Meruka hielt es für an der Zeit zu dem Auftrag zurück zu kehren. „Nun, wir werden sehen, ob einer der folgenden Herren der beiden Länder Menka oder Senneferu heißt, denn, Merit, so wolltest du doch deinen Sohn nennen.“ Und die Mutter bestimmte in der Regel die Namen durch Ausrufe bei der Geburt. „Gibt es noch etwas Wichtiges, was wir in Sau beachten müssen, Rahotep?“

„Ich hoffe nicht. Es ist schwer in seine Geburtsstadt zu kommen und sie doch von außen zu sehen. Eines vielleicht noch. Meine Mutter, Baunefer, ist sehr stolz auf ihre Position als Königsbekannte. Sie wäre gern öfter am Hof. Aber ich bin sicher, Merit weiß, wie man höflich bleibt.“

„Das hoffe ich doch,“ erklärte die künftige Gemahlin des Ältesten Königssohnes prompt. „Aber ja, ich denke, ich weiß, was du meinst. Ich trage ja auch diesen Titel, seitdem ich mich bereit erklärt habe Menhekat zu heiraten.“ Und der Titel „Eine, die der König kennt“, war der höchste Hofrang, den eine Frau außerhalb der königlichen Familie erhalten konnte. Unter Männern entsprach dem der „Einzige Freund“, von denen es in der Tat kaum je mehr gab als an einer Hand Finger.

„Gut. Dann weiß jeder, wie er vorzugehen hat,“ beschloss der Vorsteher der Gruppe. „Achtet auf die kleinen Dinge. Wir müssen herausfinden, was in Sau gleich ablief wie in Chem – und was anders. Art der Zubereitung, Lieferungen, alles mag wichtig sein, gleich, wie unbedeutsam es auch scheinen mag. Falls du, Nefer, Ptahnacht nicht zum Hafen begleiten musst, halte dich in der Küche auf, sei neugierig, was die soweit im Norden kochen, betone vielleicht deinen südlichen Akzent.“

Nefertari lachte etwas. „Sie würden mich kaum verstehen. Zwischen Abu und dem nördlichen Delta kann man sich kaum verständigen, wenn man nicht auf den Dialekt von Ibenu-hedj ausweichen kann. Aber, ja, du hast recht. So gehen sie auch kaum davon aus, dass ich sie verstehe und reden womöglich mehr.“ Sie musste zugeben, Meruka dachte an praktisch alles.

Dieser nickte nur. „Rahotep, dir überlasse ich deinen Vater und Bruder. Fiel ihnen etwas auf? Ebenso den Arzt, der in die Residenz schrieb. Übrigens, nett, dass keiner fragt, was ich tun werde. Ich werde den Beamten darstellen, der ich bin, auch reden, aber noch mehr zuhören.“

„Wir hatten auch nicht angenommen, dass du dich vor der Arbeit drücken willst,“ gab der Wächter des Königs prompt an, grinste jedoch. Es war schön, dachte Ptahnacht, jemanden als Gruppenleiter zu haben, der sich die vornehme Geburt nie heraushängen ließ, weder ihm als Fischerjungen gegenüber, noch zu Nefer. Nun, auch Rahotep tat dies nicht und auch Merit, wobei Ptahnacht nicht wusste, ob Meruka sie so ausgesucht hatte. Vermutlich allerdings schon, so, wie er ihn kennengelernt hatte. „Ich werde mich zunächst bei den Hauswachen umhören, immerhin waren wohl einige auch jetzt bei dem Feldzug dabei, die stutzig werden könnten, wenn ich da nicht neugierig bin, ehe ich die befrage, die in Sau blieben und damit bei dem Tod Merinuts anwesend waren. Danach geht es zum Hafen, aber das ist sicher erst morgen oder in zwei Tagen der Fall. Wie lange bleiben wir in Sau, Meruka?“

„Einige Tage. Die Ruderer der Wildstier müssen sich erholen, denn von hier aus geht es durch Kanäle weiter, durch Papyrusdickichte und ohne Strömung. Das wird anstrengender für sie, bis wir nach Pe und Dep kommen.“ Die Doppelstadt lag zwar ebenfalls am Iteru, doch an einem anderen Arm, der nach Norden durch gewaltige Sumpfgebiete und Marschen bis zum Großen Grün führte.
 

Ankunft in Sau


 

D

ie folgende Nacht verbrachte die „Wildstier“ mit ihrer Besatzung und den Gästen auf einer Sandbank im Fluss. Einige Matrosen und der Steuermann Paadiptah der Jüngere hielten bei einem Feuer Wache. Kapitän Paadiptah der Ältere wollte keinerlei Risiko eingehen. Natürlich war kemet unter dem Schutz des göttlichen Falken ein sehr sicheres Land und kein Mensch würde es hier auch nur wagen auf Beute aus zu sein. Selbst Sobeks Tiere, die Krokodile, würden nicht an Bord des Holzschiffes gelangen können. Der erfahrene Kapitän befürchtete jedoch, dass einer von Seths Freunden, ein Flusspferd, sich an dem Schiff stören würde. Wütend waren sie stark genug, selbst das hölzerne Schiff zu beschädigen. Die Reise war bislang gut verlaufen und, wenn es nach ihm ging, sollte es auch dabei bleiben. Holz, selbst das der Akazien und Tamarisken, war mehr wert als Gold oder gar Silber, und ihm war klar, dass er sich bei einer Beschädigung des königlichen Schiffes auf sehr großen Ärger einstellen musste.

Zu seiner gewissen Erleichterung blieb es eine ruhige Nacht und mit Beginn des Nachmittags konnte man die landwirtschaftlichen Domänen und Dörfer hinter dem Schilf immer näher an den Fluss heranrücken sehen.

„Bald sind wir in Sau,“ erklärte Meruka Merit, ums einer Rolle als Reiseleiter Genüge zu tun. Der Kapitän stand auf dem Dach knapp über ihnen, um die „Wildstier“ quer durch die Strömung steuern zu lassen. Beide Steuermänner mussten sich mit den Rudern anstrengen, ebenso die Matrosen, die geradezu hektisch paddelten. Das Wasser des Iteru strömte hier breit und massig dahin. „Ich fürchte, oh Königsbekannte, du wirst von dem ehrwürdigen Tempel der Neith ein wenig enttäuscht sein. Er ist alt und heilig, kleiner jedoch als der des Ptah in Ibenu-hedj.“

„Ja, das hörte ich,“ erwiderte die junge Dame unverzüglich. „Aber er soll ja schon zu Zeiten der Ahnen gestanden haben, ehe die beiden Länder vereinigt wurden, ewig her. - Oh, was ist das?“ Sie hatte eine Arbeitsstätte am Ufer entdeckt, in der fleißig gehämmert wurde. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie andere Männer, die die grünen Stängel der Papyrusstauden heranschleppten und sorgfältig auf Haufen stapelten. „Ach, ich erinnere mich. Eine Papyruswerkstatt!“ Gewöhnlich sah sie nur das fertige Endprodukt, die Rollen, die bei Hofe von den Schreibern und auch ihr selbst benutzt wurden.

„Ja, genau. Die abgeschnittenen Stauden werden gesammelt, dann gewässert, und sie werden geschält. Das Mark, also, das Innere, wird dann abgezogen und in Streifen geschnitten. Diese werden leicht überlappend gelegt und festgeklopft. Darauf kommt eine zweite Lage, die quer dazu gelegt wird. Beides wird dann zusammengepresst und immer wieder geklopft. Ein Leim bindet es zusätzlich. So entsteht ein weiches Blatt, das zusammengerollt werden kann. Mehrere dieser Blätter werden dann aneinander gelegt und so entstehen die eigentlichen Buchrollen, die ja meist drei oder vier Mal so lang wie ein Mann sind. Es ist sehr aufwendig und steht darum auch nur dem Herrn der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund, zu.“

„Dort vorne kommt Sau, Vorsteher der privaten Schreiber,“ warf Rahotep ein, der seine Heimatstadt mit einem leichten, frohen Stich an einer Kurve des Iteru erscheinen sah. Eine hohe, weißgekalkte Mauer verbarg die eigentliche Stadt. Davor allerdings konnte man schon von hier aus das Hafenbecken erkennen, wo einige Lastschiffe aus Papyrus lagen, aber auch ein größeres aus Holz. „Ach, seht nur, das ist eines von diesen Schiffen, die über das Große Grün kommen. Sicher brachten sie wertvolle Ware. Sie haben auch andere Kleidung als wir, diese Leute auf keftiu.“

„Bunter?“ fragte Nefer.

„Nein, andere Muster. Sie weben anders. Hast du schon einmal im Inneren eines Grabes die Deckenmuster gesehen, die das ja imitieren sollen? Oder im Palast des Lebenden Horus die Stoffe an den Wänden? So etwas. Sie weben, ja, eckiger.“ Und das war selten, also modern in der höheren Schicht des Hofes. „Wir haben Glück, dass gerade ein Schiff hier ist.“ Er blickte unwillkürlich zu Ptahnacht, der ja im Hafen Nachforschungen anstellen sollte. „Es wird anscheinend erst ausgeladen, bleibt also gewiss bis morgen, eher länger.“

„Du weißt viel,“ meinte Merit. „Auch, seit wann keftiu kemet beliefert?“

„Sicher schon länger als hundert Jahre. Ich hörte, aber das ist nicht sicher, dass es unter Horus Netjerichet und seinem tjati Imhotep geschah, oder gar schon dessen Vater.“

„So ein Schiff ist bestimmt sehr interessant und die Fremden gleich dazu,“ sagte Ptahnacht, schon, um dem doch mithörenden Kapitän einen Vorwand zu liefern, falls der ihn beim Herumschlendern im Hafen entdeckte. Derartige Vorsicht war ein Grund, warum ihn Meruka so schätzte.

„Natürlich.“ Der Leiter der Gruppe klang bewusst herablassend, um den Standesunterschied für die Zuhörer zu betonen. „Ich glaube übrigens, dass der Feldzug gegen die tehenu gerade abgeschlossen wurde, wenn ich das Lager dort vor der Stadt betrachte. Morgen können die Männer dann gewiss nach Hause.“ Es handelte sich um ein einfaches Feldlager, die Zelte wie stets aus drei gleichlangen Stangen gebaut, eine Matte als Schattenspender darüber geworfen – genug Platz für vier einfache Soldaten, zwei Unteroffiziere oder einen Offizier. Die Latrinen wurden täglich frisch abseits ausgehoben. So wurde jeder Tag bei einem Feldzug mit dem Aufschlagen des Lagers beendet, wobei Meruka zugab, dass er weder Latrinen hatte ausheben müssen noch ein Zelt aufschlagen, hatte er doch mit seinem Vater zu der direkten Umgebung des Lebenden Horus gehört und war entsprechend bevorzugt behandelt worden, als er mit dreizehn auf seinem ersten Zug war. Mit fünfzehn hatte er ein eigenes Kommando aus fünfundzwanzig Männern befehligt. „Gut. So ist der Gauvorsteher und Wächter der westlichen Grenze auch wieder in der Stadt.“ Er sah empor. „Kapitän?“

Paadiptah der Ältere bewies unbeabsichtigt, dass er zugehört hatte. „Soll ich einen Eilboten zu dem Gauvorsteher mit der Mitteilung eurer Ankunft schicken, oh ehrenwerter Vorsteher der privaten Schreiber?“

„Ja. Bis das Gepäck von Bord ist, werden wir gewiss Antwort haben.“

„Sicher. Ich werde mich dann auch, so es dir gefällt, nach einem erfahrenen Lotsen für die Weiterfahrt nach Pe und Dep umsehen. Nach jeder Überschwemmung liegen doch die Sandbänke anders und ab hier fahre ich zu selten.“

„Ja, tue das.“ Meruka war sicher, der Kapitän kannte den passenden Lotsen.

 

Merigeb, der „Wächter der westlichen Grenze“, war ein Mann um die vierzig. Er saß in seinem Empfangszimmer, rechts und links je drei Schreiber und arbeitete sich durch die Angelegenheiten, die während seiner Abwesenheit und nach dem Tod seines Bruders aufgelaufen waren. Sein jüngerer Sohn Cheprihotep hatte keinerlei Vollmachten besessen sich um alles zu kümmern und nur das Notwendigste entschieden. Jetzt seufzte er, wenngleich nur innerlich. So ein hoher Besuch, gleich, nachdem er angekommen war? Hoffentlich war alles in Ordnung, hoffentlich sah der Vorsteher der privaten Schreiber im Feldlager keine Unordnung. Meruka, ja? Ja, dessen Vater hatte er gekannt und er wusste auch, dass der Junge eine geradezu atemberaubende Karriere hingelegt hatte. Natürlich stand zu vermuten, dass die Fürsprache seines Stiefvaters als Siegler da mitgeholfen hatte, aber er kannte Horus Quahedjet seit der gemeinsamen Schulzeit. Ohne Können beförderte der niemanden so hoch. Meruka musste fähig und diskret sein, sonst wäre er nie so nahe an den Herrn der beiden Länder herangekommen. Und er wusste, dass dieser, wie er selbst auch, den höchsten Hofrangtitel als „Einziger Freund“ verliehen bekommen hatte. Nun, es half nichts, er musste diesen Besuch hinter sich bringen, wollte er sich nicht blamieren. Und eine junge Dame dabei, hm. Schreiberin der maat-hor? Ah, das musste das Mädchen sein, das bald eine Heirat mit dem Ältesten Königssohn eingehen wollte. Da sollte auch das Gästezimmer bei den Frauen wohl vorbereitet sein. So ließ er seine Frau rufen.

Baunefer nickte nur. „Meresanch, ja. Ich erinnere mich an die Kleine.“

„Vorsicht,“ mahnte Merigeb prompt. Das vor den Ohren seiner Schreiber!

„Du wirst mich nicht für taktlos halten. Aber sie ist eine Schreiberin der maat-hor, keine Königstochter oder gar die maat-hor selbst. Ich bin eine „Königsbekannte“.“

„Dennoch, sei behutsam.“ Sie war als Tochter und Schwester des „Wächters von Nechen“ von hoher Geburt und hielt ihm immer noch vor, dass er aus einfacheren Verhältnissen stammte. Allerdings war sie soweit mit seiner Karriere zufrieden, bis auf die Tatsache, dass sie in Sau war und lieber in der Residenz leben würde. Aber das schickte sich nun wirklich nicht. „Informiere auch Sescheschet und Meritneith.“

„Ich werde alles bereit machen lassen. Hat sie eine Dienerin dabei?“ Sie erwartete sichtlich ein „Nein“.

„Ja. - Und noch etwas. Rahotep ist dabei.“ Dessen Wunsch Arzt werden zu wollen hatte zu erbittertem Streit zwischen ihm und seinem Sohn geführt, aber der Oberste der Ärzte hatte sich für den Jungen eingesetzt. Nun war Merigeb durchaus zufrieden, hatte Rahotep ihm doch vor einigen Wochen mitteilen können, dass er vom „semer des Hauses“ zum „semer“ befördert worden war, was beileibe nicht alle Ärzte wurden, und zudem zum Leibarzt der königlichen Familie ernannt wurde. Das war schon recht weit hoch in der Hierarchie. So bestand doch die Aussicht, dass er sogar zum Leibarzt des Horus selbst oder zum Obersten der Ärzte wurde. So sollte sein jüngerer Sohn jetzt der Stab seines Alters werden, sein Nachfolger. Cheprihotep zeigte sich auch geneigter, oder gehorsamer, als sein Bruder.

Baunefer lächelte unwillkürlich. Von den sechs Kindern, die sie geboren hatte, lebten nur noch zwei Söhne und so sehr sie auch zunächst geschimpft hatte, Rahotep werfe sein Leben weg, so sah sie nun, dass man auch auf diesem Weg hoch angesehen bei Hofe sein konnte. „Das ist schön. Hoffentlich findet er Zeit für seine Eltern. Ist Meresanch etwa krank?“

„Das weiß ich nicht, es ist aber wohl eine Vorsichtsmaßnahme. - Ich werde Sänften und Träger zum Hafen schicken.“

„Natürlich. Wer ist der Leiter der Reise? Meruka?“

„Vorsteher der privaten königlichen Schreiber. Und Einziger Freund.“

„Und angeheirateter Sohn des Sieglers, ja. Unverheiratet.“

„Rahotep ist das auch.“

„Rahotep trauert noch immer. Sinnloserweise. Er könnte durchaus eine gute Partie machen.“ Aber Baunefer strich sich nur kurz über die modische dreireihige Schmuckkette um den Hals, ehe sie sich abwandte. Sie hatte zu tun, immerhin sollten sich die Gäste, vor allem Meruka, nicht beschweren können. Und für ihren Sohn sollte das Zimmer auch hergerichtet sein. Überdies wollte sie sich nicht vor Meresanch blamieren, das Mädchen war ja immerhin trotz des fortgeschrittenen Alters noch zu einer Gemahlin des Thronfolgers auserwählt worden, warum auch immer. Mit ihren neunzehn Jahren war sie doch eine alte Jungfer, die niemand gewollt hatte. Vermutlich nur, weil sie eben die Ausbildung der Königskinder geteilt hatte und die Riten und Vorgehensweisen kannte. Menhekat würde gewiss eine Andere zur maat-hor ernennen, wenn diese ihm einen Erben geboren hatte. Mit neunzehn war Meresanch doch schon zu alt für das erste Kind. Obwohl, Wunder gab es ja. Sie sollte vorsichtig bleiben. Jedenfalls würde sie selbst bei dem Empfang heute Abend glänzen. Sie besaß Schmuck, den die Hofjuweliere hergestellt hatten, Geschenke ihres Mannes, die dieser vom Horus selbst zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Ja, Merigeb hatte alles gehalten, was sie sich einst von ihm versprochen hatte. Leider musste er als „Wächter des Westens“ hier in der Provinz leben und konnte nur alle drei Monate zu seinen Berichten an den tjati oder den Herrn der beiden Länder selbst in die Residenz reisen, aber immerhin nahm er sie mit und sie traf dort oft genug ihren Bruder Chunmmose.

