Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 1: Turn 01 - A New Approach ----------------------------------- Turn 01 – A New Approach     Eine Welt, die nicht länger existiert. Und eine Welt, die mich abstößt. In der ich nicht existiere. So sehne ich herbei, was uns einst gegeben. Auch wenn ich dafür einen Preis zu zahlen habe. Eden.     Unendliche Finsternis umgriff Anya. Wohin sie auch blickte, das lückenlose Schwarz schien sie regelrecht zu verschlingen. Oder nein, es hatte sie bereits verschlungen. Sie wusste genau, dass das ein Traum sein musste. Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hatte, würde ernsthaft daran zweifeln, dass dieser Ort nicht echt war. Missmutig schüttelte die Blondine den Kopf und bemerkte dabei, dass nicht alles in dieser Welt dunkel war. Sie stand auf einem Mosaik, das in vielen kleinen Puzzleteilen die Erde als Scheibe darstellte. Jene leuchtete unheimlich in ihren blauen, braunen und grünen Farben. Und sie drehte sich. Aber Anya, obwohl sie auf dem Bildnis stand, drehte sich nicht mit.   Was für ein verrückter Traum, dachte sie ärgerlich. Gehörte sie jetzt auch schon zur einsamen Spinnerriege, die sonst nur ihrem Freund Nick vorbehalten war? Allein der Gedanke ließ sie erschaudern. Nein, mit dem Hohlkopf wollte sie sich nicht gleichstellen. Selbst auf Drogen würde sie niemals so durchgedreht und dumm sein, wie er es ohne Hilfsmittel war. Sie seufzte. Es wäre schön, wenn er wenigstens hier wäre. Andererseits, eher würde er sich hinter ihr verstecken, als umgedreht. Aus gutem Grund. Sie ließ ihre Handgelenke knacken und trat einen Schritt nach vorn, inmitten des Mosaiks. Sollte doch das obligatorische Traummonster auftauchen, sie würde es direkt zurück zu Frau Holle schicken!   Ein einsamer Ort, nicht wahr?   „Was?“ Anya wirbelte ruckartig herum, ihr Pferdeschwanz peitschte ihr dabei ins Gesicht. Diese tiefe, düstere Stimme war aus dem Nichts erschienen. Doch wohin sie auch sah, ihren Ursprung konnte sie nicht ausmachen.   Such nicht nach mir. Schließlich habe ich dich gesucht. Und gefunden.   „Wer zur Hölle ist da?“, fauchte sie aufgebracht. Dieser Mistkerl sollte ihr gefälligst gegenübertreten und nicht mit solchen Billigeffekten versuchen, ihr Angst einzujagen. Immerhin war das -ihr- Traum, -sie- bestimmte die Regeln! „Komm raus, du Feigling!“   Eine Bitte, der ich nicht nachkommen kann.   „Warum?“ Langsam wurde es langweilig. Und Anya kam sich dumm dabei vor, mit einer gestaltlosen Stimme zu sprechen. Außenstehende würden sie vermutlich für verrückt halten. Aber es war zum Glück nur ein Traum.   Bedauerlicherweise verfüge ich nicht über einen Körper.   „Soll das ein Witz sein?“ Egal wie sehr sich Anya auch um die eigene Achse drehte, in der endlosen Finsternis konnte sie niemanden entdecken.   Leider ist dies die Wahrheit. Ich, Levrier, bin hier nichts weiter als ein Schatten. Und deswegen brauche ich dich, Anya Bauer.   Anya musste auflachen. Langsam wurde das richtig lächerlich. Konnte sie nicht endlich aufwachen? Da war ihr ja noch ein siebenköpfiger Drache lieber. Der war wenigstens cool, wenn er einen auffraß. Die Stirn runzelnd, verschränkte sie die Arme und atmete tief durch. Vielleicht ging das hier schneller vorbei, wenn sie sich auf den Traum einließ. „Und wofür, Levirgendwas?“   In deiner Welt gibt es nur eine Handvoll geeigneter Gefäße, die meinen Geist in sich tragen können. Und du, Anya Bauer, bist so ein Gefäß. In dir klafft ein Loch, groß genug um mich zu tragen. Doch dein Wille ist stark genug, um nicht unter der Last meiner Existenz zusammenzubrechen. Dein Körper ist gesund, jung, kräftig und wird nicht verglühen, wenn ich ihn betrete.   „Ja, ja, ja, was auch immer. Klar bin ich toll.“ Sie fasste sich an die Stirn. Eine Woge des Unwohlseins ging durch ihren Leib. Irgendetwas stimmte hier nicht. Einen derart verrückten Traum hatte sie noch nie gehabt. Warum interessierte sich dieses Hirngespinst für ihren Körper?   Öffne mir das Tor zu deiner Seele und lass mich herein. Zusammen werden wir etwas Großes schaffen.   Anya winkte mit einem verächtlichen Zischen ab. „Kein Interesse. Wärst du jetzt so freundlich und ziehst Leine? Ich möchte ungern verschlafen.“ Dass sie das einmal sagen würde! Aber Schule war allemal besser, als mit diesem gesichtslosen Freak zu quatschen. „Such dir einen anderen für dein großes Etwas!“ Sie wandte der Dunkelheit den Rücken zu, auch wenn sie wusste, dass es eine sinnlose Geste war. Dieses Ding schien ohnehin überall zu sein.   Ich fürchte, das ist nicht möglich. Du bist das beste Gefäß. Lass mich herein, damit wir „Eden“ werden können.   „Was zum Geier ist denn Eden? Ich bin nicht gläubig, wenn du das meinst!“ Allmählich war Anya es leid, immer wieder auf die Versuche dieses Levidingens zu reagieren, das Gespräch am Leben zu erhalten. Sollte es doch sonstwen anbetteln, aber nicht sie! Und überhaupt: wie kam diese Pfeife eigentlich auf die grenzdebile Idee, ausgerechnet -sie- um so etwas zu bitten? Wusste der denn nicht, dass es in Livington, ihrer Heimatstadt, nur zwei Dinge gab, um die man einen großen Bogen machen sollte? Johnnys Pizzaladen und sie, Anya Bauer! Eden. Das größere Wohl.   „Verstehe“, log Anya. „Kann ich jetzt gehen?“ Schwöre mir deine Treue.   Anya pfiff spöttisch. „Nein. Wäre ja noch schöner, wenn ich jedem Dahergelaufenen in den Allerwertesten kriechen würde.“ Ihre Gedanken drehten sich eher darum, wie sie sich selbst erklären konnte, so einen ausgemachten Schwachsinn zu träumen. Hatte Nick ihr gestern in der Kantine etwas ins Essen gemischt? Oh, den würde sie-   Wohlan. Du bist noch nicht bereit, wie mir scheint. Wir werden uns wiedersehen, Anya Bauer. Und dann wirst du mein Gefäß werden.   „Als ob!“ Doch ihre Worte hallten nicht durch die Finsternis, sondern die vier Wände ihres kleinen Zimmers. Schweißnass saß Anya kerzengerade aufgerichtet in ihrem Bett und starrte auf den Bildschirm ihres uralten Röhrenfernsehers am anderen Ende des Zimmers. Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, wo sie war. Stöhnend wischte sie sich einige blonde Strähnen von der Stirn und versuchte klare Gedanken zu fassen. Doch es ging nicht. Der Traum schwirrte in ihrem Kopf, jedes kleine Detail davon. Obwohl Anya den klischeebehafteten Spruch „Es hat sich so real angefühlt!“ abgrundtief hasste, musste sie zugeben, dass er gewissermaßen zutraf. Den Klang von Leviwasauchimmers Stimme würde sie wohl so schnell nicht vergessen. Genau wie den Rest dieses ganzen Mists.   Anya beschloss, dass sie erst einmal duschen und dann frühstücken sollte. Dann musste sie auch schon in die Schule. Wer weiß, vielleicht würde sie dort einem Unterstufler das Essensgeld wegnehmen können? Dann hätte dieser bereits absolut bescheidene Tag wenigstens ein Gutes.   ~-~-~   „Ohhhh, ich schraube ihr den Kopf ab und stecke ihn ihr an einen Ort, den sie so noch nie gesehen hat!“, fauchte Anya gut fünf Stunden später außer sich vor Wut. Sie knirschte mit den Zähnen, ballte die Hände auf ihrem Schoß zu Fäusten, sodass die Knöchel deutlich hervortraten und doch konnte sie ihren Zorn nicht bändigen. Hier saß sie. Auf der Ersatzbank. Sie, die die Hälfte aller Jungen vom Eis fegen konnte! Und wen hatte der Coach stattdessen für das Freundschaftsspiel gegen die „Virtues of Dice“, die ewige Rivalenmannschaft der „Livington Lions“ eingesetzt? Diese zerbrechliche, ahnungslose, dummschwatzende, hirnverbrannte, einfach nur lächerliche Valerie Redfield. Gab es überhaupt irgendetwas, wo diese dumme Schnalle nicht die erste Geige spielte? Die war doch erst seit einem halben Jahr im Eishockeyteam ihrer Schule! Sie, Anya, schon seit ihrer Kindheit!   Wütend krallte Anya ihre Finger in den Schläger und suchte nach einem Objekt oder einer Person, die feige genug war, sie nicht wegen zukünftiger Taten anzuzeigen. Aber neben dem Coach und ein paar Ersatzspielern am Ende der Bank war da nur Abby, ihre beste Freundin. Und die war zu nützlich, um sie zu Brei zu verarbeiten.   Abby war ein hageres Mädchen mit langem, braunen Haar, das nur mäßig gebändigt wirkte. Ein grünes Stirnband zierte ihr Haupt, was zu ihren langen, geblümten Kleid farblich hervorragend passte. Wie immer trug Abby ihre Brille mit den kreisrunden, getönten Gläsern. Anya seufzte. Abby war immer noch ein Hippie. Und das jetzt seit über einem Jahr. Konnte sie nicht wieder Punk sein? Da war sie wenigstens nicht so langweilig wie jetzt. Beleidigt stellte Anya an Abbys verträumten Blick fest, dass jene die letzten fünfzehn Minuten ihres Fluchens nicht bemerkt hatte und in einer anderen Sphäre zu schweben schien. Warum war sie überhaupt hier, wenn sie dem Spiel – Korrektur: ihr – keine Beachtung schenkte?   „Abby?“, fragte Anya mürrisch. „Hmm?“, gab die in einem melodischen Singsang von sich. „Hast du mir überhaupt zugehört?“ Abby nickte. „Natürlich. Aber ich finde, Gewalt ist keine Lösung. Der Coach hat Valerie ausgesucht, weil sie Erfahrung sammeln soll. Anstatt dich aufzuregen, solltest du lieber mit den beiden reden.“ „Geht nicht“, brummte Anya sauer. „Ich wüsste dann nämlich nicht, wem ich zuerst die Augen auskratzen sollte.“ „Du sollst sprechen Anya. Über die Dinge, die dich bewegen, dich berühren, dich verletzen.“ „Verletzen?“ Ein fieses Grinsen spielte um die Mundwinkel der Blondine. „Oh ja, das würde ich nur zu gerne.“   Abby zuckte mit den Schultern. Sie wusste, dass Anya ein hoffnungsloser Fall war. Ebenso wusste sie aber auch, dass diese Phasen nie lange anhielten. Es brauchte nur einen neuen Grund, damit ihre Freundin aus der Haut fuhr und schon war alles Schnee von gestern.   Neidisch beobachtete Anya das Eisfeld und wie sich die Mannschaften in Blau und Violett gegenseitig drangsalierten, nur um den Puck ins Feindgebiet zu rücken. Dabei ließ sie eine Gestalt in Blau nicht aus den Augen. Die Nummer 10. Marc Butcher. Ihr Marc. Ihr zukünftiger Marc. Der Marc, der jetzt Valerie einen Pass zuspielte. Valerie! Die Valerie, die eigentlich hier oben sitzen sollte! „Los Dices, brecht diesem Miststück alle Knochen!“, feuerte Anya kurzerhand die gegnerische Mannschaft an. „Wie kann man nur so neidisch sein …“, murmelte Abby vor sich hin und schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht neidisch!“ „Du hast ja auch keinen Grund dazu. Du bist … stark? Und … blond?“ Anya warf Abby einen vernichtenden Blick zu. „Danke! Ich weiß selbst, dass viele Kerle ein Problem mit meiner Art haben und einen Bogen um mich machen!“ „Du machst ihnen eben Angst. Starke Frauen sind eine Sache für sich. Viele trauen sich bestimmt nur nicht, dich nach einem Treffen zu fragen, weil sie Angst haben, im Krankenhaus aufzuwachen.“ Das Kinn an die Brust ihrer ausgepolsterten Uniform legend, dachte Anya nach. Vielleicht hätte sie sich nicht mit diesem Clown aus der damaligen Abschlussklasse prügeln sollen? Ob ihr Ruf dann besser wäre? Andererseits war diese Memme ihr frech gekommen und es war gut gewesen, die Fronten zu klären. Was konnte sie dafür, dass er jetzt regelmäßig zum Psychologen gehen musste, weil sie ihn tagtäglich in seinen Albträumen heimsuchte? Sofort dachte sie wieder an ihren eigenen Traum von heute Nacht. Wodurch der arme Kerl ihr sogar ein wenig leid tat, denn solchen Mist würde wohl niemand freiwillig träumen wollen. Angst zu haben war scheiße und so hatte Anya schon vor langer Zeit beschlossen, einfach keine zu haben. Was für andere unmöglich klang, war für sie eigentlich ziemlich einfach. Wer nachdachte, konnte Angst haben. Also lautete ihre Lösung: über nichts länger als bis zur nächsten Mahlzeit nachzudenken. Dann würde schon alles gut werden. Anya war stolz auf ihr Motto, es hatte sich bisher selten als unwahr erwiesen. Enttäuschte Rufe klangen von den Zuschauertribünen. Anya bemerkte es sofort, Nummer 21 lag auf dem Boden. Unter grellem Jubel sprang sie auf. Diese dumme Valerie hatte sich der Länge nach hingelegt! Was für ein Ereignis! Hätte sie doch nur ihre Kamera dabei! Aber nein, dachte sie kurz darauf verbittert. Nämlich als die Nummer 10 seiner Kollegin aufhalf. DAS wollte sie sich nicht hundert Mal am Tag reinziehen. „Ich verschwinde“, brummte Anya verstimmt. „Die kommen auch ohne mich klar.“ „Und der Coach? Du kannst nicht einfach gehen“, warf Abby vorwurfsvoll ein. „Eine Mannschaft muss zusammenhalten!“ „Ach, Redfield hat doch alles im Griff, die brauchen mich nicht.“ Abby stand plötzlich auf. „Da wäre ich mir nicht so sicher. Sieh mal!“ Erst wusste Anya nicht, wovon ihre Freundin redete und suchte nach der Stelle, auf die jene deutete. Schließlich bemerkte sie es auch. Einer der Spieler der Dices schlug mit seinem Schläger um sich. Wie wild geworden fiel er plötzlich seine Kameraden an, die ihrerseits Mühe hatten, die Angriffe mit ihren Schlägern zu parieren. Und der Kerl war nicht der Einzige. Auch zwei Lions fingen plötzlich an, wie Berserker auf diejenigen loszugehen, die ihnen am nächsten waren. „Na, das ist mal 'ne Show nach meinem Geschmack“, strahlte Anya und sprang nun auch auf, „'ne Massenschlägerei! Gott, das gab es hier ja schon ewig nicht mehr!“ Und während der Coach auf die Eisfläche eilte und wütend brüllte, erfreute sich die Blondine am immer schlimmer werdenden Chaos. Abby hingegen schlug fassungslos die Hände vor den Mund. „Die müssen aufhören! Sonst wird noch jemand verletzt!“ Plötzlich streckte sie den Arm aus und zeigte auf die Masse. „Der Coach! Die greifen tatsächlich Coach Bergmann an!“ Anya verging die Freunde, als sie sah, wie drei Spieler der Dices den Coach beharkten. Dieser ging in die Knie und krabbelte über das Eis, doch musste er harte Schläge einstecken. Ihr Blick wanderte automatisch zu der Stelle herüber, wo eben noch Valerie am Boden gelegen hatte. Sie sah die Nummern 10 und 21, wie sie sich vom Eisfeld entfernten und durch die Tür zu den Tribünen gelangten. Dort war mittlerweile alles in Wallung geraten und einige versuchten offensichtlich, sich einen Weg aufs Eis zu bahnen, um den Kampf zu beenden. Plötzlich traf ein geworfener Schläger die Nummer 10 am Hinterkopf, woraufhin jene der Länge zusammenbrach. „Marc!“, kreischte Anya erschrocken. Doch jener rappelte sich, gestützt von Valerie, wieder auf und suchte mit ihr zusammen das Weite – Helm sei Dank. Immer mehr Leute stürmten aufs Eis und versuchten, die Hockeyspieler zu bändigen. Diese wüteten noch immer durch die Reihen, ob mit oder ohne Waffen. „Das ist verrückt“, kommentierte Abby den schrecklichen Anblick leise. „Was ist plötzlich in die gefahren?“ Als sie zur Seite blickte, war Anya verschwunden. Erst nach ein paar Herzschlägen erkannte Abby, dass ihre Freundin am Boden lag und sich nicht rührte. „Hilfe!“, schrie sie gegen die Unruhen an und kniete neben Anya nieder. „Ich brauche einen Arzt, schnell!“   ~-~-~   Anya erkannte diesen Ort sofort wieder. Die Dunkelheit, das Mosaik. Sie war zurück, sie träumte wieder. Doch anders als beim letzten Mal blieb sie nicht ruhig. Eine ungekannte Furcht machte sich in ihr breit. Nicht darüber nachdenken, mahnte sie sich. Wieso war sie hier? Eben noch war sie in der Halle gewesen, hatte zugesehen, wie gute Freunde sich gegenseitig die Helme einschlugen.   Erinnerst du dich? Ich sagte, wir werden uns wiedersehen.   Das Mädchen zuckte zusammen. Da war es wieder, dieses Ding. Überall und nirgendwo. „Leviere?“ Levrier. Und? Hat dir gefallen, was ich dir gezeigt habe? Hat es deiner wütenden Seele Nahrung gegeben?   Was meinte er? Doch nicht etwa die Schlacht auf dem Eis? „Das warst du?“, fragte Anya ungläubig. Nein, das konnte unmöglich sein. Das Ding war ein Produkt ihrer hyperaktiven Fantasie. Nicht real. Vermutlich hatte irgendein Schwein ihr hinterrücks eins verpasst, sodass sie wieder diesen Traum hatte!   Gewiss. Ich habe gehofft, dass du ein wenig kooperativer wirst, wenn du siehst, wozu ich imstande bin. Dir liegt doch etwas an dieser Kleinen. Abby, nicht wahr?   „Was willst du?“, schoss es aus Anya heraus. Das habe ich dir bereits bei unserer letzten Begegnung gesagt. Entsinne dich.   Anya schnaufte. „Die Antwort bleibt nein!“ Womit zum Teufel hatte sie es bloß zu tun? Esoterik und dieser ganze Quatsch war zwar nicht ihr Ding, doch irgendetwas ging hier vor sich. Und da sie sich weigerte zu glauben, einfach nur verrückt zu werden, musste doch dieses Levrier-Wesen dahinterstecken. „Ich werde nicht zu deinem Gefäß! Ich weiß ja nicht einmal, wer oder was du bist und was du damit bezwecken willst.“   „Man könnte sagen, ich möchte die Welt verändern.“ Anya wirbelte um, denn die Stimme war dieses Mal direkt hinter ihr gewesen. Und sie hatte anders geklungen, nicht so fern. Doch als sie deren Ursprung erblickte, glaubte sie, ihren eigenen Augen nicht trauen zu können. Da stand sie, Anya. Nein, das war nicht sie, das war dieser Levrier, der nur so aussah. Und doch. Die blauen Augen, das blonde, zu einem Pferdeschwanz gebundene Haar, die Jeans und das schwarze Totenkopfshirt. Es war das perfekte Abbild von ihrem alltäglichen Ich. „Man bin ich hübsch“, stellte Anya anerkennend fest, was sie aber nur tat, um sich Mut zu machen. Dabei bemerkte sie, dass sie selbst nicht mehr ihre Hockeyausrüstung trug, sondern dieselben Sachen wie ihr Gegenüber. Und eine Duel Disk. Wie Levrier auch. Als könne jener ihre Gedanken lesen, nickte er. Dabei imitierte das geheimnisvolle Wesen jetzt sogar Anyas Stimme. „Du siehst richtig. Ich dachte mir, wenn Worte dich nicht überzeugen können, dann vielleicht etwas, was deinen Stolz verletzt. Damit du weißt, wo dein Platz ist.“ „Ach ja?“, warf Anya ihm herausfordernd entgegen und ließ ihre Fingerknöchel dabei knacken. „Na warum kommst du dann nicht her, damit wir das auf traditionelle Art und Weise lösen können? Ich hätte nicht schlecht Lust, dir ein paar Rippen zu brechen!“ „Dein Gedächtnis scheint minderwertig zu sein. Ich sagte bereits, dass ich keinen Körper besitze. Was du siehst, ist nur mein Wille. Und diesem wirst du dich jetzt beugen.“ Mit diesen Worten klappte die schwarze, mit Dornen behaftete Duel Disk Levriers klangvoll aus. Derweil knirschte Anya mit den Zähnen. Wenn sie diesen Plagegeist loswerden wollte, hatte sie wohl keine andere Wahl, als hier mitzumachen. „Glaubst du.“ Nebenbei bemerkte sie, dass auch sie so eine merkwürdige Duel Disk am linken Arm trug. Jene sah einfach schrecklich aus im Vergleich zu ihrer uralten Battle City Disk. Ein Originalstück, das ihr Vater ihr einst geschenkt hatte. Dieses hässliche Ding an ihrem Arm hingegen wäre höchstens etwas für Abby gewesen, als sie noch die Gothic Lolita gemimt hatte. Widerwillig aktivierte sie das Gerät durch das Ausschwingen ihres Arms.   „Ich sehe, du lernst dazu“, kommentierte Levrier das Ganze mit einer Spur Hohn in der Stimme. „Pass mal auf, was du alles so lernen wirst, wenn ich erstmal mit dir fertig bin“, schnaubte Anya. Jetzt kam dieses Ding ihr auch noch frech. Den würde sie bluten lassen. „Du redest viel. Aber ob du die Dinge auch in die Tat umsetzen kannst? Lass es uns herausfinden.“ Beide schrien regelrecht synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Levrier: 4000LP]   Beide Spieler zogen augenblicklich ihr Startblatt von fünf Karten. „Der Herausforderer begi-“ Doch die echte Anya unterbrach ihr Spiegelbild schroff. „Ich fange an!“ Schon hatte sie die nächste Karte nachgezogen und studierte missmutig ihr Blatt. Ihre Schlüsselkarte war nicht darunter. Aber das machte nichts, denn sie hatte die perfekte Möglichkeit, an sie heran zu kommen. Mit einem zufriedenem Grinsen fischte sie eine Zauberkarte aus ihrem Blatt und verkündete: „Ich aktiviere [Gold Sarcophagus]! Damit entferne ich eine Karte von meinem Deck und füge sie zwei Runden später meiner Hand hinzu.“ Eine goldene Truhe mit ägyptischen Symbolen, darunter ein unheimliches Auge inmitten der Front, erschien. Während Anya ihr Deck aus der Duel Disk nahm und auffächerte, schob sich wie von Geisterhand der Deckel beiseite. Als Anya schließlich ihre Wahl getroffen und das Deck an seinen rechtmäßigen Platz zurückgesteckt hatte, hielt sie die gewünschte Karte in die Höhe. „Ich nehme [Gem-Knight Fusion]!“ Der Zauber flog ihr aus der Hand und verschwand im Inneren der Truhe, die sich selbst verschloss und augenblicklich im Nichts verschwand. Anya überlegte weiter. Solange sie ihre besten Monster nicht spielen konnte, wäre es zumindest gut, deren Ankunft vorzubereiten. Deswegen entschied sie sich für [Gem-Armadillo], den sie auf die Duel Disk legte. Kurz darauf erschien ein braunes, schwebendes Gürteltier vor ihr, welches mit hellbraunen Edelsteinen und zwei Düsentriebwerken bestückt war. Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Wenn [Gem-Armadillo] beschworen wird, füge ich einen beliebigen Gem-Knight von meinem Deck meiner Hand hinzu!“, erklärte Anya und hielt das ausgewählte Monster bereits zwischen Mittel- und Zeigefinger. Es war das normale Monster [Gem-Knight Garnet]. Sie atmete tief durch. Das Gefühl, sich selbst gegenüber zu stehen, war alles andere als angenehm. Dazu noch inmitten einer so unheimlichen Umgebung. Sie mochte die Dunkelheit, die Nacht, aber das hier war nichts für Anya. Aber sie war keine Memme, redete sich das Mädchen resolut ein. So leicht würde dieser Mistkerl von Levrier sie nicht einschüchtern können! „Ich setze eine Karte verdeckt“, rief sie und schob die Fallenkarte in einem der dafür zugehörigen Schlitze. „Das wär's dann.“   Die andere, falsche Anya lächelte süffisant. „Fürchtest du dich?“ „Nö“, antwortete das Original desinteressiert. „Und warum zittert deine Hand?“ Zu ihrem Schrecken musste Anya feststellen, dass Levrier recht hatte. Die Hand, in der sie ihr Blatt hielt, bebte regelrecht. Mit der anderen hielt sie sofort ihren Arm fest, damit ihr Gegner nicht weiter darauf eingehen konnte. „Du kannst mir nichts vormachen. So sehr du dich auch sträubst, Anya Bauer, meine Worte sind zu dir durchgedrungen. Du hast erkannt, zu was ich imstande bin und du fürchtest dich vor dem, was noch kommen könnte. Und es wird kommen, solltest du dich weiterhin weigern, dich mit mir zu vereinen.“ „Blablabla“, zischte Anya, doch ihre Stimme klang eine Spur zu heiser, um überzeugend zu wirken. Nein, sagte sie sich, dieser Kerl log nach Strich und Faden. Was da unten in der Halle passiert war, lag lediglich an ein paar übermütigen Jungs. Daran war absolut nichts Mysteriöses, so wie Levrier es ihr einreden wollte! Und doch … ob es Marc gut ging? Und Abby, wo war die gerade? Und sie selbst, fragte Anya sich voller Unwohlsein? Was war überhaupt mit ihr, war sie noch in der Halle und nur eingenickt? Vielleicht war die Schlägerei auch nur Teil des Traumes? So musste es sein! Sie war noch gar nicht aufgewacht!   „Ich werde nun meinen Zug durchführen“, erklärte Levrier und riss sein Gegenüber dabei aus den Gedanken. Er nahm behände eine Karte und legte sie auf die Duel Disk. „[Purgatory Hellhound]!“ Ein feuriges Loch tat sich inmitten des Spielfelds auf. Daraus hervor sprang eine mannshohe Bestie, die entfernt an einen Hund erinnerte. Schreckliche Fangzähne ragten aus seinem Maul und überall aus dem roten Fell des Biestes stachen schwarze Klingen hervor. Es brüllte ohrenbetäubend.   Purgatory Hellhound [ATK/1800 DEF/1000 (4)]   Die falsche Anya streckte den Arm aus. „Vernichte [Gem-Armadillo]!“ Kurzerhand sprintete das Ungetüm auf das schwebende Gürteltier zu und riss es mit nur einem Schlag seiner wuchtigen Pranke entzwei. Dabei wurde Anya von einem sengenden Wind aus Glut und Asche erfasst, was sie zum Husten brachte. Sie hielt sich schützend die Arme vor den Kopf, bis das Inferno vorbei war.   [Anya: 4000LP → 3900LP / Levrier: 4000LP]   „Das war ...“, murmelte sie und betrachtete die Asche und die vereinzelten Brandblasen an ihren Händen und Armen, die unangenehmerweise auch noch weh taten. „Real? Gewiss, mein Kind. In einem Kampf um das Vorrecht eines Gefäßes wird – Wie sagen die Menschen? – mit harten Bandagen gekämpft. Es ist deine Seele, die hier Schaden nimmt.“ Levrier lächelte zufrieden. „Wie lange wohl wirst du den Qualen standhalten, ehe du dich ergibst? Jemand der so stur ist, stellt einen würdigen Gegner dar. Aber selbst die stärkste Seele kann auf Dauer nicht gegen mich bestehen.“ „Du laberst Bullshit“, fauchte Anya. Wollte dieser Kerl sie mit ein bisschen Hokuspokus beeindrucken? Wenn ja, lag er da aber so was von falsch! „Wie du meinst. Vielleicht sprichst du eher diese Sprache?“ Er deutete auf seinen Höllenhund. Die Klingen auf seinem Rücken begannen rötlich zu leuchten. „Immer wenn [Purgatory Hellhound] angreift, erhöht sich sein Angriffswert anschließend um 400.“   Purgatory Hellhound [ATK/1800 → 2200 DEF/1000 (4)]   „Mist“, murmelte Anya und biss sich auf die Lippe. Das war gar nicht gut. „Damit dieses Spiel auch nicht zu langweilig wird, setze ich eine Karte verdeckt. Nun denn, Anya Bauer, durchdenke deinen nächsten Zug gut.“ Wieder war da dieses wissende Lächeln von Levrier. Wie Anya es hasste, dass dieses Wesen ihren Körper für das Duell benutzte. Wäre er in Gestalt von Valerie Redfield gegen sie angetreten, wäre das alles viel amüsanter.   Es half aber nichts, sagte sie sich. Sie würde ihn auch so in der Pfeife rauchen. Mit neuem Mut zog sie eine Karte von ihrem Deck und war positiv überrascht. Mit der würde sie sich zu verteidigen wissen. Und einen Weg, diese dumme Töle zurück ins Jenseits zu schicken, hatte sie auch schon gefunden. „Ich beschwöre [Gem-Knight Garnet]!“, rief Anya und knallte das gelb-umrandete Monster auf ihre Duel Disk. Aus einer Flamme vor ihr entstieg ein Ritter in bronzener Rüstung, der zwischen seinen Händen eine Feuerkugel entstehen ließ. Wie sein Name es gebot, strahle inmitten seiner Brust ein brauner Granat.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Schwungvoll streckte Anya den Arm aus. „Los [Garnet], einmal Drecksköter zum Mitnehmen!“ Sofort schoss der Ritter seine Flamme auf das Ungetüm. Levrier schwieg nur. Anya hatte eigentlich damit gerechnet, dass er einen dummen Spruch ablässt, warum sie denn ein stärkeres Monster angreife. Doch scheinbar war er einer der wenigen intelligenten Duellanten, die wussten, dass dahinter ein Plan steckte. Und ebenjenen zückte sie nun von ihrem Blatt. „Wenn eines meiner normalen Monster mit dem Element Erde kämpft, kann ich die besondere Magie meines [Gem-Merchants] wirken lassen!“ Ein kleines Wesen mit Zauberhut und kegelförmigen Unterleib erschien hinter Anyas Ritter und verschwand in ihm. „Damit steigen Angriff und Verteidigung jenes Monsters für einen Zug lang um 1000!“   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 → 2900 DEF/0 → 1000 (4)]   Schlagartig wuchs die Flamme an und versengte den Höllenhund in einem gewaltigen Inferno. Nun war es an Levrier, einem feurigen Wind entgegen zu stehen. Dieser jedoch war sichtlich unbeeindruckt und schützte sich nicht einmal.   [Anya: 3900LP / Levrier: 4000LP → 3300LP]   Das hat gesessen, dachte Anya stolz. So stark, wie er, sie oder es sich gab, war Levrier auch wieder nicht. Noch ein, zwei Züge und sie hatte ihn zu Hackfleisch verarbeitet! Mit siegesgewissem Lächeln nahm Anya die Karte, die sie diese Runde gezogen hatte und setze sie zu ihrer anderen Falle. Nun lagen vor ihr zwei verdeckte Karten. Daran würde dieser Kerl nie vorbeikommen! „Ich aktiviere meine Fallenkarte“, hörte sie da Levrier plötzlich rufen. Er schwang seinen Arm über die vor ihm schwebende Karte, sodass sie aufsprang. „[Dominance]. Der Zug, in dem du eines meiner Monster zerstört hast, wird dir zum Verhängnis werden. So kann ich fortan eine deiner gesetzten Karten blockieren, bis ich sie in zwei Runden für meine Zwecke einsetzen kann. Und meine Wahl fällt auf die eben von dir ausgespielte Karte!“ Anya schreckte zurück, als glühend rote Ketten sich um die verdeckte Karte rechts von ihr schlangen. Das konnte nicht wahr sein, dachte sie fassungslos. Die dort liegende Karte war [Negate Attack] und war eigentlich dazu gedacht gewesen, feindliche Angriffe abzufangen. Nun war sie nutzlos. Schlimmer noch: Levrier würde sie schon bald selbst einsetzen können. „Pfff“, zischte sie. Dann würde sie ihn eben vernichten, bevor er sich an ihrer Falle vergreifen konnte! „Mein Zug ist beendet!“   Gem-Knight Garnet [ATK/2900 → 1900 DEF/1000 → 0 (4)]   Levrier zog, doch schenkte seiner neuen Karte keine Beachtung. Stattdessen sah er durch kalten, blauen Augen Anya in die ihren. „Du hast mich nach Eden gefragt, Anya Bauer. Was es ist.“ „Eigentlich interessiert es mich nicht die Bohne“, reagierte Anya schnippisch. „Um die Wahrheit zu sagen, weiß ich es nicht. Was ich aber weiß ist, dass Eden zu werden meine Bestimmung ist. Und wenn ich dazu deinen Geist brechen muss, werde ich das auch tun. Du tätest also besser daran, mir zu dienen. Tu es, bevor es zu spät ist!“ Plötzlich klang er sehr eindringlich. „Ich würde deiner Seele ungern irreparablen Schaden zufügen.“ Das Mädchen zuckte gelangweilt mit den Schultern. „ Ach wirklich … ? Du wiederholst dich. Das nervt.“ „Etwas anderes habe ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Aber gerade deshalb bist du das ideale Gefäß. Nun lass mich dir einen Grund liefern, mich wahrhaft zu fürchten.“ Das geheimnisvolle Wesen nahm eine Karte aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Komm herbei, [Life Devouring Succubus]!“ Grelles Gekicher erklang. Aus einer schwarzen Wolke über Levrier tauchte eine geflügelte Gestalt mit sechs Armen auf. Sie hatte das Haupt einer schönen, rothaarigen Frau, doch ihr Körper war der einer Schlange. Am Ende ihres Schweifs lauerte der Kopf einer riesigen Königskobra. Dieser schoss plötzlich in den Boden, mitten in das Mosaik und zertrümmerte halb Afrika, welches sich gerade zufällig auf Levriers Spielfeldseite befand. „[Life Devouring Succubus] hat die Fähigkeit, sich einen gefallen Kameraden einzuverleiben. Dabei nährt sie sich von seiner Lebenskraft und gewinnt so an Stärke.“ Aus dem Loch zog die Kobra mit ihren starken Kiefer die Gebeine des Höllenhundes und verschluckte sie.   Life Devouring Succubus [ATK/500 → 2300 DEF/500 → 1500 (4)]   Anya verzog angeekelt das Gesicht. Dieses groteske Monster war ihr zuwider, zumal es stärker war als ihr eigenes. „Vernichte [Gem-Knight Garnet]!“, befahl Levrier harsch. Dessen Besitzerin musste einen Herzschlag später mitansehen, wie sich der Succubus hinter ihren Ritter teleportiert hatte und ihn mit ihren sechs Armen in Stücke riss. Dabei holte sie gleichzeitig mit ihrem Schweif weit aus und schlug Anya zu Boden.   [Anya: 3900LP → 3500LP / Levrier: 3300LP]   Stöhnend wollte sich das Mädchen gerade aufrichten, da erschien der Dämon plötzlich über ihr und leckte sich die vollen Lippen. „Wenn [Life Devouring Succubus] einen Feind besiegt, fügt sie seinem Besitzer zusätzlichen Schaden von insgesamt 500 Lebenspunkten zu“, erklärte Levrier ungerührt. Die Kobra schnappte zu und biss Anya in den Arm, welchen sie reflexartig zum Schutz erhoben hatte. Sofort brannte er fürchterlich und Blut tropfte auf das farbenfrohe Mosaik der Erde.   [Anya: 3500LP → 3000LP / Levrier: 3300LP]   Völlig irritiert betrachtete Anya die Wunde, ehe sie realisierte, was geschehen war. Dieser Mistkerl hatte soeben sein Todesurteil unterschrieben! Wütend sprang sie auf und zeigte aufgebracht auf ihn: „Okay Freundchen, jetzt reicht's! Du willst Krieg? Den kannst du haben! Niemand, der auch nur eine winzige Hirnzelle hat, wagt es mich zu verletzten! Jetzt bist du fällig!“ Levrier zeigte sich von den Gebärden seiner Gegnerin jedoch nicht im Geringsten beeindruckt. Stattdessen zeigte er eine Schnellzauberkarte von seiner Hand vor, die er kurzerhand in seine Duel Disk schob. „Ich aktiviere jetzt [Order of H.I.M.]. Ein Unterweltler-Monster, das in diesem Zug bereits angegriffen hat und dabei über einen Angriffswert verfügt, der über seinem Ursprungswert liegt, kann erneut angreifen und verdoppelt dabei noch besagten Grundwert.“   Life Devouring Succubus [ATK/2300 → 2800 DEF/1500 (4)]   Der Blondine klappte die Kinnlade herab. Noch ehe sie etwas erwidern konnte, umklammerte der Succubus das Mädchen mit seinem Schweif und zog sie zu sich hinauf. Anya wehrte sich nach Leibeskräften, doch dem eisernen Griff entkam sie nicht. Ihr ganzer Körper schmerzte. Plötzlich sah sie in das Gesicht des Dämons, welcher zufrieden lächelte. Und dann gab er Anya mit einem seiner Arme eine Ohrfeige. Ein unangenehmes Rauschen schien ihren Kopf auszufüllen und einen Moment später wurde sie mit aller Kraft nach unten geworfen. Hart prallte Anya auf der rechten Körperhälfte auf und hörte es knacken. Ein schrecklicher Schmerz machte sich in ihrer Schulter breit, so stark, dass sie Sterne tanzen sah. Auch bekam sie keine Luft mehr und hechelte wie ein sterbender Hund.   [Anya: 3000LP → 200LP / Levrier: 3300LP]   „Erkennst du nun, wie sinnlos dein Kampf ist, Anya Bauer?“, fragte Levrier kaltherzig. Das Mädchen rappelte sich unter Schmerzen auf und presste eine Hand auf den Unterleib. Scheinbar hatte sie sich bei dem Fall ein paar Rippen gebrochen. Dem Schmerz nach zu urteilen womöglich auch das Schlüsselbein. „... leck mich“, zischte sie. „Immer noch so stur? Ich bin beeindruckt. Ist dieser Schmerz denn nicht genug, um dich zu brechen?“ „Nicht mal ansatzweise!“ Anya biss die Zähne zusammen. Vor lauter Schmerz konnte sie kaum denken. Aber das wäre ohnehin schlecht. „Bedauerlich. Doch glücklicherweise habe ich meine Reserven noch nicht ausgeschöpft.“ Noch mehr, fragte sich das Mädchen erschrocken. Ihr Gegner hatte noch drei Karten auf der Hand. Mehr als genug, um ihr die letzten Lebenspunkte zu rauben. Würde ein weiterer Angriff folgen? „[Life Devouring Succubus] hat einen letzten Effekt, den ich dir nicht vorenthalten möchte“, verkündete Levrier gebieterisch. „Ich kann eine Xyz-Beschwörung mit dem Monster durchführen, das als Kraftquelle für meine Kreatur dient. Da beide der Stufe 4 angehören, kann ich nun ein Rang 4 Xyz-Monster rufen. Ich erschaffe das Overlay Network!“ Aus dem Succubus schossen zwei violette Strahlen, die von einem bunten Wirbel innerhalb des Bodens verschluckt wurden. Daraus empor stieg ein Wesen, wie Anya es noch nie zuvor gesehen hatte. Sechs verdorrte, knochige Flügel ließen es unendlich groß erscheinen. Der Schädel eines Ziegenbocks diente als Maske für jenes dämonische Wesen, das einen Stab in seinen Händen hielt, welcher aussah wie eine gewundene Schlange. Um ihn schwirrten zwei Lichtkugeln, die Xyz-Materialien. „Dies ist [Six Winged Archfiend – Se'rim]“, erklärte Levrier.   Six Winged Archfiend – Se'rim [ATK/2600 DEF/1300 {4}]   „Was ist dieses Ding?“, schoss es Anya hervor. Dieses Monster erschien ihr wie eine Verkörperung des Leibhaftigen. Nein! Es war nur eine Karte, ein Hologramm. Wahrscheinlich ein sehr lebendiges Hologramm, musste sie sich insgeheim eingestehen. „[Six Winged Archfiend – Se'rim] hat einen Effekt, der nur eingesetzt werden kann, wenn er nicht am Kampfgeschehen teilgenommen hat. Ich hänge ein Xyz-Material ab und ziehe eine Karte“, erklärte Levrier. Er entfernte den Succubus, welcher unter der schwarz-umrandeten Karte des Dämons lag und steckte ihn in den Friedhofsschacht. Eine der Kugeln verschwand hinter der Maske, aus welcher nun rote Augen aufleuchteten. Dann zog Levrier und hielt die Karte flach gen Boden, ohne sie anzusehen. „Wenn es sich hierbei um ein Monster handelt, erleidest du nun Schaden anhand seines Angriffswertes.“ Anya zuckte zusammen und sah auf ihre Duel Disk. Sie hatte nur 200 Lebenspunkte. Sollte er dort tatsächlich ein Monster haben, war das Spiel gelaufen! Langsam, nahezu in Zeitlupe, hob Levrier seinen Arm und zeigte die Karte zwischen seinen Fingern hervor. Es war eine grüne Karte – ein Zauber. Anya atmete tief durch. Noch einmal Glück gehabt. „Ich aktiviere den Effekt von [Six Winged Archfiend – Se'rim] erneut!“, rief die Anya-Kopie entschlossen. „Was? Das geht zweimal in einem Zug!?“ Auch die zweite Lichtkugel verschwand nun hinter der Maske des Dämons. Wieder zog Levrier und betrachtete die Karte. Ein finsteres Lächeln umspielte plötzlich seine Lippen. Anya ahnte Böses. Dabei fragte sie sich, ob sie wohl auch so bösartig aussah, wenn sie andere fertig machte. Der Gedanke behagte ihr nicht. Mit einem Ruck zeigte Levrier die Karte. Es war ein Effektmonster. „Aber-!“ „Du siehst richtig. Ein Monster ohne Angriffspunkte. Es scheint, als wäre das Schicksal auf deiner Seite, Anya Bauer.“ Levrier sprach diese Worte mit einer Spur Anerkennung. „Ich fürchte, du hast deine Existenz um einen weiteren Zug verlängert. Doch sei dir im Klaren: dein Moment des Glücks ist nur von kurzer Dauer und wird bald vergehen.“   Doch das Mädchen betrachtete nur ihre zitternden Hände. Glück. Nur Glück hatte sie soeben vor der Niederlage bewahrt. Das war … unakzeptabel. So sollten Duelle nicht entschieden werden, auch wenn es diesmal zu ihrem Vorteil war. Sie ballte die Fäuste so fest zusammen, dass es schmerzte.   „Einen Zug!“, schrie sie plötzlich. „Mehr werde ich auch nicht brauchen! Draw!“ Das war ihre Chance, sagte sie sich. Levrier konnte ihre [Negate Attack] erst im nächsten Zug einsetzen, dann wäre sowieso alles verloren. Sie musste jetzt mit aller Härte zuschlagen und ihn vernichten, bevor er sie vernichtete. Schwungvoll zog sie die alles entscheidende Karte und strahlte, als sie sie erblickte. Der Boden erbebte, als der goldene Sarkophag daraus emporstieg und seinen Inhalt preisgab. Anya, die zwischenzeitlich ganz um ihren Zauber vergessen hatte, hielt nun [Gem-Knight Fusion] in den Händen, zusammen mit drei anderen Karten. „Okay Freundchen, mach dich auf was gefasst!“, verkündete sie aufgebracht und zückte eine andere Zauberkarte aus ihrem Blatt. „[Silent Doom] beschwört ein normales Monster von meinem Friedhof in Verteidigungsposition!“   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Ihr Ritter erschien neben Anya und kniete nieder. Sie nahm jedoch schon die nächste Zauberkarte von ihrer Hand. „Und jetzt zeige ich dir mal, wie man das richtig macht! [Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich zwei meiner Ritter zu einem völlig neuen! [Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Sapphire], du die Rüstung! Vereint euch!“ Ein strahlender Wirbel entstand über Anya, etliche Juwelen verschiedenster Beschaffenheit und Farben tanzten im Einklang mit dem Strom, in den erst Garnet, dann der in einer blauen Rüstung gekleidete Sapphire gezogen wurden. Aus dem Wirbel trat schließlich ein Ritter in bronzener Rüstung, der stark an Garnet erinnerte. Ein blauer Umhang wehte von seinen Schultern und er hielt nun eine Lanze in den Händen, die er bedrohlich auf Levrier richtete. „Das ist es, [Gem-Knight Ruby]!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Bedauernswerte Kreatur“, kommentierte Levrier das Ganze unbeeindruckt. „Was wirst du tun, um ihr die nötige Stärke zu verleihen, die sie braucht, um die meine zu bezwingen?“ „Schau genau her, Mistkerl! Ich beschwöre jetzt [Gem-Knight Alexandrite] als meine reguläre Beschwörung!“ Ein Ritter in silberner Rüstung, geschmückt mit vielen verschiedenen Edelsteinen an den Gelenken, tauchte neben Ruby auf.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Aber er ist nicht hier um zu bleiben! Ich opfere ihn für seinen eigenen Effekt und beschwöre einen seiner effektlosen Kameraden vom Deck! So wie [Gem-Knight Crystal]!“ Alexandrite verschwand in einer Lichtsäule. Aus dieser trat ein noch viel anmutigerer Ritter in weißer Rüstung. Viele farblose Kristalle schmückten sein Erscheinungsbild. Stolz stemmte er die Hände in die Hüften und stellte sich neben Ruby.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Ein weiterer Schwächling. Ist das deine Antwort, Anya Bauer? Willst du auf diese Weise überleben?“ Dieser Levrier hatte keine Ahnung, dachte die Blondine zufrieden. Zwar hatte sie all ihre Handkarten aufgebraucht, aber der Weg war geebnet. Der Trottel hatte nicht einmal verdeckte Fallen auf seiner Spielfeldseite liegen, sodass sie sich keine Gedanken machen musste, einen Angriff zu starten. Und das würde sie jetzt! „Ich benutze Rubys einzigartigen Effekt und biete Crystal als Opfer an. Dadurch erhält Ruby jeden Angriffspunkt, den Crystal besitzt! Du denkst, dein Monster ist stark? Sieh dir mal meins an!“ Der weiße Ritter vor Anya löste sich in strahlenden Lichtfunken auf, die von Rubys Lanze absorbiert wurden. Plötzlich erstrahlte um jene eine weiße, glühende Aura, die selbst die Dunkelheit um sie herum zu erhellen vermochte.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 4950 DEF/1300 (6)]   „Das ist genug, um deinem Mistvieh ordentlich einzuheizen! Los, Ruby, zeig es ihm! Sparkling Lance Thrust! Vernichte diesen Dreckskerl!“ Ihr Ritter wirbelte die Lanze über seinem Kopf und schoss anschließend wie ein Pfeil durch die Luft auf den geflügelten Dämon zu. Mit einem gezielten Stich schaffte er ein gewaltiges Loch in der Brust des Ungetüms. Es begann, sich von innen heraus aufzulösen. Levrier jedoch zog nur eine von Anyas Augenbrauen hoch, ehe er von einer Schockwelle erfasst wurde. Trotz der gewaltigen Kraft der Explosion seines Monsters blieb er standhaft, rührte sich nicht einen Millimeter vom Fleck.   [Anya: 200LP / Levrier: 3300LP → 950LP]   „Wie es scheint, war dein Angriff nicht ausreichend, um mich – wie sagtest du? – zu vernichten.“ Anya biss die Zähne zusammen. Sie hatte sich tatsächlich verrechnet! Wie hatte ihr so ein Fehler unterlaufen können!? Wenn sie doch nur- In diesem Moment jedoch hatte sie einen Geistesblitz. Sie starrte auf ihre Duel Disk und erkannte, dass neben [Negate Attack] noch die Falle steckte, die sie in ihrem ersten Zug ausgespielt hatte. Ihr Ticket zum Sieg! „Verdeckte Falle!“, rief sie voller Inbrunst. „[Gem-Enhancement]!“ Die vor Anya liegende, linke Karte sprang auf. Sie zeigte Ruby in einer Pose, wobei aus den Rubinen an seiner Rüstung grelles Licht strahlte. Und genau das geschah jetzt auch mit dem Ritter, der für Anya einstand. „Ich biete einen meiner Gem-Knights als Opfer an, damit einer seiner Freunde vom Friedhof wiederauferstehen kann! Ruby, überlass jetzt Crystal das Feld!“ Die Rüstung von Anyas Monster platzte auf und gab den weißen Ritter zum Vorschein, der sich zuvor für seinen Kameraden geopfert hatte.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Levrier lächelte nun geheimnisvoll. „Ich verstehe. Dein Deck ist wahrhaft ein besonderes. Deine Krieger gehen Bündnisse ein, sind bereit, für ihre Freunde ihr Leben zu geben. Sie gehen Hand in Hand miteinander. Warum besitzt jemand wie du solch mächtige Karten?“ Seine Worte trafen Anya wie ein Schlag. Es klang, als hätte sie die Gem-Knights nicht verdient. „Seit wann bestimmst du, wer welches Deck spielen darf?“, rief sie wütend. „Du hast genug Unsinn gelabert, ich habe die Schnauze voll! Los Crystal, beende diesen Dreck! Clear Punishment!“ Ihr Ritter rammte seine Faust daraufhin in den Boden und spaltete damit das Mosaik. Wie eine Schlange schnellte eine Schneise der Zerstörung auf Levrier zu. Dutzende Kristallspitzen ragten dabei aus dem Boden und als sie Levrier erreichten, sagte jener: „Du bleibst also dabei, Anya Bauer? Doch sei dir gewiss, auch wenn du mich heute geschlagen hast, ist Edens Ankunft unausweichlich.“ Mit diesen Worten schossen die Spitzen unter ihm hervor. Es zersplitterte dabei wie ein Spiegelbild, dessen Scherben in alle Winde verstreut wurden.   [Anya: 200LP / Levrier: 950LP → 0LP]   Anya atmete tief durch, ihre Brust schmerzte. Die Hologramme verschwanden, genau wie die Duel Disk an ihrem Arm. Der Albtraum war endlich vorüber. Und kaum hatte Anya diesen Gedanken gefasst, zersplitterte ohne Vorwarnung das Mosaik unter ihren Füßen. Sie fing an zu fallen. Die Schreie in ihrer Kehle gingen in der endlosen Finsternis unter. So schloss sie die Augen und hoffte, dass sie den Fall überleben würde.   ~-~-~   „Sie kommt zu sich“, hörte Anya eine ferne Stimme sagen. Ihre Lider waren schwer, doch langsam konnte sie sie anheben. Sie starrte in grelles Licht, alles war ein wenig verschwommen. „Lass das!“, war da wieder diese Stimme. Anya kannte sie gut. Abby! Und sie fühlte etwas. Es kam von ihrem rechten Ohr. Als würde … Anya neigte den Kopf leicht zur Seite und sah einen Arm. Die dazugehörige Hand hatte schon fast unheimlich lange Finger, von denen einer direkt in ihrem Ohr steckte und sich drehte. Sofort schreckte sie auf. „Nick?“, murmelte sie und langte anschließend voller Entsetzen zu. Die Backpfeife saß und der hochgewachsene junge Mann hielt sich mit jammernder Mimik die Wange. „Hi Anya“, gluckste er. „Was soll das!?“, fauchte sie ihn an. „Wieso steckst du mir deinen ekligen Finger ins Ohr, du Idiot?“ „Dachte, du wachst dadurch schneller auf.“ Er kratzte sich am Kopf, dessen braunes Haar zerzauster nicht hätte sein können. Dann steckte er die Hände in die Hosentasche und grinste verschlagen. „Na, hast wohl von mir geträumt?“ „Nie im Leben, als ob! Wo bin ich überhaupt?“, fragte Anya mürrisch und sah sich um.   Neben ihr auf beiden Seiten stand eine Art tragbarer Vorhang aus kraftlosem Grün. Anya musste nicht mehr sehen, um zu wissen, wo sie war. Auf der Krankenstation der Livington High. Ihr Brustschutz und der andere Kram lagen in einer Ecke, sie trug nur das Trikot ihrer Mannschaft und eine weiße Hose. Abby trat zwischen die beiden Zankenden. Sie machte einen sehr mitgenommenen Eindruck, denn ihre Haare wirken noch zerzauster als sonst, sie war blass wie eine Kalkwand und das Stirnband war verrutscht. „Wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht. Du bist einfach umgekippt und es war gar nicht so leicht, dich hierher zu bringen.“ „Wieso, was ist passiert?“ Ihre Freundin seufzte. „Auch auf der Zuschauertribüne haben die angefangen, sich zu schlagen. Egal was ich gesagt habe, ich konnte sie nicht besänftigen. Es war … schrecklich.“ „Abby und ich haben dich hierher gebracht“, sagte Nick und grinste, „dabei durfte ich sogar gegen ein paar Knirpse antreten, die aufmüpfig wurden.“ Anya verzog skeptisch das Gesicht. „Und, was hast du gemacht? Sie unangespitzt in den Boden gerammt?“ „Bin weggelaufen. Waren zu viele. Drei um genau zu sein.“ Er hielt ihr seine Hand vors Gesicht, doch statt dreien, zeigte er vier Finger. Sofort erntete er lautes Gestöhne von der Blondine, die sich die Hand vor den Kopf schlug. „Das ist nicht witzig, Nick“, beschwerte sich Abby und deutete zu einem der Vorhänge. „Wir können froh sein, für Anya noch ein Bett bekommen zu haben. Die Krankenstation ist hoffnungslos überfüllt. Es gibt mindestens zwanzig Verletzte. Coach Bergmann und ein paar andere mussten sogar umgehend ins Krankenhaus eingeliefert werden.“   Anya sprang von ihrer Liege auf und musste von Nick gehalten werden, da sie sonst umgekippt wäre. Eine starke Benommenheit ergriff Besitz von ihr, doch sie drängte sich an ihm vorbei und verließ ihre Nische. Und was sie sah, traf sogar sie schwer. Überall waren verletzte Schüler. Manche lehnten an den Wänden und hielten sich bestimmte Körperteile und -regionen, andere lagen auf Tragen auf dem Boden und wurden von den Krankenschwestern behandelt. Es war kaum Platz zum Gehen, so viele Leute teilten sich hier den begrenzten Raum. Die Ärztin, Doctor Warren, huschte von einer Person zur nächsten und schien gar nicht zu wissen, wo sie anfangen sollte, die Wunden zu behandeln. „Also das ist selbst mir eine Spur zu krass“, kommentierte Anya das 'Schlachtfeld' beeindruckt. „Alter Falter.“ Abby gesellte sich neben sie und legte ihre Hand auf Anyas Schulter. „Wenn es nur das wäre. Aber du hast geschrien, als du bewusstlos warst. Selbst Doctor Warren hat es nicht geschafft, dich zu wecken und wollte dich schon von den Sanitätern abholen lassen. Was war los mit dir, hattest du einen Albtraum?“ Nick stellte sich ebenfalls zu ihnen. „Ich sag doch, sie hat von mir geträumt, hehe.“ „Wenn ich wirklich geschrien habe, dann kann das durchaus sein“, brummte Anya und warf ihrem Freund einen giftigen Blick zu. Doch ihr ging der Albtraum nicht aus dem Kopf. Levrier … gab es ihn wirklich? Hatte er die Massenschlägerei ausgelöst? Nein, das konnte nicht sein! Es gab keine übernatürlichen Lebewesen, das war ausgemachter Schwachsinn! „Was hast du denn nun geträumt?“, fragte Abby neugierig. „Wie ich diesem Miststück Valerie Redfield die eigenen Gedärme in den Hals stecke.“ Mit diesen Worten stampfte sie ziellos von dannen. „Ich mag es nicht, wenn du so redest“, rief ihre Freundin ihr noch hinterher, daran zweifelnd, dass Anya ihr die Wahrheit gesagt hatte. Doch jene war längst außer Hörweite. Zumindest innerlich.     Turn 02 – Wicked Games Nach der Schlägerei in der Eissporthalle ist wieder Ruhe an der Livington High eingekehrt. Zumindest fast, denn seit jenen Vorfällen scheint Marc Butcher, Anyas Schwarm, ihre Erzrivalin Valerie auf Schritt und Tritt zu begleiten. Anya, die vor Eifersucht kurz davor steht, gewalttätig zu werden, fordert Valerie in ihrem Wahn schließlich zu einem Duell heraus. Mit Leichtigkeit schafft Valerie es, Anya dank [Evigishki Soul Ogre] an die Wand zu spielen. Doch mitten im Duell geschieht etwas Seltsames … Kapitel 2: Turn 02 - Wicked Games --------------------------------- Turn 02 – Wicked Games     Sohn von William Ford - Noch immer vermisst Weiterhin gibt es keine Hinweise um den Verbleib von Benjamin Ford, dem jüngsten Sohn des Vorsitzenden der Abraham Ford Company, William Ford. Ein Sprecher der Abraham Ford Company, die für den Vertrieb der Duel Monsters-Karten in den Vereinigten Staaten verantwortlich ist, hat am gestrigen Nachmittag bei einer Pressemitteilung verlauten lassen, dass alle bisherigen Ermittlungen rund um den mittlerweile seit über einem Monat vermissten Benjamin Ford ergebnislos waren. Experten gehen nun davon aus, dass der junge Mann nicht mehr am Leben ist. Eine Entführung ist unwahrscheinlich, da sich seit seinem Verschwinden kein Erpresser bei der Familie gemeldet hat. Ferner …   „Was für 'ne Scheiße“, schnaubte Anya und warf die Zeitung auf den Tisch. Demonstrativ biss sie in ihr Toastbrot und runzelte die Stirn. Wen zur Hölle interessierte es, wenn irgendeine reiche Rotzgöre verschwunden war? Deshalb las sie sonst nie Zeitung.   „Stimmt etwas nicht, Liebes?“, fragte ihre Mutter mit einem Hauch von Sorge. Sie hatte ihre Tochter bis vor ein paar Tagen noch nie dabei beobachtet, wie sich aus freien Stücken für das Weltgeschehen interessierte. Seit Tagen verhielt das Mädchen sich nun schon äußerst ungewöhnlich. Wer Anya nicht gut kannte, würde es nie bemerken, doch als Mutter wusste Sheryl, dass etwas vorgefallen sein musste. Anya hatte sich noch weiter zurückgezogen als sonst und schien krampfhaft nach etwas zu suchen. Sie hing dauernd vor dem Computer und las regelmäßig Zeitung. Ob das mit dem Vorfall an ihrer Schule in Verbindung stand? Sheryl seufzte. Eine Antwort ihrer Tochter blieb aus. Stattdessen wischte die sich mit dem Handrücken über den Mund und schulterte ihren Rucksack, der an einem der Beine des runden Esstisches lehnte. „Ich gehe jetzt. Bis später, Mum“, grunzte sie schlecht gelaunt. „Bis später.“ Sie sah dem blonden Mädchen hinterher, als es durch die Küche schritt. Nachdem die Tür lautstark ins Schloss gefallen war, wusste Sheryl, dass Anyas Suche weiterhin keine Erfolge vorzuweisen hatte.   Anya indes stampfte wütend über den Rasen ihres Grundstücks, öffnete das Gartentor und pfefferte es mit einem gezielten Tritt ihrer Schuhsohle im Weggehen wieder zu. Sie passierte viele solcher beschaulichen Grundstücke. Kitschig, das waren sie. Der typische amerikanische Vorort, perfekt, gepflegt, grässlich anzusehen. Wo waren der Schmutz, die Ecken, die Kanten? Hier standen gelbe, grüne, rote und rosafarbene Gebäude, die eher an Puppenhäuser denn echte Häuser mit lebenden Menschen erinnerten. Anya hasste Livington, sein Spießertum. Und sie hasste es, wenn ihre Anstrengungen vergebens waren. In der beknackten Stadtzeitung verloren sie kein Wort über gewisse unheimliche Vorfälle. Die Massenprügelei in der Eissporthalle war zwar am Folgetag die Schlagzeile schlechthin gewesen, doch über irgendwelche Geisterwesen, die Schwachsinn laberten, verloren die Medien kein Wort. Im Grunde war das nicht weiter verwunderlich, aber Anya wollte sich nicht so recht damit anfreunden. Natürlich war es ein Indiz dafür, dass sie alles nur geträumt hatte, was mit Levrier zusammenhing. Doch andererseits würde es auch bedeuten, dass in ihrem Oberstübchen ein paar Zahnräder nicht geölt waren. DAS war noch viel schlimmer. Und das Internet war auch keine Hilfe gewesen, es gab keine hilfreichen Einträge unter „Levrier“ bei allen gängigen Suchmaschinen. Alles war scheiße!   Sie hielt schließlich frustriert vor einem zweistöckigen, gelben Haus. Am Briefkasten stand der Name Harper – Nicks Familienname. Wie üblich war von ihrem Freund weit und breit keine Spur. Als ob er jemals schon fertig gewesen wäre, wenn sie ihn abholen kam. Wahrscheinlich schlief er noch, wie immer. Anya schritt über das zaunlose Grundstück und klingelte an der Tür. Keine zwei Sekunden später öffnete Nicks schrullige Mutter die Tür, als hätte sie bereits sehnsüchtig auf das Mädchen gewartet. „Anya“, strahlte sie mit schiefem Grinsen. „Guten Morgen. Komm doch rein. Nick schläft noch.“ Sie machte eine einladende Geste. „Morgen, Mrs. H“, antwortete Anya und trat in den Flur ein. Sie wollte bloß schnell weg von dieser Frau, die sich seither in den Kopf gesetzt hatte, ihren Sohn Nick um jeden Preis unter die Haube zu bringen. Und Anya hatte sie als Braut – sprich: Opfer – auserkoren.   So begleitete Mrs. Harper Anya, als sie die Treppen hinauf stieg und hielt sich dabei so dicht hinter dem Mädchen, dass dieses ihren Atem im Nacken spürte. „Sie … können ruhig gehen, Mrs. H. Ich finde den Weg zu Nicks Zimmer schon … seit Jahren“, kommentierte Anya das in einer Mischung aus Trotz und Misstrauen. „Oh? Natürlich“, antwortete die kleine, hagere Frau mit den kurzen, braunen Locken enttäuscht. Ihr Gesicht erinnerte mit der spitzen Nase entfernt an einen Adler und Anya wusste, dass sich hinter der netten Fassade ein Raubtier schlimmster Sorte versteckte. „Möchtest du vielleicht einen Muffin? Ich habe vorhin welche gebacken. Du könntest sie mit Nick essen.“ „Nein danke, ich habe schon gefrühstückt.“ Auch wenn es sicherlich interessant gewesen wäre zu sehen, wie viele Muffins man auf einmal in Nicks Mund gezwängt werden konnten. „Schade. Na dann, wecke doch bitte Nick. Und sei sanft.“ Sie zwinkerte verschwörerisch und machte auf den Stufen Kehrt.   Anya schüttelte den Kopf. Die alte Krähe wollte sie doch nur mit Nick zusammenbringen, damit der endlich auszog. Mrs. Harper wollte aus seinem Zimmer nämlich eine Nähstube machen. Obwohl man sie nie nähen sah! Nicks Familie war einfach verrückt, denn irgendwoher musste er seine Macken schließlich haben. Die einzige normale Person in diesem Haushalt war sein Vater, der Allgemeinmediziner war. Aber den bekam man selten zu Gesicht. Auch egal, sagte sie sich. Wenn die Alte es übertreiben sollte, würde sie Anya von ihrer Schokoladenseite kennenlernen. Und die hieß nicht umsonst Mord und Totschlag.   Die Blondine nahm die letzten Stufen und trat vor Nicks Schlafzimmertür. Sie sollte sanft sein? Kein Problem! Mit einem Tritt stand die Tür offen. „Nick“, brüllte Anya, dass man sie noch bis draußen hören konnte. Ihr Freund, welcher in seinem Bett mit Bugs Bunny-Bettwäsche auf dem Bauch lag und schnarche, rührte sich nicht. „Aufstehen! Wir müssen los!“ „W-was?“, murmelte Nick verschlafen und hob den Kopf an. „Oh? Xena kommt mich in meinem Traum besuchen …“ „Nix mit Xena“, erwiderte Anya aufgebracht und bahnte sich ihren Weg durch die Klamottenberge, die überall im Zimmer verteilt lagen. Bei Nick angelangt, packte sie ihm am Schopf und riss seinen Kopf hoch, damit er ihr direkt in die Augen sehen konnte. „Hi Anya“, grinste er. „Du Schwachkopf, wir kommen zu spät! Mach dich fertig, damit wir los können!“ „Noch fünf Minuten, Mutti …“ Er sackte weg. Schon drückte eine erzürnte Anya seinen Kopf so tief ins Kissen, dass er zu zappeln begann. „Ich krieg' keine Luft mehr!“, kam es dumpf unter dem Kissen hervor. „Ich will nicht durch ersticken sterben, das tut doch weh!“ Anya verzog mürrisch das Gesicht. „Mir doch egal. Als ob bei dir viel kaputt gehen kann.“ Schließlich ließ sie ihn los, da ihr die Lust vergangen war, Nick zu quälen. Selbst das konnte ihre Laune nicht heben.   ~-~-~   Abby und Nick unterhielten sich, während Anya lustlos hinter ihnen her schlenderte. Sie hatten den großen Campus ihrer Schule erreicht und steuerten direkt auf ein mehrstöckiges Gebäude aus Backstein zu. Gleich würde der Horror beginnen, wenn Mr. Stantler sie wieder mit seinen Vorträgen über den Ersten Weltkrieg nervte. Wen interessierte schon Geschichte? „Ich bin ja schon so gespannt, wie es weitergeht. Die Lage in Deutschland ist ja nun aussichtslos und der Versailler Vertrag klingt nicht gerade aufbauend …“ Anya stöhnte genervt. Abby interessierte es. „Deutschland? Ist das nicht einer unserer Bundesstaaten?“, fragte Nick glucksend. Und Nick war zu doof, um den Unterricht folgen zu können. Anya biss sich auf die Lippe. Warum hatte ausgerechnet sie solche uncoolen Langweiler als Freunde? Eine fiese Stimme namens Gewissen flüsterte leise zu ihr: weil sie die einzigen Leute sind, die sich freiwillig mit dir abgeben. Anya verzog das Gesicht. Deshalb dachte sie nie über irgendetwas nach. Es war einfach nur frustrierend!   Ihr Blick streifte über den Schulhof. Rechts von ihr ragte das vierstöckige, weiße Gebäude der Unterstufe aus dem Boden. Vor dem großen Haupteingang tummelten sich verschiedene Cliquen, die ausgelassen miteinander tratschten und lachten. Anya rümpfte die Nase. Sie hatte nie bei irgendwelchen Leuten gestanden und über alles Mögliche palavert. So etwas hatte sie nie nötig gehabt! Trotzig schweifte sie nach links ab, wo die Turnhalle stand. Dahinter lag die Eissporthalle, die seit dem schrecklichen Vorfall geschlossen war. „Unheimlich, oder?“ Abby hatte sich neben sie gesellt und spielte nervös mit einer Strähne ihres braunen Haares. Heute trug sie ein rotes Stirnband und ein graues Kleid – vom Nahen sah es noch schrecklicher aus als sowieso schon, besonders weil es an einigen Stellen geflickt war. „Weiß nicht, was du meinst“, brummte Anya. „Sie sagen, dass Coach Bergmann im Koma liegt, schweres SHT.“ „Red gefälligst in einer Sprache, die ich auch verstehe!“ Abby entschuldigte sich, denn sie hätte wissen müssen, dass Anya selbst mit den gängigsten Abkürzungen nicht zurecht kam. „Schweres Schädel-Hirn-Trauma. Aber niemand weiß etwas Genaues. Fast alle, die aktiv an der Schlägerei beteiligt waren, sind von den jeweiligen Schulen vorübergehend suspendiert worden und werden womöglich bald vor Gericht stehen. Einige von denen sind allerdings in der Irrenanstalt, weil sie Dinge sehen.“ „Irrenanstalt?“, fragte Anya verwirrt und drehte sich zu Abby. „Doch nicht etwa Victim's Sanctuary?“ Das war der Name, den die Bewohner von Livington der psychiatrischen Anstalt auf dem Hügel am Waldrand gegeben hatten. Viele fanden diesen Ort sehr unheimlich, doch nicht so Anya. Sie hatte schon zweimal vor dem hohen Stacheldrahtzaun gecampt und nie war etwas Aufregendes geschehen. „Genau dort. Erinnerst du dich an Jonathan?“ „Dieser Depp aus dem Englisch-Kurs?“   Anya hatte ihn nie leiden können – gut, sie konnte 99,9% der Weltbevölkerung nicht leiden – doch Jonathan war ein besonders fieses Ekelpakt. Er verprügelte die Unterstufler ohne Grund. Anya hingegen tat das nur, sobald sie frech wurden oder ihre Kohle nicht herausrücken wollten, wenn sie selbst wieder einmal pleite war. Als Jonathan eines Tages aber Abby gegenüber einen Tick zu aufdringlich geworden war, war es bei Anya vorbei gewesen. Sie wäre damals fast der Schule verwiesen worden, weil sie ihn krankenhausreif geprügelt hatte. Dabei hatte er noch Freunde um sich gehabt, die sie erst aus dem Weg räumen musste! Alles Memmen waren das gewesen, sagte sie sich mit grimmiger Zufriedenheit, während sie deren wohlklingende Schmerzensschreie noch genau im Ohr hatte.   „Was ist mit dem?“, fragte die Blondine scharf. „Ist er krepiert? Hab ich'n Grund zum Feiern?“ „Nein. Red' nicht so schlecht über andere Menschen. Man wünscht niemandem den Tod.“ Abby verzog schmollend den Mund. „Es gehen Gerüchte um, in denen er behauptet, immer wieder Stimmen zu hören, die ihm sagen, dass er irgendjemand Bestimmtes töten soll. Wer das sein soll sagt er niemandem. Aber Jonathan ist nicht der Einzige, der solche Dinge hört. Allein aus unserer Stufe sind acht Leute in Victim's Sanctuary untergebracht. Und es werden mehr. Auch Leute, die neulich nicht einmal in der Halle waren, hören oder sehen plötzlich etwas, was nicht da ist.“ „Hehe, ich sehe auch manchmal Dinge, die nicht da sind. Wenn ich Fernsehen gucke zum Beispiel.“ Nick grinste die beiden Mädchen schief an. „Pfff, was auch immer. Mir doch egal, was mit diesen Napfsülzen ist.“ Anya verschränkte demonstrativ die Arme. „Geht mich gar nix an.“ „Was Nick wohl sagen möchte ist, dass es dafür bestimmt eine logische Erklärung gibt.“ „Möchte ich das sagen?“, fragte Nick aufrichtig verwirrt und kratzte sich an seinem strubbeligen Kopf. „Trotzdem ist es unheimlich“, meinte Abby und legte ihre Hände auf die Oberarme, als würde sie frieren. „Fast so, als wären Dämonen unter uns. Ich hab viel über sie gele-“ „Wenn du meinst …“, erwiderte Anya gelangweilt und wandte sich von den Sporthallen wieder dem Backsteingebäude zu. Und vor dessen Türen entdeckte sie kurz darauf genau die zwei Personen, die sie niemals im Leben in einem Abstand von unter hundert Metern zusammen sehen wollte. Valerie und Marc. Die redeten. Lachten. Sich in die Augen sahen. Und umarmten.   „Oh oh.“ Abby ahnte, dass eine Katastrophe im Anmarsch war. Anya blies Luft durch ihre Nase wie ein wütender Stier. Dann stampfte sie auf die beiden zu. Abby hatte Probleme, ihrer Freundin bei dem immer schneller werdenden Tempo zu folgen und musste ausweichen, als Anya eine Mitschülerin in ihren Weg schubste, weil die nicht rechtzeitig ausgewichen war. „Muss … töten …“, brachte sie dabei mit unmenschlicher Stimme hervor. „Anya, wir leben in Zeiten von Verständnis und Fürsorge. Alles kann mit einem guten Gespräch gelöst werden“, rief Abby ihr unbeholfen hinterher.   Doch bevor Anya die beiden erreicht hatte, verabschiedeten sich Marc und Valerie und gingen getrennte Wege. Marc hatte nämlich Football-Training, eines der Privilegien der Spieler, die dadurch den ach so wichtigen Geschichtsunterricht verpassten. Valerie hingegen nahm ebenfalls am Geschichtskurs teil und wollte gerade ins Gebäude eintreten, als sie Anya, Nick und Abby entdeckte. Strahlend winkte sie die Drei zu sich herüber. „Hey!“, trällerte sie mit langgezogener Stimme. „Schnauze, Redfield!“, herrschte Anya das Mädchen an, als sie ihm schließlich gegenüber stand.   Valerie war eine ausgemachte Schönheit. Ihr seidiges, schwarzes Haar hing ihr bis zur Hüfte hinab. Braune Rehaugen schmückten das zierliche, kantenlose Gesicht. Unnötig zu erwähnen, dass ihre Figur jedem Mann feuchte Träume bescherte, denn alles saß genau da, wo es hingehörte. In den richtigen Mengen selbstverständlich. Dazu trug sie noch sündhaft teure Markenkleidung, heute zum Beispiel eine weiße Bluse und Hose, alles finanziert von ihrem Vater, dem Bürgermeister von Livington. Kurz: sie war Anyas Version des Teufels. „Sei doch nicht immer so unfreundlich“, beschwerte sich Valerie, „ich habe dir doch gar nichts getan.“ „Sie ist heute etwas schlecht gelaunt“, entschuldigte Abby ein sich wenig heiser sich im Vorbeigehen. Es war kein Geheimnis, dass sie Valerie bewunderte – was nur noch ein Grund für Anya war, dieses Mädchen abgrundtief zu hassen. „Aber sie ist immer schlecht gelaunt“, klang Valerie aufrichtig besorgt. „Vielleicht sollte sie mal eine Stresstherapie anfangen? Nicht, dass sie unter dem ganzen Druck noch zusammenbricht. Die Schule ist hart geworden, wir sind schließlich der Abschlussjahrgang.“ Anya wirbelte herum. „Du brauchst gleich 'ne Therapie, Redfield! Ne Schmerztherapie!“ Die zuckte verwirrt mit den Schultern. „Ich meine es doch nur gut. Du bist manchmal wirklich unausstehlich, weißt du das?“ Mit diesen Worten stolzierte sie an den Dreien vorbei und war kurz darauf in einem der Gänge des Schulgebäudes verschwunden. Insgeheim dachte Abby, dass Anya vermutlich gar nicht mitbekam, wie sie auf die Menschen um sie herum wirkte. Sie seufzte und folgte ihren Freunden schließlich, als diese zum Klassenraum wollten.   ~-~-~   Anyas Laune hatte sich nicht gebessert. Im Gegenteil, sie war eine tickende Zeitbombe die nur darauf wartete, hochgehen zu dürfen. Sie, Nick und Abby saßen an ihrem Stammtisch draußen vor der Kantine und aßen ihr Mittagessen unter dem klaren, blauen Himmel. Nur hatte Anya keine Augen für die Schönheit des Spätsommers, sondern für die zwei Personen, die zusammen derart gemischte Gefühle in ihr verursachten, dass sie davon Magenkrämpfe bekam. Valerie und Marc aßen zusammen am selben Tisch, keine zehn Meter von ihnen entfernt. „Das hat er noch nie gemacht“, wiederholte Anya sich zum vermutlich fünfzigsten Mal. „Der hat noch nie mit ihr zu Mittag gegessen. Und wie er sie ansieht! Er ist so umwerfend …“ Marc war ein hochgewachsener, junger Mann mit kurzem, dunklem Haar und einem Kinnbart. Sein Gesicht hatte etwas natürlich Freundliches, was teilweise am noch leicht vorhandenen Babyspeck lag. Dennoch war er sehr durchtrainiert, wenn auch nicht so breit gebaut wie die anderen Footballspieler seines Teams. Zudem hatte er wunderschöne braune Augen und ein Lächeln, für das Anya im wahrsten Sinne des Wortes töten würde.   „Das ist nicht fair! Wieso die und nicht ich!?“ Abby seufzte. Seit Marc vor etwa einem Jahr nach Livington gezogen war, kannte Anya kaum noch ein anderes Thema. Vor ihm hatte sie vermutlich nicht einmal um Valeries Existenz gewusst und nun tat sie so, als wäre sie der Ursprung alles Bösen. Aber dass Anya sich in Marc verguckt hatte, stimmte Abby zumindest positiv in der Hinsicht, dass ihre Freundin tatsächlich zu Emotionen imstande war, die nicht Wut, Hass oder Neid hießen. Das brünette Mädchen zuckte mit den Schultern. „Vielleicht weil du noch nie mit ihm geredet hast?“ „Doch, einmal. Am 8. März diesen Jahres gegen elf, da hat er mich gefragt, ob er bei mir Mathe abschreiben kann.“ „Kein Wunder, dass er seitdem nicht mehr mit dir redet“, gluckste Nick. Anya musste nur die Faust hochheben, da schreckte der junge Mann so zurück, dass er samt seinem Stuhl umkippte. Doch keiner der Schüler um sie herum lachte, denn sie wussten, dass sie auch dort liegen würden, wenn sie Anyas Freunde verspotteten. „Ha-da-haaa-da da da da!“ Anya zeigte plötzlich mit zitterndem Arm auf Marc und Valerie. Letztere beugte sich plötzlich in eindeutiger Pose über den Tisch und kam mit ihrem Gesicht dem von Marc näher. Anya schrie: „Die will ihn küssen! Was soll ich tun, was soll ich tun!?“ Hilflos wandte sie sich an ihre Freunde. „Mach mit“, riet Nick ihr und zwinkerte mit beiden Augenbrauen, dreckig grinsend. „Tu, was du immer tust“, meinte Abby mit resignierendem Tonfall. Das Unglück war ja doch nicht aufzuhalten. Aber es war schon zu spät. Valerie hatte … Marc einen Krümel aus dem Bart gezogen. „Das wird sie mir büßen!“, fauchte Anya aufgebracht und sprang von ihrem Stuhl auf.   Mit angespannten Oberkörper stampfte sie in bester Rambo-Manier auf den Tisch der beiden zu und baute sich bedrohlich vor Valerie auf. Die bemerkte Anya erst, als Marc sie mit einer Handbewegung auf die Blondine hinwies. Neugierig drehte Valerie sich um und lächelte erfreut. „Oh, Anya, schön dich zu sehen. Wir haben gerade über dich gesprochen. Willst-“ „Du lästerst also über mich, was Redfield?“ „Ne-nein.“ Valerie hob entschuldigend die Hände. „Ich wollte nur-“ „Du und ich, Frau gegen Frau, keine Messer, Baseballschläger oder anderen Gegenstände, die sich als Waffen qualifizieren. Nur unsere Fäuste!“ Valerie stand nun vorsichtig auf. „Anya, bitte, ich wollte dich nicht verärgern. Wir haben nur gerade darüber geredet, dass du nicht mehr Reservespielerin sein musst – falls wir dieses Jahr noch spielen. Eishockey, verstehst du?“ „Mir doch egal!“, fauchte Anya und spuckte ihr Gegenüber dabei mehr oder weniger versehentlich an. „Wir klären das jetzt auf ganz traditionelle Art und Weise!“ „Aber es gibt doch gar nichts zu klären!“ Völlig aufgelöst wandte Valerie sich an Marc, doch der zuckte nur ebenso verwirrt wie sie es war mit den Schultern. „Klar gibt es das! Du hast … hi Marc.“ Der Wechsel ihrer Stimmlage von zornig-raunend zu friedlich-verträumt kam so plötzlich, dass er Anya selbst ein wenig erschrak. Nicht, dass es sie störte. „Hi.“ Gab der nur tonlos von sich, was aber reichte, um das Mädchen innerlich Freudensprünge vollführen zu lassen. Sie sah auf ihre Armbanduhr: 12:49 und es war Donnerstag, der 5. September – ein denkwürdiges Datum!   Schließlich wandte sie sich wieder an Valerie. „Also? Bist du ne Memme oder hast du den Mut, dich mit mir zu messen? Ach was frag ich überhaupt!“ Mit ausgestreckten Armen wollte sie über ihre verhasste Erzrivalin herfallen, doch die trat einen Schritt zurück und hob die rechte Hand. „Stopp!“ Ihr Ton hatte sich verändert und war nun ebenso wütend wie der Anyas. „Keine Ahnung, welche Laus dir heute über die Leber gelaufen ist, aber es reicht! Ich weiß ja nicht, woher deine Abneigung mir gegenüber herkommt, aber wenn du dich wirklich mit mir anlegen willst, bitteschön. Aber nicht so!“ Anya zwinkerte verwirrt. „Wie denn dann?“ „Ein Duell“, antwortete Valerie bestimmend. „Du wirst wohl einsehen, dass ich dir körperlich nicht das Wasser reichen kann. Es wäre nicht fair und ich erwarte von dir zumindest so viel Charakter, dass du das einsiehst. Im Duell hingegen sind die Chancen gleichmäßig verteilt. Also, was sagst du?“   Was bildete sich diese Ziege ein, fragte Anya sich wütend. Als ob es sie scherte, ob irgendein Kampf fair war oder nicht. Es gab nur Gewinner und Verlierer, mehr nicht. Und sie hatte nicht vor, zu Letzterem zu gehören. Andererseits … sie sah Marc an, dessen Blick erwartungsvoll an ihr haftete. Vermutlich wäre es nicht die beste Idee, vor seinen Augen jemanden zu verdreschen, der ihm etwas zu bedeuten schien. So ein Mist aber auch! Obwohl … eigentlich war das Duell gar kein so schlechter Einfall von Valerie. So konnte sie Marc zeigen, dass mehr in ihr steckte, als nur rohe Gewalt. Vielleicht würde er dann endlich Notiz von ihr nehmen?   „'kay“, brummte sie schließlich gönnerhaft. „Bin ja kein Unmensch.