 

Merigeb zog sich derweil eilig in sein eigenes Schlafzimmer zurück, um einen neuen Schurz anzulegen. Es ziemte sich nicht so hochrangige Gäste, nun überhaupt Gäste, zerknittert zu empfangen. Auch ein paar neue Sandalen, ein Armband für den linken Arm, das genügte, schließlich war es kein Fest. Hoffentlich kam er dazu mit Rahotep auch einmal unter vier Augen zu sprechen, es interessierte ihn doch sehr, wie die weitere Karriere seines Ältesten aussehen könnte. Ehre hatte ihm dieser sowieso bereits gemacht. Der Junge war klug und seine Leidenschaft für den Arztberuf war eindeutig echt gewesen, kein Vorwand, sich vor den militärischen Aufgaben zu drücken.

Als er in die Empfangshalle zurückkehrte, sah er zufrieden, dass sich auch seine Schreiber rasch gewaschen hatten. Ja, Mitdenken erwartete er von seinen Leuten. „Bastschepses, gehe doch in die Säulenhalle und melde mir unverzüglich, wenn die Sänften kommen.“ Während der Schreiber aufstand und verschwand, setzte sich der Gauvorsteher wieder auf seinen Platz. Es konnte nicht mehr lange dauern, schließlich befand sich die Residenz der Statthalter direkt gegenüber des Neith-Tempels, im Herzen der Stadt.

 

Merit, die in der Sänfte hinter Meruka getragen wurde, war die gewisse Unbequemlichkeit des Hockens in Holz gewohnt. Allerdings wurde ihr, wenn sie im Gefolge der Königinmutter oder der maat-hor so gereist war, stets ein Kissen hineingelegt. So war es härter, aber das war eben so. Für jemanden ihres Standes war das die gängige Art des Reisens, zumindest auf kurze Distanzen. Zu Fuß zu gehen war nur bei Prozessionen und anderen religiösen Tätigkeiten erwünscht. Sie entdeckte vor sich einen größeren Platz, an dem sich rechter Hand zwei steinerne Pylone erhoben, die den Eingang zu dem ummauerten heiligen Bezirk der Göttin Neith bildeten. In der Tat, dieser Tempel war kleiner als der des Ptah in Ibenu-hedj oder selbst der der Löwengöttin Bastet in ihrer Heimatstadt. Links lag ein ebenfalls mit einer hohen Mauer umgebenes Gebäude, sicher die Residenz des adjmer und Wohnsitz seiner Familie. Das große, hölzerne, Tor war geöffnet und die Wachen dort erwarteten sichtlich die Gäste. Sie warf keinen Blick auf das Holz, wusste jedoch, dass dies nur auf ausdrücklichen Befehl des Lebenden Gottes so angefertigt worden war. Holz gehörte, ebenso wie Gold und Silber, zum Eigentum des Herrn der beiden Länder. Hinter dem Tor öffnete sich ein Hof, umrahmt mit Säulengängen, die Schatten boten. In der Mitte lag ein großes Wasserbecken, wo Sykomoren ebenfalls Schatten warfen. Der eigentliche Garten befand sich sicher hinter der imposanten Fassade des Anwesens verborgen, war privat. Sie kannte solche Häuser, ihr Vater hatte schließlich selbst eines besessen als Stadtvorsteher. Sie beachtete daher weniger die schmalen, langen Fensteröffnungen, die nur Luft aber keine Hitze einlassen sollten, die Treppen, die auf das Dach führten, wo sich die Familie hinter Windschirmen unter Matten sicher im Sommer oft aufhielt, sondern warf einen raschen Blick hinter sich nach unten, wo neben Nefer Rahotep ging. Er kam nach Hause, dachte sie, als sie ein kleines Lächeln um den Mund des Arztes huschen sah. Wie schön musste das sein noch Eltern zu haben, die nicht in den Westen gegangen waren.

 

Die Sänften wurden mit den üblichen Rucken abgesetzt, die beiden Insassen steigen aus. Merit trat unverzüglich zu Meruka, als sei sie sich unsicher.

Der Leiter der Gruppe bemerkte es zufrieden. Er hatte ihr zuvor nur gesagt, sie solle schüchtern tun, damit sie unterschätzt würde, ihr aber keine weiteren Verhaltensmaßregeln gegeben. Sie würde allein zusehen müssen, was sie von den Damen der Familie zu dem unseligen Abend herausbringen konnte. Merigeb würden er und auch Rahotep übernehmen, das Dienstpersonal und den Hafen Ptahnacht und Nefer. Mehr war einstweilen nicht klar gewesen. Sie mussten hier etwas herausbringen, das war allerdings klar, aber wie und was … Nun, das mochten die unvergänglichen Sterne am Nordhimmel wissen. Er nahm seinen Amtsstab zur Hand und rückte unwillkürlich seinen Halsschmuck gerade. Über dem Leibchen verrutschte dieser doch eher als auf der bloßen Brust. Aber wohl schon in mehreren Tagen oder zwei Wochen würde der zusätzliche Stoff überflüssig sein.

 

Merigeb musterte fast ein wenig zu neugierig die Neuankömmlinge, die die Empfangshalle betraten, in der Feuerpfannen das Licht und etwas Wärme brachten. Meruka kannte er, aber er sah sich kurz Meresanch an, die er kaum bewusst zu Gesicht bekommen hatte, ehe er zu dem jungen Mann hinter ihr blickte. Rahotep lächelte ihm flüchtig zu. Ihm schien es gut zu gehen, auch, wenn er natürlich nicht Privates und Offizielles vermischte. So atmete der adjmer durch. „Ich grüße euch und heiße euch hier willkommen. Leider herrscht noch ein wenig Unruhe, da ich gestern erst von einem erfolgreichen Rachefeldzug gegen die tehenu zurückgekehrt bin.“

„Wir hörten davon,“ erwiderte Meruka höflich. „Du wirst einiges an Vieh mitgebracht haben.“

„Ja. Mein jüngerer Sohn Cherprihotep kümmert sich noch soeben um die Männer. - Oh, Baunefer. - Meruka, ich möchte dir die Königsbekannte Baunefer, die Herrin meines Hauses, vorstellen.“

Diese lächelte und kam näher, musterte aber Meresanch.

Merit bemerkte doch, dass ihre Kleidung, ihr Schmuck taxiert wurde – und auch, dass sich die Hausherrin durchaus wertvolle Ketten umgehängt hatte. Nun, heute Abend bei dem Empfang würde es noch teurer werden. Glaubte diese etwa, sie hätte nichts anderes dabei oder besäße nichts anderes? Das war eine dezente Herausforderung, wenn man die Zeichen lesen konnte.

Meruka meinte unterdessen: „Danke. - Ihr kennt euch vermutlich? Die Königsbekannte und private Schreiberin der maat-hor, Meresanch.“

„Ja, natürlich,“ erwiderte Baunefer. „Wenn ich dich, Meresanch, bitten dürfte, mit mir zu kommen? Ich zeige dir das Gästezimmer. Die Reise wird ermüdend gewesen sein.“

Formell korrekt, dachten Meruka und Merit in Eintracht. Der Leiter der Gruppe war jedoch durchaus angetan, dass seine jüngste Mitarbeiterin nicht auf die Provokation einging – immerhin war erst Mittag - , sondern nur den Kopf neigte. So sagte er: „Da ich doch vermute, Merigeb, dass dich einiges mehr interessiert …“ Seine Handbewegung deutete auf Rahotep.

„Danke, ja, das ist sehr freundlich. Mein Haushaltsvorsteher wird dir dein Zimmer zeigen und dafür sorgen, dass euer Gepäck geliefert wird. Für heute Abend habe ich mir erlaubt einen Empfang vorbereiten zu lassen. Selten genug zeigen sich Leute aus der Residenz in Sau.“

„Natürlich. Nur von hohen Beamten wird erwartet, dass sie reisen.“ Er sah, dass Merit und damit auch Nefer der Hausherrin folgten, und wandte sich etwas um. „Es wäre zu freundlich, Merigeb, würdest du auch Sorge um den königlichen Wächter tragen, der uns zur Verfügung gestellt wurde.“

„Natürlich.“

Jemand winkte Ptahnacht und der folgte ihm, sicher, dass er zu den Unterkünften der hiesigen Wachen gebracht werden würde – und hoffentlich dort etwas in Erfahrung bringen konnte. Bislang hielten sie ja nichts in der Hand. Umso wichtiger war es sich unauffällig nach dem Speiseplan jedes verhängnisvollen Tages zu erkundigen – und ob es in Rahoteps so friedlicher Familie doch Spannungen gab.

 

 
 

Erste Nachfragen


 

N

achdem Baunefer höchstpersönlich Merit das Gästezimmer gezeigt hatte, sagte sie: „Du kannst dich einrichten Heute Abend gibt es dann einen großen Empfang, aber ich bin überzeugt, du hast entsprechende Kleidung dabei.“

„Ja, danke. Ich vermute, wenn man diesen Gang entlang geht, kommt man in den Privatgarten?“

„Ja. Allerdings hält sich dort meist meine Schwägerin auf. Meritneith. Sie wird heute Abend auch sicher nicht an dem Empfang teilnehmen. Sie ist erst vor kurzem Witwe geworden, die Beerdigung fand erst vor einigen Tagen statt. So wäre es nicht nur unziemlich, sondern würde sie belasten.“

Nanu, dachte Nefer prompt, hörte sie da etwas wie menschliche Anteilnahme heraus? Das entsprach nicht ganz dem Eindruck, den sie bislang von der Dame gewonnen hatte.

Merit nickte. „Ich werde darauf selbstverständlich Rücksicht nehmen. Möge das Ka ihres Mannes glücklich sein.“

„Nun, hier, das ist Tij. Sie wird deiner Dienerin zur Hand gehen und ihr auch die Wege zeigen.“ Die Hausherrin deutete auf eine sich rasch verneigende Dienerin mittleren Alters, deren weißen, schmales Kleid nur von einem bunt bestickten Gürtel geschmückt wurde, Der Machart nach ein Geschenk ihrer Herrin.

 

Weder Merit noch ihre erfahrenere Kollegin nahmen an, dass Tij nur eine Hilfe sein sollte. Ganz gewiss sollte sie auch Baunefer etwas über den Besuch berichten. Das Mädchen aus dem ipet sah nur zu ihrer Kollegin. „Das ist Nefer, Tij. - Ich danke dir, Baunefer, für die Gastfreundschaft. Es ist ein reizendes Zimmer.“ Das entsprach den Tatsachen. Wie alle Räume des Statthalterpalastes waren auch hier Wände und Säulen bunt bemalt, zeigten Reichtum und Macht des Hausherrn. Im Vorraum zu diesem Zimmer stand eine eigene kleine Wanne aus Sandstein, damit sich der Gast erfrischen konnte, das Gästezimmer selbst bot ein Bett mit hölzernen Füßen, eine Feuerschale, die Licht und Wärme spendete, denn das schmale Fenster erhellte kaum den Raum, schon, um ihn im Sommer kühl zu halten. Merit vermutete, dass auch Meruka ähnlich untergebracht wurde. Merigeb und seine Familie wollten sich sicher nicht Geiz nachsagen lassen und im Gegenteil die Geschenke des Herrn der beiden Länder präsentieren, wie hoch sie in dessen Gunst standen.

„Wenn du etwas benötigst, sage es nur Tij. Dein Gepäck wird sicher gleich gebracht.“

Ja, dachte Merit, und es war gewiss nicht durchsucht worden. Um so etwas zu verhindern hatte Meruka heute morgen noch alle Kisten versiegelt. Niemand, der bei klarem Verstand war, würde es wagen ein Siegel zu öffnen, auf dem das Zeichen der königlichen Kanzlei prangte. Sie gab zu, dass ihr Vorgesetzter an sehr viel, wenn nicht an alles dachte. Es war eine sehr interessante Arbeit. Ob sie diese nach der Heirat mit Menhekat noch durchführen könnte? Wohl eher weniger. Ausbildung zur maat-hor und viele Pflichten warteten, nicht zuletzt die Möglichkeit ein Kind zu bekommen, wenn möglich natürlich einen Sohn, der ihr den Weg zur Königinmutter ebnen würde. Das lag jedoch in der Zukunft, und sie sollte sich auf das Hier konzentrieren. So verneigte sie sich höflich ein wenig vor Baunefer, die das erwiderte ehe sie ging.

Nefer lächelte ein wenig Tij an, verlegen und schüchtern, eine Frau vom Land. Sie wusste, dass im Delta die Menschen aus dem tiefen Süden, wie sie, für dumm und simpel gehalten wurden. Aber sie war sich inzwischen sicher, dass Merit ihr helfen würde. Sie musste nur ihren Dialekt ein wenig betonen und niemand in Sau würde sie für voll nehmen.

„Dann kümmere dich, kümmert euch, um mein Gepäck. Nefer, ich möchte vor dem Empfang heute mich abschminken und dann noch baden. Jetzt gehe ich ein wenig in den hoffentlich schattigen Garten. Falls die Arme, wie hieß sie doch, dort ist, werde ich sie nur grüßen.“

Schön, dachte Nefer, also sollte sie sich um Tij und die anderen Dienstboten kümmern, wie Meruka ja schon gesagt hatte – und Merit würde versuchen mit der Witwe zu reden. Mal sehen, was dabei herauskommen würde. Erst nach diesem Empfang heute Nacht würden sie sich alle wieder treffen können. So wechselte sie in die schwere südliche Aussprache. „Es sind zwei große Kisten.“

„Ja, natürlich.“ Tij unterdrückte ein Lächeln. Leute aus dem Süden waren einfach verbauert.

 

Merit musste nicht fragen um den Garten zu finden. Die Holztür war leicht geöffnet, so dass frische Luft, aber auch etwas Wärme der Sonne in das winterkühle Haus kam. Sie blieb kurz in der Tür stehen und orientierte sich. Wie alle Gärten besaß auch dieser in der Mitte ein großes Wasserbecken, das hier vermutlich von dem Kanal gespeist wurde, der sich dort von rechts näherte und sicher zum Fluss führte. Mit diesem Wasser wurden bestimmt auch die Pflanzen gegossen, die hier wuchsen. Sykomoren und Akazien boten Schatten, weiter links gab es nahe der Gartenwand eine große Pergola, deren Schatten von Wein gebildet wurde. Wie praktisch. Im Herbst konnte man dort sitzen und genüsslich die Trauben pflücken. Wie alle Gärten war auch dieser von einer hohen Mauer umgeben, um den stetigen Sand und Wind abzuhalten. Um die Bäume waren kleine Erdwälle aufgeworfen um das Wasser zu halten. Im Teich entdeckte sie blauen Lotos, Mohn und Lilien blühten in Beeten. Aber sie interessierte sich mehr für die Frau, die in der Pergola saß und mehr oder weniger in den Teich starrte. Das musste Meritneith sein, denn zum Zeichen der Trauer trug sie noch immer die Haare offen und mit Asche bedeckt. Vorsichtig trat Merit näher. Die Witwe war ungeschminkt und wirkte wahrlich verhärmt. Es tat ihr fast leid sie stören zu müssen, aber nur so konnte sie selbst vielleicht etwas über diese mysteriösen Todesfälle herausbringen – und womöglich verhindern, dass andere in den Westen gingen, andere Frauen mit so leerem Blick da saßen.

Meritneith fuhr zusammen und blickte auf.

Das Mädchen aus dem ipet entschuldigte sich hastig. „Ich bitte um Vergebung, ich wollte nicht stören. Ich bin Meresanch. Ich kam heute als Gast mit dem Vorsteher der privaten Schreiber des mächtigen Horus, er lebe, sei heil und gesund. Du bist wohl Meritneith? Möge das Ka deines Mannes glücklich sein.“

„Danke, ja. Gäste? Davon erwähnte Baunefer nichts.“

„Sie wurde wohl überrascht. Ich weiß es nicht genau, denke jedoch wir wurden nicht angekündigt. Ich soll in Sau den Tempel der Neith besuchen“

„Bist du Priesterin? Andere dürfen doch gar nicht in den inneren Bezirk.“

„Ja. Und nein, ich bin keine Priesterin der Neith. Aber es gibt gewisse Regeln, Riten, die ich lernen soll, den Ort kennenlernen soll, ehe sie mich erreichen. Ich werde in wenigen Wochen den Falken im Nest heiraten.“

„Oh.“ Mit gewissem Interesse hob die Witwe doch den Kopf und sah ihre junge Besucherin an. „Ich verstehe. Einen...Bildungsreise. - Setze dich nur her.“ Sie deutet auf den zweiten Hocker. „Ich wollte nicht unhöflich sein, aber ich ….es war so schwer, weißt du? Neben jemandem zu stehen und ihm nicht helfen zu können. Der Arzt sagte ja, es sei eine Krankheit, die man nicht bekämpfen können, aber ….Es war schrecklich.“

Merit nickte nur und nahm die Hand Meritneiths. „Du hättest ihm gern geholfen, aber wenn schon ein Arzt versagt….“

„Ja., ich weiß.“

„So traf ihn wohl ein Fluch der Sachmet?“

„Ja, ich denke. Ich weiß nur nicht warum, er hat doch die Götter immer geachtet!“

„Man sagt, die Dämonen der Sachmet treffen unvermutet und wahllos. Auch meine Eltern und Brüder starben bei der Seuche an solchen Dämonen. Vor fast zehn Jahren. Ich war erst acht und stand allein.“

„Ja, die zornige Göttin ließ mir meinen Sohn. Er heißt Merira und ist schon aus der Schule, im Augenblick soll er eine Festung leiten, da ja der adjmer auf einem Feldzug war. Aber er darf sicher bald wieder zu mir.“

„Sicher.“ Merit überlegte, was sie noch sagen sollte und könnte. Immerhin hatte da gewisser Stolz auf den Sohn herausgeklungen.

„Deine Eltern starben an der Seuche? Wer waren sie denn?“

„Oh, mein Vater hieß Minnacht. Er war der Stadtvorsteher von Per-Bast und Milchbruder des Herrn der beiden Länder, er lebe, sei heil und gesund.“

„So war deine Großmutter die Amme eines Lebenden Gottes. Kein Wunder, dass du in Erwägung als maat-hor gezogen wirst.“ In der Stimme Meritneiths klang gewisse Bewunderung. Sie war aus guter Familie, aber hatte Sau kaum je verlassen. Der Hof, die Residenzstadt, hatten sie eher eingeschüchtert, dazu das strikte höfische Protokoll.

„Ich wollte dich hier nicht stören,“ meinte die junge Dame behutsam. Hier kam sie wohl kaum weiter. „Nur ein wenig die Einsamkeit genießen. Heute Abend soll ein Empfang stattfinden.“

„Ja, natürlich, wenn schon Gäste herkommen. - Ich würde ja auch müssen, wenn mein Ehemann noch leben würde ….“

Merit sah ihre Chance. „Du magst solche Empfänge wohl nicht? Es gibt immer gut zu essen, das muss ich sagen.“

„Ach ja, Baunefer und Merigeb lassen sich bei solchen Gelegenheiten immer etwas einfallen. Aber ich würde sowieso nichts essen wollen. Ich müsste immer daran denken, wie das letzte Mal ….“

„Oh, deinem Mann ging es nach einem solchen Essen so schlecht? War es etwa ein Fehler in der Küche? Und wurden auch andere Leute krank?“

„Oh nein!“ Meritneith war prompt bemüht Schwager und Schwägerin zu schützen. „Wirklich nicht! Es wurde niemand krank außer ihm. Und der Arzt sagte ja, es wäre ein dämonischer Wurm. Er erklärte es mir so, dass in einem Körper ein Fluss laufe, mit vielen Kanälen. Der giftige, dämonische Same käme dort hinein und würde etwas verstopfen. Deswegen soll man ja auch immer wieder Abführmittel nehmen. Leider hat es bei meinem armen Ehemann nichts geholfen und so schloss der Arzt eben auf einen Wurm. Ich hatte ja einmal einen Wurm im Zahn, der daran fraß, und ein Zahnarzt konnte das Loch verschließen und mir den Schmerz nehmen. Ich weiß, wie weh das tat. Merinut sagte ja auch zu mir, es sei, als oh er innerlich aufgefressen würde, so sehr schmerze es.“

Das war eine neue Information. Bislang war doch gesagt worden, die Opfer seien alle durch Ersticken gestorben? Schmerzte das etwa auch? Sie müsste es in jedem Fall Meruka und Rahotep berichten. „Ja, das hört sich schrecklich an. Möge sein Ka glücklich sein – und dein Sohn dich glücklich machen. - Ich werde dich wieder allein lassen. Ich möchte doch heute Abend hübsch aussehen.“

„Ja, natürlich. Baunefer wird auch ihren Schmuck tragen.“

„Das denke ich mir, ja.“ Merit erhob sich und ging, durchaus zufrieden dass sie hier offenkundig etwas Neues gehört hatte. Sie vermutete, wenn jemand am Ersticken sei, könne er doch nicht mehr sprechen. Also musste der Tote hier an etwas anderem gelitten haben. Handelte es sich etwa gar nicht um eine Serie von Todesfällen, sondern waren eben immer andere Ursachen dafür verantwortlich? Aber das sollten Meruka und Rahotep überlegen. Ihr Interesse sollte wahrlich sein heute Abend hübsch auszusehen, den königlichen Hof würdig zu repräsentieren. Zum Glück hatte sie auch ihren wertvollsten Schmuck mitgenommen, weniger, weil sie an einen großen Empfang in Sau gedacht hatte, als daran, dass sie womöglich dem Herrn der beiden Länder in Pe und Dep begegnen würde, wenn dieser dorthin fuhr, um die Riten der Flusspferdejagd und des Fischfangs zu vollziehen, um die Äcker zu schützen und die Menschen in kemet mit Fisch zu versorgen. Nun, es war besser, dass sie den Schmuck, den ihr der Lebende Gott kemets geschenkt hatte, dabei hatte, denn so könnte sie Baunefer im wahrsten Sinn des Wortes ausstechen. Derartiges besaß eine noch so hochrangige Frau nicht, die nicht der engsten königlichen Familie angehörte. Da sie es von dem Herrn der beiden Länder bereits erhalten hatte ohne mit Menhekat verheiratet zu sein, durfte sie diese Ehre gewiss auch nach außen zeigen. Zunächst jedoch sollte sie sich ausziehen und in dem kühlen Becken waschen und abschminken. Nefer sollte dann auch kommen um ihr zu helfen, so dass sie Neuigkeiten austauschen könnten. Meruka wollte ja stets, dass mindestens zwei seiner Mitarbeiter Informationen teilten, um sicher gehen zu können selbst alle zu erhalten.

 

Nefer hatte sich unterdessen mit Tij unterhalten, aber die Dienerin war ihrerseits zu neugierig auf das Leben bei Hofe gewesen, als dass sie allzu viel hätte in Erfahrung bringen können. Nur, aber immerhin, dass es an dem Abend, an dem Merinut erkrankt war, ebenfalls einen Empfang gegeben hatte, bei dem viele Speisen angeboten worden waren, darunter auch, wie Tij betonte, Ehrengeschenke aus dem Palast des Harpunierenden Horus, darunter der Nachtisch, Datteln in echtem Wein, wie es die Frau aus Sau nannte, also aus Trauben. Es hatte Rind gegeben, Ente, frisch gebackenes Brot aus der großen Bäckerei der Stadt, frisch angesetztes Dattelbier aus der Brauerei, dem auch reichlich zugesprochen worden war. „Das mag im Süden anders sein,“ erklärte Tij stolz. „Aber hier wird Honig mit hineingetan. Ich glaube, im Süden wird der von wilden Bienen gesammelt.“

„Ja, in der Wüste, oder deren Rand,“ hatte Nefer eilig gesagt, die durchaus schon gehört hatte, dass im Delta Bienen in langen Tonröhren gehalten wurden. Das war natürlich einfacher den da zu finden und einzusammeln, aber die Agentin wollte die Gelegenheit nutzen zu verdeutlichen, dass sich die Deltabewohner zu Recht überlegen fühlten.

Tij lächelte auch. „Na, komm. Deine Herrin wird sicher schon warten. Hat sie auch Schmuck dabei?“

„Ja, natürlich.“ Nefer hütete sich freilich zu sagen welchen, zumal sie auch nur gesehen hatte, dass einiges in blau aus Färberwaid gefärbtem Tuch eingehüllt war., auf dem in Gold ein Serech gestickt war. Sie konnte nicht lesen, aber sie wusste, dass darin immer und ausschließlich der Horusname stand.

 

Ptahnacht hatte sich bei Getränken und Essen von den Männern des adjmer von dem erfolgreichen Feldzug, oder eher, der Strafaktion, gegen die tehenu unterrichten lassen. Die gestohlenen Rinder waren ebenso zurückgeholt worden, wie Schafe und Ziegen der Stämme, die das Pech gehabt hatten dem Heer in die Quere zu kommen. Auch fast hundert Gefangene waren gemacht worden, die in den Süden gebracht werden würden, um in den Grauwacke-Steinbrüchen oder anderen Minen zu arbeiten, als Schadenersatz. Das war eine sehr gnädige Sache, befanden alle hier, immerhin hatten es die tehenu gewagt, das Eigentum des Herrn der beiden Länder anzurühren. Ein solcher Diebstahl konnte durchaus mit der Todesstrafe geahndet werden, auch, wenn diese relativ selten verhängt wurde.

Ptahnacht erkundigte sich behutsam, wie denn Empfänge, wie der heute Abend so stattfinden würden, wo die Wachen wären, und damit auch er, wie die Türen bewacht wurden. Auch in Sau, wie schon in Chem, wurde nur das Haupttor für die Gäste aufgelassen, alle anderen geschlossen und verriegelt. Nachtwachen passten auf, dass auch wirklich jeder nach Hause ging, der nicht in den Statthaltersitz gehörte. Es konnte also kein Fremder gewesen sein. Doch Unfall oder eine natürliche Krankheit, die nur die Ärzte nicht kannten? Er selbst hatte ja den Chirurgen auf einem Feldzug gegen die Sandleute eine Menge zu verdanken, sie hatten ihm das Leben gerettet, aber deswegen nahm er nicht an, dass jeder Arzt jede Krankheit kannte. Allerdings sollte der Oberste der Ärzte genug Ahnung haben, um zumindest in der Bibliothek nachschlagen zu können. Was also war nur passiert? Oder etwas ganz anderes, was jeder kannte – und an das keiner dachte, weil es eben alltäglich war? Was war da nur gerade für ein Gedanke vorbei gehuscht?

Er sollte besser zuhören, was die Kameraden hier so von sich gaben, erkannte er, als er zum zweiten mal gefragt wurde, wie denn die Wachen in Ibenu-hedj stationiert wären, was sie zu essen bekämen …. Hastig streckte er seinen Becher aus. „Gib mir noch Wein,“ forderte er. „Dann bekommt ihr es ausführlich zu hören, was es im Haus der Getreuen so gibt.“ Jetzt musste er selbst reden, aber darin besaß er Übung. Alle wollten wissen, wie es einem Wächter des mächtigen Horus erging, schließlich war das der Wunsch manches Kriegers.

 

Rahotep hatte sich einige Zeit mit seinem Vater unterhalten, dem über seine Karriere und die Aussichten berichtet, zumal als Arzt der königlichen Familie, genauer, der Königssöhne, ehe er sich noch zu seiner Mutter begab. Baunefer wollte, wie eigentlich immer, wissen, ob er sich nicht eine Ehefrau aus guter Familie suchen wollte, er wiegelte, ebenso wie immer, damit ab, dass er zum Einen seine Verlobte nicht vergessen könne, zum Zweiten doch erst noch seinen beruflichen Fortgang beschleunigen wollte. Und solch eine Reise wie hier wäre mit Ehefrau und kleinen Kindern doch schlechter möglich. Danach allerdings suchte er den Arzt der Familie auf, der drüben, in einem Haus direkt neben dem Neith-Tempel wohnte und arbeitete – und der sich sehr über sein Kommen freute, zumal er Nachrichten aus erster Hand aus dem Haus des Lebens in der Residenzstadt erhoffte. Nach seiner Ausbildung war er doch seltener dort gewesen, aber er kannte einige der königlichen Ärzte noch aus dieser Zeit.Sein Name war Djehutimose und er war schon sehr lange in Sau, noch unter dem früheren adjmer, ehe mit der Thronbesteigung Horus Quahedjets auch dessen Vertrauter der Wächter der westlichen Wüsten geworden war. Nicht, dass der Arzt am Urteil des Lebenden Gottes auch nur zu zweifeln wagte. Merigeb war ein hervorragender Verwalter und Schützer des delta, das klang in seiner Rede immer wieder heraus, wenn er dessen Sohn aus den letzten Jahren erzählte.

Rahotep hörte eine Weile geduldig zu, ehe ihm einfiel, dass er sich wohl auch noch für den Empfang heute Abend waschen und umkleiden musste. Es wäre undenkbar gewesen für einen königlichen Arzt, aber auch den Sohn des Gauvorstehers, in einem zerknitterten oder gefleckten Schurz, ungewaschen und ungeschminkt aufzutauchen. So kam er etwas abrupt zu dem Thema, das ihn eigentlich interessierte. „Ich hörte, du warst dabei, als Onkel verstarb. Du konntest nichts tun.“

„Nein, leider nicht. Die Boten der Sachmet hatten zugeschlagen. Ich versuchte es natürlich, mit einem Getränk aus Sellerie oder auch noch einem Abführmittel aus dem Granatapfelbaum aus retenu. Selten und teuer, wie du weißt, aber ich hoffte doch noch, es sei ein gewöhnlicher Wurm.“

„Das war es nicht.“ Ja, Sud aus Granatäpfeln vertrieb sehr sicher die Asch- Würmer aus dem Körper. „Du hast keinerlei Mittel gescheut, entnehme ich dem.“

„Das ist wahr. Aber, nun, du weißt es selbst, Rahotep. Es gibt Krankheiten, die man nicht heilen kann. Dennoch suchte ich noch durch Räuchern ihm Linderung zu verschaffen, die Dämonen mit dem Geruch des Weihrauchs zu vertreiben. Auch ohne Erfolg. Er wurde immer matter, rang immer mehr nach Atem und verstarb schließlich. Ich konnte für deine Tante noch Beruhigungsmittel brauen. Sie war sehr erschöpft und litt mit.“

Weihrauch stammte von Sträuchern, die noch tief im Süden von kemet wuchsen, ja, von weiter her, aus retenu oder auch kusch beschafft wurden. Man benötigte ihn für die Götter und natürlich den Horus, um die Riten zu vollziehen, aber auch für manche Räucherung bei schwerkranken Patienten. Bei einigen wurde es wirklich besser.Man konnte ihn als Arzt oder Priester nur über den Palast des Horus beziehen. Nein, Dejutimose hatte wirklich an nichts gespart. Ein ärztlicher Kunstfehler war ausgeschlossen, wie er es sich eigentlich bereits gedacht hatte. Immerhin gab es auch den Tod von Merithor in Chem und die anderen Vorfälle. „Ja, du hast wirklich alles unternommen. Aber es gibt eben Dinge, die auch ein noch so kundiger Arzt nicht heilen kann. - Verzeih, wenn ich das nochmals frage, aber ich möchte auch lernen, da du viel erfahrener bist als ich. Onkel wurde immer matter? Rang er erst dann nach Atem oder bereits zuvor?“

„Als ich gerufen wurde bekam er kaum mehr Luft. Aber er hatte kein Fieber, obwohl sein Puls sehr rasch schlug. Ich vermutete, er kämpfe mit einer Krankheit, aber ich sah keine. Sein Atem ging auch immer rascher und er begann zu keuchen, konnte auch nicht mehr sprechen. Obwohl deine Tante sagte, zuvor hätte er es noch vermocht. Aber sie riefen mich erst im Morgengrauen.“

„Ich verstehe dein Problem, das du Ramose schriebst.“ Das klang eigentlich auch nicht nach einer der bekannten Lebensmittelvergiftungen. Und überhaupt – wieso nur eine Person? Dieses Rätsel blieb. Meruka tippte ja auf Öl oder Parfüm, aber das erschien Rahotep doch recht weit hergeholt.

„Ach ja, der Oberste der Ärzte ist ja dein Lehrer. Alle anderen, die an dem Empfang teilnahmen waren übrigens unversehrt. Es kann nicht am Essen gelegen haben.“

„Ich danke dir.“ Rahotep erhob sich, doch ein wenig unzufrieden.
 

Der Empfang


 

M

eruka sah sich unwillkürlich um, als er hörte, dass die Türmatte vor dem Gästezimmer bewegt wurde. Ptahnacht kam herein und er entspannte sich.

„Hast du etwas?“

„Nichts besonderes zu unserem Thema. Es wurde sozusagen das Übliche gegessen. Und ich weiß, dass alle Wachen aufgepasst haben, dass auch der letzte Gast die Residenz verließ, ehe das große Tor geschlossen wurde. Ich habe übrigens Nefer getroffen mit einer Frau aus diesem Haus, sie kamen mit Dienern, die die Kisten trugen. Merit will wohl heute Abend hübsch aussehen.“

„Davon gehe ich aus. Ich hoffe nur, dass sie sich zurücknehmen kann. Baunefer scheint sehr stolz auf ihren Rang zu sein.“ Und das Allerletzte, was man bei solchen Ermittlungen brauchte, wäre ein Skandal. Beide Damen trugen den Titel „Königsbekannte“, aber Baunefer hielt sich wohl für ranghöher, zumindest, solange Merit nicht mit einem Königssohn verheiratet war oder gar die Gemahlin des Horus.

„Naja, unser Gastgeber ist ja auch ziemlich weit oben, oder?“ Ptahnacht ließ sich ohne weiteres auf dem Bett nieder.