“ „Dann schlage ich vor, dass wir unsere Duel Disks holen. Meine ist im Spind.“ „Meine auch. In zehn Minuten, genau hier. Und wehe, du bist dann nicht da, wenn ich zurück bin.“ Valerie rollte genervt mit den Augen. „Glaub mir, du wirst dir noch wünschen, dass ich nicht gekommen wäre.“   ~-~-~   Die beiden jungen Frauen standen sich mit voller Entschlossenheit in ihren Mienen gegenüber. Valerie, die sich Anyas Frechheiten nicht länger gefallen ließ und natürlich Anya selbst, die nur darauf wartete, ihrer Erzfeindin eine saftige Abreibung zu verpassen. Sie befanden sich nahe der großen Eiche bei den Sporthallen, auf der großen Wiese des Campus, umringt von einer Traube neugieriger Schüler. Ausnahmslos alle feuerten Valerie an, doch das störte Anya nicht im Geringsten. Sie hat nur ein Ziel vor Augen: das andere Mädchen nach allen Regeln der Kunst zu demütigen. „Können wir anfangen?“, fragte die ungeduldig. „Klar doch.“ Anya grinste, doch als plötzlich das Bild der falschen, bösartig wirkenden Anya vor ihrem inneren Auge erschien, hörte sie sofort damit auf. Warum fing das gerade jetzt an!? Sie wollte sich nicht daran erinnern! Albträume waren scheiße! Es war gerade einmal genug Platz für die beiden, um sich vernünftig duellieren zu können. Aus dem immer größer werdenden Kreis der Schülerschaft gab es kein Entkommen. Ganz vorne in der ersten Reihe, hinter Anya, standen Nick und Abby. Selbst sie feuerten ihre Freundin nicht an, denn gerade Abby empfand das Verhalten der Blondine als fürchterlich übertrieben. Sie wollte sie darin nicht noch bestärken. „Duell!“, riefen die beiden Frauen schließlich voller Eifer.   [Anya: 4000LP / Valerie: 4000LP]   „Die Herausforderin fängt an!“, entschied Anya unwirsch und zog zu ihrem Startblatt eine sechste Karte, ehe Valerie widersprechen konnte. Pah, dachte sie sich dabei schadenfroh, das funktionierte wirklich jedes Mal! Ihre Hand musternd, überlegte Anya, wie sie am besten vorgehen sollte. Wieder kamen die Erinnerungen an das Duell mit Levrier. Wie sein Höllenhund ihr so real erschienen war, wie er ihr durch die Zerstörung ihres Monsters Schmerzen zugefügt hatte. Sie schüttelte widerwillig den Kopf. Nein, dieses Mal würde sie sich nicht überrumpeln lassen. Es war ohnehin alles nur ein Traum gewesen! Dennoch entschied Anya sich letztlich, dieses Mal einen defensiven Eröffnungszug zu spielen. Mit den Karten in ihrer Hand war das auch nicht weiter schwer. „Ich aktiviere [Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich [Gem-Knight Sapphire] und [Gem-Knight Emerald] von meiner Hand! Sapphire, du bist das Herz, Emerald, du die Rüstung! Los!“ Ein bunter Wirbel bestehend aus etlichen, tanzenden Edelsteinen erschien über ihr. Sapphire, der Ritter des Saphirs in seiner blauen Rüstung und Emerald, der Krieger in blassgrüner Rüstung und Herr der Smaragde, wurden in den Strom hineingezogen und schufen aus ihrer Lebensessenz ein neues Monster. Dieses ging vor Anya in die Knie. Er war ein Krieger in dunkelblauer Rüstung und gleichfarbigem Umhang, welcher einen Schild am rechten Arm trug, in dem ein wunderschöner Aquamarin steckte. Eine Klinge, aus ebenjenem Edelstein geschmiedet, ragte aus dem Schild hervor. „Beschütze mich, [Gem-Knight Aquamarine]!“   Gem-Knight Aquamarine [ATK/1400 DEF/2600 (6)]   „Dazu setze ich noch zwei Karten verdeckt“, donnerte Anya ehrgeizig und schob die Fallen in die Schlitze ihrer guten, alten Battle City-Dueldisk. Ihr Vater, dem sie einst gehört hatte, war einer der Teilnehmer des mittlerweile legendären Duellturniers gewesen. Und auch wenn er es nicht in die Finalrunden geschafft hatte, war Anya mächtig stolz auf diese Tatsache – und wurde in diesem Zuge auch nie müde, es jedem zu erzählen, der nicht imstande war wegzurennen. Die beiden Karten erschienen mit dem Bild nach unten gerichtet vor ihren Füßen. „Das war's erstmal von mir. Na dann zeig mal, was du so kannst, Redfield!“   Valerie strich sich durch das lange, schwarze Haar und legte den Kopf in den Nacken. Die Geste hatte etwas Abfälliges an sich, was Anya augenblicklich zur Weißglut trieb. Aber sie beherrschte sich, solange Marc zusah. Warum stand der bloß auf Valeries Teil des Spielfelds? Was hatte die, was sie nicht hatte!? „Du wolltest es nicht anders, Anya. Sag nicht, ich hätte nicht versucht, dich davon abzuhalten. Aber manche lernen es nie“, sprach Valerie siegessicher. Dann zog sie so schwungvoll und zugleich elegant, dass ihre Gegnerin schon überlegte, nicht vielleicht doch mit der Duel Disk, statt den Karten darauf, zuzuschlagen. Ihre Rivalin hielt eine Monsterkarte zwischen Mittel- und Zeigefinger, ganz nah an ihrem Gesicht. Die braunen Augen funkelten vor Entschlossenheit. „Ich rufe [Gishki Chain]!“ Aus einer großen Wasserlache, die plötzlich entstand, schoss eine grüne Amphibie mit dem Körperbau eines Menschen. Um seinen Körper herum hatte das Wesen eine lange Kette gewickelt, die es jetzt schwang – doch völlig unerwartet in Valeries Richtung.   Gishki Chain [ATK/1800 DEF/1000 (4)]   Die Kette verschwand mitten in Valeries marineblauer Duel Disk, die sie nun in die Höhe hielt. „Wenn [Gishki Chain] als Normalbeschwörung gerufen wird, sehe ich mir die obersten drei Deckkarten an. Sollten darunter Ritualmonster- oder Zauberkarten sein, kann ich eine davon meinem Blatt hinzufügen.“ Als digitales Abbild erschienen vor Valerie drei Karten. Auch Anya konnte ihre Vorderseite sehen, da die Karten jene beidseitig zeigten. Einmal war da das Effektmonster [Gishki Ariel], dann die Falle [Torrential Tribute] und … ein blau-umrandetes Monster, [Evigishki Soul Ogre]. Ein Ritualmonster! Valerie, die die drei Karten in der Hand hielt, behielt die unheimliche Kreatur und legte die anderen beiden Karten auf ihr Deck zurück. „Ich werfe jetzt [Gishki Vanity] von meiner Hand ab, um seinen Effekt zu aktivieren“, sagte Valerie. Hinter ihr erschien ein Mann mit schwarzem Haar, gekleidet in ein Priestergewand. Er flimmerte jedoch nur kurz auf und war dann verschwunden. „Und was sollte das jetzt?“, herrschte Anya ihre Gegnerin an. „Wart ab, du wirst es schon sehen.“ Lautete die unbefriedigende Antwort. „Bis dahin aktiviere ich die Ritualzauberkarte [Gishki Aquamirror]. Hast du Einwände?“ „Ja, aber dagegen unternehmen kann ich nichts“, maulte Anya widerwillig. Valerie lächelte zufrieden. Sie schien Spaß an dem Spiel zu haben, was der Blondine überhaupt nicht gefiel. „Mit diesem Spiegel kann ich [Evigishki Soul Ogre] beschwören, wenn ich genug Opfer darbiete, um seiner Stufe gleichzukommen. Oh, und sie ist 8.“ Ein goldener Spiegel erhob sich vor Valerie. In ihrem spiegelte sich die Karte, die Valerie als Tribut anbieten wollte. Es war ein Effektmonster, Anya konnte es nicht genau erkennen … aber es gehörte eindeutig der Stufe 4 an, wie sie anhand der orangefarbenen Sterne am oberen, rechten Kartenrand erkennen konnte! „Hey, das ist zu wenig! Du musst mehr-“ „Bist du immer so vorlaut, Anya?“, unterbrach Valerie sie spitz. „Natürlich reicht es nicht, aber das spielt gar keine Rolle, weil [Gishki Shadow] ohnehin alle Kosten für die Ritualbeschwörung eines Wasser-Monsters übernimmt. Und nun sieh her, denn aus endlosen Kristallfontänen erscheint [Evigishki Soul Ogre]!“ Und es war genau so, wie Valerie es beschrieben hatte. Mehrere Wassersäulen schossen aus dem Boden empor, sie alle waren glasklar und bildeten nach und nach einen großen Kreis inmitten von Valeries Spielfeldseite, welcher sie vor Anyas Blicken abschirmte. Als die Säulen nahtlos ineinander übergingen, tauchte hinter ihnen ein riesiger Schatten auf. Die Fontänen verebbten und ließen etwas zurück, von dem Anya nie geglaubt hätte, dass ein so damenhaftes Wesen wie Valerie es je ausspielen würde. Es war wie eine Mischung aus Mensch, Amphibie und Dinosaurier. Das Ungetüm stand auf zwei Beinen, hatte dunkelblaue, schuppige Haut und eine feinen Kamm aus Schwimmhäuten, der von seinem Haupt hin zu seiner massiven Schwanzflosse reichte. Das eigentümlichste Merkmal war aber der Kopf, der eher zu einem Dinosaurier passte, als zu einem Meeresbewohner. Das über drei Meter große Ungeheuer gesellte sich zu seinem Kameraden.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   Anya war beeindruckt. Das Ding vermochte es sogar, die ohnehin schon ziemlich hohe Verteidigung ihres Ritters zu durchbrechen. Aber dazu würde es gar nicht erst kommen! „Verdeckte Falle aktivieren! [Bottomless Trap Hole]!“ Sie drückte hitzig den Knopf, der die Aktivierung auslösen sollte. Einmal, zweimal, aber egal wie oft sie es versuchte, nichts geschah. „Das brauchst du gar nicht zu versuchen“, rief Valerie. „Erinnerst du dich an [Gishki Vanity]? Er verhindert, dass du auf die Beschwörung von meinem Soul Ogre reagieren kannst. Deine Falle ist blockiert und wird dir nichts mehr nützen, denn sie kann nur aktiviert werden, wenn ein Monster mit 1500 oder mehr Angriffspunkten gerufen wird. Diesen Zeitpunkt hast du jetzt aber verpasst!“ Vor Wut knirschte Anya mit den Zähnen. „Schön, diese Runde geht an dich.“ Aber du wirst dich noch wundern, dachte sie mit grimmiger Zufriedenheit. Denn Aquamarine hatte noch eine böse Überraschung parat. „Ich nutze jetzt den Effekt von Soul Ogre und lege [Gishki Marker] ab, damit ich eine deiner offenen Karten auf dein Deck zurückschicken kann!“ „Oh fu-!“ Valerie hielt die Karte hoch in die Luft, bis sie zu Wasser wurde und von ihrem Ungetüm eingesaugt wurde. Dieses schoss dann einen gewaltigen Wasserstrahl auf Aquamarine.   Anya konnte es nicht fassen. Nicht nur, dass diese hinterhältige Sumpfkuh ihren Ritter so einfach beseitigt hatte, nein, er wurde auch ins Extradeck geschickt. Um seinen Effekt aber einzusetzen und den Seelenoger auf Valeries Hand zu geben, hätte Aquamarine den Friedhof betreten müssen. So ein Mist! Plötzlich stand Anya völlig ungeschützt da, sie hatte nur noch ihre verbliebene Falle.   „Ich hoffe du verstehst jetzt, wovon ich gesprochen habe“, sagte Valerie stolz. „Ich bin vielleicht keine Sportskanone, so wie du, aber dafür in anderen Dingen wesentlich geschickter. Es wäre nett, wenn du mich in Zukunft in Ruhe lassen würdest, okay?“ Anya gab nur einen genervten Zischlaut von sich. Diese dumme Schnepfe wurde langsam unerträglich. Ebenjene strecke den Arm aus und zeigte direkt auf ihre Gegnerin. „[Gishki Chain], [Evigishki Soul Ogre], eure vereinte Angriffskraft reicht aus, um sie mit einem Schlag zu besiegen. Also tut eure Pflicht!“ Die Blondine schreckte zurück. Valerie hatte vollkommen recht, sie würde diesen Angriff nicht überstehen. Und verhindern konnte sie ihn auch nicht. Sie sah panisch auf ihre Duel Disk. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie die Kette von der einen und ein gewaltiger Wasserstrahl von der anderen Seite auf sie zugeschossen kamen. Sie konnte die Attacke nicht aufhalten … aber den Schaden eindämmen! „Verdeckte Falle! [Inverse Universe]!“ Die vor ihr liegende Karte sprang auf. Plötzlich wurden Valeries Monster in die Knie gezwungen. Die Angriffe von beiden Seiten blieben mitten in der Luft stehen, als hätte jemand die Zeit angehalten. Valerie kniff skeptisch die Augen zusammen. „Was wird das, wenn es fertig ist?“ „Damit verdrehe ich die Angriffs- und Verteidigungswerte aller Effektmonster auf dem Feld dauerhaft.“ „Mehr nicht?“ Anya biss sich auf die Lippe. Mehr nicht? Verdammter Mist, dadurch würde sie den Zug überstehen! Diese arrogante Ziege ging ihr so was von auf den Keks!   Gishki Chain [ATK/1800 → 1000 DEF/1000 → 1800 (4)] Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 → 2800 DEF/2800 → 2800 (8)]   Die Zeit hatte zu ihren Wurzeln zurückgefunden. Die Angriffe trafen Anya, doch gingen durch sie hindurch wie ein Hauch von nichts. Dennoch schützte sie sich mit ihren Armen, denn sie rechnete mit Schmerzen. Eine Angewohnheit, die sie offenbar durch die Begegnung mit Levrier, dem Nicht-Existierenden, angenommen hatte. Und sie hasste es.   [Anya: 4000LP → 200LP / Valerie: 4000LP]   Laute Jubelrufe erklangen von den Schülern, sie alle galten Valerie. „Verliert Anya gerade?“, fragte Nick heiter. Abby seufzte. „Ja. Hast du was anderes erwartet?“ „Klar! Schlammcatchen!“ Das Hippie-Mädchen verdrehte die Augen. Warum hatte sie überhaupt gefragt?   Anya indes hatte sich gefangen. Noch war sie nicht aus dem Rennen und würde schon einen Ausweg aus dieser Misere finden. „Ich setze meine letzte Handkarte verdeckt“, verlautete Valerie. „Du bist dran.“   Ihre Gegnerin ballte eine Faust. Anya musste jetzt ein glückliches Händchen beweisen, sonst würde sie auf ewig die Lachnummer der ganzen Schule sein. Es war zwar selbstverständlich, dass sie jedem den Hals umdrehen würde, der es wagte über sie laut zu lachen. Ihren Ruf hingegen würde sie dadurch nicht retten können. Sie durfte nicht gegen Valerie verlieren! „Draw!“, fauchte sie wie ein wild gewordener Löwe. Und was sie in den Händen hielt, gefiel ihr – das normale Monster [Gem-Knight Tourmaline]. „Effekt von [Gem-Knight Fusion] aktivieren. Ich verbanne einen Gem-Knight aus meinem Friedhof und bekomme meine Zauberkarte dafür von ebenjenem zurück!“ Sie nahm Sapphire und steckte ihn in ihre Hosentasche, während der Zauber in ihr Blatt wanderte. „Und jetzt mit Schmackes! [Gem-Knight Fusion]! Dieses Mal aber auf eine etwas andere Art und Weise! [Gem-Knight Tourmaline], du bist das Element, [Gem-Knight Garnet], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte und werdet zu [Gem-Knight Prismaura]!“ Aus dem Wirbel aus Edelsteinen, der entstanden war und die Ritter in jeweils goldener und bronzener Rüstung absorbiert hatte, trat ein völlig neues Geschöpf hervor. Er hatte keine Ähnlichkeit mit seinen Vorgängern. Der Ritter trug eine Lanze ganz aus Kristall sowie einen runden Schild. Aus den Schulterplatten des Kriegers ragten ebenfalls große Kristalle und sein Helm war mit Hörnern verziert, was ihm eine eigentümliche Note verlieh.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   „Und weil's so lustig war, gleich nochmal. Ich verbanne Garnet und erhalte meine [Gem-Knight Fusion] zurück.“ Anya hielt die Karte in die Höhe, als würde sie dadurch den Himmel berühren können. „Prismaura, Effekt aktivieren! Nur einmal pro Zug kann ich eine Gem-Knight-Karte abwerfen, um eine offene Karte meines Gegners zu zerstören!“ Sie schickte ihre eben erst zurück erhaltene [Gem-Knight Fusion] dorthin, wo sie hergekommen war – auf den Friedhof. Anya zeigte auf den Seelenoger. „Rest in Pieces, Miststück!“ Ihr Ritter richtete seine Lanze auf das Ungetüm und schoss aus dem Kristall einen gleißenden Lichtstrahl, der [Evigishki Soul Ogre] in einer grellen Explosion vernichtete. Valerie, ernsthaft erschrocken, wich einen Schritt zurück. Doch sie fasste sich schnell wieder. „Gut gemacht. Aber das allein reicht nicht, um mich unterzukriegen. Komm ruhig her und greif mich an – wenn du dich traust, natürlich!“ Das ließ Anya sich nicht zweimal sagen. „Worauf du Gift nehmen kannst, Redfield! Los Prismaura, Divine Lance Strike auf [Gishki Chain]!“ Der Krieger warf seine Lanze in die Luft und packte sie am Griff, zum Wurf bereit. Mit aller Kraft schleuderte er sie in Richtung Valerie, die aber nur darauf gewartet zu haben schien. „Falle! [Poseidon Wave]! Damit stoppe ich den Angriff und-“   Die Hologramme verschwanden ohne Vorwarnung. Einen Moment lang ging verwirrtes Gemurmel durch die Schülerschaft. Anya, die erst nicht wusste, was geschehen war, schaute auf ihre Duel Disk. Die Lebenspunkteanzeige war schwarz und ein Blick auf Valerie verriet, dass es ihr nicht anders erging. Das Duell war kurz vor dem Höhepunkt unterbrochen worden. „Was für ein verdammter Kackmist ist das denn!?“, fauchte Anya. Plötzlich streifte etwas ihre Wange. Regen. Sie sah nach oben und bemerkte erst jetzt, dass der Himmel in tiefem Grau über ihnen stand. Es blitzte und donnerte.   Die enttäuschte Traube löste sich langsam auf. Abby und Nick eilten zu Anya, die schimpfte wie ein Rohrspatz. „Anscheinend haben die hiesigen Server der AFC schlapp gemacht“, meinte ihre Freundin, doch das war keine Entschuldigung für Anya. Wenn sie den Kampf nicht so entscheiden konnten, mussten sie sich eben doch prügeln! Sie suchte nach Valerie, doch die war nirgendwo mehr zu sehen. Und Marc auch nicht, wie Anya enttäuscht feststellen musste. Schwere Regentropfen prasselten auf sie nieder. „Wir sollten reingehen“, meinte Abby, „sonst erkälten wir uns noch. Mutter Natur ist zwar gütig, aber auch etwas launisch und ich möchte mich eigentlich nicht mit ihr anlegen.“ „Von mir aus.“ Anya rümpfte die Nase. War dieses Miststück doch tatsächlich davongekommen! Aber was war diese Fallenkarte, die sie zum Schluss aktiviert hatte? Valerie schien so selbstsicher, als sie sie ausgespielt hatte. Was Anya nur umso wütender machte. Die Drei eilten auf das Backsteingebäude zu, um ins Trockene zu gelangen. „Schon komisch“, meinte Abby dabei nachdenklich. „Wo kommt auf einmal dieses Gewitter her? Vor fünf Minuten war der Himmel noch völlig wolkenfrei.“ „Zauberei!“, gluckste Nick und erntete natürlich nur Gestöhne. Anya Bauer!   Das Mädchen wirbelte erschrocken um. Diese Stimme, das war- Unter schrecklich lautem Getose schlug ein Blitz gar nicht weit von der Schule ein. Anya war geblendet von seiner Intensität, doch sie hatte ihn genau gesehen. Und er hatte so seltsam ausgesehen, irgendwie viel zu rot und massig für einen normalen Blitz. Und diese Stimme … „Boah, das war cool“, gluckste Nick begeistert. Mittlerweile waren sie alle klitschnass, doch Anya fühlte sich plötzlich so unwohl, dass sie sich nicht vom Fleck rühren konnte. Dieser Blitz, die Stimme, das abgebrochene Duell. Was ging hier vor sich? „Leute“, sagte sie langsam. „Ich … geh mir das anschauen.“ „Was anschauen?“, wollte Abby verwirrt wissen. „Den Blitz … die Einschlagstelle …“ Sie fing sich wieder. Ihre Freunde sollten bloß nicht ahnen, dass ihr das alles ein wenig unheimlich war. Betont lässig meinte sie: „Ist bestimmt cool, vielleicht brennt es sogar irgendwo. Kommt ihr mit?“ „Anya, bist du verrückt? Der Unterricht fängt in ein paar Minuten wieder an! Wir können jetzt nicht dorthin.“ Abby sah sie fordernd an. Aber sie musste, dachte Anya sauer. Da war irgendetwas, sie spürte es im linken, großen Zeh – und der hatte sich noch nie getäuscht. Und sollte es ausnahmsweise doch so sein, umso besser. Bloß würde sie das nie erfahren, wenn sie hier Wurzeln schlug. „Mir doch egal“, schnaubte sie und rannte auf das Ausgangstor des Campus zu. Abby streckte ihre Hand nach Anya aus, seufzte dann. „Die bringt mich noch irgendwann ins Grab mit ihren Ideen. Kommst du auch mit, Nick?“ „Wohin?“, fragte der aufrichtig ahnungslos. Doch Abby hatte ihn längst stehen lassen und war Anya gefolgt.   ~-~-~   Keuchend blieb Anya mitten auf der Straße stehen, die sie als Einschlagstelle vermutete. Mindestens zehn Minuten war sie gerannt, aber die Anstrengungen wurden belohnt. Ihre Ahnung hatte sich als richtig erwiesen, hier war es geschehen. Ein gewaltiger, mehrere Meter breiter Brandfleck prangerte mitten auf dem Asphalt. Er sah seltsam aus, unnatürlich rund und in seiner Mitte war die Straße völlig unbeschädigt und sauber. Tatsächlich war nur der dünne Rand des Kreises verkohlt.   „Hab … ich dich ...“ Anya erschrak. Abby stand hinter ihr und stützte sich von den Knien ab. Sie war völlig außer Atem und genauso pitschnass wie Anya. Nick hingegen war nirgendwo zu sehen. „Du hättest ruhig … etwas langsamer …“ „Stell dich nicht so an“, raunte die Blondine und trat näher an den Kreis heran. Abgesehen von der merkwürdigen Form war nichts Ungewöhnliches an ihm festzustellen. Ihr Blick wanderte weiter über die Straße und blieb an etwas in der Ferne haften, das am Boden lag. „Hey, Abby, was ist das denn?“ Die sah auf und schielte durch ihre getönte Brille. „Sieht aus wie 'ne tote Katze. Oh, das arme Tier.“ „Das ist keine Katze, dafür ist es zu groß.“ Skeptisch näherte sich Anya dem grauen Objekt. Dann blieb sie wie gelähmt stehen. Das war kein Tier, sondern ein Mensch! Das graue Ding war eine Jacke. „Abby … ruf 'nen Krankenwagen“, forderte Anya tonlos und rannte zu dem Verletzten. „Was, aber-“ „Mach schon, der Kerl ist fix und alle!“ „O-okay!“ Das Mädchen eilte auf die liegende Gestalt zu, vielleicht konnte sie noch etwas für sie tun. Doch vor ihr angekommen wusste Anya, dass es für einen Arzt längst zu spät war. Dort lag nur noch ein Gerippe, bedeckt von schlaffer Haut. Das Fleisch, die Muskeln, die Organe … alles schien fort. Selbst die Augen waren nur noch leere Hüllen, die Haut verschrumpelt und aufgesprungen, verkohlt und stinkend. Anya wollte schreien, doch kein Laut drang aus ihrer Kehle. Sie stand vor einer verdammten Leiche und konnte nicht einmal schreien!   Sie bemerkte nicht, dass jemand sie beobachtete. Im Gebüsch am gegenüberliegenden Straßenrand stand eine durch Schatten verhüllte Person und verfolgte voller Schadenfreude, wie Anya in die Knie ging. „Anya Bauer heißt sie? Ist sie eine von denen?“ Er machte ein Geräusch, das Verständnis ausdrücken sollte und nickte. „Dann werde ich sie vernichten, wie diesen Trottel dort. Was sagst du, nicht 'Another'? Schade. Wie? Ich soll noch etwas warten? … verstehe. Also schön, eine andere Wahl bleibt uns wohl nicht. Ich hoffe, sie genießt ihre letzten Atemzüge … dämonische Brut!“   ~-~-~   Anya blickte unentwegt in den Spiegel, sah ihr immer noch nasses Antlitz und war doch an einem fernen, gedankenlosen Ort. Sie und Abby hatten der Polizei alles geschildert, alles genau beschrieben und waren schließlich von ihren Müttern abgeholt worden. Jetzt stand sie im Flur, die Hände von Sheryl auf den Schultern und blickte in die Leere. Ihre Mutter war leichenblass, die dunkelblonde Dauerwelle durch den Regen außer Form geraten. Leichen … Anya hatte noch nie zuvor eine gesehen. Es war ganz anders, als wenn man sich ausmalte, wie man Valerie um die Ecke brachte. Das waren nur Fantasien, aber der Tote dort war real gewesen. Und die Stimme hatte sie erst dort hingeführt. Levriers Stimme. „Liebling, kannst du … soll ich dir helfen?“ „Nein, Mum“, antwortete Anya mechanisch. Sie öffnete den Reißverschluss ihrer etwas zu großen Lederjacke, während ihre Mutter resignierend von dannen schritt. Anyas Blick lag gebannt auf ihrem Ebenbild. An den blauen Augen, dem durchnässten, blonden Pferdeschwanz und den harten Gesichtszügen war nichts Ungewöhnliches auszumachen. Und doch! Es war, als würde sie nicht sich selbst ansehen, sondern eine völlig fremde Person. Jemanden wie Levrier. War er zurück? Hatte er das etwa getan? Aber sie hatte ihn doch vernichtet! Nein, das konnte nicht sein, das war ein Hirngespinst! Es gab keine übernatürlichen Wesen, der Tote war vermutlich vom Blitz getroffen und weg geschleudert worden. Aber seine Kleidung … sie war völlig unbeschädigt gewesen. Nein, sagte Anya sich, das war Quatsch, Levrier gab es schließlich nicht! Stöhnend schüttelte sie den Kopf, um die wirren Gedanken zu vertreiben und hängte ihre Jacke an die Garderobe. Dabei konnte sie nicht sehen, wie ihr Spiegelbild verweilte, obwohl sie außer Reichweite war. Es drehte seinen Kopf in Anyas Richtung und machte ein mitleidiges Gesicht. Dann verschwand es.     Turn 03 – Hunter Obwohl Anya Levrier besiegt hat, reißen die seltsamen Vorkommnisse nicht ab. Einige Schüler werden sogar mitten im Unterricht krank und fallen in Ohnmacht. Obwohl Schulärztin Doctor Warren eine Lebensmittelvergiftung als Ursache benennt, ist Anya sich da nicht so sicher. Spätestens als der geheimnisvolle Alastair auftaucht, welcher sich als Dämonenjäger bezeichnet, erweisen sich Anyas Zweifel als berechtigt. Nachdem Alastair Anya dann noch als Dämon und somit als seine Beute deklariert und sich mit ihr duellieren will, schweben Anya und ihre Freunde in ungeahnter Gefahr. Kapitel 3: Turn 03 - Hunter --------------------------- Turn 03 – Hunter     „Du bist schuld! Warum hast du nichts getan, um mir helfen? Du hast mich im Stich gelassen!“ Anya schüttelte aufgeregt den Kopf. „Nein, ich habe versucht-“ „Du hast zugesehen, wie ich sterbe! Du wolltest es so!“, schrie die schrumpelige Leiche und legte ihre Hände um Anyas Hals. Die kämpfte gegen das Gerippe, von dem schlaff die verkohlte Haut herunterhing, doch dem Würgegriff hatte sie nichts entgegenzusetzen. Sie war zu schwach! „Jetzt sollst du sterben!“, tönte die bis zur Unkenntlichkeit vertrocknete Kreatur. „Es tut mir leid“, beteuerte Anya röchelnd. Es waren aufrichtige Worte, doch sie wusste, dass sie den Toten niemals besänftigen konnten. Plötzlich packte der ihren Kopf und brach ihr mit einem Ruck das Genick.   Anya schreckte aus ihrem Traum auf. Sie war schweißnass. Wieder hatte sie davon geträumt, dass dieses Ding sie aus grundloser Rachlust umbrachte. Was für ein Bullshit! Das Mädchen fühlte sich nicht im Geringsten für das verantwortlich, was dem Kerl widerfahren war. Im Gegenteil, sie hatte ihn entdeckt, als er schon tot war. Wie hätte sie da noch helfen können!? Müde schlug sie die Decke beiseite und setzte sich an den Rand ihres Betts. Sich den Schlaf aus den Augen reibend, hatte sie das Bild der Leiche auf der Straße vor ihrem inneren Auge. Mittlerweile wusste die Polizei, wen man dort gefunden hatte: Jonathan. Er war aus Victim's Sanctuary ausgebrochen und hatte letztlich sein Leben verloren. Todesursache unbekannt. Ein schlechtes Gewissen keimte in Anya auf, hatte sie noch kurz vor seinem Tod sich ebenjenen gewünscht. Doch sie verdrängte den Gedanken mit aller Kraft. Es war nicht ihre Schuld gewesen! Der Idiot hätte eben besser auf sich aufpassen müssen.   Verschlafen stand sie auf, gähnte und streckte sich dabei in ihrem weißen Pyjama. Wie sie es hasste, wenn ihre Laune schon vor dem Frühstück so schlecht war, dass nicht einmal ein Unfall, in den Valerie Redfield involviert war, sie aufheitern konnte. Vielleicht sollte sie heute einfach nicht zur Schule gehen? Aber bevor sie das entschied, würde sie erst einmal ausgiebig duschen.   ~-~-~   Besorgt betrachtete Sheryl ihre Tochter und nahm einen Schluck aus dem Kaffeebecher in ihrer Hand. Das Mädchen saß mit verschränkten Armen vor ihr am Frühstückstisch und behauptete allen Ernstes, dass sie Fieber hatte und im Bett bleiben musste – obwohl sie kerngesund aussah und sich auch dementsprechend verhielt. „Ich verstehe ja, dass dich die Sache mitgenommen hat. Aber die Schule zu schwänzen wird dir nur schaden. Du solltest wirklich einmal mit der Polizeipsychologin sprechen, vielleicht-“ „Gar nichts verstehst du! Ich bin krank, okay? Körperlich. Sonst geht’s mir gut. Ich muss nicht zu irgendeiner Schnepfe, die mir weismachen will, dass es in meinem Kopf nicht ganz rund läuft!“ „Anya, solche Redensarten verbitte ich mir!“ Sheryl sah ihre Tochter finster an. „Du wirst in anderthalb Jahren 21, dann bist du erwachsen und kannst tun, was immer du willst. Aber solange du minderjährig bist und deine-“ „... Füße unter meinem Tisch steckst, bin ich der Boss“, beendete sie die Predigt ihrer Mutter vorschnell. „Ja, ja, ich weiß.“ „Ganz genau!“ Die dunkelblonde Frau mit der Dauerwelle nickte. „Und jetzt reiß dich zusammen, es ist nur Schule. Wenn du hier bleibst, wirst du nur immer wieder darüber nachdenken. Du brauchst Abwechslung. Also geh schon.“ Sie stellte ihre geleerte Tasse auf dem Tisch ab und erhob sich. „Ich muss jetzt ins Büro. Höre ich auch nur ein Wort davon, dass du heute nicht zum Unterricht erschienen bist, kannst du mit Stromentzug rechnen!“ Stromentzug, Sheryls Alternative zum Hausarrest. Da der sich in der Vergangenheit als ineffektiv erwiesen hatte, musste sich Anyas Mutter etwas anderes einfallen lassen, um ihre Tochter unter Kontrolle zu halten. Und da war ihr die Idee gekommen, sämtliche für Anya relevanten Sicherungen zu verstecken, wenn jene etwas ausgefressen hatte. Da sie in ihrer Freizeit sowieso fast den ganzen Tag vor Fernseher, PC oder Spielkonsolen hing, traf sie das viel härter als es Hausarrest je könnte. „Okay“, brummte Anya. „Dann viel Spaß bei der Arbeit.“ Die beiden verabschiedeten sich wortkarg voneinander, ehe Sheryl sich ihre Jacke überwarf. Sie ahnte bereits, dass sie heute Abend einen Anruf von der Schule erhalten würde, als sie das Haus verließ.   ~-~-~   „Verdammter Kackmist!“, zischte Anya und bemühte sich, dabei leise zu sein. Natürlich gelang ihr dies nur unwesentlich, sodass sich ihr Chemielehrer, Mr. Maverick, laut räusperte. „Sorry“, brummte die Blondine widerwillig. Sie saß zusammen mit Abby und Nick an einem der langen weißen Arbeitstische, achtete aber kaum auf ihren Lehrer, der das Experiment für die nächste Stunde bereits beschrieb. „Bist du dir sicher?“, hakte Anya bei Abby nach, die gebannt ihren Lehrer anstarrte. Die nickte nur und gab in ihrem gewohnten Singsang nur „Mhhhmmm“ von sich. Vor Wut schlug Anya die Faust auf den Tisch. Hätte sie doch bloß nicht Abby darum gebeten, sich wegen der letzten Fallenkarte von Valerie zu erkundigen, [Poseidon Wave]. Nun wusste Anya, dass diese Karte das Duell zugunsten von diesem Miststück entschieden hätte. Und das nur, weil sie auf den billigen Provokationsversuch von Valerie hereingefallen war und angegriffen hatte!   „Anyaaaaa, Abbyyyyy“, tönte Nick plötzlich und deutete auf die Tafel. „Ich versteh das nicht.“ Anya klatschte die Hand vor den Kopf. „Idiot! Da steht doch auch gar nichts!“ „Doch nicht die Tafel. Der da.“ Verstohlen linste die Blondine in die Richtung, die Nick ihnen zeigte. Direkt vor der Tafel. Mr. Maverick konnte er nicht meinen, denn der palaverte fröhlich über diverse Ethanochwas und stand mindestens fünf Meter von der Tafel entfernt vor seinem Lehrertisch. „Was siehst du denn da, Nick?“, wollte Abby verwirrt wissen. „... ach nichts. Hab mich geirrt.“ Nick ließ den Kopf hängen und starrte auf seine Aufzeichnungen des Unterrichts, beziehungsweise die leeren Blätter, die es hätten sein müssen. „Das war komisch, selbst für seine Verhältnisse“, flüsterte Abby in Anyas Ohr, die zustimmend brummte. Andererseits war ihr Freund so intelligent wie eine Klobürste – sah jener nebenbei auch noch erschreckend ähnlich – weshalb seine Ausbrüche nicht weiter bedenklich waren.   „Mr. Maverick?“ Die Hand einer blondgelockten Mitschülerin zwei Bänke hinter Anyas Gruppe schnellte hoch. „Ja bitte, Willow?“ „Mir ist schlecht. Ich glaub, irgendwas von dem Mittagessen ist mir nicht bekommen …“ Der Chemielehrer blinzelte nachdenklich. Dann sagte er: „Dann gehen Sie in den-“ Doch Willow kippte ohne Vorwarnung von ihrem Stuhl und blieb regungslos liegen. Sofort sprangen ihre Nachbarn auf. Einer legte seine Hand auf ihre Stirn und rief: „Sie hat ja hohes Fieber!“ Da polterte es und ein Schüler in der ersten Reihe war ebenfalls kollabiert. Und während die halbe Klasse versuchte, sich um die zwei Kranken zu kümmern, stemmte Anya ihre rechte Faust gegen die Wange und stöhnte. „Man, ich hätte heute echt zuhause bleiben sollen.“ „Anya, der Staat hat uns die Möglichkeit der Bildung gegeben. Dafür sollte man dankbar sein und nicht die Schule schwänzen!“, beklagte sich Abby. „Stimmt's Nick?“ Der brünette junge Mann aber gab keinen Ton von sich, sondern schlummerte mit auf den Armen liegendem Kopf am Arbeitstisch. Abby seufzte schwer. „Weiß denn niemand die Dinge zu schätzen, die uns gegeben sind?“ „Typisch Nick“, meinte Anya dazu nur. Wenn der Trottel nicht mindestens einmal pro Tag im Unterricht einschlief, stimmte etwas nicht. Und es war ihr immer ein diebisches Vergnügen, ihn unsanft aus seinen Träumen zu wecken. So versetzte sie ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf. „Hey aufwachen, du Napfsülze!“ Nick rührte sich nicht. Anya blinzelte verdutzt. „Hab ich nicht doll genug zugeschlagen? Das funktioniert doch sonst immer.“ Also probierte sie es noch einmal, kräftiger. Abby indes beschlich ein besorgniserregender Verdacht. Und kaum hatte sie seine Stirn berührt, wurde dieser bestätigt. „Anya! Der ist ja kochend heiß!“ Die Blondine klatschte sich die Hand gegen die Stirn. „Das wird ja immer besser …“   ~-~-~   Mit verschränkten Armen stand Anya vor Nicks Krankenbett. Sie beneidete den Trottel. Der konnte den Unterricht verpennen, während sie sich noch ganze zwei Stunden langweilen durfte. „Schon wieder einer“, sagte Abby bedrückt und deutete zur Tür. „Der Neunte innerhalb von einer halben Stunde.“ Zwei Lehrkräfte schulterten einen bewusstlosen Jungen und legten ihn auf dem Bett ab, das direkt neben dem von Nick stand. Die Ärztin, Doctor Warren, zog mit besorgter Mimik die Vorhänge zwischen den Betten zu, damit man nicht sah, was mit dem Jungen geschah. Anya grinste plötzlich schadenfroh. „Hey, wenn das so weitergeht, können wir den Unterricht knicken! Wegen Epidemie oder wie der Mist heißt!“ „Nick ist schwer krank und du denkst an so was?“ Wie Anya diesen vorwurfsvollen Tonfall ihrer Freundin hasste. „Was denn? Der kommt schon wieder auf die Beine. Wieso sich nicht über die kleinen Dinge im Leben freuen? Sagst du doch selbst andauernd!“ „SO hatte ich das aber nicht gemeint!“ Plötzlich tauchte Doctor Warren in ihrer Nische auf, sodass die beiden Mädchen sich zu ihr umdrehten. „Habt ihr heute etwas aus der Kantine zu euch genommen?“ Beide schüttelten die Köpfe. Anya meinte patzig: „Ich esse so gut wie nie den Fraß, der hier angeboten wird! Ich hänge schließlich an meiner Gesundheit!“ „Ich nehme nur Bioprodukte zu mir“, beteuerte Abby abweisend. „Eier von glücklichen Hennen, Milch von glücklichen Kü-“ „Sieht ganz nach einer Lebensmittelvergiftung aus“, unterbrach die Ärztin sie barsch. „Es ist zwar ungewöhnlich, dass die Betroffenen ohnmächtig werden, aber anscheinend war eine Lieferung von Pilzen aus Europa nicht mehr frisch. Falls ihr Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen oder Magenkrämpfe habt, kommt sofort zu mir.“ Schon war sie wieder verschwunden, um sich anderen Patienten zu widmen. „Jaaaaa“, höhnte Anya lauter, als nötig gewesen wäre. „Wenn ich ohnmächtig werde, mache ich mich sofort auf den Weg hierher. Was für'n Scheiß!“ „Und was machen wir jetzt?“ Abby warf einen besorgten Blick auf Nick. „Na was wohl? Ich haue ab. Keine Lust, mir irgendwelche Bazillen einzufangen. Schönen Tag noch.“ Voller Unmut verließ Anya mit geschultertem Rucksack die Krankenstation und durchschritt den anliegenden Gang. Durch seinen orangefarbenen Anstrich wirkte er freundlich, was in Anya regelrecht Übelkeit hervorrief, wann immer sie ihn durchquerte. Verschiedene Türen zu Lagerkammern und Aufenthaltsräumen gingen von beiden Seiten des Ganges ab, doch Anyas Blick war stur geradeaus gerichtet. So blieb die Gestalt eines großen Mannes mit rabenschwarzem, langem Haar unbemerkt, welcher das Mädchen aus dem Türspalt eines leeren Büros heraus beobachtete. Indes eilte Abby Anya hinterher und packte sie an der Schulter. Die Blondine drehte sich reflexartig um und verdrehte Abby dabei regelrecht den Arm. „Man Masters, was soll der Scheiß? Fass-mich-nie-von-hinten-an, wenn dir dein Leben lieb ist!“ Abby, froh dass Anya sie sofort wieder losließ, antwortete verärgert: „Du sollst mich nicht beim Nachnamen nennen, das weißt du!“ „Ja, ja, ja, sorry. Was willst du denn noch?“ „Du kannst doch Nick nicht einfach dort liegen lassen!“ Anya runzelte die Stirn. „Wieso nicht?“ Empört stemmte Abby die Hände in die Hüften. „Weil er auch an deinem Bett gestanden hat, als du bewusstlos warst. So etwas machen Freunde füreinander.“ „Na dann geh und wache über seine idiotischen Träume!“ Sie machte mit den Händen eine verscheuchende Geste. „Gusch! Ich hab nämlich Besseres zu tun! Meine Gilde bereitet nämlich zur Zeit einen Raid vor und das will ich nicht verpassen.“ „Ohhhh, Anya, manchmal bist du wirklich ein Ekel!“ So wütend erlebte man Abby selten. Sie machte auf der Stelle Kehrt und ließ ihre Freundin ohne ein weiteres Wort zurück. Zu schade, dass ihr das völlig schnuppe war, dachte Anya sich grimmig. Stattdessen setzte sie ihren Weg fort und gelangte schließlich zum Hauptausgang des Gebäudes. Und kaum hatte Anya ihren Fuß über die Schwelle gesetzt, geschah etwas Unvorstellbares. Ein rosafarbenes Licht breitete sich rund um sie herum aus und umfasste das ganze, weite Campusgelände. Anya zwinkerte ungläubig und schritt planlos vorwärts. Eben noch hatte eine Schar Schüler unweit von ihr gestanden, nun waren sie fort. Verwirrt blickte sie zum großen Torbogen. Dahinter lag keine Straße mehr, sondern … Nichts. Rosafarbenes Nichts. Sie blickte nach oben. Der Himmel sah genauso aus. Als gäbe es nur noch die Schule samt Gelände in einer ansonsten leeren Welt. Und sie hasste die Farbe rosa mehr als alle anderen. War sie durch ein geheimes Tor in die Hölle geschritten, oder was war hier los!? „Okay, was soll der Scheiß?“, rief sie in ihrer Aufregung lautstark. „Ist das hier ein Scherz oder so was? Wenn ja, kommt ruhig raus, ich krieg' euch ja doch! Macht es kurz, dann dürft ihr wenigstens eure Särge aussuchen, bevor ich eure Lebern auf dem Schwarzmarkt verkaufe!“ Keine Antwort. Anya begab sich zu der großen Eiche nahe der Sporthallen, wo Valerie vor ein paar Tagen den Boden mit ihr gewischt hatte. Wenn sie nur daran dachte, kam ihr die Galle hoch. Sie sah sich um. Vor dem Gebäude der Unterstufe war niemand, auf dem Gelände auch nicht – nirgendwo. Die Welt war wie ausgestorben. Na toll! Jetzt hatte sie schon Halluzinationen, obwohl sie diese doofen Pilze gar nicht angerührt hatte!   Die Aula!   „Häh?“ Das konnte nicht sein! Nicht schon wieder!   Er ist in der Aula! Beeile dich, Anya Bauer!   Sie wollte fragen, ob Levrier zu ihr sprach, aber ließ es letztlich bleiben. Denn falls doch jemand hier war und hörte, wie sie zu ihren Hirngespinsten sprach, würde sie diese Person leider töten müssen. Sie hatte einen schlechten Ruf – auf den sie übrigens sehr stolz war – zu verlieren! Dennoch. Diese Stimme hätte sie unter hunderten wiedererkannt. Es war eindeutig Levrier … aber was wollte er ihr sagen? Und wieso war er noch da? Und warum zur Hölle hatte er die Nerven, ausgerechnet -ihr- auf den Leim zu gehen!? „Ach scheiß drauf!“ Es war ja doch nur ihre Fantasie, die sich einen Scherz mit ihr erlaubte. Trotzdem war ihre Neugier geweckt. Wenn hier sowieso nichts los war, konnte sie genauso gut in die Aula gehen. Also steuerte sie auf das Backsteingebäude zu, welches sie soeben erst verlassen hatte.   ~-~-~   Anya drückte eine der Doppeltüren auf und trat in den riesigen, rechteckigen Saal ein. Über ihr lag ein Balkon mit einer Loge, welcher vom zweiten Stock aus erreichbar war. Die längliche Aula war wie eine Galerie angelegt, zu beiden Seiten ragte je ein halbes dutzend großer Fensterbögen fast bis zur Decke. Während Anya an den Reihen der aufgestellten Stühle vorbeizog, fiel ihr Blick auf die angehobene Bühne, die für Aufführungen oder Reden verwendet wurde. Dort stand ein Mann, den sie nicht kannte, und schien bereits auf sie zu warten. Und er war nicht allein. Abby und Nick, sie … hingen aus Kreuzen aus purem Licht, waren wie festgenagelt? Und schwebten dabei über dem Boden? „Alter Falter“, schoss es ehrfürchtig aus Anya heraus. „Geiler Effekt!“ „Danke“, hallte die schneidende, tiefe Stimme des Fremden durch die Halle.   Als Anya die Hälfte des Saals durchquert hatte, konnte sie ihn auch endlich besser erkennen. Sein Haar war ziemlich lang, schwarz und einige Strähnen waren zu einem komplizierten Zopf gebunden, den er über der rechten Schulter trug. Stechend grüne Augen starrten sie an, und wäre sein Gesicht nicht von etlichen Brandnarben gezeichnet, wäre er vielleicht sogar ganz attraktiv, überlegte Anya. „Okay Kumpel, was ist das hier?“, fragte sie lässig und deutete auf ihre bewusstlosen Freunde. „Oh, die? Wäre es vermessen zu sagen, dass sie als Dekoration fungieren?“ Er lachte beißend und trat einen Schritt nach vorn. Sein roter Ledermantel und die darunter liegende, schwarze Kleidung ließen ihn ein wenig wie Vincent Valentine aus Final Fantasy VII aussehen – aber Anya hasste dieses Spiel. Also hasste sie auch diesen Kerl. „Darf ich mich zunächst vorstellen?“, fragte er höflich und verneigte sich. „Mein Name ist Alastair. Dämonenjäger von Beruf.“ „Du bist nicht zufällig aus Victim's Sanctuary ausgebrochen, oder?“ Anya kratzte sich am Kopf. Was für ein Spinner war das denn? „Oh? Mitnichten. Aber ich habe ein schwarzes Schaf von seinem Leiden erlöst. Ich glaube, er war von dort entflohen. Wie war sein Name doch gleich? Jonathan?“ Anya traute ihren Ohren kaum. „Was willst du damit sagen, Fusselbirne? Jonathan ist tot!“ Ein widerliches Lächeln huschte über seine schiefen Lippen. „Und was glaubst du, wer ihn umgebracht hat? Sein Mörder? Nein, das wäre der falsche Begriff. Sein Erlöser, er steht direkt vor dir.“ „Ha ha, der war gut. Mal im Ernst, Narbengesicht, was soll der Scheiß? Wieso hängen meine Freunde dort?“ Sie zeigte auf Abby und Nick, die regungslos an ihren Lichtkreuzen in der Luft schwebten. Die Augen des selbsternannten Dämonenjägers blitzten gefährlich auf. „Sie sind der Einsatz. Dein Einsatz, wie ich hinzufügen möchte.“ „Für was?“ Was laberte der Kerl da bloß, fragte Anya sich. „Halt mich nicht zum Narren, dämonische Brut!“, donnerte er plötzlich mit solcher Inbrunst, dass das Mädchen ungewollt zusammenzuckte. „Solange noch ein Fünkchen Menschlichkeit in dir steckt, wirst du nicht zulassen, dass ich deine Freunde töte. Und genau darum geht es: wenn du nicht in ein Duell mit mir einwilligst, werden diese beiden sterben, und zwar auf der Stelle!“   Ohne Vorwarnung zückte er demonstrativ ein Messer, welches er hinter seinem Rücken im Gürtel versteckt hatte und rammte es Nick in den Oberschenkel. Blut tropfte seine Jeans hinab auf den Holzboden der Bühne. Anya wollte nicht glauben, was sie soeben gehört und gesehen hatte. „Wie du siehst, ist das kein Scherz“, sagte Alastair mit drohendem Tonfall und zog das Messer aus der Wunde. Noch mehr Blut rann über Nicks Hose, auch wenn der Einstich nicht sehr tief sein konnte, da die Klinge nicht einmal zu einem Viertel rot verfärbt war. „Die heilige Stimme des Engels Refiel bittet mich, dich in einem Duell zu vernichten, Anya Bauer, denn du bist besessen vom Bösen!“ „Hast du gerade meinem Freund 'n Messer ins Bein gejagt?“ Sie ballte die Fäuste und sah auf den laminierten Boden der Aula. „Vollkommen richtig, Dämonenkind. Er bedeutet dir noch etwas, deswegen wirst du nicht zögern und ihn beschützen wollen. Das ehrt die unbefleckte Seele, die einst in dir gesteckt hat. Aber ich muss den Dämon in dir austreiben! Das ist meine Aufgabe als Jäger!“ Plötzlich blickte Anya mit hasserfüllten Augen auf und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Du bist so was von tot, Drecksack! Wenn ich mit dir fertig bin, wird man diesen Raum renovieren müssen, weil sich die Überreste deiner Gedärme nicht von den Wänden kratzen lassen! Niemand, absolut niemand vergreift sich an meinen Freunden, Scheißkerl!“ „So redet nur ein Dämon“, stellte Alastair ruhig fest und zog plötzlich eine Karte aus seiner Hosentasche. Es war keine Duel Monsters-Karte, denn sie war von beiden Seiten her weiß. Auf ihr abgebildet war nur ein Kreuz aus schwarzem Feuer, das von einem silbernen Ring umfasst war. Ein gleißender Blitz ging schlagartig vor der Karte durch den Saal. Anya musste die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden. Und als sie sie wieder öffnete, schwebte vor ihr eine Art seidenes, schwarzes Tuch, das unstet vor sich her flatterte. Darin eingenäht waren Duel Monsters-Kartenzonen, wie man sie benutze, wenn man am Tisch spielte. Dasselbe Objekt war auch bei Alastair vorzufinden. Aber nicht nur das! Anya stieg der Geruch von verbranntem Holz in die Nase. Feuer! Pechschwarz und dem Kreuz von der Karte gleich, umschloss es sie und einen Teil der Bühne, verbrannte die Stühle, die dabei im Weg standen. Sie und der Dämonenjäger waren gefangen! Nicht der Blitz damals hatte die Straße mit Jonathans Leiche verbrannt, es war dieser Feuerkreis gewesen! Da war sich Anya sicher, jetzt, da sie es mit eigenen Augen sah. Dieser Mistkerl hatte ihren Mitschüler tatsächlich auf dem Gewissen und nun hatte er in seinem Wahn das Gleiche mit ihr vor! „Kumpel, bei dir läuft's wohl nicht mehr richtig im Oberstübchen!? Ich bin kein Dämon! Und wenn wir schon dabei sind, lässt du jetzt erstmal schön meine Freunde frei, 'kay?“ „Und ob du einer bist! Der Engel Refiel hat dich entlarvt!“ Richterlich zeigte er mit dem Finger auf sie. „Du wirst durch meine Hand fallen!“ Anya konnte es nicht fassen. Dieser Kerl war völlig durchgeknallt. Was auch immer er hier für einen Hokuspokus abzog, dafür, dass er Nick verletzt hatte, würde er mit Blut zahlen müssen!   „Du willst ein Duell? Von mir aus! Dir werde ich erstmal ein bisschen Verstand einprügeln!“, zischte Anya voller Verachtung. Sie zog ihr Deck aus der hinteren Tasche ihrer an vielen Stellen löchrigen Jeans und legte es auf das schwarze Gebilde. Der Stoff glättete sich bei der Berührung und wirkte auf einmal wie eine Marmorplatte, so sehr glänzte er plötzlich. „Deine Worte bedeuten mir nichts, dämonischer Abschaum!“, erwiderte Alastair und tat es ihr gleich. Ein letztes Mal sahen die beiden sich voller Abscheu in die Augen, ehe sie schrien: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Alastair: 4000LP]   „Ich werde den ersten Zug machen“, kündigte Alastair an und zog sofort sechs Karten von dem Stapel, der sich rechts vor ihm erstreckte. Anya biss sich vor Wut auf die Lippe. Hatte diese Pfeife doch tatsächlich ihren Trick gegen sie verwendet! Sie tat es ihm gleich und nahm fünf Karten auf die Hand. Es war merkwürdig, keine Duel Disk zu benutzen. Schon lange hatte sie das Spiel nicht mehr an einem Tisch gespielt, geschweige denn auf einem fliegenden Marmording. Alastair legte indes eine Karte auf seinen Spielplan. „Ich beschwöre [Vylon Vanguard]!“ Ungläubig sah Ayna, wie aus einem goldenen Runenzirkel eine metallene Gestalt erschien. Der Unterleib wirkte wie ein stilisierter Blitz, während das Wesen dafür überdurchschnittlich lange Arme samt goldener Schulterpanzerung besaß. Sein Kopf war vergleichsweise klein und bestand nur aus einem grünen Auge.   Vylon Vanguard [ATK/1400 DEF/1000 (4)] „Aber das war noch nicht alles. Dazu aktiviere ich die Magie [Double Summon]! Damit kann ich in diesem Zug eine zweite Normalbeschwörung durchführen! Erscheine, [Vylon Stella]!“ Wieder erschien ein Runenzirkel, dieses Mal trat jedoch ein metallischer Stern hervor. Um jeder zweiten der insgesamt sechs Spitzen schwebte ein goldener Ring und wie sein Artgenosse besaß es lange Arme am unteren Teil seines Körpers.   Vylon Stella [ATK/1400 DEF/200 (3)] Anya wusste nicht, was sie von diesen seltsamen Kreaturen halten sollte. Sie wirkten unnatürlich, aber wenn man sich ihren Besitzer ansah, war das nicht weiter verwunderlich. Trotzdem, diese komische schwarze Platte musste über außergewöhnliche Technologie verfügen, wenn sie schweben und Hologramme darstellen konnte. So etwas wie Magie schloss Anya natürlich kategorisch aus, das war was für Tagträumer und Schwachköpfe! Vielleicht konnte sie eines dieser Dinger ja behalten und für teures Geld irgendwo verkaufen? „Wie ich sehe, ist dir meine Technik völlig unbekannt“, stellte Alastair mit einem hässlichen Lächeln fest. Also -war- das eine Maschine! „Es ist schwer, all das in eine Karte zu bannen. Aber die Mühe hat sich bisher jedes Mal gelohnt.“ Und er -war- ein Schwachkopf! „Häh?“ Alastair winkte ab. „Du wirst es noch verstehen. Auch wenn ich zugeben muss, dass deine intellektuellen Fähigkeiten nicht sehr ausgeprägt zu sein scheinen.“ Anya war sich nicht ganz sicher, wie er das meinte. Hatte er sie gerade als dumm bezeichnet? „Wie dem auch sei, ich bin noch nicht fertig! Denn [Vylon Stella] ist ein Empfänger-Monster und ich werde es jetzt auf [Vylon Vanguard] abstimmen!“ Er streckte die Hand in die Höhe, seine Monster begannen in die Luft aufzusteigen. „Level 3, [Vylon Stella] und Level 4, [Vylon Vanguard]! Infinite potential lies within the heart of steel. Cover this infected world with your sacred wings! Synchro Summon! [Vylon Delta]!“ Sein Empfänger zersprang in der Luft zu drei grünen Kreisen, die der Vanguard passierte. Kurz darauf wurde er zu Licht und aus den sich auflösenden Kreisen schwebte eine riesige Gestalt, die fast den ganzen Platz auf Alastairs, durch den Feuerkreis sehr eingeschränkten Spielfeldseite für sich beanspruchte.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/2800 (7)] Viel konnte Anya von dem Wesen nicht erkennen, doch es folgte demselben Prinzip wie seine Vorgänger. Hinter den gewaltigen Stahlschwingen, die der abstrakte Maschinenengel schützend um den Körper hielt, konnte man große Fäuste erkennen. Sein Leib endete in einer rot glühenden Spitze, um die drei goldene Ringe schwebten. „Ich aktiviere nun den Effekt von [Vylon Stella], da es auf den Friedhof gelegt wurde. Für 500 Lebenspunkte wird es nun zu einer Ausrüstungsmagie für [Vylon Delta]!“ Die Schwingen des abstrakten Wesens leuchteten kurz golden auf, jeweils drei Sterne zeichneten sich nun auf ihnen ab.   [Anya: 4000LP / Alastair: 4000LP → 3500LP]   „Ich beende meinen Zug mit einer verdeckten Karte“, sagte Alastair und legte sie neben die neuentstandene Ausrüstungskarte ab, die Stella jetzt war. Anya hatte keine Ahnung, was ihm das bringen sollte. Egal, nachdenken war was für Streber und Leute, die nichts Besseres zu tun hatten! Und sie hatte etwas zu tun: diesen Kerl in seine Einzelteile zu zerlegen. „Nun aktiviert sich der Effekt von [Vylon Delta]“, erklärte Alastair. „Wenn es in Verteidigungsposition liegt, kann ich während meiner End Phase eine Ausrüstungsmagie auf mein Blatt nehmen. So wie [Vylon Material] zum Beispiel.“ Er durchsuchte sein Deck und zeigte die grün-umrandete Karte vor. „Also?“ „Was, also? Mein Zug! Draw!“, rief sie voller Ehrgeiz und zog schwungvoll von ihrem Deck. „[Gem-Knight Garnet], dein Auftritt!“ Schon stand der Bronzeritter mit dem eingefassten Granat auf der Brustplatte vor ihr und ließ eine Flamme zwischen seinen Händen erscheinen.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Los, Attacke!“ Alastair schien nicht die Sorte von Duellant zu sein, der das Offensichtliche nicht wahrnahm, dachte Anya. Er stellte ihre Aktion nicht infrage. Solche Kerle waren gefährlich … Levrier, ihr Hirngespinst, war genauso gewesen. Da er nicht zu reagieren schien, zückte Anya bereits ihren Schlüssel zum Knacken der absurd hohen Verteidigung von Alastairs Kreatur. „[Gem-Merchant]! Verkaufe Garnet eine Extraportion Angriffspunkte! Heute gibt es 1000 zum Nulltarif!“ Sie legte das kleine, aber sehr hilfreiche Monster auf den Friedhof und genoss die Show. Hinter ihrem Ritter tauchte das kleine Zauberwesen mit Hut auf, flüsterte einen unverständlichen Spruch und verschwand dann in Garnet.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 → 2900 DEF/0 → 1000 (4)]   Diesem Angriff würde nichts und niemand standhalten können, dachte Anya zufrieden, während die Flamme in Garnets Händen schlagartig anwuchs. Doch anscheinend hatte Alastair nur darauf gelauert, dass sie [Vylon Delta] attackieren würde. Er drehte die von ihm liegende Fallenkarte um und lachte laut. „Du Närrin! Du bist noch berechenbarer, als ich es erwartet hatte! Nun zahle den Preis für deine Torheit! [D2 Shield]!“ „Was'n das?“ Anya ahnte, dass das nicht gut für sie war. „Mit dieser Karte kann ich die Defensive eines meiner Monster dauerhaft verdoppeln! Sieh her, wie [Vylon Delta] zu einer uneinnehmbaren Festung wird!“ Strahlend weißes Licht breitete sich wie eine Aura um den mechanischen Engel aus und verlieh ihm in seiner Größe eine noch bedrohlichere Note.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/2800 → 5600 (7)]   „Oh shit! Was zum-!“ Die Flamme, welche Garnet auf Delta abfeuerte, verpuffte an seinen Schwingen wie ein laues Lüftchen. Plötzlich spannte die Kreatur seine Flügel und schoss aus beiden Händen Laserstrahlen. „[Vylon Stellas] Effekt!“, donnerte Alastair. „Wenn das mit ihm ausgerüstete Monster kämpft, wird jeder Feind nach dem Angriff zerstört werden, selbst wenn mein Monster dabei in der Defensive ist!“ Auch das noch, dachte Anya erschrocken. Ihr Ritter, der von den Strahlen getroffen wurde, explodierte und erzeugte eine Schockwelle, die sie glatt von den Beinen riss. Sie schlug hart auf dem Boden auf und rollte bis ganz an den Rand des schwarzen Feuerkreises. Die sengende Hitze auf ihrer Haut spürend, wich sie sofort zurück. Und dann war da noch dieser merkwürdige Geruch von … Verwesung? Die Flammen stanken nach Tod. Schwankend kam Anya auf die Beine und eilte zu dem schwebenden Spielplan zurück. Ihr war übel von diesem widerlichen Gestank. Der Kerl musste ein echter Zauberkünstler sein, um so etwas zu schaffen! „Warum trittst du nicht in Las Vegas auf, statt mir auf die Eierstöcke zu gehen?“, herrschte sie ihn wütend an.   [Anya: 4000LP → 1300LP / Alastair: 3500LP]   Als Anya schließlich die Lebenspunkte nachzählte – sie hasste Kopfrechnen – traf sie der Schlag. Diese eine Attacke hatte sie über die Hälfte ihrer Lebenspunkte gekostet! Dabei hatte Alastair noch nicht einmal angriffen! Das war … Sie sah auf ihren Spielplan. Und ihre Lebenspunkte waren ohne Garnet auch noch völlig ungeschützt. Nächste Runde brauchte dieser Spinner nur anzugreifen und hatte damit mühelos gewonnen. Nein, so leicht würde sie es ihm nicht machen! „Zauberkarte!“, brüllte sie regelrecht und hielt ebenjene hoch. „[Silent Doom]! Damit reanimiere ich Garnet vom Friedhof, aber in Verteidigungsposition!“ Ihr Krieger tauchte kniend aus einem Loch im Boden wieder vor ihr auf.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)] „Da hättest du auch genauso gut ohne Monster verbleiben können. Dir ist bewusst, dass ein Monster ohne Verteidigungspunkte kein Hindernis für mich sein wird?“ Anya knurrte bloß. Natürlich wusste sie das, hielt der sie denn für vollkommen verblödet? Aber es war immer noch besser als nichts, was sie da mit ihm vor hatte. „Ich setze eine Karte verdeckt und beende den Zug.“ Sie legte die Falle in die entsprechende Zone. Mit den übrigen zwei Karten in ihrer Hand konnte sie momentan nichts anfangen. So ein Kackmist!   Alastair zog und lächelte finster, was sein entstelltes Gesicht völlig aus den üblichen Proportionen warf. „Das war einfacher als ich gedacht hatte. Sieh es von der positiven Seite, denn je eher ich den Dämon in dir ausgetrieben habe, desto schneller ist dein Leiden vorüber.“ Der Kerl klang tatsächlich so, als täte er ihr damit einen Gefallen! „Pfff! Dir müssen sie ja echt ins Gehirn geschissen haben! Wenn du denkst, ich beiße so leicht ins Gras wie Jonathan, hast du dich aber schwer getäuscht!“ Auch wenn sie ihren Mitschüler wie die Pest gehasst hatte, seinen gewaltsamen Tod würde sie rächen. Und anschließend würde nichts mehr von dem Kerl übrig bleiben, was man dem Haftrichter noch vorführen könnte! Irre wie der hatten keine Gnade verdient! Sie sah zu ihren Freunden, die leblos an den Kreuzen hingen. Abby und Nick als Schutzschild zu verwenden war das Niederträchtigste, was sie je gesehen hatte. Und wenn sie etwas noch mehr hasste als Kopfrechnen und Jonathan, dann war es Feigheit! Die stand gleich unter Valerie Redfield. „Diese beiden …“, murmelte Alastair, welcher Anyas Blick bemerkt hatte. Nun sah auch er sich Nick und Abby an. „Ich fürchte, sie muss ich nach unserer kleinen Auseinandersetzung auch vernichten. Zu groß ist die Gefahr, dass der Dämon sie als Möglichkeit zur Flucht missbraucht. Vermutlich hat er sie schon durch den bloßen Kontakt mit dir infiziert.“ „Du wirst schön die Finger von ihnen lassen!“ „Sonst?“ Er zückte wieder sein Messer und hielt es direkt unter Abbys Kehle. „Werde ich dich zwingen, deine eigenen Eingeweide zu fressen, Scheißkerl! Nimm das Messer weg, du-“ Er steckte es wieder hinter seinen roten Mantel und schnalzte mit der Zunge. „Du bist wirklich nicht sehr klug, oder? Ist dir klar, dass du mit dem Mann sprichst, der jederzeit deine Freunde töten könnte? Zügle deine Zunge, Dämon!“ „Und? Wie soll ich denn sonst mit dir reden?“ Anya hatte keine Ahnung, was der von ihr wollte. Generell blieb ihr schleierhaft, wieso dieser Typ auf die Idee kam, dass ausgerechnet sie ein Dämon sein sollte. Andererseits war das wohl so bei Verrückten. Alastair atmete tief durch. „Ich sehe schon, bei dir ist Hopfen und Malz verloren. Wir sollten das zu einem schnellen Ende bringen.“ Ohne weiter Zeit zu verlieren, zog er seine Karte und legte sofort eine andere von seinem Blatt auf den schwarzen Spielplan. „[Vylon Cube]!“ Ein Würfel aus Metall tauchte aus einem Runenzirkel vor seinem anderen Monster auf. Genau wie alle anderen Vylons, hatte auch dieser Arme, bestehend aus Gold.   Vylon Cube [ATK/800 DEF/800 (3)]   Anschließend legte Alastair seine Finger auf die weiße Karte von [Vylon Delta] und drehte es von waagerechter in die senkrechte Lage. Er hatte es in Angriffsposition gewechselt.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/5600 (7)]   Das war ihre Chance, dachte Anya. Jetzt, wo dieses überdimensionale Vieh nicht länger seine astronomisch hohe Verteidigung als Schutz vorweisen konnte, würde sie es ausradieren können. Dieser kranke Mistkerl sollte nur aufpassen! Jener sagte: „Das wird genügen, um den Rest deiner Lebenspunkte auszulöschen. [Vylon Cube], zerstöre [Gem-Knight Garnet]. [Vylon Delta], sorge dafür, dass ihr Antlitz dem Erdboden gleichgemacht wird!“ Aus der Mitte seines Körpers schoss der Würfel einen schmalen, gelben Laserstrahl, der über den Boden der Aula direkt auf Garnet zusteuerte. Aber Anya hatte vorgesorgt. „Verdeckte Falle aktivieren! [Pyroxene Fusion]! Sie lässt mich Gem-Knights von Hand und Spielfeld verschmelzen, genau wie [Gem-Knight Fusion] es tun würde!“ Sie nahm Garnet, als auch ihre Falle, vom Spielplan und hielt sie zusammen mit einem weiteren Ritter in die Höhe. „[Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Crystal], du bist die Rüstung! Vereinigt euch!“ Ein unglaublich schneller Wirbel aus Edelsteinen sog die beiden Ritter ein, welche aus ihren Karten erschienen. Dann gab es einen Lichtblitz und das neue Monster stand vor Anya. „[Gem-Knight Ruby]!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Stolz hob der Ritter in seiner Bronzerüstung die Lanze in seinen Händen. Mit wehendem, blauem Umhang verneigte er sich vor Anya und ging dann in Kampfposition. „Sieht so aus, als wäre dein Angriff fehlgeschlagen, was? An dem hier kommst du nicht so leicht vorbei“, grinste die verstohlen. Das kam davon, wenn man sie unterschätzte! Nun würde sie mit aller Macht zurückschlagen! „Offensichtlich“, erwiderte Alastair kühl. „Aber das ist nur eine kurzfristige Lösung.“ „Häh? Lösung? Wofür?“ Wollte der sie für dumm verkaufen? „Für das, was dich jetzt erwartet, Dämon“, zischte er derart hasserfüllt, dass Anya regelrecht beeindruckt war. Warum klang sie nicht so cool? Alastair streckte beide Arme in die Höhe. „Ich beende meine Battle Phase, doch höre meine Worte, Dämon. Du hast den Weg des Leidens gewählt und nun wirst du ihn bis zu deinem letzten Herzschlag beschreiten. Mach dich gefasst!“ Wie Anya solche pathetischen Reden hasste. Die holten doch nicht mal ihre tote Großmutter unterm Sofa hervor. Eher- Die Erde begann zu beben. Immer stärkere Erschütterungen suchten die Schule heim, sodass Anya glatt ins Schwanken geriet. „Was zum-!?“ „Level 3, [Vylon Cube] und Level 7-Synchromonster, [Vylon Delta]!“, rief Alastair regelrecht besessen. „Infinite evil, waiting for the purge! Be the voice of his justice! Synchro Summon! Purify this twisted world! [Vylon Ultima]!“   Gleißendes Licht blendete Anya derart, dass sie die Augen zukneifen musste. Das Beben wurde zunehmend stärker und dazu ertönte plötzlich ein unheimlich lautes Geräusch. Ein Quietschen, so schrill, als würde man mit Metall über eine Tafel kratzen. Dazu kam noch ein dröhnendes Summen, sodass sie sich zusätzlich die Ohren zuhielt. Darauf folgte fürchterliches Poltern und Krachen, als würde die Welt auseinanderbrechen. Was zum Geier hatte dieser Spinner da beschworen? Als der Lärm und das Beben nachließen, öffnete Anya langsam die Augen. Und bereute dies sofort. „Dies soll dein Henker sein, Anya Bauer!“, sprach Alastair feierlich, auch wenn er hinter diesen Monstrum längst nicht mehr zu sehen war.     Turn 04 – Path To Decay Alastair gelingt es problemlos, Anyas [Gem-Knight]-Fusionen durch [Vylon Ultima] zu versiegeln. Obwohl Anya versucht, sich mit anderen Mitteln wie [Gem-Knight Crystal] zu wehren, prallen ihre Attacken an Alastair wirkungslos ab. Doch inmitten des Kampfes erscheint plötzlich Levrier und bietet seine Hilfe an. Anya, die keine Wahl hat, muss den sprichwörtlichen Pakt mit dem Teufel eingehen und erhält im Gegenzug für ihr Versprechen, zusammen mit Levrier „Eden“ zu werden, eine neue Kraft … Kapitel 4: Turn 04 - Path To Decay ---------------------------------- Turn 04 – Path To Decay     Erschrocken wich Anya zurück. Sie hatte ja mit etwas Großem gerechnet, aber das hier übertraf ihre kühnsten Vorstellungen. [Vylon Ultima] machte seinem Namen alle Ehre. Denn aufgrund seines gigantischen Körpers war die ohnehin schon hohe Decke der Aula einfach eingestürzt. Überall um den schwarzen Feuerzirkel lagen Trümmer, in seinem Innersten hingegen nicht ein Krümel, ganz als hätte er die beiden Duellanten sowie Nick und Abby geschützt. Anya musste den Kopf in den Nacken legen, um die ganze Größe dieses Monsters zu erfassen. Sechs mechanische Schwingen aus Gold besaß es. Sie gingen aus einem riesigen Kreuz hervor, dem Körper des Wesens, von dem zwei riesige Arme herunter hingen. An der Spitze jenes Kreuzes prangerte der kugelrunde Kopf mit einem roten Auge. Ein goldenes Geflecht aus Stangen um sein Haupt bildete eine Art Kragen, der ihn wie einen Richter aussehen ließ.   Vylon Ultima [ATK/3900 DEF/3500 (10)] „Alter Falter …“, murmelte Anya. Der schwarzhaarige Alastair, welcher samt Anyas Freunden nun von seinem Monster verdeckt wurde, lachte selbstherrlich. „Siehst du jetzt, mit wem du dich hier angelegt hast, Dämon? Du bist nur einer von vielen, die ich in den letzten Jahren vernichtet habe! Ich habe mir geschworen, jeden einzelnen von euch dem Erdboden gleichzumachen!“ Das Mädchen hörte jedoch gar nicht hin. Eher beschäftigte sie, wie sie dieses Unding aus dem Weg räumen konnte. Ihr [Gem-Knight Ruby] war kein Gegner für dieses Monstrum.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Ganz zu schweigen davon, dass ihre Lebenspunkte knapp bemessen waren.   [Anya: 1300LP / Alastair: 3500LP]   „Die Euren sind vernichtungswürdig! Ihr existiert nur, um andere ins Unglück zu ziehen“, zischte Alastair voller Verachtung. „Euch ist der Weg ins Paradies Gottes auf ewig verschlossen. Selbst der Engel Refiel kennt für euch keine Gnade. Das Mädchen werde ich retten, doch du wirst in der Hölle schmoren!“ Anya verschränkte missmutig die Arme. „Wieso kommt neuerdings jeder dahergelaufene Spinner auf die Idee, dass mich das interessiert? Alter, du hast meine Freunde gefangen genommen! Wenn hier jemand 'n bisschen Gnade nötig hat, dann wohl eher du!“ Nicht, dass sie ihm die gewähren würde. „Tch. Rede mit falschen Zungen, solange du noch kannst!“ Er lachte. „Führen wir das hier fort! Ich aktiviere den Effekt von [Vylon Cube], da es für die Synchrobeschwörung eines Licht-Monsters eingesetzt wurde. So kann ich eine Ausrüstungsmagie von meinem Deck meinem Blatt hinzufügen. Wählen tue ich [Vylon Component]!“ Anya konnte zwar nicht sehen, was er da tat, aber wenn er auch nur daran dachte, sie zu betrügen, würde das mit gebrochenen Rippen vergolten werden. „Und jetzt wirst du deinen schlimmsten Albtraum erleben, dämonische Brut“, tönte Alastair plötzlich majestätisch. „Ich aktiviere drei Ausrüstungsmagien, welche [Vylon Ultima] noch mächtiger machen werden! [Vylon Material], [Vylon Component] und [Vylon Filament]!“ Dreimal leuchtete das riesige Ungetüm in gleißend hellem Licht auf. Anya hatte keine Ahnung, wie sich diese Karten auf das ohnehin schon viel zu starke Wesen auswirken würden. Aber dass auf einmal der oberste rechte, der mittlere rechte und der unterste linke Flügel rot strahlte, konnte kaum etwas Gutes bedeuten.   Vylon Ultima [ATK/3900 → 4500 DEF/3500 (10)]   „Na toll“, brummte Anya genervt. Jetzt war es noch stärker. „Ist es die hohe Offensive, die dir Furcht bereitet?“, fragte Alastair höhnisch. „Das sollte sie, aber noch viel mehr solltest du dich vor dem fürchten, was durch das Ausrüsten von Magiekarten an [Vylon Ultima] ausgelöst wurde! Denn für jede von ihnen kann ich eine Beschwörungsart versiegeln, die fortan von keinem Spieler mehr angewendet werden kann.“ Das klang überhaupt nicht gut, dachte Anya. „Und überlegen wir mal, was dich am härtesten treffen würde? Ich weiß … Fusionsbeschwörung für [Vylon Material]. Damit du nicht trotzdem auf die Idee kommst, starke Monster zu rufen, wähle ich dazu noch für [Vylon Component] Tributbeschwörung und für den unwahrscheinlichen Fall, dass du sie besitzt, dank [Vylon Filament] die Beschwörung von Synchromonstern.“ Anya glaubte sich verhört zu haben. Hatte dieser Spinner gerade alle Beschwörungsarten versiegelt, die für sie relevant waren? Wie sollte sie unter diesen Umständen etwas beschwören, das stark genug war, um [Vylon Ultima] zu besiegen!? „Es ist ausweglos, Dämon. Und selbst wenn es dir gelänge, [Vylon Ultima] zu zerstören, würden beim ersten Versuch nur sämtliche Ausrüstungsmagien verloren gehen. Damit du aber gar nicht auf diesen Gedanken kommst, spiele ich meine letzte Karte aus, die dauerhafte Magie [Vylon Element]. Sollten Vylon-Ausrüstungsmagien zerstört werden, kann ich für jede von ihnen ein Vylon-Empfänger-Monster von meinem Deck rufen. Du hast dein Leben in dem Moment verwirkt, als du dich auf den Dämon in dir eingelassen hast! Da ich meine Battle Phase bereits durchgeführt habe, ist mein Zug jetzt beendet!“   Großartig, dachte Anya grimmig. Dieser Kerl war nicht nur vollkommen durchgedreht, sondern auch noch stark. Ein wenig zu stark für ihren Geschmack. Sie sah ihre verbliebene Handkarte an, dann [Vylon Ultima]. Selbst wenn sie [Gem-Knight Rubys] Angriffspunkte erhöhen und diesen seltsamen Maschinenengel zerstören könnte, wäre im Grunde nichts gewonnen. Erstens wäre er nicht endgültig besiegt und zweitens hätte sie dann durch [Vylon Element] nur noch mehr Probleme an der Backe. Ihre Situation war aussichtslos. Aber das musste der ja nicht wissen! „So, Narbengesicht, mach dich auf was gefasst! Draw!“ Doch entgegen ihrer Hoffnung hatte sie nichts gezogen, was ihr in ihrer Lage wirklich weiterhalf. Es blieb ihr keine andere Wahl. „Ich wechsle Ruby in die Verteidigung“, rief sie und drehte ihr Fusionsmonster auf der schwarzen Marmorplatte in die Horizontale. „Dann setzte ich sowohl ein Monster, als auch eine weitere Karte verdeckt. Zug beendet!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)] Sie hörte Alastair lachen. „Mehr habe ich auch nicht erwartet. Mein Zug! Und ich beschwöre [Vylon Soldier]!“ Vor der riesigen Gestalt Ultimas erschien eine geradezu mickrige im Vergleich. Neben einem Körper aus Stahl besaß das Wesen zwei kräftige Arme aus purem Gold.   Vylon Soldier [ATK/1700 DEF/1000 (4)] „Und jetzt … vergehe, Dämonenbrut!“, donnerte Alastair aufgebracht. „[Vylon Ultima], werde das Schwert des Herren und vernichte dieses Ausgeburt der Hölle! Angriff auf [Gem-Knight Ruby] … “ Anya Bauer!   „Was?“ Anya horchte auf. Das war doch-! Aktiviere deine Falle! Schnell, bevor der Angriff stattfindet! „Nen Teufel werd' ich-“ Tu es, oder du wirst dein Leben verlieren!   Was für ein Schwachsinn! Anya starrte auf ihren Spielplan. Warum konnte dieses Hirngespinst sie nicht einfach in Ruhe lassen!? Dennoch waren da gewisse Zweifel. Hatte Levrier recht? Vielleicht war es wirklich besser, ihre gesetzte Karte zu aktivieren? Levrier war ein Produkt ihrer Fantasie, also praktisch so etwas wie eine innere Stimme – eine lästige wohlgemerkt – aber sie würde sich wohl kaum selbst schaden wollen, dachte Anya. Trotzdem war es merkwürdig. Aber was hatte sie schon zu verlieren? „Verdeckte Falle! [Inverse Universe]! Sie vertauscht die Angriffs- und Verteidigungswerte aller Effektmonster auf dem Spielfeld!“ Vylon Ultima [ATK/4500 → 3500 DEF/3500 → 4500 (10)] Vylon Soldier [ATK/1700 → 1000 DEF/1000 → 1700 (4)] Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 1300 DEF/1300 → 2500 (6)]   „Holy Extermination Beam!“, brüllte Alastair. Inmitten des Kreuzes von [Vylon Ultima] strahlte ein rotes Licht, welches augenblicklich einen gewaltigen Laserstrahl auf Anyas Monster abfeuerte. Dieses ging in einer so schweren Explosion unter, wodurch Anya nun schon zum zweiten Mal während des Duells von den Füßen gerissen und weg geschleudert wurde. Und dieses Mal war der Aufprall so hart, dass sie aufschrie.   [Anya: 1300LP → 300LP / Alastair: 3500LP]   Unter Schmerz erhob sich Anya und wieder stieg ihr der Geruch von Verwesung in die Nase, welcher von den Flammen um sie herum ausging. Sie humpelte zur schwebenden Marmorplatte zurück, hielt sich dabei den rechten Oberarm, der am meisten abbekommen hatte. „Verdammter Kackmist, was war das denn!?“ „Ein fehlgeschlagener Versuch, dich zu vernichten“, zischte Alastair wütend. „Woher wusstest du, dass [Vylon Filament] die Aktivierung von Zauber- und Fallenkarten verhindert, sobald [Vylon Ultima] angreift? Das hat dir das Leben gerettet, denn andernfalls hätte der Durchschlagschaden von [Vylon Component] deine restlichen Lebenspunkte ausgelöscht!“ „Ich bin eben gut“, tönte Anya und grinste. Nur fühlte sie sich eher wie jemand, der gerade von einem Laster überrollt worden war. Und dann war da noch Levrier. Hätte er sie nicht darauf hingewiesen, wäre sie jetzt vielleicht schon tot! Aber woher hatte er, sprich sie, das gewusst? … sie war eben wirklich verdammt gut! „Aber ich bin noch nicht fertig“, rief Alastair, „denn [Vylon Soldier] greift dein verdecktes Monster an!“ Der mechanische Engel kam wie ein Pfeil auf Anyas unbekanntes Monster zugeschossen, welches jetzt aus seiner Karte sprang. Es war ein grauer Tonkrug mit einem einäugigen, grinsenden Gesicht im Inneren.   Morphing Jar [ATK/700 DEF/600 (2)]   Von der gewaltigen Faust des Soldaten wurde er in tausend Stücke geschlagen. „Flipp-Effekt!“, rief Anya. „Wenn [Morphing Jar] aufgedeckt wird, werfen wir unsere Hand ab und ziehen fünf neue Karten!“ „Ich habe keine Karten auf meiner Hand.“ „Ich ebenfalls nicht.“ Und so zog Anya ein brandneues Blatt, in der Hoffnung, einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage zu finden. Doch was sie sah, überzeugte sie nur bedingt. „Bevor ich meinen Zug beende, setze ich noch eine Karte“, rief Alastair. „Dabei belasse ich es vorerst.