„Ja. Und sie ist die Schwester von Chummose, eines der Großen. Ihre Mutter war eine Schwester des letzten Herrn der beiden Länder. Darum hat sie auch Merigeb geheiratet, auch er ist entfernt mit dem Königshaus verwandt.“

„Um es mal so zu sagen, viele der hohen Beamten, irgendwie, oder? Du auch.“

„Nun ja, meine Mutter ist mit einem Königsbruder verheiratet, ja. Und Merits Vater war ein Milchbruder des Horus. Ja, irgendwie wohl schon.“ Meruka setzte sich wieder an das Tischchen, wo er seine Schminkpalette ausgebreitet hatte und nahm das feine Röhrchen auf, ehe er es durch die angefeuchtete Holzkohle zog, um sich die Augen zu umrahmen. Auch er wollte bei dem Empfang sich seiner Stellung entsprechend zeigen und schminkte sich neu. Für die Lider hatte er fein gemahlenen Malachit gewählt, sicher, dass auch der Hausherr zu Halbedelsteinen greifen würde. „Morgen hast du frei und kannst dich am Hafen umhören.“

„Sobald Nefer frei hat. Ich habe mich erkundigt, am Hafen gibt es auch Marktstände, da kann ich mich ein bisschen umhören. Und es wird kaum auffallen, wenn ich nach dem fremden Schiff frage. Das sieht man ja nicht alle Tage.“

„Ja, was die Leute aus keftiu hier verkauft haben. Ich werde später Merigeb auch danach fragen, vielleicht kam von dort etwas hier an Land, was giftig war, und wurde weiter verteilt. Soweit wir wissen gab es bei allen Todesfällen Lieferungen aus dem Palast des Harpunierenden Horus. Schiffe aus keftiu sind selten – auch das könnte erklären, warum es so viele Tote so verbreitet gab. Die Lieferungen brauchten eben Monate.“ Der Vorsteher der Schreiber stand auf und sah sich nach seinem Strick um. Ptahnacht warf ihm ihn zu und er verknotete ihn um die Taille, ehe er zu einem blütenweißen Stück Stoff griff, es geübt umschlang und zwischen den Beinen hindurchzog, um es über der Schnur vorn hinabhängen zu lassen. Damit wurde auch Wohlstand demonstriert. Einfache Bauern trugen oft nur zwei Tücher vorn und hinten, bei schmutzigen Arbeiten zumal im Sommer auch gar nichts.

„Du trägst auch zwei, nein, drei Ketten?“ Ptahnacht musterte neugierig die bunten Halbedelsteine, die von grünen Fayenceperlen aus Distanz gehalten wurden. Er kam selten dazu so etwas zu tragen, wenn, dann nur bei einem Auftrag. Gewöhnlich zierte seine Brust nur das Amulett des Upauut, des schakalähnlichen Wegöffners des Horus – und Zeichen seiner „Getreuen“. Upauut war auch ihr Schutzgott und sie vergaßen nie seiner Statue, die vor dem Haus der Wachen stand, Wasser zu spenden.

„Ja. Dreierketten sind die Mode am Hof. Und die Damen verbinden sie sogar, dass es fast wie ein breiter Kragen aussieht.“ Männer trugen weitaus weniger Armreifen, aber auch davon einige, die Fußkettchen der Frauen waren für Herren dagegen aus der Mode gekommen. Augenschminke allerdings würde für Männer wie Frauen, arm und reich nie aus der Mode kommen. Es gab zu viele Blinde, den fähigen Augenärzten zum Trotz, und es half eigentlich nur die Magie. Er streifte sich die unterste und längste Kette über. An ihr zeigte sich unten die Göttin Seschat, die Schutzpatronin der Schreiber, und ein hundeartiges Wesen, das seinen Rang als sab-Beamter, als Ermittler und Richter im Namen des Lebenden Gottes anzeigte. Warum sollte er damit hinter dem Berg halten. Merigeb wusste sicher, dass er im engsten Umfeld des Horus arbeitete. Schließlich galt der als einer der wenigen Vertrauten. Nun, sie beide, wenn man es so sehen wollte, neben den Halbbrüdern des Königs. Einziger Freund des Königs war eben auch ein sehr seltener Titel. „Hast du Gelegenheit vor dem Empfang noch Nefer oder besser noch Merit zu sehen?“

„Nefer, eher. Was soll ich ihr sagen?“

„Wir wissen noch immer nicht woran die Leute starben. Sie sollte sich nur Lebensmittel nehmen, die sicher nicht vergiftet sein können, wie einen Teil eines Fisches oder Brot. Ich werde mich auch daran halten. Rahotep werde ich selbst informieren. Lieber hungrig vom Bankett aufstehen als tot.“ Und er verspürte nicht die mindeste Lust herauszufinden, was ein lebender Gott für überaus wirksame Flüche im Dies- und Jenseits ausstoßen konnte, stürbe ihm die künftige Schwiegertochter.

 

Merigeb setzte sich auf seinen Hocker und musterte zufrieden seine Halle. Alles war vorbereitet, duftende Blüten auf den Boden gestreut, in den Kohlepfannen verglühten Lotosblüten, die Diner stapelten im Hintergrund die kleinen Tischchen, die vor jedem Gast aufgestellt werden würden, Kissen wurden ausgelegt. Und seine Frau sah bezaubernd aus. Baunefer trug ein eng anliegendes Etuikleid aus feinstem Leinen, dessen breite Träger ihre Brüste bedeckten. Darüber lagen die modischen drei Ketten, wertvoll und eine davon sogar vom lebenden Horus geschenkt. Um ihre dunkle Perücke spannte sich ein kupfernes Diadem, dessen Blüten aus Alabaster nachgebildet worden waren. Über ihren Hinterkopf rann dunkelrot ein besticktes Band. „Du machst diesem Haus alle Ehre,“ sagte er, wohl wissend, dass sie auf dieses Lob wartete.

Sie lächelte auch und schob die fünf Armbänder an ihrem linken Handgelenk unwillkürlich nach oben. „Man sollte zeigen, was die Familie bringt, nicht wahr?“

„Du möchtest gern Meresanch ausstechen.“

„Verständlich, nicht wahr? Sie ist zwar die Tochter eines Stadtvorstehers und aus guter Familie, aber ich bin höher geboren. Meine Mutter war die Tochter eines Lebenden Gottes.“

„Ja, ich weiß.“ Und das hatte ihm durchaus in den Anfängen seiner Karriere geholfen. Später allerdings war er aus eigenen Erfolgen aufgestiegen, was wiederum Baunefer nicht so gern hörte. Ihr Bruder war ja nun auch der Sprecher von Nechen, ein Titel, der früher nur Königssöhnen zugestanden hatte. Aber die Zeiten änderten sich eben. Und er persönlich würde Meresanch höflich behandeln. Falls etwas schief lief in der Zukunft, was die Götter verhindern mochten, wäre sie Regentin. Allerdings auch als Königinmutter in der Lage sich an Leute zu erinnern, die ihr schräg gekommen waren. Und Königsmütter trugen nicht umsonst gern den Titel „Alles, was sie sagt, wird ihr getan“. Man sollte vorsichtig sein. Aber Baunefer würde das kaum gern hören. Nun, was sollte es. Sie wüsste sich zu benehmen. Merigeb lächelte, als er seine beiden noch lebenden Söhne in lebhaftem Gespräch eintreten sah. Rahotep, der Arzt, und Cheprihotep, sein Nachfolger. Mit ihnen kam sogar Sesheshet, der er es freigestellt hatte hier teilzunehmen. Die Geburt ihres ersten Kindes, seines ersten Enkels, näherte sich, man hatte schon auf dem Dach die Geburtslaube errichtet, für den Fall der Fälle. Bis auf die Tatsache, dass sein Bruder in den Westen gegangen war und seine Schwägerin noch immer sehr darunter litt, waren sie doch eine glückliche, von den Göttern gesegnete, Familie. „Oh, Baunefer, Meritneith bleibt in ihrem Zimmer?“

„Ja. Ihr geht es noch nicht gut genug zum feiern. Rahotep hat sie allerdings besucht, hörte ich.“

Das Ehepaar begrüßte höflich und sichtlich erfreut Söhne und Schwiegertochter, die Baunefer möglichst unauffällig sofort auf die Seite schob und auf ein Kissen drückte. „Setz dich nur. Niemand wird es dir verübeln. Dir geht es doch gut genug?“

„Ja, danke.“ Die junge Frau, unter deren Kleid sich deutlich eine Wölbung abzeichnete, griff jedoch unwillkürlich nach dem Amulett, das sie an einem Gürtel trug – die Flusspferdgöttin Tausret, die Schwangere und Gebärende schützte. Sesheshet wusste wie jede Frau in kemet um die Gefahren dieser Zeit, aber bislang war alles gut verlaufen. „Oh, das ist wohl der Ehrengast? Der Vorsteher der königlichen Schreiber?“

Baunefer wandte sich um. Mit anderen Gästen kam auch Meruka. Ja, der trug die ihm zustehenden Amulette und teuren Schmuck, hatte für heute Abend auch bereits auf die Oberbekleidung verzichtet. Als Gastgeberin sah sie zufrieden, wie er tief einatmete. Ja, die Düfte der Blumen des Delta waren durchaus anders als auch nur in Ibenu-hedj oder noch weiter im Süden, zumal um diese Jahreszeit. Er ging sofort zu Merigeb um den zu begrüßen. Gut. Das lief. Wo blieb denn nur Meresanch? Es war kaum davon auszugehen, dass die Schreiberin der maat-hor allzu viel an Schmuck auf diese Reise mitgenommen hatte, zumal kostbaren. Aber, selbst wenn. so würden ihre Ehrengeschenke doch stets höher rangieren als die ihren. Noch war diese mit keinem Königssohn verheiratet, hatte kein Kind geboren. Warum also sollte der mächtige Horus ihr seine Gunst zuwenden. Oh, da kam sie ja. Automatisch glitt der Blick der Königsbekannten an ihrem jungen Gast entlang, sah zufrieden, dass diese zwar fünf Armreifen am linken Arm trug, aber nur einen einzigen am rechten. Drei Halsketten, nun ja, und ein Diadem, das neben der Kohlepfanne fast silbern leuchtete. Aber natürlich war es auch aus Kupfer, wie das Meresanch auch schon zuvor getragen hatte und auch sie selbst. Das stand einer Frau, die der König kennt, zu.

 

Meruka wandte sich von Merigeb ab, als dieser an ihm vorbei blickte und sichtlich erstaunt war. Gut, dachte er. Er hätte sich denken können, dass Merit auf die kleinen Sticheleien einstieg. Frauen waren da in der Rangordnung fast rigoroser als Männer, die das über ihre Titel klärten. Bei Frauen war es Kleid und Schmuck, das dominierend wirkte. Im ersten Moment war auch er überrascht, dass Merit am rechten Arm nur ein Armband trug. Als sie näherkam erkannte er, dass ihn zumindest der erste Eindruck nicht getäuscht hatte – sie trug nicht mehr das kupferne Diadem der letzten Tage. Das, was sie da auf dem Kopf hatte, konnte nur, musste, ein persönliches Geschenk des Lebenden Gottes sein: ziseliertes Silber, besetzt mit Blüten, in denen Lapislazuli schimmerten. Silber. Viel kostbarer als Gold, da es stets von außerhalb kemets als Tribut dem Horus gegeben wurde. Das würde Baunefer kaum freuen. Und jetzt sah er auch, warum nur ein Armband Merits Rechte zierte – weiße Fayenceperlen hielten blau unterlegte Plaketten in Abstand, auf denen sich der Horusfalke duckte, gemeinsam mit dem Namenszug. Kein anderer Schmuck wäre daneben würdig gewesen. So etwas trug neben dem Herrn der beiden Länder gewiss nur die maat-hor und war ein überaus persönliches Geschenk, das große Wertschätzung zeigte. Unwillkürlich warf der Ermittler einen Blick auf seinen Gastgeber, aber Merigeb war erfahren genug – ahnungslos wohl kaum – um nur höflich den Kopf zu neigen.

Baunefer dagegen schluckte etwas. Das war nichts, mit dem sie mithalten konnte. Aber sie konnte und musste sich zusammennehmen. So meinte sie: „Ah, Meresanch. Ich darf dir meine Schwiegertochter Sesheshet vorstellen?“

„Gern, ja.“ Merit unterdrückte ihre Heiterkeit und wandte sich freundlich an die junge hoffende Mutter. „Die Götter haben dich gesegnet, Sesheshet. Ich hoffe, dir geht es gut.“

Höfisch erzogen. Dachten alle, die sie hörten prompt. Das kam so selbstverständlich. Nun ja. Der Lebende Horus hatte gewusst, warum er die Ehe seines ältesten Sohnes mit ihr anbefahl. Sie ließ sich auch auf ein Kissen neben Sesheshet nieder und die beiden jungen Frauen begannen zu plaudern.

 

Weitere Gäste aus Sau selbst kamen, die die Gelegenheit nutzen wollten, einmal Personen des königlichen Umfeldes zu sehen. Natürlich gab es den adjmer und seine Frau, aber solch hochrangige Fremde kamen doch recht selten her. Und der lebende Gott bevorzugte Pe und Dep, befand sich dort doch der alte, ehrwürdige Palast des Harpunierenden Horus. Dennoch hatte es die Schreiber des Neith-Gaus gefreut, als der Herr der beiden Länder beschlossen hatte, in ihrem Gebiet eine Domäne als Totenstiftung zu gründen. Noch stand nicht genau fest, wer diese betreuen würde, aber als Priester eines verstorbenen Königs hatte ein Beamter stets auch Anteil an den Opfergaben, war wohl versorgt. So versuchte der Eine oder Andere Meruka auszuhorchen, aber dieser beteuerte wahrheitsgemäß, dass dies nicht zu seinem Amtsbereich gehörte.

Als die Diener die Tischchen vor den Gästen aufbauten und die mit Gerichten beladenen Platten hereintrugen, beobachteten die drei Ermittler aufmerksam was geschah. Leider, das mussten sie so feststellen, gab es keine Gelegenheit bewusst eine Person im Raum zu vergiften. Brot wurde ebenso auf Platten herumgereicht, wie gebratene Tauben und Enten, gesottenes Rindfleisch, Käse. Jede Platte wurde von den Dienern der Reihe nach serviert, die nächste genommen. Unmöglich, dass Meritnut zielgerichtet vergiftet worden war. Doch nicht das Essen, sondern war die Todesursache wie Meruka bereits vermutet ein Parfüm? In Chem war es ja das Gleiche gewesen. Käse wurde gereicht, als Abschluss in Traubenwein eingelegte Datteln aus den Vorräten des Lebenden Horus. Nur, das bedeutete leider, dachte der Vorsteher der Schreiber dass es entweder sich um Versehen, Unfälle, handelte, Fehler mit fatalen Folgen – oder jemand bewusst wahllos Menschen tötete. Was es war, das lag nun an ihm und seinen Mitarbeitern. Hoffentlich würde Ptahnacht morgen im Hafen zumindest das Schiff von keftiu ausschließen können. Mit diesen Ausländern war immer schlecht reden. Auch, wenn sie vernünftig sprechen konnten, vergaßen sie die zivile Sprache sobald es Probleme gab. Das kannte er ja auch von den Leuten aus kanan oder retenu und er bezweifelte, dass die Menschen von Inseln inmitten des Meeres anders wären.

Aber dieser Empfang war anscheinend nicht sonderlich weiter führend. Sie machten nur negative Ausschlüsse, wie die Tode nicht passiert sein konnten. Dass Menschen mit nahezu identischen Symptomen in den Westen gegangen warne, war jedoch ein Fakt. Und er sollte ausschließen, dass der Dämon der Sachmet, der da zugeschlagen hatte, kein menschliches Gesicht trug.

 

Die Nacht war schon lange hereingebrochen als die Residenz des Statthalters still wurde, selbst die Wachen verschwanden. Meruka setzte sich auf sein Bett und wartete geduldig. Nach einer Weile huschte Nefer herein und meinte leise:

„Merit schminkt sich selbst ab. Die Anderen?“

„kommen gleich.“

Tatsächlich hoben kurz darauf auch Ptahnacht und Rahotep die Türmatte. Die drei Mitarbeiter ließen sich einfach auf dem Boden nieder, knapp vor dem Bett, so dass sie leise miteinander reden konnten.

Meruka sah zu Nefer: „Sie kommt aber?“

„Ja. Sie meinte nur, ich solle schon mal gehen. Hast du ihren Schmuck gesehen? Ich dachte ja, mit verschlägt es den Atem, als ich das Armband in der Hand hielt!“

„Ich wusste auch nichts davon. Mal hören, was sie erzählt. - Ah, Merit.“

Denn die kam auch heran, nur noch in dem leichten Leinenkleid, ohne Schmuck und Perücke, das Gesicht ebenso wie Meruka und Nefer bereits frei von magischen Zeichen oder auch nur dem Ockerpuder, der die Haut vor dem stetigen Sand und der Sonne schützte. Sie setzte sich neben ihre Kollegin und alle sahen zu ihrem Vorsteher.

So begann Meruka: „ich vermute einmal, dass ihr das Gleiche erfahren habt wie ich: so ähnlich wie heute Abend ließ auch der Empfang ab, den Merinut vor seinem Tod gab. Er war der Stadtvorsteher und hatte einige Leute, Schreiber und wichtige Mitarbeiter eingeladen, darunter natürlich auch seinen Bruder als adjmer. Das Fest fand in der halle statt und zu essen gab es ähnlich wie heute. Fangen wir mit die an, Rahotep. Hast du etwas anderes in Erfahrung bringen können?“

„Nein,“ gab der Arzt zu. „Dejhutimose steht und stand vor einem Rätsel, als er gerufen wurde, ging es Onkel bereits sehr schlecht und er rang nur mehr nach Atem. Er verwendete alle anerkannten Heilungsmethoden, oder auch nur zur Linderung, aber nichts half. Er meinte, sie hätten ihn auch erst im Morgengrauen gerufen, aber, wenn der Empfang so lange dauerte wie heute, wäre das auch kein Wunder. Es wird in wenigen Stunden bereits wieder hell. Jedenfalls bekam Onkel da schon keine Luft mehr und vermochte nicht mehr zu sprechen, obwohl meine Tante zum Arzt meinte, er habe es noch versucht.“

„Verzeih, wenn ich dich unterbreche, Rahotep,“ meinte Merit. „Deine Tante erzählte mir, dein Onkel habe noch gesagt, dass es so sehr schmerze, es fühle sich an, als ob er von innen aufgefressen würde. Sie glaubte, an einen Wurm, ähnlich dem, der Zähne von innen heraus frisst. Kannst du damit etwas anfangen?“

„Im Moment, nein.“ Aber Rahotep begann nachzudenken.

„Hm,“ machte Meruka. „Weiter, Nefer?“

Die dachte kurz nach, um es möglichst genau zu formulieren. Berichte erstatten hatte sie erst bei Meruka gelernt. „Diese Empfänge, sagte mir Tij, aber auch andere, laufen immer gleich ab. Ziemlich aufwendiges Essen, Brot aus der großen Bäckerei in der Stadt, mehrere Sorten, Datteln und Obst aus den Gärten vor der Stadt, die Merinut oder Merigeb gehören, Wein entweder aus ihren eigenen Domänen oder als Geschenk des Lebenden Horus, er lebe, sei heil und gesund, Rinder von den Weiden im Umfeld der Stadt, manchmal auch Wild aus der westlichen Wüste, schließlich ist der adjmer ja auch der Schützer der westlichen Grenze und damit dafür zuständig. Das Wild wird auch nach Ibenu-hedj an den königlichen Hof geliefert, übrigens. Der Fisch, getrocknet oder nicht, wird von Fischern aus dem Umfeld geliefert, oder auch mal aus Pe und Dep oder dem Palast des Harpunierenden Horus.“

„War irgendetwas heute dabei oder auch damals, was als Besonderheit galt, weil es aus keftiu gekommen war?“

„Da hat mir niemand etwas gesagt. Du denkst an das Schiff im Hafen?“

„Ja.“ Meruka sah zu Ptahnacht. „Die Wachen?“

„Auch,“ gab der Wächter des Horus zu. „Nichts besonderes. Alles wie immer. Auch heute wurden die Tore des Palastes geschlossen, sobald alle Gäste da waren, nur das Haupttor blieb offen und bewacht. Durch die anderen kommt man nicht, die sind massiv aus Holz und schließen oben in der Mauer ab. Also mehr als drei Männer hoch. Das Essen und Trinken war ähnlich wie heute. Als alle weg waren, wurden alle Gänge noch einmal abgelaufen, um zu sehen, ob auch wirklich alle Gäste weg oder in ihrem Zimmer waren, ehe auch das Haupttor verriegelt wurde und sich die Wachen hinlegen. Momentan sind nur zwei Männer am Tor stationiert. Morgen werden die Bauern und so übrigens nach Hause geschickt, auch die Männer der Festung Schrecken vor den beiden Ländern. - Eigentlich ist es unmöglich hier jemanden zu vergiften, das muss ich sagen.“

„Und doch ist es nicht nur hier passiert,“ gab Meruka prompt zurück.

„Ja, natürlich, das meinte ich auch nicht. Ich dachte mir vorher nur bei dem Gespräch mit den Kollegen, dass es vielleicht irgendetwas ganz anderes ist, etwas so alltägliches, an das keiner denkt. Wären wir am Meer – es gibt zum Beispiel auch Magenschmerzen oder Ärgeres, wenn man Muscheln isst, die schon zu lange aus dem Wasser sind.“

„Aber das weiß jeder. Und so viele Köche können sich nicht im gesamten Delta irren.“

„Ja, ich weiß. - Schön, Nefer, Schwester, gehen wir morgen zum Hafen. Ich habe den ganzen Tag frei, wenn du gehen kannst, treffen wir uns im Schatten der Sykomore gleich am vordersten Tor. Ich werde auf dich warten.“

Meruka und Rahotep sahen sich an. Muscheln, ja. Die waren im Delta unbekannt, wenn man nicht gerade direkt am Großen Grün wohnte. Ptahnacht stammte ja von dem östlichen Meer, das auch ganz andere Tiere und Pflanzen bot – und eine Möglichkeit der Schifffahrt, man sagte bis nach Punt. Aber Fische und ähnliches kamen nicht durch die engen Wüstentäler bis in das Kernland von kemet, sondern wurde dort gegessen.

 
 

Ptahnacht


 

D

er Getreue des Königs zögerte einen Moment, ehe er langsam sagte: „Meruka, auch du, Rahotep, ihr wisst, ich bin kein Schreiber und schon gar kein Arzt. Aber als ich mit meinen Kollegen redete, kam mir eine Idee, die so ganz anders war. Ich weiß nicht …“

„Rede,“ befahl der Leiter der Gruppe knapp. Er hielt nicht viel davon womöglich gute Ideen im isfedt verschwinden zu lassen, nur, weil man einem einfachen Mann nicht zuhörte.

„Ich redete mit den Kameraden und dabei kam die Rede natürlich auch auf den Arzt hier und die Ärzte im Allgemeinen. Dabei erinnerte ich mich auch an die schwere Verletzung, die ich mir bei einem Feldzug gegen die Sandbewohner zuzog, der erste unter deinem Kommando, Meruka.“

„Du hast einen Stich im Bauch gehabt,“ entsann sich dieser. Nur, was hatte das mit ihrem Fall zu tun? Zurückhaltung, mahnte er sich selbst. Ptahnacht war lange Berichte abliefern kaum gewohnt.

„Ja. Und als jetzt Merit sagte, das Opfer, also, dein Onkel, Rahotep, habe gesagt, es fühle sich an, als ob er von innen gefressen werde, musste ich an damals denken. Das fühlte sich so ähnlich an. Ja.“ Der Wächter überlege sichtlich, wie er das ausdrücken sollte. „Ich weiß ja, dass man bei den Opfern nichts von außen sah, keine Wunde. Vielleicht, weil der Stich eben nicht von außen, sondern von innen kam.“

„Wie sollte ….“ begann der Arzt prompt, bemerkte jedoch das Abwinken seines Vorgesetzten und schwieg.

„Ich bin der Sohn eines Fischers, wie ihr wisst. Im iteru sah ich auch viele Fische schwimmen, die Rückenflossen mit Stacheln haben, darunter den Wels. Sie sind lang und sehr scharf. Sie werden von den Fischern gezogen, gleich, ob die Welse getrocknet oder gekocht werden. Was, wenn solch ein Stachel versehentlich verschluckt wird?“

Das war tatsächlich ein vollkommen neuer Einfall und der Vorsteher der Schreiber und Arzt blickten sich an.

„Nun ja, es mag möglich sein,“ murmelte Rahotep. „Die Speise kommt aus dem Mund ins Herz und dann in den Magen. Wenn solch ein Dorn das Herz durchsticht…. Aber, davon hörte ich nie.“

„Weil es so selten vorkommt?“ schlug Merit sanft vor, um einer aufkommenden schlechten Stimmung gleich entgegen zu wirken.

„Das sicher,“ sagte der hohe Beamte prompt. „Selbst, wenn ein Fischer einen Fehler macht, so wird er doch von seinem Aufseher kontrolliert. Dann werden die Fische zubereitet, auch da sollte es jemand sehen. Jeder Koch sollte es bemerken.“

„Richtig,“ bestätigte Ptahnacht, froh, dass sein Einfall noch nicht vollkommen abgelehnt wurde. „Deswegen geschieht so wenig. Es wird kontrolliert. Aber angenommen, es gibt da einen Fischer, meinetwegen sogar im Palast des Harpunierenden Horus, der das aus Unwissen IMMER vergisst, oder auch aus Schlamperei des Öfteren. Viel wird gefunden, eines wird übersehen und so weiter. Das erklärt, warum es selten vorkommt, auch, warum es nur hochgestellte Personen trifft, die eben aus dem Palast beliefert werden.“

„Das mag ja logisch klingen.“ Nefer griff unwillkürlich nach ihrem Mund. „Aber ich würde doch merken, wenn ich in etwas Hartes oder Stacheliges beiße.“

„Und wieder wurde ein Rückenstachel gefunden und kann kein Unheil mehr anrichten,“ gab Meruka zu. „Aber, du willst doch noch auf etwas hinaus, Ptahnacht?“

Der Krieger nickte. „Ja. Die Opfer waren doch alle bei solchen Empfängen. Gestern trankt ihr Wein und Bier. Bei Wein kann ich mir vorstellen, dass der doch so selten und gut ist, dass man den mit einzelnen Schlucken trinkt. Bier ist fester, breiartiger, und damit spült man doch schon einmal einen Schluck Essen hinunter, oder? Kann man dann einen solchen Stachel übersehen, Rahotep?“

Der Arzt zuckte die Schultern. „Wie lang sind diese Stacheln? Aber, du meinst eher ein Bruchstück, einen Rest im Fisch. Ich will es nicht ausschließen, aber das wäre eine wahrlich lange Kette an Zufällen. Was natürlich auch erklären würde, warum es doch ..man verziehe den Ausdruck, nur relativ wenig Personen traf.“

Meruka schwieg und so sahen ihn alle seine Mitarbeiter an. „Fisch wurde serviert, in Chem und auch hier, wohl aus dem Palast des Harpunierenden Horus. - Ptahnacht, wenn du morgen zum Hafen gehst, du auch, Nefer, redet doch, unabhängig voneinander mit den Fischern und ihren Frauen, die dort gewiss ihren Fang aufbauen und fragt behutsam nach den Stacheln der Fische, auch, ob sie jemanden kennen, der schon einmal nachlässig war. Aber sehr vorsichtig, damit sie auch die Wahrheit sagen und nicht glauben, sie würden verdächtigt. Rahotep, findest du unauffällig morgen noch einmal Gelegenheit mit Djehutimose zu sprechen? Er ist ein sehr erfahrener Arzt. Ob er schon einmal so etwas hörte? Wir brauchen mehr Informationen. Eine lange Kette von Zufällen, ja, du hast recht, Rahotep. Aber das besagt nicht, dass es unmöglich ist. Und ehrlich gesagt, ein nachlässiger Fischer gefiele mir besser als ein Dämon der Sachmet.“

„Ich werde es versuchen,,“ sagte der junge Arzt mit einem Lächeln. „Aber, jeder Erfahrene redet gern. Ich werde auch meine und seine Papyri durchsuchen.“ Jeder Arzt in kemet trug die für ihn wichtigsten Abschriften der Lehrbücher stets mit sich: ein Augenarzt für die Augen, ein Chirurg auf diesem Bereich.“

„Gut. Ich werde mit deinem Vater reden und auch unseren Kapitän aufsuchen, wann wir morgen abreisen können. Es gibt ohne weiteres keinen Grund, warum wir uns hier länger aufhalten sollten. Dann geht es nach Pe und Dep, danach in den Palast des Horus.“

 

So bummelte Ptahnacht am nächsten Vormittag durch Sau in Richtung auf das Tor in der Stadtmauer, das zum Hafen und den dort liegenden Schiffen führte. Dort befanden sich auf Lagerhallen, in denn die Güter, die hier nur umgeschlagen und rasch weitertransportiert wurden, zwischengelagert wurden. Die Lagerhallen der Stadt selbst befanden sich wohlweislich innerhalb der Schutzwehr. Man musste Sandleute und tehenu ja nicht unbedingt einladen, wobei weder die einen noch die anderen es mit Schiffen hatten. Vor der mauer befand sich auch ein freier Platz, wo Bauern und Handwerker der Stadt und der Umgebung ihre Waren feilboten. Er trug seinen weißen Schurz, jedoch keine Waffen nur das Amulett des Upauut auf seiner Brust zeigte seine Stellung. Er drehte sich nicht um, auch, wenn er wusste, dass Nefer ihm im Abstand folgte. Ihre Kleidung und ihre Perücke entsprachen weit weniger einer Dienerin einer Königstochter als einer bürgerlichen Herrin des Hauses. Sie trug eine aus bunten Fäden gewebten Gürtel und zwei Halsketten aus Steinen, als deutlichen Anhänger eine Muschel. In der Hand hielt sie einen Beutel aus festem Hanf gewebten den besser wohl niemand hineinblicken sollte, befand sich darin doch der Schmuck für Hals, Arme und Stirn, den sie sich vor Betreten des Statthalterpalastes rasch wieder überstreifen würde. Die Wachen am Hafentor wirkten eher gelangweilt, verständlich, denn an ihnen vorbei wanden sich Einkäufer, aber auch zum Hafen gehende Transportarbeiter mit Amphoren und Säcken. Er sah sich kurz um, entdeckte dann eine Frau die auf Matten offenbar Fische anbot, die frisch heute morgen gefangen worden waren. Sie verstand etwas von ihrem Geschäft, das verriet ihm die Tatsache, dass sie auch eine Matte über ein Gestänge als Schatten geworfen hatte und immer wieder die Ware mit Wasser, das sie aus dem Fluss holte, begoss. So ging er näher, in der Hoffnung etwas über Welse zu erfahren,zumal er dort zwei kleinere Exemplare liegen sah, wenngleich sorgfältig bearbeitet.

„Hast du auch getrockneten Fisch, den man tagelang mitführen kann?“

Sie sah ihn kurz an, deutete dann auf ihre Fische. „Nein, nur frische Ware, heute morgen gefangen.“

„Schade, so kann ich ihn nicht mitnehmen.“

„Ach, bist du von den Männern, die jetzt wieder nach Hause dürfen? Ich sah sie vor der Stadt.“

„Nein, ich komme in Begleitung eines hohen Beamten aus Ibenu-hedj. Und so gute Fische wie hier im Delta gibt es ja dort nicht.“ Was nicht so ganz stimmte, aber er wusste, dass jede Gegend stolz auf sich war.

Die Frau lächelte auch zufrieden. „Ja, das ist wohl wahr. Man sagt, selbst der Lebende Horus, er lebe, sei heil und gesund, lasse sich so etwas lieber aus dem Delta kommen. Er kommt sogar selbst her.“

„Was, hierher?“ Da musste sich die Frau irren.

„Nein, natürlich nicht, aber es heißt doch, dass er nach Pe und Dep fährt, noch ehe die Flut kommt.“

War das möglich? Merit oder Meruka hatten nichts erwähnt, aber natürlich hatte sie auch niemand gefragt. Und ja, der Gott auf dem Thron der Lebenden fuhr alle zwei Jahre oder so in den Palast des Harpunierenden Horus um dort zeremoniell ein Nilpferd zu erlegen, Vögel und Fische zu fangen, um so sowohl Schaden von kemet abzuwenden als auch den Menschen zu helfen selbst etwas zu fangen. Aber Gerüchte kamen immer rasch auf. „Was ist das hier für eine Sorte? Sie ist recht groß. Aber Barsch ist das nicht?“

„Nein, Barsche sind solche hier, kleinere und größere. Es gibt viele Arten. Das hier sind Welse.“

„Welse?“ tat er erstaunt.

„Oh, ja, man muss erfahren und geschickt sein als Fischer um sie zu fangen, wie mein Mann und sein Bruder. Sie beißen sehr.“

Nun ja, das Maul war groß genug, dachte der Fischersohn, aber dennoch hatte er noch nie davon gehört, dass Fische Menschen beißen würden. Ein Mann trat heran und neben die Verkäuferin, der offenkundig an einem anderen Stand etwas getauscht hatte und Ptahnacht hätte nicht Agent des mächtigen Horus, sondern der dümmste aller Sterblichen sein müssen, um nicht den Blick deuten zu können. Ja, da war jemand eifersüchtig. So meinte er eilig: „Ach, du bist wohl der Fischer. Deine Frau erzählte mir gerade, dass nicht jeder solche Welse fangen könne, nur, wenn man stark und geschickt ist. Das ist wohl auch der Grund, warum einige sich weigern sie zu fangen. Jemand, also, ein Fischer, erzählte mir in Ibenu-hedj, dass er sie nie fange.“

Der Fischer war beruhigte. „Ach, dann hat er keine Ahnung, oder er war aus Djedu.“

„Wieso Djedu?“ Das war immerhin eine Stadt im Delta.

„Der Gott dieser Stadt heißt User, Usir oder so. Und dieser Fisch ist ihm heilig. Natürlich wissen die Leute aus Djedu, dass Welse das anderswo nicht sind.“

Ja, jede Stadt hatte ihre Götter und jeder Gott seine Eigenheiten. „Von dem habe ich noch nie etwas gehört. Aber gut, ich war auch nie in Djedu.“

„Du bist auch nicht aus Sau.“

„Nein, ich kam gestern mit dem hohen Beamten aus Ibenu-hedj. Heute habe ich frei, aber morgen werde ich mit ihm weiter reisen.“

„Ein hoher Schreiber, wohl?“ Der Fischer deutete auf die „Wildstier“.