“   Wortlos zog Anya ihre Karte und erstarrte. [Gem-Knight Fusion]! Aber die war nutzlos, solange [Vylon Ultima] sämtliche Fusionsbeschwörungen versiegelte. Was für ein Scheißdreck! Dennoch würde sie nicht kuschen, sondern in die Vollen gehen. Irgendwie würde sie dieses Mistvieh schon kleinkriegen! „Zauberkarte aktivieren! [Monster Reborn]! Damit kann ich ein x-beliebiges Monster von unseren Friedhöfen reanimieren und ich entscheide mich für [Gem-Knight Crystal]! Und damit das Ganze umso cooler wirkt, rüste ich ihn noch mit [Megamorph] aus, was seine ATK verdoppelt, da ich weniger Lebenspunkte besitze als du, Frankenstein!“ In weißer Rüstung erhob sich der Kristallritter vor Anya und stemmte stolz seine Hände in die Hüften. Die durchsichtigen Kristalle an seinen Schulterplatten wuchsen dank Anyas Zauberkarte so stark an, dass sie wie endlos lange Dornen wirkten.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 → 4900 DEF/1950 (7)]   „So macht man das richtig! Und jetzt zermalme [Vylon Ultima]! Clear Punishment!“ Mit erhobener Faust flog ihr Krieger auf die riesige Maschine zu und holte aus. „Nicht so hastig, denn du hast meine Falle ausgelöst! [Mirror Force]! Damit werden bei einem Angriff all deine Monster in der Offensive zerstört!“ Crystal schlug zu, doch traf nur auf eine spiegelnde Mauer und zerstörte seine Reflexion. Als diese zersprang, explodierte auch Anyas Ritter. „Oh verdammter Mist!“ „Du musst dir schon etwas Besseres einfallen lassen als das“, höhnte Alastair verächtlich. Anyas Kiefer mahlten. Dieser Kerl war ja fast noch krasser drauf als Valerie Redfield. Allein wenn sie an die dachte, kochte die Wut in ihr umso schlimmer, was ihr neuen Auftrieb gab. Egal, sagte sie sich sauer. Dann würde sie eben nächste Runde zuschlagen. Und bis dahin … „Ich aktiviere [Swords Of Revealing Light]! Damit kannst du drei Runden nicht angreifen, Drecksack! Und da ich noch kein Monster als Normalbeschwörung beschworen habe, setze ich jetzt eines in Verteidigungsposition! Dein Zug!“ Drei grüne Lichtschwerter schossen aus dem Himmel um die beiden Vylons von Alastair. Die traurige Wahrheit jedoch war, dass Anya momentan keine Ahnung hatte -wie- sie zuschlagen sollte. Ihre letzten beiden Handkarten waren keine große Hilfe. „Versteck dich nur, das wird dir auch nichts nützen. Ich setze ebenfalls ein Monster und wechsle [Vylon Soldier] in die Defensive. Mehr kann ich momentan nicht tun, also passe ich!“ Seine Kreatur hob die Arme über Kreuz, um sich zu schützen.   Vylon Soldier [ATK/1000 DEF/1700 (4)]   Anya Bauer!   Wieder Levriers Stimme. Anya sah sich um, doch innerhalb der Aula waren nur sie und Alastairs Monster. Was hinter denen gerade vor sich ging, konnte sie aufgrund von [Vylon Ultimas] massiven Leib nicht sehen. „Was ist denn? Sei endlich still, du gehst mir auf die Eierstöcke“, flüsterte sie. Hoffentlich hörte es keiner, denn sonst konnte sie sich gleich den nächsten Vortrag über Dämonen und Engel und den ganzen Bockmist anhören!   Etwas geht vor sich mit deinem Gegner! In seinem Körper sammelt sich eine mächtige Präsenz! Stark genug, um dem Schicksal eine neue Wendung, einen neuen Pfad zu verleihen!   Anya blinzelte verwirrt. „Und jetzt nochmal so, dass ich es auch verstehe!“, zischte sie.   Verzeih. Ich habe deine unterentwickelten geistigen Fähigkeiten vergessen. Was ich mit meinen Worten ausdrücken wollte ist, dass er nächste Runde sein Deck ganz nach Belieben manipulieren kann. Sprich: er wird eine Karte ziehen, die deinen Untergang besiegeln wird.   „Heißt das, er schummelt?“ Wenn du es so nennen willst? Ja. Aber es ist mehr als das. Es ist eine Gabe, vermutlich verliehen von diesem Engel Refiel, den er mehrmals erwähnt hat. Zumindest wirkt es auf mich so.   „Ihr seid doch alle durchgeknallt hoch zehn!“ Aber im Grunde hatte Levrier gar nicht so unrecht. Jetzt, da sie seine Bewegungen nicht sehen konnte, war es für Alastair ein Leichtes, sie nach Strich und Faden zu verarschen. „Dem werd' ich-!“ Aber solange sie nicht an den Vylons vorbeikam, konnte sie ihm nicht sämtliche Knochen brechen. Sie gab einen Wutschrei von sich, ehe sie „Draw!“ rief. Sie starrte ihre Hand an. Neben [Gem-Knight Fusion] und [Gem-Knight Emerald] hatte sie nun auch [Pot of Avarice] gezogen. Genau was sie brauchte! Anya überlegte. Wenn sie Emerald beschwor, konnte sie ihn und ihren verdeckten [Gem-Knight Tourmaline] aus dem Spiel verbannen, um Ruby zurückzuholen. Aber dann hätte sie nur noch vier Monster auf ihrem Friedhof und könnte ihre Zauberkarte nicht mehr ausspielen. Und Ruby allein brachte ihr gar nichts. „Zauberkarte!“, rief sie schweren Herzens. „[Pot of Avarice]! Damit mische ich [Gem-Merchant], Garnet, Ruby, Crystal und [Morphing Jar] in mein Deck zurück und ziehe zwei Karten!“ Sie legte besagte Monster auf ihr Deck zurück und mischte es. Wenn Levrier – ihre weibliche Intuition – wirklich recht hatte, war das womöglich ihre letzte Chance. Mit zitternder Hand – was natürlich ausschließlich an der Vorfreude auf Alastairs Verderben lag – legte sie das Deck zurück auf die schwarze Marmorplatte und begann zu ziehen. Was würde mit ihr geschehen, wenn sie jetzt verlor? Würde sie wie Jonathan enden? Zu sterben wäre scheiße, deswegen entschied Anya sich kurzerhand, dass das noch Zeit haben musste, bis mindestens ein Bundesstaat nach ihr umbenannt wurde. Hastig zog sie die zwei Karten und war überrascht und gleichzeitig enttäuscht von dem Ergebnis. Sie hatte versagt … es war vorbei!   Noch nicht ganz.   Anya wurde ohne Vorwarnung schwarz vor Augen. Sie spürte, wie ihr Körper schlapp machte und sie umkippte. Doch den Aufschlag fühlte sie schon gar nicht mehr.   Sie stand hier, inmitten der Finsternis, auf dem Mosaik der Erde. Es war nicht mehr beschädigt von dem Duell mit Levrier und Anya sah, dass aus dem Nichts eine Gestalt auf sie zukam. Es war ihr Ebenbild … nein, Levrier! Also doch sie! „Argh!“ „Ich biete dir eine Möglichkeit, deinem Tod zu entkommen“, kam dieser sogleich mit seiner unmenschlichen Stimme auf den Punkt. Aus Anyas blauen Augen sah er das Mädchen fordernd an. „Die wäre?“, hakte die trotzig nach. Sie war geneigt, darüber nach zu grübeln, warum sie jetzt schon wieder träumte, aber nachdenken war scheiße, deswegen ließ sie es bleiben. Ihr Kopf rauchte ohnehin schon genug. „Ich gebe dir eine Karte, die dich vielleicht retten könnte. Doch sei gewarnt, selbst mit ihr wirst du deinen übermächtigen Feind nicht in die Knie zwingen können. Dazu braucht es mehr als das und ich bin mir nicht sicher, ob du über die nötigen Geschicke verfügst. Deine Chance ist schwindend gering, aus dieser Sache herauszukommen.“ Anya rümpfte die Nase. „Und was muss ich dafür tun?“ Dass Levrier ganz ruhig blieb und man seine Gefühle anhand der Stimme nicht abschätzen konnte, machte die Blondine nervös. „Du musst einen Pakt mit mir eingehen. Das Versprechen, dass wir zusammen Eden werden.“ „Du spinnst wohl! Ich hatte schon mal gesagt, dass-“ „Bedenke deine Worte“, mahnte Levrier sie streng und hob zur Verdeutlichung den Zeigefinger. „Du bist nicht in einer Position, in der du dir Fehler erlauben kannst. Dein Gegner kämpft mit sagenhaften Kräften und hat einen Engel an seiner Seite. Dein Tod ist unausweichlich, solltest du mein Angebot jetzt ausschlagen.“ Anya ballte die Fäuste und biss sich auf die Lippen. Sie sprach hier mit ihrem Hirngespinst über Engel und Zauberkräfte! Jetzt war es offiziell, sie lief nicht mehr ganz rund im Oberstübchen! Vielleicht hätte sie doch zu dieser Polizeipsychologin gehen sollen? … nah, eher würde sie eine Woche lang n-e-t-t sein! „Ich warte auf deine Antwort.“ Levrier starrte sie aus kalten, blauen Augen an. „Ein Wort von dir und ich verschwinde auf ewig aus deinem Geist. Doch dann bist du verloren.“ „Und was passiert, wenn ich zustimme?“ „Dann werde ich dir einen Weg aus deiner Lage weisen. Dazu musst du genau tun, was ich dir sage. Aber selbst dann ist die Aussicht auf Erfolg schwindend gering.“ Anya legte ihre Hand an die Wange und überlegte. Es stimmte schon, sie saß ganz schön in der Patsche. Jede Hilfe wäre ihr im Grunde recht. Aber Levrier erschien ihr alles andere als vertrauenerweckend und außerdem war er nur ihrer grenzenlosen, durchgeknallten Fantasie entsprungen. Was konnte er da schon ausrichten? Aber hatte sie überhaupt eine andere Wahl? Jeder kleine Hoffnungsschimmer war besser als nichts und schlimmstenfalls geschah auch 'nichts'. Levrier war sowieso nicht real. Also was hatte sie schon zu verlieren? Ohne weiter darüber nachdenken zu wollen, streckte Anya gönnerhaft ihren Arm aus. „Deal.“ „So sei es.“ Die falsche Anya nahm die Hand des Originals und lächelte geheimnisvoll. Plötzlich schien es dem Mädchen, als würde ihr Arm verbrennen. Sie ging ächzend in die Knie, hielt dabei noch immer Levriers Hand, welcher sie nicht losließ. „Was soll das jetzt?“, stöhnte sie, wollte sich losreißen. Aber sein Griff um ihre Hand war eisern. „Das ist die Erinnerung an unser Versprechen, Anya Bauer. Es wird dir große Kraft verleihen, aber sei gewarnt. Wenn du unser Bündnis brichst, wird dir ein schlimmeres Schicksal als der Tod zuteil.“ Mit diesen Worten ließ Levrier sie los. Anya starrte ungläubig auf ihren rechten Unterarm. Auf dem prangerte ein pechschwarzes Zeichen. Ein schwarzes Kreuz mit einem stacheligen Kreis, welcher durch die vier Seiten des Kreuzes verlief. Ein leichter bräunlicher Schimmer lag unter ihrer Haut, doch er verging. Sprachlos starrte sie das Bildnis an, welches sie an ein Brandmal erinnerte. Dann brach das Mosaik unter ihren Füßen auseinander und sie begann wieder zu fallen. Und während die Splitter um sie herum in den verschiedensten Farben tanzten, glaubte Anya, in der Ferne einen Lichtschimmer inmitten der Finsternis zu sehen. Im Zentrum dieses Lichts meinte sie, kurz die Silhouette eines riesigen, hohen Gebildes erkannt zu haben. Aber bevor sie nur mit den Augen blinzeln und sie näher erfassen konnte, verlor sie das Bewusstsein und wurde ins Nichts davon getrieben.   Nur um gleich darauf wieder aufzuwachen. In der Aula, gefangen im Kreis des schwarzen Feuers. Sie lag da und hielt etwas in ihrer Hand … eine Karte! Anya erhob sich erschrocken und sah sie an. Bild und Text waren auf befremdliche Art verschwommen, doch schienen mit der Zeit immer klarer zu werden. Das konnte unmöglich sein, die gehörte ihr nicht! Und … das Mal, es war auf ihrem Arm! „Was zum Geier?“, fluchte Anya und sprang auf. Sie legte ihre neue Errungenschaft abgelenkt auf ihr Extradeck und rubbelte dann mit dem Daumennagel über das Kreuz. Aber egal wie sehr sie es versuchte, sie kratzte sich nur die Haut wund. Das Mal hingegen blieb. „Oh kacke! Meine Mutter wird mich umbringen, wenn sie das sieht!“ „Was hast du getan ...“, hörte sie plötzlich Alastairs Stimme murmeln. „Du dummes Kind, bist du dir im Klaren, was du gerade angerichtet hast!? Du hast deine Seele verkauft! Jetzt kann selbst ich sie nicht mehr retten!“ „Ach, halt die Klappe!“, herrschte Anya ihn an und starrte weiter auf ihren neuen Körperschmuck. „Nun steckt er wahrhaft in dir, Mädchen“, raunte Alastair. „Wie lautet sein Name?“ „Was geht-“ „Wie lautet er!?“, donnerte der Mann aufgebracht. „Ist er es? Ist er es!? Der, den ich so lange gesucht habe!? Ist es 'Another'!?“ Plötzlich war er wieder ruhig und murmelte. „Was sagst du, Refiel? Er ist es nicht? … verdammt! Aber er muss dennoch vernichtet werden!“ Anya indes kratzte sich am Kopf. Hörte es sich auch so an, wenn sie solche Selbstgespräche führte? Wenn ja, sollte sie wirklich mal zum Arzt gehen. So krass wie der wollte sie nicht drauf sein.   Er spricht zu dem Engel. Sei vorsichtig Anya Bauer, ich weiß nichts über dieses Wesen an seiner Seite. Ich kann seine Präsenz fühlen, doch sie entzieht sich meinem Verständnis. Aber sie ist gefährlich und ich möchte sagen, stärker als ich. Du musst die Karte benutzen, die ich dir gegeben habe!   Da war er wieder, dachte das Mädchen verärgert. Konnte sie endlich aus diesem beschissenen Traum aufwachen? Etwas anderes konnte dieser ganze Quatsch gar nicht sein! Rosafarbene Himmelbarrierendinger, die das Schulgelände von der Außenwelt abschnitten, ein irrer Dämonenjäger, der ihre Freunde und sie umbringen wollte und ein Geisterwesen, welches ihr Karten schenkte. Noch beknackter konnte dieser Traum wirklich nur werden, wenn Valerie Redfield in einem rosa Tutu hereingeplatzt käme und dabei „We Are The Champions“ sang. Anya warf einen verstohlenen Blick über die Schulter, darauf wartend, dass sie durch das pechschwarze Feuer die Tür aufspringen sah. Aber das blieb zum Glück aus.   Konzentriere dich! Wir haben keine Zeit für Tagträumereien!   „Halt endlich die Klappe, du gehst mir so was von auf den Keks mit deinem ständigen Rumgelaber! Ich komm auch alleine klar, kapiert!?“ Sie hatte sich nicht länger beherrschen können und schimpfte so laut, dass Alastair es gewiss hörte. „Anstatt deine beschissene Nase in meine Angelegenheiten zu stecken, geh lieber sterben oder tu was für den Weltfrieden oder so! Nervensäge!“ Aber in einem hatte Levrier trotz allem recht: sie sollten endlich mit dem Spiel weitermachen. Sie checkte ihr Spielfeld, aber an der Situation hatte sich nichts verändert. Sollte sie es wagen und -die- Karte ausspielen? Aber selbst sie wäre nicht stark genug, um [Vylon Ultima] entgegen zu treten, so hatte Levrier gesagt. Benutze deine Zauberkarte und stärke dein Monster. Dann hast du den ersten Schritt getan.   „Bist du bekloppt? Wenn ich das mache, krepiere ich nächste Runde, selbst wenn mein Monster stärker ist als seines!“   Du wirst keinen nächsten Zug mehr erleben. Es geht mir nicht darum, das stärkste Monster zu besitzen, Anya Bauer. Es geht darum, den Gegner so zu manipulieren, dass er genau das tut, was wir wollen. Aber dafür müssen wir zunächst die Ausrüstungszauberkarten zerstören, die Alastair aktiviert hat. Und das geht nur, wenn du tust, was ich dir vorgeschlagen habe!   Anya verzog den Mund so schief, dass ihre Lippen richtig spannten. Niemand sagte ihr, wie sie zu spielen hatte … aber wenn sie sowieso keinen Plan hatte, was sie machen sollte, konnte sie genauso gut ausprobieren, was Levrier ihr geraten hatte. Natürlich wäre sie irgendwann sowieso selbst darauf gekommen! Nein, sie war sogar schon darauf gekommen, war -sie- schließlich Levrier. … Gott, war das kompliziert! „Ich beschwöre [Gem-Knight Emerald] von meiner Hand und switche mein verdecktes Monster, [Gem-Knight Tourmaline], in den Angriffsmodus!“ Aus ihrer gesetzten Karte sprang der Ritter in goldener Rüstung, welcher zwischen seinen Handflächen einen Blitz erzeugte. Seine Rüstung war mit gelben Edelsteinen, dem Turmalin, besetzt. Neben ihm erschien Emerald, an dessen Arm ein Schild angebracht war. In seine blassgrüne Rüstung war auf Brusthöhe ein Smaragd eingesetzt.   Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/800 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Sollte sie das wirklich tun, fragte Anya sich? Sich auf ihre innere Stimme einlassen? Zu ihrer Schande musste sie sich eingestehen, keinen eigenen Ausweg aus ihrer Lage gefunden zu haben. Ihr imaginärer Helfer hingegen schien einen Plan zu haben, auch wenn sie diesem nicht folgen konnte. Aber wenn sie dadurch wirklich gewinnen würde, war ihr das nur recht. Lieber mit Unterstützung gewinnen, als ohne zu scheitern. Alles war besser als verlieren, sie hasste es, zu verlieren! Und da dies in dem Fall sogar den Tod bedeutete, gab es keine zwei Meinungen dazu! „Okay, ich mach's!“, beschloss sie laut und nahm ihre beiden Ritter, legte sie übereinander auf das Spielfeld. Dann griff sie zu ihrem Extradeck. „Jetzt gilt's! Aus meinen zwei Stufe 4 Monstern wird ein Rang 4 Xyz-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Dann legte sie ihre neue Karte auf die beiden Karten der Ritter. „Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“ Ein dunkler Sternenwirbel öffnete sich inmitten des Spielfelds. Ihre Ritter wurden als braune Lichter in ihn hineingezogen, bis schließlich ein neuer Krieger aus der Mitte des schwarzen Lochs empor stieg. Stolz verschränkte er die Arme voreinander, während ein Ring aus großen, rosafarbenen Perlen um seinen Körper tanzte. Dabei wirkte sein Erscheinungsbild eher schlicht, waren weder Helm noch die weiße Rüstung aufwendig verziert. Nicht einmal einen Umhang trug dieses ehrwürdige Monster.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Was zum Geier!?“, polterte Anya, als sie sich ihr neues Monster genauer ansah. Auf seiner Karte war „Kein Effekt!?“ abgedruckt. „Unter allen Karten, die du mir hättest schenken können, musste es ausgerechnet so eine sein!?“, beklagte sich Anya lauthals.   Verstehe. Du hast mich nicht darum gebeten, eine Karte nach deinen Wünschen zu formen.   „Dann mach 'ne neue, verdammt!“   Unmöglich. Unser Pakt ist bereits besiegelt.   „Willst du mich verarschen!?“, brüllte Anya und es war ihr mittlerweile völlig egal, ob irgendjemand hörte, wie sie mit ihren Hirngespinsten sprach. „Mach gefälligst 'ne neue, klar!?“ Ich sagte bereits, das geht nicht. Aber das ist auch nicht weiter von Belang, denn dieses neue Monster reicht aus, um den Plan voran zu treiben. Benutze deine Zauberkarte.   Wutentbrannt starrte das Mädchen auf ihr Blatt. [Gem-Knight Fusion] konnte er nicht meinen, die war völlig nutzlos. Also doch -diese-. Was soll's, dachte sich Anya ärgerlich. Schlimmer konnte es sowieso nicht mehr kommen! Also zückte sie den Zauber. „Ich aktiviere [Axe of Fools]! Damit erhöht sie die ATK meines Monsters um 1000 Punkte, auch wenn sein 'nicht existierender' Effekt dadurch verloren geht.“ Sag ihm nichts über den zweiten Nachteil deiner Karte, sonst bist du verloren.   Hatte sie sowieso nicht vor, dachte Anya sauer. Sie musste Alastair nicht unter die Nase reiben, dass die Axt während jeder ihrer Standby Phasen demjenigen 500 Lebenspunkte Schaden zufügte, welcher über das ausgerüstete Monster verfügte. Und sie hatte nur noch 300 übrig. In Pearls Hand erschien eine große, silberne Axt. Auf dem Axtblatt war ein grinsendes Gesicht in einer Goldfassung zu sehen, welches dumm vor sich hin gackerte.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 3600 DEF/1900 {4}]   „Dein Dämon scheint ja wirklich schwach zu sein, wenn er dir nicht besser dienen kann“, zischte Alastair spöttisch. „Verzeih, mein Irrtum, du dienst ja ihm. Ihr passt wahrlich gut zueinander.“ Der sollte die Klappe halten und sich vorsehen, dachte Anya gereizt. Greife nun [Vylon Ultima] an, Anya Bauer. Was danach geschieht, gehört zu meinen Absichten, deswegen erschrecke dich nicht. Es wird eine Zeit kommen, in der nur du noch dein Unheil abwenden kannst.   „Ja, ja, ja, ist ja gut! Was anderes hatte ich sowieso nicht vor! Los Pearl, Attacke! Funny Axe Strike!“ Sie hasste den Namen von Angriffen, die durch diese verrückte Axt durchgeführt wurden. Wieso hatte sie die doch gleich im Deck? Ach ja, weil sie funkelte und zu Edelsteinen passte. Pearl flog hoch in die Luft, gefolgt von seinen Perlen und hob die Axt über seinen Kopf. Weit über seinem Gegner ließ er sich plötzlich fallen und zerteilte das Engelswesen mit einem Schlag seiner Axt, welche dabei hysterisch lachte.   [Anya: 300LP / Alastair: 3500LP → 3400LP]   Doch [Vylon Ultima] wuchs an den Stellen, die durch den Hieb auseinander geschlagen worden waren, einfach wieder zusammen. „Habe ich es dir nicht gesagt?“, tönte Alastairs Stimme selbstverliebt. „Ehe du meiner Kreatur Schaden zufügen kannst, gehen zunächst alle verwendeten Ausrüstungsmagien verloren! Und weißt du was passiert, wenn die auf dem Friedhof landen? Nicht nur kann ich mir für jede von ihnen durch ihre eigenen Effekte Vylon-Magiekarten vom Deck aufs Blatt nehmen, nein, durch [Vylon Element] kann ich auch für jede verlorene Ausrüstungsmagie einen Vylon-Empfänger beschwören!“ Anya schluckte. Was hatte Levrier doch gleich gesagt? Das gehöre zu seinem Plan? „Und ich wähle zweimal [Vylon Material] als Ausrüstung und beschwöre ein Empfängermonster, [Vylon Prism]! Mehr werde ich gar nicht brauchen!“ Zwischen Alastairs gesetztem Monster und [Vylon Soldier] tauchte nun ein großer, langer Schild auf, ähnlich einem Prisma. Wie alle Vylons hatte auch er Arme und ein abstraktes Gesicht, was direkt aus der Platte herausragte.   Vylon Prism [ATK/1500 DEF/1500 (4)]   „Das ist wie 'ne Medusa. Du schlägst einen Kopf ab und zwei neue tauchen auf“, ärgerte sich Anya. Was du meinst ist eine Hydra. Die Medusa gibt es nicht.   „Oder so, was auch immer.“ Sie nahm ihre letzten beiden Handkarten und wollte sie auf den Spielplan legen. [Gem-Knight Fusion] würde zumindest als Bluff dienen können. „Egal, ich setze jetzt zwei-“ Nein, nur eine! Setze nur die Falle, denn wenn du beide Karten setzt, ist die Gefahr zu groß, dass du seiner Fähigkeit Nährboden gibst und sie noch verstärkst! Und dann- „Bin ich verloren? Mal was ganz Neues. Ich setze eine Karte verdeckt und beende.“ Dann flüsterte sie missmutig: „Und wehe das klappt nicht! Normalerweise habe ich es gar nicht nötig, mir von irgendwem helfen zu lassen.“ Wäre dem so, wärst du jetzt nicht in dieser Lage. „Schnauze!“ Traurigerweise hatte Levrier nicht ganz Unrecht damit.   Jetzt kommt der komplizierte Teil, Anya Bauer. Ab hier bist du auf dich gestellt. Wenn ich richtig liege und du genug Geschick beweist, wirst du nicht durch deine [Axe of Fool] oder Alastairs Angriffen verlieren. Aber höre jetzt gut zu …   Als Levrier seine Ausführungen beendet hatte, musste sogar eine Anya Bauer anerkennend pfeifen. DAS war so genial, dass es gar nicht funktionieren konnte! Zumal sich alles um Alastairs Denkweise drehte. Und um diesen geheimnisvollen Engel Refiel, von dem diese ominöse Kraft ausging. Aber es war einen Versuch wert.   „Jetzt werde ich dich vernichten, Dämon!“, brüllte Alastair aufgebracht. Der wiederholte sich zu oft für Anyas Geschmack. Aber solle er nur in dem Glauben bleiben. „Draw!“ Plötzlich spürte sie etwas. Es war wie ein innerer Druck, der nur für einen kurzen Moment die Zeit hatte stehen lassen. Irgendetwas war geschehen. Er hat es getan, wie ich es vorhergesehen hatte.   „Sieh an“, lachte Alastair bitterböse. „Das Glück scheint auf meiner Seite zu stehen. Ich aktiviere die Schnellmagie [Mystical Space Typhoon] und zerstöre deine Lichtschwerter. Damit kannst du dich nicht länger hinter ihnen verstecken!“ Die grünen Schwerter rund um seine Monster zersprangen, als ein wilder Wirbelsturm um das Spielfeld fegte. Das war nicht die Karte, die er hätte ziehen müssen. Dahinter steckt das Einwirken von Refiels Kräften!   „Wer oder was ist dieses Refielding überhaupt? Es gibt keine Engel, oder?“ Ich weiß es nicht, ich bin noch nie einem begegnet. Was auch immer es ist, es ist mächtiger als ich es bin. Sei vorsichtig. Und nun tue, was ich dir gesagt habe!   Anya schluckte. Eigentlich sollte ihr das sehr leicht fallen, tat sie es doch andauernd. Aber auf Kommando war es etwas völlig anderes. So was musste Spaß machen, wenn man es tat. Sie schüttelte den Kopf. Nicht nachdenken, einfach machen! „Nun rüste ich [Vylon Material] an-“   Beeile dich!   „Hey Alastair“, rief sie dem Dämonenjäger verschwörerisch zu. „Soll es das etwa gewesen sein? Willst du mich jetzt mit [Vylon Ultima] zur Strecke bringen?“ „Genau das!“ Sie lachte laut, klang dabei aber ungewollt heiser. „Ich geb's zu, ich habe es verkackt. Aber das Tattoo an meinem Arm war es allemal wert. So etwas wirst du nie haben!“ Er schwieg einen Augenblick. „... nein. Allerdings nicht.“ „Mir hat der Dämon ein schönes Geschenk gemacht, weißt du? Schade, dass es letztlich so nutzlos war, aber hey, man kann eben nicht alles haben! Ich wette, dein Engel hat dir nicht so etwas Tolles gegeben!“ „Rede nicht so über den heiligen Refiel!“ „Heilig?“ Anya lachte spitz. „Guter Witz, Kumpel! Dein [Vylon Ultima] ist ja ganz nett und so, aber nichts Besonderes. Das Ding kriegt man doch an jeder Straßenecke hinterher geworfen! Du tust mir echt leid, weißt du? Hast 'nen Engel an deiner Seite, der dir nicht mal etwas zur Seite stellt, um uns bööööse böse Dämonen kalt zu machen.“ „Ich sagte, du sollst nicht so über Refiel reden!“, polterte Alastair außer sich vor Wut. „Ach? Was willst du schon dagegen tun, du armseliger Speichellecker? Woher soll ich wissen, dass es deinen Engel überhaupt gibt? Am Ende bist du doch nur ein Hochstapler mit ein paar Zaubertricks im Ärmel! Ich aber bin ein echter Dämon! Wenn dein toller Refiel existiert, dann beweise es!“ „… ungläubige Seele. Du willst einen Beweis? Den sollst du haben!“   Anya lachte innerlich in sich hinein. Himmel, war dieser Trottel doof! Levrier hatte tatsächlich recht mit seiner Annahme behalten. Dennoch wusste das Mädchen nicht, was sie jetzt erwarten würde. Es konnte immer noch genug schief gehen. Aber nein, das würde es nicht! Jemand wie sie verlor nicht einfach gegen so eine Knalltüte von Dämonenjäger!   „Ich flippe mein verdecktes Monster!“, sprach Alastair ungewöhnlich leise. „[Vylon Charger].“ Eine lange, metallische Säule mit Armen und goldenen Ringen entstieg der gesetzten Karte von Alastair und gestellte sich zu den zwei kleineren Vylons. Vylon Charger [ATK/1000 DEF/1000 (4)]   „Du willst einen Beweis für Refiels Existenz? Dann sollst du ihn haben! Spüre Gottes Zorn! Die Level 4 [Vylon Soldier], [Vylon Prism] und [Vylon Charger] werden zu einem Rang 4 Xyz-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network!“ „Gleich drei!?“, sprudelte es aus Anya heraus, als drei goldgelbe Strahlen von demselben schwarzen Wirbel absorbiert wurden, der zuvor schon ihren Pearl hervor gebracht hatte. „Werde Zeuge der göttlichen Kraft, die Refiel mir verliehen hat! Steige empor, [Vylon Disigma]!“ Und was nun aus der Raumverzerrung trat, konnte Anya nur als das hässlichste aller Vylon-Monster bezeichnen. Obwohl es von selber Struktur war, wirkte vollkommen anders als die anderen. Eine abscheuliche, grimmige Fratze zierte den schwarzen Körper des Wesens. Lange goldene Arme mit immer länger werdenden, schwarzen Klingen erstreckten sich von beiden Seiten bis zu den schwarzen Flammen. Drei weiße Sphären kreisten um die morbide Kreatur.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Ewwww“, tönte Anya angewidert. „Das ist das Geschenk deines Engels? Alter, den würd' ich auf Schadensersatz verklagen! Da wird man ja blind!“ „Spotte nur, heuchlerische Kreatur! Sieh her, wie [Vylon Disigma] das diabolische Geschenk deines Dämons vertilgt! Ich hänge ein Xyz-Material ab und aktiviere Disigmas Effekt! Absorbiere [Gem-Knight Pearl]!“ „Oh verdammte-!“ Das Maul der schwarzen Engelsmaschine öffnete sich und sog Anyas Ritter ein, als wäre er nichts weiter als Luft. Kaum war er verschwunden, leuchtete eine der Sphären um Disigma schwarz auf. „Nun stehst du völlig schutzlos da, niedere Kreatur des Bösen!“, feixte Alastair hysterisch. „Das geschieht, wenn man Gott und seine Diener verspottet!“ Der hat sie doch nicht mehr alle, dachte Anya. Aber ohne Monster sah es schlecht für sie aus. Zwar war die blöde Axt nun fort, doch ein einziger direkter Angriff würde genügen, um sie außer Gefecht zu setzen. Und dieser durfte nicht durch Disigma erfolgen, nicht in seiner jetzigen Form! „Wie ich sehe kann dieses hässliche Mistvieh doch was! Aber ehrlich gesagt ist es einfach nur schwach! [Vylon Ultima] hatte wenigstens hohe Angriffspunkte, aber dieses Ding? Ne, sorry, ich weigere mich, gegen so etwas zu verlieren! Wart nur ab!“ „Spottest du immer noch, Dämon? Bist du plötzlich so versessen darauf, vernichtet zu werden?“ „Na logo, die ganze Zeit schon!“ Sie stimmte nun einen ruhigen, versöhnlichen Tonfall an. Alles so, wie Levrier es wollte. „Im Ernst, ich weiß nicht, wie lange ich noch ich selbst bin. Mach dem ein Ende, okay? Der Dämon hat mich hereingelegt und in einen Vertrag gelockt! Bitte, du musst ihn vernichten!“ Sie flehte jetzt regelrecht. „Mit aller Kraft! Ich bitte dich, zerstöre uns beide! Aber lass zumindest meine Freunde gehen, die sind unschuldig! Der Dämon wollte nur mich!“ „Was sagst du da?“ Alastair klang skeptisch. „Willst du mich reinlegen, Dämon? Vergiss es!“ „Bitte! Ich … ich kann ihn nicht mehr lange zurückhalten! Meine letzteren Erinnerung ans Leben sollen die eines Menschen sein! Vernichte mich, schnell!“ „Bist du … wirklich du selbst?“ Immer noch hörte man seine Zweifel deutlich. „Nein, ich glaube dir nicht!“ „Du irrst dich! Ich bin ich, Anya Bauer! Aber … aber er wird stärker! Hilf mir! Rette mich … rette mich vor 'Another'!“ Plötzlich donnerte Alastairs Stimme aufgebracht: „Another? Ist- Ist er dort in dir?“ „Ja!“ Alastair atmete tief durch. „… Refiel hat sich geirrt. Er ist in dir … der, der meine Familie ausgelöscht und mich zu dieser grässlichen Abscheulichkeit gemacht hat! Ich werde ihn …“ „Hilf mir! Er spricht zu mir! Er will, dass ich dich töte! Du bist sein geschworener Erzfeind!“ „Ich werde ihn töten!“, schrie Alastair voller Inbrunst. „Er wird dafür bezahlen, was er uns angetan hat! Mit aller Kraft werde ich dich aus diesem Mädchen treiben und vernichten! Hörst du, Another? Du wirst sterben, nichts soll von dir übrig bleiben! Ich aktiviere meine beiden Ausrüstungsmagien, [Vylon Material]. Sie stärken Disigma um je 600 Angriffspunkte!“   Vylon Disigma [ATK/2500 → 3700 DEF/2100 {4}]   Aus den Armen des schwarzen Engels wuchsen zwei weitere Klingen, jedoch in goldener Fassung, aus weißem Metall. „Endlich ist der Augenblick gekommen, von dem ich so lange geträumt habe! Another … ich hasse dich! Spüre den ganzen Zorn der Engel und des allmächtigen Herren! [Vylon Disigma], rette dieses Mädchen und vernichte den Teufel in ihr! Sacred Black Obliteration!“ Das war es, dachte Anya erschrocken, als das unheimliche Wesen die Hände aufeinanderlegte und dann einen schwarzen Energiespeer aus der Fläche seiner linken zog. Wie in Zeitlupe beobachtete die Blondine, wie Disigma den Speer anhob und auf sie warf. In ihren blauen Augen spiegelte er sich, wie er immer näher kam. Dann folgte eine düstere Explosion, die Anyas gesamte Spielfeldseite erschütterte.   Aus genau dieser Explosion schoss wenige Augenblicke später ebenjener schwarze Pfeil, durchdrang erst Disigma und dann Ultima, ehe er hinter ihnen eine noch gewaltigere Explosion auslöste. Alastair schrie vor Schmerz auf. Die Rauchwolke um Anya verging, welche unversehrt da stand und eine Fallenkarte zwischen ihren Fingern hielt. „Trottel! Jeder Idiot hätte dieses Schmierentheater durchschaut. Blöd wie du warst, bist du genau in meine Falle gelaufen: [Dimension Wall]! Damit konnte ich deinen Angriff auf dich zurückwerfen. Und hättest du [Vylon Disigma] nicht vorher noch gestärkt und dazu Pearl aus dem Weg geräumt, hätte die Falle mich niemals retten können. Ich würde sagen: ausgelacht, Kumpel!“   [Anya: 300LP / Alastair: 3400LP → 0LP]   Die Trugbilder der Monster verschwanden. Doch während Ultima einfach nur weg war, löste Disigma sich in schwarzen Partikeln auf. Anya schenkte dem aber keine Beachtung. Sie nahm ihre Karten von der schwebenden Marmorplatte, die einen Moment später krachend auf den Boden fiel und dort zerschellte.   Die Kraft, die darin steckte, ist aufgebraucht. Anscheinend besteht zwischen diesen Apparaturen und Alastair eine Verbindung. Ich lag also richtig. Er war es, den ich an dem Tag gesehen habe, als ich dich zur Leiche dieses Jungen geführt habe.   Anya runzelte die Stirn. Sie hatte jetzt keinen Nerv für Levriers Gelaber. Noch immer brannte das schwarze Feuer um sie herum. Langsam durchschritt sie den Zirkel und hielt auf die Bühne zu. Dort lag Alastair am Boden, sein roter Ledermantel war an einigen Stellen zerfetzt und generell schien der Dämonenjäger nicht gerade in bester Verfassung zu sein. Anders als Abby und Nick, die noch immer bewusstlos an den Kreuzen hingen. Sie hatten alles scheinbar unbeschadet überstanden, abgesehen von Nicks Stichwunde am Oberschenkel. „Du verachtenswerte Kreatur“, presste er hustend hervor, als Anya vor ihm stand. Mit voller Wucht rammte sie ihm ihren Schuh in den Nacken. „Sagt genau der Richtige, du miese Made.“ Sie drückte fester zu, sodass er aufschrie. Dabei huschte ein bösartiges Grinsen über ihre Züge. „Und jetzt werden wir beide ganz viel Spaß haben. Es gibt da noch ein paar Dinge, die wir -ausdiskutieren- müssen, Freundchen.“ „Bedaure“, krächzte er. „Du hast Glück, dass ich nach einem Exorzismus, ob nun gelungen oder nicht, nicht mehr genug Kraft habe, um weiterzukämpfen. Aber ich schwöre dir, wir sehen uns wieder und dann wirst du teuer für das bezahlen, was du heute gesagt hast, Schlangenzunge.“ Unter seiner Handfläche schob er eine weiße Karte hervor, auf der nur ein sechskantiger, goldener Stern abgebildet war. Von diesem ging ein greller Lichtblitz aus, welcher Anya dazu brachte, sich abzuwenden. Und ehe sie sich versah, fiel ihr Fuß ins Leere. Alastair war verschwunden.   Er hat eine Teleportationstechnik angewandt. Mir scheint, als würde er seine Kräfte in Karten einschließen, die er je nach Bedarf abrufen kann. Vermutlich, weil er sie sonst nicht kontrollieren könnte.   „Das ist mir so was von Schnuppe! Wo ist der Kerl? Den-“ Abbys und Nicks Körper fielen dumpf polternd auf den Boden. Die Kreuze, die sie die ganze Zeit über festgehalten hatten, waren verschwunden. Und der Himmel, welchen man von dem riesigen, klaffenden Loch in der Decke sehen konnte, war wieder blau.   Sein Bannkreis hat sich aufgelöst. Aber wie es aussieht, sind alle äußeren Schäden, die innerhalb seines Gebietes zugefügt worden sind, nicht verschwunden. Wie ungewöhnlich, sind Bannkreise doch dazu gedacht, genau dies zu verhindern …   Anya hingegen interessierte sich nicht im Geringsten dafür, dass die halbe Aula in Trümmern lag. Sie kniete vor Abby und schüttelte sie unsanft. „Aufwachen, Masters! Penn hier nicht 'rum!“ Blinzelnd öffnete das Hippiemädchen die Augen. Ihre getönte Brille war verrutscht, sodass man in schöne, graue Augen sehen konnte. „Anya?“ „Na wer denn sonst? George W. Bush vielleicht?“ Immerhin verwechselte Abby sie nicht mit Xena. „Wo bin ich?“ Langsam rappelte sich die Brünette auf. „In der Aula? Oh, ohhhh! Was ist hier geschehen!? Das ist ja ein richtiges Schlachtfeld!“ „Lange Geschichte! Beknackter Dämonenjäger will mich umbringen, Geisterwesen hilft mir, Dämonenjäger scheitert und haut ab.“ „Dä- Dämonenjäger?“ Anya hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Was zur Hölle erzählte sie da überhaupt? Sie konnte Abby doch nichts von allem erzählen! Die würde sie glatt für verrückt halten … auch wenn es nur ein Traum war. Aber es ging ums Prinzip! „I-ich weiß nicht, wovon du sprichst, Anya?“ „Ich … auch nicht. Mein Fehler.“ „Erinnern tu ich mich nur noch daran, dass Nick weg war, als ich zurück zur Krankenstation gegangen bin. Und dann war da dieser Mann mit schwarzem Haar, der wollte mir suchen helfen. Danach … war ich hier.“ Anya klatschte sich die Hand gegen die Stirn. „Man Masters, bist du blöd? Jedes Kind weiß, dass man nicht mit vernarbten Fusselbirnen mitgeht!“ „Aber er hatte doch gar keine Narben?“ „Dann putze mal deine Brille! Der sah aus wie durchgekaut, ausgespuckt und liegen gelassen! … ist ja auch egal. Was ist mit dem hier?“ Sie deutete auf Nick, der bewusstlos neben ihnen lag. „Er blutet ja!“ „Das war Alastair. Hat ihm ein Messer in den Oberschenkel gerammt.“ Ungläubig runzelte Abby die Stirn. Dann sagte sie in aller Strenge: „Anya Bauer, du wirst mir jetzt genau erklären, was hier überhaupt los ist! Und wehe, du redest dich raus! Was ist mit dieser Dämonenjägergeschichte!?“ Anya schluckte. DAS würde übel für sie ausgehen …   ~-~-~   „Oooooooooh, icccccccch wusste es! Ich wusste, dass hier irgendwas faul ist. Die ganzen Vorfälle, dass Nick krank ist … Das ist das Werk von Dämonen!“ „Uh-huh“, gab Anya mechanisch von sich. Sie beide saßen am runden Esstisch der Familie Bauer. Anya hatte Abby nach und nach alles erzählt, nachdem diese sie aufs Schärfste genötigt und damit gedroht hatte, sie nie wieder die Hausaufgaben abschreiben zu lassen. „Und wie sieht dein Retter wirklich aus? Levrier?“ Dieser schwärmende Unterton missfiel Anya aufs Äußerste. „Keine Ahnung“, brummte sie. Konnte sie dann bitte auch mal aufwachen? Das war einfach zu demütigend. „Nenn ihn nicht Retter, klar? Er hat ein paar gute Tipps gegeben, mehr nicht. Ich hätte mich da auch so irgendwie herausgewunden!“ „Für mich klang das eher so, als ob du keine Ahnung hattest, was du da überhaupt getan hast“, erwiderte Abby spitz. „Aber … danke. Der hätte uns wirklich umgebracht, wenn du nicht gewesen wärst. Allein der Gedanke, dass sich jemand wie der in Livington herumtreibt … beängstigend … Wir sollten alles der Polizei schildern, allein wegen dem Mord an Jonathan!“ „Ja ja ja, mach was du willst. War sowieso ein Kinderspiel … Schade, dass er entkommen ist! Dem-“ Abby hielt ihr die flache Hand vors Gesicht. „Stopp! Du hast mir schon lang und breit erklärt, was du alles mit ihm gemacht hättest! Aber diese Karte …“ Sie deutete auf [Gem-Knight Pearl], welcher vor ihnen auf dem Tisch lag. „Bist du wirklich sicher, dass du die vorher nicht gehabt hast?“ Anya schüttelte vehement den Kopf. „Es gibt keinen [Gem-Knight Pearl], Masters! Das hätte ich gewusst!“ „Also ist das der Beweis, dass alles was Levrier gesagt hat stimmt. Unheimlich …“ „Ach so'n Quatsch! Bestimmt hat sich da nur jemand 'nen Scherz mit mir erlaubt.“ Wütend haute Abby auf den Tisch. „Sei doch nicht immer so ignorant, Anya! Hier gehen Dinge vor sich, die unseren Verstand überschreiten! Das muss doch selbst dir aufgefallen sein!“ Doch die Blondine zuckte nur desinteressiert mit den Schultern. „Wenn du meinst …“ „Ich finde, wir sollten versuchen, mehr über das alles herauszufinden.“ „Ohne mich!“, polterte Anya. Abby erwiderte genauso hitzig: „Wieso denn nicht?“ „Alter, Masters, wir wären beinahe krepiert. Und sterben ist scheiße, ich bin doch nicht lebensmüde! Am Ende haben wir es mit noch mehr Bekloppten zu tun!“ „Das kann genauso gut passieren, wenn wir nichts tun. Du hast doch selbst gesagt, dass dieser Alastair hinter dir her war! Und was, wenn er wiederkommt? Ich wäre an deiner Stelle gerne vorbereitet!“ Anya knirschte mit den Zähnen. Wie sie es hasste, wenn die beiden zu diskutieren anfingen. Immer zog sie dabei den Kürzeren. Deshalb schlug sie wütend mit den Fäusten auf den Tisch. „Nein, Schluss, Aus!“ „Warum!?“ „Weil ich das so sage, deshalb! Wenn du Nachforschungen anstellen willst, von mir aus! Aber ich halte mich da schön raus!“ Abby sprang auf. „Also manchmal bist du so … so … so! Argh! Schönen Tag noch, Anya!“ Wie ein Sommergewitter zog das sonst so ruhige Mädchen durch die Küche und schlug schließlich die Haustür hinter sich zu. Anya starrte ihr mindestens genauso wütend hinterher. Deine sozialen Fähigkeiten lassen zu wünschen übrig. Das Mädchen hat wahre Worte gesprochen und du verschließt dich vor ihnen.   „Ach halt doch den Mund, du … Geisterspacko!“ Anya stampfte durch die Küche zum Flur, nahm die Treppe und schloss sich anschließend in ihrem Zimmer ein. Frustriert von all den Vorkommnissen warf sie sich aufs Bett und wartete darauf, endlich aus diesem Albtraum zu erwachen. Und wartete … und wartete …     Turn 05 – Lessons Anya, Abby und Nick, welcher wieder völlig genesen ist, besuchen zusammen die Stadtbibliothek Livingtons. Doch ihre Nachforschungen bezüglich „Eden“ und Levrier bleiben ergebnislos. Als die Drei die Bibliothek verlassen, stellt sich ihnen ein junger Mann namens Henry in den Weg. Er provoziert die ohnehin schlecht gelaunte Anya so sehr, dass sie sich schließlich mit ihm duelliert. Umso hämischer geht sie mit ihm um, als er Karten einsetzt, die von der Allgemeinheit für gewöhnlich verspottet werden. Doch sie soll sich schnell irren, als er bereits in seinem zweiten Zug zwei mächtige Xyz-Monster beschwört … Kapitel 5: Turn 05 - Lessons ---------------------------- Turn 05 – Lessons     „Junge Dame, du wirst mir das jetzt auf der Stelle erklären“, verlangte Sheryl aufgebracht und hielt den Arm ihrer Tochter fest. „Was ist das?“ „Ein Tattoo, sieht man doch“, brummte Anya und überlegte schon, ihre Mutter aus ihrem Zimmer zu werfen. Was wohl aber nicht die beste Idee war, wenn man deren Gemütszustand recht betrachtete. „Und woher hast du diese Schmiererei?“ „Na aus'm Tattoo-Studio, woher sonst?“ Anya konnte ja schlecht behaupten, dass sie das Mal trug, weil sie mit einem unbekannten Wesen einen Pakt geschlossen hatte. Am Ende würde ihre Mutter sie noch in Victim's Sanctuary einliefern lassen.   Sheryl ließ den Arm des Mädchens los und betrachtete das schwarze Kreuz, durch welches ein dorniger Kreis ging. Von derartiger Körperkultur hielt sie ohnehin wenig, aber eine solche Geschmacksverirrung hätte sie selbst Anya nicht zugetraut. „Du wirst das entfernen lassen“, forderte Sheryl streng. „Und wer soll das bezahlen? Das ist teuer, Mum.“ „Dein Vater und ich! Und du wirst uns jeden Cent zurückzahlen, sobald du kannst. Haben wir uns verstanden?“ Doch ihre Tochter schüttelte abweisend den Kopf. „Nein Mum. Ich behalte das Teil. Is' cool.“ Fassungslos fasste sich Sheryl an die Stirn. Was hatte Anya sich bloß dabei gedacht? Hätte sie nicht wenigstens vorher Bescheid sagen können? Zwar war sie alt genug, selbst solche Entscheidungen zu treffen, aber dennoch! Es sah furchtbar aus! „Das Tattoo muss weg! Wenn dein späterer Arbeitgeber das sieht, schmeißt er dich achtkantig raus!“, beharrte sie auf ihrer Meinung. Anya verzog trotzig das Gesicht und rutschte auf ihrer Couch hin und her. „Dann suche ich mir 'nen Arbeitgeber, dem das nichts ausmacht!“ Es war aussichtslos. Ihre Tochter würde ohnehin nicht nachgeben, dachte Sheryl sich frustriert. Sie selbst musste erst einmal darüber nachdenken, wie man das Kind dazu bringen konnte, ein wenig Einsicht zu zeigen. Was bei jemandem wie Anya ein Kampf gegen Windmühlen war. „Wir reden später darüber. Ich muss gleich los. Was hast du vor, während ich weg bin? Doch sicherlich nicht noch so eine Dummheit, oder?“ „Mum, es ist Wochenende. Was soll ich denn groß anstellen?“ Sheryl verzog verbittert den Mund. „Ich bin gespannt, was dein Vater dazu sagen wird. Und die Sache mit der Schulaula ist auch noch nicht vom Tisch.“ „Ich hab doch schon gesagt, dass wir das nicht waren!“, begehrte Anya auf und sah sie vorwurfsvoll an. In ihren Augen konnte Sheryl erkennen, dass das Mädchen dieses Mal die Wahrheit sprach, aber es konnte nicht schaden, sie noch ein wenig im Dunklen tappen zu lassen. Was das anging, hatte sie mit ihrer Vermutung vor einigen Tagen tatsächlich recht behalten. Sie hatte einen Anruf von der Schule bekommen, nachdem Anya die letzten beiden Unterrichtsstunden ebenjener geschwänzt hatte. Schlimmer noch, sie hatte die arme Abby noch dazu animiert mitzumachen. Der richtige Schrecken kam aber erst, als der Direktor ihr erzählte, dass Anya, Abby und Nick gesehen wurden, wie sie die in Trümmern liegende Schulaula unbekümmert verlassen hätten. Ganz zu schweigen davon, dass Nick zu diesem Zeitpunkt ziemlich krank und dazu noch verletzt war. Zwar ging niemand – zumindest offiziell – davon aus, dass Anya etwas Derartiges wagen würde, denn das war selbst für ihre Verhältnisse zu extrem, aber von irgendwoher musste der Schaden schließlich stammen. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass Anyas Fehler sie teuer zu stehen kamen. „Was die finanziellen Schäden der Schule angeht, müssen wir weitersehen. Ich hoffe für dich, dass du die Wahrheit sagst, junge Dame. Und sei in Zukunft vorsichtig, du kannst dir keine Fehler mehr erlauben!“, mahnte sie ihre Tochter eindringlich, die nur trotzig das Gesicht verzog. Anya sprang schließlich auf. „Geh jetzt, Mum, bevor du noch zu spät kommst.“ Daraufhin umarmten die beiden einander, ehe Sheryl sich verabschiedete. „Versprich mir, dass du in Zukunft vernünftiger handelst, okay?“ Ihre Tochter gab ein Brummen von sich, das Zustimmung ausdrücken sollte. Schließlich verließ ihre Mutter das Zimmer.   Und kaum war jene aus dem Haus, schnappte Anya sich das Schnurlostelefon von ihrer Bettdecke und warf sich wieder auf die Couch gegenüber. Immer das Gleiche, dachte sie dabei. Wenn etwas passierte, war automatisch sie daran schuld! Und wie stellte sich ihre Mutter die Sache mit dem Mal vor? Gerne würde Anya es entfernen lassen, aber das war in dem Fall nicht drin. Nicht, seit sie mit Sicherheit wusste, dass das Ganze -kein- Traum war! Die gute Nachricht dabei war, dass sie doch noch alle Tassen im Schrank hatte. Die schlechte hingegen, dass sie trotzdem so gut wie verloren war … Die Blondine wählte Abbys Nummer und wartete, bis diese abhob. „Bei Masters. Abby am Apparat.“ Noch gelangweilter konnte ihre Freundin nicht klingen. „Ich“, brummte Anya, um auszudrücken, wer da am anderen Ende der Leitung war. „Ist Nick schon da?“ „Ja. Er spielt gerade mit Michael. Und … sie verstehen sich prima. Intellektuell meine ich.“ Anya stöhnte. Michael war Abbys erst acht Jahre alte Stiefbruder und in der Regel ziemlich anstrengend. Aber gut für Nick, so hatte er jetzt genau einen Freund mehr als sie selbst. Was, wenn sie es recht betrachtete, nicht geduldet werden konnte. Niemand war einer Anya Bauer in etwas voraus, es sei denn, sie wollte es so! „Treffen wir uns dann gleich?“ „Ja. Ich habe vorab schon ein bisschen im Internet geschaut und mir ein paar Titel notiert. Vielleicht steht in den Büchern irgendetwas Brauchbares drin. Wenn die Bibliothek sie hat, heißt es.“ Abby klang dabei nicht sehr optimistisch. Was vor allem daran lag, dass die Stadtbibliothek von Livington ziemlich klein war. Zumindest behauptete Abby das immer. „'kay. Dann bis nachher.“ „Bye.“ Anya drückte ihre rote Lieblingstaste und starrte das Telefon an. Warum hatte sie sich nochmal dazu breitschlagen lassen, bei der Suche nach Informationen rund um Levrier und Eden mitzumachen? Ach ja … weil sie sterben würde, wenn sie nicht bald einen Weg fanden, den Pakt aufzuheben!   Verwirrt blickte Anya sich um. Wieder befand sie sich in der tiefen Finsternis, stand dabei auf dem großen Mosaik der Erde, welches sich langsam drehte. Levrier verharrte, wie schon bei den Treffen zuvor, in Anyas Gestalt vor dieser und sah sie mit tiefer Besorgnis in den blauen Augen an. „Was willst du?“, zischte Anya. „Wir müssen reden. Es geht um unseren Pakt.“ Die Blondine zuckte mit den Schultern. „Und was soll damit sein?“ „Es gibt ein paar Dinge, die du wissen solltest. Allen voran: wir haben nicht viel Zeit.“ Verwundert zog Anya das Kinn an. „Soll heißen?“ „Die Ankunft Edens ist für den 11. November diesen Jahres vorgesehen. Wenn wir bis zu diesem Tag keinen Weg gefunden haben, Eden zu werden, ist unsere Chance für sehr lange Zeit verstrichen.“ „11. November? Das ist ja schon in zwei Monaten!“, erwiderte Anya aufgebracht. „Und verstehe ich das richtig? Du weißt gar nicht, wie man Eden 'wird'? Hattest du nicht sogar mal behauptet, du wüsstest nicht einmal, was Eden überhaupt ist?“ Levrier wich ihrem Blick aus. „Das ist korrekt. Ich kenne meine Bestimmung, doch nicht, wie ich sie erfüllen kann oder warum ich das muss. Aber ich weiß, dass wenn wir bis zu besagtem Tag keine Lösung gefunden haben, die Konsequenzen schrecklich sein werden. Zumindest für dich.“ Anya verschränkte die Arme und mahlte vor Wut regelrecht mit dem Kiefer. Herausfordernd erwiderte sie: „Alter, was soll das heißen?“ „Du wirst an diesem Tag den Tod finden, wenn wir nicht zu Eden werden. Ich hingegen werde weiterexistieren und mir ein neues Gefäß suchen müssen.“ „Und das sagst du mir erst jetzt!?“ Anya wollte auf Levrier zu stürmen und ihn packen, doch fiel in ihrem Lauf einfach durch ihn hindurch. Stolpernd kam sie hinter ihm zum Stehen. „Du hast nicht nach den Bedingungen unseres Pakts gefragt, als du ihn abgeschlossen hast“, reagierte Levrier gleichgültig und drehte sich zu ihr um. Anya schnaubte regelrecht vor Wut. „Und woher willst du überhaupt wissen, ob ich krepieren werde?“ „Weil ich in der Vergangenheit schon einmal versagt habe. Sei dir im Klaren darüber, dass ich ein uraltes Wesen bin, dass bereits seit mehreren hundert Jahren auf diesem Planeten wandelt. Wir dürfen dieses Mal nicht versagen, denn ich bezweifele, dass die Erde noch existieren wird, wenn die nächste Gelegenheit für Edens Ankunft herangerückt ist. Und Edens Ankunft ist an diesen Planeten gebunden.“ „Was ist überhaupt so toll an Eden?“, brauste Anya auf. „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du etwas werden willst, von dem du gar nicht weißt, was es überhaupt sein soll!“ Levrier schloss die Augen. „Es fühlt sich an, als gab es eine Zeit, in der ich wusste, warum ich Eden werden muss. Aber sie scheint so fern, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie je existiert hat. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals ein anderes Ziel gehabt zu haben, als Eden zu werden. Und deswegen werde ich diese Chance nutzen!“ Die illusionäre Anya sah das Original entschlossen an. Dieses jedoch kratzte sich am Kopf und schüttelte ebendiesen. „Kumpel, ich hab keine Peilung, ob ich dir da helfen kann. Abzunippeln klingt scheiße, aber dass ich mit dir zusammen zu irgendsonem Ding werden soll, hört sich auch nicht gerade besser an.“ „Das hättest du wissen müssen, als du den Pakt mit mir eingegangen bist. Nun ist es zu spät, denn wer einmal mit mir einen Pakt schließt und sich bereiterklärt, mein Gefäß zu werden, kann nie wieder zurück. Solche Verträge sind nicht so leicht aufzulösen und hätten in einem solchen Fall schwere Konsequenzen für beide Parteien.“ Anya stöhnte. „Alter, mir platzt gleich der Schädel! Heißt das, ich bin verloren?“ „Wenn du es so ausdrücken möchtest? Ja. Gewissermaßen. Aber wer weiß, vielleicht stellt es sich heraus, dass Eden zu werden auch für dich von Vorteil ist?“ „Wohl kaum …“ Plötzlich schwiegen die beiden sich an. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Schließlich sagte Levrier: „Ich muss mich noch bei dir entschuldigen, Anya Bauer.“ Das Mädchen sah auf. „Häh? Wofür denn? Dass du mich um die Ecke bringen willst mit deiner irren Paktkacke?“ „Dafür auch. Doch ebenso für meine Täuschungen.“ „Wovon redest du jetzt schon wieder!?“ „Ich habe behauptet, verantwortlich für die Gewaltausbrüche deiner Teammitglieder zu sein. Doch in der Tat weiß ich nicht, ob wirklich mein Einwirken dafür verantwortlich gewesen ist. Ich habe meine Präsenz auf deine Kameraden wirken lassen, doch sie haben nicht getan, was ich ursprünglich beabsichtigt hatte.“ Anya verzog angewidert das Gesicht. „Ich will gar nicht wissen, -was- du beabsichtigt hast!“ „Es ist in der Tat ein seltsames Phänomen gewesen, welches mir noch nie begegnet ist. Allerdings ist das auch nicht weiter von Belang, denn da ich keine andere übernatürliche Präsenz bemerkt habe, ist das Wirken fremder Mächte auszuschließen. Und da wäre noch etwas.“ „Jetzt kommt's …“ Levrier schüttelte den Kopf. „Ich habe dich getäuscht. Unser Duell … es war meine Absicht gewesen, zu verlieren. Nur so konnte ich mich in dir verankern, denn hättest du verloren, wäre unsere Verbindung zueinander abgerissen, weil meine Kraft sie ausgelöscht hätte.“ Tonlos fügte er hinzu: „Ich entschuldige mich dafür.“ Anya biss sich auf die Lippen und ballte eine Faust. Dann schrie sie: „Du bist doch vollkommen kacke im Hirn, kann das sein? Was bildest ...“   Anya runzelte die Stirn. Dieser Drecksack hatte sie von Anfang an nach Strich und Faden verarscht. Und das Schlimmste dabei war noch, dass er nicht ein einziges Mal wirklich gelogen hatte. Stattdessen hatte er sie wie eine Marionette das tun lassen, was er wollte. Wie sie es hasste, wenn man sie manipulierte! Und jetzt waren ihre Tage im wahrsten Sinne des Wortes gezählt! Wenn Levrier jemals eine greifbare Form haben würde, dann, so schwor sich Anya, würde sie diese zu Brei verarbeiten. Pakt hin oder her! Sie stöhnte genervt und entschloss sich, dass es an der Zeit war, die Bibliothek aufzusuchen.   ~-~-~   Ihre Freunde warteten bereits vor dem Eingang auf sie. Die Bibliothek von Livington befand sich an einer Ecke der Hauptstraße, mitten an der großen Kreuzung. Wüsste man nicht genau, wovor man steht, würde man sie vermutlich gar nicht als Bibliothek erkennen. Das orange gestrichene Gebäude hatte lediglich ein kleines Schild über der massiven Holztür hängen, auf dem in abgeblätterten schwarzen Lettern „Library“ stand. Ein Indiz, wie wichtig der Stadtleitung das zunehmend verfallende Gebäude war. „Anya, hier bin ich!“, strahlte Nick und winkte. Dabei stand das Mädchen bereits direkt vor den beiden. Mittlerweile hatte er sich von der mysteriösen Lebensmittelvergiftung sowie der Stichwunde an seinem Bein weitestgehend erholt und war wieder bei bester Gesundheit – körperlich zumindest. „Ich seh's“, kommentierte Anya die Idiotie ihres Freundes trocken. „Gehen wir rein?“, fragte Abby voller Vorfreude. „Ich kann's kaum erwarten, etwas über Eden herauszufinden!“ „Und ich erst“, erwiderte Anya sarkastisch.   Dazu musste man wissen, dass sie ihren Freunden nicht alles über die Konsequenzen ihres Paktes mit Levrier erzählt. Sie wussten, dass Anya bis zum 11. November dieses Jahres zu Eden werden musste, aber nicht, was geschah, wenn sie dabei scheiterte. Sie wollte kein Mitleid von den beiden, denn sie hasste Mitleid wie die Pest. In neun von zehn Fällen war es sowieso nur geheuchelt. Außerdem war alles halb so wild, ihr würde beizeiten schon etwas einfallen. „Ich habe, bevor ich losgegangen bin, hier angerufen und gefragt, ob sie die Bücher haben, die ich mir vermerkt hatte.“ Abby war jetzt so gut gelaunt, dass Anya glaubte, von ihrem Lächeln Karies zu bekommen. „Haben die hier auch Comics?“, fragte Nick begeistert. Abby verdrehte die Augen, Anya stöhnte genervt. Letztere fragte: „Und?“ „Die meisten Bücher haben sie nicht. Aber eines mit dem Titel 'Thirty Legends – The Whole Truth'.“ „Das soll wohl'n Scherz sein, oder?“ Anya wusste nicht, ob Abby jetzt genauso durchgeknallt war wie Nick, oder es tatsächlich ernst meinte. Es sah jedoch ganz nach Letzterem aus. „Ich weiß, der Titel ist bescheuert, aber-“ Anya schüttelte verärgert den Kopf. „Abby, der Titel ist nicht nur bescheuert, der ist absolut durchgeknallt! Das hört sich an, als hätte das irgend'n Übernerd mit Hirnabstinenz geschrieben!“ Die Widersprüchlichkeit ihrer Aussage bemerkte das Mädchen dabei natürlich nicht. „Hey, in den Auszügen, die ich einsehen konnte, schien mir der Autor sehr kompetent zu sein!“ „Und wie heißt er?“, fragte Anya bissig. „H.P. Craftlove?“ Abby zog einen Schmollmund. „Lovecraft, er heißt Lovecraft, Anya! Und nein. Aber sieh es dir doch erstmal an, bevor du darüber urteilst!“ „Das kann ja heiter werden“, stöhnte die Blondine. Ihre Laune war bereits so tief im Keller, dass sie die Totenruhe störte. Sollte ihr Schicksal am Ende in den Händen von irgendwelchen Spinnern liegen, die so taten, als wären sie allwissend? Nein danke, ging es ihr da durch den Kopf. „Und was ist jetzt mit den Comics?“, quengelte Nick.   Den hoch gewachsenen Quälgeist ignorierend, betrat Abby, gefolgt von Anya und Nick, die Bibliothek. Gleich rechts von der Tür stand ein alter Holztresen, auf dem ein PC Marke Asbach Uralt stand. Hinter ihm schlief auf einem antik anmutenden Schaukelstuhl eine ältere Frau, deren braunes, zu einem Dutt geschnürtes Haar schon an manchen Stellen ergraute. Abby räusperte sich vorsichtig, doch die Dame reagierte nicht. Also klopfte Anya mit der flachen Hand auf den Tresen. „Aufwachen, Kundschaft!“ Augenblicklich schreckte das alte Fossil auf, was Anya diebisches Vergnügen bereitete. Die Frau schenkte der Gruppe aus dicken Brillengläsern einen finsteren Blick. Dann hellte sich ihre Miene plötzlich auf. „Abby! Ich hab schon auf dich gewartet!“ „Hallo, Mrs. Wilson! Haben Sie es gefunden?“ „Oh? Ja, natürlich.“ Sie holte etwas unter dem Tresen hervor und drückte es Abby in Hände. Es war ein alter Wälzer mit braunem Ledereinband. „So wie das Teil aussieht, wurde es bestimmt seit hundert Jahren nicht mehr angerührt“, sagte Anya abfällig. Im Gedanken fügte sie hinzu: so, wie seit hundert Jahren außer Abby keiner mehr diese beschissene Bibliothek besucht hat. Wieder erntete sie dafür einen bösen Blick von Mrs. Wilson und reagierte darauf mit dem Stinkefinger, was der Frau einen entrüsteten Seufzer entlockte.   Schließlich begaben die Drei sich nach einer kurzen Unterhaltung über Mythen und Sagen an einen der Tische zwischen den Regalreihen. Unnötig zu erwähnen, dass Anya und Nick sich nicht an dem Gespräch beteiligt hatten. Letzterer war zu enttäuscht, dass es hier weder Comics noch Mangas gab. „Ich geh' mal nach schmutzigen Heftchen suchen, vielleicht gibt’s wenigstens die hier“, meinte er frustriert und ließ die beiden Mädchen allein zurück. „Wenn er nicht gerade irgendwelche Erotikschinken findet, wird das heute wohl kein sehr angenehmer Tag für ihn werden“, meinte Abby mitleidig und setzte sich in einen der gemütlichen, wenn auch leicht verstaubten Sessel. Anya nahm neben ihr Platz. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass er die überhaupt als solche identifizieren würde. Ich meine, das ist Nick! Kann der überhaupt lesen?“ „Auch wieder wahr“, seufzte Abby. „Wenigstens haben wir jetzt erstmal unsere Ruhe.“ Denn wenn sich Anya konzentrieren wollte, was selten genug vorkam, brauchte sie keinen Trottel, der dauernd dazwischen quatschte. Abby knipste die alte Bankerleuchte direkt vor ihnen an. „Immerhin haben die hier schon Strom“, meinte Anya abfällig, „ich hatte ja fast damit gerechnet, dass die hier noch Öllampen benutzen.“ „Wenn man noch nie in der Bibliothek war, kann das einen ganz schön überraschen, oder?“ Anya nickte nur und bemerkte den Spott gar nicht, den Abby ihr entgegen warf. „So, dann lass uns mal sehen.“ Abby legte das Buch zwischen den beiden Mädchen auf den Tisch und öffnete es derart ehrfürchtig, dass Anya die Galle hochkam. Wem machte es denn Spaß, solche alten Schinken zu lesen? Vor dem Fernseher zu sitzen war doch viel bequemer! „Hmm, Eden, Eden, Eden …“, murmelte der brünette Pseudohippie vor sich hin und blätterte im Inhaltsverzeichnis. „Ich hab auf der Homepages des Autors einen Auszug gelesen, in dem auch Eden vorkam. Dort wurde es, anders als sonst, nicht als Paradies Gottes bezeichnet, sondern als heilige Stadt. Bewohnt von mystischen Wesen. Ich dachte, vielleicht finden wir hier auch etwas zu Levrier.“ Anya sah auf und guckte Abby ungläubig an, die dies erst gar nicht bemerkte, so versunken war sie in dem Schmöker. Als sie schließlich nichtsahnend aufblickte, meinte Anya barsch: „Masters, hast du dir gerade selbst zugehört? Ich meine, eine Stadt? Ich soll zu einer Stadt werden?“ Verlegen lachte ihre Freundin und rückte die getönte Brille auf ihrer Nase zurecht. „Ja, das klingt etwas weit hergeholt, aber es ist momentan alles, was wir haben. Und nenn' mich nicht immer beim Nachnamen, ich mag das nicht!“ Anya stellte sich bildlich vor, wie aus ihr Häuser und Türme wuchsen. Und genau deshalb dachte sie so ungern nach, denn immer wenn sie es tat, entstanden unschöne Szenarien in ihrem Kopf. „Da haben wir es“, rief Abby schließlich. Anya beugte sich über das Kapitel zur 'Verborgenen Stadt der Allerheiligsten – Eden' und musste wiehernd auflachen. „Ich werd' ne Heilige, geil!“ „Sei leise, man schreit nicht in einer Bibliothek!“ „Wen juckt's, ist doch außer uns eh niemand hier?“ Anya zog eine Grimasse und verschränkte beleidigt die Arme. Abby konnte man es aber auch nie recht machen. „Also, hier steht, dass irgendwo in unserer Welt eine Stadt existiert, die Heimat von Wesen ist, die Allerheiligste genannt werden. Das sind im Grunde … unsterbliche Menschen, so wie ich das sehe. Sie haben irgendwann abseits vom Rest der Zivilisation einen Ort geschaffen, der weder per Land, Luft noch Meer zu erreichen sein soll.“ Nachdenklich sah Abby auf. „Klingt zwar ganz nett, aber die Stadt müsste ja dann schon existieren.“ „Sag ich doch“, brummte Anya. Und wieso sollte sie zu etwas werden, das es ohnehin schon gab? „Dieses Buch ist scheiße! Woher will der Kerl das überhaupt wissen?“ „Weil er einst jemanden getroffen hat, der ihm davon berichtete. Wohl ein Verbannter aus Eden. Aber da steht nichts von Dämonen oder Engeln, die Menschen als Wirt benutzen. Auch nichts Weiteres über die Entstehungsgeschichte von Eden.“ „Ich glaube, das war ein Schuss in den Ofen. Leg den Dreck weg und lass uns gehen, ehe ich noch 'ne Stauballergie bekomme!“ Abby nickte. Sie musste selbst zugeben, dass der Inhalt dieses Buches fragwürdig war. Dennoch wollte sie es nicht so schnell dabei belassen. Sie blätterte zurück zum Inhaltsverzeichnis. „Was suchst du jetzt?“, fragte Anya skeptisch. „Dämonen, Engel und Pakte … vielleicht steht da etwas, was man mit Levrier in Verbindung bringen könnte.“   Warum ist dieses Kind so versessen darauf, mehr über meine Ursprünge zu erfahren? Anya hatte schon befürchtet, dass -der- sich irgendwann melden würde. „Weil du es uns nicht sagst, du Knallkopf“, zischte sie zwischen ihren Zähnen. Sofort schreckte Abby auf. „Spricht er zu dir? Sag ihm hi von mir!“ „Er kann dich auch so hören …“ „Oh? Oh! Hi, Levrier!“ Bedauerlich, dass sie als Gefäß ungeeignet ist. Sie wirkt viel intelligenter und aufgeschlossener als du.   „Halt den Rand“, fauchte Anya. Als sie den entsetzten Blick ihrer Freundin bemerkte, fügte sie verstimmt hinzu: „Nicht du, er!“ „O-oh. Klar. Also, wo war ich gerade …“ „Du warst dabei zuzusehen, wie ich hier elendig verrotte.“ „Anya, Recherchen erfordern Geduld! Du kannst nicht erwarten, dass dir alles sofort in die Hände fällt! Hier ist es anders, als wenn man einfach ins Internet geht und sich mit Wikipedia-Artikeln zudröhnt!“ Anya gähnte demonstrativ. Die stickige Luft und das spärliche Licht machten sie irgendwie müde. „Wir machen weiter!“, entschied Abby.   ~-~-~   „Wachsen Anya jetzt Hörner?“ „Nein, du Idiot!“ Die Noch-Hornlose verpasste Nick eine deftige Kopfnuss. Verdammt nochmal, sie war weder die Inkarnation eines gefallenen Engels, eine beknackte Wunderstadt noch das verflixte Paradies! Sie war … planlos. „Zugegeben“, meinte Abby kleinlaut, als sie zusammen die Bibliothek verließen, „die Mehrzahl unserer Treffer war … ein wenig lächerlich, ja. Aber was wir über Pakte mit Dämonen herausgefunden haben, klingt sehr interessant. Gerade weil die verschiedenen Beschreibungen sich bis auf einige Details decken.“ Anya blieb am Straßenrand stehen und runzelte die Stirn. „So wie dieser eine Schinken, in dem stand, dass ich meinen erstgeborenen Jungen an den Dämon abtreten muss?“ „Kann Anya denn überhaupt Kinder kriegen? Ist sie eigentlich ein Mann oder eine Frau?“, fragte Nick, wurde am Kragen gepackt und wäre mitten in den belebten Verkehr geworfen worden, hätte Abby ihn nicht rechtzeitig festgehalten. Wobei diese zugeben musste, dass Nick im Prinzip recht hatte, Anya gab sich nicht gerade weiblich. Allein ihre Kleidung, die sämtliche Kurven versteckte und immer irgendwelche Totenköpfe und feindseligen Sprüche enthielt, war genug um so manchen schon bei ihrem bloßen Anblick abzuschrecken. „Hast du Todessehnsucht!?“, herrschte Anya Nick wutentbrannt an.   Da tippte plötzlich jemand auf ihre Schulter. Die Blondine wirbelte um und sah in das Antlitz eines hübschen jungen Mannes, den sie noch nie gesehen hatte. „Was willst du denn, Milchbubi?“, fragte sie barsch. Der brünette Kerl trug ein schlichtes, babyblaues Poloshirt und Jeans, die eindeutig zu lange getragen waren, denn besonders an ihrem Saum wurden sie deutlich von Schmutz heimgesucht. Dafür hatte sein stoppeliges Gesicht ein freundliches Lächeln, das von kleinen Grübchen in den Wangen verziert wurde. Die eisblauen Pupillen stellten sogar die Schönheit von Anyas Augen in den Schatten. Der Fremde reichte ihr einen Zettel. Anya riss ihm diesen nach kurzem Zögern unwirsch aus der Hand. „Was ist das? Ich kaufe nichts von Pennern!“ „Kennt ihr diese Frau auf dem Bild? Habt ihr sie vielleicht gesehen?“ Anya sah sich das Bild an, Nick und Abby beugten sich über ihre Schultern. Zu sehen war ein Schwarzweißbild einer Frau Anfang 30. Genau wie der junge Mann hatte sie recht kurzes, vermutlich braunes Haar und lächelte in ihrem grauen Kostüm. Es schien ein Ausschnitt eines Familienbilds zu sein, denn sie saß auf einem Stuhl. Hinter ihr stand ein Mann in schwarzem Anzug, doch seine obere Körperhälfte war aus dem Bild herausgeschnitten worden. „Wer ist das?“, fragte Abby neugierig. Sie musterte den Suchenden und wurde einfach nicht das Gefühl los, ihn schon irgendwo einmal gesehen zu haben. Ähnlich erging es auch Anya. Sie jedoch vermutete allerdings, dass sie diesem Kerl bestimmt schon mal eins übergezogen hatte. Leute wie der nervten sie tierisch. „Meine Schwester“, antwortete er. „Ich bin Henry. Habt ihr sie gesehen? Sie muss irgendwo hier in der Stadt sein.“ „Geh zu den Bullen und lass uns mit dem Scheiß zufrieden“, sagte Anya abfällig, drückte ihm den Wisch zurück in die Hände und wandte sich schon zum Gehen um. Doch da wurde ihr Arm plötzlich gepackt. „Aber-“ Mit einem Ruck drehte sie Henry den eigenen Arm auf den Rücken und rang ihn mühelos zu Boden. Stöhnend rief er: „Aua, hey, lass los, was soll-“ „Alter, wer mich von hinten anfasst, muss mit so was rechnen! Wenn du mich noch mal angrabscht, kann deine Familie gleich noch so'n Bildchen von dir verteilen, 'kay!?“ „Schon gut, schon gut, tut mir leid“, ächzte er und wurde schließlich freigelassen. Mit gequälter Mimik erhob er sich und rieb sein Handgelenk. „Man, für ein Mädchen bist du aber ganz schön krass drauf.“ „Und für 'nen Jungen bist du ein ganz schönes Weichei.“ Er musste verschwörerisch grinsen. „Stimmt. Aber ihr habt mir meine Frage nicht beantwortet. Habt ihr sie gesehen?“ Abby schüttelte den Kopf und legte die Hände ineinander gefaltet auf ihren Schoß. „Leider nein. Wie heißt sie denn?“ „Melinda.“ „A-“ Doch Anya unterbrach ihre Freundin barsch. „Da hörst du es, 'Henry', wir haben sie nicht gesehen. Schönen Tag noch!“ „Warte bitte! Woher … hast du dieses Tattoo an deinem Arm?“, fragte er ohne Vorwarnung neugierig. Anya betrachtete das Mal und sagte: „Von einem Dä-“ Schon hatte sie Nicks und Abbys Hand vor dem Mund, während Letztere für sie antwortete. „Von einem verdammt guten Tattoo-Studio, hier in der Stadt. Magst du auch so eins haben?“   „Nein“, erwiderte Henry plötzlich kühl. „Aber ich würde gerne mal mit euer Freundin reden. Allein, versteht ihr?“ Angewidert von Nicks ungewaschener Hand riss Anya sich schließlich los und starrte ihr Gegenüber finster an. „Und wenn ich nicht will? Du gehst mir auf die Eierstöcke, Kumpel!“ „Es ist wichtig. Ich werde dich nicht eher in Ruhe lassen, bis du mir nicht a-“ „Hackt's bei dir? Bist du so 'ne Art Psychostalker?“, brauste Anya auf. „Verzieh dich, oder ich mach dir Beine!“ Nur, um sie im Anschluss zu brechen … „Nein!“ In den Augen des jungen Mannes brannte unantastbare Entschlossenheit. „Na gut, du wolltest es ja so!“ Ehe Anya auf ihn zu stürmen konnte, packten Abby und Nick sie an den erhobenen Armen und hielten sie fest. „Nicht, Anya! Du kannst dich doch nicht mitten am Tag auf offener Straße schlagen!“ „Und wie ich das kann! Lass mich los, Masters!“ „Hehe, Anyas Arme sind ja dicker als meine. Ich will auch Anabolika.“ Schon hatte Nick wieder den Zorn des Mädchens auf sich gezogen, das gar nicht mehr wusste, wem sie zuerst den Hals umdrehen sollte.   Indes verschränkte Henry die Arme und schien nachzudenken. Schließlich rief er: „Hey, Terminatrix, wieso hast du solchen Schiss vor mir?“ „Wie bitte!? Dich skalpiere ich und benutze dein Haar als Klopapier! Schiss? Ich? Anya Bauer kennt keinen Schiss, du-“ Verschmitzt grinste der junge Mann und zuckte mit den Schultern. „Ach so? Und warum willst du dann nicht mit mir reden? Hast du 'Angst', ich reiß dir den Kopf ab?“ Abby und Nick hatten sichtlich Mühe, ihre Freundin festzuhalten, war die mittlerweile in einer Phase, die ihre früheren Opfer auch gerne Armageddon genannt hatten. Am Boden verstreute Zähne und gebrochene Knochen waren meist der Vorbote dieser Katastrophe. Denn dann hatte sich Anyas Kopf auf Autopilot umgestellt und jeder wusste bekanntlich, was dann geschah. „Muss … töten …“ „Von mir aus. Aber erst nachdem wir uns ausgetauscht haben.“ „JETZT!“ Henry stöhnte. „Hat man dich als Kind zu heiß gebadet? Hmm … ich mache dir einen Vorschlag. Wir klären das mit einem Duell. Wenn du gewinnst, kannst du mit mir machen was du willst.“ Nick grinste. „Wirklich alles?“ Unnötig zu erwähnen, dass niemand näher darauf eingehen wollte. „Wenn ich aber gewinne, wirst du mir jede Frage beantworten, die ich dir stelle. Steht der Deal?“ „Nein! Wenn ich mit dir fertig bin, passt du durch den Türschlitz, du Knallkopf!“ „Also hast du Angst zu verlieren? Na ja, kann ich irgendwo auch verstehen. Wenn du dich so duellierst, wie du dich artikulierst, dann gute Nacht.“ Henry lachte abfällig. Anya schnaubte wie ein Stier. „Ach ja!? Alter, mit dir wisch' ich doch den Boden! Wenn sie dich dann zu Mami bringen, brauchst du in Zukunft für Halloween kein Kostüm mehr!“ „Dann stimmst du zu?“ „Natürlich stimm' ich zu!“ Abby seufzte. Es war doch jedes Mal das Gleiche. Merkte Anya denn gar nicht, wie sie nach anderer Leute Pfeife tanzte?   Wenige Minuten später standen sich die beiden sich auf dem Bürgersteig gegenüber. Abby kramte die Duel Disk aus ihrem Rucksack, in dem auch ein paar ausgeliehene Bücher lagen und reichte sie schließlich Henry. „Danke. Leider habe ich keine eigene Duel Disk dabei. Ich hoffe, das macht dir nichts aus?“ „Schon gut“, lächelte Abby, die den jungen Mann eigentlich ganz nett fand. Wenn er nicht gerade Anya provozierte, war er sehr freundlich. „Zu teilen ist schließlich eine Tugend.“ Er strahlte sie an, sodass das Mädchen verzückte zu Anya und Nick zurück hüpfte. Die Blondine ihrerseits mahlte mit den Kiefern, als stelle sie sich vor, wie sie damit Henry das Fleisch von den Knochen riss. „Können wir dann anfangen!?“, herrschte sie ihren Gegner an. „Klar doch.“ Er schob noch sein Deck in Abbys schwarze Duel Disk – ein Überbleibsel ihrer Gothic-Phase – und schon riefen die Kontrahenten: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP]   „Macht es dir etwas aus, wenn ich anfange?“ Anya wollte dies bejahen, doch da zwickte Abby ihr verspielt in die Hüfte. „Masters! Was habe ich dir neulich erst beigebracht!? Nicht-von-hinten!“ „Da gibt’s auch gar kein Kindergeld“, gluckste Nick und bekam Anyas Ellbogen in die Rippen. Was eher weniger daran lag, dass es in den USA so etwas wie Kindergeld gar nicht gab. „Okay, dann ist es jetzt mein Zug!