„Ein Schreiber, ja. - Aber, sag, das andere Schiff dort, sieht so ganz anders aus als das mit dem wir kamen. Ist das eines von diesen Schiffen, die über das große Grün kommen?“

„Ja. Es wird morgen auslaufen. Hast du noch nie so eines gesehen? Es sind Leute aus keftiu darauf, Inseln im Meer.“

„Nein, das habe ich nicht. Oh, ja, sie tragen ja Amphoren und Säcke hin. Ja, das wird bald beladen sein. Geschenke des mächtigen Horus, er lebe, sei heil und gesund, an die Völker des Meeres, ohne Zweifel.“

„Ja, vor allem Weizen und Gerste, soweit ich weiß. Leider keine Fische. Aber nun ja, sie werden sie aus dem Großen Grün auch welche fangen können. Natürlich andere als hier im iteru schwimmen.“

„Du weißt viel. Aber natürlich bringen sie auch Tribute für den Lebenden Gott, er lebe sei heil und gesund.“

„Ja. Ein besonderes Öl, Olivenöl, das es hier nicht gibt, auch Kupfer und andere Stangen Metall, was in Körben, das ich nicht kenne.“

Er hatte es wohl nicht sehen können Ptahnacht lächelte etwas. „Ja, das wird dann wohl in Schiffen weiter verteilt. Sag mal, deine Frau meinte vorhin die Welse würden beißen. Ich hörte noch nie von so einem Fisch. Obwohl, groß genug wären sie ja …“

„Es fühlt sich an, als ob sie beißen. Man muss sie in einem Netz fangen und darf sie nicht berühren. Es schmerzt und manchmal wird sogar die Hand oder der Arm kurz gelähmt. Ich weiß nicht, was das ist, aber es fühlt sich wie ein Biss an. Das ist es eben. Man muss geschickt sein. Die Leute aus Djedu haben ja ihren Vorwand.“

„Und man muss mutig sein, wie du.“ Ptahnacht war mit seinen Neuigkeiten hier recht zufrieden. „Ich gehe mir dann mal das Schiff aus keftiu ansehen. Man weiß ja nie, ob man so etwas noch einmal zu Gesicht bekommt.“ Als er sich mit einem höflichen Gruß abwandte, entdeckte er in einiger Entfernung Nefer, die getreu ihrer Aufgabe ihn nicht aus den Augen ließ, aber erfolgreich so tat, als ob sie den übenden Tänzerinnen zusah, die hier ihre akrobatischen Übungen zeigten, in der Hoffnung auf ein Engagement am Abend. Selbst Radschlagen, vorwärts und rückwärts, gehörte zu diesem Programm. Die langen Haare waren echt, schon um dabei keine Perücke zu verlieren. Er ignorierte das Schauspiel allerdings und wandte sich der Wildstier zu, um daran vorbei zu gelangen. Zwischen dem Schiff, das sie hergebracht hatte, und dem aus keftiu lag ein anderes, hölzernes Schiff, das anscheinend entladen worden war, denn die Mannschaft ging frei von Bord. Sie hatten dort wohl geschlafen und genossen jetzt den Aufenthalt in Sau, ehe ihr Schiff im Laufe des Nachmittags wieder beladen wurde und weiter fahren würde. Woher das wohl kam und wohin es ging?

Es war eindeutig heimischer Bauart, aus Holz, das sprach dafür, das es dem Herrn der beiden Länder gehörte.

Er trug immerhin das Abzeichen dessen Leibwachen und so sprach er einen der Ruderer an. „Entschuldige, dieses Schiff … kehrt es nach Pe und Dep zurück?“

„Nein, wir fahren weiter nach Ibenu-hedj. Aber, was fragst du?“

„Nun, wie du siehst bin ich ein „Getreuer“.“ Ptahnacht deutete auf sein Amulett. „ich kam gestern mit einem hohen Beamten hier an und wir sollen morgen Richtung des Palastes des Harpunierenden Horus weiter fahren. Ich bin für seine Sicherheit und die seiner Begleitung verantwortlich. Es wird dich kaum wundern dass ich Erkundigungen einziehe.“

„Oh, ja. Ich sah dein Amulett nicht.“ Der Mann mochte Mitte Dreißig sein und trug nur zwei einfache Ketten um den Hals. Um seinen rechten Oberarm spannte sich ein Kupferreif.

Das ließ Ptahnacht stutzen. Also war das wohl der Steuermann, oder gar der Kapitän. Umso besser. „Nun, dann seid ihr wohl nicht das Schiff, das ich suche. Es heißt Wildstier.“

„Nein, das ist Mins Stolz. Und, wie gesagt, wir fahren weiter.“ Der Mann ging.

Der Agent drehte sich etwas. Eigenartig, dachte er. Ein Mann aus Pe oder sogar dem Palast des Horus, der so kurz angebunden war, obwohl er ihm gesagt hatte, wer er war. Gewöhnlich waren die Leute dann eher redselig, fiel doch von seiner Anwesenheit in der Nähe des Lebenden Gottes auch etwas Abglanz auf ihn. Hm. Ein Schiff aus Pe oder dem Palast des Harpunierenden Horus, das hier auslud und weiter in die Residenzstadt fahren würde. War es nicht genau das, war Meruka erwähnt hatte? Er sollte dem Mann unauffällig folgen, um herauszubringen, was das Schiff geladen hatte. Vielleicht- wären andere, einfachere Ruderer, zumal nach einer Einladung gesprächiger. Der Kapitän, Steuermann, oder was auch immer der war, ging jedenfalls durch das Tor Richtung Stadt. Und, wenn er sich nicht täuschte, hatten da vier Ruderer auf ihn gewartet. Zufall, waren sie befreundet, oder war da eine Verschwörung im Gange? Es gab nur die Möglichkeit nachsehen zu gehen. Sekunde. Warum gingen sie jetzt in ein Lagerhaus? Nun ja, zu einem Lagerhaus und der Kapitän redete dort mit einem Schreiber. Das war eindeutig verdächtig. Er sollte denen irgendwie unauffällig folgen, am Besten, in dem er zunächst zur Wildstier ging. Dort war zwar niemand zu sehen und er hätte auch nicht gewusst, was er Kapitän Paadiptah hätte erzählen sollen, aber das war gleich. Falls sich der Unbekannte umdrehte, würde der doch sehen, dass er sich nach dem „richtigen“ Schiff erkundigte und so wurde seine Tarnung bestärkt.

Erst, als er direkt vor der Wildstier stand, drehte er sich erneut um. Der Trupp aus fünf oder sechs Männern verließ den Hafen, ging durch das Stadttor. Das war zwar nicht verboten, aber er sollte eiligst hinterher, um herauszufinden, was die dort trieben oder auch nur vorhatten. Oder sollte er zuerst mit Nefer sprechen, die zu dem Schreiber schicken, mit dem die Männer gesprochen hatten und der sich nun wieder im Schatten der Lagerhalle niederließ? Nein. Inzwischen konnten die genauso gut auch weg sein. So beeilte er sich, bemüht, nicht durch übertriebene Schnelligkeit aufzufallen, zum Stadttor zu gelangen und hindurch zu gehen. Nefer würde ihn schon nicht aus den Augen lassen. In der geraden, schmalen, Straße direkt dahinter waren rechts und links noch einmal Lagerhallen. Hauptsächlich Männer kamen und gingen in die Häuser, es herrschte ein gewisses treiben, aber ein nochmaliger Blick zeigte eindeutig: die Leute von „Mins Stolz“ waren verschwunden.

Mist.

Er konnte doch nicht zurück zu Meruka gehen und dem sagen, dass er Leute, die sich eigen benahmen nicht genauer überprüft hatte? Immerhin hatte er den Namen des Schiffes, wusste woher es kam und wohin es fuhr, aber … War das nicht der Steuermann oder Kapitän? Der ging soeben in die dritte Lagerhalle von rechts und der davor stehende Wächter bummelte zu seinem Kollegen der nächsten Tür für ein Plauderstündchen. Schön, das war verboten, allerdings nicht, dass ein Kapitän eines Lastschiffes eine Lagerhalle besuchte. Deutlich langsamer ging er näher und versuchte durch die herabgelassene Matte der Tür etwas zu hören. Nichts, aber das war ja auch kaum zu erwarten gewesen. Sollte er oder sollte er nicht?

Diese Frage stellte sich ihm nicht mehr. Etwas traf ihn heftig am Kopf, so heftig, dass er trotz seiner Perücke zusammenbrach. Dass er an den Beinen unter der Türmatte durchgeschleift wurde, spürte Ptahnacht bereits nicht mehr.

 
 

Nefer


 

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Nefer hatte aus den Augenwinkeln beobachtet, dass Ptahnacht mit jemandem von diesem anscheinend königlichen Schiff gesprochen hatte und dem Mann jetzt möglichst unauffällig zum Stadttor folgte. Da sie seinen Schatten spielen sollte, musste sie ebenfalls dorthin. Allerdings benötigte sie etwas länger, da sie noch über fast den halben Markt musste, aber als sie an den Wachen zurück in die eigentliche Stadt gelangte, erstarrte sie. Hier befanden sich rechts und links Lagerhallen, vor manchen saßen Schreiber, aber bis zu dem nächsten schmalen Tor, das sichtlich in eine Gasse mit Wohnbereichen führte, war niemand zu sehen.

Nefer blieb kurz stehen. Das passte nicht zu ihrem Partner, Sie kannte Ptahnacht seit einigen Jahren, sie waren durchaus zusammen in gefährlichen Lagen gewesen – er wusste doch, dass sie ihn beschatten sollte. Wo also steckte er? Warum wartete er nicht vor einem Lagerhaus oder auch nur unauffällig an der Ecke in die Gassenwelt der Stadt? Weil hier, in diesem Lagergebiet irgendetwas passiert war. Entweder war er in eine Falle gelaufen, aus der nur sie ihn herausholen konnte, oder er hatte irgendetwas so überaus wichtiges, eiliges gesehen, dass er nicht auf sie warten wollte oder konnte.

In die engen, schattigen, Gassen Saus zu folgen ohne Ahnung wo sie suchen sollte, wäre unsinnig. So entschloss sie sich die Lagerhallen abzusuchen, natürlich nicht am Haupteingang, neben dem oft genug der zuständige Schreiber im Schatten saß. Das wäre doch auffällig, Frau hin oder her. Aber zum Glück hatten die Lagerhäuser ja meist eine zweite Tür, schon, um im Hochsommer die morgendliche Kühle durchziehen zu lassen. So wich sie nach rechts, da sie sich dort zwischen den Hallen und der Mauer zum Hafen einigermaßen in Sicherheit fühlte. Waren dort Wachen oder etwa auch Schreiber, so musste sie eben improvisieren. Sie nahm ihre Tasche instinktiv fester an sich, als sie sich auf den Weg machte. Die Geräusche des Hafens waren hier kaum zu hören, die Rufe der Händler wurden durch die Mauer gedämpft. Und ihr war so, als hörte sie jemanden reden. Im dritten Lagerhaus.

Möglichst leise huschte sie zu der Mattentür. Zu Glück war hier Schatten, so dass der ihre nicht in die Lagerhalle fallen würde, als sie lauschte.

„Das reicht,“ sagte jemand. „Fesselt ihn. Wir müssen zusehen, dass wir weitermachen.“

„Und wenn der Schreiber kommt?“ erkundigte sich ein anderer.

Nefer hätte fast aufgeatmet. Immerhin musste man Tote nicht fesseln. Aber sie lauschte angespannt.

„Ich sage dem Schreiber, dass unser Schiff etwas später beladen wird. Du weißt schon, Ballast und so. Die Schreiber kennen sich damit nicht aus und glauben einem Kapitän, zumal eines Schiffes des Horus. Gut. Weg jetzt.“

Nefer wich instinktiv zwischen die beiden nächsten Hallen zurück, erkannte jedoch, dass hier hinten niemand herauskam und wandte sich prompt zurück, um nicht im letzten Moment noch durch einen Blick zwischen den Häusern gesehen zu werden. Dann erst hob sie behutsam die Matte auf und huschte hinein.

Ein Lagerhaus wie tausend andere in kemet. Ein Gang, in Sandbetten auf der einen Seite waren Säcke und Amphoren gestapelt. Zwischen Zweien, ungefähr in der Mitte der Halle, entdeckte sie ihren Kollegen.

„Ptahnacht!“ flüsterte sie und ließ sich eilig nieder. Die Bösewichte konnten nur zu bald zurückkommen, wenn sie mit dem Schreiber gesprochen hatten. „Los, komm, beeil dich.“ Sie zog das Obsidianmesser unter ihrem Kleid hervor, froh, dass sie sich angewöhnt hatte, es immer bei sich zu tragen. Zum zweiten Mal schon kam es Ptahnacht zu Gute.

Der Wächter war kaum bei Bewusstsein und offenkundig systematisch zusammen geschlagen worden. Blut rann über seinen verstopften Mund, als er sich mühsam auf zerren ließ.

Nefer nahm den Knebel ab. „Wir müssen hier weg!“ zischte sie. „Los ,hoch mit dir, großer Krieger!“

Das war leichter gesagt als getan, dachte Ptahnacht, aber er gehorchte in dem Wissen, dass sie recht hatte. Auch Meruka hatte recht gehabt ihn nicht allein hier losziehen zu lassen. Zwei gute Gründe seine Partner zu schätzen. Dennoch spürte er, wie schwer er sich auf sie stützen musste.

Zu seiner gewissen Verwunderung bog sie direkt in das folgende Lagerhaus ein. Er wollte sich schon hinsetzen, als sie wie Sachmet persönlich fauchte: „Ich wusste nicht, dass sie dir das Herz zerschlagen haben!“

Das galt als Sitz des Denkens, aber er war zu matt um zu begreifen.

So fuhr sie ruhiger fort, bereits hastig in ihrem Beutel kramend, sich die Perücke abreißend: „los, zieh dich aus. Die werden dich doch suchen! Perücke weg!“

Er nahm sie ab und wickelte etwas mühsam seinen Schurz ab, den Strick, an dem der befestigt war. Was hatte sie nur vor? Zu seiner Verblüffung zog sie sich ebenfalls aus und nahm seine Kleidung. „Hier, zieh mein Kleid über!“ kommandierte sie. „Diese Narren suchen doch gewiss nach einem Mann.“

Er wollte schon einwenden, dass sie doch keiner sein, als sie sich bereits seinen Schutz umwickelte und ebenso hastig seine Perücke überstülpte. Immerhin reichte sie ihr bis zu den Schultern, das ging auch bei Frauen gut durch. Ihre war länger und er konnte, wie er sinnloserweise feststellte, die Haare zwischen den Schulterblättern spüren. Gleich. Er musste ihr Kleid überziehen. Immerhin waren Frauen und Männer fast gleich geschminkt, so dass es schon gehen würde … was hatte sie nur vor? Seine Gedanken waren viel langsamer als gewöhnlich, was nur zu einem Gutteil auf die Schmerzen zurück zu führen war.

„Dir ist wirklich schwer zu helfen,“ murrte sie, als sie ihre Ketten abstreifte und um sein Genick legte. „Hier, meine Sandalen und den Korb. Los.“

 

Ptahnacht gehorchte, noch immer verwirrt und zerschlagen, aber ihm war bewusst, dass Eile geboten war. Nur, sie konnte doch unmöglich als Mann durchgehen? Mit bloßem Oberkörper? Dann erst sah er, dass er nur das weißen Leinenkleid trug. Das darüber geworfene Netz aus Fayenceperlen, das ihr zum Schmuck gedient hatte, trug sie nun über dem Leinenschurz. Am Hafen gab es Tänzerinnen und Marktfrauen, die ihre Waren und Leistungen anboten, aber eben auch andere, die etwas mehr als nur Tanz bieten konnten. Jedenfalls würde kein Mensch daran zweifeln, dass sie weiblich war. Er raffte sich auf.

„Los!“ befahl Nefer ungeduldig und drückte ihm den Korb in die Hand. „Du bist eine alte Frau, gehst gebeugt, trägst schwer an deinem Einkauf. Verschwinde in den Gassen. Ich werde dich schon finden. Falls die Truppe zurück kommt, lenke ich sie ab.“

Dazu brauchte sie kaum mehr zu tun als so, wie sie eben vor ihm stand, aber Ptahnacht fand es besser, dazu nichts zu sagen. So meinte er nur ein wenig mühsam: „Du hast etwas gut bei mir.“

„Vergiss es nur nicht. Weg jetzt.“ Sie trat an den Vorhang zum Hauptweg und überprüfte die Lage. „Los jetzt. - Du gehst ja wirklich wie eine alte Frau,“ erklärte sie dann. „Halte den Kopf geneigt.“

Ptahnacht gehorchte, als er mühsam aus der Lagerhalle humpelte. Das würde er diesem Sextett nie vergessen! Hoffentlich wusste Meruka etwas mit seinem Bericht anzufangen. Diese Tracht prügel würde er den Männern der „Mins Stolz“ nur zu gern heimzahlen.

 

Unbehelligt gelangte er durch das schmale Tor in eine Gasse. Unwillkürlich drehte er sich um, aber er sah nur, wie Nefer scheinbar auf der Suche nach interessierten Kunden ihm in gebührendem Abstand folgte. So würde sie auch sehen, in welche Gasse er verschwand. Die schmalen Straßen hier waren leer, aus den Häusern drangen die Geräusche der fleißigen Hausfrauen, Töpfe, manchmal auch das leise Klappern eines Webstuhls. Die Einkäufe waren erledigt, oft auch das Bier im Haus gebraut, jetzt stand die Hitze des Mittags bevor und da zog sich jeder lieber in das doch angenehmere Haus zurück. Er war nicht böse darum, musste er sich doch nicht irgendwelchen kritischen Blicken stellen. Er bog erst nach links ab, als er eine Sackgasse erkannte, an deren Ende sich ein kleiner Platz öffnete, der mit einem größeren Sandhügel verziert war. Offenbar war hier eine der Gruben, in denen die ärmeren Stadtbewohner ihre Abfälle entsorgten. Nach jeder Ladung wurde Sand darüber gestreut, schon, um die Geruchsbelästigung gering zu halten. Er blieb dort stehen und sah sich um. Nefer kam bereits heran, sie war offenbar deutlich schneller geworden, als sie die relative Sicherheit der Gassen erreicht hatte. Unwillkürlich wich er zurück an die Wand, um von der Hauptstraße nicht gesehen zu werden. Das fehlte noch, dass diese Typen zurückkamen und ihn erneut in die Mangel nahmen. „Tauschen wir wieder unsere Kleidung,“ sagte er leise. „Wie sehe ich aus?“

„Die Frauen werden dir kaum zu Füßen liegen. Das dürfte einige blaue Flecke geben. Abschürfungen habe ich auch gesehen. Hier, deine Perücke.“

„Ja, danke, noch mal.“

„Was wollten die denn von dir?“

„Ich weiß von keinem Fehler, aber da soll Meruka drüber nachdenken, Er ist unser Genie und wozu hat man solche Leute. Naja, ich denke,“ ergänzte er ehrlich, als er sich den Strick umschlang: „Sie wollten mir die Neugier austreiben.“

„Schlagende Argumente? Überdies, sinnlos, das versuche ich seit Jahren.“ Aber Nefer lächelte, froh, dass ihm nicht ernsthafteres widerfahren war. „Gehen wir rasch zum Palast, am Besten in Merukas Zimmer. Ich weder zusehen, dass ich Rahotep finde, damit er dich verarzten kann und auch Meruka Bescheid geben kann. Ich muss zu Merit.“

„Weißt du,“ Ptahnacht rieb sich ein wenig das schmerzende Kinn: „Ich kann dominante Frauen ja im Allgemeinen nicht ausstehen, aber bei dir mache ich eine Ausnahme. Du hast nämlich heute laufend recht.“

„Nicht nur heute, und es wäre gut, wenn du dir das mal merken würdest. Komm jetzt.“

 

Mit ihren Amuletten und Schmuck kamen sie unbehelligt in den Statthalterpalast. Falls sich eine der Wachen wunderte, warum der Getreue des Königs ein Tuch um die Schultern und untere Gesichtshälfte geschlungen hatte, so fragte doch niemand nach.