“, nutze Henry die Gunst der Stunde und zog zu seinem Startblatt eine sechste Karte. Kurz studierte er seine Hand, dann rief er: „Den Einstand macht [Don Turtle]! Wenn er beschworen wird, kann ich weitere [Don Turtles] von meiner Hand beschwören. Doch da sind bedauerlicherweise keine.“ Ein gelber Schildkrötenpanzer tauchte vor ihm auf. Leuchtende Augen verbargen sich in seinem Inneren und man konnte nur ahnen, was sich da in dieser Hülle versteckte.   Don Turtle [ATK/1100 DEF/1200 (3)]   „Huh?“ Anya blinzelte verdutzt. „Wer spielt denn dieses Kackvieh? Hast du kein Geld für bessere Karten?“ Henry überging ihre Beleidigung und nahm drei Karten aus seinem Blatt hervor. „Diese hier setze ich alle verdeckt. Mein Zug wäre dann auch beendet.“ Mit dem Kartenrücken nach oben erschien die Reihe jener drei Zauber oder Fallen vor seinen Füßen.   „Wenn da genauso'n Mist liegt wie dein Monster, ist das Duell schneller vorbei als du 'Gnade' schreien kannst, wenn ich dir anschließend unsere Klobürste in den Hals stecke! Draw!“ Abby flüsterte zu Nick: „Ihre Gewaltfantasien werden aber auch immer extremer. Was haben ihre Eltern nur mit ihr falsch gemacht?“ „Hehe, sie haben sie auf die Welt gebracht.“ „Nick, das war heute das erste Mal, dass du etwas halbwegs Kluges von dir gegeben hast“, meinte Abby anerkennend, auch wenn sie sich schämte, so über ihre Freundin zu reden. Aber die war ohnehin in ihrem berühmt-berüchtigten Zerstörungswahn und bekam kaum etwas von den Dingen mit, die hinter ihrem Rücken geschahen. „Jetzt zeig ich dir mal, wie richtig coole Monster aussehen!“, rief Anya selbstverliebt. „[Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Sapphire]! Tourmaline, du bist das Herz, Sapphire, du die Rüstung!“ Die Abbilder der Karten wurden in einen Edelsteinwirbel gezogen, der sich über Anya auftat. Aus ihm heraus trat unter Blitz und Donner ein völlig neuer Ritter in goldener Rüstung. Mit wehendem blauem Umhang hielt er zwei Schwerter in den Händen, deren Klingen richtige Blitze waren. Auf seiner Brust prangerte ein bräunlicher Topas. „[Gem-Knight Topaz]!“, betitelte Anya ihn auch genau danach.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   „Sieht für ein Fusionsmonster aber ziemlich unscheinbar aus“, meinte Henry unbeeindruckt. „Weil du keine Ahnung hast, du Dumpfralle!“, erwiderte Anya und zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Jetzt rüste ich Topaz mit [Fusion Weapon] aus. Fusionen der Stufe 6 oder weniger erhalten durch sie ganze 1500 Angriffs- und Verteidigungspunkte!“ Eine der Klingen verschwand aus Topaz' Hand, welche sich plötzlich verformte und zu einem Elektroschocker wurde.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 → 3300 DEF/1800 → 3300 (6)] „Okay. Jetzt sieht die Sache schon etwas anders aus“, musste Henry kleinlaut zugeben. „Alter, die 'Sache' ist gleich vorbei! Los Topaz, Thunder Strike First!“ Anyas Krieger schoss auf den Schildkrötenpanzer ihres Gegners zu und wollte ihn gerade zerschlagen, als zwei von Henrys Fallenkarten aufsprangen. „Bevor du das tust, aktiviere ich [Next To Be Lost]! Damit wähle ich eines meiner Monster und lege ein gleichnamiges Exemplar von meinem Deck auf den Friedhof!“ Er zog eine [Don Turtle]-Karte hervor und schob sie in den Friedhofsschacht von Abbys Duel Disk. „Diese Viecher würde ich auch loswerden wollen“, höhnte Anya. „Und wenn wir schon dabei sind, kannst du diese nutzlose Falle gleich mit entsorgen! Hast du überhaupt eine gute Karte in deinem Deck!?“ „Jede Karte in diesem Deck ist gut“, erwiderte Henry trocken. „Jetzt zu meiner zweiten Falle, [Generation Shift]. Sie zerstört [Don Turtle] und gibt mir das dritte Exemplar davon von meinem Deck auf die Hand.“ Die ominöse Schildkröte zersprang und Topaz' Klinge glitt ins Leere. Anya bekam regelrecht einen hysterischen Lachkrampf. „Oh mein Gott, das wird ja immer besser!“ Henry, der die [Don Turtle]-Karte zu seinen anderen beiden Handkarten steckte, verzog keine Miene. „Aber wenn du es so haben willst, bitteschön! Denn jetzt kann Topaz dich direkt angreifen! Also los, nochmal Thunder Strike First!“, bellte Anya und streckte den Arm aus. Ihr Ritter erschien vor Henry und holte zum Schlag aus. Doch der war schneller und aktivierte seine letzte Fallenkarte. „[Defense Draw]! Durch sie kann ich den Kampfschaden dieses Angriffs auf 0 setzen und eine Karte ziehen!“ Der Schlag der Blitzklinge prallte einfach an ihm ab, als wäre der junge Mann aus Stahl. Dann zog er von seinem Deck und lächelte verschmitzt. „Pah! Fühl' dich bloß nicht zu sicher, Burschi! Denn [Gem-Knight Topaz] kann zweimal pro Runde angreifen! Thunder Strike Second!“ Das Lächeln verflog aus Henrys Gesicht, als ihm der Elektroschocker in den Magen gerammt wurde. Glücklicherweise waren es nur Hologramme, sodass Anyas Ritter durch ihn hindurch reichte. Trotzdem schien er für einen Augenblick so erschrocken, als fürchte er tatsächlich um sein Leben.   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP → 700LP]   Henry rieb sich tief durchatmend den Bauch. „Wow“, lachte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wäre meine Falle nicht gewesen, hättest du mich in nur einem Zug fertig gemacht.“ Ja, das hätte sie, dachte Anya wutentbrannt. Aber dieser Idiot hatte ihr gehörig die Tour vermasselt! Dafür würde sie ihn noch bluten lassen! Wortwörtlich! „Ich beende meinen Zug“, herrschte sie ihn an.   „Okay, dann mache ich weiter! Draw!“ Er nahm eine Zauberkarte aus seinem Blatt und zeigte sie vor. „Mit [Salvage] hole ich jetzt die beiden [Don Turtles] von meinem Friedhof, da sie Wasser-Monster mit weniger als 1500 Angriffspunkten sind!“ „Ja, ja, spiel' ruhig so viele Witzfiguren wie du willst“, spottete Anya. „Ganz genau das tu ich auch. Ich beschwöre [Don Turtle], welcher durch seinen Effekt die anderen beiden von meiner Hand ruft.“ Henry ließ sich von den Gebärden seiner Gegnerin nicht beeindrucken. Vor ihm erschienen die drei Schildkrötenpanzer, in denen sich ihre Bewohner versteckt hielten.   Don Turtle x 3 [ATK/1100 DEF/1200 (3)]   „Von meiner Hand als Spezialbeschwörung: [Gilasaurus]! Da ich ihn auf diese Art gerufen habe, kannst du eines der Monster von deinem Friedhof reanimieren!“, erklärte Henry, während neben seinen Schildkröten ein brauner Velociraptor erschien. Gilasaurus [ATK/1400 DEF/400 (3)] „Alter, auf welcher Seite bist du eigentlich?“, fragte Anya ungläubig. Jetzt schenkte der ihr auch noch ein Monster! Aber umso besser für sie. „Fein, Sapphire im Verteidigungsmodus!“ Ihr Edelsteinritter in blauer Rüstung kniete neben Anya nieder und erzeugte einen Wall aus gefrierendem Wasser, welcher ihn vor Angriffen schützen sollte.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   „Gut, dann wäre jetzt wohl der ideale Zeitpunkt.“ „Und für was?“, fragte Anya ihren Gegner desinteressiert. „Etwa aufzugeben?“ „Ich erschaffe das Overlay Network! Zwei Level 3 [Don Turtles] werden zu einem Rang 3 Xyz-Monster! Der Level 3 [Gilasaurus] und der Level 3 [Don Turtle] ebenso! Kommt herbei, [Black Ray Lancer] und [Grenosaurus]!“ Anya traute ihren Ohren kaum. Dieser Kerl besaß tatsächlich Xyz-Monster? „Kumpel, von wem hast du die denn gestohlen!?“ Ein schwarzes Loch machte sich vor ihnen auf und verschluckte Henrys Monster, die zu drei blauen und einem braunen Strahl geworden waren. Dann traten aus dem Strom zwei neue Kreaturen auf. Die erste, [Black Ray Lancer], war eine schwarze, amphibische Gestalt mit zwei großen Schwingen aus Schwimmhäuten und einer imposanten Lanze in der Hand. Die andere ein roter Dinosaurier auf zwei Beinen, aus dessen Kopf ein flammender Schopf entsprang. Um beide schwebten je zwei leuchtende Sphären.   Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}] Grenosaurus [ATK/2000 DEF/1900 {3}] „Bwahahaha!“ Anya konnte sich kaum halten vor Lachen. „All die Mühe für -das-!?“ „Zauberkarte! [Xyz Gift]! Damit entferne ich, wenn ich mindestens zwei Xyz-Monster kontrolliere, zwei Materialien von ihnen und darf zwei Karten ziehen. Ich hänge je von [Grenosaurus] und [Black Ray Lancer] eines ab!“ Um jede der beiden Kreaturen verschwand eines der Lichter. Henry zog zwei neue Karten und nahm dann eine andere aus seinem Blatt hervor. „Und jetzt der Gegenangriff! [Union Attack]! Dafür, dass diese Runde nur [Grenosaurus] angreifen und keinen Kampfschaden zufügen kann, erhält er die Angriffskraft von [Black Ray Lancer]!“ „Huh?“   Grenosaurus [ATK/2000 → 4100 DEF/1900 {3}] „Oh crap! Jetzt ist das Teil ja stärker als-“ „Als [Gem-Knight Topaz]! Vollkommen richtig!“ Henry strahlte zufrieden und streckte den Arm aus. „Los, Ancient Fire Blast!“ Wie von der Tarantel gestochen stampfte der massige Dinosaurier auf Anyas Ritter zu und blies aus seinen Nüstern eine feurige Wolke, in der der Krieger zu Staub zerfiel. „Selbst wenn [Grenosaurus] durch seinen Angriff keinen Schaden zufügen kann, hat er einen Effekt, der sich aktiviert, wenn er ein Monster zerstört“, erklärte Henry hitzig. „Wenn ich ein Xyz-Material abhänge, erleidest du 1000 Lebenspunkte Effektschaden! Nimm das!“ Anya sah ungläubig in das Antlitz des Dinos, welcher plötzlich vor ihr stand und sie geifernd anstarrte. Dann schoss er aus seinen Nüstern eine weitere Flamme, die Anya vollkommen eindeckte.   [Anya: 4000LP → 3000LP / Henry: 700LP]   „Geht's noch?“, begehrte die Blondine im Anschluss aufgebracht auf. „Die Frage sollte man wohl eher dir stellen“, meinte Henry ernst. Eine Spur Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Du machst dich über mich lustig, ohne mich und meine Strategie zu kennen. Wie kann man nur mit solchen Scheuklappen durch die Gegend laufen? Wie du solche netten Freunde haben kannst, ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich.“ Anya knirschte mit den Zähnen. Was bildete der Typ sich eigentlich ein? Der wusste wohl immer noch nicht, mit wem er da überhaupt redete!   Auf der anderen Seite schenkte Abby dem jungen Mann ein vergnügtes Lächeln. Wenigstens einer, der ihre Person zu schätzen wusste. Aber sie nahm es Anya nicht übel, dass sie so war, wie sie war. Ein wenig tat Henry ihr auch Unrecht, denn schließlich hatte Anya sie und Nick vor Alastair gerettet, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Bloß das durfte er nicht wissen. Um ein Haar hätte Anya sich verplappert. Seit sie die Realität akzeptiert hatte, ging sie damit ziemlich leichtfertig um, dachte Abby besorgt. „Ich setze meine beiden restlichen Handkarten verdeckt und gebe an dich ab“, sprach Henry tonlos.   Grenosaurus [ATK/4100 → 2000 DEF/1900 {3}]   Anya zog mit mehr Schwung, als nötig gewesen wäre und stolperte dabei beinahe. Ärgerlich runzelte sie die Stirn. „Was du kannst, kann ich auch und besser sowieso! Ich beschwöre [Gem-Turtle]!“ Neben ihrer Ritterin erschien eine große Schildkröte, deren Panzer ganz aus einem Smaragd bestand, der in einem goldenen Rahmen gefasst war.   Gem-Turtle [ATK/0 DEF/2000 (4)]   Anya streckte plötzlich den Arm in die Höhe und grinste. Das Mal an ihrem Arm begann leicht bräunlich zu glimmen, was Henry zurückschrecken ließ. „Was!?“ „Ich erschaffe das Overlay Network! Meine beiden Stufe 4-Monster werden zu einem Rang 4 Xyz-Monster! Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“ Der schwarze Wirbel mitten im Spielfeld tat sich wieder auf und sog das braune Licht, zu dem Anyas Monster geworden waren, in sich auf. Aus dem Strom heraus trat ein ehrwürdiger, schlichter Ritter in weißer Rüstung, um den ein Ring riesiger Perlen tanzte.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Da staunst du, was?“, prahlte Anya großmäulig. „So muss ein Xyz-Monster aussehen!“ Doch Henry hatte nur Augen für das Mal an Anyas rechtem Unterarm. Das leichte Glühen verschwand, aber er wandte den Blick nicht ab. Tatsächlich schien er mit den Gedanken an einem völlig anderen Ort zu sein. Anya bekam davon gar nichts mit. Sie streckte den Arm aus und zeigte auf Henrys Dinosaurier. „Los Pearl, schick das Ding zurück in die Steinzeit! Blessed Spheres of Purity!“ Die Perlen um Anyas Ritter begannen zu leuchten und wurden zu grellen Lichtsphären, die auf [Grenosaurus] zuschossen und ihn in einer Explosion vernichteten. Das Werk verrichtet, fanden sie zu ihrer alten Gestalt zurück und schwebten wieder um [Gem-Knight Pearl]!   [Anya: 3000LP / Henry: 700LP → 100LP]   „Dein Zug, Nervensäge!“ Henry hörte sie jedoch nicht, sondern starrte Anyas Ritter mit offenem Mund an. Erst, als sie ihm diverse Beleidigungen an den Kopf knallte, wachte er aus seiner Trance auf. „Schlottern dir jetzt so die Knie, dass dein Krümelhirn auf Durchzug steht?“, zischte Anya erfüllt von Ungeduld. „Ah … nein. Ich war nur gerade abgelenkt gewesen. Woher hast du diese Karte?“ „Sie hat sie von mir zum Geburtstag geschenkt bekommen!“, antwortete Abby eilig, ehe Anya sich wieder verplapperte. „Häh?“, machte Nick und kratzte sich am Kopf. „Ich dachte wir wollten sagen, dass sie sie einem Unterstufler abgenommen hat?“ „Nick!“, fauchte Abby wütend und grinste Henry hilflos an. „Nimm ihn nicht ernst, er ist ein wenig durcheinander, ha ha.“ Henry nickte, doch seinem verhärteten Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass er ihnen kein einziges Wort davon abkaufte. „Ist ja auch nicht weiter wichtig. Ich war dran, richtig?“ „Auch schon bemerkt? Bravo!“ Anya klatschte zum Spott in die Hände. Mit nachdenklicher Mimik zog Henry eine Karte und strahlte dann. „Perfekt!“ Er hob seinen Kopf und sah Anya an. „Da ich nicht weiß, über welchen Effekt dein Monster gebietet, hänge ich nun von [Black Ray Lancer] das letzte Xyz-Material ab. Dadurch wird der Effekt deines Monsters negiert!“ Die leuchtende Kugel, welche um seine Unterwasserkreatur schwebte, verschwand. Doch ansonsten geschah gar nichts. Verwirrt blinzelte Henry und betrachtete seinen Lancer. „Was ist los? Wieso funktioniert das nicht?“ Anya ballte eine Faust und presste zornig hervor: „Weil Pearl effektlos ist …“ Plötzlich brach Henry in herzliches Gelächter aus. „Ach so? Das erklärt natürlich einiges. Tut mir leid, mein Fehler!“ Alles was er dafür erntete, war ein kehliges Knurren. Schließlich fing Henry sich wieder und schien bessere Laune zu haben als jemals zuvor. Im Gegensatz zu Anya, deren lebhafte Fantasie sich bereits unschöne Dinge mit ihm ausmalte. „Also gut, weiter im Text. Ich aktiviere jetzt meine verdeckte Zauberkarte, [Earthquake]! Sie wechselt alle Monster in den Verteidigungsmodus.“ Ein Ruck erschütterte den Ritter und die Amphibie, woraufhin beide schützend ihre Arme vor sich hielten.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}] Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]   „Und nun aktiviere ich sofort darauf meinen zweiten gesetzten Zauber, [Shield Crush]! Damit zerstöre ich ein Monster in Verteidigungsposition und Pearl scheint mir da bestens geeignet.“ Ehe Anya auch nur widersprechen konnte, zerschepperte ihr Monster in tausend Stücke. Auf einmal stand sie völlig schutzlos vor Henry. Dieser drehte den [Black Ray Lancer] auf Abbys Duel Disk wieder in den Angriffsmodus. „Da seine Position durch einen Effekt geändert wurde, kann ich sie für diesen Zug noch manuell wechseln“, erklärte er dabei.   Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]   „Oh crap!“ Anya runzelte die Stirn. „Aber warte ab, nächste Runde-“ „Es wird keine nächste Runde mehr geben. Denn genau wie ich [Black Ray Lancers] Position wechseln konnte, kann ich noch genauso gut ein Monster als Normalbeschwörung rufen. Und ich habe eines gezogen. [Grass Phantom]!“ Anya klappte die Kinnlade hinunter, als sie den grünen Kohlkopf erscheinen sah, aus dessen Mund Tentakel ragten.   Grass Phantom [ATK/1000 DEF/1000 (3)]   Sie rechnete nach. Mit 3000 Lebenspunkten würde sie so schnell nicht- doch sie würde! Die kombinierte Angriffsstärke seiner Monster reichte knapp aus, damit sie … damit sie … „Oh verdammte Dreckskacke!“, schoss es aus Anya heraus. Sie würde verlieren! Sie! Wo verlieren doch gar nicht in ihrem Wortschatz existierte! „So kann man es auch ausdrücken“, lachte Henry. „Ich mach es auch kurz, versprochen! Also dann, [Grass Phantom], [Black Ray Lancer], Doppelangriff auf meine Gegnerin!“ Die Tentakel des Kohlkopfs schlossen sich um die Amphibie, welche die Kraft der Pflanze in sich aufsog. Dann wirbelte er mit der Lanze und verpasste Anya einen Hieb, der durch das erstarrte Mädchen hindurch glitt.   [Anya: 3000LP → 0LP / Henry: 100LP]   Die Hologramme verschwanden und Anya stand da, als hätte Marc Butcher Valerie Redfield gerade vor ihren Augen einen Heiratsantrag gemacht. Diese Niederlage war einfach zu viel für sie. Wie konnte sie von solchen Billigkarten fertig gemacht worden sein? Nicht einmal zu fluchen vermochte sie noch. Henry ging auf sie zu und reichte ihr die Hand. „Gutes Duell.“ Anya zwinkerte erst einen Augenblick, ehe sie sich seiner gewahr wurde. Dann schlug sie seine Hand weg. „Verdammter Glückspilz! Fein, ich hab verloren, na und? Ich habe mir ja auch überhaupt keine Mühe gegeben!“ Abby trat neben Anya und warf Henry einen entschuldigenden Blick zu. Mit den Lippen formte sie stumm die Worte „Sie ist eine schlechte Verliererin“ und deutete dabei auf Anya. Die wandte sich trotzig ab. „Ich gehe jetzt!“, raunte sie missmutig. „Und unsere Abmachung?“, hakte Henry nach. Dann aber änderte er urplötzlich seine Meinung. „Ist ja auch egal. Ich denke, ich weiß schon alles, was ich wissen wollte. Wenn ihr meiner Schwester begegnet wäret, hättet ihr es mir bestimmt gesagt.“ Abby nickte heftig. „Natürlich. Tut mir leid, dass wir dir nicht helfen konnten.“ „Macht nichts“, sagte er und lächelte wieder. Er gab Abby und dann Nick die Hand, während Anya mit hinter dem Kopf verschränkten Armen mit dem Rücken zu ihnen stand und schwieg. „Es tut mir leid, dass ich euch belästigt habe. Vielleicht läuft man sich ja mal wieder über den Weg. Würde mich freuen. Aber jetzt muss ich weiter, also bis dann!“ Er nahm die Duel Disk von seinem Arm und gab sie Abby zurück. „Bye“, hauchte die ihm verzaubert hinterher, als er sich von ihnen schnellen Schrittes entfernte. Sie war einfach nur beeindruckt, wie sehr er sich um seine Schwester sorgte, wie stark er trotz seines auf den ersten Blick schwachen Decks war und wie spielerisch er mit Anyas Eskapaden umgehen konnte.   „Bah, guckt mal, wie spät es ist“, murmelte jene schließlich und deutete auf den Himmel. Der war bereits orangerot, die Sonne stand schon tief am Horizont. „Wie lange haben wir überhaupt in dieser bekloppten Bibliothek gehockt?“ „Bestimmt ein paar Stunden“, überlegte Abby, war aber mit den Gedanken noch bei Henry. „Was für eine Zeitverschwendung! Ich haue ab. Man sieht sich!“, brummte Anya frustriert und trottete ebenfalls, in die entgegengesetzte Richtung, von dannen. Nun waren es nur noch Nick und Abby. Letztere sah den hochgewachsenen, zerzausten jungen Mann fragend an. „Was hältst du von Henry?“ „Nicht mein Typ.“ „So meinte ich das nicht! Er ist ziemlich cool, oder? Aber“, sie zögerte, „war er nicht ein wenig seltsam? Ich meine, wie er Anyas Mal angestarrt hat?“ Nick gluckste. „Er hatte bestimmt Angst, dass sie ihn verprügelt. Geht mir auch immer so.“ Du gibst einem auch allen Anlass dazu, dachte Abby schelmisch. Trotzdem! Etwas an Henry war seltsam. Zumal er ihr so verdammt bekannt vorkam!     Turn 06 – Victim's Sanctuary Abbys neuestem Einfall folgend, besuchen die drei Freunde die Irrenanstalt Victim's Sanctuary am Rande der Stadt. Schnell wird klar, dass die dort untergebrachten Schüler keine Hilfe sein werden bei der Recherche rund um Eden. Als sie das Gebäude wieder verlassen wollen, treffen sie unerwartet auf Valerie, die ihre Freundin Caroline besuchen will. Gerade als zwischen Anya und Valerie ein neuer Streit aufzuflammen droht, gibt es einen Stromausfall und die Vier werden von den Patienten angegriffen. Dabei geht Anya KO, sodass es nun an Valerie liegt, sich einem gefährlichen Spiel zu stellen … Kapitel 6: Turn 06 - Victim's Sanctuary --------------------------------------- Turn 06 – Victim's Sanctuary     „Ich schwöre euch, eines Tages wird ihr Kopf in unserem Flur an der Wand hängen!“, zischte Anya hasserfüllt und schielte mit zusammengekniffenen Augen zu Valerie herüber, die Seite an Seite mit Marc – ihrem Marc! – über das Campusgelände schritt. Dabei unterhielten sie sich derart ausgelassen, das Anya schon Pläne schmiedete, wie sie unbemerkt an die Knarre ihres Vaters herankommen könnte. Abby lugte über ihre Zeitung. „Würde ich dir nicht empfehlen. Mord wird in unserem Bundesstaat schwer bestraft. … Wie überall auf der Welt. Außerdem, erinnerst du dich noch an letztes Mal, als du dich mit Valerie angelegt hast?“ „Das ist doch Schnee von vorvorgestern!“, raunte Anya und biss so zornentbrannt in ihren Apfel, dass es aussah, als würde sie sein Fleisch wie ein Wolf herausreißen.   Die beiden Mädchen und Nick saßen auf der roten Wolldecke, die Abby mitgebracht hatte, damit sie im Schatten der großen Eiche bei den Sporthallen ihre Mittagspause verbringen konnten. Es war extrem heiß an diesem Sommertag, sodass selbst Anya ausnahmsweise ein Tanktop trug und Schultern zeigte. Natürlich war das Kleidungsstück pechschwarz, man könnte demnach behaupten, passend zu Anyas Seele. Und dass ihr Mal mittlerweile immer wieder neugierige Blicke auf sich zog, war der jungen Frau dabei völlig gleich. „Ich habe mich darum kümmert. Unser Besuch wird genehmigt“, meinte Abby schließlich. Ein gewisses Unbehagen lag dabei in ihrer Stimme. „Vielleicht sollten wir das nochmal überdenken, ha ha … ?“ „Masters, sag jetzt bloß nicht, du hast Schiss?“, murrte Anya. „Das war doch deine Idee gewesen, schon vergessen?“ Mit alberner Stimme äffte sie Abbys Worte von neulich nach. „'Vielleicht finden wir ja dort etwas über Eden heraus? Schließlich sind unsere Mitschüler erst verrückt geworden, als Levrier aufgetaucht ist.'“ „Na ja, manchmal macht man eben Fehler“, reagierte das Mädchen heiser, welches aussah, als würde sie einen Kartoffelsack tragen. Selbst an den heißesten Tagen musste es immer ein Kleid sein – in dem Fall vom langweiligsten Grau. „Schau dir Nick doch an!“ Der war gerade dabei, eine Wespe streicheln zu wollen, die sich über seinen Pudding hermachte. Wenige Sekunden später geschah das Unvermeidliche: „Au! Die hat mich gestochen! Böse Wespe!“ Anya interessierte das gar nicht. Sie starrte Abby finster an. „Wir gehen dahin und gut ist! Nachdem deine grandiose Idee mit der Bibliothek so ein Reinfall war, bist du mir das schuldig! Wenn ich noch ein Buch sehe, muss ich kotzen!“ Plötzlich hatte sie das Buch ihres Englischkurses vor den Augen, welches Nick sich grinsend aus Abbys Tasche geschnappt hatte. Als er das Buch senkte, um zu sehen, ob Anya ihre Worte wahr gemacht hatte, funkelte die finster über den Rand, riss es ihm aus den Händen und zog es ihm über den Schädel. „Au! Böse Anya!“, jammerte er liegend. „Darf ich zutreten?“, fragte die Blondine bitterböse und wollte aufstehen, doch ein mahnender Blick Abbys ließ sie verharren. „Na schön“, lenkte die schließlich ein. „Also dann heute nach der Schule vor Victim's Sanctuary. Eigentlich bin ich ja neugierig, was mit unseren Klassenkameraden ist. Immerhin sehen und hören sie immer noch Dinge. Aber …“ „Nichts aber!“, protestierte Anya. „Mir läuft die Zeit davon! In zwei Monaten bin ich entweder eine bescheuerte Stadt oder weiß-der-Geier-was-sonst-noch! In Victim's Sanctuary spukt es nicht, okay? Das erzählt man kleinen Kindern, damit sie nicht über den Stacheldrahtzaun klettern!“ Einmal hatte sie es versucht, doch leider war sie dabei unangenehm gescheitert. Seitdem hasste Anya Stacheldrahtzäune. „Und was ist mit den Experimenten?“, fragte Nick enttäuscht. „Wenn es da jemals Experimente gab, dann höchstens an dir!“, meinte Anya abweisend und verschränkte die Arme. „Wir gehen dahin und gut is'!“   ~-~-~   Als sie die örtliche Irrenanstalt am späten Nachmittag erreicht hatten, war von schönem Wetter keine Spur mehr zu sehen. Es goss wie aus Eimern und so teilten die Drei sich einen Regenschirm, welchen Anya sich von Willow Taub mit 'freundlichen Worten' 'geborgt' hatte. Und während die beiden Mädchen dadurch nicht nass wurden, musste Nick ihnen als Größter den Schirm halten – durfte aber gleichwohl nicht darunter stehen und war bereits vollkommen durchnässt. „Komisch, schon wieder so ein Wetterumschwung“, meinte Abby dazu nachdenklich. Sie hielten vor den Toren der Anstalt, die direkt am Waldrand auf einem Hügel lag. Überall um sie herum standen bereits vereinzelt Fichten und andere Gewächse, die Anya nicht zu benennen wusste. Das Gelände war umringt von einem hohen Stacheldrahtzaun, der dafür sorgen sollte, dass niemand es ohne Erlaubnis betreten oder verlassen konnte. Neben dem schwarzen Tor befand sich ein kleines Pförtnerhäuschen, zu dem sich die Drei begaben.   Nachdem man sie hereingelassen hatte, strebten sie der riesigen Villa entgegen, in der die Patienten untergebracht waren. Einst hatte sie einer reichen Schauspielerin gehört, doch nachdem die sich im Foyer erhängt hatte, wollte niemand mehr dort einziehen. So hatte die Stadtverwaltung beschlossen, das Gebäude zu renovieren und eine Irrenanstalt daraus zu machen. Düster erhob sich das mehrstöckige Anwesen vor ihnen. Während Abby sich an Anya schmiegte, die aus purer Boshaftigkeit dazu geneigt war, ihre Freundin in eine Pfütze zu schubsen, lachte Nick plötzlich los. „Was ist?“, fragte Anya genervt. „Nichts“, meinte er. „Mir geht’s gut.“ „Glaub ich eher weniger“, brummte seine Freundin und machte mit ihrem Zeigefinger eine Kreisbewegung um ihre Schläfe. Was war denn mit dem plötzlich los? Zusammen stiegen sie die kurze Treppe zum Eingang hinauf und schoben eine der Flügeltüren beiseite. Sie gelangten in die große Eingangshalle, die als Aufnahme umfunktioniert worden war. Die roten Teppiche hatte man längst entfernt und gegen Laminatboden ausgetauscht. Die Wände waren weiß gestrichen und insgesamt wirkte das Foyer, abgesehen von ein paar willkürlich verteilten Stühlen und Topfpflanzen, ziemlich leer. Zwei Treppen, die an ihrem Ende ineinander verliefen, führten in das nächstgelegene Stockwerk zu den Patientenzimmern. Abby geleitete ihre Freunde herüber zu den beiden Krankenschwestern, die zusammen an dem Tresen in der rechten Ecke des Saals arbeiten. Sie räusperte sich, ehe sie die beiden schwatzenden Damen mittleren Alters ansprach. „Ähm, Entschuldigung?“ Die korpulentere der beiden Krankenschwestern sah auf. „Kann ich euch helfen?“ „Ja. Wir suchen nach unserem Freund und Mitschüler, Ernie Winter. Ich hatte unseren Besuch angekündigt gehabt.“ Kurz sah die Frau auf ihren Computer, dann meinte sie: „Zimmer 1.13, erstes Stockwerk. Einfach die Treppe hoch, den Gang geradeaus entlang, dann findet ihr es.“ „Danke.“ Tief durchatmend drehte sich Abby zu ihrem Freunden um. Dann schritten sie zusammen durch das Foyer – Nick hinterließ einen regelrechten Fluss aus Wassertropfen – nahmen die Treppen und gelangten in einen spärlich beleuchteten Gang, von dem links ein weiterer Korridor abging. Dass es hier so dunkel war, lag vornehmlich daran, dass zwei der insgesamt sechs Lampen ihren Dienst verweigerten. „Seltsam still für eine Irrenanstalt“, meinte Anya enttäuscht, als sie nach Ernies Zimmer suchten. Sie hatte mit Verrückten gerechnet, die überall herum rannten, Blödsinn schwafelten und nach Leibeskraft schrien. Die bittere Realität sah da ganz anders aus: langweilig. „Von mir aus kann das auch so bleiben“, erwiderte Abby ängstlich. „Immerhin herrscht hier Ruhe und Frieden. Da kriegt man ja glatt Angst um sein Karma.“ „Peace!“, gluckste Nick und drängte sich mit erhobenen Mittel- und Zeigefingern zwischen die Mädchen. Letztlich waren sie vor Zimmernummer 13 angelangt. Hinter ihr war es mucksmäuschenstill. „Ähm Ern-“ Doch Anyas Faust trommelte schon gegen die Tür. „Aufmachen, Winter! Wir haben da was zu klären! Wenn du nicht gleich aufmachst, tret' ich die Tür ein!“ Abby, die es erst auf die freundlich Art hatte versuchen wollen, warf Anya einen finsteren Blick zu. „Was denn!?“ Aber es gab auf Anyas Drohungen keine Antwort. Was höchst ungewöhnlich war, konnte man Ernie schließlich als größten Feigling ihres Jahrgangs bezeichnen. Schmächtig wie er war, wurde er seither von seinen Mitschülern als Spielball für allerlei Gemeinheiten benutzen. Wenn Anya etwas von ihm verlangte, tat er das in der Regel auch ohne Widerspruch. „Vielleicht schläf- Anya!“ Jene hatte einfach die Tür geöffnet und trat in das kleine Zimmer ein. Außer einem Bett, einem Fernseher an der Wand, einem Nachttisch und einem Regal mit Büchern befand sich hier nicht viel. Die Vorhänge des Fensters waren zugezogen. Die Lampe auf dem Nachttisch brannte nicht, es war also noch dunkler als im Gang hinter ihnen. Eine kleine, gebeugte Gestalt hockte auf dem Bett und verharrte in eisiger Stille. Wie gebannt starrte Ernie regungslos in die Leere. Dass er Besuch hatte, nahm er anscheinend gar nicht wahr. „Hey Winter, aufwachen!“, raunte Anya und baute sich vor dem Jungen auf. „Ich glaube nicht, dass das so funktioniert“, beschwerte sich Abby wütend und schob ihre Freundin beiseite. Sie beugte sich zu Ernie herab und lächelte freundlich. „Hallo Ernie, erkennst du mich? Ich bin es, Abigail Masters. Du hast manchmal Mathematiknachhilfe bei mir genommen, erinnerst du dich?“ Weder eine Antwort, geschweige denn eine Regung des Jungen verriet, dass er überhaupt zuhörte. Wütend darüber, ignoriert zu werden, griff Anya den Blonden am Kragen und zog ihn zu sich hoch. „Jetzt hör' mir mal zu, du Napfsülze! Du wirst uns jetzt sagen, was du die ganze Zeit anstarrst, oder ich schmeiß' dich achtkantig aus dem Fenster und ziehe dich solange an den Beinen durch den Schlamm draußen, bis du nicht mehr weißt, ob du Männlein oder Weiblein bist!“ „Anya!“, schrie Abby regelrecht, was von jemandem wie ihr vollkommen überraschend kam. Sie zerrte ihre Freundin von dem Jungen weg, welcher wieder auf sein Bett plumpste und vor sich hin starrte, als wäre nichts geschehen. „So kannst du doch nicht mit einem Kranken umgehen!“ „Aber-!“ „Du siehst doch, dass wir für ihn gar nicht da sind! Egal wie sehr du ihn anbrüllst, er wird nicht antworten!“ „Deswegen will ich es ja mit ein wenig Gewalt probieren, vielleicht-“ „Nein!“ Abby trat zwischen Ernie und Anya. „Du wirst ihm kein Haar krümmen!“ Mit den Zähnen knirschend, machte die Blondine auf dem Absatz Kehrt und machte ein paar Schritte durch das Zimmer. „Von mir aus … Und was jetzt?“ „Vielleicht können wir jemand anderes fragen? Ich glaube, Lily McDonald ist auch hier irgendwo. Wir sollten uns mal nach ihr erkundigen.“ Abby seufzte. „Ich hatte gehofft, dass wir mehr über die Dinge erfahren können, die unsere Mitschüler sehen, seit sie hier eingeliefert worden sind. Das hat doch gewiss etwas mit Eden und Levrier zu tun.“ Anya grunzte missmutig: „Die sind einfach nur balla balla, das ist alles!“ Zusammen verließen die Drei Ernies Zimmer, aber nicht, ohne dass Anya die Tür zuknallte. Es war nicht zum Aushalten! Sie hatte mit Dummschwätzern gerechnet, aber dass die Bekloppten hier gar nichts sagten, machte das Mädchen rasend.   Als das kleine Grüppchen zurück ins Foyer gelangte, bemerkten sie am Tresen der Krankenpflegerinnen eine schwarzhaarige Gestalt, die auf etwas zu warten schien. „Ich denke, ich verschwinde“, meinte Anya verstimmt. „Bringt ja doch nichts, sich hier zu langweilen. Ihr könnt ja gerne weitermachen, wenn ihr wollt.“ „Anya?“ Die junge Frau mit den langen Haaren drehte sich um und entpuppte sich als niemand anderes, als- „Redfield?“, schoss es wie eine Kanonenkugel aus der Blondine. „Und ich dachte, der Tag kann nicht mehr beschissener werden!“ „So gut gelaunt wie eh und je, huh?“, erwiderte Valerie kühl. In der Hand hielt sie ihren Regenschirm. „Was wollt denn ausgerechnet ihr hier?“ „Dasselbe wie du, was sonst?“, zischte Anya giftig. „Caroline Mayfield besuchen? Aber ihr kennt sie doch gar nicht.“ Abby drängte sich zwischen die beiden Mädchen, um das drohende Blutbad zu verhindern. „Hi Valerie! Nein, wir sind wegen Ernie Winter hier.“ Die Schwarzhaarige nickte verständig. „Ach so.“ Dann sah sie zurück zum Tresen, nur um sich wieder der Gruppe zuzuwenden. „Sagt mal, habt ihr die Schwestern gesehen? Ich warte hier schon seit über fünf Minuten. Oder wisst ihr zufällig, wo sich Carolines Zimmer befindet?“ „Im Keller“, antwortete Anya heimtückisch. Da gab es bestimmt Ratten und sie wollte dabei sein, wenn Valerie schreiend das Gebäude verließ. „Also irgendwo auf den oberen Etagen“, schloss Valerie kühl aus Anyas Worten. „Soll das heißen, dass ich lüge!?“, fauchte Anya, sich insgeheim fragend, was sie wohl verraten hatte. Ihr Gegenüber nickte. „Dir traue ich das sogar zu! Als ob ich nicht merken würde, dass du etwas gegen mich hast!“ „Verdammt richtig, Bambi! Am liebsten würde ich-“   Urplötzlich fiel die Deckenbeleuchtung aus, sodass es ziemlich düster im Foyer wurde. Draußen donnerte es laut. „Na klasse“, raunte Anya. „Ich hab Angst im Dunkeln“, jammerte Nick und zwängte sich an Anya … und lag kurz darauf am Boden. Erschrocken half Valerie ihm wieder auf. „Was hat er dir denn auf einmal getan?“ „Er lebt?“, antwortete Anya zynisch. „Misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen, Redfield!“ Abby, die sich wieder zwischen die beiden Streithähne drängen musste, versuchte zu schlichten. „Bitte, hört auf! Wir sollten uns hier nicht streiten! Lasst uns doch für einen Moment alle tief durchatmen, dann nehmen wir einander bei den Händen und-“ „Verdammt richtig, Masters! Ich geb' mir diesen Scheiß nicht länger!“ Aufgebracht stampfte Anya davon und steuerte auf die große Flügeltür zu. Doch als sie diese öffnen wollte, rührte die sich keinen Millimeter. Egal wie sehr Anya auch daran rüttelte und dagegen trat, die Tür blieb verschlossen. Schnaubend drehte sie sich zu den anderen um, die sie alle verwirrt anstarrten. „Sieht so aus, als sitzen wir hier fest, hmpf!“ „Natürlich … Willst du uns veräppeln?“, fragte Valerie bissig, schritt zu Anya und probierte es selbst. Erfolglos. Und musste deshalb ein triumphierendes Grinsen übelster Sorte über sich ergehen lassen.   „Toll, und was machen wir jetzt?“, fragte Anya, als die beiden Mädchen wieder beim Rest der Gruppe angelangt waren. „Wir gehen einfach jemanden suchen, der uns das Tor wieder aufschließt“, meinte Valerie unbekümmert. „Bestimmt haben sie abgeschlossen, damit die Patienten nicht in den strömenden Regen laufen.“ „Und das hast du nicht bemerkt, während du die ganze Zeit hier gewartet hast?“ Auf Anyas Frage hin schüttelte Valerie den Kopf und erwiderte pampig: „Natürlich nicht! Das Schloss kann auch automatisch aktiviert werden, falls du es nicht weißt.“ „Also ich weiß nicht“, murmelte Abby ängstlich. Sie richtete sich an Anya und Nick. „Ist euch nicht aufgefallen, dass wir mit Ausnahme der Schwestern keinem einzigen Pfleger begegnet sind? Und die beiden sind jetzt auch verschwunden. Als ob …“ „Oh, komm schon Masters! Du glaubst doch nicht im Ernst, was du gerade aussprechen willst!“, höhnte Anya und verschränkte entschieden die Arme. Dabei fiel Valeries Blick auf ihr Mal. „Was ist das da an deinem Arm?“ „Geht dich gar nichts an, Redfield!“ „Hört auf“, bat Abby eindringlich und deutete auf einen Gang links von den Treppen, welcher zu einem anderen Teil des Gebäude führte. „Wenn wir nach jemandem suchen wollen, sollten wir es mal da versuchen.“ „Aber da ist es dunkel!“, jammerte Nick. „Nein, da sind ein paar Fenster“, meinte Valerie einfühlsam und streichelte seine Schulter. Anya biss sich auf die Lippen. Diese schleimscheißerische, selbstverliebte, dummlallende Valerie! Wenn sie doch nur unbemerkt einen 'kleinen' Unfall arrangieren könnte! Dann wäre sie diese Pest von Weib endlich los! „Tch, dann gehen wir jetzt jemanden suchen“, sagte Anya und begann zu laufen. Die anderen folgten ihr und schon bald hatten sie den Gang erreicht. Früher war er eine Galerie gewesen, denn noch immer schmückten schöne, hohe Fensterbögen den sterilen, weißen Gang. Draußen konnte man den Vorhof und die Straße sehen, über die sich ein regelrechter Sturmregen ergoss. Hin und wieder blitzte und donnerte es. Immer wieder riefen Abby und Valerie nach dem Personal, ohne jedoch gehört zu werden. Anya machte dabei nicht mit, ihr war das zu blöde. Und Nick lief ganz zusammengekauert hinter ihnen, schreckte bei jedem kleinsten Geräusch zusammen. Schließlich erreichten sie eine Abzweigung nach rechts. Anya, die sowieso schon so schlecht gelaunt war, dass sie immer wieder genervt mit der Faust gegen die weiße Tapete rechts von sich schlug, erreichte die Abbiegung als Erste. Und kaum war sie dort angelangt, sah sie nur noch einen Schatten und spürte, wie sie von den Füßen gerissen wurde und stürzte. Alles wurde dunkel. „Anya!“, schrie Abby erschrocken und hielt sich die Hände vor den Mund. Da lag ihre Freundin am Boden, mit einer kleinen Platzwunde am Kopf und rührte sich nicht mehr. Um die Ecke trat plötzlich ein Mädchen mit honigblondem Haar, ein wenig jünger als Abby selbst und lächelte böse. In der Hand hielt sie ein Stuhlbein, mit dem sie Anya KO geschlagen hatte. „Caroline!?“, rief Valerie völlig verwundert und ließ vor Schreck ihren Regenschirm fallen. Doch ihre Freundin war nicht allein. Plötzlich kam eine ganze Gruppe von Patienten in grünen Nachthemden oder auch alltäglichen Kleidungsstücken um die Ecke, stellte sich hinter Caroline wie eine undurchdringliche Mauer auf. Derweil eilten Abby und Nick Anya zu Hilfe und schleppten sie zurück zu Valerie. Caroline ließ sie gewähren und sagte: „Wir haben schon auf euch gewartet.“ Valerie wirbelte um. Auch hinter ihnen stand mindestens ein Dutzend Patienten. Sie kannte fast alle von ihnen, waren es doch diejenigen, die nach dem Vorfall in der Eissporthalle hierher eingeliefert worden waren. Auch Ernie Winter war unter ihnen. Doch was im Moment viel entscheidender war: die hatten sie umzingelt! „Caroline, was ist los mit dir?“, fragte Valerie aufgebracht. „Wieso greifst du Anya an?“ „Damit sie uns nicht angreift natürlich“, antwortete ihre Freundin mit einem Hauch von Boshaftigkeit in der Stimme. „Sie ist gefährlich. Deswegen möchten wir sie gerne hier behalten. Ihr habt doch nichts dagegen, oder?“ „Ich verstehe nicht“, wandte Valerie verwirrt ein. „Warum … was ist mit euch los? Wo ist das Personal?“ „Im Keller“, erwiderte Caroline gelangweilt. „Ist das Beste für sie. Und für uns selbstverständlich auch. Also? Gibst du uns Anya? Oder müssen wir Gewalt anwenden?“ Demonstrativ schlug sie mit ihrer Waffe auf die Handfläche. „Wir müssen hier weg“, flüsterte Abby ihr ängstlich zu. „Irgendetwas stimmt mit denen nicht. Ich glaube, sie sind … besessen.“   Unter normalen Umständen würde Valerie sich Gedanken um Abigails geistigen Gesundheitszustand machen. Da sie allerdings mit unantastbarer Sicherheit wusste, dass ihre Freundin Caroline niemals jemandem absichtlich weh tun würde, musste sie ihrer Klassenkameradin zustimmen. Auch wenn Besessenheit etwas weit hergeholt anmutete. Nur war an eine Flucht nicht zu denken, denn der Gang war in beide Richtungen blockiert. Und durch ein Fenster zu flüchten war auch unmöglich, da sie dazu erst die davor angebrachten Gitter entfernen müssten – es war also ausweglos, sie saßen in der Falle.   „Und? Ich warte auf deine Antwort, Val.“ Valerie schloss die Augen. Caroline nannte sie sonst nie 'Val'. Was war nur mit den Leuten hier geschehen, dass sie sich so feindselig verhielten? Und warum wollten sie ausgerechnet Anya Bauer? „Hegt ihr etwa Rachegedanken?“, fragte Valerie scharf. „Hat Anya euch etwas so Schlimmes angetan, dass ihr sie gleich KO schlagen musstet?“ „Aber nein, Val. Sie ist einfach nur … ein Dorn im Auge. Und ich bin mir sicher, dass du bestens weißt, was ich damit meine.“ Die Schwarzhaarige blickte zu Anya herüber, die bewusstlos in Nicks Armen lag. Natürlich war Anya ein Ekelpaket, aber das hatte sie nicht verdient. Wer wusste schon, was die mit ihr anstellen würden, wenn sie sie ihnen aushändigen würde. Sie wandte sich an Caroline. „Tut mir leid, aber meine Antwort ist nein. Anya bleibt bei uns!“ „Oh? Also stellst du ihr Leben über deines? Wie nobel. Aber so warst du ja schon immer, nicht wahr, Val?“ Valerie ballte unbewusst eine Faust. Das war nicht Caroline, die da redete. Es mochten zwar ihr Körper und ihre Erinnerungen sein, doch nicht ihr Wesen. Sie war die Güte in Person und würde niemals jemandem nach dem Leben trachten! „Wer bist du wirklich?“, wollte Valerie wissen. Konnte es wirklich sein, dass Abigail recht hatte und alle hier besessen waren? Aber so etwas gab es nur in Geschichten! „Deine liebe Freundin Caroline, hast du das vergessen? Aber nein … eigentlich bin ich das nicht. Oder doch? Wenn ich es doch nur wüsste …“, murmelte das blonde Mädchen verspielt. „Ich bin ja nicht nur Caroline. Auch Ernie. Und Lily. Debbie auch. Du siehst? Ich bin überall um euch herum!“ „Was immer du bist, lass diese Leute gehen!“ „Oh? Warum denn? Ich werde sowieso verschwinden, wenn ich meine Aufgabe erfüllt habe.“ Valerie runzelte die Stirn. „Aufgabe?“ „Anya zu töten, was sonst? Ich wurde einzig zu diesem Zweck geschaffen. Und wenn mein Werk getan ist, werde ich verschwinden. So funktionieren solche wie ich.“ „Ich sagte bereits, dass du Anya nicht bekommen wirst!“ Caroline lachte schrill. „Natürlich. Das war zu erwarten. Und was hindert mich daran, euch alle zu töten? Denk doch mal nach, Anya kannst du sowieso nicht retten. Warum nicht wenigstens deines und das Leben deiner übrigen Freunde? An euch haben wir kein Interesse.“ „Weil das ungerecht wäre!“ Tatsächlich war Valerie aber dazu geneigt, über das Angebot nachzudenken. Wäre es denn gerecht, Nick und Abigail nur um Anyas Willen mit ins Verderben zu stürzen? Aber andererseits, wie konnte sie jemanden verraten, der absolut wehrlos war?   Die falsche Caroline trat einen Schritt vor. „Wenn du meinst? Dann haben wir uns wohl nichts weiter zu sagen.“ Die Reihen der Besessenen gerieten in Bewegung. Immer enger zog sich die Schlinge um den Hals der Gruppe. Nick wimmerte vor Angst, während Abby sich an Valeries Rücken drückte. Doch plötzlich stieß Caroline gegen etwas und fiel zurück. Verwirrt legte sie ihre Hände auf etwas mitten in der Luft, welches wie eine unsichtbare Barriere anmutete. „Verdammt!“ „Was?“, murmelte Valerie verwirrt. „Das … das muss Levrier sein!“, rief Abby überglücklich. „Levrier?“ „Er ist so etwas wie Anyas … Freund. Er beschützt uns! Aber man kann ihn nicht sehen, weil er keinen Körper besitzt.“ Carolines schnarrende Stimme erklang. „Und wenn schon, dieser Schutzschild ist schwach! Lange wird er nicht halten. Wir müssen nur ein wenig warten … “ Valerie starrte Nick und Abby an, die sich um Anya kümmerten. Wenn sie bei Bewusstsein wäre, hätten sie vielleicht eine Chance und könnten sich einen Weg durch die Besessenen bahnen. Aber gegen so viele war wohl selbst eine Anya Bauer machtlos. Was sollte sie nur tun?   Kämpfe, solange sein Schild euch beschützen kann!   Valerie schreckte zusammen. „Habt ihr das auch gehört?“ „Was?“, wollte Abby wissen. „Diese … Frau?“ „Nein. Oder meinst du Caroline?“ „N-nein, schon gut.“ Valerie blinzelte verdutzt. Wen oder was hatte sie da gerade gehört? Sie solle kämpfen? Gegen wen? Caroline? Die wartete samt ihrer Anhängerschaft mit einem finsteren Lächeln. Aber gesagt schien sie nichts zu haben. Und auf einmal kam Valerie eine Idee. „Hör zu! Ich mache dir einen Vorschlag! Wir duellieren uns um Anya!“ „Ach wirklich? Warum sollte ich das wollen? Ich hab sie doch schon und muss nur darauf warten, dass diese Barriere verschwindet. Was nicht lange dauern wird.“ „Bist du dir da wirklich so sicher? Wenn Anya erstmal aufgewacht ist, wird die Barriere viel stärker werden. Außerdem wird sie dann in der Lage sein, dich zu vernichten!“ Was redete sie da eigentlich, fragte sich Valerie irritiert. „Du lügst.“ Doch hundertprozentig überzeugt hörte sich Caroline dabei nicht an. „Ach ja? Die Chancen stehen 50/50. Klar, wenn Anya nicht aufwacht, sind wir alle verloren. Tut sie es aber, seid ihr die Dummen. Ich möchte mich aber nicht auf Eventualitäten verlassen! Entweder du trittst gegen mich in einem Duell an und lässt uns gehen, wenn du verlierst, oder wir warten jetzt schön ab und fordern das Schicksal heraus. Was sagst du dazu?“ Caroline legte ihre Stirn in tiefe Falten. Dann nickte sie. „Mir gefällt deine Denkweise. Nun gut, lass uns sehen, ob du deines Glückes Schmied sein kannst.“   Einer der Besessenen reichte Caroline eine Duel Disk. Valerie trug ihre bereits um den Arm, denn sie hatte ursprünglich vorgehabt, ihrer Freundin damit eine Freude zu bereiten. Sie hätte nie damit gerechnet, dass das Duell unter diesen Umständen stattfinden würde. Die Schwarzhaarige wusste, dass dieses Wesen sich nicht an die Abmachung halten würde, wenn der Schutzschild erst einmal verschwunden war. Deswegen waren es tatsächlich Anya und ihr geheimnisvoller Freund, auf den sich Valerie verließ. Vielleicht konnte sie durch dieses Duell genug Zeit erkaufen, bis Anya aufwachte. Denn das Mädchen bezweifelte nicht, dass Caroline bereits irgendwie versuchte, die Barriere zu knacken. Was ihr in einem Duell womöglich schwerer fallen würde. Einen Versuch war es zumindest wert.   Von der unsichtbaren Mauer getrennt, bezogen die beiden jungen Frauen schließlich Stellung. „Du wirst nicht gegen mich bestehen“, hauchte Caroline bittersüß. „Wenn du dich so duellierst wie die echte Caroline es tut, dann würde ich keine solche Aussagen treffen!“ „Ich kann dir versichern, dass ich nicht wie sie bin. Also, fangen wir an?“ Valerie nickte und so riefen sie: „Duell!“   [Valerie: 4000LP / Caroline: 4000LP]   Nachdem beide ihre Starthand gezogen hatten, sprach Caroline: „Da du mich herausgefordert hast, möchte ich dieses Spiel beginnen.“ Valerie musterte skeptisch ihr Blatt und nickte. Sie hatte schon bessere Hände gehabt, aber vielleicht war das gar nicht so verkehrt, denn immerhin musste sie auf Zeit spielen. Gleich in die Vollen zu gehen würde am Ende nur auf sie zurückfallen. „Ich setze eine Karte verdeckt. Damit beende ich meinen Zug“, rief Caroline. Vor ihr tauchte die gesetzte Karte auf. Wortlos zog nun Valerie auf. Nur eine verdeckte Karte? Das bedeutete nichts Gutes. Vermutlich sann dieses Wesen darauf, dass sie kopflos Monster beschwor und angriff. Das wäre, was Anya tun würde. Aber die Gelegenheit war zu günstig, um sie einfach verstreichen zu lassen. Schon jetzt einen direkten Treffer zu landen, würde ihr einen großen Vorteil verschaffen. Sollte sie es wagen? Valerie beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Früher oder später würde Caroline die Karte ohnehin aktivieren und da war ihr 'früher' lieber, wenn sie noch genug Ressourcen besaß. „Ich rufe [Gishki Noellia]!“ Vor Valerie erschien eine finstere Zauberin mit feuerrotem Haar, die einen Stab schwang. Mit diesem zeigte sie auf die blaue Duel Disk ihrer Besitzerin.   Gishki Noellia [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   „Noellia wird nun die obersten fünf Karten meines Decks kontrollieren und alle Gishki-Monster und Ritualkarten auf den Friedhof schicken. Der Rest jener Karten wird danach unter mein Deck gelegt!“ Die Abbilder von fünf Karten erschienen vergrößert vor Valerie. Sie zeigten die Vorderseite beidseitig, damit auch Caroline alles mitverfolgen konnte. Die Karten hießen, von links nach rechts, [Poseidon Wave], [Gishki Beast], [Evigishki Soul Ogre], [Mystical Space Typhoon] und [Gishki Aquamirror]. Sehr gut, dachte Valerie zufrieden und legte die drei Gishki-Karten auf ihren Friedhof, während sie die restlichen Karten unter ihr Deck schob. „Nun aktiviere ich den Effekt des Aquaspiegels auf meinem Friedhof! Ich schicke ihn in meinen Kartenstapel zurück und darf dafür ein Gishki-Ritualmonster vom Friedhof auf die Hand nehmen! Und die einzige mögliche Wahl ist [Evigishki Soul Ogre]!“ Nun hielt Valerie sechs Karten auf der Hand und besaß ein relativ starkes Monster auf dem Spielfeld. Trotzdem mangelte es ihr an dem nötigen Ritualzauber, um ihren Oger beschwören zu können. Aber auch so würde sie es wagen und angreifen. Ohne mit der Wimper zu zucken, zeigte sie auf ihre besessene Freundin. „Noellia, direkter Angriff!“ Ihre Magierin richtete den Stab auf Caroline und ließ eine Wasserfontäne daraus hervor spritzen, die durch ihr Zielobjekt hindurch schoss.   [Valerie: 4000LP / Caroline: 4000LP → 2300LP]   Valerie war verwirrt. Sie hatte mit einem Konter gerechnet, doch dieses Wesen hatte den Angriff geschehen lassen. Sein Blatt konnte unmöglich so schlecht sein, dass es nicht einmal ein Monster zu seinem Schutz einzusetzen vermochte. Was also plante es? „Ich setzte eine Karte verdeckt“, rief Valerie. Sie würde es sowieso herausfinden. Aber sie würde darauf vorbereitet sein! „Damit beende ich diesen Zug.“ „Bevor du das tust, aktiviere ich meine Schnellzauberkarte. [Fires of Doomsday]!“ Zwei kleine Gestalten aus schwarzen Flammen entstiegen aus dem Boden. Jedes von diesen puppenhaften Wesen besaß ein Auge, welches finster Valerie anstarrte.   Doomsday-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (1)] „Wie du siehst, hat meine Zauberkarte zwei Spielmarken erschaffen“, sagte Caroline von sich eingenommen. „Und wie ihr Name schon sagt, werden sie dein Untergang sein.“ Valerie kräuselte die Stirn. Warum hatte ihre Gegnerin diese Spielmarken nicht dazu benutzt, ihre Lebenspunkte zu schützen? Die Antwort war im Grunde simpel. Sie wollte sie für etwas Größeres opfern. Aber das Mädchen sah darin keine Bedrohung. Sollte Caroline es doch versuchen. Stattdessen warf sie einen Blick auf Anya. „Wie geht es ihr?“ „Die ist vollkommen weggetreten“, meinte Abby besorgt. „Dass ich Anya mal so sehen würde … Ich möchte nicht dabei sein, wenn sie aufwacht.“ Falls sie denn noch aufwachen würde, dachte Valerie nervös. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Spielfeld. „Ich ziehe!“, kündigte Caroline an und lächelte dabei derart boshaft, dass Valerie eine Gänsehaut bekam. „Nun denn, sicher hast du es dir schon gedacht, aber ich werde meine Monster opfern! Sieh her, wie schwarzes Licht diese Welt regieren wird! Erscheine, [The Supremacy Sun]!“ Valerie wich zurück. Die Spielmarken lösten sich auf und gleichzeitig wurde es immer dunkler. Das ging soweit, dass sie ihre eigene Hand nicht mehr Augen sehen konnte. Dann leuchtete ein Symbol in der Ferne. Eine stilisierte Sonne. Es wurde wieder heller und man konnte sehen, dass sie inmitten des Körpers eines großen Wesens steckte. Mit ausgebreiteten, klauenbesetzen Händen erschien dieses schwebende Wesen wie ein finsterer Engel, denn leuchtende Schwingen traten aus dem schwarzen Leib hervor. Tatsächlich sah es in seiner Körperhaltung einer stilisierten Sonne ebenso ähnlich, wie das Pendant in seiner Körpermitte.   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)] „Siehe, wie die Macht der schwarzen Sonne alles verbrennt!“, rief Caroline hysterisch. „Dann löschen wir sie doch einfach!“, erwiderte Valerie entschlossen. Sie schwang den Arm aus. „Verdeckte Falle, [Torrential Tribute]! Wenn ein Monster beschworen wird, kann ich hiermit das gesamte Spielfeld von unseren Kreaturen befreien! Ich fürchte, deine Arbeit hat sich nicht ausgezahlt!“ Eine gewaltige Sturmflut schoss aus Valeries Falle und riss sowohl [Gishki Noellia], als auch [The Supremacy Sun] mit sich. Das Feld war wieder vollkommen leer. Caroline schaute erstaunt auf die Stelle, die ihr Monster soeben noch eingenommen hatte. Dann sprach sie: „Gut gemacht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich setzte eine Karte verdeckt und lass dich gewähren!“   Valerie atmete tief durch. Das hatte doch wunderbar geklappt. Wenn das so weiter ging, konnte sie das Feld für eine Weile dominieren. Hoffentlich lange genug, damit Anya aufwachen konnte. Sie würde einen Ausweg finden, da war Valerie sich sicher. Denn ein Dickkopf wie sie würde sich bestimmt nicht von ein paar Zombies, oder was auch immer sie waren, einschüchtern lassen. Und wenn Abigail wirklich recht hatte, verfügte Anya über Kräfte, die vielleicht denen von Caroline gleich kamen. Es musste einfach so sein, denn warum sonst würde dieses Ding Anya umbringen wollen? Das Mädchen musste schmunzeln. Obwohl eigentlich sie hier kämpfte, war es nicht ihre Rolle, die große Heldin zu sein. So war es schon auf dem Eis gewesen, als man Anya ihretwegen auf die Reservebank gesetzt hatte. Das hatte Valerie nicht gewollt. Aber damit war Anya den Kämpfen entkommen, während sie selbst um ihr Leben gefürchtet hatte. Es war nicht anders als jetzt. Schade … in einem anderen Leben wären sie vermutlich die besten Freundinnen. Schließlich widmete sie sich wieder dem Duell. Caroline würde bestimmt nicht so schnell aufgeben, dachte sie bitter. Das war bisher zu leicht. „Alles klar“, rief Valerie erhaben, „ich ziehe!“ Mit Schwung nahm sie die nächste Karte auf. Doch bevor sie nur einen Blick darauf werfen konnte, wurde es wieder pechschwarz um sie herum. In der Dunkelheit war nur der Regen und Donner zu hören, doch selbst das Licht der Blitze konnte diese Finsternis nicht durchdringen. Und dann war es wieder da! Das Symbol der Sonne! Valerie schreckte auf, als das Licht zurückkehrte. Und mit ihm war die Kreatur gekommen, die sie eben erst vernichtet hatte!   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   Caroline lachte hysterisch und steckte eine ihrer Handkarten in den Friedhofsschacht ihrer Duel Disk. „Es ist zwecklos, Val! Egal wie oft du [The Supremacy Sun] vernichtest, sie wird jedes Mal während der Standby Phase vom Friedhof auferstehen, solange ich nur eine Karte abwerfe. Ein endloser Kreis aus Tod und Wiedergeburt!“ Schweiß stand auf Valeries Stirn. Der Anblick dieser finsteren Kreatur ließ sie erschaudern. War dieses Ding wirklich unsterblich? Nein! Sie würde einen Weg finden, wie sie diesen Kreis durchbrechen konnte! „Du hattest die Wahl, Val. Nun sieh, wofür du dich entschieden hast!“, rief Caroline höhnisch. Valerie musste grinsen. Sie hatte sich für das Leben entschieden. Und diesen Pfad würde sie mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft beschreiten, egal wer sich ihr da in den Weg stellte!     Turn 07 – The Holy Maiden Valerie wird immer mehr von ihrer besten Freundin Caroline und deren Monster [The Supremacy Sun] in die Ecke gedrängt. Alle Versuche, diese mächtige Karte zu vernichten, scheitern kläglich. Doch plötzlich spricht eine Stimme zu Valerie, die sich als niemand anderes vorstellt als Joan of Arc – die heilige Johanna von Orléans – und ihre Hilfe anbietet. Ein Fünkchen Hoffnung entflammt in Valerie, die entschlossen ist, Anya und ihre Freunde zu beschützen. Kapitel 7: Turn 07 - The Holy Maiden ------------------------------------ Turn 07 – The Holy Maiden     Schweiß rann über Valeries sonst so makelloses Gesicht. Wie konnte sie bloß gegen eine Kreatur bestehen, die derart stark war und dazu noch fast unsterblich? Da war es, vor Caroline, das schwarze Ungetüm mit den leuchtenden Schwingen, welches in seiner Körperhaltung wie eine dunkle Sonne wirkte. Daher auch sein Name.   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   Darüber hinaus verfügte die blonde Caroline noch über eine verdeckte Karte, wohingegen Valeries Spielfeldseite völlig leer war. Das Mädchen sah auf ihren Lebenspunktezähler. Immerhin hier war sie im Vorteil.   [Valerie: 4000LP / Caroline: 2300LP]   Sie warf einen nervösen Blick über die Schulter. Anya war immer noch bewusstlos und von Nick und Abby umringt. Hinter der unsichtbaren Mauer, die im Moment das Einzige war, was sie schützte, lauerte eine ganze Horde Besessener. Dasselbe Schauspiel auf der anderen Seite der ehemaligen Galerie, die nunmehr nur noch ein steriler, weißer Gang war. Allen voran stand dort Caroline mit einem finsteren Lächeln und duellierte sich mit ihr. Nach wie vor war der Strom ausgefallen, dafür erhellten gelegentlich Blitze die Räumlichkeiten der Irrenanstalt Livingtons.   „Du siehst so nervös aus. Stimmt etwas nicht?“, säuselte Caroline hämisch. „Alles bestens“, log Valerie. Gar nichts stimmte! Wenn Anya nicht bald aufwachte, würden sie alle sterben! Damit jene genug Zeit dafür bekam, duellierte sie sich schließlich. Denn sie wusste, dass das Duell um Anya nur eine Farce war und dieses Wesen sie alle töten würde, selbst im Falle von Valeries Sieg. Diese warf einen Blick auf ihr Blatt. Immerhin war es ihr Zug. Und sie hatte etwas Großartiges gezogen! „Okay, ich werfe jetzt [Gishki Shadow] von meiner Hand ab“, rief sie und hielt die Karte zwischen ihren Fingern. Wie gut, dass sie dieses Monster gezogen hatte! „Damit kann ich einen [Gishki Aquamirror] von meinem Deck auf die Hand nehmen!“ Und mit der Ritualzauberkarte in ihrem Besitz hatte sie alles, was sie brauchte, um sich gegen Carolines Monster zur Wehr zu setzen. „Diesen aktiviere ich jetzt! Und indem ich [Gishki Vision] von meiner Hand als Tribut für das Ritual anbiete, brauche ich keine weiteren Monster opfern, denn [Gishki Vision] füllt trotz seiner niedrigen Stufe den Rest der benötigten Level durch seinen Effekt aus! Komm nun aus endlosen Kristallfontänen herbei, [Evigishki Soul Ogre]!“ Zufrieden betrachtete Valerie, wie immer mehr Wassersäulen um sie herum aus dem Boden schossen. Aus dem entstehenden Kreis tauchte eine Kreatur auf, die auf zwei Beinen stand und in ihrer amphibischen Erscheinungsform auf so manchen furchteinflößend wirken mochte.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   „Monstereffekt!“, rief Valerie und deutete mit ihrem Zeigefinger auf das Ritualmonster. „Indem ich ein Gishki-Monster, wie zum Beispiel [Evigishki Mind Augus] von meiner Hand abwerfe, kann ich eine deiner offenen Karten zurück in Deck schicken. Und dreimal darfst du raten, wer-“ „Nicht so schnell. Willst du das wirklich tun? Also ich für meinen Teil würde das eher ungern sehen. Deswegen aktiviere ich meine verdeckte Schnellzauberkarte: [Forbidden Chalice]! Damit wird der Effekt deines Ogers diese Runde negiert, wofür er aber 400 Angriffspunkte erhält.“ Valerie erschrak, als die Karte vor Carolines Füßen aufsprang. Auf ihr war eine junge Frau in weißer Tunika abgebildet, die einen goldenen Kelch in der Hand hielt. Besagter Kelch erschien plötzlich in der Hand ihres Monsters und töricht wie es war, trank das Amphibienwesen gierig daraus. Nur um anschließend zu würgen.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 → 3200 DEF/2800 (8)]   Wütend ballte Valerie eine Faust. Das wäre die Gelegenheit gewesen, [The Supremacy Sun] außer Gefecht zu setzen, da diese nur vom Friedhof zurückkehren konnte. Doch Caroline hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Schwarzhaarige betrachtete ihre letzten beiden Handkarten. Mit ihnen würde sie nichts gegen dieses Wesen ausrichten können. Alles was sie im Moment tun konnte war anzugreifen. Also befahl sie: „Los Soul Ogre, Fountain Of Destruction! Vernichte ihr Monster!“ Ihr Oger hob die Arme und ließ unter [The Supremacy Sun] eine glühend heiße Fontäne sprießen, die das Wesen mit sich riss und verbrannte. Caroline blieb völlig unbeeindruckt.   [Valerie: 4000LP / Caroline: 2300LP → 2100LP] „Mein Zug ist damit beendet“, sagte Valerie bitter. Ihr Oger spuckte plötzlich den Wein aus, den er zu sich genommen hatte. Zwar konnte er seinen Effekt nun wieder aktivieren, doch würde er gewiss nicht lange genug leben, um noch einmal die Gelegenheit dazu zu bekommen …   Evigishki Soul Ogre [ATK/3200 → 2800 DEF/2800 (8)]   „Mein Zug“, sprach Caroline gelangweilt und zog. Dann nahm sie eine Karte aus ihren Blatt und schickte sie auf den Friedhof. „Indem ich als Kosten diese hier abwerfe, wird [The Supremacy Sun] während der Standby Phase wiedergeboren!“ Der Gang der Irrenanstalt verfinsterte sich derart, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Dann leuchtete das Siegel in der Körpermitte und die Schwingen des schwarzen Wesens zeichneten sich immer deutlicher in der Dunkelheit ab, ehe das Licht zurückkehrte und mit ihm [The Supremacy Sun].   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)] „Egal, wie oft du es auch versucht“, höhnte Caroline, „meine Kreatur der Finsternis wird immer wieder zurückkehren, und wenn du sie noch so oft zerstörst. Gib auf und erspare dir unnötige Qualen!“ „Niemals!“ Aufgeben würde sowieso nichts an den Tatsachen ändern. Außerdem wollte Valerie die anderen nicht im Stich lassen. Das hatte sie sich geschworen und nun würde sie sich daran halten. Bis zum bitteren Ende, wenn es sein musste! „Gut, wie du willst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, törichtes Weibsbild! Ich beschwöre [Double Coston] im Angriffsmodus!“ Zwei tanzende Schatten erschienen, die ineinander verkeilt waren. Beide hatten Schlitzaugen und kleine Münder, aus denen blaue Zungen ragten, mit denen sie ihre Feindin verhöhnten.   Double Coston [ATK/1700 DEF/1650 (4)]   „Und nun, [The Supremacy Sun], vernichte [Evigishki Soul Ogre]! Solar Flare!“ Die finstere Kreatur streckte seinen Körper durch und schoss aus dem Sonnenemblem auf seiner Brust einen gewaltigen Lichtstrahl, der Valeries Monster binnen eines Herzschlags versengte. Das Mädchen spürte die Hitze am ganzen Leib und wandte sich aufgrund der Intensität des Strahls geblendet ab. Dabei schrie sie, denn das Licht schmerzte auf ihrer Haut – was vollkommen unmöglich war, es handelte sich doch nur um Hologramme!   [Valerie: 4000LP → 3800LP / Caroline: 2100LP]   „Oh, hat das ein wenig gebrannt?“, fragte Caroline zuckersüß. „Das tut mir leid. Eigentlich solltest du vor Schmerzen wahnsinnig werden. Aber dafür haben wir ja noch [Double Coston]. Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte!“ Valerie schreckte auf. Sie sah nur noch, wie die Schattenzwillinge durch sie hindurch schossen und sie dadurch zu Boden warfen. Hart kam sie auf ihrem Hinterteil auf und spürte gleichwohl Übelkeit in sich aufwallen. Wie ein Schwall ergoss es sich über sie, sie konnte nur noch den Mund öffnen, aus dem endlos viele Würmer auf ihr weißes Kostüm fielen. Schreiend sprang sie auf, fasste sich in den Mund, wischte die Würmer von sich und schrie mit Tränen in den Augen. Caroline lachte dabei nur hysterisch.   [Valerie: 3800LP → 2100LP / Caroline: 2100LP]   „Sieh an, sieh an. Ist das nicht eklig?“ Nachdem Valerie glaubte, keine Würmer mehr im Mund zu haben, sah sie ihre Gegnerin fassungslos an. Heiser brach sie hervor: „Wie geht das!? Das wirkte so real!“ „Schätzchen, das war real. Oder seit wann schmecken Hologramme nach Verwesung?“ Im Zuge dessen übergab sich Valerie noch einmal, dieses Mal jedoch richtig. „Ich hatte dich gewarnt, Val, aber du wolltest ja nicht hören. Glaub mir, ich habe noch viel Schlimmeres parat. Noch kannst du es dir anders überlegen. Bis dahin beende ich meinen Zug aber.“   Mit zitternder Hand wischte sich Valerie über den Mund. Noch immer hatte sie den widerlichen Geschmack der Würmer auf den Lippen. Und Furcht breitete sich in ihr aus. Was, wenn diese Dinger noch in ihr waren? Wieder wurde ihr übel, doch sie konnte sich mit aller Mühe beherrschen. Das war bestimmt nur ein Trick von diesem Ding! „M-mein Zug“, stammelte sie und zog. „Bist du okay“, fragte Abby sie besorgt. „Geht schon, danke … Was ist mit Anya?“ Der brünette Hippie schüttelte den Kopf. „Immer noch nichts.“ „Werden die uns fressen?“, fragte Nick ängstlich. „Ich bin viel zu jung zum Sterben! Mach was, Valerie!“ „Ich versuche es“, sprach diese und fühlte sich dabei schrecklich hilflos. Wie konnte sie gegen ein Wesen wie dieses bestehen? Sie war nur ein Mensch! Und dass sie die Verantwortung für mindestens drei weitere Leben trug, machte alles nur noch schlimmer. Sie betrachtete ihr Blatt. Nichts Gutes war darunter, um die Lage zu kippen. „Also gut. Ich aktiviere [Hand Destruction]! Damit werfen wir beide zwei Karten ab und ziehen dann zwei neue!“ Beide Mädchen legten aufgrund des Effekts von Valeries Zauberkarte ihr gesamtes Blatt ab, welches ironischerweise aus je genau zwei Karten bestand, und zogen auf. „Schon besser“, murmelte Valerie. „Ich aktiviere [Salvage]! Damit kann ich zwei Wasser-Monster mit höchstens 1500 Angriffspunkten von meinem Friedhof bergen und auf die Hand nehmen! Ich entscheide mich für [Gishki Vision] und [Gishki Shadow]!“ Kaum hatte sie die beiden Monster auf der Hand, zückte sie die nunmehr dritte Zauberkarte in diesem Zug. „[Pot of Avarice]! Ich mische fünf Monster in mein Deck zurück und ziehe danach zwei Karten.“ Das Problem war, dass auf ihrem Friedhof sechs Monster lagen. Zwei davon waren Evigishki-Ritualmonster, die sie durch den Aquaspiegel auf ihrem Friedhof zurück auf die Hand erhalten, und mit den beiden Gishki-Monstern auf ihrem Blatt auch beschwören konnte. Die Frage war nur, für welches sollte sie sich entscheiden? Denn auf eines würde sie verzichten müssen und sie wusste nicht, was sie anschließend ziehen würde. Beide waren von der Angriffskraft her zu schwach, um sich mit [The Supremacy Sun] zu messen. Mit Soul Ogre könnte sie Carolines finstere Kreatur ins Deck zurückschicken. Doch brauchte sie hierfür eine glückliche Hand, denn dazu müsste sie zusätzlich ein Gishki-Monster nachziehen. Mind Augus auf der anderen Seite konnte [The Supremacy Sun] vom Friedhof ins Deck mischen, womit dieses Wesen sicher nicht rechnete. Bloß dazu müsste Valerie etwas ziehen, womit sie Carolines Monster zerstören konnte. Beide Karten bargen demnach ein gewisses Risiko, doch da Soul Ogre bereits einmal versagt hatte und Caroline diesen bereits kannte, wollte sie es nun mit ihrem anderen Ritualmonster versuchen! Hoffentlich war sie dieses Mal erfolgreicher … „Okay“, rief sie und zeigte die fünf gewählten Monster vor. „Ich mische [Gishki Noellia], [Gishki Beast], die eben abgeworfenen [Gishki Reliever] und [Gishki Emilia] sowie [Evigishki Soul Ogre] in mein Deck zurück und ziehe zwei Karten!“ Und als sie dies getan hatte und die neuen Karten in ihrer Hand ansah, wusste sie, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte! In ihrem Inneren spürte sie etwas, es war wie eine Kraft, die ihr den Weg wies. Wenn sie ihr weiter folgen würde, konnte sie das Spiel vielleicht noch für sich entscheiden! „Nun schicke ich [Gishki Aquamirror] von meinem Friedhof in mein Deck zurück, um das Ritualmonster [Evigishki Mind Augus] von dort auf meine Hand zu bringen. Doch da wird mein Spiegel nicht lange bleiben, denn ich werfe [Gishki Shadow] ab, um ihn mir sogleich wieder auf die Hand zu holen!“ Mit der Ritualzauberkarte in den Händen hatte sie nun alles beisammen, um [The Supremacy Sun] zu besiegen. „Was immer du auch tust, du wirst scheitern“, versprach Caroline hochmütig. „Ein schwacher Mensch wie du kann gegen solche wie mich nicht bestehen. Und das weißt du auch.“ „Probieren geht über studieren sagt man doch immer! Deswegen würde ich mich gerne selbst davon überzeugen“, erwiderte Valerie entschlossen. Es gehörte bei Duel Monsters praktisch zum guten Ton, seinen Gegner psychisch unter Druck zu setzen, deswegen machte sich das Mädchen nichts aus den Worten dieses Dings. Sie hatte ein Ziel vor Augen und würde es verfolgen, egal was dieses Wesen sagte. „Und jetzt aktiviere ich den Zauber [Smashing Ground]! Er zerstört das Monster mit der höchsten Verteidigung auf deiner Spielfeldseite! Und das ist eindeutig [The Supremacy Sun]!“ In einer Explosion ging die schwarze Sonne unter. Doch wie nicht anders zu erwarten war, berührte dies Caroline nicht weiter. Hatte sie schließlich keinen Grund zur Sorge – noch nicht! „Nun aktiviere ich [Gishki Aquamirror]! Mit ihm beschwöre ich jetzt [Evigishki Mind Augus], indem ich [Gishki Vision] als Opfer anbiete. Dabei trägt es abermals alle Kosten des Rituals! Entsteige aus der Tiefe, Mind Augus!“ Aus dem Boden begann Wasser zu schwappen. Es überflutete kurzerhand den gesamten Gang, ehe aus einer Fontäne ein riesiger Fisch auftauchte, dessen Seitenflossen wie Flügel wirkten, die ihn durch die Lüfte trugen. Auf ihm saß eine blauhaarige Zauberin, welche ihn kontrollierte.   Evigishki Mind Augus [ATK/2500 DEF/2000 (6)]   „Effekt von Mind Augus aktivieren!“, befahl Valerie gebieterisch. „Ich kann nun fünf Karten von beiden Friedhöfen in die Decks ihrer Besitzer zurückschicken! Und du weißt, was das heißt!“ „Natürlich“, antwortete Caroline leise. „Und genau deswegen werde ich es nicht zulassen! Ich aktivere [Effect Veilers] Fähigkeit von meiner Hand!“ Valerie sah fassungslos mit an, wie eine winzige Fee ganz in Weiß vor ihrer Fischkreatur auftauchte und ihre kleine Hand auf ebenjene legte. „Indem ich sie abwerfe, werden die Effekte deines Monsters bis zum Ende des Zuges annulliert! Dachtest du, ich wüsste nicht, wie dein Deck funktioniert? Immerhin kann ich frei auf die Erinnerungen deiner kleinen Freundin zugreifen!“ Die Schwarzhaarige starrte aufgelöst ihre besessene Freundin an. Draußen schüttete es wie aus Gießkannen, es blitzte und donnerte. Doch sie hörte es nicht. Denn ihre Gedanken kreisten sich allein darum, wieder am Versuch, dieses grässliche Wesen zu versiegeln, gescheitert zu sein. Vielleicht gab es gar keinen Weg [The Supremacy Sun] endgültig zu vernichten? Caroline schien ihre Gedanken gelesen zu haben, denn sie sagte: „Verstehst du es endlich? Der Kreislauf von Tod und Wiedergeburt darf nicht unterbrochen werden. Genau wie der Wechsel zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Wer sich daran zu vergehen versucht, wird seines Lebens nie wieder froh werden. Und solche wie du, die nicht einmal die Kraft besitzen, die Gesetze der Natur zu brechen, sollten es auch gar nicht erst versuchen.“ „Nein!“, donnerte Valerie. „Nein! Ich kann jetzt nicht aufgeben! Das wäre Verrat an Abigail, Nick und auch an Anya! Und 'er' würde mir auch sagen, dass ich mein Bestes geben soll! Also werde ich das auch! [Evigishki Mind Augus], zerstöre [Double Coston]! Serenade Of The Abyss!“ In der Hand der blauen Zauberin auf dem Fischwesen erschien eine goldene Harfe. Auf ihr spielte sie eine wunderschöne Melodie, welche das Monstrum dazu brachte, einen gewaltigen Wasserstrahl auf die Schattenzwillinge abzufeuern. Diese verschwanden einfach innerhalb des Stroms.   [Valerie: 2100LP / Caroline: 2100LP → 1300LP]   Valerie sah ihre letzte Handkarte an. Die Falle war keine Lösung für ihr Problem, aber zumindest konnte sie sich damit vielleicht noch einen oder zwei Züge erkaufen. Sie legte die Karte in ihre Duel Disk ein, worauf sie vor ihren Füßen erschien, und rief: „Damit bin ich fertig!“ „Oh, glaub mir, das bist du in der Tat“, murmelte Caroline bitterböse.   Plötzlich erklang Gestöhne hinter Valerie, die regelrecht herumwirbelte. Blinzelnd schlug Anya die Augen auf und fasste sich an den Kopf. „Ich fühle mich, als hätte mich ein Laster überrollt …“, krächzte sie dabei. „Anya!“, strahlte Abby überglücklich und half ihr, sich aufzurichten. „Oh dem Himmel sei Dank, du bist wach! Ich dachte schon-“ Doch das Gesicht ihrer Freundin verfinsterte sich plötzlich, denn die Erinnerungen kehrten zurück. „Okay, Masters, wer wird jetzt gleich ins Gras beißen!?“, fragte Anya herrisch und hielt sich ihre pochende Stirn. Als sie dann Blut an ihren Fingern sah, war es vorbei. Mit einem Wutschrei, der eher einem verletzten Tiger denn einer jungen Frau gehörte, sprang die Blondine auf und torkelte flankiert von Nick und Abby zu Valerie. „Alter, war sie das!?“, wollte sie dabei wissen und zeigte auf Caroline. Doch Valerie konnte nur lächeln. Anya war wach! Es gab also noch Hoffnung! „Ja, sie hat dich angegriffen. Aber irgendetwas hat von ihr und den anderen Besitz ergriffen. Sie wollen dich töten!“ „Mich? Töten!? Niemand tötet eine Anya Bauer, ja wagt es auch nur daran zu denken! Wenn ich mit diesem Püppchen fertig bin, passt sie wieder in den Uterus ihrer Mutter!“ „Wirst du jetzt deine Kräfte einsetzen?“, fragte Valerie in einer Mischung aus Freude, Faszination aber auch Zweifel, denn sie hatte keine Ahnung, zu was Anya überhaupt imstande war – abgesehen von einer Vielzahl an kreativen Beleidigungen und Gewaltakten natürlich. „Aber bitte, du darfst die Leute hier nicht verletzten, sie sind unschuldig!“ „Kräfte? Klar! Denen schraube ich die Schädel ab und benutz' sie als Deko für Halloween! Und aus den übrigen Knochen baue ich mir einen Thron, den ich mit ihren Häuten überspannen werde!“ Die Schwarzhaarige schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, nicht diese Art von Kraft! Deine … anderen Kräfte. Du weißt schon, die, die diese Barriere erzeugen?“ Anya blinzelte sie voller Unverständnis an. „Andere Kräfte? Barriere? Sag mal, Redfield, hat diese Dumpfralle dir auch was übergezogen? Ich versprühe keinen Feenstaub, so wie du! Höchstens Terror!“ „Aber-!? Ich dachte, du kannst-“ „Hast du was an den Ohren, Redfield?“, herrschte Anya sie an. „Ich sagte gerade, dass ich keine anderen Kräfte habe! Wie kommst du überhaupt auf diese seltendämliche Annahme? Außerdem werde ich auch gar keine Zauberkräfte brauchen, um dieser Hupfdohle und ihrer kleinen Privatarmee die Lichter auszuknipsen!“ Um ihre Drohung möglichst schnell wahr zu machen, stampfte Anya auf Caroline zu. Doch auf halben Wege knickte sie zur Seite und wurde gerade noch rechtzeitig von Nick aufgefangen. „Anyas fallen vom Himmel“, gluckste der. „Ich glaub ich muss kotzen“, meinte Anya mit schwacher Stimme. „Mein Schädel platzt gleich. Scheiß Gehirnerschütterung!“ Valerie indes war fassungslos. Anya war ihre einzige Hoffnung gewesen und jetzt behauptete sie, keine besonderen Fähigkeiten zu besitzen!? Das Mädchen betrachtete ihre Hände. Dann war ihr Kampf sinnlos. Sobald die Barriere zerstört war, würde dieses Wesen sie alle töten. Wie hatte sie nur so naiv sein können!? Natürlich besaß Anya keine Superkräfte, wie kam sie überhaupt auf diesen Gedanken? Sie fühlte sich so dumm! Niedergeschlagen ließ sie den Kopf hängen. „Sieht ganz danach aus, als ob du dich verschätzt hast, Val“, flötete die besessene Caroline triumphierend. „Deine Geheimwaffe hat sich als Niete erwiesen.“ „Komm her, du Miststück, dann zeige ich dir, wer hier 'ne Niete- Ohhhhh!“ Anya hielt sich den Kopf und fluchte leise, weil sie in ihrem Zustand nicht in der Lage war, ihren Drohungen Taten folgen zu lassen. „Es dauert nicht mehr lange, dann ist die Barriere fort“, sprach Caroline weiter. „Bis dahin werde ich dich noch etwas quälen. Du bist schon viel zu lange ein Hindernis und jene mag ich gar nicht. Draw!“ Sogleich fügte sie die aufgezogene Karte ihrem Blatt hinzu, nahm die andere ihrer beiden Handkarten und legte sie anschließend auf den Friedhof. „Wirf dein schwarzes Licht über uns, [The Supremacy Sun]!“ Wie schon zuvor, wurde es wieder dunkel und aus der Finsternis erschien die düstere Kreatur, deren gleißende Schwingen ganz im Kontrast zum schwarzen Körper standen.   The Supremacy Sun [ATK/3000 DEF/3000 (10)]   „Jetzt vergehe in Verzweiflung“, rief Caroline schrill. „Ich aktiviere [Axe of Despair]! Damit kann ich [The Supremacy Sun] ausrüsten, um ihre Angriffskraft um weitere 1000 Punkte zu erhöhen! Nun ist sie unbesiegbar!“ In der rechten Hand des Wesens erschien eine Axt aus Holz, auf deren Blatt das Gesicht einer dämonischen Kreatur abgebildet war, welche hinterlistig kicherte.   The Supremacy Sun [ATK/3000 → ATK/4000 DEF/3000 (10)]   „Nun vernichte [Evigishki Mind Augus]! Solar Flare!“, brüllte Caroline hysterisch und zeigte auf den überdimensionalen Fisch und seine Reiterin. Valerie sah auf, als die schwarze Sonne in ihrer Brust Licht auflud. Mit ihrer Falle könnte sie den Angriff verhindern und ihnen allen zumindest noch ein wenig Zeit erkaufen. Genug Zeit, um sich mit ihrem bevorstehenden Schicksal auseinander zu setzen … Tu es nicht!   Valerie schreckte auf. Diese Frauenstimme hatte sie schon einmal gehört. Sie warf einen Blick auf Nick und Abigail, die mit Anya zu ringen hatten, weil jene sich nicht mit ihrer gesundheitlichen Lage anfreunden konnte. Die Drei schienen nichts gehört zu haben. Lass den Angriff geschehen und folge meinen Anweisungen. Ich werde dich beschützen!   Irritiert fasste das Mädchen sich am Kopf. Hatte sie während ihres Duells auch etwas abbekommen, so wie Anya sagte? Vielleicht war es auch ein Trick von Caroline, die irgendetwas plante? Vertraue mir, egal wie schwer es dir auch fällt. Ich wurde gesandt, um dich zu leiten!   „Gesandt? Von woher?“, fragte Valerie leise. Dann sah sie, wie der Lichtstrahl auf ihr Monster abgefeuert wurde. Sie musste sich jetzt entscheiden. Entweder tat sie, was diese Frau von ihr verlangt hatte, oder sie kämpfte weiter gegen Windmühlen an. Daraufhin erinnerte sich die junge Frau an ihren Schwur, nichts unversucht zu lassen, um die Drei zu beschützen. Also warum sich nicht darauf einlassen, wenn man ihr schon Hilfe in einer aussichtslosen Lage anbot? Ihre Fischkreatur wurde durch den Strahl regelrecht vaporisiert, welcher diesmal so extrem war, dass Valerie vor Hitze nicht mehr atmen konnte. Die Explosion ihres Monsters löste eine Druckwelle aus, die sie von den Beinen riss. Und während ihr schwarz vor Augen wurde, hörte sie nur noch ein grausames Lachen und die Worte: „Zug beendet.“ Die Rufe der anderen nahm sie nicht mehr wahr.   [Valerie: 2100LP → 600LP / Caroline: 1300LP]   Wo war sie? War sie tot? Valerie stand inmitten einer Welt aus purer Finsternis. Das einzige Licht drang durch ein Mosaik zu ihren Füßen, das eine goldene Sonne darstellte. Die vielen gelben und orangefarbenen Steine glühten regelrecht und Valerie befürchtete, dass ihre Hitze die Sohlen ihrer weißen Stiefel verbrennen könnte.   Du bist nicht tot. Ich habe dich zu mir gerufen.   Aus dem Nichts schritt eine Gestalt über das Mosaik, direkt auf sie zu. Die Frau besaß dunkelblondes, kurzes Haar, welches sie durch ihren markanten Schnitt wie einen Jungen aussehen ließ. Generell wirkte die Fremde sehr burschikos, denn sie trug eine Ritterrüstung und hielt ihren mit weißen Federn verzierten Helm unter dem Arm. An ihrer Hüfte hing ein Waffengurt, dessen Höhepunkt ein langes Schwert in seiner Scheide war. „Wer bist du?“, schoss es ehrfürchtig aus Valerie heraus. „Eine Gesandte des Herrn. Mein Name lautet Joan of Arc.“ Sie lächelte freundlich. „Vielleicht hast du schon von mir gehört?“ Und ob Valerie das hatte! Aber sie konnte es nicht glauben. Vor ihr stand Jeanne D'Arc, die heilige Johanna von Orléans! Eine der größten Märtyrerinnen der katholischen Kirche, welche zu Lebzeiten behauptet hatte, Gottes Stimme hören zu können und schließlich als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen hingerichtet worden war. „W-wieso bist du hier? I-ich muss träumen, oder?“ „Nein.“ Die junge Frau schüttelte betrübt den Kopf. „Was um dich herum geschieht, ist traurige Wahrheit. Deine Heimat wird von Dämonen heimgesucht, die finstere Absichten hegen.“ „W-was für Absichten?“ Die Heilige schloss die Augen. „Ich weiß es nicht. Das weiß nur Gott und in seiner unendlichen Weisheit hat er mich nicht in seine Pläne eingeweiht.“ Valerie verstand nicht. Warum war ihr Johanna von Orléans erschienen? Ausgerechnet ihr? An ihr war doch gar nichts Besonderes! „Der Herr hat mich geschickt, dich durch die Finsternis zu geleiten“, erklärte die Ritterin nun ernst, fast als habe sie Valeries Gedanken gelesen. „Ich werde dir eine Kraft verleihen, die stark genug ist, um den Willen des Dämons aus deinen Freunden zu vertreiben.“ „W-wille des Dämons?“ Johanna nickte. „Das, gegen welches du kämpfst, ist nicht der wahre Dämon. Es ist nur einer seiner Abkömmlinge, dem die Aufgabe zugewiesen wurde, Anya Bauer zu töten. Wenn er diesen Zweck erfüllt, wird er verschwinden und alle Seelen mit sich nehmen, die er besetzt hält. Deswegen darfst du jetzt nicht aufgeben!“ „Was was kann ein normaler Mensch wie ich schon tun?“, fragte Valerie verzweifelt und legte ihre rechte Hand auf die Brust. „Ich bin schwach!“ „Niemand ist schwach, Valerie“, sagte Johanna sanft, trat zu ihr und nahm ihre andere Hand. „In dir brennt eine starke Seele, die im Sinne der Gerechtigkeit kämpft. Gott hätte mich nicht zu dir geschickt, wenn er nicht wüsste, dass du deine Freunde retten kannst. Alles was du brauchst ist ein Hoffnungsschimmer und diesen will ich dir geben.“ Valerie nickte, wobei ihr Tränen in den Augen standen. „Danke, Joan of Arc!“ Die heilige Ritterin lächelte gütig. „Danke nicht mir, sondern unserem Schöpfer. Nun, Valerie, nimmst du sein Geschenk an?“ „Natürlich!“, rief sie entschlossen. „So sei es!“   Gleißendes Licht blendete Valerie. Dabei spürte sie eine Kälte ihren Arm hoch kriechen, die sie so noch nie gespürt hatte. Obwohl sie glaubte, zu Eis zu erstarren, fühlte es sich nicht unangenehm an. Als das Licht verschwand, war auch die heilige Johanna verschwunden. Erst wusste Valerie nicht, was geschehen war, doch dann fiel ihr Blick auf ihren rechten Unterarm. „Was!?“ Ein blaues Symbol zierte nun jenen. Es war ein fünfzackiger, marineblauer Stern, um den zwei Kreise gezogen waren. Unter ihrer Haut leuchtete er noch ein wenig, doch der Schimmer erlosch schnell. Und als er das tat, zersprang das Mosaik der Sonne in tausende Stücke und Valerie begann zu fallen.   Fürchte dich nicht! Du bist stärker als du es dir vorstellen kannst!   Die Worte der heiligen Johanna hörend, schloss Valerie die Augen und ließ sich im ungewissen Nichts treiben. Sie wusste nun, dass ihr nichts geschehen konnte.   Valerie schlug die Augen auf. Sie lag am Boden, umringt von Abigail und Nick, die ihr langsam aufhalfen, während im Hintergrund Anyas hämisches Gelächter ertönte. „Was ist das?“, fragte Abigail verwundert und deutete auf Valeries Arm. „Das sieht doch aus wie-“ Die Schwarzhaarige bemerkte es auch. Das Mal auf ihrem Unterarm war immer noch da. Und in ihrer Hand, da hielt sie eine Karte. „Das kann doch nicht-!“, erschrak sie und betrachtete das Monster genauer. Mit ihm konnte sie-! „Steh auf“, herrschte Caroline sie an. „Oder willst du das am Ende gar nicht mehr? Auch gut!“ „Nichts dergleichen!“, donnerte Valerie selbstbewusst und stand auf. Sie fühlte sich stark wie nie zuvor, als sie sich schwor, alle Anwesenden hier zu beschützen. Wenn Gott an sie glaubte, konnte sie gar nicht verlieren! Sie schob Johannas Geschenk in den Schacht ihres Extradecks und trat einen Schritt vor. „Mein Zug!“, rief Valerie entschlossen. Sie riss die Karte von ihrem Deck und musste sie nicht einmal ansehen, um zu wissen, was sie gezogen hatte. Denn sie konnte es fühlen. „Verdeckte Falle! [Curse Of Anubis]! Mit ihr wechsle ich alle Effektmonster auf dem Spielfeld in die Verteidigungsposition und lasse ihre Verteidigungspunkte für diesen Zug auf 0 sinken!“ Hinter [The Supremacy Sun] erschien das durchsichtige Abbild einer riesigen Statue, die einen liegenden, schwarzen Schakal zeigte. Dessen Augen blitzten rot auf und sorgten so dafür, dass Carolines Kreatur seine Arme gekreuzt vor seine Brust hielt und aufhörte zu leuchten.   The Supremacy Sun [ATK/4000 DEF/3000 → 0 (10)] „Was auch immer“, meinte Caroline arrogant. „Selbst wenn du die schwarze Sonne zerstört, wird sie schon bald wieder aufgehen und dich endgültig verschlingen!“ „Das bezweifle ich stark!“, rief Valerie entschieden und knallte ihre gezogene Karte auf die Duel Disk. „Komm herbei, [Gishki Beast]! Wenn es beschworen wird, kann ich ein Gishki-Monster der Stufe 4 oder weniger von meinem Friedhof in Verteidigungsposition beschwören. So wie [Gishki Shadow], ich rufe dich!“ Eine amphibische Gestalt erschien vor Valerie, halb Seeungeheuer, halb Echse. Um seinen Hals trug das Ungetüm ein Pendant, welches es berührte und brüllte. Kurz darauf erschien neben ihm ein alter Fischmann, gekleidet in einer schwarzen Robe.   Gishki Beast [ATK/1500 DEF/1300 (4)] Gishki Shadow [ATK/1200 DEF/1000 (4)]   „Und jetzt“, sprach Valerie ganz ruhig und fixierte den Blick auf ihre nichtsahnende Gegnerin, „erschaffe ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Monster vom Rang 4! Xyz-Beschwörung! Höre meinen Ruf, oh Wesen aus tausend Legenden! Zeige dich, [Evigishki Merrowgeist]!“ Ein schwarzer Wirbel tauchte mitten auf dem Spielfeld auf. Valeries Monster wurden zu blauen Strahlen, die in das Loch gezogen wurden, aus dem nun eine völlig neue Gestalt trat. Wehendes, rotes Haar schmückte das Antlitz der Meerjungfrau, die auf ihrem Rücken zwei Flossen besaß, welche breit wie die Schwingen eines Vogels waren. Wütend peitschte sie mit ihrer Schwanzflosse und richtete ihren Zauberstab entschlossen auf Carolines Monster. Um sie herum tanzten zwei Lichtkugeln.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   Doch die Besessene brach nur in schallendes Gelächter aus. „Mehr hast du nicht auf Lager? Oh du dummes Kind, wann wirst du es endlich lernen? Du kannst mich niemals besiegen!“ Valerie schüttelte den Kopf. „Ich werde dich nicht nur besiegen, sondern auch den Körpern dieser unschuldigen Menschen vertreiben! Los, [Evigishki Merrowgeist], greife [The Supremacy Sun] an! Sceptre Of Foresight!“ Ihre Meerjungfrau hob den Stab in ihren Händen in die Höhe und ließ daraus ein blaues Licht hervortreten. Dieses schoss auf Carolines Kreatur zu und ließ sie in einer lauten Explosion untergehen. „Du Närrin! Nächste Runde wird [The Supremacy Sun] wiederkehren und dann ist dein Leben verwirkt!“, begehrte das Wesen in ihrer Freundin auf. „Da liegst aber falsch“, meine Valerie selbstsicher. „Ich aktiviere den Effekt von Merrowgeist! Indem ich jetzt, da sie ein Monster im Kampf zerstört hat, eines ihrer Xyz-Materialien abhänge, kann ich besagtes Monster in das Deck seines Besitzers zurückschicken, statt auf den Friedhof!“ „WAS!?“ Valerie lächelte zufrieden. „Ganz genau. Es sieht wohl ganz danach aus, als hätte ich den endlosen Kreis aus Tod und Wiedergeburt durchbrochen. Los, Merrowgeist!“ Wieder hielt ihre Meerjungfrau ihr Zepter in die Höhe und absorbierte nun eine der beiden Lichtkugeln um sich herum, ehe sie mit ihrer Waffe auf Carolines Deck zeigte. Dieses leuchtete bläulich auf, mischte sich automatisch, dann war das Werk vollendet. „Damit beende ich meinen Zug“, sprach Valerie zuversichtlich. Sie hatte es tatsächlich geschafft! Sofort sprach sie ein stilles Gebet an den Herrn, welcher ihr dies erst ermöglicht hatte.   „Das ist unmöglich“, schrie Caroline förmlich mit bebender Stimme und betrachtete ihr Deck. Sie hatte keine anderen Handkarten mehr. „Aber noch bin ich nicht geschlagen! Draw!“ Als sie ihre Karte gezogen hatte, starrte sie diese mit fassungsloser Mimik an. „D-das muss ein Fehler sein! D-das ist-!“ In ihrer Hand hielt sie [The Supremacy Sun]! „Hat da jemand seine gerechte Strafe erhalten?“, hakte Valerie triumphierend nach. „Das ist Gottes Urteil! Da du anscheinend nichts tun kannst, bin ich so frei, und führe das Duell mit meinem Zug fort!“ Sie zog eine Karte, doch beachtete sie gar nicht. Stattdessen zeigte sie unbarmherzig mit dem Finger auf ihre besessene Freundin. „Du hast Caroline lange genug besetzt! Jetzt ist es Zeit, dass du sie und alle anderen gehen lässt! [Evigishki Merrowgeist], beende dieses Duell! Sceptre Of Foresight!“ „Nein!“, brüllte Caroline, doch das Monster ihrer Gegnerin hatte schon das Zepter erhoben und schoss eine blaue Lichtkugel auf sie, was in einer heftigen Explosion endete.   [Valerie: 600LP / Caroline: 1300LP → 0LP]   Caroline lag regungslos am Boden. Es dauerte einen Augenblick, bis Valerie erkannte, dass sie es geschafft hatte. Sie hatte tatsächlich gewonnen! „Unglaublich!“, frohlockte Abigail mit klatschenden Händen und fiel Valerie von hinten um den Hals. Die beiden lachten fröhlich und Nick jubelte darüber, doch nicht als Dämonensnack enden zu müssen. Nur eine hatte schlechte Laune. „Ach, jetzt spiele dich nicht so auf, Redfield! Das hätte doch jeder gekonnt! Wenn ich-!“ Doch Anyas Schädel brummte so sehr, dass sie wieder nach hinten kippte und von Nick gehalten werden musste. Plötzlich richtete [Evigishki Merrowgeist] ihr Zepter abermals in die Höhe und löste eine Welle des Lichts aus, die sämtliche Anwesenden auf dem Gang erfasste. Und während Anya, Valerie, Nick und Abby davon völlig unberührt blieben, kippten die Patienten samt Caroline um wie Dominosteine. Letztere schrie ein letztes Mal, wobei aus ihrem Mund ein schwarzer Schatten quoll, ehe auch sie das Bewusstsein verlor. Der Schatten löste sich in Rauch auf, genau wie Valeries Monster, welches zu schwarzen Partikeln zerfiel und verschwand. „Sind sie jetzt wieder normal?“, fragte Abigail besorgt. „Ich … ich denke schon“, antwortete Valerie. Und als Caroline sich regte und sie verwirrt ansah, wusste das Mädchen, dass der Wille des Dämons fort war. Sie machte sich von Abigail los und kam der verdutzen Caroline überglücklich entgegen, umarmte sie fest. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht!“ „Aber Valerie, was ist denn passiert? Warum bin ich nicht in der Schule?“ „Ich werde es dir später erklären! Alles wird gut“, hauchte Valerie in das Ohr ihrer Freundin und strich über ihr blondes Haar.   Auch die anderen Patienten kamen langsam zu sich. Lautes Gemurmel ertönte von den verwirrten jungen Menschen, die nicht wussten, wie sie hierher gelangt waren. Mittlerweile hatte es auch aufgehört zu regnen, sodass einzelne Lichtstrahlen von draußen in das Gebäude fielen. „Ob sie sich wohl erholen werden?“, fragte Abby besorgt und sah sich um. „Sieht ganz danach aus, als könnten sie sich an nichts vom dem erinnern, was nach dem Eishockeyspiel geschehen ist.“ „Die Glücklichen“, brummte Anya und erhob sich. Denn was sie anging, würde sie am liebsten sämtliche Erinnerungen bezüglich Valeries Heldentat unwiderruflich aus ihrem Gedächtnis streichen. „Anya!“, rief Abby schließlich erschrocken und deutete auf die Stirn ihrer Freundin. „Wir müssen dich ins Krankenhaus bringen. Das muss genäht werden!“ „Hab dich nicht so, Masters, das ist nur'n Kratzer!“ „Aber eine Gehirnerschütterung ist eine ernstzunehmende Sache! Du könntest-!“ Anya schnaufte wütend, während sie Nick von sich weg schubste, da sie auch sehr gut alleine stehen konnte. „Nichts aber, da kommt'n Pflaster drauf und gut is'!“ Mehr entgegen kommen konnte Anya ihnen nun wirklich nicht! Ihre Freundin seufzte resignierend. Es war sinnlos, diesen Dickkopf vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Sollte sie doch sehen, was sie davon hat! Derweil raunte Anya wütend: „Das alles wäre gar nicht erst passiert, wenn Levrier uns vorgewarnt hätte! Wieso hat der sich nicht eingemischt und diese Napfsülzen zu Stein erstarren lassen oder so!?“   Ich habe die Präsenz dieses Wesens nicht bemerkt. Seit wir unseren Pakt geschlossen haben, haben meine Kräfte stark abgenommen, da sie mein Einsatz unseres Vertrags sind. Einzig eine Barriere zu eurem Schutz konnte ich errichten. Es tut mir leid.   „Es tut dir leid!?“, donnerte Anya zornig. „Alter, du bist ja mal so was von nutzlos! Das nächste Mal, wenn mir irgendein Spinner 'nen Pakt, Vertrag oder was-auch-immer andrehen will, werd' ich ihn ausweiden und seine Organe an Abbys Katze verfüttern!“ „Nein!“, protestierte Abby entsetzt mit offen stehendem Mund. Caroline und Valerie traten zu ihnen. „Spricht Anya mit ihrem … Freund?“, fragte Letztere. Nick gluckste. „Ja. Aber manchmal glaub ich, sie führt nur Selbstgespräche.“ „Das sind wohl die Momente, in denen sie mein Ableben plant?“, hakte Valerie gut gelaunt nach. „Vollkommen richtig, Redfield!“, zischte Anya sie an und bespuckte sie dabei wieder einmal 'versehentlich'. Sich das Gesicht angewidert mit einem Stofftaschentuch aus der Tasche ihres Kostüms abwischend, meinte ihre Erzfeindin: „Ich habe jetzt auch ein ähnliches Mal wie du. Und eine neue Freundin!“ „Schön für dich, Redfield! Mich kannst du damit wohl kaum meinen! Und die zwei hier stehen auch nicht zum Verkauf!“, fügte Anya noch hinzu und drückte ihre beiden Freunde fest an sich, als würden sie andernfalls wegrennen. Valerie lachte. „Nein, meine neue Freundin … ach egal. Wir sollten jetzt erst einmal das Personal befreien. Über die Dinge, die heute geschehen sind, reden wir ein anderes Mal, okay?“ Ihr Ausdruck wurde ernst. „Da gibt es so Einiges, was ihr mir erklären müsst …“ „Keine Lust!“, murrte Anya und zog eine trotzige Schnute. Dabei dachte sie noch: alles bloß das nicht!     Turn 08 – Murphy's Law Nachdem Valerie nun die heilige Johanna von Orléans an ihrer Seite hat, ist Anyas Konkurrenzdenken schlimmer denn je. Um Marcs Aufmerksamkeit zu gewinnen, ohne dabei in einem schlechten Licht dazustehen, schreibt sie ihm in ihrer emotional unbeholfenen Art einen Liebesbrief. Unzufrieden damit, schmeißt sie ihn weg, nur damit er Nick in die Hände fällt. Der jedoch denkt, der Brief sei für ihn bestimmt und versucht Anya nahezukommen. Und sorgt im Zuge dessen dafür, dass Marc Anyas geschriebenes Wort hört. Was folgt, ist ein Duell um Nicks Leben. Kapitel 8: Turn 08 - Murphy's Law --------------------------------- Turn 08 – Murphy's Law     „Joan of Arc!?“, polterte Anya und fiel aus allen Wolken. Dann brummte sie grimmig: „Nie von gehört. Wer soll das sein?“ „Passt du denn nie in Geschichte auf?“, fragte Valerie mit klagendem Tonfall und ließ ihre Hand durch das seidige, endlos lange, schwarze Haar gleiten. Nein, dachte Anya boshaft, das geht schließlich schlecht, wenn ich mir ausmale, wie ich dir dummen Pute den Hals umdrehe, dich dann die Toilette herunterspüle und anschließend aus der Kloake fische, nur um dich an den weißen Hai zu verfüttern. Ihre tatsächliche Antwort fiel aber um einiges kürzer aus. „Nein.“ Abby räusperte sich besserwisserisch. „Joan of Arc, oder auch Jeanne D'Arc, ist eine-“ „Mir doch egal, komm zum Punkt, Redfield!“   Zusammen saßen die Drei und Nick unter der großen Eiche auf Abbys roter Wolldecke. Dass der Sommer allmählich zu Ende ging, schien in Livington noch nicht angekommen zu sein. Seit Tagen litt die kleine Vorstadt wieder unter sengender Hitze. Was besonders Anya ein gewaltiger Dorn im Auge war, trug ihre Erzfeindin nun bauchfreie Tops mit Ausschnitten, aus denen Mann, wenn Mann erst einmal hineinfiel, nie wieder herausfinden würde. Und Nick schien bereits seine Bergsteigerausrüstung im Gedanken zusammenzupacken, wenn man seinen geifernden Blicken folgte.   „Der Punkt ist, dass sie uns gerettet hat! Ich meine … wir haben es hier mit einer Gesandten von Gott zu tun! Ist das nicht total aufregend?“, fragte Valerie begeistert und faltete die Hände ineinander. Etwas geknickt fügte sie hinzu: „Schade, dass wir das für uns behalten müssen.“ Anya hingegen blieb wortkarg. „Nein, ist es nicht.“ „Es ist schon erstaunlich. Erst schließt Anya einen Pakt mit Levrier und nun steht Joan of Arc an Valeries Seite. Dazu tragen beide ein Mal, auch wenn sie ganz verschieden aussehen“, meinte Abby und durchsuchte nebenbei ihr Geschichtsbuch nach Bildern der heiligen Johanna. „Mir doch egal, welche Dumpfralle euch gerettet hat!“, tönte Anya miesepetrig. „Ich für meinen Teil hätte diese Zombies auch ohne göttlichen Schnickschnack umgepustet!“ Valerie spitzte die Lippen abfällig. „Nachdem sie dich zuerst umgepustet haben?“ „Na und? Hat fast gar nicht weh getan! Außerdem geht’s mir wieder gut!“ Schwer seufzend, legte Abby ihr Buch beiseite. „Sollte es aber nicht. Die Prellungen an deiner Stirn waren am nächsten Morgen verschwunden, oder? Das ist höchst ungewöhnlich, normalerweise kann das Wochen dauern.“ „Ich bin eben gut“, brummte Anya und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf. „Komisch ist nur, dass Joan sich seitdem nicht mehr bei mir gemeldet hat“, sprach Valerie mit unterschwelliger Besorgnis. „Immerhin sind unsere Mitschüler jetzt wieder sie selbst und konnten Victim's Sanctuary verlassen.“ Abby blickte nachdenklich in den blauen Himmel. „Irgendwie hab ich mittlerweile richtig Angst vor schlechtem Wetter. Jedes Mal, wenn ein Gewitter über unsere Stadt zieht, passiert etwas Schreckliches. Ob das Omen sind?“ „Nein, Wolken! Mit viel Wasser drin!“, raunte Anya gallig und wandte sich an Valerie. „So, da wir jetzt wissen, was uns sowieso nie interessiert hat, könntest du jetzt endlich mit deinem Schickimickiarsch abheben und Leine ziehen?“ „Ich dachte, wir wären jetzt Freunde?“, empörte Valerie sich und sprang mit verschränkten Armen auf. „Das ist dein Problem, Schneewittchen. Du denkst zu viel!“ „Lieber zu viel, als gar nicht, so wie du! Aber wenn du unbedingt darauf bestehst, werde ich jetzt gehen!“, erwiderte Valerie beleidigt und zog wie ein Sommergewitter von dannen. Sie hatte es satt, sich immer wieder Anyas Frechheiten ausgesetzt zu sehen. Vorwurfsvoll sah Abby ihre Freundin daraufhin an. „War das jetzt wirklich nötig? Du solltest dankbar sein, dass sie und Joan uns gerettet haben! Stattdessen bist du noch ekliger zu ihr als sonst!“ Anya gab nur ein böswilliges Grunzen von sich. Denn seit Valerie göttliche Unterstützung an ihrer Seite hatte, war sie in Anyas Gunst noch tiefer gesunken. Was bisher als unmöglich galt. Nicht nur, dass sie seit den Erlebnissen in Victim's Sanctuary einen auf gläubig machte – Anya wusste schließlich nicht, dass Valerie seither Katholikin war – nein, sie fühlte sich nun auch noch unbesiegbar und war dadurch mehr als nur unerträglich! Sie war vernichtungswürdig, um es mit den Worten dieses Dämonjägers Alastair auszudrücken. Das Ganze wurde auch nicht dadurch besser, dass alle Valeries Mal bewunderten, während keiner auch nur ein Wort über ihres verlor. Anya war frustriert, denn mit Jeanne D'Arc auf ihrer Seite, stand Valerie jetzt eine Stufe über ihr im Highschool-Kastensystem. Ein Zustand, den das Mädchen so nicht dulden wollte. Nicht etwa weil sie beliebt sein wollte, nein! Aber niemand stand über ihr, absolut niemand! Außerdem sah die Sachlage so aus, dass Valerie eine Art Engel an ihrer Seite hatte. Und die letzte Person, die so etwas von sich behauptete, hatte sie umbringen wollen! Demnach waren Anya und Valerie sozusagen Feinde. Selbst das Schicksal wollte es so! Was insofern natürlich gar nicht so übel war, denn dann konnte Anya vor Gericht auf Notwehr plädieren, während die Gerichtsmediziner das einzig von Valerie übrig gebliebene Körperteil – ihre falschen Fingernägel – auf Anyas DNA-Spuren testeten. Und dann war da natürlich noch Marc – ihr Marc! – der nur noch Augen für Valerie, oh Valerie hatte. Die konnte man mittlerweile nicht mehr von seinem Schatten unterscheiden, ergo nicht mehr von ihm wegdenken, wenn sie nicht gerade Anya und ihren Freunden mit ihrer Gerechtigkeitskacke auf den Keks ging. Alleine traf man Marc praktisch nicht mehr an. Das Dumme an der Sache war, dass Anya sie nicht einfach so aus dem Weg räumen konnte, denn der Verdacht würde sofort auf sie fallen. Demnach hatte sie ihren Plan, welcher einen Mixer und einen Backofen beinhaltete, leider aufgeben müssen. Aber es gab immer noch die Möglichkeit mit der Notwehr durch Schicksalsergebenheit!   „Anya, wir müssen zum Unterricht. Die Pause ist vorbei“, meinte Abby und packte ihre Sachen in ihre Beuteltasche. Die Blondine verzog finster das Gesicht. Irgendetwas musste ihr einfallen, um ihre Erzfeindin in Punkto Marc auszustechen. Abzustechen stand ja leider nicht zur Auswahl. Doch ihren Freunden konnte sie sich nicht anvertrauen. Da war guter, diskreter Rat wirklich teuer. Man sollte schließlich nicht denken, dass sie sich nicht selbst zu helfen wusste. Doch Anya musste insgeheim verbittert zugeben, dass genau dies der Fall war.   ~-~-~   Frustriert pfefferte Anya ihren Rucksack in die Ecke. Was waren schon 21 von 100 Punkten im Mathetest? Nick hatte ganze zwei Punkte erreicht und war somit als Einziger noch schlechter als sie. Immerhin war in dieser Hinsicht Verlass auf den Trottel. Trotzdem, dachte sie und ließ sich dabei auf ihrer schwarze Ledercouch in der Ecke des Zimmers fallen. Um wen hatten sich mal wieder alle gedrängt, weil sie eine volle Punktzahl erreicht hatte? Valerie Redfield! Dabei hatte Abby dasselbe Ergebnis erreicht, aber für sie interessierte sich nur der pickelige Adam. Es war zum Haare raufen! Valeries, verstand sich. „Warum bist du nicht irgendso'ne Supertussi, die vor ein paar hundert Jahren mal Hallus hatte?“, richtete Anya wütend ihre Worte an Levrier. Denn sie war sich sicher, dass Valerie Marc alles erzählt hatte, nur um vor ihm anzugeben.   Weil ich offensichtlich zu dieser Zeit nicht in Frankreich war.   „Hast du nicht auch irgendwelche tollen Tricks auf Lager? Irgendwas Cooles?“ Anya verschränkte die Arme und grübelte. „Und wenn du nur ihre Euter schrumpfen lässt!“   Selbst wenn ich das könnte, würde ich es nicht tun. Kräfte wie die meinen sind nicht dazu gedacht, andere Menschen zu terrorisieren. Und ich glaube, dieses Handwerk beherrscht du auch ohne meine Unterstützung bestens.   „Danke für das Lob“, brummte Anya beiläufig. Aber ihre Laune besserte das kein bisschen. Sie hatte überhaupt keine Ahnung, wie sie Marcs Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte, ohne dass dabei Valeries Knochen zu Bruch gingen. „Hast du nicht 'ne Idee?“, sprach sie in einem Moment tiefster Verzweiflung und bereute es sofort. Eine Anya Bauer bat nicht um Hilfe, sie half dir nur – ins Grab! Aber der Schaden war schon angerichtet …   Besitzt du denn ein besonderes Talent?   „Eishockey, zocken, fernsehen, Leute verdreschen …“ Anya überlegte. Hatte sie etwas vergessen? Nein, eigentlich nicht.   Ich dachte da eher an etwas Brauchbares. Kannst du singen? Oder beherrscht du zumindest ein Instrument?   „So'n High Society-Bockmist hab ich nicht nötig!“ Verstehe. Hast du wenigstens eine schöne Handschrift?   Anya schnaufte. „Man kann es lesen.“ Sehr gut. Dann schreib deinem Geliebten doch einen Brief. Das ist etwas Persönliches und macht besonders in deinem Falle einen guten Eindruck. Der Autor offenbart durch das geschriebene Wort einen Teil seiner Seel- „Ja, ja, ich hab's kapiert.“ Eigentlich war die Idee gar nicht so übel, sagte sich Anya. Auch wenn sie noch nie einen Brief geschrieben hatte – Erpresserbriefe mal außen vor gelassen. Bloß was sollte sie Marc schreiben? Wenn sie ihn beeindrucken wollte, musste es schon etwas Längeres sein. Sie nickte. Ihr würde schon etwas einfallen.   Und so kramte sie aus ihrem Rucksack einen Schreibblock sowie ein paar Stifte und setzte sich an ihren Schreibtisch vor dem Fenster. Welcher schon Staub angesammelt hatte, weil er nie vollständig eingeräumt, geschweige denn häufig benutzt worden war. Normalerweise nimmt man dafür richtiges Briefpapier.   „Na und? Ich nehme eben dieses! Wen interessiert schon, dass da am Rand ein paar Bildchen sind?“ Es würde schon keiner erkennen, dass das Valerie sein sollte, die gerade durch einen Fleischwolf gedreht wurde. Wenn du meinst.   „Ja, tu ich!“ Also machte sich Anya an die Arbeit. Sie starrte auf ihr Blatt … und starrte … und wartete darauf, dass irgendwas geschah. Du bist wirklich ahnungslos, oder? An deiner Stelle würde ich mit einer Anrede und anschließenden Einleitung beginnen. Der arme Kerl soll doch nicht ins kalte Wasser geschmissen werden.   „Halt die Klappe, ich kann das selbst!“ Das Privileg mit dem kalten Wasser galt wenn, dann nur Valerie. Und so machte sich Anya über den Brief her und schrieb einfach alles auf, was ihr dabei einfiel. Etwa sechs Stunden später, es war längst nach Mitternacht, hatte sie ihr Werk nach mehreren Korrekturen vollendet und hielt den Brief samt Eselsohr, Tintenflecken, hauseigenen Milben und kleinen Bildchen stolz in den Händen. „Den parfümiere ich morgen früh mit Mums 'Oh de Tolett' noch ein bisschen ein und dann gebe ich ihn Marc“, sagte sie so gut gelaunt, wie schon lange nicht mehr. An deiner Stelle würde ich ihn zumindest einmal laut vorlesen.   „Huh? Wozu soll das gut sein?“ Sie runzelte die Stirn. „Na ja, von mir aus …“ Also legte sie den Brief vorsichtig wieder auf den Schreibtisch und begann zu lesen.   „Hey Alter,   ich muss dir sagen, dass ich dich voll in Ordnung finde. War schon immer so, besonders weil du verdammt genial aussiehst. Besonders nach dem Training, wenn du völlig verschwitzt bist. Dieser Moment ist echt das Beste am Eishockey. Na ja, außer wenn ich Valerie 'nen deftigen Hieb verpassen kann, aber das mache ich ja schon lange nicht mehr. Ich finde es nicht fair, dass ich mich nicht bei den Jungen umziehen darf, denn eigentlich bin ich das einzige Mädchen im Team, was uncool ist. Valerie zählt nicht. Dabei spiele ich besser als die meisten Jungen aus unserem Team, wobei du natürlich eine Ausnahme bist. Bloß so können wir uns leider nie unterhalten, weil du immer so schnell weg bist. Scheiße, ich verlange Gleichberechtigung! Was ich sagen wollte ist, dass dein Tackle letzten Monat gegen diesen bekloppten Typen von den Queensport Champions echt rattenscharf war. Ich hätte ja mit dem Eishockey-Schläger nachgesetzt, aber leider habe ich damals zu dem Zeitpunkt mit Coach Bergmann diskutiert, weil ich Valerie versehentlich den Puck gegen den Helm gedonnert hatte. Ich schwöre dir, das war keine Absicht, aber sie stand halt im Weg! Wie soll ich auf diese Entfernung auch treffen können, wenn diese dumme Pute will, dass ich ihr einen Pass zuspiele? Egal, Schnee von gestern. Was ich dich fragen wollte war, ob du nicht mal Lust hättest, etwas mit mir zu unternehmen? Ich würde ja Kino vorschlagen, aber das klingt so kitschig. Außerdem hasse ich Kino wie die Pest, denn dauernd muss man den Saal verlassen, weil irgendwelche Vollidioten nicht auf meine freundlichen Anmerkungen hin still sein wollen, da sie zu sehr damit beschäftigt sind, sich und ihre blondierte Assifreundin zu fotografieren. Und dann krieg' ich den Anschiss, weil ihre 400$ teuren Extentions überall im Saal verteilt liegen. Ich frag dich, ist das fair? Deswegen wollte ich vorschlagen, dass wir einen cooleren Ort aufsuchen. Ich kenne da einen tollen Schrottplatz, gleich um die Ecke vom Einkaufszentrum. Da hole ich immer Sachen für Barbie. Das ist mein Baseballschläger, weißt du? Und Barbie mag es, wenn man ihr ein paar hübsche Nägel mitbringt, um sie neu einzukleiden. Überleg' es dir einmal. Würde mich echt freuen. Hau rein, Anya“   „Na, wie findest du ihn?“, fragte Anya stolz. … kreativ.   „Sag ich doch, ich kann das!“ Ungeschickt faltete Anya den Brief und stopfte ihn in ihren Rucksack. Wollen doch mal sehen, wer dann die Nase vorn haben würde, dachte sie schadenfroh.   ~-~-~   Egal wie sehr sie das Papier auch drückte und quetschte, es fühlte sich einfach nicht wie Valerie Redfields Hals an. Anyas Lippen waren so schmal, dass man meinen konnte, sie würden jeden Moment verschwinden. Mit hasserfüllten, kleinen Augen beobachtete sie Valerie, wie sie Marc heimlich einen kleinen Zettel reichte, während Mr. Gibson irgendetwas Belangloses schwafelte und dabei an der Tafel schrieb. Anya wusste nicht einmal, was für ein Kurs das überhaupt war. Ihre Fingernägel krallten sich in ihr Pult, doch leider weigerte sich das Holz, ihrem Druck nachzugeben. Diese dämliche Ziege war ihr wieder einmal zuvorgekommen! Und dieser Blick, den die beiden sich dabei zuwarfen! Die sahen doch eindeutig verliebt aus! Oh, sie würde Redfield- Es klingelte. „Denkt an eure Referate“, mahnte Mr. Gibson die Schülerschaft eindringlich. Die Jungs und Mädchen erhoben sich daraufhin. Nur Anya blieb sitzen und stellte sich vor, was sie alles tun würde. Schade, dass es nur eine Valerie Redfield auf diesem Planeten gab, denn ihr Einfallsreichtum reichte aus, um einen ganzen Bundesstaat voller Valeries in eine unbewohnbare Ruine zu verwandeln. Mindestens! Als Anya schließlich frustriert ihre Sachen eingepackt hatte, gluckste plötzlich jemand hinter ihr und hielt ihr die Augen zu. „Wer bin ich? Ein Tipp: ganz bestimmt nicht Nick!“ Anya riss an seinem Arm, schleuderte ihn über das Pult zu Boden und stampfte mit geschultertem Rucksack wortlos über ihn hinweg. „Woher hast du das gewusst?“, röchelte er ihr hinterher. Frustriert warf Anya das, was einmal ihr Brief gewesen war, in den Papierkorb und verließ das Klassenzimmer. Sie musste sich jetzt dringend an jemandem abreagieren.   Derweil erhob sich Nick und lief verwundert zu besagten Papierkorb. Er zog eine Bananenschale hervor, doch schüttelte den Kopf. „Neee, davon hab ich schon welche.“ Dann hielt er Anyas Brief in den Händen. „Hehe, wieder was für meine Sammlung!“ Was besagte Sammlung anging, besaß er schon Anyas Radiergummi, den sie in der Fünften weggeschmissen hatte, weil er nicht in Lily McDonalds Ohr gepasst hatte oder auch, sein persönliches Highlight, ein unangerührtes Sandwich von Anya. Jenes würde in so manchen Ländern schon als volljährig betrachtet werden. Neugierig friemelte er den Brief auseinander und begann zu lesen, wobei er einige Passagen selektiv ausblendete. Und als er geendet hatte, strahlte er wie ein Honigkuchenpferd in der Zuckerfabrik.   ~-~-~   „Bitte lass mich gehen, ich hab doch nur noch 23 Zähne!“, jammerte Ernie Winter, während Anya ihm am Kragen gepackt hielt und zuschlagen wollte. „Ich hab dich über mich lästern hören! Du hast über mich gelästert, huh? Sag, dass du über mich gelästert hast!“ „Aber ich hab doch Anna gesagt und nicht Anya!“ Anya schnaufte und ließ das schmächtige Weichei los. Selbst das machte ihr keinen Spaß mehr! Wie sollte sie denn ihre Wut auslassen, wenn sämtliche 'Sportarten', die sie in den letzten 19 Jahren erfunden hatte, sie auf einmal nur noch langweilten? Während Ernie eilig davon krabbelte und seine Hose einsammelte, verschränkte Anya die Arme und ging an den Schülern vorbei, die zugesehen hatten. Unnötig zu erwähnen, dass die einen nicht zu verachtenden Sicherheitsabstand hielten. Anya sah sich auf dem Campusgelände um. Wo zur Hölle war Abby, wenn man sie mal brauchte? Ihr würde bestimmt etwas Kluges einfallen, wie Anya sich ihre Zeit vertreiben konnte. Oder, nein, ihre Ideen wären nur noch langweiliger. Aber wo war sie? Den ganzen Tag schon bekam man sich nicht zu Gesicht! „Oh holde Maid~“ Anya überlegte. Ob Abby sich mal wieder in der Bibliothek verschanzt hatte? Aber nein! Abby und Schule schwänzen in einem Satz zu nennen war wie Valerie Redfield die Haare anzuzünden. Leider unmöglich. Was trieb das Mädel also? „Im schönsten Sommerkleid~ äh Hose~“ Ob sie- „Frisch aus der Dose~“ Jetzt reicht's!   Anya wirbelte um, damit sie diesem Schreihals eins auf die Zwölf geben konnte. Hinter ihr kniete Nick, mit Hand auf der Brust, die sinnlosesten Textzeilen trällernd. „Was soll das denn!?“, herrschte sie ihn an und stellte verärgert fest, dass schon aus allen Richtungen neugierige Blicke auf ihnen lagen. „Na ich werbe um dich~“ Anya kratzte sich an der Stirn, da ihre rhetorischen Fähigkeiten nicht ausgeprägt genug waren, um Nicks Worte in ihrer vollen Grausamkeit zu verinnerlichen. „Häh?“ „Weil ich dich liebe~“ Fassungslos starrte sie ihren -ehemaligen- Freund an. „Todessehnsucht, du!?“ „Und verehre~“ „Wie kommst du auf die grenzdebile Idee, mir so etwas zu sagen, du Holzkopf!? Alter, ehe ich mit dir gehe, zieh ich in'n Kloster und werd' 'ne beschissene Nonne!“ „Aber“, stammelte Nick nun getroffen und holte den Brief aus seiner Hosentasche. Mittlerweile hatte sich eine ganze Traube von Schülern um sie gebildet und zu Anyas Leidwesen waren auch Valerie und Marc darunter. „Aber hier steht, dass du mit mir zum Schrottplatz willst!“ Anya klappte die Kinnlade hinunter. Der Trottel hatte doch tatsächlich … ! „Gib diesen Brief her!“ „Da steht, dass du gerne mit mir in der Männerumkleide duschen würdest!“ „Der ist doch nicht für dich, du Blödian!“, fauchte Anya und schnappte nach dem Brief, doch da Nick über einen Kopf größer war als sie, bekam das Mädchen ihn nicht zu fassen, als er ihn hochhielt. „Aber, aber … und dass du mich magst?“ Nick schien den Tränen der Enttäuschung nahe. Er wedelte mit dem Brief. „Das steht doch da!“ „Gib-her!“, brüllte sie, gab ihm einen saftigen Tritt gegen das Schienbein, gefolgt von einem Schlag in die Nieren und riss ihm den Brief in seinem schwachen Moment aus der Hand. „Sag bloß, der ist … der ist für Marc?“, stammelte Nick unter höllischen Schmerzen frustriert.   Es war mucksmäuschenstill. Jeder der Anwesenden wusste, dass es gleich sehr laut werden würde. Das war wie bei einem Vulkan, der kurz davor stand auszubrechen. Aber statt Lava würde in diesem Falle Nicks Blut fließen. Selbst dieser erkannte, dass er gerade sein eigenes Todesurteil unterschrieben hatte. Er rannte weg, Anya folgte ihm nicht. Sie ballte eine Faust. Dann nahm sie ihre Duel Disk aus dem Rucksack und schleuderte sie selbst auf große Distanz mit vollem Karacho zwischen Nicks Beine. Dieser stolperte und fiel, stand wieder auf und rannte um sein Leben, als Anya ihn wie von der Tarantel gestochen zu verfolgen begann. Unter den wüstesten Beschimpfungen, die die Livington High je erlebt hatte. Die Jagd erstreckte sich über den Hof, das Gebäude der Unterstufe, dann das der Oberstufe, um den Sportplatz und die beiden Hallen herum zurück zum Campusgelände. Und würden dabei Sägeblätter um Anyas Körper kreisen, hätte sie unlängst eine blutige Schneise durch die ganze Schule gezogen. Aber auch so konnten sich genug Schüler, die nicht schnell genug ausgewichen waren, über ungewollten Zwangsurlaub aufgrund diverser Prellungen freuen. „Komm … her … ich krieg' dich … ja doch!“, brüllte Anya und staunte, wie gut Nicks Beine doch funktionierten. Dahinter steckte vermutlich jahrelange Übung, was in direktem Kontakt mit Anya wohl unvermeidlich war. Erschöpft blieb das Mädchen vor der Traube Schaulustiger stehen, keuchte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nick fiel etwas weiter weg von ihr auf die Knie. „Oh man! Fangen spielen ist ganz schön anstrengend.“ „Ich … würde dich ja vernichten … aber … ich kann nicht mehr“, presste Anya hervor. Neben ihr lag die Duel Disk, die sie nach Nick geworfen hatte. Sollte sie wirklich noch weiter hinter ihm her rennen? So ungern sie es auch zugab, war Nick aufgrund seiner langen Beine und seiner Erfahrung in Punkto Abhauen ihr gegenüber arg im Vorteil. Wenn das so weiterging, würde sie ihn nie zu fassen kriegen. Aber sie musste sich abreagieren, jetzt, sofort! Außerdem war dieser Idiot den Schweiß auf ihrer Stirn nicht wert! Ein weiterer, missmutiger Blick fiel auf die Duel Disk. Also blieb nur eines. „Wir … duellieren uns … und wenn du stirbst … ich meine verlierst … stirbst du.“ Nick sprang auf und strahlte. „Cool! Ich glaube, ich habe mich noch nie mit dir duelliert!“ Was vornehmlich daran lag, dass jeder, dem etwas an seiner Gesundheit lag, darauf verzichtete, sich mit Anya zu duellieren. Gewann sie, hatte man seinen Stolz verloren. Verlor sie aber, konnte man froh sein, wenn am Ende wenigstens noch der Stolz von einem übrig blieb. Anya hasste es zu verlieren. „Könnt ihr euch nicht vertragen?“, mischte Valerie sich ein. „Er hat dich doch nicht absichtlich blamieren wollen.“ „Schnauze, Redfield!“ Denn grundsätzlich glaubte Anya nicht an Zufälle. Wenn jemand ihr ein Leid zufügte, dann ausschließlich mit Absicht!   Indes hatte Nick sich schon eine Duel Disk ausgeliehen und umgeschnallt. „Ich bin fertig!“ Anya las die ihre auf und schob ihr Deck in den dazugehörigen Schacht. „Du bist nicht nur fertig, du bist reif fürs Recycling, wenn ich dich auseinander gerupft habe!“ „Cool!“ Dann riefen beide: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Nick: 4000LP]   „Ich fang' an“, verkündete Nick freudig und hatte Glück. Denn Anya war zu sehr damit beschäftigt, Marc anzustarren, der ihr einen undeutbaren Blick zuwarf, um zu widersprechen. „Äh, wie macht man das? Ich rufe … ahja, genau, ich rufe jetzt erstmal meine Mum an und frag sie, was ich spielen soll!“ „Harper!“ „Hehe, nur'n Witz! Ich rufe [Wind-Up Soldier]!“ Ein kleiner, futuristischer Spielzeugsoldat erschien vor Nick. Aus seinem Rücken ragte ein großer Aufziehschlüssel.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Dann setze ich noch eine Fallenkarte verdeckt!“, rief Nick gut gelaunt und legte sie auf die Monsterkartenzone der Duel Disk. Und während Marc ihn freundlich darauf hinwies, wie er es richtig zu machen hatten, stöhnte Anya laut auf. Wenn das so weiter ging, würde das selbst für ihren Geschmack zu leicht werden. „Ich bin dran“, zischte sie im Anschluss böse und zückte ihre Lieblingskarte. „[Gem-Knight Fusion]! Aus [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Emerald] wird [Gem-Knight Citrine]!“ Vor ihr tauchte aus einem Wirbel aus Edelsteinen ein Ritter in einem blauen Umhang auf, welcher mit seinen rot glühenden Armen ein riesiges Breitschwert schulterte – einhändig. Gem-Knight Citrine [ATK/2200 DEF/1950 (7)]   „Falle aktivieren“, rief Nick fröhlich. „[Fissure]!“ Vor ihm sprang eine Karte auf … mit grünem Rand. „Du Volltrottel, das ist 'ne Zauberkarte!“, donnerte Anya, während Nicks Zauber wieder mit dem Kartenbild nach unten glitt. Lautes Gestöhne ging durch die Zuschauerschar. Die Blondine schwang den Arm aus. „Citrine, mach Hackfleisch aus dieser Witzfigur von Monster!“ Mit nur einem Schwerthieb wurde Nicks Spielzeug in seine Einzelteile zerlegt.   [Anya: 4000LP / Nick: 4000LP → 3600LP] „Ohhhhhh …“, jammerte Nick und trauerte seiner Karte nach. Anya indes nahm eine Karte von ihrem Blatt und setzte sie verdeckt. Sie erschien vor ihren Füßen, während das Mädchen sprach: „Dein letztes Stündlein hat geschlagen, Harper! Mach deinen letzten Zug!“ Der junge Mann schien sich der Gefahr, in der er schwebte, gar nicht bewusst zu sein. Er zog und drückte dann einen Knopf an seiner Duel Disk. „Aber jetzt! [Fissure]! Damit zerstöre-“ „Gar nichts zerstörst du! Konterfalle! [Paradox Fusion]! Indem ich ein Fusionsmonster, wie Citrine eines ist, für zwei Runden aus dem Spiel verbanne, kann ich die Aktivierung einer Karte annullieren! So bringe ich Citrine vor deiner Karte in Sicherheit!“ Ihr Ritter löste sich in Luft auf, während Nicks Zauberkarte in tausend Stücke zersprang. „Ohh! Dann spiele ich jetzt [Wind-Up Magician] verdeckt!“ Vor Nick tauchte ein Aufziehmagier auf, welcher mit seinen Zangenhänden einen Zauberstab hielt. Lautes Gemurmel erklang um die beiden Duellanten herum und ein paar mutige Seelen wagten es sogar zu lachen.   Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)]   „Zug beendet!“ Anya ballte eine Faust. Es war wohl nicht genug, dass dieser Idiot sie vor allen gedemütigt hatte. Nein, das hätte sie ihm noch verzeihen können, nachdem sie seine Haut abgezogen und als Bettvorleger benutzt hätte. Aber dass er sich nicht die geringste Mühe gab, sein kümmerliches Leben zu retten, machte sie rasend. „Wie kannst du es wagen …“, murmelte sie vor sich hin. Die Wut in ihr war so groß, dass sie sie förmlich greifen konnte. Wie ein Licht erschien sie ihr und alles, was sie zu tun hatte, war zuzupacken. Und wenn man es hielt, fühlte man die Kraft in sich pulsieren. Ein großartiges Gefühl.   „Draw!“, schrie sie laut. „Von meinem Friedhof: [Gem-Knight Fusion], für die ich Emerald verbanne, damit ich sie auf die Hand bekomme! Und ich aktiviere sie, um [Gem-Knight Sapphire] und [Gem-Knight Iolite] von meiner Hand zu verschmelzen und dadurch [Gem-Knight Amethyst] zu beschwören!“ Aus dem funkelnden Edelsteinwirbel tauchte ein blauer Ritter auf, aus dessen Handrücken eine riesige Lanze aus Eis wuchs. Zu seinem Schutz trug er in der anderen Hand einen großen Rundschild.   Gem-Knight Amethyst [ATK/1950 DEF/2450 (7)]   „Als Normalbeschwörung rufe ich jetzt [Gem-Knight Alexandrite]! Aber er wird nicht lange bleiben, denn ich biete ihn durch seinen eigenen Effekt als Opfer an und rufe so [Gem-Knight Crystal] von meinem Deck!“ Der Ritter in weißer Rüstung, welcher vor Anya erschien, verschwand kurz darauf wieder und hinterließ einen stolzen Krieger in Weiß, welcher seine Hände in die Hüften stemmte.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Oh oh“, nuschelte Nick ängstlich. „Verliere ich jetzt?“ „Verdammte Scheiße, ja!“, fauchte Anya ihn in ihrer Rage an. „Du hast alles versaut, alles! Jetzt denkt auch der Letzte, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe! Wegen dir habe ich jede Chance … jede … Chance, ihn …“ Die Wut pulsierte so sehr in Anya, dass sie kaum mehr Luft bekam. „Los, Amethyst, vernichte dieses Drecksvieh von Magier!“ Ihr Ritter holte mit seiner Lanze zum Schlag aus und spießte die kleine Kreatur vor Nick gnadenlos auf. Heftiger Wind fegte über das Gelände und ließ Anyas Pferdeschwanz wild durch die Luft tänzeln.   [Anya: 4000LP / Nick: 3600LP → 2250LP]   „Ich werde dir nie verzeihen, was du heute getan hast“, sprach sie hasserfüllt. „Nie, hörst du!?“ „Aber-!“ Sie hielt es nicht mehr aus. Das, was in ihr steckte, musste einfach hinaus! „Los Crystal, beende diesen Scheiß! Clear Punishment!“ Ihr stolzer Ritter schlug mit seiner Faust auf den Boden und ließ die Erde erzittern. Überall brach sie donnernd auseinander, sodass einige Schüler umkippten. Auf Nick zischte unter lautem Getöse in ungeahntem Tempo ein Riss im Boden zu, aus dem kurz darauf endlos viele Kristalldornen schossen und ihn an Armen und Beinen trafen.   [Anya: 4000LP / Nick: 2250LP → 0LP]   Keuchend atmete Anya und hielt sich ihr Mal, welches auf einmal fürchterlich brannte. Die Hologramme verschwanden … doch der Schaden nicht! Überall war die Erde aufgerissen, der Rasen glich einem Schlachtfeld. Und Nick? Er sank auf die Knie, gezeichnet von etlichen Schnittverletzungen. Irritiert und zugleich auch vorwurfsvoll sah er Anya an, ehe er den Kopf hängen ließ und sich wimmernd die blutenden Stellen hielt. Anya wandte sich gleichgültig von ihm ab und schritt davon. Jeder, dem sie zu nahe kam, ging ihr mit Angstschreien fluchtartig aus dem Weg. Sie realisierte es gar nicht, das Chaos um sie herum, fasste keinen klaren Gedanken. Zu groß noch war der Zorn, der in ihr pulsierte und weiter herumwüten wollte. Sie achtete kaum auf den Weg und fand sich irgendwann in einem der Gänge des großen Schulgebäudes wieder. Hier war sie zumindest allein mit sich selbst. Erschöpft lehnte sie sich gegen die Wand neben den Spinden und hielt sich ihren Arm. Er brannte nicht mehr. Erst jetzt realisierte sie, was tatsächlich geschehen war. Sie hatte … den halben Schulhof zertrümmert! „Genial!“, entfleuchte es ihr ehrfürchtig. Wie hatte sie das angestellt? Doch nicht etwa wegen diesem Ding? Sie betrachtete das schwarze Kreuz mit dem Dornenring neugierig. War das etwa auch in dem Pakt mit Levrier inbegriffen? Wenn ja, bereute sie nun keine Sekunde mehr, ihn abgeschlossen zu haben. Damit konnte sie- „Anya?“ Das Mädchen schaute auf und erschrak. „Marc!?“ Vorsichtig näherte er sich ihr. Wie immer sah er so verdammt gut aus in seiner Sportjacke, mit diesen wunderschönen Augen und seinem Kinnbart. Anya spürte, wie es nun eindeutig ihr Herz war, das pulsierte. „Was ist da gerade passiert?“, fragte er etwas unsicher und deutete auf den Ausgang, welcher zum Sportplatz führte. „Nick braucht einen Krankenwagen.“ „Ich habe … keine Ahnung“, log sie. „Muss wohl … an den Rohren gelegen haben. Unten … in der Erde … und so.“ „Ah“, gab er einsichtig von sich. „Das also war es.“ Er lachte zögerlich. „Stimmt, eigentlich ist das logisch. Hologramme können keinen realen Schaden anrichten, nicht wahr?“ „N-nein.“ Warum fühlte sie sich auf einmal so schwach? Plötzlich fiel ihr nicht ein einziger Spruch oder auch nur eine coole Beleidigung ein, die sie in das Gespräch mit einfließen lassen konnte!   Marcs Gesicht nahm plötzlich betrübte Züge an. Er atmete tief durch und sagte dann: „Hör mal, ich … also es geht um diesen Brief.“ Anya erstarrte. Selbst Denken fiel ihr plötzlich unendlich schwer – dabei wollte sie es dieses eine Mal sogar! Jetzt durfte sie sich keinen Fehler erlauben! Sichtlich schien ihr Gegenüber mit sich zu ringen, ehe er schließlich ihren Blick mied. „Es ist sehr lieb von dir, dass du mir das geschrieben hast. Ich hab ihn gelesen, nachdem du gegangen bist.“ „O-oh! Nein, nein, nein, ich-!“ Marc lachte, doch es klang künstlich. „Er war sehr … interessant. Und ich weiß die Mühe zu schätzen, die du dir damit gemacht hast. Aber …“ Aber? Aber! Abers waren nie gut! Er seufzte. „Es ist nicht so, dass ich dich nicht mag. Du bist anders, als die anderen Mädchen an dieser Schule. Jemanden wie dich trifft man sonst nirgendwo und irgendwie bist du auf deine Weise beeindruckend.“ Strike! „Aber-“ Shit! „Nun, ich würde gerne hinter deine Fassade blicken. Bloß bin ich mir nicht sicher, ob ich dahinter überhaupt etwas finden werde. Ob da überhaupt eine Fassade ist. Denn wenn dem nicht so wäre, also …“ Anya verstand kein Wort. Fassade? Wovon redete Marc da überhaupt? Der schwarzhaarige Footballspieler fasste sich. „Ich denke, wir sollten unsere Beziehung so lassen, wie sie ist. Das wäre wohl das Beste für uns alle. Dass du Valerie nicht magst, kann ich irgendwo nachvollziehen. Doch lass sie in Zukunft bitte in Ruhe, denn sie ist ein aufrichtiger, wundervoller Mensch und hat es nicht verdient, so behandelt zu werden.“ „'kay“, murmelte Anya tonlos und ballte hinter ihrem Rücken eine Faust. „Ich denke, das war alles, was ich dir sagen wollte“, meinte Marc. Er wollte Anya eine Hand auf die Schulter legen, doch sie wich zurück. „Tut mir leid. Hier, dein Brief. Ich … gehe dann besser.“ „Tu das …“, antwortete Anya tonlos und nahm das zerknüllte Stück Papier entgegen. Und so drehte er Anya den Rücken zu und ging. Sie sah ihm nicht hinterher, sondern starrte mit gesenktem Haupt ihre Schuhe an. In ihrem Kopf herrschte Stille. Da waren weder Beleidigungen noch Gewaltfantasien. Nichts. Nicht einmal Wut. Da war etwas noch viel Schrecklicheres, nämlich gar nichts zu fühlen. Und Anya wollte etwas fühlen, irgendetwas, nur nicht nichts. Sie schrie, was die Lungen hergaben und schlug mit der Faust die Tür des nächstgelegenen Spinds ein. Das dünne Metall gab nach, also ging sie zum nächsten und zertrümmerte auch ihn. Keinen ließ sie aus, auch als ihre Knöchel schon bluteten. Sie machte weiter, solange, bis die Wut zurückkehrte und sie noch mehr antrieb. Als sie ihr Werk getan hatte, verließ Anya seelenruhig das Gebäude. Und hinterließ dabei ein regelrechtes Schlachtfeld aus zerfetzten Büchern, ausgerissenen Spindtüren und anderen Gegenständen, die überall auf dem Boden verstreut lagen.     Turn 09 – Abby Nachdem Abby auch am nächsten Tag nicht in der Schule aufgetaucht ist und nicht an den Nachforschungen rund um Anyas neuen „Mitbewohner“ Levrier teilnimmt, geht Anya alleine auf die Suche nach ihr. Als sie Abbys Zuhause verlassen und völlig chaotisch vorfindet, beschleicht sie ein schrecklicher Verdacht. Kapitel 9: Turn 09 - Abby ------------------------- Turn 09 – Abby     Anya langweilte sich. Sie war sogar schon dazu geneigt, eines der Bücherregale umzuwerfen, nur um zu sehen, was dann geschah. Aber sie riss sich zusammen, was die Blondine mehr Mühe kostete, als sich eine Art auszudenken, wie sie Valerie Redfield um die Ecke bringen konnte, welche sie nicht schon tausendmal in ihrem Kopf abgespielt hatte. Nun saß sie hier in dieser antiken Grabkammer – den meisten eher als Bibliothek bekannt – und klopfte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. Am letzten Wochenende hatten sie, Abby und Nick sich für heute hier verabredet, um zu versuchen, doch noch mehr über Levrier und Eden herauszufinden, nachdem sie festgestellt hatten, dass zwei Monate eine verdammt kurze Zeitspanne waren. Und die Uhr tickte gnadenlos Richtung 11. November, war doch bereits die erste Hälfte des derzeit anhaltenden, milden Septembers wie im Flug vergangen.   Aber wer war nicht aufgetaucht? Richtig: Abigail Masters! Anya würde ihr dafür die Hölle heiß machen, wenn sie erstmal hier auftauchte! Und wen hatte sie achtkantig rausschmeißen müssen? Nick! Im Moment war sie noch nicht in der Stimmung, dieselbe Luft zu atmen wie er, was gerade im Unterricht lästig sein konnte. Das Mädchen wusste, dass sie ihm früher oder später verzeihen würde. Eher später, denn Anya war sehr, sehr nachtragend. Doch bis es soweit war, wollte sie ihn so weit wie möglich auf Abstand halten – auch um seiner Gesundheit willen. Und da konnte er sich noch so oft bei ihr entschuldigen!   Die Sache mit dem ruinierten Campusgelände hatte man ihr nicht ankreiden können, dachte Anya zufrieden. Levrier hatte ihr erklärt, dass diese Kräfte tatsächlich Teil ihres gemeinsamen Paktes waren. Doch Anya konnte sie nicht beherrschen und Levrier weigerte sich strikt, sie in die Geheimnisse zum Kontrollieren dieser Kräfte einzuweihen. Was für ein Langweiler! Aber sie würde es schon selbst herausfinden, irgendwann. Und dann war Partytime angesagt. Was Marc und seine Worte anging, machte Anya sich darum keine Gedanken mehr. Die Hälfte hatte sie ohnehin längst vergessen und den Rest dank ihres natürlichen Selbsterhaltungstriebes so abgeändert, dass sein Korb nunmehr wie eine verschlüsselte Interessensbekundung klang. Einzig ihr Versprechen ihm gegenüber, dieser dummen Schnepfe Valerie – ihr Name sei auf ewig verflucht – kein Haar zu krümmen, war davon nicht betroffen. Das war unfair! Wie sollte sie sich jetzt an all den bunten Bildern in ihrem Kopf erfreuen, wenn sie wusste, dass sie die nie in die Tat umsetzen konnte? Aber ein Versprechen, das Anya Bauer gab, wurde nicht gebrochen. Schon gar nicht, wenn Marc involviert war!   „Man, Masters, wo bleibst du denn?“, murmelte sie genervt. Verstohlen schielte sie das Regal direkt vor ihrem Tisch an. Sollte sie es wagen? Ob die alte Schrulle Mrs. Wilson die Polizei rufen würde? Anya war schon lange nicht mehr auf dem örtlichen Polizeirevier gewesen. Das letzte Mal, als sie Jonathan – oder was noch von ihm übrig war – gefunden hat. Wenn Anya nur daran dachte, fühlte sie sich unwohl. Jetzt wusste sie, wie eine echte Leiche aussah. Fast konnte man da Mitleid mit den Menschen aus ihren Fantasien haben – aber nur fast!   Vielleicht solltest du sie suchen gehen? Täusche ich mich, oder war sie heute auch nicht in der Schule? Womöglich ist sie krank.   Anya brummte leise. Und warum hatte sich Abby dann nicht bei ihr gemeldet? Normalerweise war in solchen Fällen immer Verlass auf sie. Aber jetzt, wo Levrier es sagte, erkannte Anya, dass sie ihre Freundin seit vorgestern Nachmittag nicht mehr gesehen hatte. „Hast gewonnen“, meinte sie in nörgelndem Tonfall und erhob sich. Anya entschloss sich, zuerst Abbys Zuhause aufzusuchen, da man sie dort am ehesten in ihrer Freizeit antraf. Und weil Anya keine Alternative wusste.   ~-~-~   Mit skeptischem Blick musterte die Blondine das Haus vor ihr. Obwohl sie es schon so oft gesehen hatte, passte es immer noch nicht wirklich zusammen. Ursprünglich war es relativ klein gewesen, ohne Obergeschoss. Das war vor vielen Jahren dazugekommen, nachdem Abbys Stiefmutter zum siebenten Mal schwanger geworden war. Seine moderne Bauart passte nicht zu dem kleinen Holzhäuschen und Anya überlegte schon, Wetten abzuschließen, wann das ganze Gebilde wohl zusammenbrechen würde. An der rechten Seite war ebenfalls angebaut worden und auch hier passte nichts zum ursprünglichen Haus, denn dieser Teil sah aus wie ein Gewächshaus mit Vorhängen – ihre Version eines Wintergartens. Anya betrat das Grundstück, dessen Rasen ihr schon zu den Knien reichte und schritt über einen kleinen Steinweg zur Haustür. Ungeduldig drückte sie den Klingelknopf mindestens eine halbe Minute und wartete ab. Nichts. War niemand zuhause? Nun, die meisten Kinder der Familie Masters waren schon alt genug, um etwas in der Stadt zu unternehmen, während ihre Eltern arbeiten gingen. Einzig Michael, der jüngste Spross der Familie, brauchte noch einen Babysitter. Meistens waren das Abby oder ihre Nachbarin, Mrs. Rapatolli.   Verärgert runzelte Anya die Stirn. Wenigstens Michael müsste doch zuhause sein. Sie klopfte gegen die Tür – und blinzelte verdutzt, als diese nachgab und einen Spalt zur Seite schwang. „Oh shit!“, donnerte Anya, als sie bemerkte, dass das Schloss aufgebrochen war. „Einbrecher!“ Ohne nur einen Moment nachzudenken, schlich Anya sich auf Zehenspitzen in den Flur des Hauses. Mit zusammengekniffenen Augen suchte das Mädchen aufmerksam nach dem Übeltäter, der seines Lebens nicht mehr froh werden sollte. Als sie im großen Gemeinschaftssaal – so nannten Abbys Eltern das Wohnzimmer – ankam, gab sie einen überraschten Laut von sich. Die Sitzkissen lagen willkürlich verstreut im Zimmer, einer der orangefarbenen Vorhänge war abgerissen und lag auf dem Boden, während der andere das Fenster bedeckte und so einen Teil des Zimmers in warmes, oranges Licht tauchte. Selbst der kreisrunde, kniehohe Gemeinschaftstisch war umgeworfen worden. Man musste dazu wissen, dass es hier keine Stühle gab, nur Kissen. „Alter Falter“, murmelte Anya fassungslos und wünschte sich, dass 'Barbie' jetzt hier wäre. Was war denn mit diesem durchgeknallten Exemplar von Einbrecher los?   Anya eilte zurück zum Flur und trampelte die Treppen hoch, damit der Kerl wusste, was ihm blühen würde. In Abbys Zimmer angekommen, das von Tierpostern und Bildern von Che Guevara zugedeckt war, musste Anya feststellen, dass alles in bester Ordnung war. Das Bett gemacht, der Schreibtisch eingeräumt, jedes ihrer Bücher in den Regalen reihte sich perfekt in alphabetischer Reihenfolge an das nächste. Davon bekam man ja Ausschlag, dachte sich das Mädchen dabei, welches von solcher Ordnung nichts hielt. Nachdem sie auch die anderen Zimmer abgesucht und vollkommen unberührt vorgefunden hatte, kehrte sie schließlich frustriert wieder zum Gemeinschaftssaal zurück. War diese miese Made ihr entkommen? Und wo waren Abby und Michael? Nun blieb ihr nur noch der Wintergarten – das Unterhaltungszimmer, oder auch Sonnenschrein, der Familie Masters. Anya folgte dem kurzen Gang vom Wohnzimmer aus dorthin und runzelte die Stirn. Rechts von ihr waren die Vorhänge zugezogen, damit man von der Straße aus nicht in das Zimmer hineinschauen konnte. Auf der anderen Seite kam Sonnenlicht durch die endlos vielen Fenster, aus denen sogar das Dach bestand. Daher der Name dieses Raums. Anya trat eine Barbiepuppe beiseite, denn Michael spielte gerne mit Barbies. Schon lange plante das Mädchen, ihm mal ihre 'Barbie' vorzustellen. Das war wenigstens Spielzeug nach ihrem Geschmack. Ansonsten lagen noch Modellautos, ein Zeichenblock und Stifte herum. In der Ecke stand ein Fernseher samt Konsolen und anderem Technikschnickschnack, denn im Gemeinschaftssaal wurde so etwas nicht geduldet. Anya fragte sich bis heute, wie man einrichtungstechnisch nur so versagen konnte. Aber auch hier fand sie niemanden. Merkwürdig.   Anya Bauer! Ich spüre die Reste eines Zaubers in diesem Raum.   „Und ich spüre meinen Magen knurren! Was soll das heißen?“   Nicht weit von dir. Auf dem Boden.   Anya runzelte die Stirn und suchte. Neben dem Zeichenblock entdeckte sie eine weiße Karte, deren Bildmitte ausgebrannt war. Sie hob das Stück Pappe auf und drehte es zwischen ihren Fingern. Die Rückseite war auch weiß. „Das kenne ich doch irgendwoher“, brummte sie.   Der Dämonenjäger. Das ist ein Teleportationszauber derselben Machart, wie Alastair ihn genutzt hat, um zu entkommen.   „Der!?“ Wütend zerknüllte Anya die Karte. Also war er der Einbrecher! Dem würde sie sämtliche Knochen brechen! „Hast du 'ne Idee, wo der jetzt ist?“, zischte sie.   Nein. Aber es sieht so aus, als wäre er für das Verschwinden von deiner Freundin verantwortlich. Den Resten der Magie nach zu schließen, ist er schon gestern hier gewesen.   Anya ballte ihre Fäuste und wünschte sich, die narbige Hackfresse dieses Mistkerls damit ordentlich bearbeiten zu können. Aber erst musste sie Abby und Michael finden! Die würden vielleicht wissen, wo Alastair sich aufhielt. „Okay, wir gehen!“ Man könnte sagen, ich bin direkt hinter dir.   „Fass mich an und du bist tot!“   Ich würde nie auf den Gedanken kommen.   ~-~-~   Anya hätte vor Wut schreien können. Sie hatte jetzt fast die halbe Stadt abgesucht. Ob Kinos, die Gegend um das Campusgelände, die Lagerhäuser am Stadtrand, aber egal wo sie gesucht und dabei gegen mindestens drei Gesetze verstoßen hatte, Abby und das Narbengesicht waren nicht zu finden. Der Himmel stand schon in warmem Orange, als Anya sich frustriert auf einer Bank inmitten des schönen Parks fallen ließ. „Ich habe jetzt fast alles abgesucht“, sprach sie schlecht gelaunt und stemmte ihre Faust gegen die Wange. „Wo sind die bloß?“ Wenn Alastair deiner Freundin wirklich ein Leid zufügen möchte, glaube ich nicht, dass wir ihn finden werden. Womöglich hat er seine Arbeit längst getan.   „Denk nicht mal dran“, donnerte Anya und sprang auf. „Abby geht es gut, verstanden!?“   Ich wünschte, ich könnte dir Gewissheit schenken. Aber- Anya Bauer!   Die Blondine runzelte die Stirn. „Was ist denn?“ Ich spüre etwas, nicht weit von hier. Ein Zauber, welcher dem gleicht, den Alastair genutzt hat, um uns in seinem Bannkreis einzuschließen. Es ist schwach, aber vorhanden, da bin ich mir sicher!   „Wo genau!? Dem werd' ich ein Gratisticket in die Hölle schenken!“   Der Schrottplatz. Aber ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, um in den Bannkreis einzudringen!   Anya erstarrte. Der Schrottplatz … dort hatte sie vor lauter Aufregung nicht nach Abby gesucht! Wie hatte sie den vergessen können!? „Das werden wir gleich herausfinden!“, meinte sie wütend zu Levrier. „Von hier sind es nur zehn Minuten! Ich schwöre dir, wenn der Abby ein Haar gekrümmt hat, wird er-“ Hör auf zu reden und beeile dich lieber!   Schnaufend nickte Anya und begann durch den grünen Park zu rennen, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Wenn Abby etwas geschah, dann würde sie sich das nie verzeihen können! Seit sie sich kannten, beschützte Anya ihre Freundin und wenn sie jetzt ihr Versprechen von damals brach, wäre sie nicht besser als- Sie musste sich beeilen!   ~-~-~   Derweil, wenige Minuten zuvor auf dem Schrottplatz, lief Abby aufgeregt zwischen den Bergen aus Müll umher und suchte -ihn-.   Wie hatte das nur geschehen können? Und warum ausgerechnet ihre Familie? Warum verlangte der Dämonenjäger etwas so Schreckliches von ihr? Sie konnte das nicht! Auch wenn sie einen Tag Bedenkzeit bekommen hatte, war das etwas, was er unmöglich von ihr erwarten konnte!   Obwohl es eben noch gedämmert hatte, war, als sie den Schrottplatz betreten hatte, binnen eines Herzschlags tiefste Nacht über sie herein gebrochen. Abby wusste von Anyas Schilderungen über Alastair, dass sie vermutlich in eine Art abgeschnittene Dimension eingetreten war. So hatte Levrier es Anya erklärt gehabt. Der Bannkreiserzeuger bestimmte, wie weit das Gebiet der Barriere sich erstreckt und wer es betreten darf. Je größer das Areal, desto mehr Kraft verbrauchte so ein Bannkreis. Wieder verlassen konnte ihn aber nur sein Erzeuger und wenn er dies tat oder ums Leben kam, brach der Zauber in sich zusammen und verschwand. Fremde konnten nur dann einen Ausweg finden, wenn der Erschaffer es ihnen gestattete oder aber der Bannkreis zusammenbrach. Sie saß also in der Falle! Aber damit hatte sie ohnehin gerechnet gehabt.   Abby fühlte sich unwohl zwischen all den Hügeln aus kaputten Elektrogeräten, Metallplatten und anderen weggeworfenen Dingen. Ab und zu kam sie an ein paar Autowracks vorbei, die teilweise von Unfallstellen hierher gebracht worden waren. Abby konnte nicht verstehen, was Anya so toll an diesem Ort fand. Gerade im Dunklen mutete er ziemlich unheimlich an.   „Du bist gekommen“, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme und wirbelte um. „Gut!“ Auf einem niedrigen Hügel stand eine hochgewachsene Gestalt, die sich durch das wenige falsche Mondlicht wie ein Schatten abzeichnete. Einen schwarzen Mantel trug sie, welcher nicht recht zu der Maske passen wollte, die der Fremde trug. Sie war aus weißem Porzellan und zeigte eine grinsende Fratze. Aus den Augenhöhlen starrten sie zwei graue Pupillen an, die jedoch nur schwer zu erkennen waren.   Abby faltete ängstlich die Hände zusammen und hielt sie vor ihrem Schoß. „Wo ist Michael?“ „Auch hier. Es geht dem Knirps gut, genau wie ich es versprochen hatte. Und? Hast du über mein Angebot nachgedacht?“ Ruckartig sah das Mädchen zur Seite und schnaufte leise. „Ich weiß, wie schwer das ist, was ich von dir verlange. Aber es muss sein!“ „Ich kann das aber nicht“, begehrte Abby plötzlich verzweifelt auf und trat einen Schritt näher. „Ich kann sie nicht verraten!“ „Obwohl du weißt, was dann geschieht?“ „Geschehen könnte!“, widersprach das Mädchen. „Du hast gesagt, du wüsstest es nicht genau! Was, wenn du dich irrst?“ Der junge, maskierte Mann stöhnte mitfühlend und fasste sich dabei an die Stirn der Maske. „Ich wünschte, ich würde mich irren. Aber wenn auch nur die winzigste Chance besteht, dass das eintreten könnte, was ich dir vor Augen gehalten habe … dann muss es sein!“ „Aber Anya ist meine Freundin!“ „Glaub mir, ich weiß, wie du dich fühlst. Ich hatte selbst eine Freundin, die ich nie im Stich lassen wollte. Aber es musste sein, andernfalls … vergiss es.“ Abby breitete verzweifelt die Arme aus. „Aber von dir hat bestimmt niemand verlangt, dass du dabei hilfst, sie umzubringen!“ „Verdammt, verstehst du es immer noch nicht!?“, donnerte der Dämonenjäger aufgebracht. „Wenn deine Freundin zu Eden wird, dann- Du weißt was dann ist! Retten kannst du sie so oder so nicht! Und ich werde dich und deinen Bruder erst gehen lassen, wenn du dich uns angeschlossen hast!