Ptahnacht streckte sich in Merukas Zimmer mit einem gewissen Seufzen auf dem Bett aus, froh, dass er nicht mehr gehen musste. Das hatte doch recht weh getan.

Nur kurze Zeit später kam Rahotep, den Arztkoffer dabei. Er setzte den neben dem Bett ab. „Ich sehe schon. Bleib liegen. Nefer sagte, du bist zusammen geschlagen worden. Das wird blaue Flecken geben. Lass dich mal ansehen. Ich werde dich auf alle Fälle mit Korniferenharz, Antiu, einreiben. Das hier gibt Striemen. Da stand wohl ein Pfosten?“

„Ja, leider. Hast du Meruka erwischt?“

„Ja, ich konnte allerdings nur Andeutungen machen, denn er saß neben meinem Vater und dessen Schreibern. Gegen die Striemen hole ich dir nachher noch Milchsaft der Sykomore, den habe ich jetzt nicht dabei. Ja, hier am Auge auch. Kannst du dich umdrehen? Gut.“ Der Arzt strich den heilenden Balsam über den ganzen Körper. „Wie viele waren das denn?“

„Sechs.“

„Sechs gegen einen? Echte Helden.“ Er wandte rasch den Kopf, entspannte sich jedoch, als er seinen Vorgesetzten hereinkommen sah.

Meruka ließ die Türmatte hinunterfallen und trat näher. „Bericht,“ meinte er nur.

Ptahnacht begann mit der Unterhaltung mit der Fischerfrau und deren Man zum Thema Welse, dann die kurze Unterredung mit dem Kapitän der „Mins Stolz“ – und dem Überfall auf ihn.

Meruka hörte schweigend zu, sagte auch nichts, als der Krieger geendet hatte. Erst, als Rahotep sich aufrichtete sah er zu diesem: „Du gehst?“

„Ich komme noch einmal, ich hole nur Sykomorensaft.“

„Gut. Dann warte ich.“

Ptahnacht wäre es weitaus lieber gewesen die Meinung seines Vorgesetzten gleich zu hören, vor allem, ob der sagen würde, er habe einen Fehler begangen. Aber da half nichts außer Warten. So schloss er die Augen.

Als der Arzt zurückkam, meinte der Vorsteher der Schreiber: „Ich gebe dir recht, Ptahnacht, das verhalten dieses Kapitäns und seiner Mannschaft ist mehr als eigen, zumal für ein königliches Schiff. Du hast dich als Wache des Horus vorgestellt und es gibt keinen Grund, warum sie derart zuschlagen sollten. Überdies glaube ich, wenn dich Nefer nicht herausgeholt hätte, hättest du die reise in den Westen angetreten. Andererseits denke ich nicht, dass das etwas mit unserer Todesserie zu tun hat. Falls sie deswegen ein schlechtes Gewissen haben sollten, wäre es weitaus einfacher gewesen, dich einfach zur Wildstier weiter zu schicken und fertig. Nein. Sie müssen entweder etwas an Bord haben oder bringen, das sie nicht dürften. Ich werde Merigeb von dem Überfall auf dich in Kenntnis setzen, wie es jeder hohe Beamte tun würde, wenn einer seiner Leute so zugerichtet wird. Er wird sicher Mins Stolz untersuchen lassen und die Mannschaft gleich dazu. Falls sie, wie ich vermute, etwas von dem Eigentum des Lebenden Horus an sich genommen haben, unterschlagen haben, werden sie ihre gerechte Strafe bekommen.“ Diebstahl am Eigentum des Herrn der beiden Länder wurde nicht, wie unter Privatleuten, als Zivilvergehen behandelt, das mit Rückgabe der Ware und einer Strafzahlung in Höhe des Doppelten oder auch Mehrfachen Preises geahndet wurde, sondern das galt als Gotteslästerung und Hochverrat – mit den entsprechenden Konsequenzen. „Eine gewisse Panik dürfte die Ursache sein, dass sie sich von dir verfolgt fühlten, ja, bedroht.“

Ptahnacht verzog das Gesicht. „Die Bedrohung lag wohl mehr auf ihrer Seite. Glaubst du nicht, dass sie, wenn sie etwas zu viel an Bord haben, das wegbringen?“

„Wir wissen nicht, ob sie überhaupt schon bemerkt haben, dass du weg bist. Deswegen werde ich mich beeilen und auch Merigeb zu promptem Handeln auffordern. Überdies – sie könnten Schmuggelware oder ähnliches nicht einfach in den Fluss kippen. Sie werden Mitwisser haben, Lieferanten oder wartende Kunden. Bis später. Bleibe nur hier.“ Meruka ging.

Rahotep nahm ein kleines Gefäß. „Also, Saft der Sykomorenfeige gefällig? Er heilt blutende Wunden gut ab, aber auch Striemen. Man verwendet ihn auch, wenn Delinquenten eine Tracht Prügel bekommen haben.“

„Du bist der Arzt.“ Aber der Wächter wusste, der kühle Milchsaft würde ihm gut tun.

 

Der adjmer des Neith-Gaus war alles andere als begeistert, als ihm Meruka von dem Überfall wahrheitsgemäß berichtete. Nun ja, er ließ die Kleinigkeit aus, dass Nefer Ptahnacht gerettet hatte und sich dieser verkleidet hatte, sondern meinte nur, der erfahrene Krieger habe sich selbst befreien können. Merigeb nickte bloß und befahl sofort „Mins Stolz“ zu durchsuchen und die gesamte Mannschaft festzusetzen. Er war alt und erfahren genug um zu wissen, dass bei weitem nicht die Menschen gut waren. Leider bezog sich das in diesem Fall auch auf ihn. So manch anderer Beamter wäre gern adjmer oder gar der militärische Befehlshaber gegen die tehenu. Meruka nahm er da tatsächlich aus. Der wollte anscheinend Karriere bei Hof machen, sonst wäre der kaum in das private Büro des Herrn der beiden Länder gegangen. Allerdings würde der diesen Zwischenfall sicher in seinem Reisebericht erwähnen, ja, erwähnen müssen – und das würde das Auge des tjati und damit des Lebenden Horus negativ auf ihn selbst lenken. Je höher ein Beamter stieg umso weniger wurden Fehler verziehen. Meruka wusste das anscheinend recht gut, denn er hatte ihm mit diesem prompten Lagebericht die Gelegenheit gegeben seinen Fehler auszubessern. Hatte die Besatzung etwa Waren, die dem Herrn der beiden Länder gehörten, getauscht, unterschlagen, so war das schlicht unerhört und sie würden namenlos in die Ewigkeit gehen müssen. Selbst, wenn sie nur das Schiff, das ja dem Lebenden Horus gehörte, für andere Zwecke als seine Dienste benutzt hatten, war das eine bodenlose Unverschämtheit. Und, da musste er seinem Gast recht geben – das Benehmen des Kapitäns und seiner Männer war mehr als verdächtig. Überdies ziemlich töricht, denn sie lenkten so ja die Aufmerksamkeit auf sich. Oder hatten sie etwa vorgehabt diesen Ptahnacht umzubringen und das nur herausgeschoben, weil sie einen wichtigen Termin hatten, den sie unbedingt einhalten mussten? Merigeb bemerkte erst, dass er diese Frage laut gestellt hatte, als Meruka erwiderte:

„Ja, das ist auch meine Meinung. Sie waren sehr aufgeregt, machten nicht nur einen Fehler, was darauf hindeutet, dass es sich kaum um kaltblütige Verbrecher handelt. Vielleicht ist das ihr erstes Mal, aber das wirst du sicher herausfinden können.“

„Mit Sicherheit.“ Der adjmer musterte den Schmuck des neben ihm Sitzenden. Ja, Seschat, die Göttin der Schreiber, aber auch der hängende Schakal – das Zeichen eines sab-Beamten. Zuerst hatte er geglaubt, das sei nur der Ehrentitel, aber anscheinend führte Meruka ab und an zumindest auch Ermittlungen für den Herrn der beiden Länder durch. Männer, die dies taten, genossen in aller Regel das Vertrauen des Horus, ebenso wie er selbst. Und als einer der Vorsteher des privaten Schreiberbüros war Meruka gewiss in der Lage jeden Tag den Lebenden Gott zu sehen, mit ihm zu sprechen. Umso wichtiger war es sich mit dem gut zu stellen, diesen Fehler unverzüglich zu bereinigen. Diese Bande konnte sich schon einmal auf eine ausgiebige Fragestunde einrichten, Stockschläge inklusive. Wenn ein Bauer seinen Pflichten, sei es dem Anteil der Ernte oder auch an Arbeit für den König, nicht nachkam, drohten dem ebenso Prügel wie jedem Beamten, der seiner Aufsichtspflicht nicht genüge tat, oder einem faulen Schreibschüler. „Ich werde die Aussagen noch abwarten, danach jedoch nach Ibenu-hedj fahren. Immerhin muss ich auch noch über den Feldzug gegen diese tehenu berichten. Wobei … Ich muss es noch überprüfen, aber du wirst es sicher eher wissen – reist nicht der mächtige Horus, er lebe, sei heil und gesund, in diesem Jahr wieder einmal nach Pe und Dep um die Zeremonien der Jagd zu vollziehen?“

„Oh, ja, natürlich.“ Meruka hätte nicht zugegeben, dass ihm das entfallen war. Leider bestanden damit gute Aussichten, dass der Lebende Gott kemets bereits in wenigen Wochen, eher Tagen, von ihm eine Lösung für die Todesfälle verlangte. Die Zeit wurde knapp. Gut, dass sie morgen bereits abreisten. „Wir werden sicher die Ehre haben ihn im Palast des Harpunierenden Horus empfangen zu dürfen. Was mich daran erinnert, ich möchte Kapitän Paadiptah sprechen, bezüglich der Abreise morgen.“ Das hatte er zwar schon, aber er wollte Merigeb darauf aufmerksam machen, dass noch ein königlicher Kapitän im Hafen gewesen war. Womöglich hatte einer der beiden Paadiptah, Kapitän oder Steuermann mit jemandem von der „Mins Stolz“ gesprochen.

Der adjmer bewies sofort, dass er mitdachte. „Ja, wenn ihr morgen schon abfahren wollt – dann sollte ich wohl auch noch mit ihm sprechen.“

Gut, dachte Meruka. Dann würde er auch hoffentlich noch das Ergebnis der Befragung erfahren, hoffentlich die Bestätigung seiner Vermutung, dass es sich um sehr kleine Leuchten handelte, nicht um die gesuchten Serienmörder. Vielleicht war alles doch nur Zufall, Unfall? Aber der Zwischenfall hatte bewiesen, dass es auch in königlichen Diensten Unsitten, ja, Verbrechen, gab.

 

 

 
 

Merukas Gedanken


 

A

m folgenden Morgen wartete der adjmer höflich – und vorsichtig – bis die Damen nach dem gemeinsamen Frühstück zum Packen verschwunden waren, ehe er sich an Meruka und Ptahnacht wandte. Rahotep saß als sein Sohn ebenso neben Merigeb wie der Zweite Cheprihotep.

„Ich habe die Männer, die törichterweise dich überfallen haben, Wächter des Horus, noch gestern Abend und in der Nacht befragen lassen. Ich kann es fast nicht glauben, die … ja, wie nichtsahnend sie waren und sind. Zum einen, natürlich, werter Vorsteher der königlichen Schreiber, natürlich, überhaupt eine solchen Frevel gegen den lebenden Gott zu begehen, er lebe, sei heil und gesund, ist stets verrückt. Dann aber noch einen von dessen Wächtern, der ihnen ja gar nichts wollte, zu verletzen, gefangen zu nehmen und, das haben sie gestanden, umbringen zu wollen … Nun, ich finde keine Worte. Ich werde sie mit mir nach Ibenu-hedj nehmen. Der Herr der beiden Länder sollte sich zwar auf dem Weg nach Pe und Dep, genauer in den Palast des Harpunierenden Horus befinden, aber der tjati sollte meinen Bericht über den Feldzug gegen die tehenu ebenso erhalten, wie diese Männer.“

Meruka nickte ein wenig. „Sie haben also Dinge unterschlagen, die dem Lebenden Horus, er lebe, sei heil und gesund, gehören?“

„Ja. Sie haben es noch nicht genau gesagt, aber anscheinend gibt es im Palast einen Verwalter oder höheren Schreiber, der falsche Aufzeichnungen macht. Sie erhalten also mehr an Bord als sie sollten. Das, was sie mehr eintauschen können hier oder auch selbst in Ibenu-hedj, teilen sie untereinander oder eben auch dem Schreiber. Dessen Namen werden sie mir noch sagen, ehe ich dem tjati Bericht erstatte, so dass Sobeknacht, wenn er möchte, einen Eilboten zurück ins das Delta schicken kann um auch diesen zu verhaften.“

„Du hast schnell gehandelt,“ sagte Meruka mit einer Kopfneigung. „Man merkt nur zu deutlich deine Erfahrung.“

„Danke, wobei ich sagen muss, ohne diese unschöne Begegnung des Wächters und deine rasche Information wären diese Verbrecher bereits wieder auf dem Rückweg gewesen und wir hätten nie von ihnen erfahren. Sie sagten aus, sie hätten das schon öfter getan.“

„Aber sie decken ihren Anstifter? So ist er wohl von hohem Rang.“

Merigeb zuckte ein wenig die Schultern, ehe er doch zugab: „Das hätte ich auch gedacht, Meruka. Aber – er darf nicht zu hoch sein. Ein Palastleiter, der mit einfachen Schiffern spricht, noch dazu öfter, wird auch beobachtet werden. Ein unglaubliches Risiko.“

„Das ist wahr.“ Kein derart hoher Beamter ging allein spazieren oder war je unbeobachtet, das wusste er ja selbst. Als Vorsteher der privaten Schreiber war es ihm immer schwerer durchführbar seine Gruppe heimlich zu treffen und nur mit Umwegen über das Büro des tjati oder seines Stiefvaters als Vorsteher der Scheunen und Siegler möglich. Oder gar mit Wissen und Duldung des Göttlichen Falken selbst. Wenn Merit den Ältesten Königssohn geheiratet hatte, würde sich da vielleicht auch noch eine Möglichkeit ergeben. Aber, das lag in der Zukunft und nur die Gegenwart, die Erfüllung des Auftrages, zählte. „Ich bin sicher, werter Merigeb, du wirst den Namen rasch erfahren.“

„Ohne Zweifel. Eine gehörige Tracht Prügel hilft immer. Hätten das nur die Eltern getan. - Ich wünsche euch eine gute Reise mit der „Wildstier“, soweit ich weiß ist der Lotse bis zur Abzweigung des Kanals vom iteru bereits unterwegs. Auch die Schiffer der Vorschiffe. Es sollte euch also nicht zustoßen können. Euer Kapitän kennt sicher auch die nötigen Opfer.“

„Ja, das denke ich auch. Du entschuldigst mich …“ Meruka erhob sich und winkte Ptahnacht ihm zu folgen, um Rahotep, seinem Bruder und seinem Vater noch die Gelegenheit für einen privaten Abschied zu geben.

 

Merit trug im Gegensatz zu dem Empfangsabend auch heute wieder nur ihr Reisegewand, allerdings mit dem kupfernen Reif einer Königstochter um die Perücke. Als sie aus der Sänfte ausstieg entdeckte sie neben dem Bug der Wildstier erlöschendes Feuer und erkannte Reste von Fischen, wie jeden Morgen. Diesmal war der Haufen größer, so wollte Kapitän Paadiptah also sicher gehen, immerhin gelangten sie nun in das eigentliche Delta, in dessen Altarmen und Sumpfgebieten sich eben auch Sobeks Freunde und die Flusspferde herumtrieben, beides lebensgefährlich für arglose Menschen. Aber sie wusste nur zu gut, dass die Papyrussammler, gleich, ob sie Blätter schnitten oder die Mandeln der Pflanzen aus dem Schlamm holten, ein ebenso großes Risiko eingingen, wenn nicht ein viel größeres, als sie auf einem hölzernen Schiff, dem zusätzlich noch ein Papyrusboot mit acht bewaffneten Männern und einem Trommler vorausfuhr.