“ „Aber es gibt keine Gewissheit!“ „Nichts im Leben ist gewiss! Warum sonst ist es so schwer, Entscheidungen zu treffen!?“   Abby schüttelte den Kopf. Nein, sagte sie sich, das war zu viel von ihr verlangt. Sie wollte nicht glauben, dass der einzige Weg, Anya zu retten, der war, sie umzubringen. Es musste eine Möglichkeit geben, sie aus dem Vertrag mit Levrier zu lösen. Denn wenn die Zeit abgelaufen war und sie nicht zu Eden wurden, dann- Abby wollte sich das nicht vorstellen. Es war zu schrecklich.   „Wenn du selbst keine Entscheidung treffen kannst“, sagte der Mann plötzlich resignierend. „Lass das Schicksal unsere Zukunft bestimmen. Es bringt nichts, dich zwingen zu wollen, denn wie ich dir schon erklärt habe, wärst du unter Zwang nutzlos. Du musst es wollen.“ Abby schreckte auf. „Was willst du damit sagen?“ „Kämpfe gegen mich! Und kämpfe um deinen Bruder! Solltest du nämlich an mir scheitern, wird er derjenige sein, der darunter leidet! Es liegt in deiner Hand.“ „Was!?“ Abbys Herz trommelte wild in ihrer Brust. Das konnte er doch unmöglich ernst meinen! Michael war ein kleiner Junge, er konnte doch nicht- „Gewinnst du aber, lasse ich Michael gehen. Ich verspreche, mein Wort nicht zu brechen.“ Das brünette Mädchen fühlte sich unsagbar hilflos. Wieso ihr kleiner Bruder? Was hatte er überhaupt mit den Plänen der Dämonenjäger zu tun? Das war nicht fair! „Warum tust du das? Was bezweckst du damit?“ „Das wirst du womöglich verstehen, wenn wir uns duellieren. Was es bedeutet, Verantwortung zu tragen.“ „Ich bin fast mein halbes Leben für Michael verantwortlich gewesen!“ „Aber musstest du ihn jemals vor etwas beschützen, was du selbst nicht zu begreifen vermochtest? Musstest du, um ihn zu beschützen, jemals Opfer bringen?“ Der Fremde wurde schlagartig wieder laut. „Wie kannst du glauben, das alles gut wird, wenn du uns und der Welt den Rücken zukehrst!? Könntest du dann nachts noch schlafen!? Ich werde dir beweisen, dass man manchmal nicht die Wahl hat, alle zu beschützen! Und deswegen wird, wenn du gewinnst, dein Freund Nick sterben!“ „Was?“, hauchte Abby. Wie konnte … wie konnte Nick hier sein? Plötzlich schwebten hinter dem Schrotthügel, auf dem der Fremde stand, zwei Lichtkreuze hervor. An einem von ihnen hing ein kleiner, schwarzhaariger Junge in kurzer Hose. Sein Kinn lag auf der Brust, er war bewusstlos. Neben ihm hing der lang gewachsene Nick und schien ebenfalls zu schlafen. Abby schlug erschrocken die Hände vor den Mund.   „Wenn du dich weigerst, dich mit mir zu duellieren, werden beide sterben!“, erklärte der Dämonenjäger eiskalt. „Das wäre genauso, als würdest du uns deine Hilfe verweigern und so unbeschwert weiterleben, wie du es gekannt hast. Kämpfst du aber, wirst du einen von diesen beiden unwiderruflich verlieren müssen. Es liegt an dir zu entscheiden, wer das sein soll. Dein Stiefbruder oder dein bester Freund. Du triffst die Entscheidung!“ „Ich kann das nicht!“, weigerte sich Abby unter Tränen. Das war einfach zu grausam, sie konnte doch nicht zwischen den beiden wählen! „Du wirst sehen, dass es etwas anderes ist, nicht für das eigene, sondern das Leben anderer zu kämpfen. Es ist schwerer, denn man weiß nie, ob die eigenen Entscheidungen nicht am Ende bewirken, was man ursprünglich verhindern wollte!“ In ihrer Hilflosigkeit fiel Abby auf die Knie. „Aber-!“ „Auch wenn ich dir jetzt grausam erscheine, verdammt, es muss sein! Je früher du mit Verlusten umzugehen lernst, desto leichter wird es dir fallen, wenn du Anya gegenüberstehst und dich entscheiden musst!“ Der Dämonenjäger streckte seinen Arm unter seinem Mantel hervor und offenbarte ein flaches, schwarzes D-Pad. Abby betrachtete hin und her gerissen ihre Duel Disk, denn etwas in ihr hatte bereits geahnt, dass ihr ein Duell bevorstehen würde. Doch unter diesen Bedingungen … Schluchzend wusste sie nicht, was sie tun sollte. Sie musste kämpfen, denn ansonsten würde dieser Mann beide töten! Aber wie nur konnte sie zwischen Nick und Michael wählen!? „Steh auf und kämpfe, verdammt!“, schrie ihr Gegenüber sie an. „Gibt es denn keinen Weg für mich, beide zu retten!?“, begehrte Abby auf. Der Fremde nickte. „Sicherlich. Hilf uns, dann sind beide frei.“ „Aber das hieße, dass Anya-“ „Exakt.“ Es würde im Endeffekt wieder darauf hinauslaufen, dass sie einen ihrer Freunde verlieren würde, erkannte Abby. Und Anya unter Verrat … nein, diese Schuld wäre viel zu groß! Langsam erhob sich das Mädchen schluchzend und aktivierte ihre Duel Disk. Was für eine Wahl hatte sie schon? Sie konnte die beiden Jungs doch nicht im Stich lassen! Wenn sie gar nichts tat, würden beide sterben! „Glaub mir, ich hasse mich mehr dafür, als du es vermutlich tust“, sagte der Dämonenjäger mit traurigem Unterton. „Aber es muss sein! Duell!“ Abby schwieg dazu nur.   [Abby: 4000LP / ????: 4000LP]   „Ich beginne!“, entschied der Fremde kurzerhand und starrte von seiner erhöhten Position auf Abby herab. Wenn er doch wenigstens die Maske abnehmen würde, dachte die sich. Sie wollte dem Menschen, der ihr etwas so Schreckliches anzutun gedachte, ins Gesicht sehen können! Nachdem beide ihr Startblatt gezogen hatten und der Dämonenjäger seine sechste Karte in der Hand hielt, legte er eine Monsterkarte auf sein D-Pad. „Ich setzte dieses hier verdeckt. Zug beendet!“ Vor ihm erschien in horizontaler Lage eine Karte, die mit dem Bild nach unten zeigte. Abby schluckte. Man kämpfte, um zu gewinnen, doch in ihrem Fall … würde sie etwas verlieren, wenn sie ihn besiegen konnte. Das war nicht fair! „Draw“, murmelte sie gebrochen vor sich hin. Was für einen Sinn ergab ein Kampf, von dem man nicht wusste, ob man ihn gewinnen wollte oder nicht? Aber … sie würde sich entscheiden müssen. Das wusste sie. Und das machte alles so unendlich schwer. Ihr Herz fühlte sich an, als würde es vor Angst jeden Moment stehen bleiben. War es das, was dieser Kerl bezwecken wollte? Ihr wahre Furcht zu lehren? „Ich beschwöre [Naturia Cliff]“, sagte sie teilnahmslos und legte ihr Monster auf die Duel Disk. Vor ihr schoss aus dem Boden eine menschenhohe Felsplatte mit zwei großen Kulleraugen. Das rote Moos auf seinem Haupt wirkte wie Haar und gab ihm so noch menschlichere Züge.   Naturia Cliff [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   „Ich aktiviere danach den Spielfeldzauber [Gaia Power]. Sie schenkt allen Erde-Monstern 500 Angriffspunkte, reduziert aber ihre Verteidigung um 400.“ Ein riesiger Baum wuchs hinter Abby aus dem Boden und überragte sämtliche Schrottberge in seiner majestätischen Größe.   Naturia Cliff [ATK/1500 → 2000 DEF/1000 → 600 (4)]   „Greif sein verdecktes Monster an“, sagte Abby träge. Es war, als stünde sie neben sich und beobachtete alles aus der Ferne. Und doch wusste sie, dass alles von ihren Entscheidungen abhing. Keine Foltermethode könnte schlimmer sein. Derweil ließ ihr Monster sich einfach auf die Kreatur ihres Gegners fallen. Ein schriller, kehliger Schrei ertönte. „Das war's dann wohl mit [Steelswarm Scout]“, meinte ihr Gegenüber.   Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]   „Ich beende meinen Zug“, sprach Abby tonlos. „Warum kämpfst du nicht mit vollem Einsatz!?“, herrschte der Dämonenjäger sie an. „Es geht um zwei Menschen, die dir sehr wichtig sind und du lässt es dir gefallen!?“ Keine Antwort. „Wenn du nicht einmal für sie einstehen willst, bist du vielleicht die Falsche für den Job! Du willst dich nicht zwischen den beiden entscheiden? Fein! Dann tu ich es!“ In seiner Wut riss der Maskierte seine Karte förmlich vom Deck. Dann streckte er den Arm aus. „Während meiner Main Phase 1, wenn [Steelswarm Scout] auf meinem Friedhof liegt und ich keine Karten in meiner Zauber- und Fallenkartenzone liegen habe, kann ich ihn von dort beschwören! Kehre zurück!“ Hinter seinem Bein kam eine kleine Gestalt hervor gekrabbelt. Sie sah aus wie ein Insekt im Körper eines Kindes. Dunkel wie sie war, trug sie eine riesige Brille, die seine Insektenaugen überdimensional groß erschienen lassen.   Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]   „Der Preis hierfür ist, dass ich keine Spezialbeschwörung diese Runde mehr durchführen kann. Hey, hörst du mir überhaupt zu!?“ Abby nickte schwach. Sie wollte einfach nicht kämpfen, sie war anders als beispielsweise Anya. Die würde alles tun, um ihrem Gegner das Leben schwer zu machen. Aber wer war sie schon? Die langweilige Streberfreundin! Wo war die Harmonie, die sie so sehr liebte? Die konnte ihr auch nicht helfen! „Fein, du bist wohl völlig weggetreten. Das wird die Schuldgefühle später aber nur schlimmer machen, glaub mir!“ Der Fremde stöhnte, fasste sich an die Stirn seiner Maske und schüttelte den Kopf. „Aber ganz wie du willst, ich kann dich zu nichts zwingen! Ich biete jetzt meinen Scout als Tribut an und beschwöre [Steelswarm Girastag]! Und obwohl er der Stufe 7 angehört, braucht es nur ein Steelswarm-Monster, um ihn zu beschwören! Erscheine!“ Das kleine Insekt löste sich auf und machte einem viel größeren, eindrucksvolleren Exemplar Platz. Obwohl es einen humanoiden Körperbau besaß, erinnerten gerade die Brust und sein Haupt an einen gehörnten Käfer. Ein wilder Schweif peitschte auf den Boden.   Steelswarm Girastag [ATK/2600 DEF/0 (7)] „Wenn Girastag als Tributbeschwörung gerufen wird, kann ich eine beliebige Karte meines Gegners wählen und auf den Friedhof legen! Und damit deine Monster meine nicht an Stärke übertrumpfen, vernichte ich [Gaia Power]!“ Aus der Kanone an seinem Arm schoss der Insektenmann einen Feuerball, der den riesigen Baum hinter Abby in Brand steckte und binnen Sekunden vernichtet hatte.   Naturia Cliff [ATK/2000 → 1500 DEF/600 → 1000 (4)] „Außerdem erhalte ich noch 1000 Lebenspunkte dafür!“   [Abby: 4000LP / ????: 4000LP → 5000LP]   Abby sah weg. Selbst wenn sie sich Mühe geben würde, wäre dieser Kerl vermutlich trotzdem zu stark für sie. Als Duellantin mochte sie Anya oder Nick besiegen können, doch wer war sie schon im Vergleich mit einem Dämonenjäger? „Bist du immer noch nicht zum Kämpfen aufgelegt?“, herrschte der junge Mann sie an. „Vielleicht rüttelt dich ja das hier wach! Girastag, greife [Naturia Cliff] an!“ Wieder erhob der Käferdämon seinen Kanonenarm und schoss eine Salve Feuerkugeln auf Abbys Felsmonster, welches unter dem Druck einfach auseinander brach.   [Abby: 4000LP → 2900LP / ????: 5000LP]   „Monstereffekt“, sagte Abby traurig. „Wenn [Naturia Cliff] auf den Friedhof gelegt wird, kann ich ein Naturia-Monster mit maximal 4 Stufensternen beschwören. Also erscheine, [Naturia Rosewhip]!“ Es war das erstbeste Monster, welches sie in ihrem Deck gefunden hatte. Vor ihren Füßen wuchs eine wunderschöne Rose mit einem grinsenden Gesicht auf den Kelchblättern aus dem Boden. Sie besaß dornige Peitschen, die sie in ihren Blatthänden durch die Gegend schwang.   Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)] „Gut! Ich aktiviere jetzt meine Schnellzauberkarte [First Step Towards Infestation]! Damit erhalte ich ein als Tributbeschwörung gerufenes Steelswarm-Monster auf die Hand und darf eine Karte ziehen!“ Er nahm seinen Girastag vom D-Pad ins Blatt zurück, woraufhin das Hologramm des Käfermannes verschwand. Dann rief der Dämonenjäger, nachdem er gezogen hatte: „Um meine Lebenspunkte zu schützen, aktiviere ich [Swords Of Revealing Light]!“ „Solange Rosewhip auf dem Spielfeld liegt, kann mein Gegner pro Zug nur einen Zauber oder eine Falle aktivieren“, erklärte Abby kaum verständlich. „Was?“ Der Kerl lachte verdutzt über sich. „Verdammt, das habe ich wohl übersehen. Egal! Ich setzte eine Karte verd-“   „Hey, Maskenfresse, wenn du nicht augenblicklich aufhörst, meiner Freundin Angst zu machen, wirst du Zeit deines Lebens auf dieses hässliche Ding angewiesen sein, du Nulpe!“ Abby wirbelte erschrocken um. Keine zehn Meter von ihr entfernt stand Anya, stützte sich an ihren Knien ab und keuchte erschöpft. „Was ist los, Masters? Seit wann lässt du dich von so'nem Schisser herumschubsen!?“ Das Hippiemädchen ballte eine Faust, die sie hinter ihrem Rücken verbarg. „Nein, Anya! Du verstehst das nicht! Er hat Nick und Michael! Bitte … geh!“ Die Blondine richtete sich auf. „Na und!? Dann gewinn' eben und rette die beiden!“ Nun schaltete sich auch der Maskenträger ein. „Wenn du durch meinen Bannkreis gekommen bist, musst du wohl Anya Bauer sein. Ich würde ja sagen, nett dich kennenzulernen, aber das wäre wohl gelogen. Verschwinde von hier, du hast hier nichts verloren!“ „Nen Teufel werd' ich!“ „Anya“, flehte Abby und trat einen Schritt auf sie zu. „Bitte tu, was er sagt. Du kannst hier nicht helfen!“ Die Blondine hob stutzig eine Augenbraue. „Warum nicht?“ „Weil er einen von beiden umbringen wird, je nachdem, ob ich gewinne oder verliere!“ „Dann bringe ich ihn eben zuerst- HEY!“   Der Fremde hatte ihr eine weiße Karte vor die Füße geworden, aus der plötzlich leuchtende Stangen erschienen. Anya saß kurz darauf in einem Käfig aus purem Licht gefangen und rüttelte wie eine Wahnsinnige an den Gitterstäben. „Damit ist die erstmal außer Gefecht gesetzt“, meinte der Dämonenjäger erleichtert. „Wie gut, dass man sie durch die Stäbe nicht hören kann. Alastair hat mir erzählt, dass sie sehr aufbrausend und beleidigend werden kann.“ Verwirrt wirbelte Abby um. „Was!? Du bist nicht Alastair? Aber ich dachte-“ „Nein.“ Er nahm die Maske ab und ließ sie fallen. Das weiße Porzellan zersprang an einer ausrangierten Mikrowelle. Der junge Mann hatte graue Augen und harte Gesichtszüge, die aber gut zu seinem kantigen Gesicht passten. Seine Lippen waren schmal und das eine Handbreite lange, schwarze Haar nach hinten gekämmt. Leider machte es ein sehr widerspenstigen Eindruck und stand leicht ab. „Mein Name lautet Matt. Matt Summers.“ „Aber ich dachte, du-“ „Ich habe nie behauptet, Alastair zu sein. Aber wir sind befreundet, ja. Ich handle in seinem Sinne, wenn man so will. Aber ich bin mein eigener Herr, bevor du etwas anderes denkst.“ Er grinste verschlagen. „Sorry wegen der Maske, aber ich zeige mein Gesicht nur ungern der Öffentlichkeit, anders als Alastair.“ Seine Züge versteiften sich. „Man könnte sagen, dass einige mich gerne in einer Zelle sitzen sehen würden. Du verstehst?“ Abby presste die Lippen so fest aufeinander, dass es wehtat. „Bei deinen Methoden kein Wunder!“ Er stöhnte und zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nicht deswegen … aber egal. Ich will dich ja nicht mit meiner tragischen Vergangenheit langweilen. Also, wo war ich? Ach ja, ich war dabei, eine Karte zu setzen. Damit gebe ich ab.“ Vor seinen Füßen erschien die Karte. Er verschränkte die Arme und musterte erst Abby, dann die gefangene Anya. Jene schrie sich fast die Seele aus dem Leib und sah ganz danach aus, als würde sie jeden Moment versuchen, sich einen Tunnel in die Freiheit zu graben. Wieder grinste er. „Hoffentlich beschäftigt das den Dämon in ihr wenigstens so lange, bis wir hier fertig sind. Was wohl nicht mehr lange dauern wird, wenn du so weitermachst.“ Er deutete auf den am Kreuz hängenden Nick. „Ich habe ja anfangs auf ihn getippt, aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher.“   Abby betrachtete ihre Hände, die wie Espenlaub zitterten. Was hatte sie getan, um sich so ein schlechtes Karma aufzubürden? Sie war den Menschen immer freundlich und friedfertig begegnet, selbst in ihren Hochzeiten als Punk. Warum quälte das Schicksal sie jetzt so? „Ich will nicht kämpfen“, presste sie weinend hervor. „Du musst aber“, sagte Matt mitfühlend. „Jeder muss kämpfen. So ist unsere Welt und wäre sie anders, nun, dann wäre sie wohl perfekt. Tch! Dass ausgerechnet ich mal so etwas sagen würde …“ Doch das Mädchen sank auf die Knie. Sie hatte nicht die Kraft dazu. Sie liebte Michael so sehr, obwohl sie nicht blutsverwandt waren. Aber konnte sie deswegen Nick opfern? Nein! Er war vielleicht nicht der Klügste, doch viel zu gutmütig, um ihn einfach so über die Klinge springen zu lassen! „Was soll ich nur tun?“, wimmerte sie. Nicht einmal Anya konnte ihr helfen …     Turn 10 – Hands Off My Prey Das Duell zwischen Abby und Matt dauert an. Abby, vollkommen verzweifelt, unternimmt nur halbherzige Versuche, ihren Gegner zu bezwingen. Derweil kann Anya nur zusehen, wie Matt Abby zunehmend in eine tiefe Gewissenskrise stürzt. Dieser erzählt aus seinem Leben und wie er zu einem Dämonenjäger geworden ist. Und plötzlich ist Abbys Kampfbereitschaft geweckt – und ein Sturm ungeahnten Ausmaßes entfacht … Kapitel 10: Turn 10 - Hands Off My Prey --------------------------------------- Turn 10 – Hands Off My Prey     Abby war auf die Knie gefallen und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Wie lange willst du noch heulen?“, fragte der Dämonenjäger Matt harsch und starrte verächtlich von dem Schrotthügel, auf dem er stand, auf seine Gegnerin herab. Die erhob sich und blickte zu Anya, die in ihren Käfig aus purem Licht im Schneidersitz saß und dabei etwas murmelte. Da jedoch kein Laut aus ihrem Gefängnis hervor drang, blieben den beiden Duellanten ihre unschönen Flüche erspart – auch wenn Abby sie, zum ersten Mal seit sie denken konnte, vermisste. Dann hätte sie wenigstens das Gefühl, nicht vollkommen allein zu sein. Neben Matt schwebten an großen Lichtkreuzen genagelt, ein kleiner Junge – Abbys Stiefbruder Michael – und Nick. Und sie musste sich zwischen ihnen entscheiden. Verlor sie, würde Michael sterben, gewann sie, traf es Nick. Eine Wahl, die sie einfach nicht treffen konnte. Und erst recht nicht wollte.   [Abby: 2900LP / Matt: 5000LP]   Abby kontrollierte nur [Naturia Rosewhip], die kleine Rose vor ihren Füßen.   Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)]   Matts Feld hingegen war, abgesehen von einer verdeckten Karte, sogar komplett leer. Und es war Abbys Zug. Zögerlich fügte sie ihrer Hand eine neue Karte hinzu und schluckte, während sie auf zittrigen Beinen aufstand. „Was ist? Wie lange willst du noch Maulaffen feil halten? In einem richtigen Kampf wirst du keine Zeit haben, um dich selbst zu bemitleiden!“ Abby zuckte zusammen. „J-ja … ich beschwöre … [Naturia White Oak].“ Neben ihrer Rose wuchs ein großer Baum mit einem lächelnden Gesicht aus dem Boden. Naturia White Oak [ATK/1800 DEF/1400 (4)]   Ängstlich kaute Abby an ihren Fingernägeln. Sollte sie -es- tun? „Worauf wartest du!?“, brüllte Matt sie herzlos an. Das Mädchen schloss die Augen. „O-okay! I-Ich … ich … ich stimme meine Stufe 3 [Naturia Rosewhip] auf meine Stufe 4 [Naturia White Oak] ein.“ Sie stockte. „Oh great god of the north … Give us shelter within your soul … Synchro Summon … Be born … [Naturia Landoise] …“ Ihre beiden Monster flogen in die Luft, wo Abbys Rose in drei grüne Ringe zersprang, in die ihre Eiche eintauchte. Dann gab es einen Lichtblitz. Gestein brach aus dem Boden vor Abby hervor. Es formte eine riesige Schildkröte mit moosüberzogenem Panzer, auf welchem sogar ein Baum thronte.   Naturia Landoise [ATK/2350 DEF/1600 (7)]   Abby streckte den Arm aus. „Und nun greife-“ Aber sie zog ihn wieder zurück. Nein, denn wenn sie jetzt angriff, würde sie Michaels Leben über dem von Nick stellen. Sie war nicht Gott, sie durfte nicht entscheiden, wer leben und sterben durfte! Schon gar nicht, wenn es dabei um die Menschen ging, die ihr wichtig waren. „Ich beende meine Battle Phase“, murmelte sie kaum verständlich, „und aktiviere [Naturia Forest], einen Spielfeldzauber. Dazu setze ich noch eine Karte verdeckt und beende meinen Zug.“ Überall um sie herum wuchsen Sträucher, Bäume und Gras. Die Müllhalde verwandelte sich in einen grünen Ort voller Leben, überall versteckten sich Naturia-Monster und sahen dem tragischen Schauspiel zu. Abby, die noch zwei weitere Handkarten besaß, fühlte sich anders als sonst nicht geborgen im Refugium ihrer Lieblingsmonster. Matt, der jetzt auf einem Erdhügel stand, donnerte: „Was soll das!? Du besitzt ein starkes Monster, während meine Lebenspunkte völlig ungeschützt sind, und greifst nicht an!?“ Abby schwieg. „Wie selbstsüchtig bist du eigentlich!? Du willst wirklich, dass ich entscheide, welcher deiner geliebten Menschen stirbt? Du willst nichts tun, um wenigstens einen zu retten!?“ „Nein!“, begehrte Abby auf. „Hör auf! Lass sie doch bitte gehen! Du weißt, dass ich dir nicht helfen kann!“ „Vergiss es! Das sind die Regeln dieses Spiels! Du kannst doch nicht ernsthaft einen anderen darüber entscheiden lassen, wer es wert ist, gerettet zu werden!“ Abby zuckte zusammen. Sie wusste, dass ihr Gegner recht hatte. Und doch! Sie konnte nicht wählen. … oder? Blieb ihr denn überhaupt eine andere Wahl? Was würde geschehen, wenn Matt sich entschied, dass das alles zu nichts führte? Er würde … beide töten! Und das wäre noch hundertmal schlimmer. Hilflos sah sie die beiden Gefangenen an, die an den Kreuzen hingen. Welcher von ihnen hatte es verdient, weiterzuleben? Beide! Aber … das stand nicht zur Debatte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Michael … war ein kleiner Junge, der noch sein ganzes Leben vor sich hatte. Nick hatte zumindest das erste Viertel seines Lebens glücklich verbracht. Aber Michael? Er hatte eine Zukunft verdient. Das war nicht fair! Sie … musste ihren Bruder wählen. Eine emotionale Wahl konnte sie nicht treffen, also musste es eine rationale sein. Und ihr Verstand sagte ihr, dass die Argumente für ihren Stiefbruder besser waren. „Verzeih mir … Nick …“, murmelte sie, als sie sich entschieden hatte. „Bitte … verzeih … mir.“ „Sieht so aus, als hättest du dich endlich mit dir geeinigt. Gut! Dann können wir ja jetzt weitermachen!“, sprach Matt, als würde ihn das alles gar nicht berühren. Er zog auf sechs Handkarten auf und rief: „Mein Zug! Ich beschwöre [Steelswarm Cell] von meiner Hand als Spezialbeschwörung, da ich keine Monster kontrolliere!“ Vor ihm und seiner gesetzten Karte tauchte ein dicker, schwarzer Käfer auf. Aus seinem kreisrunden, von spitzen Zähnen besetzten Maul kamen unheimliche, schrille Laute hervor.   Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)]   Abby versuchte mit aller Macht, die Tränen zurückzuhalten. Sie musste sich jetzt konzentrieren und gewinnen, damit wenigstens Michael nichts geschah. Das schlechte Gewissen gegenüber Nick war jedoch so erdrückend, dass sie kaum atmen konnte. „Wie du weißt, habe ich letzte Runde meinen [Steelswarm Girastag] auf die Hand zurück gerufen! Nun biete ich Cell als Tribut an, wobei Girastag, wie du ebenfalls weißt, trotz seiner hohen Stufe nur ein Tribut erfordert, solange dieses eines seiner Artgenossen ist. Erscheine!“ Der kleine, kugelrunde Käfer verschwand. Dann war es plötzlich wieder da. Dieser humanoide, schwarze Käferdämon mit dem Kanonenarm. Wütend peitschte sein bestialischer Schweif über das Gras. Steelswarm Girastag [ATK/2600 DEF/0 (7)]   „Effekt aktivieren! Wenn Girastag beschworen wird und sein Opfer ein Steelswamer war, lege ich eine deiner Karten auf-“ „Nein“, erwiderte Abby leise, aber bestimmend. „Ich kontere mit Landoises Fähigkeit! Indem ich eine Zauberkarte“, sie zeigte [Landoise's Luminous Moss] vor, „abwerfe, kann ich die Aktivierung eines Monstereffekts verhindern und besagtes Monster zerstören!“ Matt schreckte zurück, als Landoise ein ohrenbetäubendes, tiefes Gebrüll von sich gab und sein Monster damit zum Explodieren brachte. Gleichzeitig stiegen hunderte kleiner Lichtfunken rund um den Wald auf. „Wenn ein Karteneffekt annulliert wird, kann ich dank [Naturia Forest] ein Naturia-Monster mit einer Höchststufe von 3 von meinem Deck meiner Hand hinzufügen“, erklärte Abby und zeigte die Stufe 3 [Naturia Marron] vor. Ihr Gegner lachte. „Verdammt, da habe ich mich wohl verschätzt! Aber hey, wenn du dir Mühe gibst, bist du gar nicht so übel!“ „Das ist alles deine Schuld!“, klagte Abby ihn bitter an. „Wenn du nicht wärst-“ „Ich bin aber! Und ich werde auch nicht so schnell wieder verschwinden! Und um dir das zu beweisen, aktiviere ich jetzt meine [Swords Of Revealing Light]! Mit ihnen-!“ „Konterfalle, [Exterio's Fang]!“, donnerte Abby aufgewühlt. „Mit ihnen annulliert eines meiner Naturia-Monster jede beliebige Zauber- oder Fallenkarte! Nur muss ich dafür eine Karte abwerfen!“ Sie nahm [Glow-Up Bulb], ein Monster, und legte es auf den Friedhof. Das Abbild der Zauberkarte vor Matt zersprang, bevor Abby von den Lichtschwertern eingekreist werden konnte. „Dazu erhalte ich aufgrund des Effekts von [Naturia Forest] wieder ein Naturia-Monster von meinem Deck! [Naturia Fruitfly], Stufe 3!“ Matt zog die Stirn kraus und starrte aus funkelnden Augen auf seine Gegnerin herab. „Junge, du kannst ja richtig garstig werden! Aber wie heißt es so schön? Beurteile niemanden allein nach dem Aussehen. Nun denn, ich setze eine Karte verdeckt und beende den Zug.“ Neben seiner ersten, verdeckten Zauber- oder Fallenkarte erschien nun noch eine zweite.   „Macht dir das Spaß?“, klagte Abby bitter und sah ihm fassungslos in die Augen. „Macht es dir Spaß, mich so zu quälen? Nur weil du willst, dass ich-“ Sie sah zu Anya herüber. Ihre Freundin war so ahnungslos und hockte frustriert in ihrem Lichtkäfig. Die Blondine bemerkte ihren Blick, fuhr sich mit dem Finger über die Kehle und deutete auf Matt. Dieser antwortete auf die Frage hin: „Nein, bestimmt nicht. Aber ich habe lernen müssen, dass man manchmal zum Mörder werden muss, um andere zu beschützen.“ „Was soll das heißen!?“, fragte seine Gegnerin aufgebracht. „Dass es okay ist, über Leben und Tod zu entscheiden, nur weil es einem gerade so in den Kram passt!?“ Das war nicht die Welt, in der Abby leben wollte. Jedes Lebewesen war ihrer Ansicht nach gleichberechtigt und jemand wie Matt, der ganz offenherzig über andere richten wollte, war für sie die Verkörperung eines wahren Dämons. Obwohl er von sich behauptete, jene zu jagen. Er war viel schlimmer … „In den Kram passt!?“, donnerte der Schwarzhaarige ungläubig. „Denkst du, ich habe meinen Vater ermordet, weil mir gerade danach war!?“ Abby erstarrte. „W-was … ?“ „Du hörst schon richtig“, erwiderte Matt bitter und ließ den Kopf hängen. „Vor sechs Jahren. Er war … ein mieser Scheißkerl. Hat meine Schwester geschlagen. Jahrelang. Niemand hat davon gewusst, nicht mal unsere Mutter. Als sie es herausfand, hat er auch bei ihr angefangen und sie … hat sich kurz darauf umgebracht. Von da an waren Sophie und ich diesem Etwas ausgeliefert.“   Dem Mädchen stockte der Atem. Dieser Mensch vor ihr, er hatte sein eigen Fleisch und Blut auf dem Gewissen. Egal, was die Hintergründe waren, er hatte einfach Selbstjustiz ausgeübt und seinen Vater ermordet. Wo sie doch alles dafür geben würde, um ihre leiblichen Eltern noch einmal sehen zu können …   Matt starrte Abby hasserfüllt an, doch das Funkeln in seinen grauen Augen galt nicht ihr, sondern seinen Erinnerungen. „Du kannst dir sicherlich denken, was dann passiert ist? Manche Dinge sind unvermeidlich, das habe ich dir schon neulich erklärt. Ich musste ihn umbringen, sonst hätte neben dem Grab unserer Mutter irgendwann noch Sophies Grab gestanden.“ „Aber das gibt dir doch kein Recht-!“ „Das Recht ist nicht immer auf der Seite der Schwachen!“, polterte er aufgewühlt und streckte weit die Arme aus. „Denkst du denn, die Polizei hätte irgendetwas unternommen? Wenn mein Vater doch alle Fäden in der Hand hatte!? Ja, ich habe ihn umgebracht! Aber ich hatte keine Wahl! Meiner Schwester geht es jetzt gut, weil ich mich für sie geopfert habe! Dafür musste ich meine Freundin Tara zurücklassen, bin jahrelang untergetaucht und jedes Mal erstarrt vor Angst, wenn ich Polizisten gesehen habe!“ „Und jetzt willst du mich dazu zwingen, dasselbe durchzumachen!?“, fragte Abby atemlos. „Ich habe dir schon gesagt, was ich dir verständlich machen möchte! Dass man manchmal keine andere Wahl hat!“ „Man hat immer die Wahl!“ Matt lachte höhnisch auf. „Das ist doch naiv …“   Abby spürte, wie ihr Herz wild in ihrer Brust trommelte. Dieser Dämonenjäger, er war völlig durchgedreht! So selbstgerecht über sein Verbrechen zu reden, zu glauben, dass das der einzige Weg gewesen sei, seine Schwester zu beschützen. Natürlich musste man die Familie beschützen, doch nicht, indem man seinen Vater umbringt! Dem Mädchen standen die Tränen in den Augen. Dieser Dummkopf wusste gar nicht, wie kostbar die eigene Familie war. Warum hatte er nicht versucht, mit seinem Vater zu reden? Für dessen Verhalten musste es doch schließlich einen Grund gegeben haben! Sie wäre überglücklich, wenn ihre leiblichen Eltern noch leben würden. Aber die waren gestorben, als Abby noch ein kleines Kind gewesen war. Bei einem Autounfall, den sie als Einzige überlebt hatte. Ihr Bruder, ihre Mutter, ihr Vater … sie konnte sich kaum an sie erinnern. Nur Bilder waren ihr geblieben, als die befreundete Familie Masters sie bei sich aufgenommen hatte. Sie behandelten sie wie ihre eigene Tochter und doch war sie immer ein Außenseiter gewesen. Das adoptierte Kind, die durchgeknallte Abby, die dauernd ihren Lebensstil änderte, weil sie nicht wusste, wo sie hingehörte. Sie ballte eine Faust. Was wusste dieser Kerl vom Wert eines Leben!? Wie selbstgerecht konnte man sein, um nicht nur die eigene, sondern auch andere Familien ins Chaos zu stürzen!? Dachte er denn nicht an Nicks Eltern, wenn sie erfuhren, dass ihr Sohn ums Leben gekommen war? Nur wegen einer sinnlosen Lektion, die dieser Abschaum ihr erteilen wollte? Sie hasste ihn! Nie hatte sie gegenüber einem Menschen derart viel Abscheu empfunden, wie es bei Matt der Fall war. Sie wünschte sich, dass er … dass dieser … einfach … !   Ohne Vorwarnung stieß sie einen schrillen Schrei aus. Es brannte, ihr ganzer Körper brannte wie Feuer. Sie bekam keine Luft mehr, hielt sich den Hals und röchelte. Ihr wurde schwarz vor Augen, doch Abby bemühte sich um Halt, torkelte einen Schritt zurück. Derweil konnte Anya nicht glauben, was sie gerade mitansah. Man konnte sie selbst durch den Käfig aus Licht zwar nicht hören, aber sie hingegen verstand jedes Wort von außen. Und der Schrei ihrer Freundin bereitete selbst der Blondine eine Gänsehaut. Viel mehr aber noch, was mit ihr geschah. Eine leuchtend blassgelbe Aura breitete sich um Abby aus, ihr Haar begann zu wachsen. Wie Schlangen bewegten sich die einzelnen Strähnen in der Luft, peitschten und verloren immer mehr an Farbe. Dann kam die Druckwelle. Anya wurde aus ihrem Schneidersitz gerissen und hart gegen die Stäbe ihres Gefängnisses gepresst. „Alter, was geht'n hier ab“, ächzte sie unter dem starken Sturmwind. Deine Freundin! Sie ist eine Sirene!   „Eine was!?“   In ihren Adern fließt das Blut der Sirenen. Ich habe es nicht bemerkt, weil es bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht aktiv war, aber Abby ist zur Hälfte eine Sirene. Ihre Mutter muss ein Reinblut gewesen sein, sonst könnte das Kind seine Kräfte nicht erwecken.   „Und was ist 'ne Sirene? Ist das was Gutes?“ Anya spürte dabei unter Schmerzen, wie sie mit dem Rücken gegen die Gitterstäbe gepresst wurde. Auch Matt musste mit dem Sturm kämpfen. Er hielt sich mit wehendem Mantel die Arme vor das Gesicht, sein schwarzes Haar war nicht zu bändigen.   Sirenen sind unglaublich mächtige, gleichwohl aber seltene Geschöpfe. Schon seit Jahrhunderten hört man nichts mehr von ihnen, da sie von Dämonenjägern gejagt wurden und infolgedessen untertauchen mussten. Es dürfte heute nicht mehr als eine Handvoll von reinblütigen Sirenen existieren.   „Warum hat Abby nie ein Wort gesagt!?“   Weil sie selbst nicht um ihr Geheimnis gewusst zu haben schien. Hüte dich, Anya Bauer, denn Sirenen sind sehr gefährlich. Sie kennen in der Regel weder Freund, noch Feind und ziehen die Unachtsamen in ihren Bann. Meide direkten Blickkontakt, wenn du ihr nicht verfallen willst, denn es ist zu bezweifeln, dass dieses Mädchen ihre Kräfte zu beherrschen weiß! „Ich bin doch nicht lesbisch!“   Eine Sirene macht keinen Unterschied zwischen Mann und Weib. Hüte dich vor ihr, denn ich kann dich nicht vor ihr schützen! Selbst als Halbblut ist sie unglaublich gefährlich!   Der Sturm verebbte langsam. Doch noch immer tanzte ein Teil Abbys neuer, weißer Haarpracht durch die Luft. Einige Strähnen hatten sich um ihr hellbraunes Kleid gewickelt, andere um ihre Arme. Sie drehte sich zu Anya um, wobei ihre getönte Brille auf den Boden fiel. Ihrer Freundin hingegen fiel beim Anblick Abbys die Kinnlade herab. Deren runde Gesichtszüge waren noch immer dieselben, doch auf gewisse Weise viel feiner und schärfer als zuvor. Die Lippen hingegen hatten einen hauchzarten, blauen Teint bekommen, was aber nichts gegen die Augen war. Rosa waren sie, Schlitzaugen und voller Stolz. Anya spürte instinktiv, dass Levriers Warnung ernstzunehmen war und folgte ihr, indem sie sofort wegsah. Die Sirene schnippte mit den Fingern, deren Nägel um Einiges gewachsen waren. Neben Matt verschwanden die beiden Kreuze samt der Geiseln und tauchten je links und rechts neben Anyas Käfig wieder auf. „Alter Falter“, staunte die. „Das ist ja mal fett!“   Derweil schreckte Matt zurück. „Auch das noch! Du bist eine Sirene!?“ Süffisant grinste die neue Abby. „Die Spielregeln haben sich geändert“, hauchte sie mit widerhallender, verführerisch tiefer Stimme. „Jetzt werde ich -dir- eine Lektion erteilen.“ Ihrem Gegner lief der Schweiß von der Stirn. Er wusste, dass er sie nicht zulange anstarren durfte, wenn er nicht ihrem Zauber erliegen wollte. „Warum machen wir nicht weiter?“, fragte die Sirene und deutete auf das Spielfeld mit ihren abnormalen, langen Fingern. „Nur bist du jetzt meine Beute.“ „Dir ist klar, dass ich dich jetzt töten muss, oder?“, presste Matt in seiner Aufregung hervor.   Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber dass hier? Das war selbst für ihn eine Nummer zu groß! Selbst Alastair hatte noch nie gegen eine Sirene gekämpft! Aber an Flucht war gar nicht zu denken, denn wenn Anya sich mit ihr verbündete, würde das sein und Alastairs Vorhaben, Anya Bauer zu vernichten, um Einiges erschweren. Er hatte praktisch keine andere Wahl als sich ihr zu stellen.   „Warum musst du mich denn töten? Weil ich kein Mensch bin? Ist alles Unnormale, Unbegreifliche schlecht? Verdient es den Tod, nur weil du es fürchtest?“ „Du bist ein Monster! Solche wie du töten völlig grundlos Unschuldige!“ „Und das weißt du mit solcher Sicherheit?“ Sie lächelte kalt. „Aber wenn du so sehr daran glauben möchtest, werde ich dich nicht enttäuschen.“ „Wenn du meinst …“ Er musste sich ihren Worten verschließen, oder er wäre verloren! „Spiel weiter!“   Die Sirene nickte. „Ganz wie du wünscht. Mein Zug beginnt.“ Allein mit ihren Fingernägeln zog sie die nächste Karte und lächelte finster. Dann aktivierte sie sie. „Ich benutze [Monster Reborn], oh, welch ein ironischer Zufall, und belebe [Naturia Rosewhip] von meinem Friedhof wieder. Genau, wie ich wiedergeboren wurde.“ Vor ihren Füßen wuchs die kleine Rose aus dem Boden und grinste fröhlich. Abby bückte sich zu ihr und streichelte mit verträumter Mimik über die roten Blätter.   Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)]   Matt stöhnte leise. „Verdammt, sie benutzt ihre Kräfte, um aus Illusionen Realität zu machen. Und sie kann meine Zauber neutralisieren … das ist schlecht.“ „Exakt“, antwortete seine Gegnerin mit ihrer widerhallenden, rauchigen Stimme. „Damit du den Schmerz spürst, den du mir zufügen wolltest.“ „Du machst mir keine Angst!“, entgegnete er mutig. „Wart es nur ab“, hauchte sie ihm jedoch zwinkernd entgegen und nahm eines ihrer beiden Monster aus ihrer Hand hervor. „Erscheine, [Naturia Fruitfly]!“ Eine kleine Fliege summte um Abby herum. Ganz ihrem Namen nach bestand ihr Körper aus Trauben und einer Erdbeere – eine wahre Fruchtfliege.   Naturia Fruitfly [ATK/800 DEF/1500 (3)]   „Dann lass uns sehen, was du hiervon hältst“, murmelte die Weißhaarige geheimnisvoll und streckte den Arm in die Höhe. „Ich stimme meine Stufe 3 [Naturia Rosewhip] auf meine Stufe 3 [Naturia Fruitfly] ab! Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon! Descent down, [Naturia Barkion]!“ Ihre Rose zersprang in drei grüne Lichtringe, die die Fliege durchquerte. Ein Lichtstrahl ließ jene anwachsen und machte aus ihr einen eindrucksvollen, schlangenhaften Drachen. Dieser brüllte majestätisch, während sich der Kamm aus Holzrinde auf seiner grauen Haut bewegte.   Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]   Er gesellte sich zu [Naturia Landoise]. Matt wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Na toll! Noch so eins …“ Indes zeigte Abby ausdruckslos in ihrer neuen Schönheit auf ihren Gegner. „Los meine Monster, direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Lehrt ihn, Respekt vor Mutter Natur und all ihren Geschöpfen zu haben, ob Dämonen oder Menschen!“ Doch der Schwarzhaarige grinste nur selbstsicher. Er schwang seinen Arm aus. „Dazu wird es nicht kommen! Ich aktiviere [Call Of The Haunted]! Damit kann ich ein x-beliebiges Monster von meinem Friedhof reanimieren, solange meine Falle wirkt! Und dieses Monster wird [Steelswarm Girastag] sein!“ Die Sirene aber schüttelte den Kopf. „Ich habe andere Pläne. [Naturia Barkion], annulliere seine Falle! Ich verbanne zwei Karten von meinem Friedhof, um deinen Effekt zu aktivieren!“ Sie hielt die Zauber [Landoise's Luminous Moss] und [Gaia Power] zwischen ihren langen Fingernägeln und schob sie in einen Extraschlitz unter dem Friedhof ihrer schwarzen Duel Disk. Matts Falle zersprang nach einem eindrucksvollen Gebrüll des grauen Drachen. „Verdammt!“, schrie der und sah sich plötzlich zwei riesigen Monstern gegenüber. Die Schildkröte stampfte nur einmal mit dem Fuß auf, um die Erde erbeben zu lassen. Zeitgleich verpasste Abbys Drache Matt einen schmerzhaften Hieb mit dem Schweif, der ihn mehrere Meter weit über den Hügel schleuderte. Hart schlug er auf das Gras auf, welches nur ein Hologramm war und tatsächlich Schrott überdeckte und rollte den ganzen Hang hinab. Einen Schmerzensschrei von sich gebend, blieb er hinter dem getarnten Schrottberg liegen.   [Abby: 2900LP / Matt: 5000LP → 150LP]   Fassungslos zog er sich eine große Scherbe aus dem linken Oberschenkel. Blut sickerte unter seiner schwarzen Hose hervor. Er stöhnte vor Schmerz, denn der Fall hatte ihm gewiss einige Rippen gebrochen und schlimme Prellungen zugefügt. Seine rechte Wange war blutverschmiert. Trotzdem stand er auf und schleppte sich den Hügel hinauf, bis er wieder an der Spitze stand, vor seiner verdeckten Karte. „Netter Treffer“, lobte er die Sirene kühl. „Aber so leicht kippe ich nicht aus den Latschen.“ Abby lächelte nur wissend. „Das will ich auch gar nicht.“ Sie zeigte zwischen ihren Fingern eine Monsterkarte hervor. „Da ich abermals die Aktivierung einer deiner Karten annulliert habe, schenkt mir [Naturia Forest] ein Monster. [Naturia Cosmobeet] wird es genannt. Damit beende ich meinen Zug, indem ich eine Karte setze.“ „Auch besser so … für mich“, lachte Matt selbstironisch, als sich die Karte vor Abby materialisierte.   Anya indes staunte wahre Bauklötze, während sie mitansah, wie Abby mit diesem Dreckskerl umging. Gut, sie sah jetzt zwar aus, als wäre sie der „Rocky Horror Picture Show“ entsprungen, aber solange sie diese fiese Kröte zu Gulasch verarbeitete, war Anya das nur recht.   Die Kraft des Käfigs wird schwächer. Vermutlich, weil dieser Matt schwere Verletzungen erlitten hat. Gib mir noch ein wenig Zeit, dann befreie ich dich.   „Beeil' dich 'n bisschen!“, schnauzte Anya Levrier an. „Ich will auch noch was von dem abhaben, 'kay?“ Ich tue schon mein Bestes. Etwas mehr Dankbarkeit wäre angebracht.   „Klappe!“ Das Mädchen verschränkte im Schneidersitz die Arme. „Wenn das so weitergeht, dreht Abby noch völlig durch …“   Höre ich da Besorgnis in deiner Stimme? „Keine Ahnung, was du meinst! Und jetzt mach hinne, mir jucken schon die Finger!“ Anya war sich nicht sicher, ob sie Abby überhaupt noch beruhigen konnte. Was, wenn sie jetzt für immer in dieser Form bleiben würde? Wäre sie dann überhaupt noch ihre Freundin? Sie war so verdammt anders als Sirene …   Während die Blondine sich den Kopf über Abbys Situation zerbrach, hatte Matt ganz andere Sorgen. Er zog von seinem Deck und musterte nervös sein Blatt. Er musste diesen Albtraum beenden, schnell! Und er musste Abby töten, egal wie schwer es ihm fallen würde. Sie war nicht mehr die, die er gestern kennengelernt hatte. Alles hatte sich mit einem Schlag verändert! Das Mädchen war jetzt eine Kreatur der Finsternis, wie Alastair sagen würde. Und es war ihr Job als Dämonenjäger, die Menschen vor solchen wie diesen zu beschützen! „Okay“, murmelte er leise. „Ich aktiviere den Zauber [Recurring Nightmare]! Damit erhalte ich zwei Finsternis-Monster von meinem Friedhof. Die einzige Bedingung dabei ist, dass sie 0 Verteidigungspunkte haben dürfen. So wie [Steelswarm Cell] und [Steelswarm Girastag]!“ Tief durchatmend fügte er sie seinem Blatt hinzu. „Du solltest wissen, dass Girastag nur eine meiner besseren Karten ist. Jetzt wirst du eine weitere kennenlernen! Doch zunächst beschwöre ich Cell, da ich keine Monster kontrolliere, von meiner Hand als Spezialbeschwörung! Danach reanimiere ich [Steelswarm Scout] durch den Zauber von [Monster Reborn], da ich noch eine Karte in meiner Backrow kontrolliere und ihn daher nicht durch seinen eigenen Effekt reanimieren kann!“ Vor ihm tauchten der dicke, schwarze Käfer und das kleine Insektenkind mit den riesigen Facettenaugen wieder auf.   Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)] Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]   „Nimm dich in Acht!“, rief Matt stolz und nahm die Monster von seiner Duel Disk, um für sie ein neues hinzulegen. „Ich biete diese Monster als Tribut an und beschwöre [Steelswarm Caucastag]! Reiß unsere Feinde mit deiner Macht entzwei!“ Matts Kreaturen lösten sich auf. Um ihn herum begann das Gras welk zu werden, zerfiel zu Staub. Aus dem Nichts erhob sich eine gewaltige, humanoide Gestalt. Wie alle Steelswarm-Monster war sie pechschwarz und ein Insektoid, ähnelte in diesem Fall einem Hirschkäfer. Auch er besaß einen langen Schweif, der hinter seinen Flügeln hervorlugte. An seiner Spitze ruhte der Lauf einer Laserkanone.   Steelswarm Caucastag [ATK/2800 DEF/0 (8)]   Abby hingegen zuckte nicht einmal mit den Wimpern. „Du hast eine Normalbeschwörung durchgeführt. Deswegen werde ich [Naturia Cosmobeet] von meiner Hand als Spezialbeschwörung rufen.“ Zwischen ihrer Schildkröte und dem Drachen zeigte eine vergleichsweise winzige Gestalt plötzlich ihr Antlitz. Auf dem Haupt des kugelrunden, schwebenden Erdklumpens mit Knopfaugen wuchsen drei Blumen.   Naturia Cosmobeet [ATK/1000 DEF/700 (2)]   Matt aber lachte nur bissig. „Pah! Das war ein Fehler, denn Caucastag wird es und all deine anderen Monster sowieso gleich vernichten! Denn wenn er beschworen wird, und dabei zwei Steelswarmer als Tribut angeboten worden sind, kann er entweder alle anderen Monster oder alle Zauber- und Fallenkarten auf dem Feld vernichten!“ Und der Schwarzhaarige wusste genau, dass [Naturia Landoise] ihm dabei nicht in die Quere kommen konnte, denn die einzige Karte auf der Hand seiner Gegnerin war ein Monster namens [Naturia Marron]! Sein Hirschkäferdämon hob seinen Schweif an und schoss einen roten Laserstrahl ab. Dieser brachte bei Kontakt nach und nach alle von Abbys Monstern zum Explodieren. „Sieh, wie du dich an den Lebewesen vergehst!“, beklagte die sich. „Ich werde dem ein Ende setzen!“ „Komisch, so etwas Ähnliches wollte ich auch gerade sagen“, gab Matt sich trotz seiner Schmerzen selbstbewusst. „Caucastag, direkter Angriff!“ Wieder hob sein Monster seinen Schweif und bombardierte sie mit einer Salve leuchtend roter Kugeln, die überall um sie herum einschlugen. Die verdammte Sirene wich flink zurück und konnte tänzelnd jedem Angriff entkommen. Trotzdem hatte er ihren Lebenspunkten großen Schaden zugefügt!   [Abby: 2900LP → 100LP / Matt: 150LP]   Matt betrachtete seine letzte Handkarte, [Steelswarm Girastag], dann seine verdeckte Falle. Egal was sie ihm entgegenbringen würde, er hatte die Oberhand! Er würde sie vernichten, damit es eine niederträchtige Kreatur weniger auf dem Planeten gab! „Ich beende meinen Zug!“   Ganz langsam zog Abby die nächste Karte und betrachtete sie aus ihren rosafarbenen Katzenaugen. Dann schmunzelte sie. „So ist das also. Gut.“ „Was ist?“, fragte Matt. „Mein Karma ist stark wie nie zuvor“, hauchte sie verführerisch. „Deines hingegen … nicht so sehr. Ich beschwöre [Naturia Marron]. Durch ihren Effekt lege ich eine Naturia-Monsterkarte vom Deck auf den Friedhof. Das wäre [Naturia Guardian]!“ Während Abby tat, was sie angekündigt hatte, tauchte vor ihr eine stachelige Kastanie auf. Naturia Maron [ATK/1200 DEF/700 (3)]   „Nun mische ich [Naturia Barkion] und [Naturia Landoise] in mein Deck, in diesem Fall das Extradeck, zurück und ziehe eine Karte“, erklärte die Weißhaarige weiterhin seelenruhig. Mit ihren langen Fingernägeln zog sie eine Zauberkarte und lächelte böswillig. Matt indes hielt sich seine Wunde am Bein, die immer noch blutete. „Ich aktiviere [Barkion's Bark]“, erklärte Abby weiter und zeigte die gezogene Zauberkarte vor. „Mithilfe eines Naturia-Monsters auf meinem Spielfeld sind jetzt alle Fallenkarten nutzlos für diese Runde!“ „Verdammt!“ Matt schreckte zurück. Jetzt konnte er [Infestation Wave] nicht mehr dazu benutzen, um einer drohenden Gefahr aus dem Weg zu gehen! Aber er hatte immer noch seinen Caucastag! „Nun, da ich den Effekt eines Naturia-Monsters aktiviert habe, kann ich [Naturia Hydrangea] von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören.“ Um Abby herum wuchs ein Beet aus wunderschönen Hortensien. Eine der Blumen besaß Augen und blinzelte neugierig.   Naturia Hydrangea [ATK/1900 DEF/2000 (5)]   Matt wusste nicht, was seine Gegnerin damit bezwecken wollte. Sie hatte jetzt keine Handkarten mehr und zwei schwache Monster auf dem Spielfeld – beides Nicht-Empfänger und dazu unterschiedlicher Stufe. Was plante sie? Ihm behagte nicht bei dem Gedanken, dass sie vielleicht noch ein geheimes Ass im Ärmel haben könnte. „Ich aktiviere jetzt einen weiteren Effekt, jedoch von meinem Friedhof. Indem ich die oberste Karte meines Decks abwerfe, kann ich [Glow-Up Bulb] einmal während des Duells auferstehen lassen! Also erscheine!“ Sie steckte die Karte in den Friedhofsschlitz ihrer Duel Disk und ließ eine Blumenzwiebel mit weißer Blüte vor sich erscheinen.   Glow-Up Bulb [ATK/100 DEF/100 (1)]   Er hatte es geahnt, dachte Matt sauer. Das hatte sie also vor: ein weiteres Synchromonster zu beschwören. Und genau das kündigte Abby nun an. „Ich stimme meine Stufe 1-[Glow-Up Bulb] auf meine Stufe 5-[Naturia Hydrangea] und Stufe 3-[Naturia Maron] ab!“ Nun schon zum dritten Mal verwandelte sich eines ihrer Monster, die Blumenzwiebel, in einen grünen Kreis und ließ die anderen beiden ebenjenen durchqueren. „When the blood of the wild is spilled, earth-breaking power will awaken! Synchro Summon! Mother Nature's Power, [Naturia Leodrake]!" Aus dem Nichts kam ein Löwe mit Fell aus grünen Blättern hinter Abby hervorgesprungen. Seine Mähne war rot wie Herbstlaub, denn genau daraus bestand sie auch. Das anmutige Tier brüllte ohrenbetäubend laut und stellte sich schützend vor die Sirene.   Naturia Leodrake [ATK/3000 DEF/1900 (9)]   Matts Gesichtszüge entglitten ihm und wurden zu einer fassungslosen Fratze. „Unmöglich!“ Doch Abbys kalte, blaue Lippen formten nur stumme Worte, welche das Ende des Duells besiegeln sollten. Denn ein Angriff genügte, um Matts restliche Lebenspunkte auszulöschen. Verzweifelt sah dieser sein Blatt an, als sein Caucastag mit einem Hieb der wuchtigen Pranke des Löwen einfach niedergerungen wurde. Dann stürmte das Ungeheuer auf ihn zu. Er schloss die Augen, denn weglaufen war zwecklos. So stellte er sich dem Schicksal und wurde hart zu Boden geworfen.   [Abby: 100LP / Matt: 150LP → 0LP]   Die Zähne des Tieres verkeilten sich tief in seinem rechten Unterarm, den er zum Schutz erhoben hatte, während der Löwe ihn mit seiner anderen Pranke auf den Schrotthaufen drückte. Anschließend verschwanden die Hologramme von Abbys verdeckter, ungenutzter Fallenkarte sowie Matts gesetzter [Infestation Wave]. Doch nicht so [Naturia Leodrake], der weiter mit Matt rang, während das falsche Mondlicht seines Bannkreises die Hügel voller Abfall in silbriges Licht tauchte. Matt kämpfte schreiend um sein Leben, während Abby ruhigen Gewissens zusah. „Zerfalle zu Asche und werde mit Mutter Erde wieder eins“, flüsterte sie nur boshaft und sah zu, wie ein Stofffetzen von Matts Mantel durch die Luft flog. Plötzlich wurde sie zu Boden geworfen und umgedreht. „Hör auf damit!“, brüllte Anya, die endlich aus ihrem Gefängnis entkommen war, sie zornig an. Die Sirene umfasste die Oberarme des Mädchens mit ihren langen Fingern und drückte sie mühelos von sich weg. „Womit? Willst du sagen, dass eine Bestie wie er es verdient hat zu leben?“ Ein feines Rinnsal von Blut lief dank Abbys spitzer Fingernägel über Anyas aufgekratzten, rechten Arm, als sie diesen hob und mit voller Wucht eine Faust auf das feine Gesicht ihrer Freundin niedersausen ließ. Abbys Kopf wurde mit einem Ruck zur Seite geschlagen. „Nein! Am liebsten würde ich dieser Ratte sämtliche Knochen brechen!“, zischte Anya wütend und rang mit Abby. Kräftemäßig mochte sie einer Sirene zwar unterlegen sein, doch blieb die Blondine hartnäckig. „Aber du bist nicht diejenige, die so etwas zu entscheiden hat!“ Mit einer gezielten Ohrfeige des Handrückens wurde Anya regelrecht von Abby heruntergerissen, die sich nun ihrerseits auf das Mädchen stürzte und sie zu würgen begann. Im Hintergrund drangen die Schreie von Matts Todeskampf zu ihnen. „Das war damals! Sieh mich an und erkenne, was ich bin!“ Wieder traf sie eine Faust im Gesicht, dieses Mal Anyas Linke. „Idiot! Hast du mein Versprechen dir gegenüber etwa vergessen?“ Abby hielt inne und wurde infolgedessen von einem saftigen Knietritt in die Nieren wieder umgeworfen, sodass Anya sich auf sie hockte und erneut zuschlug. „Ich habe versprochen, dich nie alleine zu lassen, als du deine Eltern verloren hast! Dich zu beschützen, egal vor wem! Wenn es jemandes Aufgabe ist, diesen Kerl ins Jenseits zu befördern, dann verdammt nochmal meine!“ Noch eine Faust traf die Sirene ins Gesicht. „Und ich hasse es, wenn du einen auf egoistisch machst und mir meine Aufgaben abnehmen willst! Ich kann das sehr gut alleine!“ Wieder wollte Anya zuschlagen, doch sie stoppte ihre Faust kurz vor Abbys Nase. „Es tut mir leid“, wimmerte die unter Tränen. Das Unglaubliche war geschehen, so schnell, dass Anya es gar nicht bemerkt hatte. Abby war wieder völlig sie selbst, das Haar kürzer und braun, die Gesichtszüge weniger scharf und die Augen die eines Menschen. „Ich weiß nicht, was in mich gefa-“ Anyas nächster Schlag ins Gesicht ließ sie abrupt verstummen. „Mach das nie wieder, hörst du!? ICH bin hier die, die die Kommandos gibt, 'kay? Also sag ich, was mit dem Kerl passiert und wie es passiert!“   Du bist eine schlechte Schauspielerin. In Wirklichkeit willst du doch nur nicht, dass Abby einen Mord begeht, denn das würde ihrer Seele auf ewig schaden.   „Es tut mir leid.“ Abby vergrub ihr geschundenes Gesicht in die Hände und weinte bittere Tränen. Anya seufzte resignierend und tätschelte ihr unbeholfen die Schulter, ehe sie sich von ihr erhob. Dann drehte sie derart ruckartig den Kopf zur Seite, dass so mancher Exorzist bei ihrem Anblick die Beine in die Hand nehmen und davon rennen würde. „So, und jetzt zu dir, Kackbratze!“   Zu spät. Er ist weg. Oder was noch von ihm übrig geblieben ist.   „Was!?“   Nachdem Abigail Masters sich zurückverwandelt hat, ist auch ihr Monster verschwunden. Mit letzter Kraft hat der Dämonenjäger einen Teleportationszauber benutzt, um zu entkommen. Aber ich schätze, er ist noch irgendwo in der Stadt, genau wie Alastair.   In einer Welle von Flüchen fiel Anya aus allen Wolken. Wieder war ihr einer dieser Mistkerle entkommen! Wieso hatte immer sie so ein verdammtes Pech!? Abby erhob sich auf wackeligen Beinen neben ihr und hielt sich die geschwollene Wange. „Er ist weg, oder?“ Nur ein unmenschlicher Grunzlaut kam als Antwort. „Das ist gut … oh! Nick, Michael …!“ Abby eilte zu den beiden, die am Boden lagen und friedlich zu schlafen schien. Unter Tränen schloss sie ihren kleinen Bruder, welcher müde die Augen aufschlug, in die Arme. Dabei betrachtete sie überglücklich Nick, der schnarchte und gar nicht mitbekommen zu haben schien, was um ihn herum vor sich ging.   Derweil warf Anya einen skeptischen Blick über ihre Schulter, während die Sonne am Horizont schon fast untergegangen war und den Schrottplatz in warmes, orangefarbenes Licht tauchte. Der Bannkreis war längst fort und mit ihm die falsche Nacht. „Wird sie sich wieder in eine Sirene verwandeln?“, fragte sie Levrier dabei ernst.   Höchstwahrscheinlich, eines Tages. Wenn ich richtig liege, ist unbändiger Hass der Auslöser für ihre Transformation gewesen. Als ihr dieser durch deine Worte genommen wurde, hat sie wieder ihre ursprüngliche Form angenommen. Es ist aber zu bezweifeln, dass sie die Verwandlung bewusst zu kontrollieren vermag, schließlich ist sie nur ein Halbblut.   „Dann sollte man sie wohl nicht ärgern, huh?“   Mach dir keine Sorgen. Sie muss dich schon ihr ganzes Leben ertragen und hat sich nicht einmal verwandelt. Doch das Leben kann einem so manches Mal einen bösen Streich spielen. Gib gut auf sie Acht, wenn du verhindern willst, dass sich das heute Geschehene wiederholt.   „Was soll das denn heißen!? Und wie soll ich das überhaupt machen, wenn ich erstmal zu Eden geworden bin!?“ Doch Levrier enthielt sich einer Antwort und schwieg. Abby trat zusammen mit ihrem Bruder neben Anya, während sie Michael dabei sanft über den Kopf streichelte, welcher sich eng an ihre Hüfte geschmiegt hatte. Die Blondine bückte sich und hob Abbys getönte Brille auf, welche sie ihrer Freundin unwirsch in die Hände drückte. „Da!“ „Danke“, sagte die leise und setzte sie auf. Nun sah sie endlich wieder wie die Abby aus, die Anya so sehr mocht- Die sie in ihrem Umfeld ertragen konnte! „Du musst zum Arzt … huch!?“ Abby deutete auf die zerkratzten Stellen, die ihre langen Sirenenfingernägel in Anyas Oberarm geritzt hatten. Bloß waren genau jene fort. Nur das Blut war noch an Anyas Arm. „Ach, Kinderkacke. Du müsstest viel eher zum Arzt“, meinte Anya brummend. Abby streichelte sich die Wange und verzog schmerzhaft das Gesicht. „Geht schon. Das hab ich verdient. Aua!“ „Hast du auch!“ Das Mädchen seufzte und sah Anya durch ihre Brille plötzlich ernst an. „Du darfst niemandem erzählen, was du heute hier gesehen hast! Wenn herauskommt, dass ich-“ Anya zuckte mit den Schultern. „Was erzählen? Dass du den Kerl mühelos vom Platz gefegt hast?“ „Nein, dass ich-“ Wütend trat Anya ihrer Freundin gegen das Schienbein, ehe die ihren Wink verstanden hatte. „Oh! Na klar … danke. Du bist 'ne echte Freundin … so jemanden wie dich habe ich gar nicht verdient, nach allem, was passiert ist.“ „Erspar' mir die Gefühlsduseleien und hilf mir lieber, Nick aufzuwecken.“ Die beiden drehten sich zu ihrem Freund um, der immer noch wie ein Baby schlief. „Wie konnte sich der Trottel eigentlich fangen lassen?“, fragte Anya garstig. „Das ist jetzt schon das zweite Mal!“ Abby zuckte mit den Schultern. „Glaubst du denn, dass das so schwer ist?“ „Neeee.“ Die Mädchen fingen laut an zu lachen, während Nick in seinem Schlaf grunzte. Zufrieden stellte Anya fest, dass Abby immer noch fröhlich sein konnte. Dass das auch so blieb, war schließlich ihre Aufgabe …     Turn 11 – None For All, All For Fun An Anyas Schule findet ein Duel Monsters-Tag Turnier statt. Alle Schüler dürfen daran teilnehmen, solange sie einen Partner vorweisen können. Da Abby sich, nach den schrecklichen Ereignissen der letzten Zeit, noch nicht wieder duellieren möchte, muss Anya sich einen anderen Mitstreiter suchen. Doch gerade das stellt sich in ihrem Fall als unsagbar schwierig heraus. Als sie es letztlich dennoch schafft und wie durch ein Wunder sogar ins Finale vordringt, besteht das generische Team aus niemand Geringerem als … Kapitel 11: Turn 11 - None For All, All For Fun ----------------------------------------------- Turn 11 – None For All, All For Fun     Keuchend hielt sie sich die Brust und rutschte an der glitschigen Mauer hinab in die Hocke. Wusste es, dass sie hier war? Hatte sie es abgehängt? Die Stimme in ihrem Kopf war schon seit Tagen verstummt. War sie seinem allgegenwärtigen Blick tatsächlich entkommen? Doch sie wusste, dass wenn sie zu lange hier blieb, jenes Ding sie wieder finden und verführen wollen würde! Genau wie es Benny verführt hatte!   Der Frau mit dem nach hinten zu einer Welle verlaufenden, braunen Haar war übel, als sie sich ihren Pony aus der Stirn wischte. Hier unten, in der dunklen Kanalisation stank es nach Fäkalien und etwas anderem, was sie jedoch nicht zu beschreiben wusste. Es war so dunkel, dass man sehr vorsichtig sein musste, wenn man sich hier bewegte. Wie lange war sie schon hier unten? Sie wusste es nicht. Alles, was sie hatte, war die Taschenlampe und einen Rucksack mit den nötigsten Kleidungsstücken. So lebte man, wenn man auf der Flucht war. Den halben Kontinent hatte sie hinter sich zurückgelegt und noch immer war es ihr auf der Spur, spukte tagelang in ihrem Kopf und flüsterte ihr schreckliche Dinge ins Ohr. Dann war es manchmal eine ganze Woche verschwunden, doch es kehrte immer wieder zu ihr zurück. Aber was sollte man von einem Wesen wie diesem anderes erwarten? Es war ihr Blut, hinter dem es her war. Das hatte es sogar selbst behauptet.   Mit traurigem Blick holte sie aus der Hintertasche ihrer Jeans einen Kartenstapel hervor. Wenigstens das hatte sie mit sich nehmen können, um Schlimmeres zu verhindern. Zögerlich nahm sie die oberste Karte des Stapels in die Hand – das Geschenk des Dämons! Besonders diese eine Karte durfte nicht zurück in den Besitz dieses Dings geraten, oder es würde seinen abscheulichen Plan in die Tat umsetzen können. Bereitwillig hatte -es- ihr alles geschildert, über den Turm, das Datum und alles Weitere. Vermutlich hatte es nicht mit Gegenwehr gerechnet. Doch wie konnte sie sicher sein, dass ihr Bruder wieder er selbst war? Gar nicht!   Ein schabendes Geräusch ließ sie aufschrecken. Mit der Taschenlampe leuchtete sie in die Richtung, doch außer dem Fluss voller Fäkalien und ein paar Ratten war da nichts. Wie konnte dort auch etwas sein, das keinen Körper zu besitzen schien? Aber wenn es Benny doch noch kontrolliert? Sie musste hier weg. Das Risiko war einfach zu groß.   Vorsichtig erhob sich die Frau. Sie musste entkommen, irgendwie! Zumindest bis zu jenem Tag. Dem 11. November … Also rannte die Frau davon, in der Hoffnung, sich ihren Verfolger nur eingebildet zu haben.   ~-~-~   Skeptisch verschränkte Anya die Arme voreinander. Fast alle Schüler der Livington High hatten sich auf dem großen Footballfeld der Schule versammelt und lauschten den Worten des Direktors, Mr. Bitterfield, der auf einer kleinen Bühne inmitten der riesigen Schar an Schülern stand. „Werte Studenten“, sprach er in sein Mikrofon. Der kleine, rundliche Mann mit dem schütteren, schwarzen Haarkranz legte wie gewohnt einen freundlichen Tonfall an. „Wie bereits vor Monaten angekündigt, findet heute das erste Tag Duel-Tournament an unserer Schule an. Das Siegerteam wird die Möglichkeit erhalten, an den diesjährigen, nationalen Wettstreiten teilzunehmen, um sich vielleicht einen Platz in der Profiliga zu sichern.“ Die Blondine spielte gelangweilt mit ihrem Pferdeschwanz und betrachtete Abby, die direkt neben ihr stand. Sie wirkte immer noch sehr mitgenommen, innerlich wie äußerlich. Die Schwellungen waren, anders als Anyas Verletzungen, nicht abgeklungen und entstellten ihr freundliches Gesicht deutlich. Ihr trauriger Blick jedoch sprach mehr als tausend Worte. Anya wusste, dass Abby ihre Wurzeln als Sirene zu schaffen machten. „Klingt lustig, oder?“, fragte Abby mit erzwungener Heiterkeit. „Klar. Das Ding gewinne ich locker“, erwiderte Anya selbstsicher. „Willst du meine Partnerin sein? Für Tag Duelle braucht man zwei Leute.“ Abby lächelte, schüttelte gleichwohl aber den Kopf. „Danke, aber ich denke, es wäre besser, wenn ich eine Weile die Finger vom Duellieren lasse.“ „Langweilerin“, brummte Anya enttäuscht. Auch wenn sie bereits mit dieser Antwort gerechnet hatte, war es dennoch ätzend.   Derweil erklärte Mr. Bitterfield die Regeln. „Es wird nach dem KO-Prinzip verfahren. Jedes Team kann seinen Gegner frei wählen, doch wenn es verliert, ist es aus dem Rennen. Sobald nur noch zwei Teams übrig sind, wird hier das große Finale abgehalten werden. Damit ihr nicht auf die Idee kommt zu schummeln, werden wir euch über die Server der AFC, der ehrenwerten Abraham Ford Company, überwachen. Über sie stellen wir fest, wer bereits verloren hat und wer noch im Rennen ist.“   „Anya? Bist du mein Partner?“ Anya drehte sich nicht einmal zu Nick um, der hinter ihnen stand. „Keine Chance! Siehst du das da?“ Sie deutete in die Richtung des Podests auf der Bühne. Auf ihm stand ein kleiner, goldener Pokal. „Was ist das?“, fragte er verwirrt. „Das, was ich haben will. Und das krieg' ich nur mit einem -guten- Tag-Partner. Ergo bist du schon mal disqualifiziert.“ Nun wirbelte sie sich zu ihm um und machte eine verscheuchende Geste mit den Händen. „Husch, such dir jemand anderes, mit dem du verlieren kannst!“ „Anya, das ist aber nicht gerade nett“, protestierte Abby. Enttäuscht ließ Nick den Kopf hängen und sprach eine Schülergruppe an, die ihn augenblicklich mit noch böseren Worten als Anya davon jagte. „Abby“, meinte jene und sah ihre Freundin taxierend an, „nicht die vier Buchstaben in meiner Gegenwart!“   Anya war vieles. Gemein, herzlos, temperamentvoll, brutal, kreativ, ignorant, oder auch neurotisch. Aber eines, eines war sie ganz bestimmt nicht. N-e-t-t. Vor vier Jahren hatte Cynthia Tores es gewagt, Anya nett zu nennen, weil die ihr ausnahmsweise nicht das Geld für die Kantine abgeknöpft hatte. Schnell hatte Cynthia feststellen dürfen, wie lange ein Mensch die Luft doch anhalten konnte, wenn man mit dem Kopf in der Kloschüssel steckte, während ununterbrochen gespült wurde. Seitdem hatte sie ein halbes Dutzend Phobien – einige davon waren sehr unpraktisch im Alltag – und unwiderruflich das Land verlassen. Nein, Anya war nicht nett. Das passte weder zu ihrem Image, noch zu ihrer Person als Ganzes. Wer nett war, kroch anderen automatisch in den Allerwertesten – so sah Anya das. Und Analspiele waren nie ihr Ding gewesen. Demnach war sie nicht nett, würde es auch nie werden und wenn doch, würde man sie eines schönen Tages, den sich hunderte Bewohner Livingtons sehnsüchtig herbeiwünschten, von der Decke baumeln sehen. Doch den Gefallen würde sie dem Spießbürgertum ihrer Heimatstadt nicht tun. Nein, sie war nicht nett.   „Bis zehn Uhr habt ihr Zeit, ein Team aus zwei Spielern zu bilden“, erklärte Mr. Bitterfield und beendete so langsam seine Rede. „Ich hoffe, dieses Turnier wird ein Erfolg! Für euch, als auch für unsere Schule! Der Wettstreit ist eröffnet!“ Viele Schüler klatschten begeistert in die Hände. Anya war keine von ihnen. Sie war sauer, denn soeben hatte sie den Mann an der Seite des Direktors erkannt. Mr. Redfield, der Sponsor des Turniers. An den Schläfen und Koteletten war das schwarze Haar schon ergraut, doch in seinem makellosen, weißen Anzug sah der stattliche Mann trotz seines Alters sehr jung aus. „Siehst du ihn!? Da steht er und grinst in sich hinein“, ereiferte Anya sich wütend. „Ja, hat er seinem Töchterchen auch schön einen Platz ins Finale gekauft!?“ Abby schnalzte mit der Zunge. „Anya, du siehst Gespenster. Jemand wie Valerie würde sich nie auf so etwas einlassen. Als wenn sie das nötig hätte …“ „Tch, klar hat die das nötig! Aber unsere kleine Schwanenprinzessin wird sich noch wundern, wenn ich ihr erst alle Federn gerupft habe! Dann wird sie sehen, dass Daddys Geld eben nicht alles kaufen kann! Vor allem nicht Gesundheit!“ „Ich würde an deiner Stelle ja lieber einen Partner suchen, als in unnötigen Hasstiraden aufzugehen. Warum fragst du Valerie nicht, ob ihr euch zusammenschließen könnt?“ Kaum war der Satz ausgesprochen, waren Anyas Hände dem Hals von Abby gefährlich nahe. Die hob in panischer Heiserkeit die Hände. „War nur'n Witz!“ „Andere lägen jetzt längst auf dem Seziertisch“, zischte Anya ihre Freundin an. Abby nickte zustimmend und seufzte. „Ich meinte doch bloß, zusammen könntet ihr sicher gewinnen. Ihr seid beide gute Duellanten.“ Eher wurde Anya nett! Nachdenklich verschränkte Abby die Arme. „Trotzdem, schau dich mal um. Alle, die teilnehmen wollen, sind schon damit beschäftigt, sich jemanden als Partner zu suchen. Wenn du dich nicht beeilst, sind die besten schon weg.“ „Du hast recht“, sagte Anya widerwillig. „Mal sehen, wen ich zu meinem Glück zwingen könnte.“   Die Blondine spähte mit zusammengekniffenen Augen über das weite Footballfeld. Überall standen Schüler in kleinen Gruppen, unterhielten sich oder rannten von A nach B, um den passenden Partner für sich zu finden. Viele aber hatten den Sportplatz verlassen, denn nicht jeder interessierte sich für Duel Monster, schon gar nicht, wenn Nichtstun die Alternative war. Trotzdem tummelten sich bestimmt über hundert Schüler hier. Manche zog es auch zum Campusgelände, damit sie dort ungestört ihren „Geschäften“ nachgehen konnten. Wen sollte sie sich an Land ziehen, fragte Anya sich angestrengt. „Ach scheiß drauf!“ Sie wusste sowieso nicht, wie die anderen spielten, da 95% ihrer Duel Monsters-Erfahrung vom Spielen diverser Simulationsprogramme herrührten. Kurzerhand steuerte sie auf eine kleine Traube aus drei Personen zu. Es waren die blonde Willow Taub und zwei Jungs aus Anyas Eishockeymannschaft. Als Letztere bemerkten, dass Anya auf sie zusteuerte, verabschiedeten sie sich hastig von der verdutzten Willow und hauten ab. Anya, die das verärgert feststellte, baute sich vor ihrer Klassenkameradin auf wie ein Erwachsener, der sein kleines Kind ausschimpfen wollte. „Du, ich, Partner“, machte sie mit einer entsprechenden Bewegung ihres Fingers klar. „Ähähähä, hi Anya“, lachte Willow heiser und sah sich hektisch nach irgendjemandem um, der ihr helfen konnte. „Komm!“, befahl die Blauäugige schroff und packte den Lockenkopf am Arm, welcher sich aber zu ihrem Ärgernis ziemlich bockig anstellte und sich nicht mitschleifen lassen wollte. „Lass mich los“, bettelte Willow, „ich hab doch schon 'nen Partner.“ „Korrekt, Taub! Mich! Und jetzt stell dich nicht so an“, brummte Anya und zerrte hartnäckig an Willow, die all ihre Kraft aufbringen musste, um nicht ins absolute Chaos gerissen zu werden. „Nein, Johnny ist mein Partner … lässt du mich jetzt bitte los?“ Anya sah sie misstrauisch an und tat schließlich mürrisch, worum man sie gebeten hatte. Willow landete durch den Schwung auf dem Hosenboden. „Pff, dann nicht! Such ich mir eben jemand anderes. Wenn du nicht gewinnen willst, mir doch schnuppe!“ Eine Anya Bauer hatte es schließlich nicht nötig, um Almosen zu betteln!   „Willst du- Hey, warum rennst du weg!?“, rief sie wenige Minuten später Ernie Winter hinterher, als sie diesen angesprochen hatte. „Eher würde ich- Glubagrblug!“ Anya hatte -es- schon für den rothaarigen, pummeligen Willy Patrics übernommen, als sie seinen Kopf in die Toilette hielt. Was für ein Zufall, wo sie doch vorhin erst darüber nachgedacht hatte. Aber gut, so kam sie wenigstens nicht aus der Übung. Zu schade nur, dass sie für solche Spiele gerade keine Zeit hatte … „Hast Glück, Patrics, ich bin heute gnädig gestimmt.“ Und so ließ sie ihn ziehen, ohne auch nur einmal die Spülung betätigt zu haben. Dafür würde sie sich aber eine gute Ausrede einfallen lassen müssen, warum die Tür des Jungenklos neuerdings nicht mehr als ein Fußabtreter war.   „I-i-ich kann nicht dein Partner werden, ehrlich nicht!“, stammelte der pickelige Adam auf dem Gang und stieß mit einem schreckhaften Aufschrei gegen seinen Spind. „Warum nicht, Clover?“, dröhnte Anya mit unmenschlicher Stimme und war seinem Gesicht mit dem ihren so nahe, dass sie seine Angst förmlich riechen konnte. Ahhhhh, Angst! Warum gab es das nicht auch als Deo? „I-i-ich muss zu einer Beerdigung. M-m-meine Großmutter ist vor fünf Minuten gestorben. Bye!“ „Halt!“ Anya hielt dem flüchtenden Brillenträger am Kragen fest, doch der schlüpfte kurzerhand aus seinem babyblauen Poloshirt und rannte mit nacktem Oberkörper davon. Wütend starrte sie ihm hinterher, wie er von vorbeikommenden Mitschülern ausgelacht wurde, welche ihrerseits kurz darauf verstummten und auf dem Absatz Kehrt machten, als sie Anya bemerkten. „Wieso will keiner mein Partner sein!?“, schnaubte die und warf Adams Überbleibsel in den Papierkorb neben sich.   Dir fehlen eben die vier Buchstaben.   „Verdammt richtig! Und darauf bin ich stolz!“   Dann sei eine stolze Zuschauerin und sieh zu, wie Valerie Redfield das Turnier gewinnt.   Anya ballte ihre Fäuste so sehr, dass die Haut über ihren Knöcheln aussah, als würde sie jeden Moment reißen. Wütend schlug sie gegen Adams Spind, dessen Tür unter dem Druck aufsprang. „Das werde ich nicht zulassen! Irgendwen muss es doch geben, der mit mir ein Team bilden will!“   Vollkommen richtig. Und er steht direkt hinter dir.   Im selben Augenblick spürte Anya eine Hand auf ihrer Schulter, was sofort einen Faustschlag ins Gesicht und einen schmerzerfüllten Schrei nach sich zog. Als Anya sah, wer dort vor ihr am Boden lag, verloren ihre Züge an Härte. Stattdessen stand ihr das pure Selbstmitleid im Gesicht. „Das kann unmöglich dein Ernst sein, Levrier!“ „Hi Anya! Willst du mit mir ein Team bilden?“, fragte Nick und hielt sich die blutende Oberlippe grinsend. „Bitte sag ja!“   In Not darf man nicht wählerisch sein, Anya Bauer.   „Hast du keinen anderen Dummen gefunden!?“, herrschte Anya ihren Freund an. Der erhob sich und zuckte mit den Schultern. „Nö. Ich hab gewartet, dass du es dir anders überlegst, hehe.“ Anya schlug die Hand vor den Kopf. Ihr Blick fiel dabei auf die Uhr, welche über einem der Klassenzimmer nicht weit von ihnen hing. Es war bereits dreiviertel Zehn.   Sieh es ein, die meisten haben ihren Partner schon gefunden. Die guten Spieler sind mit Gewissheit längst vergeben und die wenigen, die jetzt noch übrig sind, sind für deine Ansprüche entweder zu schlecht oder zu ängstlich.   „Soll das heißen, ich hab die Arschkarte gezogen!?