 

Kapitän Paadiptah der Ältere begrüßte seine illustren Gäste mit einer höflichen Verneigung, ehe er meinte: „Ich habe die Kabinen bereits mit Netzen verschließen lassen. In den Morgen- und Abendstunden fliegt doch allerlei lästiges Getier auf dem Wasser. Nicht, dass sich die Dame gestört fühlt.“

„Eine gute Idee, Kapitän,“ bedankte sich Merit prompt lächelnd, die sich aus ihren Kindertagen an solche Fahrten ohne Netze erinnerte. Nachts war es gerade in der Überschwemmungszeit noch ärger. Was diese bissigen Mücken nur im Delta fanden? „Ich werde mich auch zurückziehen., sobald die Kühle des Morgens verschwindet.“ Die zwei letzten Tage war die Sonne doch merklich heißer geworden und sie vermutete zu Recht, dass das Wasser des Flusses sich langsam aber sicher seinem Tiefpunkt näherte, ehe die Götter wieder die Flut schicken würden. „Bis dahin werde ich den kühlen Wind unter dem Vordach genießen.“ Sie ging bereits weiter, sicher, dass der Kapitän den ihr unbekannten Mann noch Meruka als Leiter der rReise vorstellen wollte.

 

Tatsächlich meinte der Kapitän: „Werter Meruka, dies ist unser Lotse bis zum Kanal. Er kennt die derzeitige Flusslage sehr genau. Sein Name ist Chabauneith. Er fährt stets mit den Schiffen des Herrn der beiden Länder.“

„So kennst du dich gut aus.“ Meruka dachte kurz nach, ob der Lotse wohl mit den Männern der „Mins Stolz“ gekommen war und mit diesen geredet hatte. Aber, zum Einen war das nun die Sache Merigebs und des tjati, zum Anderen wagte er doch zu bezweifeln, dass diese Männer, unerfahren oder nicht, so dämlich gewesen wären mit einem nur flüchtig Bekannten zu sprechen, was auch immer sie da geschmuggelt hatten. „Bleibst du hier an Bord?“

„Oh nein, ehrenwerter Vorsteher der Schreiber.“ Der Lotse hatte schon gehört, dass dies ein sehr hoher Beamter am Hofe sei. „ich werde auf dem Vorboot mitfahren um dieses zu lotsen. Kapitän Paadiptah wird uns dann folgen. Falls das Papyrusboot wider Erwarten doch eine Sandbank berührt werdet ihr davon verschont bleiben. Ich fahre bis heute Abend mit, in mein Heimatdorf. Dort wird am nächsten Morgen mein Cousin euch in den Kanal bringen, bis nach Pe und Dep. Es sind zwei Tage, sicher, eher drei, je nachdem wie der Wasserstand gefallen ist. Manchmal muss man Umwege machen.“

„Müssen wir da an Bord übernachten?“

Chabauneith warf einen raschen Blick auf den Kapitän. „Ich denke ja. Es gibt zwar einige Stellen, an denen man auch auf Inseln oder auf den Weiden übernachten kann, aber es ist fraglich, ob ihr so eine erreicht. Das muss mein Cousin wissen.“

„Natürlich. Name?“

„Teti.“

„Danke, Chabauneith. Dann werden wir heute Nacht in deinem Dorf übernachten können?“

„Ja. Es steht dort ein Haus für Reisende zur Verfügung. Es werden bei uns öfter Ladungen umgeschlagen. Ich vermute, dass der Aufseher, der sowohl unser Dorf als auch die Domäne unter sich hat, ebenfalls dort sein wird.“

„Die Domäne…?“

„Oh, ja, sie gehört einem sehr hohen Beamten, dem Siegler des Königs.“ Und dessen Halbruder. Unwillkürlich hoffte er doch, dass etwas von diesem Glanz auch auf sein Dorf und damit ihn abfallen würde.

„Meinem Stiefvater also.“

Der Lotse erbleichte. „Oh, ja, natürlich. Verzeih.“ Der Sohn eines Königssohnes war ein hoher Beamter, natürlich – es war nicht notwendig sich mit Halbbruder des Lebenden Gottes und Nummer Drei im Land anzulegen.

Meruka ärgerte sich etwas über sich selbst. Er kannte die Regeln doch, warum hatte er sich so provozieren lassen? „Du kannst an deine Arbeit gehen.“ Hatte ihn der Zwischenfall mit den Männern der „Mins Stolz“, die Tatsache, dass Ptahnacht um ein Haar in eine Falle gelaufen war, doch so aus dem Konzept gebracht? Er sollte ruhiger werden, nachdenken – und erst einmal seine Mitarbeiter sich harmlos unterhalten lassen. Jeder seiner eigenen Fehler würde auch sie betreffen, er durfte sich keinen leisten, zumal er nur zu bald bereits dem Lebenden Horus Rede und Antwort stehen musste. Und er durfte nicht versagen.

 

So saß er bald zwischen seinen Kollegen als die Mitarbeiter des Hafens das schwere Schiff wieder in den Fluss schoben und der Kapitän Befehle schrie, um sich hinter dem großen Papyrusboot einzureihen. Er hatte nur genickt und sich selbst nach hinten an die Kabine gelehnt, deutlicher Hinweis darauf, dass er nachdenken wollte und die Anderen ihre Rollen spielen sollten.

„Eine schöne Stadt ist Sau,“ sagte Nefer daher zu dem Arzt. „Aber, Rahotep, mich wundert es fast, dass sie so klein ist.“

„Sie ist nicht klein. Aber sehr alt. Oh, natürlich, wenn du es mit Ibenu-hedj vergleichst. Aber keine Stadt gleicht der Waage der beiden Länder. Übrigens kein so ungeeigneter Beiname für Ibenu-hedj. Waren aus dem Norden und aus dem Süden werden dorthin gebracht, kommen in die Scheunen und Schatzhäuser des mächtigen Horus, er lebe, sei heil und gesund. Und von dort wird wieder alles an alle gegeben.“ Rahotep dachte einen Moment nach, ehe er fortfuhr: „Man sagt, Horus Aha habe Ibenu-hedj gründen lassen, das ist Jahrhunderte her. Aber Sau ist sogar noch älter, wie alt, weiß ich nicht.“

„Und durch die Mauer kann es auch kaum wachsen,“ erklärte Ptahnacht, um auch etwas zu sagen, denn der Kapitän stand fast über ihnen. Das Gespräch sollte nicht abflauen. „Aber, Rahotep, ich denke, die liebe Nefer kommt sehr weit aus dem Süden. Gibt es da überhaupt so große Städte?“

„Sieh nicht auf die Frau aus dem Süden herab, Wächter des Horus,“ murrte sie prompt, ihrer Rolle gemäß. Immerhin wusste er nur zu gut, woher sie kam. „Allein die Stadt unterhalb des Dorfes aus dem ich komme….“

„Ich dachte, Abu ist eine Insel?“

„Zwei Inseln, sogar. Auf einer liegt der Ort, auf der anderen die Festung, aber das meinte ich nicht. Südlich von Abu befinden sich Stromschnellen, die kein Schiff durchqueren kann. So gelangen alle Waren aus dem Süden per Land nach Abu. Sie werden dann nur nach Abu gebracht und dort auf Schiffe geladen. Die Wege aus der Wüste enden in zwei Orten rechts und links des iteru. Eine davon, die größere, ist Sunu auf dem Westufer. Dort enden alle Karawanenwege aus kusch und wawat. Sie bringen Gold, Elfenbein, Edelhölzer, Kräuter und Pfauenfedern…. Oh, so viel an Luxus. Das wird von Abu aus dann nach Ibenu-hedj gebracht.“

„Nicht alles,“ warf Rahotep ein. „Wie schon erwähnt – es gibt auch Karawanen, die durch das Sandmeer an das Große Grün gelangen. Die Waren von dort kommen dann hier nach Sau und dann nach Ibenu-hedj.“

„Wie groß ist denn Sunu?“ erkundigte sich Ptahnacht.

„Ich weiß es nicht,“ gab Nefer zu. „Es ist befestigt, ja, aber nicht so sehr wie Sau. Die Festung ist eben Abu. Mein Heimatdorf liegt oberhalb, schon außerhalb des Fruchtlandes. Selbst das Wasser wird jeden Tag mit Eselskarawanen gebracht. Dafür bauen die Männer ja auch Granit ab, so dass wir gut versorgt werden.“ Und sie hatte früh gelernt behutsam mit Wasser umzugehen. Solchen Überfluss konnte man sich nur im Fruchtland leisten, wie duschen, zumal der iteru ja monatelang ganze Regionen unter Wasser setzte, das in Rückhaltebecken gesammelt wurde.

„Ach, dann kommst du aus einem Minendorf? Die Männer arbeiten in den Steinbrüchen, die den berühmten Granit schaffen.“ Rahotep tat überrascht, zumal er feststellte, dass sich der Kapitän fast unschicklich nahe über ihnen befand, „Umso überraschter wirst du dann hier über die weiten Felder hinter dem Papyrusstauden sein.“

„Und über den Papyrus. So klein, und dann wieder so groß. Das sind wohl Jungpflanzen?“

„Nein, Nefer. Es handelt sich um verschiedene Arten. Dort, so klein wie diese, das ist Nussgras. Man kann seine Knollen essen, die auch Erdmandel genannt werden. Als Arzt verwende ich sie gemahlen, nun ja, um den doch nicht immer guten Geschmack von Arzneimitteln zu verbergen. Ihren süßen Brei hast du sicher schon am Hofe gegessen.“

„Nun, ja, wenn du es sagst…“ Nur immer die Konversation aufrecht halten, dachte sie. Meruka schien nachzudenken, der Kapitän zuzuhören. „Gibt es denn so viele verschiedene Arten dieser Gräser? Ich dachte, das sei nur das, worauf die Schreiber … nun ja, schreiben.“

„Nein, es gibt auch noch eine dritte Sorte, die aber seltener gesammelt wird, aber deren Knollen gegessen werden….“

 

 

Meruka hörte kaum zu. Warum nur war ihm, als hätte er irgendetwas übersehen? Etwas, das für seinen Auftrag, für die Lösung dieses Rätsels um die diversen Toten wichtig wäre? Das konnte dann nur jetzt im Zusammenhang mit der „Mins Stolz“ gewesen sein. Oder? Was nur hatte Ptahnacht erzählt, was Nefer, was Merigeb, was hatten die Männer ausgesagt?

Er bekam nur am Rande mit, dass sich die beiden Frauen zurückzogen, der Wächter des Horus und der Arzt sich über Fische zu unterhalten begannen.

Was nur hatte er übersehen?

Was war…

Er richtete sich auf. Natürlich. Welch ein Narr konnte man sein. Die einfachen Männer auf dem Boot hatten ihren Schmuggel nur mit Hilfe eines Ranghöheren betreiben können. Mindestens eines Schreibers, aber keines zu ranghohen Mannes wie dem Palastleiter, denn da hatte Merigeb recht gehabt: wenn der mit einfachen Schiffern plauderte würde es auffallen. Irgendwem - und der Tratsch würde ebenso rasch die Runde machen, zwischen den beiden wichtigsten Palästen des Lebenden Gottes sowieso. Ebenso sicher war es auch keiner der angelernten Schreiber, die gerade es schafften das Zeichen ihrer Ware zu machen und die Striche dazu, denn diese wurden permanent von ihrem Vorsteher, einem gelernten Schreiber, überwacht, der auch siegelte. Und genau das war es, was ihm als so undenkbar erschienen war. Diese Vorsteher siegelten, waren in der Palastschule sicher sieben und mehr Jahre ausgebildet worden – wie konnte einer von denen Dinge unterschlagen, die dem Horus auf dem Thron der Lebenden gehörten? Der für ihn sorgte, ihn ausgebildet hatte? Und genau das konnte auch nur die Ebene sein, bei der ein Fehler oder sogar der Mordplan zu suchen war. Vielleicht hatte, wie Ptahnacht es gemeint hatte, einmal ein Fischer die giftigen Stacheln eines Welses übersehen und sein Vorgesetzter hatte das bemerkt, ja, seinem Leiter der Abteilung mitgeteilt? Und dieser wiederum hatte eine Möglichkeit gesehen Menschen zu vergiften? Aber warum nur? Es gab doch keinerlei Motiv wahllos, überaus wahllos, Menschen zu ermorden. Handelte es sich doch um einen, wenngleich folgenschweren Fehler, der sich durch die gesamte Kette aus Arbeitern und Sieglern zog?

Jeder Mensch in ganz kemet war Teil einer Organisation, selbst die so genannten freien Bauern. Auch sie wurden von den Steuereinnehmern überwacht, wenn diese nach der Überschwemmung die Felder maßen und einteilten, nach der Ernte den Anteil des Horus einsammelten. Überdies waren auch diese Bauern dem Lebenden Gott zu Arbeit verpflichtet und konnten in der Überschwemmungszeit für Bauarbeiten und Kanäle eingesetzt werden. Umso strenger waren die Rahmenbedingungen in einem Palast oder einer Domäne. Selbst die Palastleiter und adjmer wurden durch den tjati, ja, durch den Herrn der beiden Länder, überwacht. So war es auch, dass, wenn zwei Arbeiter miteinander Streit bekamen, zwei Bauern, wer auch immer, gingen sie zu ihrem Vorgesetzten und der richtete dann über diesen Fall. In einem Dorf waren das immer die Ältesten, Männer und Frauen, die bei Streitfällen Recht sprachen, so, wie es seit dem Beginn der Schöpfung von Mund zu Mund gegangen war. Aufgeschriebene Regeln gab es nicht, sie waren einfach da, altehrwürdig und der maat entsprechend.

Warum also sollte es jemandem gelingen dieses doch recht enge System zu umgehen? Und wie? Und wieso?

Nun, wie bereits gedacht wäre es niemand der unteren Ebenen. Arbeiter, Fischer, hatten ihre Vorgesetzten, diese wiederum die ihren und alle wurden durch einen ausgebildeten Schreiber kontrolliert. Nur ab dieser Verwaltungsebene konnte man überhaupt nur hoffen mit einem Betrug durchzukommen, das wusste Meruka noch aus seinen Anfängen, als er, wie jeder neue Schreiber zunächst auf dieser Stufe in den Scheunen des Horus eingesetzt worden war.

Nur ab da hatte man, wenn man böswillig war, warum auch immer, eine Möglichkeit. Einem der ungelernten Helfer sagen, dass er einen Fehler gemacht habe, sich verzählt habe und das ausbessern, oder gar ohne dessen Wissen ausbessern – und schon war ein Krug Wein oder ähnliches verschwunden. Schön. So mochte es der Anstifter der Männer der „Mins Stolz“ gemacht haben und der würde dafür auch zur Verantwortung gezogen werden.

Was jedoch war mit den Todesfällen? Zufall oder doch Mord?

Zufall war fast auszuschließen – nicht in dieser Menge an Fehlern. Irgendjemand hatte, bewusst oder unbewusst, das getan, war dafür verantwortlich.

Dazu stellte sich jedoch immer noch die Frage an was diese Menschen gestorben waren. Nur, wenn man das WIE ihres Todes herausfand, würde man auch dem Täter näher kommen. Äußerlich oder innerlich Gift?

Angenommen es wäre ein Wels mit Giftstacheln, nur als Beispiel. Ein Fischer übersah die Stacheln, dessen Vorgesetzter der Fischer ebenso – nicht unmöglich, wenn täglich Dutzende von Fischen in den Reusen und Netzen gefangen wurden. Einmal, ja. Möglicher Zufall. Öfter? Absicht. Wenn allerdings der Vorgesetzte den Fischern sagen würde, sie sollten die Stacheln drin lassen … würden sie gehorchten oder sich zumindest so laut wundern, dass sich das herumsprach? Das Risiko mit einem derartigen Befehl bekannt zu werden, ja, dem Palastleiter oder auch nur einem anderen hohen Beamten aufzufallen, wäre natürlich enorm.

Gut, weiter in der Hierarchie. Vorgesetzter des Vorstehers der Fischer war der Leiter der Scheunen des Palastes. Ihm unterstanden der Vorsteher der Fischer, der des Weins, des Hauses des Öls, der Scheune, in der Getreide gelagert wurde, kurz, alles Lebensmittel, die an den Palast geliefert wurden – und von dort aus weiter verteilt. Möglichkeit, ja, aber das war schon ein derart hoher Beamter, dass es auffallen würde, würde er mit einfachen Fischern reden. Nein, es musste die Ebene der Vorsteher sein.

Aber eher kein Fisch, so plausibel Ptahnachts Theorie auch geklungen hatte. Zu viele Mitwisser.

Es musste also etwas anderes sein. Wein? Öl? Öl als Parfüm oder gar Lampenöl? Auch bei der Ölherstellung und dem Weinpressen waren sehr viele Menschen beteiligt, viele Augen die sehen, viele Münder, die reden konnten. Nein, nicht das Öl oder der Wein an sich. Es musste irgendetwas anderes sein, etwas, das ein Mann allein rasch machen konnte.

Blieb nur die Frage: was. Welches Gift? Und natürlich auch die Frage nach dem Warum. Wer riskierte sein Leben jetzt und in alle Ewigkeit? Wer wollte so dringend in das Nichts?

 
 

Der Norden, natürlich


 

O

bwohl Merit aus Per-Bast und damit dem östlichen Delta stammte, war sie stets ein wenig überrascht zu sehen wie sehr sich das Land im Laufe des Jahres veränderte. Jetzt, wo die Trockenheit ihren Tiefpunkt erreicht hatte, wuchsen neben den Papyrusstauden an den Ufe