“   Ja. Aber schon lange, bevor dieses Turnier überhaupt begonnen hat …   Anya rümpfte die Nase, denn Levriers Spitze ignorierte sie natürlich gekonnt – weil sie sie gar nicht erst als solche erkannt hatte. Dann warf sie einen Blick auf Nick, der mit seinen Augenbrauen zwinkerte. War es -das- wert? Anya wollte den beknackten Pokal und Valerie aus dem Turnier schmeißen, aber mit einem Partner wie Nick stand es 1 gegen 3. Valerie zerstören … Nick nicht ertragen zu müssen … was war besser? „Ach scheiß drauf, diese Knalltüten feg' ich auch alleine vom Feld! Komm mit, wir müssen zum Footballfeld, bevor die Frist verstrichen ist!“ „Hurra- Umpf!“ Nick war aufgesprungen und keinen Herzschlag später gegen die Tür von Adams Spind gelaufen, als er Anya folgen wollte. Sie würde ihn umbringen, sobald das Turnier gelaufen war, schwor die Blondine sich grimmig. Völlig unabhängig vom Ergebnis!   ~-~-~   „Insgesamt haben wir also 42 Teams!“, verlautete der Direktor auf seiner Tribüne, während besagte Paare in sechs Reihen, bestehend aus je sieben Mannschaften, vor ihm standen und sehnsüchtig den Pokal anstarrten, den Mr. Redfield stolz präsentierte. Giftig schielte Anya über die Schulter. Wo war Valerie? Die würde sie gleich zu Beginn vom Platz jagen! Aber in der hintersten Reihe fehlte ein Team und sie war nirgendwo zu sehen? Nahm sie überhaupt teil oder war es etwa unter ihrer Würde, sich hier zu zeigen? „Wo ist die dumme Kuh?“, zischte Anya Nick an. „Neben mir.“ Anya kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Ich hoffe, du hast damit das Team neben dir gemeint, denn wenn nicht, wirst du dein Leben lang aus der Schnabeltasse trinken müssen, 'kay!?“ Nick grinste nur unbekümmert.   „Der Kampf um den Pokal ist hiermit eröffnet!“, rief Mr. Bitterfield euphorisch in sein Mikrophon. Die Reihen der Teams lösten sich langsam auf, einige begannen sofort auf dem Footballfeld mit ihren Duellen, andere trotteten zurück zum Campusgelände, um dort zu kämpfen, ohne von allen dabei beobachtet zu werden. „Komm, wir gehen Redfield suchen!“, befahl Anya. Zusammen rannten sie über den großen Sportplatz, vorbei an den Hallen, hinüber zum Campusgelände. Als sie dieses erreicht hatten und an der Kantine neben dem großem Backsteingebäude der Oberstufe vorbeikamen, stellten sich ihnen zwei hagere Jugendliche in den Weg. „Wir wollen ein Duell!“, verlangte einer von ihnen übermütig. Sommersprossen zierten sein blasses Gesicht, während sein Partner einen halben Kopf größer war und eine unansehnliche Zahnspange trug, während er heftig nickte. Beide stammten aus der Unterstufe. „Aus dem Weg, ihr Schlümpfe“, knurrte Anya. „Erst wenn wir uns duelliert haben!“   Das Mädchen runzelte die Stirn. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich vor dem Finale nur mit Valerie zu duellieren. So konnte sie das Miststück aus dem Turnier kicken und danach eine ruhige Kugel schieben, während die anderen Teams sich gegenseitig das Leben schwer machten. Anschließend, wenn nur noch eines übrig war, musste sie dieses nur noch besiegen und hatte den verdammten Pokal sicher. Andererseits, wer sich ihr so dummdreist in den Weg stellte, hatte nur eines verdient. Absolute Vernichtung!   „Nick, die machen wir alle!“ „Okay, Boss!“, gluckste der und salutierte.   „NICK!“, schrie Anya, als ihr Freund zwei Züge später von dem Zweiergespann besiegt worden war. „Was habe ich dir über Zauber- und Fallenkarten beigebracht!?“ „Nichts?“ Anya schlug die Hand vor den Kopf. War der Idiot farbenblind? Dauernd setzte er die falschen Karten und aktivierte sie, ohne darüber nachzudenken! Und jetzt stand sie dem [Neo-Parshath, The Sky Paladin] und [Master Hyperion] ihrer Gegner alleine gegenüber. Doch sie hatte bereits einen Plan …   „NICK!“, brüllte Anya förmlich, als Willow Taub und Johnny Bremer sie mitten auf dem Gang gestellt hatten, der heute bereits dem pickeligen Adam zum Verhängnis geworden war, nachdem er eine spontane Stripeinlage hingelegt hatte. „Wenn du schon defensiv spielen willst, dann spiele deine Karten richtig aus!“ „Hehe, sorry!“ Wieder hatten ihre Gegner es geschafft, diesen Volltrottel aus dem Spiel zu schlagen. Nun musste sie zusehen, wie sie [Machina Fortress] und [Vision HERO Trinity] aus dem Weg räumen konnte. Aber ihr würde schon etwas einfallen …   „NICK!“ Noch ein wenig mehr, und Anyas Augäpfel sprangen aus ihren Höhlen. Sie befanden sich mitten auf dem Rasen, den Anya mit ihren von Levrier erhaltenen Kräften ruiniert hatte. Den Schaden hatte man größtenteils behoben, doch deutlich sah man die Stellen in der Erde, die durch den plötzlichen Ausbruch aufgerissen worden waren. Und nun wusste Anya auch wieder, warum sie Nick noch nicht verziehen hatte. Dieser hirnamputierte Schwachmat war doch tatsächlich in eine gegnerische [Mirror Force] gerannt! Jeden Augenblick würde sie wieder alleine gegen zwei Gegner antreten müssen! In diesem Fall waren das die schwarzhaarige Lily McDonald, die ihre Frisur hochgesteckt hatte, und Thomas Dermott, ein durchtrainierter, arroganter Glatzkopf und Anyas Eishockey-Kamerad. „Ich werde das schon schaukeln“, brummte Anya und wurde sich schmerzhaft bewusst, wie schwer ein Duell 1 gegen 3 doch sein konnte …   ~-~-~   „Tch!“ Anya verschränkte wütend die Arme. Ganze fünf Mannschaften hatten versucht, sich mit ihr zu messen, alle waren gescheitert! Nun wartete sie hier zusammen mit Nick auf dem Footballfeld. Fast alle Teams waren mittlerweile aus dem Turnier geflogen. Die Rasenfläche war wie ausgestorben, da sich die ausgeschiedenen Teilnehmer bereits bei der Zuschauertribüne am Rande des Spielfeldes eingefunden hatten.   „Noch drei Teams“, verkündete der Direktor, während er auf dem Laptop starrte, welcher auf einem Tisch mit weißer Decke stand. An jenem saßen nun er, Mr. Redfield und eine rothaarige, Brille tragende Journalistin der lokalen Zeitung. Zusammen thronten sie auf der Bühne und warteten das Ergebnis des vorletzten Duells dieses Turniers ab. Schließlich rief Mr. Bitterfield euphorisch: „Und das sind sie, die zweiten Finalteilnehmer! Valerie Redfield und Marc Butcher!“ Anya glaubte, sich verhört zu haben. „Valerie!? Marc!? In einem Team!?“ Kein Wunder, dass sie dieses Miststück nirgendwo angetroffen hat! Während andere sich mühevoll, wirklich mühevoll, durch das Turnier gequält haben, hatte -die- sich einfach zurückgezogen und mit Marc vergnügt – ihrem Marc! „Mit einer sagenhaften Zahl von vierzehn Siegen!“, fügte der Direktor noch überschwänglich hinzu. In Anya war gleichzeitig etwas gestorben. Und zwar ihr Wille, das Versprechen gegenüber Marc zu halten. „Das wird schwer“, hörte sie jemanden hinter sich besorgt sagen. Nick und Anya drehten sich um und sahen, wie Abby nachdenklich den Zeigefinger aufs Kinn legte. „Vierzehn Siege? Das ist ja ein Drittel aller Teilnehmer.“ „Und wo ist das andere Drittel?“, fragte Nick ahnungslos. Anya hingegen war zu geschockt, um etwas darauf zu erwidert. Hatte diese widerliche, hochnäsige, selbstverliebte, beschissene, hohle Nuss Valerie doch tatsächlich -mehr- Siege einkassiert als sie! „Das ist alles deine Schuld!“, beklagte sie sich bei Nick. Aber was noch viel schlimmer war: Marc war Valeries Partner, sprich ihr Gegner. Sie konnte doch nicht gegen Marc kämpfen, ihren Marc!   Hin und her gerissen überlegte Anya, was sie tun sollte. Derweil schritten ihre Gegner über das Footballfeld zu ihnen. „Hi, Valerie!“, begrüßte Abby sie fröhlich. Doch ganz zu ihrem Entsetzen erwiderte die sonst so freundliche Schwarzhaarige nichts, sondern ignorierte die Dreiergruppe einfach, als sie zusammen mit Marc an ihnen vorbeiging. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt, wobei der traurige Ausdruck in ihren Augen nicht zu übersehen war. „Hi, Marc!“, strahlte Anya und stockte. Nicht nur, dass sie eiskalt ignoriert wurde … er war auch noch verletzt! Um seinen rechten Arm war ein Verband geschlungen, der von der Handfläche bis zum Ellbogen ging. „Oh mein Gott, er muss sich beim Training verletzt haben!“, kreischte Anya hysterisch und zeigte auf ihren Schwarm. Und erschrak, als er ihr einen wütenden Blick zuwarf, nur um dann weiterzugehen. „Was ist denn in den gefahren?“, fragte Abby verdutzt. „So unfreundlich war er ja noch nie. Und Valerie auch nicht.“ „Nur ein Grund mehr, dieses Komsumpüppchen zum Mond zu schießen! Und glaub mir, Abby, genau das werde ich auch tun! Selbst wenn Marc dafür eine Niederlage kassieren muss!“ Bestimmt war sie der Grund, warum er so übel gelaunt war!   ~-~-~   Nach dem Aufruf des Direktors hatten sich auch die restlichen Schüler wieder auf der Veranstaltungsfläche des Finales eingefunden. Es fand nahe der Tribünen statt, von denen man auch den Footballspielen zuschauen konnte. Abby saß auf einer der Holzbänke, die schrittweise immer höher angesiedelt waren und seufzte. Ihre beiden Freunde standen Valerie und Marc dort unten gegenüber, während Mr. Bitterfield ein paar letzte Worte von seiner aufgebauten Bühne aus sagte.   „Nun stehen sich die vier besten Duellanten unserer Schule gegenüber“, sprach er feierlich. „Wie schon zuvor angekündigt, erhalten die Sieger diesen wunderschönen Pokal …“ Welcher von Mr. Redfield mit besorgter Miene präsentiert wurde. Auch ihm war aufgefallen, dass Valerie niedergeschlagen schien. „… und die Möglichkeit, an den diesjährigen Nationals unseres schönen Bundesstaats teilzunehmen. Wer sich dort als siegreich erweist, wird an der amerikanischen Meisterschaft der Beginner's League teilnehmen dürfen und auf einen Platz in der Profiliga hoffen!“   Er zeigte nun mit ausgebreiteter Hand auf Marc und Valerie, wobei besonders Letztere sehr angespannt wirkte und ruckartig eine gerade Haltung annahm. Sie hielt die Arme hinter dem Rücken verschränkt und sah ihren Gegnern nicht in die Augen. „Mit einer unglaublichen Anzahl von vierzehn Siegen treten Valerie Redfield, die Tochter unseres geliebten Bürgermeisters, und unser Star-Quarterback Marc Butcher …“ Nun deutete der Direkter mit einem abfälligen Nicken in Anyas Richtung „… gegen Anya Bauer und Rick Harbour an.“ „Ich heiße doch Nick! Oder nicht … ?“, begehrte der langgewachsene junge Mann dort unten verwirrt auf. „Ja, ja, ja“, winkte der Direktor desinteressiert ab. „Wir hoffen, dass diese großartige Veranstaltung mit einem würdigen Duell beendet wird! Lasst das Finale beginnen!“   Beide Parteien ließen ihre Duel Disks ausfahren. Von den Rängen tönte dröhnender Jubel, aber auch Buhrufe auf das Feld. Letztere galten Anya und Nick, die teilweise unschöne Anschuldigungen und Schimpfwörter an den Kopf geworfen bekamen, während Valerie und Marc kräftig unterstützt wurden. Abby seufzte. Fair war das nicht, denn sie hatte Anya beobachtet und gesehen, wie gut sie trotz Nicks Fehler gespielt hatte. Aber so waren die Leute eben. Und irgendwo war Anya auch selbst schuld daran. Aber wenigstens stellte Anya sich diesen Duellen, dachte Abby dabei traurig, während sie selbst zu feige war, an dem Turnier teilzunehmen …   Derweil knirschte die Blondine wütend mit den Zähnen bei Valeries Anblick. Dass sie ausgebuht wurde, machte Anya nichts aus. Ihr Ziel bestand einzig und allein darin, dieses Mädchen mit einer Glanzleistung vom Platz zu fegen, die diese Schule so noch nie erlebt hatte! „Wir schaffen das, Nick! Und denk an das, was ich dir beigebracht habe!“ „Aber du hast mir doch nichts beigebracht!“, widersprach Nick panisch. „Dann denk an die Schmerzen, die ich dir beigebracht habe! Und setz' das einfach als Duellstrategie um, 'kay!?“ „Okay. Du bist der Boss …“, meinte er unbekümmert und zuckte mit den Schultern. Letztlich riefen beide Parteien: „Duell!“   [Anya: 4000LP Nick: 4000LP //// Valerie: 4000LP Marc: 4000LP]   „Ich beginne“, sprach Marc mit solcher Entschiedenheit, dass es einen Moment ganz still war. Dann jubelten die Leute lauthals, während Anya nur eifrig nickte. Nachdem er sein Blatt um eine sechste Karte bereichert hatte, sprach er mit seiner tiefen Stimme: „Ich setzte eine Karte verdeckt!“ Sie erschien vor seinen Füßen. „Dann aktiviere ich [Card Destruction]! Damit müssen ich und ein weiterer, von mir gewählter Spieler, alle Handkarten abwerfen, um dann dieselbe Anzahl neu aufzuziehen! Anya, ich wähle dich!“ „Alles, was du willst“, hauchte die zärtlich mit verträumten Blick. Vor beiden erschienen die Abbilder ihrer Karten, die auf den Friedhof geschickt werden sollten. Wissbegierig sog Anya jede Information über Marcs Deck in sich auf. „[Laval Volcano Handmaiden], [Laval Miller], [Laval Forest Sprite] und [Laval Lancelord] … so cool …“ Dabei weinte sie nicht einmal ihrer guten Starthand hinterher, sondern zog einfach fünf neue Karten, während es bei Marc nur vier waren. Dieser erklärte in strengem Tonfall: „Wenn [Laval Volcano Handmaiden] auf den Friedhof gelegt wird, während sich andere Laval-Monster dort befinden, kann ich ein Laval-Monster von meinem Deck auf den Friedhof legen. Das wird eine weitere Handmaiden sein.“ Vor Marc erschien eine durchsichtige Gestalt, ein junges Mädchen mit Haar aus purer Lava. Sie kicherte hochnäsig und verwandelte sich dann in glühende Feuerfunken. „Da nun wieder eine Handmaiden auf den Friedhof gelegt wurde, kann ich noch eine Karte ablegen. Abermals eine Handmaiden.“ Dasselbe Mädchen tauchte noch einmal vor ihm auf, nur wieder zu verschwinden. „Durch sie schicke ich nun [Laval Warrior] auf den Friedhof.“ Und während er das tat, seufzte Anya theatralisch. Wie gut er doch spielte. In einem Zug so viele Monster auf den Ablagestapel geschickt zu haben, das war … was zur Hölle war das eigentlich? Anya stutzte. Aber Marc wusste schon, was er da tat. Jener sprach unterkühlt: „Ich setze eine weitere Karte verdeckt und beende. Hey du, Rick, oder wie du heißt, es ist dein Zug!“   Nick winkte aber nur aufgeregt Abby zu, die ihrerseits beide Daumen nach oben hielt, um ihm Mut zu machen. Hätte sie ihm doch lieber ein Schmerzmittel gegeben, könnte so mancher gedacht haben, als Anya ihm anschließend ihren Ellbogen zielsicher in die Rippen rammte. „Schlaf nicht rum! Marc hat gesagt, dass du dran bist! Und wehe, du machst irgendeinen dummen Fehler! Ich will nicht, dass du mich vor ihm blamierst, 'kay!?“ „Na logo, der Nickinator macht nie Fehler!“ Voller Elan zog Nick eine Karte. „Ich beschwöre [Wind-Up Juggler] und greife Valerie direkt an!“ Mit ausgeschwenktem Arm zeigte er seinem vor ihm auftauchenden Spielzeugjongleur, der in seiner abstrakten Form einer humanoiden Katze mit Sprungfeder als Unterkörper ziemlich ähnlich sah, das Ziel der Attacke. Wind-Up Juggler [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   Doch statt Nicks Befehl zu folgen, verharrte das Wesen seelenruhig und begeisterte das Publikum mehr oder weniger – eher weniger – mit seinen Jonglierkünsten. Anya klatschte sich die Hand vor den Kopf. Es war ja löblich, dass Nick ihr helfen wollte, Valerie fertig zu machen, aber bei solcher Hilfe wäre er auf deren Spielfeldseite besser aufgehoben. „Nick“, presste sie, bemüht die Fassung zu wahren, sauer hervor, „man kann in einem Tag Duell nicht während seines ersten Zuges angreifen! Erst ab Marcs nächstem Zug dürfen wir das!“ „Oh! Das war ja auch mein Plan!“ Anya blinzelte verdutzt. „Huh?“ „Na meine Gegner zu verwirren! Jetzt denken sie, dass ich gar keine Ahnung habe!“ Stolz wie Oscar plusterte sich Nick mit geschwollener Brust auf und erwartete Lob. Er bekam aber nur einen Tritt gegen sein Schienbein. „AU!“ „Du hast doch auch gar keine Ahnung, du Volltrottel! Gott, wieso ich!?“, beschwerte sich Anya mit einem vielsagenden Blick gen Himmel. Der in seinem trübsten Grau aber schwieg, als wolle er sich über die Blondine lustig machen. „Och … na dann beende ich meinen Zug“, kündigte Nick an. „WAS!? Willst du nicht wenigstens 'ne Karte setzen!?“ „Wieso? Die darf man doch dann auch erst später akti-“ Mit einem Schlag gegen den Hinterkopf hatte Anya Nick ins Gras gepfeffert und trat auf seinen Rücken. Sie war außer sich vor Wut und wenn Mr. Bitterfield sie nicht lauthals ermahnt hätte, wäre Nick wohl als Märtyrer aller Minderbemittelten in die Geschichte Livingtons eingegangen. So aber konnte er wacklig wieder aufstehen. „Sorry!“ „Ich bin dann wohl am Zug?“, fragte Valerie unmotiviert und zog. „[Gishki Chain].“ Aus einer Wasserlache schoss ein amphibischer Krieger, der seine Kette schwang und auf Valeries Duel Disk losließ. Sie versank in ihrem Deck und zog die Abbilder dreier Karten daraus hervor, die sich vor dem Mädchen ausbreiteten.   Gishki Chain [ATK/1800 DEF/1000 (4)] „Wenn [Gishki Chain] beschworen wird, sehe ich meine obersten drei Deckkarten an und nehme daraus entweder ein Gishki-Ritualmonster oder eine Ritualzauberkarte auf meine Hand, sollte denn eine darunter sein.“ Vor Valerie schwebten [Evigishki Tetrogre], [Monster Reborn] und [Salvage]. Sie nahm das Ritualmonster Tetrogre zwischen ihre Finger und fügte es ihrem Blatt hinzu. Die anderen beiden Karten legte sie in der von ihr bestimmten Reihenfolge aufs Deck zurück. „Ich setze zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug.“ Vor ihren Füßen erschienen sie, doch Anya achtete gar nicht darauf. Da stimmte doch irgendetwas nicht! Wieso war Valerie so teilnahmslos? Als würde sie gar nicht kämpfen wollen? Die Blondine runzelte die Stirn und betrachtete ihr Blatt. Jenes war nicht ganz so gut wie das verlorene, doch ausreichend. Schließlich rief sie ehrgeizig: „Draw!“ Dieser verdammte Pokal würde ihr gehören, so viel war sicher! Und wenn diese dumme Pute nicht darum kämpfen wollte, umso besser! „Ich aktiviere aus meinem Friedhof heraus [Gem-Knight Fusion]! Die wurde durch“, ihre Stimme gewann etwas Schwärmerisches, „Marcs [Card Destruction]“, und wurde augenblicklich wieder fest, „auf den Friedhof geschickt! Ich verbanne also [Gem-Knight Amber], um sie auf meine Hand zurück zu erhalten!“ Mit zufriedenem, schadenfrohem Grinsen hielt sie die Zauberkarte in die Luft. „Und ich benutze sie, um [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Garnet] zu verschmelzen! [Gem-Knight Tourmaline], du bist das Element, [Gem-Knight Garnet], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte und werdet zu [Gem-Knight Prismaura]!“ In einem Wirbel voller Edelsteine verschwanden die Abbilder ihrer Karten und erzeugten einen Lichtblitz, aus dem ein anmutiger Krieger trat. Mit Lanze und Schild in den Händen stand er vor Anya, während aus seiner Rüstung durchsichtige Kristalle wuchsen.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   Anya griff nach ihrem Friedhofsschlitz, aus dem ihre [Gem-Knight Fusion] hervortrat. „Ich verbanne jetzt Tourmaline, um [Gem-Knight Fusion] auf meine Hand zu erhalten. Aber da bleibt sie ganze zwei Sekunden, denn ich werfe sie für Prismauras Effekt ab, damit ich [Gishki Chain] zerstören kann!“ Ihr Krieger schoss aus seiner Lanze einen grellen Energiestrahl ab, der Valeries Fischmann in einer tosenden Explosion vernichtete. Anya nahm aus ihrem Blatt eine Karte und schob sie in ihre Duel Disk. „Diese hier verdeckt! Damit beende ich meinen Zug!“ Das klappte doch prima! Nächste Runde würde sie angreifen können, und dann war Valerie fällig!   Wortlos, aber mit finsterem Blick, zog Marc seine nächste Karte und steckte sie in sein Blatt. „Wir sollten Anyas Falle loswerden, oder?“ Er antwortete nicht, reagierte gar nicht auf Valeries Worte. Deswegen schwang die ihren Arm aus: „Verdeckte Schnellzauberkarte! [Mystical Space Typhoon]! Damit-“ Doch plötzlich brüllte Marc: „Misch dich gefälligst nicht ein! Ich brauche deine verdammte Hilfe nicht! Von meiner Hand der Schnellzauber [Mystical Space Typhoon]!“ „Entschuldige …“, meinte Valerie wie ein geschlagener Hund mit schwacher Stimme und wich seinem vernichtenden Blick aus. Dabei hatte sie Glück, dass ihre Karte noch nicht aufgesprungen, ergo offiziell aktiviert worden war. Derweil trat aus Marcs Zauberkarte ein Wirbelsturm, der Anyas Falle [Negate Attack] mit sich riss und dann im Nirgendwo wieder verschwand. Doch die konnte gar nicht fassen, wie Marc soeben mit Valerie geredet hatte. Das war … das war … genial! „Ja, mach sie zur Schnecke!“, jubelte Anya außer sich vor Freude. „Halt den Mund, ich muss nachdenken!“, schnauzte Marc das Mädchen daraufhin derart abweisend an, dass jenes zusammenzuckte. „Was ist denn mit ihm los?“, flüsterte sie fassungslos Nick zu. Der schüttelte nur den Kopf. Verdutzt betrachtete Anya ihren Teamkollegen. Täuschte sie sich, oder hatte sich etwas in Nicks Blick verändert? Sah er tatsächlich … besorgt, gar verärgert aus? Nein … das musste Einbildung sein! Solche Gefühle kannte Nick doch gar nicht!   „Da genug Laval-Monster mit verschiedenen Namen auf meinem Friedhof liegen“, sprach Marc nun wieder konzentriert, aber dennoch unterkühlt, „rufe ich diese zwei Monster von meiner Hand als Spezialbeschwörung durch ihre Effekte: [Laval Coatl] und [Laval Burner]!“ Um Marcs Kopf schwirrte plötzlich ein gelbroter Babyflugsaurier, während vor ihm ein Steintitan aus dem Boden wuchs. Wild lag ihm das rote Haar weit bis zur Hüfte, während seine steinernen Fäuste in Flammen aufgingen. Laval Coatl [ATK/1300 DEF/700 (2)] Laval Burner [ATK/2100 DEF/1000 (5)]   Dann deutete Marc auf seine linke verdeckte Karte, die sofort aufsprang und sich als Schnellzauber entpuppte. „[Searing Fire Wall]! Damit verbanne ich eine beliebige Anzahl an Laval-Monstern von meinem Friedhof, um dann dieselbe Anzahl an Spielmarken zu beschwören!“ Er steckte sich [Laval Miller] und [Laval Forest Sprite] in die Hosentasche, während vor ihm zwei kleine Flammen mit Gesichtern emporschossen.   Laval-Token x2 [ATK/0 DEF/0 (1)]   Anya musste schlucken. Warum beschwor Marc so viele Monster? Das konnte doch nur bedeuten, dass er einen Großangriff plante! Skeptisch warf sie einen Blick zu Nick herüber, der jenen mit ausdrucksloser Miene erwiderte. Was war los mit dem Kerl? Die ganze Zeit war er bester Laune gewesen. Das Mädchen machte sich aber viel eher Sorgen um seinen Stand im Duell. Als schwächstes Glied würde Marc ihn sicherlich als Ersten besiegen wollen. Und Anya wusste, dass selbst sie gegen Marc -und- Valerie kaum Land sehen würde. „Ich opfere nun diese beiden Spielmarken für eine Tributbeschwörung. Erscheine, [Laval Judgment Lord]!“ Neben seinem Titanen erschien ein furchteinflößender Krieger, der eine Panzerung aus Stahl trug. Sein Waffenrock war von rotem, flatternden Stoff bedeckt, welcher ebenfalls von seiner Schulter in Form eines Umhangs flatterte. Die linke Hand des Kämpfers entflammte schließlich.   Laval Judgment Lord [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   „Ich wusste es“, zischte Anya sauer. Nick würde unweigerlich fallen, nachdem sie ihn nicht mehr mit ihrer Falle beschützen konnte, da Marc jene zerstört hatte! Warum hatte immer sie so ein verdammtes Pech!? „Verdeckte Falle aktivieren!“, rief Marc und ließ sie aufsehen. „[Return From The Different Dimension]! Für die Hälfte meiner Lebenspunkte kehren für einen Zug alle meine aus dem Spiel verbannten Monster auf das Feld zurück!“   [Anya: 4000LP Nick: 4000LP //// Valerie: 4000LP Marc: 4000LP → 2000LP]   Ein Dimensionsspalt machte sich weit über ihm auf. Aus diesem sprangen eine kleine Koboldin, gekleidet in einem roten Cape und ein Ork aus Stein hervor, welcher ein abgebrochenes Mühlrad in den Händen hielt.   Laval Forest Sprite [ATK/300 DEF/200 (2)] Laval Miller [ATK/300 DEF/400 (3)]   Ungläubig runzelte Anya die Stirn. Nun hatte Marc seine gesamte Monsterkartenzone gefüllt. Zwar erfüllte sie das mit großer Ehrfurcht, doch verunsicherte es sie gleichermaßen. Sie hatte nicht gewusst, dass Marc so ein guter Spieler war. Und scheinbar war er immer noch nicht fertig mit seinem Zug. „Ich stimme jetzt meinen Stufe 2 [Laval Coatl] und meinen Stufe 5 [Laval Burner] aufeinander ab! Melting bodys form a path to damnation! The wicked soul lusts for even greater power! Synchro Summon! Burn, [Laval Stennon]!“ Der Babyflugsaurier verwandelte sich in zwei grüne Ringe, durch welche [Laval Burner] flog und infolge dessen zu einem grünen Lichtstrahl wurde. Kurz darauf landete ein gewaltiger Titan aus blassem, blauem Gestein vor Marc. Um Arme, Hüften und Schultern lagen goldene Ringe, aus seinem Leib heraus traten Dreiecke aus Stahl. Eines von ihnen, welches direkt aus Stennons Brust wuchs, wies ein Paar leuchtender, gelber Augen auf.   Laval Stennon [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   Anya indes schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Marcs Wille zum Sieg war selbst ihr unheimlich, obwohl sie selber um jeden Preis gewinnen wollte. Doch nun war sie sich nicht mehr so sicher, ob es ein alberner Pokal und die Aussicht, eventuell in die Proliga aufzusteigen, es wert waren, wenn man so verbissen darum kämpfte wie Marc. Sie revidierte den Gedanken jedoch schnell wieder – natürlich war es das wert! Derweil erklärte ihr Gegner gereizt: „Wenn Stennon beschworen wird, muss ich eine Karte abwerfen, doch ich besitze keine. Und nun stimme ich …“ „Was!? Gleich nochmal!?“, erschrak Anya und beobachtete, wie Marcs Müller und der Waldkoboldin in die Höhe stiegen. „… meine Stufe 2 [Laval Forest Sprite] auf meinen Stufe 3 [Laval Miller] ab! From the blazing shores to the roaring volcanos, the spirit of fire rules the rotten land! From the sparking flames of hatred, the divine dragon is born! Synchro Summon! Take flight, [Lavalval Dragon]!“ Wie zuvor Coatl zersprang Marc brennende Kobolddame in zwei grüne Ringe, welche von dem Müller mit seinem Mühlrad in der Hand durchquert worden. Ein Lichtblitz blendete die Anwesenden, bevor unter lautem Gebrüll ein Drache um das gesamte Footballfeld flog, ehe er vor Marc in der Luft Halt machte und anmutig landete. Sein dunkler Körper bestand vollkommen aus gekühltem Magma, sodass einige Ritzen zwischen seinen steinernen Schwingen und dem langen Schweif noch immer rot aufglühten.   Lavalval Dragon [ATK/2000 DEF/1100 (5)]   „Monstereffekt! Wenn [Laval Forest Sprite] vom Spielfeld auf den Friedhof gelegt wird, erhalten alle Laval-Monster bis zum Ende des Zuges 200 ATK für jeden ihrer Artgenossen auf dem Ablagestapel.“ Marc lächelte finster und sprach mit gefährlicher Schärfe: „Und ich zähle dort neun Stück!“ Anya stockte der Atem, als um Marcs drei ohnehin schon sehr starke Monster tosende Flammen schlugen. Es war, als stünde seine ganze Seite des Feldes in Brand.   Laval Judgment Lord [ATK/2700 → 4500 DEF/1800 (7)] Laval Stennon [ATK/2700 → 4500 DEF/1800 (7)] Lavalval Dragon [ATK/2000 → 3800 DEF/1100 (5)]   Fassungslos starrte Anya in das Inferno. Marc war durch die Flammen kaum mehr zu sehen, Valerie, die sich die ganze Zeit über nicht mehr eingemischt hatte, ebenso wenig. „Damit kann er nicht nur einen von uns vernichten … sondern dem anderen noch über die Hälfte seiner Lebenspunkte nehmen. Wir sind aufgeschmissen“, brachte sie wie in Trance hervor. Vielleicht lag es daran, dass es Marc war, der ihr so zusetzen wollte. Doch Anya hatte sich noch nie so hilflos in einem Duell gefühlt. Aber es sollte noch viel schlimmer kommen, als Marc rief: „Ich aktiviere den Effekt von [Lavalval Dragon]! Und das gleich zweimal hintereinander! Indem ich jedes Mal zwei, also insgesamt vier, Laval-Monster von meinem Friedhof in mein Deck mische, kann ich so pro Aktivierung eine Karte meines Gegners auf die Hand geben. Damit sind eure Monster fort und können euch nicht länger schützen!“ Er zeigte die drei [Laval Volcano Handmaidens] und [Laval Warrior] vor und mischte sie in sein Deck zurück. Während Anyas [Gem-Knight Prismaura] sich einfach auflöste und ins Extradeck zurückkehrte, nahm Nick wortlos [Wind-Up Juggler] zurück auf die Hand, welcher daraufhin ebenfalls verschwand. Die Felder der beiden Duellanten waren nun komplett geräumt, innerhalb eines Zuges.   „Unfassbar! Das ist The Butcher!“, kommentierte Mr. Bitterfield das Ganze begeistert. „Wer hätte schon erwartet, dass er als Duellant genauso geschickt ist wie als Sportler!?“ Tosender Applaus von der Zuschauertribüne drang zu den Teams, während Anya realisierte, dass sie und Nick nun endgültig verloren hatten. Allein die Angriffe von Marcs Superkriegern reichten schon aus, um das Spiel für sich zu entscheiden. „[Lavalval Dragon], greife Valerie direkt an! [Laval Judgment Lord], du übernimmst Anya, während [Laval Stennon] Ricks Lebenspunkte auslöscht! LOS!“ Marcs Monster schwärmten aus. Der brennende Magmadrache stieg in die Lüfte, drehte eine große Runde über den Sportplatz und stürzte dann mit furchteinflößendem Tempo auf Valerie hinab. Die konnte gar nicht fassen, dass sich ihr eigener Partner gegen sie gestellt hatte und hielt nur die Arme zum Schutz in die Höhe, als der Drache Feuer spie. Sie wusste, dass ihre verdeckten Karten [Mystical Space Typhoon] und [Poseidon Wave] sie nicht beschützen konnten und schloss die Augen. Gleichzeitig stampfte der große Krieger im roten Umhang auf Anya zu und verpasste ihr einen Fausthieb, während Stennon aus der Kanone an seinem Arm eine gewaltige Lavakugel auf Nick abschoss. Drei Schreie erfüllten das Spielfeld.   [Anya: 4000LP → 0LP Nick: 4000LP → 0LP //// Valerie: 4000LP → 200LP Marc: 2000LP]   Die Hologramme verschwanden. Während Valerie in die Knie sank, nicht begreifend, war dort eben geschehen war, atmete Anya tief durch. Nick war vor Schreck glatt aus den Latschen gekippt und blinzelte erstaunt. „Wir haben einen Gewinner! Unfassbar! The Butcher hat uns eindrucksvoll bewiesen, wie er es selbst mit drei Gegnern gleichzeitig aufnehmen könnte!“, donnerte der Direktor der Livington High aufgeregt in sein Mikrophon. Dabei schrieb sich die Journalistin neben ihm hektisch jedes Detail auf, während Mr. Redfield wohl noch nie so erbost ausgesehen hatte, wie es jetzt der Fall war. Er erhob sich von seinem Platz, nahm die kleine Treppe der Bühne hinab zum Spielfeld und lief eiligen Schrittes auf Marc zu. „Da hast du deinen Pokal“, zischte er hasserfüllt und drückte das goldene Prachtstück seinem rechtmäßigen Eigentümer kraftvoller in die Hände, als nötig gewesen wäre. Dann wandte er sich Valerie zu. „Komm Kleines, wir gehen!“ Marc lachte hochnäsig auf. „Das hier brauche ich nicht!“ Damit warf er den Pokal vor Valeries Füße, die ihrerseits lautlos ihr Gesicht in die Hände vergraben hatte. „Behalt' das Teil und mach damit, was du willst!“ Mit diesen Worten drehte er sich einfach um und schritt von dannen. Die Zuschauer, welche die ganze Zeit über sprachlos zugesehen hatten, bombardierten ihn regelrecht mit Buhrufen, doch es machte Marc offensichtlich nichts aus. Er ging einfach weiter, bis er schließlich außer Sichtweite war.   Valerie spürte, wie ihr Arm gepackt und sie auf die Beine gerissen wurde. „Du kommst mit!“, befahl Anya streng und schleifte sie davon, während Mr. Redfield entsetzt mitansah, wie die Blondine mit seiner Tochter und Nick im Schlepptau ebenfalls im Begriff war, das Weite zu suchen. „Du auch, Masters!“, rief Anya hinauf zu den Tribünen, als sie jene erreicht hatte, wo Abby alles fassungslos mit angesehen hatte. „Sie bleiben schön hier, Miss Bauer!“, schaltete sich nun Mr. Bitterfield empört per Mikrophon ein. „Warten Sie!“ „Das Turnier ist vorbei!“ Anya hatte sich umgedreht und zeigte dem Direktor den Stinkefinger. „Spenden Sie den beschissenen Pokal doch an Krebskranke oder so! Und jetzt halten Sie die Klappe, Sie gehen mir so was von auf die Eierstöcke mit ihren beknackten Kommentaren!“ Dem Direktor verschlug es glatt die Sprache. Und während jener zusah, wie Abby eilig die Zuschauerreihen hinunter gelaufen kam und Anya zusammen mit Nick und Valerie folgte, hob der Vater Letzterer den Pokal auf und betrachtete ihn niedergeschlagen. „Das hast du nicht verdient, Valerie …“   ~-~-~   Ich habe keine logische Erklärung für das Verhalten deines Freundes. Warum würde er Valerie Redfield absichtlich weh tun wollen, wenn er dich zuvor darum gebeten hatte, genau das zu unterlassen? Ein solcher Wandel ist extrem verdächtig, denkst du nicht auch?   „Deswegen sitzen wir ja hier“, brummte Anya und saß zusammen mit Valerie, die immer noch weinte, Nick, welcher unbeholfen Fratzen zog, um jene aufzuheitern, und Abby am kreisrunden Esstisch in Anyas Küche. „Was sagt Levrier?“, fragte Abby besorgt. „Nichts, was ich nicht auch so schon wusste!“   Valerie sah mit stark geröteten Augen auf. Ihr Make-Up war verlaufen und die Haut so blass, dass man die Adern hindurch scheinen sehen konnte. Normalerweise hätte Anya eigentlich vor Schadenfreude in die Luft springen müssen, doch komischerweise konnte sie sich nicht an Valeries Anblick erfreuen. Es war fast, als- „Das ging den ganzen Tag so“, sagte die jetzt verschnupft. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, das war gar nicht Marc! Er war nie so gemein und herablassend zu anderen gewesen! Er war immer gutmütig, außer vielleicht, wenn es um Sport ging …“ „Sag mir was Neues.“ Anya konnte es nicht leiden, wie Valerie über ihn sprach, als wären sie mehr als nur Freunde. Aber es war auch der Neid, tatsächlich nicht zu wissen, -wie- Marc privat überhaupt so war. „Am Anfang hat er sich noch halbwegs zusammengerissen“, erklärte Valerie aufgewühlt weiter. „Aber je mehr Gegner wir besiegt haben, desto schlimmer wurde er. Weder hat ihn meine Meinung interessiert, noch hat er meine Hilfe angenommen, wenn er sie dringend gebraucht hätte. Aber irgendwann hatte er sie auch gar nicht mehr nötig, so brutal und effektiv hat er gespielt …“ Abby nickte. „Das bestärkt mich nur darin, mich nie wieder zu duellieren …“, sagte sie leise. Dabei strich sie über das Holz des Tisches und schien etwas auf dem Herzen zu haben, was sie nur ungern aussprechen wollte. Doch schließlich platzte es aus ihr heraus. „Ich glaube, das wird euch nicht gefallen, aber … was, wenn er einen Pakt geschlossen hat? Wie Anya? Oder besessen ist, so wie Caroline oder die anderen aus Victim's Sanctuary?“ Entgeistert wurde Abby von ihrer Freundin angestarrt. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht!   Ich konnte keine außergewöhnlichen Veränderungen an seiner Präsenz feststellen. Allerdings bin ich, was das angeht, seit unserem Pakt nicht besonders zuverlässig, nicht wahr?   „Allerdings!“, zischte Anya und starrte die Decke an, wo sie irrsinnigerweise Levriers Geist vermutete. Dann wandte sie sich Valerie zu. „Levrier sagt, Marc war vollkommen normal. Aber das muss nichts heißen!“ „Ich hatte den gleichen Gedanken bereits während des Turniers“, sagte Valerie und wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Also habe ich Joan um Hilfe angefleht. Sie hat mir sogar geantwortet, doch sagte sie nichts anderes als Levrier. Marc war nicht besessen und seine Verletzung hat er sich beim Training letzte Woche zugezogen, ich habe die Wunde selbst gesehen. Unter dem Verband befindet sich kein Mal.“ Erstaunt sah Abby ihre Sitznachbarin an. „Du hast mit Joan geredet!?“ „Ja … das erste Mal seit Tagen. Sie meldet sich nur hin und wieder, um zu sehen, ob es mir gut geht.“ Valerie seufzte schwer. „Sie ist wirklich sehr nett … aber selbst als Gottes Dienerin konnte sie nichts für mich tun. Und es wäre vermessen, um noch mehr Beistand zu betteln …“ Anya schnaufte wütend. Die und ihre heiligen Freunde! Jetzt tat sie ganz bescheiden, nur um noch mehr bemitleidet zu werden! Was für eine abgehobene, hohle Nuss Valerie doch war! Und doch … „Hat er sich irgendwie verraten?“, fragte Abby neugierig. Valerie sah sie verwirrt an. „Was meinst du?“ „Na ja, vielleicht ist etwas Schlimmes passiert? Das verändert die Menschen, besonders, wenn es sehr plötzlich geschieht.“ „Ich weiß es nicht …“   Anya hatte genug! Dieses ganze Gelaber führte zu nichts! Warum auch immer Marc sich so daneben benommen hatte, sie würden es nicht durch wilde Spekulationen herausfinden. „Mein Gott, Redfield, warum fragst du ihn nicht einfach!?“ Abby war es jedoch, die antwortete und dabei die Augen verdrehte. „Denkst du, das hat sie nicht getan?“ „Ich habe gefragt … und natürlich keine Antwort erhalten. Ich solle mich nicht einmischen hieß es.“ Sie lachte bitter auf. „Den Spruch habe ich heute öfter gehört, als die restlichen 19 Jahre meines Lebens zuvor.“ „Dann wird das hier deinem Spruch jetzt Konkurrenz machen, denn den hast du auch schon oft genug gehört: zieh Leine, Redfield!“ „Anya!“ Empört sprang Abby auf. „Warum sagst du so was!? Du warst es doch, die sie hierher gebracht hat!?“ Die Blondine winkte ab. „Na und? Nun will ich aber, dass sie geht! Mein Kopf brummt und ich habe verdammt schlechte Laune! Und da ich keine Lust habe, mich noch weiter über Dinge aufzuregen, die ich sowieso nicht ändern kann, lass ich es einfach!“ „Du bist so-!“ Valerie legte ihre Hand auf Abbys Schulter. „Anya hat schon recht, das bringt nichts. Ich sollte gehen und erst einmal eine Runde Schlaf finden. Vielleicht sieht die Welt morgen schon ganz anders aus.“ „Wenn du willst, bringe ich dich nachhause? Dein Vater macht sich bestimmt Sorgen um dich“, meine Abby und warf Anya dabei einen vernichtenden Blick aus den Augenwinkeln zu. Daraufhin nickte Valerie dankbar. „Gerne. Das ist sehr nett von dir.“ „Ich komme mit!“, sprach Nick aufgeregt dazwischen und grinste derart anzüglich, dass man seine Gedanken nicht lesen können musste, um zu wissen, was in seinem Kopf vorging. „Keine Ursache!“, strahlte das Hippiemädchen, doch ihr Lächeln verlor sich schnell wieder.   Die Situation von Valerie erinnerte sie gewissermaßen an ihre eigene. Ohne Anyas Unterstützung wäre sie wohl jetzt immer noch eine Sirene und obendrein eine Mörderin. In schweren Zeiten brauchte man einfach jemanden, auf den man sich verlassen konnte. Denn selbst wenn dieser jemand die Probleme nicht lösen konnte, war er zumindest dazu imstande, seinen Freunden das Ganze einfacher zu gestalten, ihnen einen Teil der Last abzunehmen. Und sei es, indem man sie nicht alleine ließ. Schade nur, dass Anya diese Erkenntnis hin und wieder vergaß …   Und während sich Abby, Nick und Valerie von Anya verabschiedeten, blieb die am Tisch sitzen und wartete, bis die Haustür ins Schloss fiel. Dann schlug sie mit einem wütenden Aufschrei die Faust auf den Tisch. Warum hatte Marc das getan!? Dass er einmal der Grund sein würde, warum sie ausgerechnet für Valerie Mitleid empfand, ging weit über Anyas Verständnis hinaus. Er hatte mit seinem Verhalten nicht nur ihre Erzfeindin ins Chaos gestürzt, sondern auch sie selbst!   Anya Bauer! Deine Augen … „Halt den Mund, Levrier!“ Wie konnte sie Marc jetzt noch mögen!?     Turn 12 – Scars Seit dem Turnier ist Marc nicht mehr in der Schule aufgekreuzt. Darüber hinaus hat Anya auch noch die sehr neugierige Journalistin an der Backe, die damals zugegen war und nun viele unangenehme Fragen stellt. Als sie durch Nicks loses Mundwerk schließlich erfährt, was Abby wirklich ist, will sie jene unbedingt ablichten. Die jedoch ist vollkommen verängstigt, sodass Anya die Sache mit einem Duell regeln will. Allerdings nicht ohne Hintergedanken, denn damit könnte man Abby vielleicht ihre Angst vor Duellen nehmen …   Kapitel 12: Turn 12 - Scars --------------------------- Turn 12 – Scars     Es klingelte an der Tür. Wütend stampfte Anya die Treppe hinab und schwor sich, denjenigen zu erwürgen, der es wagte, sie bei ihrem allwöchentlichen Samstagsdauerzocken zu stören! Vor der massiven Holztür angekommen, spähte sie misstrauisch durch den Spion. Und schreckte überrascht zurück, als sie direkt in ein giftgrünes Auge starrte. Unwirsch riss sie die Tür auf und rief: „Hey, was soll der Scheiß? Wir haben heute geschlossen, danke!“ Schon wollte sie die Tür wieder zuknallen, doch ein Fuß schob sich über die Schwelle und blockierte diese. Ein blasses Gesicht drückte sich durch den Spalt und starrte Anya aus dicken Brillengläsern neugierig an. „Du wirst entschuldigen, Kleine, aber ich habe ein paar Fragen an dich!“ „Ich kaufe nichts von Pennern!“ Die Dame räusperte sich entrüstet. „Ich bin keine sozial Bedürftige. Ich bin Journalistin. Mein Name ist Nina Placatelli und ich möchte dich gerne ein wenig aushor- interviewen, Anna.“ Sie reichte Anya durch den Spalt die Hand. Böser Fehler, dachte die mit fiesem Grinsen und griff den weißen Ärmel ihrer Bluse. Dann zog sie mit aller Kraft daran, während sie unter Zuhilfenahme ihres Fußes die Tür weiterhin zudrückte. Die alte Schachtel schrie wütend, woraufhin plötzlich die Tür aufschwang und Anya zurückgeworfen wurde, anschließend auf dem Rücken landete. Hatte diese Reporterin doch tatsächlich die Haustür mit einem Tritt wieder geöffnet. Selbstgefällig trat jene über die Schwelle. „Du erlaubst doch sicher“, meinte sie dabei förmlich und schritt seelenruhig an Anya vorbei, direkt ins Wohnzimmer. Die starrte ungläubig der Journalistin hinterher und wusste nicht, ob sie sie für ihre Dreistigkeit bewundern oder töten sollte. „Alter, ist die stark“, staunte sie dabei leise für sich. Dann sprang das Mädchen auf und folgte der Frau ins Wohnzimmer, ehe die noch auf die seltendämliche Idee kam, lange Finger zu machen.   Doch die Reporterin hatte es sich bereits auf einem Sessel bequem gemacht und kramte aus ihrer überdimensionalen Handtasche einen uralten Fotoapparat, einen Notizblock und einen Kugelschreiber, ehe sie das rote Ungetüm auf den Glastisch schmiss. Wie unmodern, dachte Anya beim Anblick des Notizblocks gehässig. Hatte die Alte kein Geld für ein Notebook oder dergleichen? Sie stand beim häuslichen Plasmafernseher und wusste nicht, ob das alles nur ein schlechter Scherz war, oder diese Frau Selbstmordabsichten hegte. Die Dame besten Alters winkte sie zu sich. „Komm Anna, ich habe nicht viel Zeit.“   Wütend musterte die Blondine die Frau. Um ihre Augen traten schon deutliche Falten hervor, ihre schmalen Lippen waren mit kirschrotem Lippenstift bemalt, welcher nicht recht zu ihrem feuerroten Haar passen wollte. Jenes war extrem gelockt und wurde von derart vielen Spangen gehalten, dass die Frisur einfach nur planlos und chaotisch wirkte. Zwei Strähnen hingen ihr im Gesicht. Am Leibe trug sie ein giftgrünes, weites Kleid, das zumindest hervorragend mit ihren Augen harmonisierte.   „Ich heiße Anya“, brummte jene und schielte zurück in den Flur. Sollte sie vielleicht Barbie holen? Bisher hatte ihr mit Nägeln, abgebrochenen Messerklingen und anderen metallischen Spitzen besetzter Baseballschläger jeden Schmarotzer in die Flucht geschlagen. Zu ihrem Bedauern bisher nur im übertragenen Sinne. „Anna, Anya, unwichtige Details“, meinte diese Nina flapsig und winkte ab. „Komm schon, Kleine, mich interessiert deine Geschichte.“ Sie klopfte einladend auf das Sofa, neben dem ihr Sessel stand.   Das Wohnzimmer der Familie Bauer war nicht sehr groß. Ein rechteckiger Glastisch stand in seiner Mitte, während an der Nordwand ein großes Sofa Staub fing. Daneben je links und rechts ein Sessel, wobei sie alle auf den Fernseher gerichtet waren, welcher in der südwestlichen Ecke des Zimmers stand. Ein großes Fenster gewährte den Blick auf den minimalistischen Garten und so unweigerlich auch auf die Nachbarschaft.   Zögerlich stellte sich Anya der Journalistin gegenüber. Die starrte sie aus ihren großen, eckigen Brillengläsern erwartungsvoll an. „Setz' dich, Kindchen.“ „Nein danke, ich kann auch stehen!“ Denn dann kann ich sofort eingreifen, wenn du erkennst, dass es an der Zeit ist wegzurennen, dachte sie dabei grimmig. Niemand betrat -ihr- Haus ohne ausdrückliche Genehmigung! „Na, wie du meinst“, zeigte Nina sich gleichgültig und zückte Stift und Notizblock. „Anna Bauer war dein Name, oder?“ „Anya!“ Hatte die Alte Alzheimer oder machte sie das mit Absicht!?   „Gut, gut!“ Sie sah auf. „Also, Anya“, sie betonte den Namen des Mädchens jetzt besonders langsam, „du bist ja die traurige Verliererin des Wettstreites, der letzte Woche an eurer Schule stattgefunden hat. Wie fühlst du dich dabei?“ Anya blinzelte irritiert. „Huh?“ Die Reporterin kritzelte etwas auf ihren Block. Dabei murmelte sie: „Immer noch fassungslos über die schreckliche Niederlage.“ Danach blickte sie wieder auf. „Sicherlich war es schwer für dich und deinen Partner, so weit zu kommen. Wie hast du das angestellt?“ „Wie meinen Sie das?“, fragte Anya ungläubig. Die Rothaarige zwinkerte vieldeutig. „Ach tu doch nicht so, Kindchen. Du weißt schon, Bestechung, Schummeln, zwielichtige Tauschgeschäfte?“ „Ich habe ganz normal gekämpft!“ Wieder zitierte die Frau, was sie sich notierte. „Möchte ihr Geheimnis nicht preisgeben, macht aber Andeutungen.“ „Was reden Sie da!?“ Anya wollte auf den Notizblock sehen, doch die Alte hielt ihn sich an die Brust und schüttelte süffisant grinsend den Kopf. „Na na, wir sind noch nicht fertig!“ „Was wollen Sie überhaupt von mir!?“ Nina überging die Frage einfach. „Was hältst du von Marc Butcher, dem zweifelhaften Sieger des Turniers? Ich habe aus einschlägigen Quellen gehört, er wäre seit dem Turnier für den Rest der Woche nicht mehr in der Schule aufgetaucht?“   Anya verstummte. Es stimmte, Marc war die letzten Tage nicht zum Unterricht erschienen. Offiziell lag zumindest eine Krankschreibung seiner Ärztin vor. Grund dafür war seine verletzte Hand, die dringend Ruhe benötige, da ihr Zustand sich verschlimmert habe. Natürlich glaubte niemand auch nur ein Wort von dieser fragwürdigen Entschuldigung. Die Stimmung gegenüber Marc war so extrem umgeschlagen, wie man es noch nie an der Livington High erlebt hatte. Einst von allen bewundert, war der Football- und Eishockeyspieler nun bei allen unten durch für sein schäbiges Verhalten gegenüber den anderen Turnierteilnehmern. Selbst Anya wusste nicht, wie sie nun über Marc denken sollte. Seine kalte, gar grausame Art hatte sie regelrecht abgeschreckt. Eine richtige Erklärung für sein Verhalten gab es immer noch nicht, auch wenn manche von Frust aufgrund seiner Verletzung sprachen. „Was ich von Marc halte, geht Sie überhaupt nichts an!“, fauchte Anya schließlich. Denn es war trotzdem ihre Pflicht als seine … was-auch-immer, Marc zu verteidigen. „Sind Sie nur hier, um über das Turnier zu reden!? Hätten Sie das nicht schon neulich machen können!? Sie waren doch selbst dabei, nicht!?“ „Deckt den Schule schwänzenden, ehemaligen Footballhelden“, murmelte Nina und legte ihren Notizblock wieder auf den Schoß. Dann klimperte sie mit ihren langen, garantiert falschen Wimpern. „Um deine Frage zu beantworten: nein, ich bin nicht nur wegen des Turniers hier und Zeit hatte ich bisher keine für dich, Ann- Anya. Aber Schätzchen, sag mir mal eines … glaubst du an Geister?“ „Ich kenne sozusagen einen … nicht!“ Gerade noch einmal gerettet, dachte Anya. Und dann noch so cool! Sie war eben echt gut! „Du wirst dich bestimmt fragen, warum ich das wissen will?“ „Nein. Ich frage mich eher, wie viel Zeit Sie mir noch stehlen wollen? Sie sollten wissen, dass jede Sekunde mit einem Tropfen Blut aufgewogen wird.“ Anya sagte das in einer Trockenheit, die sie so noch nie angewendet hatte. Sozusagen hatte sie sich das bei Abby abgeschaut und wollte einfach mal sehen, ob ihr hochgelobter Sarkairgendwas wirklich funktionierte.   Natürlich schenkte Nina den leeren Drohungen keine Beachtung. Sie lächelte nur und sah dabei aus, als würde sie dem Mädchen jeden Augenblick um den Hals fallen. „Wie putzig. Nein im Ernst, ich frage dich das, weil ich da einer großen Sache auf der Spur bin. Und irgendwie glaube ich, dass du auch darin verwickelt bist.“ Anya zog die rechte Augenbraue an. „Was Sie nicht sagen?“ „Nun, dein kleiner Fund von vor ein paar Wochen, der war ganz schön … beängstigend, nicht war? Besonders, weil die Leiche völlig ausgetrocknet und verschmort war, doch nicht ihre Kleidung. Außerdem sind da noch die Geschichten rund um Victim's Sanctuary und deren Insassen. Du warst dabei, als man das Personal aus dem Keller befreit hat. Kommt es dir denn nicht merkwürdig vor, was so alles in letzter Zeit passiert?“ Anya schnaubte wütend. „Sie haben wohl zu oft ins Glas geschaut“, stellte sie immer noch mit Abbys Technik, dem Sarkadingens fest. Nina jedoch lachte nur spitz. „Ach Kindchen“, winkte sie ab, „sei doch nicht so naiv. Hier geht etwas Großes vor sich und du bist der Schlüssel. Ich habe auch von der Aula deiner Schule und dem Schulhof gehört, den du demoliert hast. Wie hast du das angestellt?“ Neugierig beugte die Frau sich vor und ließ tiefer in ihr Dekolleté blicken, als gut für ihr Umfeld gewesen wäre. Verdutzt blieben Anya die Worte im Halse stecken. Was hatte die alte Schachtel da gerade behauptet? SIE wäre schuld an allem? Okay! Das war genug!   „Tut ganz unschuldig, lächelt dabei aber vielsagend“, notierte sich Nina nebenbei. Plötzlich wurde sie am Arm gepackt und auf die Beine gezogen. „He-hey, lass das!“ „Sie kommen jetzt schön mit!“ Anya zerrte die Frau, die sich hastig ihre riesige Handtasche schnappte, mit aller Kraft aus dem Wohnzimmer zurück in den Flur. Dabei krallten sich ihre Fingernägel tief in die Haut der Reporterin, die sich energisch zur Wehr setzte, doch Anyas aus Wut resultierendem Kraftschub nicht gewachsen war. Jene öffnete die Haustür und schleuderte Nina mit einer Drehung aus dem Haus. Die rief aufgebracht, während sie torkelnd das Gleichgewicht wiederfand: „Warte doch, wir sind noch nicht-!“   Wumms! Die Tür war zu, abgeschlossen und die alte Schreckschraube nur noch undeutlich zu hören. Anya schnaubte wie ein Stier. Diese hässliche Krähe hatte wohl noch nie von ihr gehört, sonst hätte sie einen großen Bogen um das Grundstück der Familie Bauer gemacht! Was wollte die blöde Ziege überhaupt hier? Bestimmt irgendeine bekloppte Story über das Turnier verfassen! Oder über Geister, Anya war es letztlich gleich. Wenn die ihr noch einmal unter die Augen kam, würde sie den Lake Livington kennenlernen – von unten!   ~-~-~   „Das hat sie dich gefragt?“, staunte Abby kurze Zeit später und biss in ihren Käsecracker. Sie hockte im Schneidersitz auf ihrem Bett und hatte sich Anyas Geschichte angehört. Schließlich musste sie kichern. „Was ist so witzig?“, fragte Anya missmutig vom Schreibtischstuhl aus. „Na ja, da du nie Zeitung liest, kannst du das nicht wissen“, stichelte das Hippiemädchen, „aber Nina Placatelli ist berüchtigt für ihre Artikel. Die werden schon lange nicht mehr in der Zeitung gedruckt, weil sie so gut recherchiert sind. Jeder weiß das, nur Nina selbst will es nicht wahrhaben.“ „Und warum ist die Alte dann noch als Journalistin angestellt?“ „Weil ihre Artikel so hanebüchen sind, dass die Leute sie allein aufgrund ihrer verrückten Theorien lesen. Das liegt daran, dass Nina praktisch jede Tatsache, die sie irgendwo aufgeschnappt hat, bis zur Unkenntlichkeit verdreht. Sie sieht sich aber im Recht.“ Abby schmunzelte. „Wobei. Ob ihr bei dir ein Glückstreffer gelungen ist?“ Anya starrte sie finster an, während sie ihre Arme auf der Rückenlehne des Stuhls verschränkte, um den Kopf darauf zu legen. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ „Ich bin Opportunistin.“ „Du nimmst Drogen?“ Abby brach in schallendes Gelächter aus. Verdutzt blinzelte Anya und ahnte, dass sie etwas gesagt hatte, was sie besser hätte für sich behalten sollen. In diesem Augenblick fühlte sie sich wie Nick. Und erkannte im Zuge dessen, dass sie ihre Einstellung gegenüber dem Nachdenken vielleicht infrage stellen sollte. Von Abby ausgelacht zu werden war einfach nur nervig! Plötzlich klingelte es von unten an der Haustür. „Ich geh schnell runter“, meinte Abby prustend, da sie und Anya die Einzigen waren, die sich im Haus aufhielten. Der Rest der Familie, inklusive Hund, hatte einen Ausflug zum Lake Livington gemacht, um die letzten Spätsommertage noch einmal richtig auszunutzen. Anya erhob sich ebenfalls und begleitete Abby. Während sie die Treppen nacheinander hinunter stürmten, klingelte es abermals, aber fordernder. Kaum hatte Abby den Schlüssel herumgedreht, drängten sich zwei Personen an ihr vorbei. Anya, die vor jenen stand, machte Augen wie eine Kuh wenn es donnerte. „SIE!?“ „Hi Liebchen, hier steckst du also“, meinte Nina unbekümmert. Sie drehte sich um und sah Abby mit einer Faszination an, die ihresgleichen suchte. „Du … du musst Abigail sein, oder? Bist du es?“ Abby nickte unsicher und wandte sich an Ninas Begleiter. „Nick? Wer ist das?“ „Und wie kommt es, dass sie hier ist!?“, verlange Anya aufbrausend zu wissen. „Ausgerechnet mit dir!?“   Die rothaarige Reporterin schmiegte sich an den hochgewachsenen jungen Mann und streichelte anzüglich schmunzelnd seinen Arm. „Ich musste doch auch das andere Teammitglied der Verlierer interviewen. Der kleine Nick hat es mir so einiges verraten. Er wird sehr gesprächig, wenn man nett zu ihm ist.“ „Hehe.“ „Was haben Sie mit ihm angestellt!?“, fauchte Anya und wollte ihr ans Leder, doch Nina schob den einen Kopf größeren Nick behände in den Weg der Blondine und lugte selbstverliebt grinsend hervor. „Ach Kindchen, doch nicht, was du jetzt denken magst. Nicht alle Menschen behandeln ihre Freunde wie Ungeziefer!“ „Aber ihre Feinde! Und jetzt legen Sie sich auf den Boden, damit ich Sie endlich treten kann!“ Anya griff an Nick vorbei, doch geschickt wich die Journalistin zur anderen Seite aus. „Anya, ist das etwa Nina Placatelli?“, fragte Abby verdutzt, während sie die Haustür schloss und ihre Freundin beobachtete, wie sie der flinken Reporterin an den Hals wollte. „Ich sehe, du hast schon vor mir gehört“, lachte Nina, während sie sich unter einem Fausthieb duckte und Anya die Hand aufs Gesicht legte, um sie von sich fern zu halten. Sie zwinkerte Abby verschwörerisch zu. „Aber das ist bestimmt nichts im Vergleich zu dem, was ich über dich erfahren habe, meine kleine Sirene.“   Stille. Abby verlor sämtliche Farbe im Gesicht, ihr Mund stand offen. Dann murmelte sie so leise, dass man es kaum verstehen konnte: „Woher wissen Sie davon?“ „Na von ihm hier“, meinte Nina gut gelaunt und klopfte mit ihrer freien Hand Nick auf die Schulter, der erwartungsvoll Abby anstarrte.   Plötzlich schrie die Journalistin auf, nämlich, als Anya ihr in die Hand gebissen hatte. Sie wich zurück und stieß gegen die Wand des kleinen Flurs, der zum Gemeinschaftszimmer führte. „Du kleine Kröte, was soll das!?“ „Oh, glauben Sie mir, das war erst der Anfang!“, versprach Anya und zeigte auf die Frau. „Wenn ich mit Ihnen fertig bin, passen Sie in einen Kochtopf! Dann tun Sie wenigstens einmal etwas Nützliches, indem Sie den Arbeitslosen als kostenlose Mahlzeit dienen, Sie falsche Schlange!“ Ruckartig schwenkte Anya ihren Arm zur Seite und deutete nun auf Nick. „Und was dich angeht, wird dein Blut die Soße sein! Wie hirnverbrannt bist du überhaupt, dieser alten Schrulle etwas über Abby zu erzählen!?“ Sie wechselte wieder die Richtung zu Nina. „Und natürlich hat er gelogen, damit das klar ist!“ „Aber sie hatte doch Kekse“, jammerte Nick reumütig. „Die guten Kekse!“ Der Rotschopf derweil lachte auf. „Von wegen! Er hat mir alles über euch erzählt! Aber ein Dämonenkind interessiert mich nicht, ich will die Sirene!“ Mit diesen Worten wandte sie sich an Abby. „Na Kleine? Du magst mir doch sicher einmal zeigen, wie du so als Sirene aussiehst, oder? Ein kleines Foto, und ich bin auch ganz schnell wieder verschwunden.“ „Verlassen Sie … unser Haus …“, murmelte Abby und in ihren Augen stand ein Hass geschrieben, den Anya so noch nie gesehen hatte. Was sie sofort an Levriers Worte erinnerte. Wenn er zu groß wurde, dann würde Abby wieder- „Kein Foto, Sie Miststück!“ Anya stürzte sich auf Nina und zerrte an ihrem grünen Kleid, während die Journalistin gebannt ihre Freundin anstarrte. Die öffnete nur die Tür, um Anya zu helfen, das alte Weib wieder loszuwerden. Ein gezielter Tritt in den Hintern, und Nina lag auf den Steinfliesen in Abbys Garten, umringt von kniehohem Gras. „Lassen Sie sich nie wieder hier blicken!“, fauchte Anya außer sich. Doch Nina sprang auf die Beine und runzelte ärgerlich die Stirn. „Bedaure, Herzchen, aber ich werde nicht eher gehen, bis ich die Sirene fotografiert habe! Ich weiß ja nicht, wie du dein Geld verdienst, aber -ich- muss schwer dafür schuften! Ist ein bisschen Entgegenkommen denn zu viel verlangt!?“ „Im Moment ist es schon sehr viel verlangt, Ihnen nicht den Hals umzudrehen!“ Anya starrte die Frau aus dem Spalt der Tür heraus schnaufend an. Ungerührt klopfte sich Nina das Kleid sauber. Arrogant erwiderte sie: „Du machst mir keine Angst, Kleine. Deine Sprüche sind doch sowieso nur heiße Luft. Ach Gottchen, du steckst einmal den Kopf eines Mitschülers – Wie hieß er doch gleich? Willy Patrics? – in die Toilette und glaubst aufeinm- Ahhh!“   Anya hatte sich auf die Frau gestürzt und schlug um sich wie eine Furie. Nina, die den Hieben nur mit Mühe ausweichen konnte, schrie lauthals, als Anya mit den Zähnen ihre Haare ausreißen wollte. Nick und Abby kamen nach draußen geeilt, doch besonders Letztere schien keine Anstalten machen zu wollen, der Frau in irgendeiner Form zu helfen. „Nehmt diese Irre weg von mir!“, schrie sie hysterisch. „Heiße Luft!?“, ereiferte Anya sich und versuchte dabei, Nina ihr Knie in eine sehr empfindliche Gegend zu rammen. „Dir zeig ich, wo heiße Luft ist! In deinem Kopf, du grenzdebile Sumpfkuh!“ Nick stolperte schließlich ungeschickt zu den ringenden Furien und riss Anya von der Journalistin. Das Mädchen trampelte zwar um sich, konnte aber nichts tun, da der erstaunlich kräftige Nick sie unter den Armen gepackt hatte. „Dir beiß' ich die Kehle durch!“ „Versuchs doch!“ Nina hatte sich aufgerichtet. Ihr Haar war zerzaust, die Spangen verrutscht und ihr Gesicht war ganz rot vor Wut und Erschöpfung. Sie keuchte und wischte sich über den blutigen Mund, was dazu führte, dass nun selbst der Lippenstift verschmiert wurde. „Ich gebe nicht so schnell klein bei!“   Abby trat zwischen die beiden Parteien und hielt die Arme ausgestreckt. „Gehen Sie bitte! Wenn Sie es nicht tun, werden Sie es bereuen …“ Sie wusste nicht, wie lange sie ihre Kräfte noch im Zaun halten konnte. Die Wut und Hass, die in ihr aufwallten wie brodelnde Lava, waren ein eindeutiger Warnhinweis. Abby durfte nicht die Kontrolle verlieren, sonst würde diese Frau vermutlich mit dem Leben dafür bezahlen! „Nur ein Foto! Ist das denn so schwer!?“ „Es geht-“ „Sie kriegen ihr Foto“, meinte Anya plötzlich ruhig. Nick ließ sie verdutzt los, als sie sich nicht länger zur Wehr setzte. Die Blondine trat neben Abby und verschränkte die Arme. „Aber es gibt da eine Bedingung. Sie müssen sich darum erst duellieren.“ „Ein Handel?“, fragte Nina geschäftsmännisch und richtete die verrutschte Brille auf ihrer Nase. „Klingt ganz nach meinem Geschmack. Was schlägst du vor?“ „Wie gesagt, ein Foto für Sie, wenn Sie gewinnen. Wenn das aber nicht der Fall ist, ziehen Sie Leine und kommen nie-wieder! Und sollten Sie sich nicht daran halten, werden Sie nachts nie-wieder ein Auge zu tun können, weil ich jede Sekunde kommen und Ihnen das Genick brechen könnte!“ „Noch mehr leere Drohungen?“ Nina lachte hochnäsig auf. „Aber deine Idee ist gar nicht so schlecht, Kleines.“ Abby starrte Anya verdutzt an. „Das würdest du für mich tun?“ „Wer sagt, dass ich mich duellieren werde?“ Die Blondine warf ihrer Freundin einen strengen Blick zu. „Das wirst du schön selbst erledigen, immerhin geht es hier um dich.“ „A-Aber!“ Abby legte ängstlich ihre Hände auf Anyas Schultern. „Ich kann mich nicht duellieren! Du weißt, was letztes Mal passiert ist! Auf gar keinen Fall!“ Heftig schüttelte sie dabei den Kopf. „Ich weiß, dass du Schiss davor hast“, donnerte die Blondine aufgebracht, „aber deine Angst ist unbegründet. Wenn es danach ginge, könntest du dich jederzeit verwandeln! Nicht die Duelle sind Auslöser für deine Verwandlung, sondern deine Gefühle!“ Abby wich ihrem Blick wortlos aus. „Denkst du, das weiß ich nicht längst?“ Ihre Freundin blinzelte einen Moment verdutzt, dann schnaubte sie. „Wenn das so ist, warum weigerst du dich so beharrlich, dich zu duellieren!?“ „Weil das … wie ein Sog ist! Ich kann als Sirene Fiktion zu Realität werden lassen! Stell dir vor, was passiert, wenn ich eine Armee echter Monster auf meinen Gegner loslasse!“ Abby trat einen Schritt von Anya zurück und nahm flehend deren Hände in die ihren. „Bitte, zwing mich nicht dazu! Ich habe Angst, dass … dasselbe passiert, wie neulich. Wenn … ich die Kontrolle verliere, dann …“   „Dann?“ Nina beugte sich neugierig über Abbys Schulter und notierte sich jede Kleinigkeit des Gesprächs. Zumindest, bis Anya ihr den Notizblock aus der Hand riss und darauf herumkaute, ihn ausspuckte und in den Boden stampfte. Nina war wieder knallrot im Gesicht. „Was soll denn das!?“ „Gehen Sie sterben, Sie altes Reptil!“, forderte Anya wütend und stampfte noch einmal auf. „Wie es aussieht, gibt es kein Duell! Also ziehen Sie Leine, ehe eine von uns beiden sich vergisst. Und das bin vorzugsweise ich!“ „Nichts da, Herzchen!“, weigerte die Rothaarige sich jedoch beharrlich. „Ich gehe nicht eher, bis ich mein Foto habe! Niemand wird mir diese Story streitig machen, hörst du, niemand!“ Anya kniff die Augen zusammen und strich sich die nicht existierenden Ärmel ihres schwarzen T-Shirts von den nackten Handgelenken. „Ach ja … ?“ „Ja!“ „Aufhören!“ Wieder stellte sich Abby zwischen die beiden Furien. „Ich … ich mache es. Ich … werde mich duellieren, zu Anyas Konditionen.“ Völlig verwirrt starrten sich die Streitenden an, ehe sie ihr Augenmerk zurück auf Abby richteten. Die seufzte und hielt sich eine Hand an die Brust, wo ihr aufgeregtes Herz wild pulsierte. Sie musste es tun. Was für eine andere Wahl hatte sie schon? Die Vorstellung, Nina bis ans Ende aller Tage in ihrer Nähe zu haben, glich für Abby schon Folter. Es ging auch weniger darum, dass Nina ihren Artikel veröffentlichen konnte, denn glauben würde man ihr selbst mit Fotobeweis nicht. Aber wie ein Tier im Zoo behandelt zu werden, und sei es nur von einer Person, machte Abby wütend und traurig. Dieses Gefühl sollte enden und Anya hatte, was das Mädchen sehr überraschte, in gewisser Hinsicht recht. Sie musste die Angst vor sich selbst bekämpfen, sonst würde diese sie irgendwann verschlingen. Anya war da und würde ihr beistehen, selbst wenn sie aus Zorn tatsächlich zu einer Sirene werden sollte. Und solange sie da war, würde es Abby leichter fallen, sich zusammen zu reißen, schließlich wollte sie Anya nicht in Gefahr bringen. „Bist du dir da wirklich sicher?“, fragte jene skeptisch und verschränkte die Arme. Mit einer abfälligen Handbewegung deutete sie in Ninas Richtung. „Die rauchst du in der Pfeife, so viel ist sowieso klar. Aber hast du dir das gut überlegt? Ich könnte sie auch einfach für dich du-weißt-schon-was.“ „I-ich denke schon“, meinte Abby und nickte knapp. „Ich will es zumindest probieren. Du hast schon recht, diese Angst muss bekämpft werden.“ „Ich habe immer recht“, konterte Anya trocken und grinste. „Aber gut, verarbeite die Alte zu Brei, 'kay?“ „Oh ihr kleinen Dummerchen, täuscht euch nicht in mir“, mischte sich Nina ein und richtete zufrieden lächelnd ihre Brille. „Ich besitze eines der besten Decks, das die Welt je gesehen hat. Andere Duellanten haben damit Meisterschaften gewonnen!“ Demonstrativ holte sie aus ihrer großen Tasche eine Duel Disk. „Aber wenn ihr wollt? Umso schneller bekomme ich mein Foto!“ „Vergiss es, Schwester! Abby spielt in einer ganz anderen Liga!“, meinte Anya siegesgewiss und klopfte ihrer Freundin so hart auf den Rücken, dass die nach vorn stolperte. „J-ja …“   ~-~-~   Die beiden Duellantinnen standen sich auf dem Hinterhof vom Grundstück der Familie Masters gegenüber. Um zu verhindern, dass Unbeteiligte Abbys potentiellen Kräfte sahen, hatte man diesen Ort als Schauplatz des Duells gewählt. Und sollte jemand dumm genug sein, neugierig über den hohen Lattenzaun zu spähen, würde Anya ihn eigenhändig mit einem der Pfähle aufspießen, so schwor sie sich. Sie stand neben Nick an der Rückwand des Hauses und beobachtete alles mit Adleraugen. Dass Nick dabei gefesselt und geknebelt war und zu ihren Füßen lag, hatte er allein seiner großen Klappe zu verdanken. Die Blondine starrte ihn giftig an und freute sich bereits auf das, was nach dem Duell kam. Nick weniger, denn der zappelte unruhig und gab dumpfe Laute aus seinem Knebel preis. „Sieh zu!“, befahl Anya harsch. „Das ist sowieso alles nur deine Schuld! Bete zu Satan, dass Abby gewinnt, oder ihr erstes Opfer wirst du sein!“   Derweil hatte sich Nina ihre Duel Disk angelegt und wirkte in ihrem grünen Kleid seltsam deplatziert auf dem Spielfeld. Abby ihrerseits wirkte eingeschüchtert und ängstlich, was sich an ihrer verklemmten Körperhaltung bemerkbar machte. „Bist du bereit, Kleine?“, fragte die Journalistin gut gelaunt. „Ich denke schon …“ „Worauf warten wir dann noch? Duell!“ Abby nickte bloß.   [Abby: 4000LP / Nina: 4000LP]   Beide zogen ihrer Starthand bestehend aus fünf Karten. Abby meinte schließlich: „Ich beginne“, und stockte ihr Blatt um noch eine Karte auf. „Ich setze ein Monster. Damit beende ich meinen Zug.“ Vor den Füßen des brünetten, leicht zerzausten Mädchens tauchte eine Karte in horizontaler Lage auf, dabei mit dem Rücken nach oben zeigend. Abby atmete tief durch und zeigte ihrer Gegnerin mit einer Geste nachdrücklich, dass sie am Zuge war.   „Okay Herzchen, dann lässt Tante Nina jetzt mal die Puppen tanzen!“ Die rothaarige, schon ein wenig ältere Frau zog schwungvoll. „Ich rufe [X-Saber Airbellum]!“ Mit lautem Gebrüll sprang hinter ihr ein Löwenmensch in geduckter Haltung hervor. Obwohl seine Statur der eines Menschen glich, wirkte sein zur Hälfte blondes, zur Hälfte schwarzes Haar eher wie eine wilde Mähne. Zudem trug er krallenbesetzte Handschuhe, was ihn nur umso bestialischer wirken ließ.   X-Saber Airbellum [ATK/1600 DEF/300 (3)]   „Attacke!“, befahl Nina gebieterisch und zeigte mit einer entsprechend eingebildeten, angewinkelten Handbewegung auf Abbys Monsterkarte. Schnellen Schrittes stürmte Airbellum auf diese zu, sprang in die Luft und rammte seine Krallen in das geheimnisvolle Monster. Doch wurde er kurz darauf zurückgeworfen, als ein kleiner, brauner Käfer mit einem Horn aus Holz seinen Angriff einfach abwehrte. „[Naturia Beetles] Verteidigung ist höher als der Angriff Ihres Monsters“, meinte Abby und las den Käfer behutsam vom Boden auf, dessen Körper aus einer Eichel bestand.   Naturia Beetle [ATK/400 DEF/1800 (4)]   Er ist real, dachte Abby dabei erschrocken. Sie war sich der Tatsache, dass ihre Kräfte sogar dann wirken konnten, wenn sie gar nicht ihre Sirenenform angenommen hatte, nicht bewusst gewesen. Unter diesen Umständen konnte sie unmöglich weiterkämpfen!   [Abby: 4000LP / Nina: 4000LP → 3800LP]   Nina allerdings bekam davon gar nichts mit. Sie zückte zwei Karten aus ihrem Blatt und zeigte sie zwischen den Fingern vor. „Diese beiden Schätzchen lege ich verdeckt aus.“ Die gesetzten Karten erschienen vor ihren Füßen, während sie zufrieden lächelte. Man merke ihr förmlich an, dass sie mit nichts anderem als einem Sieg rechnete. Selbstherrlich meinte sie schließlich: „Los Kindchen, ich habe nicht ewig Zeit. Du bist am Zug.“   Doch Abby, die den Käfer streichelte, zuckte erschrocken zusammen. Sie ließ ihn hinab ins Gras und zog mit zitternder Hand eine Karte. Unter keinen Umständen durfte sie Nina gefährden! „Ich pass-“ „Was soll denn das, Masters!?“, fauchte Anya sie von der Seite her an. „Du tust ja so, als wäre das dein allererstes Duell überhaupt! Geh richtig ran und zeig dieser Schreckschraube, dass man dich nicht unterschätzen sollte!“ Abby nickte perplex. Anya konnte das nicht wirklich verstehen. Solche Kräfte zu haben war einfach nur schrecklich. Zwar besaß ihre Freundin ebenfalls spezielle Fähigkeit, doch wusste sie nichts oder nur sehr wenig von ihnen – das hatte Matt zumindest gesagt. Wenn Abby die Wahl hätte, würde sie ihre eigene Herkunft am liebsten aus ihrem Gedächtnis streichen und wieder ein ganz normales Mädchen sein wollen. Aber das ging nicht. „Soll … soll ich es wagen?“, fragte Abby ihre Freundin hilflos. „I-ich glaube, es wäre besser, das Duell abzubrechen. Sonst tue ich Nina noch weh!“ „Schwachsinn! Und selbst wenn, umso besser! Konzentriere dich einfach und alles wird schon gut werden!“ Ein wenig musste Abby dabei schmunzeln. Für Anya war alles so einfach. Vielleicht … vielleicht sollte sie ihrem Rat einfach folgen? Einmal nicht nachdenken und sehen, was passiert. Nur weil sie [Naturia Beetle] berühren konnte, hieß das noch lange nicht, dass dasselbe auch für Nina zutraf! Oder war diese Logik fehlerhaft?   „Okay!“, sagte sie mit neuem Mut und sah ihr Blatt an. „Ich beschwöre [Naturia Vein]!“ Neben ihrem Käfer tauchte ein tanzendes Blatt mit Armen und Beinen auf, welches neugierig mit seinen Kulleraugen die Umgebung musterte. Doch alles, was es zu sehen bekam, waren links und rechts hohe Grashalme. Einzige Ausnahme: Abbys riesige Gestalt, die auf das kleine Wesen herab starrte.   Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]   Abby streckte den Arm in die Höhe, während ihre Monster in die Luft aufstiegen. „Ich stimme mein Stufe 1 [Naturia Vein] auf meinen Stufe 4 [Naturia Beetle] ab!“ „Wie bitte!? Eine Synchrobeschwörung!?“, krächzte Nina, während das Blatt sich in einen großen, grünen Ring verwandelte, den Abbys Käfer passierte. „Oh great god of the west! Rule this land with your penetrating gaze and justice! Synchro Summon! Roar proudly, [Naturia Beast]!“ Ein erschütterndes Gebrüll erklang. [Naturia Beetle] verschwand in einem Lichtblitz und wurde durch eine majestätische Bestie ersetzt, die mit einem Satz vor Abby landete. Es war ein mannshoher Tiger mit grünem, blättrigem Fell und Gliedmaßen ganz aus Holz. Mit seinen roten Augen funkelte er Nina an, ehe er sich niederlegte und zu lauern schien.   Naturia Beast [ATK/2200 DEF/1700 (5)]   „Gut!“, meinte Anya zufrieden und zeigte Abby zwinkernd beide Daumen. „Nun hau drauf, Schwester!“ „O-okay!“ Abby drehte sich zu Nina und ihrem Monster und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Sie würde es schaffen, sagte sie sich. Sie würde ihre Gegnerin schon nicht verletzten, egal wie sehr sie ihr zuwider war! Das Mädchen streckte seinen zitternden Arm aus. „[Naturia Beast], greif [X-Saber Airbellum] an! Los!“ Augenblicklich sprang der Tiger auf und rannte auf den animalischen Kämpfer zu, ein Paar falscher Krallen traf auf echte Klauen. Nina lachte hysterisch. „Sieh an, genau das wollte ich! Verdeckte Schnellzauberkarte aktivieren! [Shrink]! Damit halbiere ich einfach die Angriffskraft deines Monsters!“ Die Rothaarige lachte schrill. Abby aber hob den Zeigefinger und schwenkte ihn hin und her. „Nicht ganz! Ich kontere mit [Naturia Beasts] Fähigkeit! Indem ich zwei Deckkarten auf den Friedhof schicke, kann ich die Aktivierung jeder Zauberkarte negieren! Wehr dich!“ Mit wütendem Gebrüll ließ der Tiger Ninas aufgeklappte Karte einfach zerspringen, während Abby besagte zwei Karten in Friedhofsschlitz ihrer schwarzen Duel Disk schob. Kurz darauf wurde Airbellum durch einen erneuten Prankenschlag niedergestreckt.   [Abby: 4000LP / Nina: 3800LP → 3200LP]   „D-das macht gar nichts!“, hielt Nina erschrocken dagegen. „Manchmal erfordern große Storys eben Opfer!“ „Ich beende meinen Zug!“ Abby atmete beruhigt aus. Scheinbar war ihrer Gegnerin nichts weiter geschehen. Vielleicht, weil nur zwei Monster gekämpft hatten. Ein direkter Angriff wäre viel zu gefährlich gewesen, dachte sie mit prüfendem Blick auf ihr Blatt.   „Mein Zug!“, verlautete Nina ehrgeizig und zog ausholend. „Ich aktiviere den Zauber [Monster Reborn] und reanimiere Airbellum von meinem Frie- Ah!“ Das laute Gebrüll von [Naturia Beast] unterbrach die Frau. Wieder zersprang das Ebenbild ihrer Karte, während Abby seelenruhig zwei Deckkarten auf ihren Friedhof schickte. „D-das war geplant!“ Nina stand der Schweiß auf der Stirn. „Du sollst deine besten Karten auf den Friedhof schicken, jawohl!“ Derweil bildeten sich auf Anyas Stirn tiefe Falten. „Hat die Alzheimer? Oder ist die einfach nur schlecht?“ Anyas weibliche Intuition – die echte und nicht etwa Levrier – sagte ihr, dass eher Letzteres zutraf. „Ich setze ein Monster und beende den Zug“, meinte Nina derweil nervös und ignorierte die Blondine am Spielfeldrand.   Zeitgleich zog Abby ihre nächste Karte und hielt inne. Sonderlich stark mutete ihre Gegnerin wirklich nicht an. Vielleicht konnte sie dieses Spiel beenden, ohne dass jemand zu Schaden kam? „Okay“, sprach Abby und legte eine Karte auf ihre Duel Disk. „Ich beschwöre [Naturia Guardian]!“ Vor ihr wuchs ein großer Laubbaum aus der Wiese des Hinterhofs. Auf dem mächtigen, dunkelbraunen Stamm befand sich ein strenges, altehrwürdiges Gesicht, das selbst Nina einzuschüchtern schien. Ganz still stand sie da und wartete auf Abbys weitere Vorgehensweise. Naturia Guardian [ATK/1600 DEF/400 (4)]   Diese gestaltete sich relativ simpel. Das Hippiemädchen schwang den Arm aus und rief: „Los, [Naturia Beast], greif Ninas Monster an!“ Ihr Tiger zog einen Kreis um die gesetzte Karte, ehe er mit seiner Pranke zuschlug. Eine schreiende, blonde Frau mit einem kettenartigen Schwert tauchte auf und wurde sogleich zerfetzt. „[X-Saber Anu Piranha]“, murmelte Nina sauer. „Nun ist sie wohl Geschichte.“   X-Saber Anu Piranha [ATK/1800 DEF/1100 (4)]   Abby indes überlegte. War ein direkter Angriff wirklich ungefährlich? Fragend blickte sie zu Anya, die mit finsterer Miene nickte und sich danach den Daumen über die Kehle zog. Nina sollte keine Gnade erfahren, wenn es nach ihr ging. Doch Abby fühlte sich dabei nicht wohl. Natürlich war die Reporterin ein ausgemachtes Miststück, aber sie bemühte sich, ihrer Arbeit gerecht zu werden. Wenn auch mit sehr hinterhältigen Methoden. Seufzend schloss Abby die Augen. Die Angst war nach wie vor da, aber wenn tatsächlich etwas geschehen sollte, könnte man das Duell immer noch abbrechen. Und in der Zeitung stehen wollte sie wirklich nicht, sie wollte nicht der Oberfreak Livingtons sein. Sollten sich doch Anya und Nick um diese Ehre streiten! „Okay! Ich greife mit [Naturia Guardian] direkt an!“, entschloss sie kurzerhand. Und bereute es, denn die Angst, einen Fehler gemacht zu haben, war wie ein Bumerang zu ihr zurückgekehrt. Was, wenn Nina sich verletzte!? Abbys Monster ließ aus dem Boden seine Wurzeln schießen, die Nina erfassten und durchdrangen am ganzen Körper durchdrangen. Einen Moment blieb ihre Gegnerin wie erstarrt stehen und fasste sich an die Brust. Dann atmete sie stöhnend aus. Und Abby fiel ein Stein vom Herzen. Es waren aber nur Hologramme. Auhh sie atmete tief durch. Eine Wurzel war direkt durch Ninas Herz geschossen und wenn sie nun real gewesen wäre, dann-!   [Abby: 4000LP / Nina: 3200LP → 1600LP] „Super, Abby! Schieß' diese dumme Schnepfe zum Mond!“ Abby jedoch schluckte. Das hätte schief gehen können, verdammt schief. „Ich beende meinen Zug!“ Wenn sie das nächste Mal angriff, musste sie sicher stellen, dass nur ungefährliche Körperregionen angegriffen wurden! Aber wie sollte sie das bewerkstelligen!? Und außerdem … was tat sie hier überhaupt? Derweil runzelte Anya verärgert die Stirn. Ihre Freundin kämpfte ziemlich zurückhaltend. Wäre sie nicht so ängstlich, hätte Abby vielleicht schon längst gewinnen können. Die sollte sich nicht so anstellen und auf die Tube drücken! „Mein Zug!“, rief Nina laut. „So Herzchen, genug von diesem lahmen Spiel! Ich hätte von einer Sirene mehr erwartet, weißt du? Aber egal, das sind unwichtige Details! Ich will das verdammte Foto und zwar jetzt!“ Die Rothaarige zückte ein Monster aus ihrem Blatt. „Mach dich auf was gefasst, Liebchen! Ich beschwöre [X-Saber Axel]!“ Vor ihr tauchte ein Krieger in pelziger Panzerung auf, der eine lange, gezackte Klinge schulterte und lachte. X-Saber Axel [ATK/400 DEF/100 (1)]   „Damit haben Sie den Effekt von [Naturia Guardian] aktiviert!“, rief Abby. Ihr Baum begann weiß zu leuchten. „Wenn mein Gegner eine Normalbeschwörung durchgeführt hat, erhält Guardian 300 Extraangriffspunkte!“   Naturia Guardian [ATK/1600 → 1900 DEF/400 (4)]   „Damit holst du doch nicht einmal meine tote Oma hinterm Ofen hervor! Ich zeig dir, wie das geht! Verdeckte Falle: [Gottoms' Emergency Call]! Diese sagenhafte Falle lässt mich zwei X-Saber-Monster reanimieren, sollte ich einen ihrer Kollegen auf dem Feld haben! Kommt zurück, [X-Saber Airbellum], [X-Saber Anu Piranha]!“ Aus zwei Lichtsäulen neben Axel tauchten die blonde Kriegerin mit dem Peitschenschwert und der wilde Kämpfer mit der Löwenmähne und den Krallenhänden auf.   X-Saber Anu Piranha [ATK/1800 DEF/1100 (4)] X-Saber Airbellum [ATK/1600 DEF/300 (3)]   Nina lachte hysterisch. „Denk ja nicht, dass du die Einzige bist, die Synchromonster besitzt! Dir werde ich eine Lektion erteilen, die du nicht so schnell vergessen wirst!“ Sie streckte den Arm in die Höhe. „Zeit für Feintuning! Abstimmung! Stufe 3, Airbellum auf Stufe 4, Anu Piranha!“ Der Bestienmann sprang in die Höhe und verwandelte sich in drei grüne Ringe, durch die Anu Piranha mit wehender, blonder Mähne flog. Dabei verlor sie alle Farbe und wurde durchsichtig, wobei vier Sphären in ihr zu leuchten begannen. „United resistance against evil, gather before me and form a new power! Synchro Summon! Break 'em apart, [X-Saber Urbellum]!“ In einem Lichtblitz wurde aus Anu Piranha ein völlig neues Monster. Es war ein großer, bleicher Krieger mit zwei Schwertern auf dem Rücken. Er trug einen schwarzen Helm mit Hörnern, was gut zu seiner gleichfarbigen Brustplatte passte.   X-Saber Urbellum [ATK/2200 DEF/1300 (7)]   „Wow, das Ding ist schwach!“, kommentierte Anya das Ganze bissig. „Aber wie heißt es so schön? Wie der Herr, so's Geschirr!“ „Gescherr'“, korrigierte Abby ihre Freundin besserwisserisch. „Ja ja, was auch immer!“ Nina runzelte verärgert die Stirn. „Lacht nur, ihr dummen Kinder! Ich habe noch so einiges auf Lager! Zum Beispiel dieses Monster als Spezialbeschwörung von meiner Hand, da ich zwei X-Saber-Monster kontrolliere! Unterstütze mich, [XX-Saber Faultroll]!“ In roter, futuristischer Rüstung tauchte nun ein weißhaariger Krieger neben seinen Freunden auf und schwang beidhändig ein gewaltiges Schwert.   XX-Saber Faultroll [ATK/2400 DEF/1800 (6)]   „Das Ding ist ja stärker als ihr Synchromonster“, prustete Anya höhnisch los. Faultroll jedoch schwang unbeeindruckt sein Schwert im Halbkreis. Und ohne Vorwarnung stand neben ihm plötzlich Airbellum.   X-Saber Airbellum [ATK/1600 DEF/300 (3)]   Abby schluckte, während Anya sogar lautstark fluchte. „Woher-!?“ „Ganz recht, da schaut ihr dumm aus der Wäsche! Denn Faultroll kann pro Zug einen seiner Kameraden vom Friedhof reanimieren! Aber das war längst noch nicht alles!“ Nina hob ihre Hand wieder in die Höhe. Während die Mädchen erschraken, als sich Airbellum wieder in drei grüne Ringe verwandelte, durch die Faultroll flog, rollte unbemerkt Nick hilflos um das Haus, in der Hoffnung, dass irgendjemand ihm half. Doch kaum glaubte er, dem Geschehen entkommen zu sein, spürte er Anyas Schuh im Nacken. „Nichts da, du bleibst schön hier!“ An den Haaren schleifte sie ihn zurück zu den beiden Duellantinnen. Nina räusperte sich derweil mit schiefer Stimme. „Abstimmung! Stufe 3, Airbellum auf Stufe 6, Faultroll! Mighty warrior of the gentle sword, return to this wicked world! We await your command! Synchro Summon! Break free, [XX-Saber Gottoms]!“ Neben Urbellum tauchte ein noch viel größerer und eindrucksvollerer Krieger auf. Er trug eine Rüstung aus Stahl, die sogar sein Gesicht verdeckte und schwang eine enorm lange, zweiblättrige Klinge über seinem Kopf. Unruhig flatterte der rote Umhang im Wind, welcher auf seinen Schultern lag.   XX-Saber Gottoms [ATK/3100 DEF/2600 (9)]   „Was zum-!?“, stammelte Anya erschrocken und ließ dabei glatt Nick los, dessen Kopf auf den Boden knallte. „Woher hat die so ein starkes Monster!?“ „Geld, Kindchen, hart erarbeitetes Geld. Etwas, wovon du nur träumen kannst.“ Nina strich sich höhnisch lachend über die Locken, ehe sie sich auf Abby fixierte. „Ich sagte dir doch, dass du keine Chance hast! Und ich bin immer noch nicht fertig! Meine letzte Handkarte ist der Zauber [The Warrior Returning Alive]. Und genau wie sein Name es gebietet, erhalte ich von meinem Friedhof ein Krieger-Monster auf die Hand zurück. So wie Faultro- Hey!“ Nur ein mächtiges Gebrüll sowie zwei Deckkarten von Abby später zersprang das Abbild von Ninas Zauber in tausend kleine Stücke. Anya brach in schallendes Gelächter aus. „Gott ist die dämlich!“ „I-ich-! Das war geplant!“, meinte die Reporterin stur und lief rot an – ob vor Scham oder Wut war nicht schwer zu sagen. Sie streckte ihren Arm aus. „Trotzdem kann ich dir noch zusetzen! Ich aktiviere Gottoms' besonderen Effekt! Indem ich [X-Saber Axel] opfere, musst du eine Handkarte abwerfen, meine kleine Sirene!“ Erschrocken sah Abby zu, wie sich der schwarzhaarige Krieger auflöste und die Klinge in Gottoms Händen zu leuchten begann. Der zeigte damit geradewegs auf ihr Blatt, woraufhin ein Lichtstrahl geschossen kam und direkt auf eine Karte in ihrer Hand deutete. „[Fissure] …“, murmelte Abby resignierend und schob ihre Zauberkarte in den Friedhofsschacht.   Anya schlug sich bei dem Anblick die Hand vor die Stirn. Wenn Abby diese Zauberkarte die ganze Zeit über auf der Hand hatte, warum hatte sie sie dann nicht verwendet!? Damit wäre das Duell vielleicht schon entschieden gewesen, bevor Nina überhaupt zum Gegenschlag hätte ausholen können. Was ging nur in ihrer Freundin vor sich? Wollte sie denn nicht verhindern, dass sie in die Zeitung als Schlagzeile des Jahrhunderts kam? „Perfekt!“, rief Nina aufgeregt. „Ich denke, jetzt kommt es knüppeldick für dich! Urbellum, Gottoms … zerstört ihre beiden Monster!“ Die Journalistin deutete auf den Tiger und den Baum, um welchen Ersterer schlich. Es geschah, was geschehen musste. Urbellum zog seine Schwerter und stutzte [Naturia Guardian] so zurecht, dass außer abgeschlagenen Ästen und Blättern nicht mehr viel von ihm übrig war. Gleichzeitig kümmerte sich Gottoms um [Naturia Beast] und enthauptete es mit einem Schlag. Erschrocken schlug Abby die Hände vor ihren Mund, als sie das Massaker mitansah.   [Abby: 4000LP → 2800LP / Nina: 1600LP]   „Effekt von Urbellum!“, rief Nina freudig. „Du musst eine Handkarte auf dein Deck legen, wenn du von ihm Schaden erleidest, während du mindestens vier Karten auf dem Blatt hältst.“ Mit gerunzelter Stirn nahm Abby [Naturia Rosewhip] und schob sie auf ihr Deck. Ihre Gegnerin war bester Laune und trällerte: „Zug be-en-det!“   Abby zog die gerade erst verlorene Karte neu auf und seufzte bei dem Anblick der kleinen Rose. Warum kämpfte sie überhaupt? Gegen Nina hatte sie sowieso keine Chance mehr, wenn man ihre Monster so ansah. Es wäre einfach das Beste für alle, wenn sie das duellieren endgültig aufgeben würde. Zu groß war auch die Gefahr, am Ende doch noch jemanden zu verletzen. „Ich gebe au-“ Gerade wollte Abby ihre Hand aufs Deck legen, spürte sie Anyas festen Griff um ihr Handgelenk. Und eine schallende Ohrfeige, die sie zurückwarf. „Idiot!“, fauchte die Blondine aufgeregt und übertönte die enttäuschten Beschwerden von Nina spielend leicht. „Wie lange willst du eigentlich noch rumjammern!?“ „Aber ich habe doch gar nicht-!“ Abby hielt sich die schmerzende Wange. „Klar hast du! Man muss dich doch nur ansehen, um zu wissen, was in deinem Streberhirn vor sich geht, Masters! Reiß dich gefälligst am Riemen! Andere haben es viel schwerer als du und beschweren sich auch nicht! Du hast Angst?“ Anya streckte provokativ die Arme weit aus. „Von mir aus, hab Angst, so viel du willst! Du willst niemanden verletzten? Dann tu es gefälligst nicht! Du weißt, dass in dieser Stadt abgefahrene Dinge abgehen! Wir werden von Dämonen und Dämonenjägern angegriffen und brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können! Außerdem ist da noch diese Edenscheiße! Wenn das alles vorbei ist, dann kannst du dich verkriechen, so lange du willst! Aber bis dahin hilfst du mir gefälligst, das hier zu überleben, 'kay!?“ „A-Anya-!“ „Kein Wort mehr!“ Verdutzt sah Abby zu, wie ihre Freundin zurück zum am Boden liegenden Nick stampfte und trotzig die Arme verschränkte. Ihr Blick war vernichtend und Abby wusste nicht, ob Anya ihr nun helfen wollte, oder das aus reinem Eigennutz sagte. Hilflos fasste sich das Mädchen an ihr Stirnband. Sie hatte Anya versprochen, ihr immer beizustehen, das stimmte schon. Und in den letzten Tagen war sie wohl keine große Hilfe gewesen. Hatte Anya recht? Was, wenn es noch mehr Dämonenangriffe geben würde? Dann konnte sie nicht einfach herumstehen und zusehen, wie Anya und auch Nick sich in Lebensgefahr begaben. Konnte sie ihre Kräfte nicht doch auf irgendeine Weise kontrollieren? „Oh, kommt schon, Leute! Mehr Drama bitte!“, forderte Nina sauer. „Habt ihr das auswendig gelernt? Da ist ja selbst Rosamunde Pilcher noch kreativer! Wenn ihr mir bei meiner Story schon unbedingt helfen wollt, dann bitte richtig!“ Abby war fassungslos. Hatte diese Frau überhaupt irgendetwas anderes im Kopf, außer ihren dämlichen Artikeln? Wie konnte man nur so egozentrisch sein? „Machen Sie sich nicht über uns lustig!“ Nina lachte bei ihren Worten höhnisch auf. „Sonst?“ „Erleben Sie Ihr blaues Wunder!“ Abby spürte, wie ihre Augen zu glühen begannen und hörte Nina im selben Augenblick aufschreien. „Hah, es geht los! Ihre Augen, ihre Augen! Sie sind … pink? Pink!? … Ach egal, das kann man digital nachbearbeiten! Weiter so, Schätzchen, immer weiter so!“ Das Mädchen spürte die Wut in sich pulsieren und sah hilflos Anya an. Doch deren Mimik war wie versteinert, ausdruckslos und demnach keine große Hilfe. Aber Abby wusste, dass sie sich die Frechheiten dieser Frau nicht länger gefallen lassen wollte. Die hatte keine Ahnung, wie es in ihr aussah und dachte an nichts anderes, als an ein beknacktes Foto. Solche ignoranten Menschen waren der Grund, warum es nie Frieden auf der Welt geben würde. Abby entschied, dass sie dieser Frau eine Lektion erteilen musste und hatte da bereits eine Idee, die sogar schmerzfrei umzusetzen war. Aber es hing von ihr allein ab, ob sie sich beherrschen können würde.   „Ich bin noch am Zug!“, rief das Mädchen aufgebracht. Außer ihren Augen war bisher wohl nichts verändert, ihre Stimme war immer noch dieselbe. Das war gut! „Von meiner Hand: [Naturia Pumpkin]! Und wenn er beschworen wird, während Sie Monster kontrollieren, kann ich ein Naturia-Monster von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören. So wie [Naturia Rosewhip]!“ Vor Abby tauchte erst ein großer Kürbis mit Gesicht und Beinen, dann eine kleine Rose mit zwei Peitschen in ihren Blätterhänden auf. Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)] Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)]   Abby nahm die beiden Monster von der Duel Disk und hielt sie in die Höhe. Ihre Rose flog steil nach oben und verwandelte sich in drei grüne Ringe. „Stufe 3, [Naturia Rosewhip] und Stufe 4, [Naturia Pumpkin]! Oh great god of the north! Give us shelter within your soul! Synchro Summon! Be born, [Naturia Landoise]!“ Es gab einen Lichtblitz, als der Kürbis die Ringe passierte. Der Boden vor ihr brach auf und eine gewaltige Schildkröte aus Stein erhob sich vor Abby.   Naturia Landoise [ATK/2350 DEF/1600 (7)]   „Da ich nun den Effekt eines Naturia-Monsters aktiviert habe, kann ich [Naturia Hydrangea] von meiner Hand als Spezialbeschwörung rufen! Und dasselbe tue ich auch mit [Glow-Up Bulb] von meinem Friedhof, indem ich eine Karte von meinem Deck ablege!“ Nina sah dumm aus der Wäsche, als sie realisierte, dass [Glow-Up Bulb] durch [Naturia Beasts] Effekt auf dem Ablagestapel gelandet sein musste. Vor Abby tauchte ein Beet voller Hortensien auf, wobei eine der Pflanzen Augen besaß. Aus jenem Feld tauchte auch eine Blumenzwiebel auf, dessen weiße Blüte sich langsam öffnete. Naturia Hydrangea [ATK/1900 DEF/2000 (5)] Glow-Up Bulb [ATK/100 DEF/100 (1)]   Abby streckte wieder ihren Arm empor. Ihre Blumenzwiebel stieg in die Höhe und verwandelte sich in einen der grünen Empfängerringe. „Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon! Descent down, [Naturia Barkion]!“ Wieder gab es einen gleißenden Strahl und neben der gewaltigen Schildkröte gesellte sich ein grauer, schlangenhafter Drache mit Schuppen aus Holzrinde.   Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]   Abby atmete stoßweise. Ihr Haar begann unstet in der Luft zu flattern, während sich eine weiße Energiesphäre um ihren Körper bildete. Aus Ninas Gesicht wich sämtliche Farbe. „Du wirst sterben …“, murmelte Abby leise. „Ich habe genug! Solche wie du haben nur eines verdient, und zwar den Tod! Ich aktiviere die Zauberkarte [Battle Tuned]! Damit verbanne ich ein Empfänger-Monster von meinem Friedhof und gebe seine Angriffskraft weiter an eines meiner Monster!“ Sie zeigte [Naturia Cosmobeet] vor, ebenfalls zuvor abgeworfen durch [Naturia Beasts] Effekt. „Das sind 1000 Extrapunkte für Barkion!“ Ihr Drache brüllte laut auf, als eine rot glühende Aura sich um ihn ausbreitete.   Naturia Barkion [ATK/2500 → 3500 DEF/1800 (6)]   „Das mit dem Töten“, sprudelte es hysterisch aus Nina heraus, „das war doch nur ein Scher-“ „Los, meine Monster! Zerstört ihre X-Saber!“ [Naturia Landoise] stampfte nur einmal mit dem Fuß auf und schon brach [X-Saber Urbellum] im Boden ein und verschwand in einem klaffenden Erdloch, das sich sofort wieder schloss. Barkion schoss dagegen eine sengende, grüne Flamme auf Gottoms und brannte ihn gnadenlos nieder. Es entstand eine Explosion, dessen darauffolgende Druckwelle Nina von den Füßen fegte. Hart landete sie auf dem Rücken.   [Abby: 2800LP / Nina: 1600LP → 1050LP]   Abby fixierte ihren Blick auf Nina, die nun weder auf ihrer Spielfeldseite, noch Hand mehr Karten besaß. Die war jedoch völlig erstarrt und zitterte am ganzen Leib, während sie Abbys Transformation mitansah. Das Haar wurde länger und verlor seine Farbe, wurde weiß. Ihre Fingernägel wuchsen langsam und wurden spitzer, während die Lippen erblassten und einen zarten Blauton annahmen. „Das wolltest du doch sehen, oder?“, fragte Abby mit ihrer rauchigen Sirenenstimme. „Nun zahle den Preis dafür, Menschenweib!“ „Ich gebe auf!“, schrie Nina entsetzt und legte ihre Hand auf das Deck in ihrer Duel Disk.   [Abby: 2800LP / Nina: 1050LP → 0LP]   Anya klatschte laut und gesellte sich zu Abby. Dabei nahm ihr Gesicht diabolische Züge an. „Coole Sache! Wie tötest du sie denn? Frisst du sie auf?“ „Gute Idee“, hauchte Abby und trat langsam auf Nina zu, die hilflos rückwärts krabbelnd flüchten wollte. Dabei stieß sie mit dem Rücken ans Ende des hohen Zaunes, der nunmehr wie eine Gefängnismauer wirkte, der die Journalistin einsperrte. „Bitte tu mir nichts! Ich werde dich nie wieder belästigen!“ In ihren Augen standen Tränen der Angst. „Das war doch alles nicht so gemeint gewesen, ehrlich! Du bist doch ein gutes Kind, oder?“ Abby lachte auf. „Das hättest du dir vorher überlegen sollen, Menschenweib. Du bist jetzt dazu verdammt, mein Abendbrot zu werden!“ Mit diesen Worten stürzte sich Abby auf die schreiende Nina, während Anya laut gackernd zusah und sich den Bauch hielt. Denn während sich die Rothaarige die Augen zuhielt und auf ihr Ende wartete, hatte sich ihre Freundin längst zurückverwandelt.   „So!“, donnerte Abby in der Hocke und packte Nina am Kragen ihres Kleids. Die blinzelte ganz verdutzt, als sie nicht in das Antlitz einer Sirene starrte. „Sie hören mir jetzt ganz genau zu!“ „Ja!“ Heftig nickte die Frau, als sie hochgerissen wurde. Selbst als Mensch war Abby in Rage so kräftig, dass sie Nina emporheben konnte, solange sie denn auf Zehenspitzen stand, da ihr Gegenüber doch etwas größer war als sie selbst. „Erstens: Sie lassen uns in Zukunft in Ruhe, außer wir melden uns bei Ihnen!“ „Sicher doch!“ „Zweitens: Sie werden alles tun, was -ich- Ihnen sage!“ „Gewiss!“ „Drittens: sollten Sie sich nicht daran halten, mache ich das nächste Mal Ernst!“ Nina krächzte heiser und kleinlaut: „Alles klar!“ „Gut!“ Abby setzte die Frau ab und starrte sie finster an. „Und um zu sehen, ob Sie das verinnerlicht haben, stelle ich Ihnen jetzt eine Aufgabe! Sie werden Informationen für uns sammeln und zwar alles rund um die Begriffe „Eden“, „Levrier“, „Pakt“ und „Dämonen“! Eine Journalistin wie Sie wird doch sicher an gute Quellen gelangen, oder?“ „W-wie bitte!?“ Doch als Abby drohend die Faust hob, beteuerte Nina kräftig: „Ich mache mich sofort an die Arbeit! Ich werde nicht eher ruhen, ehe ich genügend Material für euch gesammelt habe. Ich kenne da sogar jemanden, der-! Aber warum wollt ihr-!?“ Abby aber unterbrach sie mit erhobenen Hand und deutete mit dem Zeigefinger zum Weg, der um das Haus zur Straße führte. „Schönen Nachmittag noch, Nina!“ Die nickte zögerlich und nahm anschließend die Beine in die Hand.   Kaum war die lästige Reporterin verschwunden, gesellte Anya sich zu Abby und legte ihr kumpelhaft den Arm um die Schulter. „Also eins muss ich dir lassen: coole Show! Für einen Moment habe ich echt geglaubt, du machst die Alte fertig!“ „Ich auch …“, gestand Abby leise und ließ den Kopf hängen. Doch plötzlich strahlte sie Anya an. „Aber ich glaube, ich habe es jetzt besser unter Kontrolle. Ich muss zwar wütend sein, aber du hast es ja gesehen. Ich habe nicht die Beherrschung verloren.“ Anya grinste keck. „Hab ich. Manchmal kannst du wirklich gruselig sein, so als weiblicher Hulk. Aber die Idee mit der Recherche ist klasse. So wird das Miststück vielleicht doch noch ganz nützlich sein.“ Ihre Freundin jedoch schüttelte zweifelnd den Kopf. „Glaube ich eher weniger, aber vielleicht hat sie wirklich noch die ein oder andere Quelle, die über unsere Möglichkeiten hinaus geht?“ „Hoffen wir's“, meinte Anya ernst und starrte auf die Stelle, wo Nina in Todesangst gelegen hatte. „Viel Zeit bleibt mir nicht mehr …“ „Wir finden einen Weg!“, meinte Abby zuversichtlich. „Du kannst auf mich zählen!“ „Au- miff- auf“, hörten sie jemanden hinter sich nuscheln. Nick bewegte sich wie eine Raupe auf sie zu und sah die beiden Mädchen erwartungsvoll an. „Ka- iff- jeff- geff-?“ „Was machen wir eigentlich mit dem?“, fragte Anya mit düsterer Stimme und funkelte Nick an. „Er muss bestraft werden für das, was er getan hat.“ Abby nickte mit eiserner Miene. „Allerdings. So etwas habe ich noch nie erlebt! Freunden sollte man vertrauen können. Aber uns wird schon etwas einfallen, nicht wahr, Anya?“ Jene lächelte verhängnisvoll. „Ganz bestimmt, Abby. Ganz bestimmt!“     Turn 13 – A Demon's Fate Levrier bemerkt die Anwesenheit eines anderen Dämons in Livington und will, dass Anya sich ihm stellt. Da die jedoch unkooperativ ist und lieber Pläne schmiedet, wie sie Erzrivalin Valerie das Leben schwer machen kann, übernimmt Levrier kurzerhand Anyas Körper. Als die beiden schließlich den Dämonen finden, ist die in ihrer inneren Welt gefangene Anya fassungslos. Denn der Wirt des Dämons ist niemand anderes als … Kapitel 13: Turn 13 - A Demon's Fate ------------------------------------ Turn 13 – A Demon's Fate     Matt stöhnte auf, als Alastair vorsichtig den blutdurchtränkten Verband von seinem Arm nahm und in einer Tüte entsorgte. Mit entblößtem, ebenfalls bandagiertem Oberkörper saß der junge Mann auf dem Bett und ließ seine Wunden behandeln. Alastair hatte sein langes, schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden, damit es ihm nicht im Weg war. Er trug ein schwarzes Unterhemd und verzog beim Anblick des Blutes, das aus Matts Arm sickerte, angewidert das Gesicht. „Der Rest heilt gut ab, aber das hier …“, meinte er und griff nach einer Schmerz lindernden Salbe auf dem kleinen Nachttisch in ihrem Motelzimmer am Rande Livingtons. Hier stellte niemand Fragen, was Alastair nur recht war. Selbst als er seinen verletzten Freund ins Zimmer geschleppt hatte, schien niemand der anderen Gäste Notiz von ihnen genommen zu haben. Oder wollte es schlichtweg nicht. „Ich kann ihn kaum bewegen“, meinte Matt mit verzerrter Miene. Seine schwarze Mähne war ungewaschen und noch widerspenstiger als sowieso schon, und auch der Dreitagebart stand ihm nicht gut zu Gesicht. Doch er lachte trotz seiner Schmerzen heiter auf. „Wer hätte gedacht, dass diese Abigail ausgerechnet eine Sirene ist?“ „Wer hätte gedacht, dass du nicht mit ihr fertig wirst?“, erwiderte Alastair kalt. Seinen Freund so zu sehen schmerzte ihn, doch er hatte es verdient. Leichtsinn musste bestraft werden. „Wieso hast du sie vorher nicht überprüft?“ „Weil sie wie ein ganz normales Mädchen aussah.“ „Das mit Anya Bauer befreundet ist. Dem Mädchen, das einen Pakt mit einem 'Gründer' geschlossen hat.“ Matt starrte ihn finster an. „Den sie nur eingegangen ist, weil du sie praktisch dazu gezwungen hast.“ Alastair wandte sich wortlos ab und zog den neuen Verband fester um Matts Arm, als nötig gewesen wäre. Der ächzte unter der Belastung. Dabei dachte sich der Mann mit dem vernarbten Gesicht, dass sein Mitstreiter einfach zu weich war. Sah er denn nicht das größere Ganze?   Der Versuch, Anyas Freundin für sich zu gewinnen, war in der Theorie eine pfiffige Idee gewesen. Doch tatsächlich war ihre Offensive mit doppelter Wucht auf sie zurückgefallen. Sie hatten wichtige Informationen an den Feind weitergegeben, sodass Anya vermutlich längst um ihren Status Bescheid wusste. Etwas, das sie sich angesichts ihrer Lage nicht leisten konnten. Andererseits musste Alastair sich auch eingestehen, dass sein eigener Versuch, Anya zu töten, letztlich genauso fehlgeschlagen war. Matt hatte zumindest alles getan, um andere Menschen aus dem Kreis der Verdammnis fern zu halten. Als ob er auch nur eine Sekunde daran gedacht hatte, den Bruder oder den Freund dieses Mädchens wirklich umzubringen. Viele Dämonenjäger waren so kaltblütig, Alastair selbst gehörte zu ihnen, doch sicherlich nicht Matthew Summers. Aber sie mussten getötet werden. Alle in Anya Bauers Nähe waren potentielle Gefahrenträger, die selbst dann bestehen bleiben würden, wenn Anya selbst schon längst tot war. Dieser 'Gründer' würde einfach weitere Menschen in seinen Dienst stellen, um Eden zu erwecken. Matts Vorgehen, nur Anya vernichten zu wollen, war löblich, aber zu riskant, zu ineffektiv! Aber es war vermutlich ohnehin schon zu spät, jetzt, da das Mädchen langsam ihre Kräfte entdeckte. Seit Tagen recherchierten Alastair und Matt schon, doch ihre einzig verbliebenen Möglichkeiten, das Unheil noch aufzuhalten, waren entweder zu risikoreich oder schlichtweg inakzeptabel.   Als Alastair mit dem Verband fertig war, zog sich Matt ein schwarzes T-Shirt über und sah vom Bett nachdenklich aus dem Fenster, direkt auf den Parkplatz des Motels. Dort stand neben anderen Wagen auch ihr alter VW-Bus, sozusagen ihre Kommandozentrale, ausgerüstet mit allem, was man für die Dämonenjagd brauchte. Fast allem zumindest. „Du weißt, dass Abigail jetzt unsere einzige Chance ist“, meinte Matt schließlich und warf seinem Freund einen erwartungsvollen Blick zu. „Dass sie eine Sirene ist, ändert nichts. Im Gegenteil, das könnte sogar praktisch werden. Kräftemäßig kann sie es jetzt mit Anya aufnehmen.“ Alastair stand von seinem Hocker auf und trat ans Fenster des spärlich eingerichteten Zweibettzimmers. „Unmöglich. Wir arbeiten nicht mit ihresgleichen zusammen.“ „Und welche Option haben wir dann noch?“, begehrte Matt voller Unverständnis auf. „Der Feind unseres Feindes ist unser Freund!“ „Nur, wenn er nicht auch unser Feind ist“, erwiderte Alastair ruhig. „Und zu jenem haben unsere Taten dieses Mädchen unweigerlich gemacht. In ihrer Unvernunft wird sie Anya alles gesagt haben, was sie von dir weiß, selbst auf die Gefahr hin, selbst zu einem ihrer Opfer zu werden.“ Matt ließ den Kopf hängen und strich mit seiner Hand über das zerwühlte, schwarze Haar. „Was hätte ich denn tun sollen? Ihr die Wahrheit zu sagen erschien mir der beste Weg, sie für uns zu gewinnen.“ Alastair verschränkte die Arme und betrachtete den dichten Wald hinter dem Parkplatz. „Vielleicht wäre er das gewesen. Aber im Endeffekt ist sie doch nur ein Dämon und wird ihresgleichen nicht im Stich lassen. Es ist nicht anders als bei uns.“ Matt stand nun auf und stellte sich hinter Alastair, legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wenn das so ist, warum töten wir sie dann überhaupt?“ „Weil sie nur Leid mit sich bringen, ob gewollt oder nicht. Das ist der Grund ihrer Existenz. Sie sind böse, weil sie es müssen – so wurden sie konzipiert. Sie sind das Chaos. Und niemand kann wissen, was geschieht, wenn Eden durch die Hand eines 'Gründers' aktiv wird. Deswegen müssen wir sie aufhalten, egal was es kostet.“ Er drehte sich mit steifer Mimik zu Matt um. „Wir haben schon für weniger getötet.“ „Yeah …“ Alastair schloss die Augen. „Aber vielleicht hast du recht und eine ungewöhnliche Vorgehensweise ist, was uns jetzt den Hals retten könnte …“ „Yeah … ich lass mir was einfallen.“   ~-~-~   Das Telefon klingelte. Anya lag mit verschränkten Armen hinter dem Kopf auf ihrem Bett und starrte das nervtötende Ding an, welches auf ihrer schwarzen Ledercouch lag und einfach nicht still sein wollte. Es klingelte immer noch. Warum zur Hölle explodierte das Ding nicht!? Hatte sie etwa nach jahrelangem Training immer noch nicht die hohe Kunst des Zerstörungsblicks erlernt!? Dabei hatte sie doch manchmal fast den Eindruck, als würden Laserpointer auf den Köpfen der Menschen erscheinen, die sie argwöhnisch ins Visier nahm. Warum gab es den Todesblick nur in Videospielen!?   „Curses“, fauchte Anya und sprang genervt auf. Sie schnappte sich das Telefon, wirbelte um die eigene Achse und war bereits dabei, es gegen die Wand zu werfen, als sie bemerkte, dass sie die Nummer nicht kannte. Welches lebensmüde Krümelhirn wagte es, -ihre- Nummer zu wählen!? Sie nahm schnaufend ab und murmelte mit düsterer, gleichwohl gelangweilter Stimme in den Hörer: „Örtliches Bestattungsunternehmen, Ihr Totengräber, wie soll Ihr Leben beendet werden?“ „Anya, bist du das?“ „Redfield!? W-w-was willst du denn von mir?“ Anya hatte ja mit dem pickeligen Adam oder irgendeiner anderen Nulpe aus einem ihrer Kurse gerechnet, aber ausgerechnet Valerie!? „Woher hast du überhaupt meine Nummer!?“ „Abby hat sie mir gegeben.“ Augenblicklich nahm Anya den Hörer vom Ohr und betrachtete ihn einen Moment lang irritiert. Das hatte Valerie eben nicht wirklich gesagt, oder? War Abby etwa zu einer Verräterin mutiert? Darauf würde ein Verhör im Anya-Stil folgen, soviel war sicher – aber erst musste diese dumme Pute abgewimmelt werden! Skeptisch legte sie das Telefon wieder an die Ohrmuschel. „Und was willst du nun?“ „Du hast“, fing sie zögerlich an, „Marc nicht zufällig gesehen in letzter Zeit, oder?“ „Nö. Warum?“, fragte Anya scharf. „Kommt er jetzt auch nicht mehr zu deiner privaten Bionachhilfe, Redfield!?“ Valerie seufzte. „Ach nur so. Ich mache mir Sorgen um ihn …“ „Schön für dich! Dann mach dir mal schön weiter Sorgen, aber nerv mich nicht damit! Ciao!“ Die Blondine hatte aufgelegt, bevor ihre Rivalin auch nur auf die Idee kommen konnte, dieses sinnlose Gespräch fortzusetzen. Und Anya schwor sich im Falle, dass Valerie jetzt noch einmal anrief, ein neues Telefon fällig werden würde, weil das alte der Last ihrer stampfenden Füße nicht standgehalten hatte.   Und da soll jemand sagen, dass dieser Dämonenjäger Alastair dich nur wegen meiner Wenigkeit für einen Dämonen gehalten hat …   Anya warf das Telefon aufs Sofa und legte demonstrativ die Hände auf die Ohren. Alles, nur das nicht! Nicht auch noch Levrier, der sie mit seinen Moralpredigten langweilen wollte. „Wie ich mit Redfield umgehe ist meine Sache, klar!?“   Und du denkst nicht, dass sich das irgendwann rächen wird?   „Wenn sich hier jemand rächt, dann sowieso nur ich! Wir haben schon Anfang Oktober und ich weiß immer noch nichts über Eden oder wie ich diesen Pakt aufheben kann!“   Du kannst den Pakt nicht einfach so rückgängig machen, Anya Bauer. Und selbst wenn es dir gelänge; ihn zu brechen würde für dich bedeuten, dass du einen schnellen Tod finden wirst. Schlimmer aber noch, du würdest in den Limbus eintreten.   Anya blinzelte verwirrt und ließ sich auf den Rand ihres Bettes nieder. „Limbus? Dieses Ding, das Harry Potter reitet?“ Was immer es auch war, Anya wollte es gar nicht wissen. Immer wenn Levrier etwas über -seine- Welt erzählte, bedeutete das nichts als Ärger. Der Limbus ist der Ort, der jeden Paktbrecher erwartet. Sollten wir scheitern und nicht Eden werden, würde das einem Verletzen unseres Vertrages gleichkommen. In beiden Fällen würdest du also dorthin gelangen. Ich will nicht zu viel darüber erzählen, denn es wäre nicht gut für uns beide, wenn du über ihn Bescheid wüsstest. Doch sei dir im Klaren darüber, dass der Limbus das schlimmste Schicksal ist, welches einer Seele zuteil werden kann.   „Oh klasse, und wieder eine Hiobsbotschaft! Ist das'n verdammtes Hobby von dir!?“   Man könnte sagen, der Beruf bringt das mit sich.   Ärgerlich sprang Anya auf und schritt herüber zu ihrem Schreibtisch am Fenster. Wenn das so weiterging, war in ihrem Kopf nicht mehr viel Platz, um unangenehme Erinnerungen und ungebetenes Wissen zu verdrängen. Die Leiche, ihr bevorstehendes Ende, die Niederlage gegen dieses Pennerkind Henry, Marcs düstere Seite und nun auch noch das. Andere würden bei so etwas in die Ecke gehen und heulen, doch Anya war froh, dass sie nicht so ein Weichei war. Ihr würde beizeiten etwas einfallen, ganz bestimmt. Und wenn nicht, wurde sie eben doch Eden. Schicksal.   Was hast du nun vor? „Keine Ahnung“, brummte das Mädchen missmutig und setzte sich an den Schreibtisch, „weiter recherchieren. Vielleicht findet diese Nina irgendetwas heraus. Außerdem ist Abby an das Necronomicon gelangt, von H.P Craftlove.“   Lovecraft. Und das Buch ist rein fiktional. Was sie da gefunden hat, ist nichts weiter als eine Fälschung.   „Abby meint, das Ding wurde von einem seiner Vertrauten oder so geschrieben und wäre sehr selten, weil es von den Nachkommen Lovedings wegen Leichenschändung, Copyright oder so verboten worden ist.“ Anya gluckste bei dem Gedanken an ein Buch in Lovecrafts Sarg, unwissend, dass sie ihre Freundin bei deren Erklärungen völlig falsch verstanden hatte. „Abby hat es wohl über gewisse Kontakte erhalten, aber sie hat nicht gesagt, wer ihr dabei geholfen hat. Ich glaube zwar auch nicht an den Scheiß, aber es ist besser als nichts. Leider dauert die Lieferung noch ein wenig.“   Ich weiß, ich war dabei, als sie dir das erzählt hat. Ich bin immer bei dir, jede Sekunde, selbst wenn du schläfst. Du kannst keine Geheimnisse vor mir haben, Anya Bauer. Merk dir das für die Zukunft.   Das Mädchen knirschte mit den Zähnen und holte zeitgleich ihre Deckbox vom Gürtel ihrer Jeanshose mit Trägern. Sollte der doch reden, ihr war das egal. Wenn in diesem Buch wirklich etwas Brauchbares stand, würde dieser Spanner sowieso bald nichts mehr zu lachen haben. „So, jetzt halt den Rand, ich muss mich konzentrieren!“ Anya nahm das Deck aus der Box hervor, legte es auf den Tisch und machte die oberste Schublade von rechts auf, in der nur eine kleine Blechkiste stand. Diese holte sie hervor und stellte sie ebenfalls auf den Schreibtisch. Es war die Collectors Tin von [Gem-Knight Ruby], die sie sich vor ein paar Monaten gekauft hatte, um ihre Sammlung zu vervollständigen. Zumindest fast. Dass diese aber nun durch [Gem-Knight Pearl] zusätzlich ergänzt wurde, hatte in Anya schon seit Tagen den Wunsch geweckt, ihr Deck ein wenig umzubauen. Also nahm sie den Deckel von der Box und verteilte ihre Kartensammlung über den ganzen Schreibtisch, indem sie die Kiste auf den Kopf stellte und ihren Inhalt einfach ausschüttete. „Dann fangen wir mal an“, meinte sie nun ein wenig besser gelaunt. Denn der Gedanke, ein Deck zu bauen, das Valerie Redfield spielend vernichten konnte, beflügelte sie ungemein.   Hätte ich Augen, würde ich sie schließen, nur um mir das nicht antun zu müssen. Ich möchte dir gerne meine Hilfe anbieten, Anya Bauer.   „Klappe, ich kann das selbst! Und jetzt nerv' nich' 'rum!“   ~-~-~   Ich weiß zwar nicht, wie du deinen Mitschülern derart viel Geld abnehmen konntest, um dir so viele Karten leisten zu können. Aber so wie das Deck momentan aussieht, passt es nicht einmal in die Duel Disk und verstößt gegen essentielle Grundregeln des Spiels.   Anya jedoch hörte gar nicht hin. Vor ihr stand ein Stapel aus mindestens hundert Karten, der fortan ihr Deck darstellen sollte. Es war bereits Abend und das letzte Rot am Himmel verlor den Kampf mit der Dunkelheit, wie man aus dem Fenster gegenüber des Schreibtisches sehen konnte. „Welche soll ich nehmen“, murmelte das Mädchen unsicher und hielt in jeder Hand eine Fallenkarte, „[Birthright] oder [Justi-Break]?“ Nimm zufällig fünfzig Karten aus deinem Deck und tu sie zurück in deine Sammelbox. Du triffst garantiert die richtigen.   Wütend legte Anya die Karten auf ihr Deck und schnaubte. Wie sollte sie sich denn konzentrieren, wenn Levrier zu allem einen bissigen Kommentar auf den nicht-existierenden Lippen hatte!? „JA, es ist vielleicht etwas umfangreicher als mein altes Deck! Dennoch ist es so perfekt, 'kay!?“ Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, ihr Deck umgestalten zu wollen. Auch wenn sie den ein oder anderen Schatz in ihrer Box gefunden hatte, den sie mit der Zeit völlig verdrängt hatte. Wie sollte sie die Feinabstimmungen treffen, wenn sie dauernd unterbrochen wurde!?   Du bist noch unfähiger als dieser Junge aus der Fernsehserie, die du fast täglich schaust. Der will sich auch nie helfen lassen.   „Und du bist genauso nervig wie seine gute Fee!“   Die wenigstens Ahnung von der Materie hat. Ich kann nicht glauben, dass du das optimale Gefäß bist, um Eden zu werden.   Anya ballte eine Faust und schlug so hart gegen den Tisch, dass ihr Kartenturm umkippte und auf den Rest ihrer Karten fiel. Ihre ganze Arbeit war damit umsonst gewesen. Ein Wutschrei ungekannter Lautstärke folgte auf dem Fuß. Fassungslos starrte sie ihr zerstörtes Werk an. „Toll! Wegen dir kann-“ Anya Bauer! Spürst du das?   „Oh ja! Wut, blanke Wut! Zerstörungswut, um genau zu sein! Geh sterben, Levrier, du bringst nur Unglück!“ Anya fing frustriert damit an, die einzelnen Karten wieder in die Hand zu nehmen.   Diese Schwingungen. Ein Pakt wird geformt!   „Oh der Glückliche!“, fauchte Anya, während sie beschäftigt war. „Vielleicht kriegt der wenigstens 'nen anständigen Dämon ab, der die Klappe hält, wenn er sie zu halten hat!“   Das verheißt nichts Gutes. Diese Energien dringen vom Stadtrand zu mir und das mit so gewaltiger Kraft, dass ein sehr mächtiges Wesen dahinterstecken muss. Wir sollten das untersuchen!   Anya warf die Karten zurück auf den Stapel und schnaufte. Dann drehte sie sich mit ihrem Stuhl um und starrte die Decke an, wie sie es immer tat, wenn sie glaubte, mit Levrier von Angesicht zu Angesicht zu reden. „Okay, Kumpel, jetzt hör mir mal verdammt gut zu! Du kannst mich noch so lange nerven, aber niemand, nie-mand, sagt einer Anya Bauer, was sie zu tun oder zu lassen hat! Ich werde garantiert nicht nachgucken gehen, was der örtliche Spinnerclub jetzt schon wieder angestellt hat! Außerdem hat es gerade angefangen zu regnen und ich werde einen Teufel tun, bei dem Wetter raus zu gehen!“   Das ist mir gleich. Dieses Wesen könnte über Wissen bezüglich Eden verfügen. Wenn die Chance besteht, dass wir mehr über unsere Bestimmung erfahren können, sollten wir sie nutzen!   „Nix da! Ich werde jetzt mein Deck bauen und dann pennen gehen!“ Anya drehte sich demonstrativ wieder um und wollte sich wieder den Karten widmen, als ihre Hand plötzlich mitten in der Luft erstarrte. Es war kein Gefühl mehr in ihr. „Wa-!?“   Du lässt mir keine andere Wahl, Anya Bauer. Dein Körper gehört auch mir, vergiss das nicht. Und nur, weil ich dich bisher immer habe gewähren lassen, heißt das nicht, dass du bestimmst, welchen Weg wir gehen!   Anya wurde schwindelig. Die verschiedenen Karten vor ihr auf dem Schreibtisch begannen zu tanzen und schienen ineinander zu verlaufen. „Du Mistkerl, was stellst du mit-“ Doch schon knallte ihr Kopf mitten auf den Schreibtisch, gebettet in ihre Sammlung. Nur, um wenige Sekunden später wieder hochzuschrecken. Plötzlich griff Anya zunächst zögerlich eine Karte, drehte sich zwischen ihren Fingern und betrachtete sie eingehend. Dann schnappte sie sich in wahnwitzigem Tempo eine nach der anderen aus ihrem Haufen und hatte so binnen weniger Minuten ein Deck gebaut, das sie ausdruckslos in ihre Deckbox steckte. Jene hing sie an ihren Gürtel, stand auf und schritt eilig aus dem Zimmer.   ~-~-~   „Du verdammter, elender Dreckskerl!“, schrie Anya aus vollen Lungen und versuchte sich, gegen die Ketten zu wehren, die ihre Arme und Beine fest umschlungen hatten. Doch es half nichts, sie war gefesselt. Gefesselt an das sich drehende Mosaik der Erde, gefangen in dieser unbekannten Welt der Dunkelheit. Sei mir lieber dankbar. Jetzt hast du dein bisher stärkstes Deck, ohne eigenen Aufwand – was ganz nach deinem Geschmack ist, wie ich vermute. Solange wir nicht geklärt haben, woher diese Energie kommt, werde ich die Führung übernehmen.   „Lass mich frei! Das ist mein Körper!“ Aber Anya wusste, dass es vergebens war. Sie konnte Levrier nicht sehen. Stattdessen sah sie durch ihn. Beziehungsweise durch ihren eigenen Körper, welcher gerade im strömenden Regen bei anbrechender Nacht durch den Park rannte. Rings um sie herum standen Bänke und Bäume, die Laternen spendeten ein wenig Licht. Für Anya stellte sich das Geschehen allerdings ungewohnterweise in Form einer Sphäre dar, die vor ihr in hellem Blau glühte und zeigte, was Levrier in Anyas Körper gerade beobachtete. Es war merkwürdig, denn tatsächlich hing Anya nun in der Luft, gekettet an das Mosaik, welches scheinbar seine Lage gewechselt hatte. Obwohl es sich drehte, bewegte das Mädchen sich nicht mit – trotzdem war ihr schwindlig, vor allem aufgrund des Abgrunds unter ihren Füßen. Wütend biss sie die Zähne zusammen. Eigentlich hatte sie erst mit 21 vorgehabt, gefesselt in einer Gummizelle zu liegen, hauptsächlich um nicht arbeiten gehen zu müssen. Dass Levrier ihr diese Erfahrung jetzt einfach vorweg nahm, war nicht nur tolldreist, sondern unverzeihlich! „Wenn ich-“   Wenn ich jemals wieder hier herauskomme, bist du so was von fällig? Denselben Satz wiederholst du nun schon zum achten Mal, gefolgt von „Lass mich frei!“. Wird dir das nicht langsam langweilig?   Levrier schüttelte genervt den Kopf, während er durch den Park rannte. Anya Bauers Flüche und Racheschwüre konnte er leider nicht ausblenden, denn der Pakt erlaubte ihm nur die Kontrolle über den Körper des Mädchens, nicht deren Geist. Aber zumindest bemerkte sie dadurch nicht, dass er in ihrem Leib ernsthafte Schwierigkeiten hatte. Wieder knickte er um. Eine feste Form zu haben war eine Erfahrung, die ihm bisher nur sehr selten zuteil geworden war. Laufen auf zwei Beinen war eine regelrechte Zumutung, wenn man andere Fortbewegungsarten gewohnt war.   Alter, lern' laufen! Wenn uns jemand sieht, denken die noch, ich hätte 'ne ganze Kneipe leer gesoffen!   Seufzend bewegte sich Levrier nun hinkend vorwärts, der schmerzende Knöchel erschien wie eine seltsame Illusion für ihn. Anya Bauer hatte es offensichtlich doch bemerkt. Zumindest hörte sie jetzt mit dem Geschrei auf, dachte Levrier erleichtert. „Mir ist egal, was andere über uns denken. Außerdem ist niemand in der Nähe, der uns sehen könnte. Am Ende des Parks wurde der Pakt geschlossen, das ist alles, was im Moment relevant ist.“   Hättest du nicht wenigstens 'ne Jacke überziehen können? Ich trage nur ein weißes T-Shirt, du Blödian!   Levrier blieb stehen, sah an sich herab und erkannte den Grund für Anya Bauers Unmut. „Du wirst es überleben. Sei froh, denn dieser Schriftzug 'Nirvana' verdeckt die heiklen Stellen hervorragend. Warum schämt ihr Menschen euch nur für euren Körper?“ Duuuuuu!   „Wie dem auch sei, ich habe keine Zeit für dein albernes Gezänk.“ Mit diesen Worten setzte sich Levrier wieder in Bewegung und wich den kleinen Pfützen aus, die sich durch den Regen langsam bildeten. Eine leichte Kurve führte ihn schließlich zum Nordtor des Parks, von welchem aus man auf die Straße blicken konnte. Ein Auto fuhr vorbei, doch von der Präsenz, die Levrier gespürt hatte, war nirgendwo mehr eine Spur – fast, als wäre sie nie hier gewesen. Er wandte dem Tor den Rücken zu und musterte die große Wiese zu seiner Rechten, dann den dichten Wald zu seiner Linken. Niemand war hier und hielt sich verborgen. Doch womöglich spielte Anya Bauers minderwertige Sehstärke ihm auch nur einen Streich. Ja, guck, guck nur! Da ist niemand, du Hohlkopf! Krieg' ich jetzt meinen Körper zurück? … Bitte?   „Nein.“ Es war befremdlich, nun im Körper von Anya Bauer zu stecken. Ihre Sinneseindrücke waren ganz anders als die von Levrier, während er körperlos war. Sie fror im Regen, was Levrier in seiner Suche stärker behinderte, als ihm lieb war. Zudem war durch den Schleier der Regentropfen die Sicht stark eingeschränkt. Levrier fragte sich, ob das fremde Wesen und sein Bündnispartner überhaupt noch hier waren. Ein Ort wie dieser war sehr ungewöhnlich für einen Pakt, denn auch wenn der Regen die Sicht blockierte, war die Gefahr groß, von anderen Menschen entdeckt zu werden. „Das ist eine Falle“, erkannte Levrier schließlich. Oh, ganz großes Kino! Und du bist natürlich direkt hineingelaufen, Schwachkopf! Wie wäre es, wenn ich jetzt wieder das Kommando übernehme, damit wir abhauen können!?   „Dafür ist es schon zu spät.“ Ohne sich umzudrehen, achtete Levrier auf die Geräusche hinter sich. Selbst das Unwetter konnte die Schritte nicht übertönen, die in den Pfützen hinter ihm widerhallten. Erstaunlicherweise konnte Levrier, obwohl zwischen ihm und der anderen Person gerade einmal knapp acht Meter lagen, keine nennenswerte Präsenz feststellen. Waren seine Kräfte so sehr geschrumpft, seit er den Pakt mit Anya Bauer eingegangen war? „Schön, dass du gekommen bist“, sagte eine feste, männliche Stimme, „auch wenn ich irgendwo schon gehofft hatte, dich nicht hier antreffen zu müssen, Anya.“   Das kann nicht sein! Wieso-!?   „Ich bin nicht Anya Bauer“, erwiderte Levrier kalt. Er kannte den Besitzer jener tiefen, dennoch sanften Stimme bereits. Trotzdem fühlte er sich unwohl, was vor allem an Anya Bauer lag, deren Emotionen zu ihm drangen. Sie waren wie immer stärkere Wellen, ein Symbol ihrer Aufregung. Marc!? Was macht er denn hier!? Sag nicht, dass er-   Levrier drehte sich nun um und stand dem Footballspieler und Anya Bauers Schwarm direkt gegenüber. Auch er war durchnässt, das schwarze Haar glänzte regelrecht und an seinem kleinen Kinnbart hatten sich Regentropfen eingenistet. Der junge Mann trug nur eine blau-weiß gestreifte Sportjacke, darunter ein T-Shirt und eine Jeans. Sein rechter Arm war immer noch bandagiert – und nun wusste Levrier auch, warum das so war. Am linken trug er eine Duel Disk. „Du bist einen Pakt eingegangen“, meinte er kühl und gefasst, was bei Anya Bauers sonst so schnarrender Stimme ziemlich ungewohnt klang. „Etwa nur, um mich hierher zu locken?“ In Marc Butchers Augen stand tiefes Bedauern. Er griff nach seinem Arm und wickelte langsam die Bandagen ab – nichts! Nur ein geschwollenes Handgelenk. Oh Gott sei Dank! Der hat mir echt einen Schrecken eingejagt! Was ist nur los mit dem!? Levrier, mir gefällt das nicht! Was will er von dir?   Es mutete für Levrier seltsam an, die sonst so ignorante Anya Bauer so aufgeregt zu erleben. Sorge war etwas, das dieses Mädchen nur selten durchscheinen ließ und in der Regel vor allen anderen verborgen hielt. Aber ihre Ängste waren begründet – dieser junge Mann war nicht zufällig hier. „Ich bin keinen Pakt eingegangen“, meinte Marc Butcher schließlich. „Noch nicht zumindest. Das wollte ich erst dann tun, wenn wir uns gegenüberstehen, Anya. Oder wer auch immer ihren Körper nun in Beschlag hält.“ „Man nennt mich Levrier.“ „Also bist du wirklich ein 'Gründer'?“ „Womöglich? Ist das die Bezeichnung für Wesen wie mich?“ Marc Butcher runzelte die Stirn. „Das wusstest du nicht?“ Doch er seufzte und überging Levriers Ahnungslosigkeit. „Wie dem auch sei, wir sind jetzt hier.“ „Was habe ich vorhin gespürt, wenn du noch gar keinen Pakt eingegangen bist?“ Was redet er da!? Gründer? Levrier, du musst ihn aufhalten! Marc darf keinen Pakt eingehen! Wie kommt er überhaupt dazu, woher weiß er so viel!? Bitte, tu was! Ich verstehe diesen ganzen Kackmist nicht!   „Nichts weiter als ein Signal, um euch hierher zu locken“, antwortete Marc Butcher tonlos, „das war Isfanels Idee. Der Dämon, mit dem ich den Pakt eingehen werde.“ Levrier verschränkte die Arme, eine Unart, die er sich anscheinend unbewusst von Anya Bauer abgeschaut hatte. Deren Emotionswellen waren mittlerweile so chaotisch, dass er aufpassen musste, nicht am Ende noch die Kontrolle zu verlieren. Das durften sie sich in ihrer momentanen Lage nicht erlauben. „Und wozu das Ganze? Bist du auch ein Dämonenjäger?“ „Nein. Ich bin ein normaler Mensch, der nur zufällig in diese Sache hineingeraten ist“, meinte sein Gegenüber bitter. „Ohne Isfanel wüsste ich gar nicht, was hier überhaupt abgeht. Und ich wünschte, ich könnte das alles vergessen. Aber da ich nun Bescheid weiß, kann ich euch nicht einfach ignorieren.“   Wovon spricht er da bloß? Will der uns etwa-   „Also bist du hier, um mich zu vernichten?“, stellte Levrier die Frage, die Anya Bauer nicht auszusprechen wagte. Marc Butcher nickte kaum merklich. Oh shit, sag, dass das ein Scherz ist! Warum Marc? Der will uns nur verarschen, oder? So wie neulich? Sag, dass es so ist, Levrier!   „Ich fürchte, dem ist nicht so“, meinte dieser zu Anya Bauer emotionslos. „Für einen einfachen Streich weiß er zu viel.“ Nun donnerte und blitzte es über Livington. Das Unwetter wurde stärker, der Regen heftiger. Es war ein Omen, das wusste Levrier. So geschah es immer, wenn gewaltige Kräfte zu wirken begannen. Damit stand unweigerlich fest, dass dieser Mann eine Gefahr darstellte. „Darf man den Grund für deinen Groll mir gegenüber erfahren?“, fragte er kühl. „Eden“, antwortete Marc Butcher knapp und strich sich über die verletzte Hand. „Ich muss verhindern, dass du den Menschen, der mir am Wichtigsten ist, ins Unglück stürzt.“   Nicht er auch noch! Bitte nicht!   „Du weißt mehr darüber?“ Plötzlich brüllte Marc Butcher Levrier außer sich vor Wut an. „Nicht annähernd genug und doch viel zu viel! Denkst du, ich lasse zu, wie du Valerie für deine Zwecke opferst!?“ Levrier verstand jedoch nicht. „Dieses Mädchen hat keine Verbindung zu mir.“ „Doch, hat sie! Sie trägt ein Mal und das reicht bereits, egal von wem es stammt!“ „Und in welchem Zusammenhang steht sie mit Eden?“ DAS würde ich auch gerne wissen! Wie kommt Marc auf die Idee, dass du diese dumme Pute gefährden könntest!? Oder- Willst du sie etwa wirklich-!? „Natürlich nicht.“ Ein kalter Wind strich über den Park und ließ das Gras unstet hin und her wippen. „Du willst wissen, was ich erfahren habe? Gut. Dann erzähle ich dir meine ganze Geschichte“, meinte Marc Butcher aufgewühlt, schloss die Augen und atmete tief durch. Er war blass und Levrier wusste genau, dass er sich seiner Sache nicht so sicher war, wie er behaupten mochte. Der Footballspieler öffnete die Lider wieder und begann zu erzählen.   „Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da bekam ich eines Nachts Besuch. In meinem Traum. Es war Isfanel, der Dämon, der euch aufzuhalten gedenkt. Gleich von Anfang an wollte er, dass ich einen Pakt mit ihm eingehe. Um euch beide zu vernichten, denn dazu wäre ich nur mit ihm in der Lage.“ Levrier stockte. „Dann weißt du also tatsächlich Bescheid?“ „Klar doch, Isfanel hat mir vieles erzählt! Und wäre es nicht für Valerie, würde ich mich nie mit diesem Ding abgeben! Es ist nicht so, dass Isfanel mich aufgesucht hat, nur um Gutes zu tun! Eigentlich ist es reiner Eigennutz, was dir ja sehr bekannt sein dürfte! Wenn Eden erwacht, verschwindet Isfanel, so sagt er! Du kannst dir also denken, wie hartnäckig er um mich gekämpft hat, da ich als Wirt geeignet für ihn bin!“   Jedoch beschäftigten Levrier ganz andere Dinge als Marc Butchers Gründe für sein Tun. Er konnte dieses andere Wesen nicht einmal spüren, als wäre es gar nicht anwesend. Was hatte das zu bedeuten?   Der junge Mann schluckte. „Und vielleicht kannst du dir auch vorstellen, wie das für mich war. Ich dachte, ich wäre vollkommen durchgeknallt. Aber all die Dinge, die Isfanel mir erzählt hat, was in Victim's Sanctuary geschehen ist, in unserer Schule … Ich wollte es nicht glauben, bis zu dem Zeitpunkt, als Anya ihre Kräfte das erste Mal eingesetzt hat.“ Meint er etwa das Duell mit Nick!?   „Seitdem wusste ich, dass Isfanel die Wahrheit gesagt hatte.“ Levier zog eine Augenbraue hoch, ebenfalls eine Angewohnheit seines Gefäßes, die schwer zu bändigen war. „Welche Wahrheit?“ „Über euch beide! Denkt ihr, es ist mir leicht gefallen, Valerie von mich zu stoßen? Mich wie ein Arsch zu benehmen, nur damit sie Abstand von mir hält, um nicht noch weiter in diese Sache hineingezogen zu werden?“ Er breitete wütend die Arme aus. „Aber so wird es ihr wenigstens leichter fallen, mich zu vergessen! Für mich gibt es keinen Weg mehr zurück, so oder so!“   Der will uns wirklich umbringen! Ich-! Wieso-   Noch nie hatte Levrier Anya Bauer so verzweifelt erlebt. Gewiss empfand er Mitleid für sie, doch würde er diesen Mann nicht gewähren lassen. Egal ob er ein Freund seines Gefäßes war oder nicht, jeder, der sich als Bedrohung für ihn entpuppte, musste vernichtet werden. Und suchte dieser Marc Butcher nicht auch den Tod, wenn er ihm so aufrichtig begegnete? Denn das war unweigerlich, was ein Pakt mit diesem Isfanel bedeuten würde.   „Isfanel wollte den Pakt sofort schließen, nachdem ich mich entschieden hatte, euch zu töten“, sprach Marc Butcher nun leise, mit zitternder Stimme weiter. „Aber das wollte ich nicht. Bevor ich ihm gehöre, wollte ich zumindest noch einmal mit euch sprechen. … und mich entschuldigen.“ Ohne Vorwarnung warf er sich auf die Knie, direkt in eine Pfütze. „Vergebt mir! Bitte! Aber ich habe keine andere Wahl! Ich muss die anderen vor euch beschützen, auch wenn ihr nichts Böses beabsichtigt!“ „Ich verstehe nicht“, erwiderte Levrier steif, „du siehst Eden als etwas Gefährliches, gleichwohl nicht Böses an? Woher hast du, beziehungsweise Isfanel, dieses Wissen?“ Marc Butcher sah auf. „Darüber werden wir nicht sprechen! Ich will davon nichts mehr hören! Es tut mir Leid, dass ich euch mit dem falschen Pakt hierher gelockt habe, aber es muss hier geschehen! Damit Anya wenigstens an einem schönen Ort stirbt! Auch wenn das Wetter …“   I-ich soll sterben? Nein! D-das … das ist nicht Marc! Der würde so etwas nie tun!   Langsam erhob sich Marc Butcher wieder. Seine Jeans war nass und schmutzig vom Pfützenwasser und er sah trotz seiner kräftigen Statur so zerbrechlich aus, dass Levrier daran zweifelte, ob dieser Bursche wirklich den Willen mit sich brachte, sie beide zu töten. Aber er hatte einen Dämonen an seiner Seite, welcher garantiert dort eingreifen würde, wo sein Gefäß zu hadern begann. „Die Situation ist ernst“, meinte Levrier besorgt zu Anya Bauer, als er eine Verzerrung direkt unter sich zu spüren begann. Doch die Erkenntnis kam bereits zu spät. „Wir sind gefangen in einem Netz. Während er gesprochen hat, muss der Dämon irgendeinen Zauber gewirkt haben! Ich kann meine Beine nicht bewegen!“ Was!?   „Sorry, das war auch Teil des Plans“, entschuldigte Marc Butcher sich reumütig. Wie konnte das nur unbemerkt an ihm vorbeigegangen sein, fragte Levrier sich tadelnd. Es war, als würde er am Boden festkleben. Wer immer auf der Seite dieses Mannes stand, war sehr geschickt darin, im Verborgenen zu agieren. Marc Butcher aktivierte seine Duel Disk. „Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder wir kämpfen auf die übliche Weise und gefährden damit unschuldige Menschen, oder wie lösen unseren Konflikt über ein Duell. Die Wahl liegt bei euch.“   Das kann unmöglich sein Ernst sein! Wir können doch nicht gegen Marc kämpfen! Was, wenn er verletzt wird!?   Viel eher sorgte sich Levrier um ihr eigenes Wohlergehen. Die Macht dieses Isfanels war unmöglich einzuschätzen und geschwächt wie er war, konnte Levrier nicht das Risiko eingehen, einen 'traditionellen' Kampf zu beginnen, den er nicht gewinnen konnte. Ein Duell wäre aus seiner Position die bessere Lösung, denn nicht zuletzt war er an Ort und Stelle gefangen, dazu noch in einem kostbaren Gefäß, welches er nicht gefährden durfte. „Ich wähle das Duell“, entschied sich Levrier kurz und knapp. „Das dachte ich mir“, meinte Marc Butcher schuldbewusst. „Ist mir auch lieber so.“ Hör auf! Wir kämpfen nicht gegen Marc, verstanden!?   Doch Levrier ignorierte Anya Bauers immer heftiger werdende Proteste und aktivierte ihre Duel Disk. Mit dem Deck, welches er ihr gebaut hatte, würden die Chancen auf Erfolg steigen. Und er kannte bereits den Kampfstil seines Gegners, was ein zusätzlicher Vorteil war, auch wenn er auf Gegenseitigkeit beruhen mochte. „Ich werde jeden vernichten, der sich meiner Bestimmung in den Weg stellt!“, sprach Levrier erhaben und funkelte sein Gegenüber aus entschlossenen, blauen Augen an. „Bist du ein Feind Edens, bist du auch mein Feind. Erwarte keine Gnade.“ „Wie gesagt, für mich gibt es sowieso kein Zurück“, seufzte Marc Butcher schwer und strich sich über den verletzten Arm. „Es … tut mir Leid, wirklich …“ Plötzlich richtete er seinen Blick gen Himmel. „Ich bin bereit, Isfanel! Der Pakt … wird geschlossen.“   NEIN!   Eine grelle Lichtsäule schoss von dem jungen Mann in die Höhe, während er aus Leibeskräften zu schreien begann. Ohrenbetäubendes Getöse übertönte den fallenden Regen. Geblendet wandte sich Levrier ab, während er gleichzeitig einen Zauber spürte, welcher den Park fortan von fremden Blicken abschirmen sollte. Wieder ein Werk Isfanels, damit sie nicht gestört wurden – was auch nur gut so war. Wie ein Blitz schlängelte sich der Energiestrahl durch die Luft und verblasste schließlich. Der in rötliches Licht getauchte Park verdunkelte sich wieder in der anbrechenden Nacht, die Regentropfen plätscherten wieder deutlich vernehmbar. Wieso … hat er das getan?   Dort, wo die Lichtsäule war, stand jetzt wieder und völlig unversehrt Marc Butcher. Doch sein Ausdruck hatte sich verändert, denn dort lag kein Bedauern mehr, sondern nur eiserne Härte. Sein rechter Arm war wie durch Zauberhand genesen und nun mit einem roten Mal versehen. Es war ein Langschwert, um das sich eine Flamme wandte, hin bis zur Parierstange, mit der sie verschmolz und ein flügelähnliches Gebilde schuf.   „Schön, sich endlich von Angesicht zu Angesicht zu sehen“, sprach Marc Butcher tonlos. „Du bist Isfanel!“ Levrier stockte. Er spürte etwas Vertrautes an diesem Wesen, welches nun seine wahre Macht ausstrahlte. Sie war unbegreiflich, stark, der von Levrier sehr ähnlich. Und dennoch nicht fassbar, wie Wasser, das man nicht festhalten konnte, um es zu verstehen. Doch in Einem war sich Levrier sicher: Isfanel war deutlich mächtiger als er es selbst war. „Du bist mir … vertraut.“ Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Ein Trugschluss. Wir sind uns bis zum heutigen Tage nie begegnet. Und doch weiß ich viel über dich, Levrier, der wohl bekannteste 'Gründer'. So wie es deine Bestimmung ist, Eden zu werden, ist es meine, dieses Unterfangen aufzuhalten. Meine Existenz hängt davon ab und auch die vieler weiterer Individuen. So wie ich von dir keine Gnade zu erwarten habe, hast du genauso wenig von mir mit Rücksicht zu rechnen.“ Levrier nickte. „Verstehe. Aber gewähre mir eine Frage. Was ist Eden?“ „Mein Untergang. Muss ich mehr wissen, als das?“ „Womöglich weißt du gar nicht mehr. Was, wenn du dich irrst?“ „Kann man sich in seiner Bestimmung irren?“, erwiderte Isfanel nun mit einem kühlen Lächeln auf Marc Butchers Lippen. „Deine Worte bedeuten mir nichts. Wisse, dass ich dafür sorgen werde, dass du abermals scheitern wirst. Hier und jetzt!“ Er streckte seinen Arm mit der Duel Disk vor. Levrier nickte daraufhin, denn jeder weitere Versuch, mehr über die Beweggründe seines Gegners zu erfahren, wäre vergeudete Liebesmüh. Und so riefen sie synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Marc: 4000LP]   Beide zogen ihr Startblatt von fünf Karten und standen sich im Regen gegenüber. Levrier empfand das ständig wachsende Unbehagen in ihm als äußerst unangenehm. Besonders, da es nicht nur von Anya Bauer herrührte, die sich mit allen Kräften gegen seine Kontrolle wehrte. Er kann doch nicht wirklich weg sein, oder? Marc ist doch noch in ihm, so wie ich in dir bin, oder? Brech' dieses beschissene Duell ab, ehe uns allen etwas passiert! Wenn du willst, kümmere ich mich um diesen Drecksack, aber nicht, solange er in Marc steckt! Antworte mir gefälligst, Levrier!   „Der Bursche ist tatsächlich noch in ihm, aber er hat die Kontrolle freiwillig aufgegeben. Es gibt nichts, was ich für ihn tun kann. Und unsere Lage gestattet es nicht, in Verhandlung zu treten. Isfanel hat alle Fäden in der Hand.“ Jener lachte daraufhin zufrieden. „Das ist richtig. Wäre es nicht der Wille meines Gefäßes, würde ich euch auf der Stelle vom Antlitz dieses Planeten tilgen. Doch so bin ich an -das- hier gebunden.“ Er hob den Arm mit seiner Duel Disk. „Warum also bringen wir es nicht endlich hinter uns? Ich beginne, Draw!“ Damit fügte er seiner Hand eine sechste Karte hinzu. „Ich spiele eine Karte verdeckt und beschwöre [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] im Angriffsmodus.“ Vor seinen Füßen tauchte die gesetzte Karte auf. Weiter in der Mitte des Spielfelds erhob sich ein älterer Mann ganz aus Stein, mit nacktem Oberkörper, der einen Hammer aus purer, gehärteter Lava schulterte.   Kayenn, The Master Magma Blacksmith [ATK/1200 DEF/200 (3)]   „Damit ist mein Zug beendet“, verlautete Isfanel seelenruhig. Sofort zog Levrier die nächste Karte und studierte eingehend sein Blatt. Anya Bauers Schlüsselkarte war nicht darunter, was bedeutete, dass er eine andere Vorgehensweise einschlagen musste. Er griff sich ein Monster und legte es auf die Battle City-Duel Disk des Mädchens. „Ich rufe [Gem-Knight Obsidian]!“ Vor ihm erschien ein Ritter in pechschwarzer Rüstung, welcher als Waffe eine massive Perlenkette aus schwarzen Edelsteinen um seine Schulter hängen hatte.   Gem-Knight Obsidian [ATK/1500 DEF/1200 (3)]   Wie es Anya Bauer sonst tat, streckte Levrier den Arm aus, als er den Angriff befahl. „Attackiere sein Monster!“ Der schwarze Ritter nahm seine wuchtige Kette, schwang sie und wurde, als die ersten Perlen sich bereits von ihr zu lösen begannen, plötzlich von mehreren Stahlketten umschlungen, die aus dem Boden ragten. Auch seine Perlen wurden in der Luft gefangen und schwebten regungslos über der Erde. Eine Fallenkarte!   „Das sehe ich“, kommentierte Levrier Anya Bauers Aufschrei trocken. Isfanel hielt seinen Zeigefinger immer noch auf dem Knopf an Marc Butchers Duel Disk, welcher besagte Falle ausgelöst hatte. „Man nennt diese Karte [Fiendish Chain]. Sie annulliert die Effekte des betroffenen Monsters und hindert es am Angriff, solange sie aktiv ist.“ „Verstehe. Dann setze ich eine Karte verdeckt und beende meinen Zug.“ Unbeeindruckt schob Levrier seine eigene Falle in den dazugehörigen Schlitz der Duel Disk und ließ sie so vor sich erscheinen.   Können wir das nicht abbrechen!?   „Ich sagte bereits, dass das unmöglich ist.“ Plötzlich lachte Isfanel auf, doch es klang spöttisch und verachtend. „Wie ich sehe, ist dein Gefäß gesprächiger als meines. Marc Butcher hat kein Wort mehr verloren, seit er den Pakt eingegangen ist. Er weiß, dass er nie wieder zurückkehren wird.“ Stopf' diesem Mistkerl seine dreckige Visage! Niemand redet so über Marc! Er wird zurückkommen, dafür sorge ich schon! Wenn ich doch nur-!   Levrier seufzte. Anya Bauer war zu optimistisch. Sie hatte keine Ahnung, was ein Kampf zwischen zwei Wesen wie ihm und Isfanel wirklich bedeutete. Und er hatte auch nicht vor, sie darüber schon jetzt aufzuklären. „Mein Zug“, kündigte Isfanel schließlich an und zog. „Ich aktiviere [Spiritualism]! Damit gebe ich die gesetzte Karte zurück auf deine Hand, Levrier. Und dank der besonderen Eigenschaft von [Spiritualism] kannst du sie nicht als Gegenreaktion aktivieren.“ Aus der Zauberkarte schossen geisterhafte Gestalten, Skeletten nicht unähnlich und verschwanden in Levriers Fallenkarte, die sich daraufhin auflöste. Unzufrieden nahm deren Besitzer sie wieder aus der Duel Disk. Derweil zückte sein Gegner bereits die nächste Handkarte und spielte sie aus. „Beschwörung! [Card Trooper]!“ Hinter ihm kam ein kleiner Roboter hervor gerollt, welcher seine Kanonenarme auf den Feind seines Besitzers richtete. Aus seinem Kopf strahlte das Licht von zwei Scheinwerfern, die seine Augen darstellen sollten.   Card Trooper [ATK/400 DEF/400 (3)] Isfanel schwang den Arm aus. „Effekt des [Card Troopers] aktivieren. Einmal pro Zug kann ich bis zu drei Karten von meinem Deck auf den Friedhof abwerfen, um mein Monster auf diese Weise für jede von ihnen bis zur End Phase um 500 Angriffspunkte zu stärken.“ Er griff die obersten drei Karten seines Stapels und zeigte sie vor. Es waren zwei Monster und eine Fallenkarte, genannt [Laval Judgment Lord], [Laval Forest Sprite] und [Skill Successor].   Card Trooper [ATK/400 → 1900 DEF/400 (3)]   Oh, na ganz klasse! Lass lieber mich ran, sonst verlieren wir noch!   Wie es schien, hatte Anya Bauer sich vom Schock der Begegnung mit Marc Butcher halbwegs erholt und war wieder ganz die Alte. Dennoch würde Levrier ihrem Wunsch nicht nachkommen. Gerade wollte er etwas darauf erwidern, da streckte sein Gegner die Hand aus. „Erkenne meine Macht! Meine zwei Stufe 3-Monster werden zu einem Rang 3-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Ein schwarzer Sternenwirbel tat sich mitten im Boden auf und verschluckte seine Monster, die zu je einem roten und einem braunen Energiestrahl wurden. Aus dem Loch entstieg eine menschenartige Gestalt. Gekleidet in einer dunklen Rüstung, brannten sowohl Kopf, Schultern und Hände dieses Wesens, während ein zerfetzter, roter Mantel das Bild abrundete. „Xyz-Summon! [Lavalval Ignis]!“, rief Isfanel erhaben.   Lavalval Ignis [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   Um den Krieger kreisten zwei Energiesphären, sein Xyz-Material. Derweil wollte Levrier erschrocken zurückweichen, doch seine Füße verweigerten durch Isfanels Magie ihren Dienst. Nicht etwa um des Monsters Willen war er schockiert, sondern wegen dem im Regen kaum sichtbaren, roten Glimmen, welches von Marc Butchers Mal ausging. „Das ist“, begann er und hielt kurz inne. „Das ist das Symbol ihres Paktes!“   So wie [Gem-Knight Pearl] bei uns? Hmm, sieht scheiße aus, das Teil. Und besonders stark ist es auch nicht. Außerdem, das ist doch total der Ghost Rider-Abklatsch! Welcher Schwachmat-   „Beurteile deinen Gegner nicht nach dem Aussehen“, mahnte Levrier sie scharf, „ich bin mir sicher, dass diese Karte einen gefährlichen Effekt besitzt.“ Isfanel lächelte heimtückisch. „Gewiss. Warum findest du es nicht heraus?“ Er zeigte mit dem Finger auf Levriers Gem-Knight. „Vernichte!“ Ignis legte die Hände aufeinander und erschuf so einen gewaltigen Feuerball. Plötzlich bellte Isfanel herrisch: „Xyz-Material abhängen! Wenn meine Kreatur es absorbiert, erhöht sich seine Angriffskraft zeitweilig um 500!“ Er nahm [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] unter seiner Xyz-Monsterkarte hervor und schickte diesen auf den Friedhof. Zeitgleich wurde eine der Sphären um Ignis in die Flamme gezogen, wodurch jene weiter anwuchs.   Lavalval Ignis [ATK/1800 → 2300 DEF/1400 {3}]   „Attacke!“   Oh, shit!   Levrier hielt schützend den Arm vor sein geborgtes Gesicht, als Ignis die Flamme auf [Gem-Knight Obisidian] abschoss, welcher, gefesselt wie er war, nicht ausweichen konnte. Es gab eine Explosion und Levrier spürte, wie Funken seine Haut verbrannten. Es schmerzte fürchterlich, was für ihn eine längst vergessene Erfahrung war. Ein Stöhnen unter der gewaltigen Hitze konnte er nicht unterdrücken.   [Anya: 4000LP → 3200LP / Marc: 4000LP]   Lavalval Ignis [ATK/2300 → 1800 DEF/1400 {3}]   Stoßweise atmete Levrier ein und aus. Solange Anya Bauers Geist im Elysion gefangen war, konnte sie nicht spüren, was mit ihrem Körper geschah. Ihr war der Großteil der Attacke entgangen, da er dabei die Augen geschlossen gehalten hatte. Hoffentlich würde es noch eine Weile dauern, ehe sie dahinter kam, dass dieses Duell echte Verletzungen zufügte. Isfanel zeigte eine Karte mit dem Rücken zu seinem Gegner gerichtet vor. „Diese setze ich verdeckt. Damit ist mein Zug beendet!“ Schon materialisierte sich die Karte vor ihm.   Mit einer schnellen Handbewegung zog Levrier und musterte dann erneut sein Blatt. Die Optionen waren begrenzt, aber er wusste, dass er schnellstens zum Gegenschlag ausholen musste. „Ich aktiviere den Zauber [Monster Reborn] und reanimiere [Gem-Knight Obsidian] von meinem Friedhof. Dazu kommt als Normalbeschwörung noch [Gem-Knight Tourmaline]!“ Vor ihm tauchten der schwarze Ritter und ein weiterer Krieger in goldener Rüstung auf, welcher zwischen seinen Handflächen einen Blitz erschuf.   Gem-Knight Obisidan [ATK/1500 DEF/1200 (3)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Hey!? Warum hast du nicht sein Judgmentdingens-Monster wiederbelebt!? Das ist doch viel stärker als Obsidian!   „Unterbreche mich nicht und lerne lieber“, erwiderte Levrier darauf nur kühl und schob eine weitere Zauberkarte in den dazugehörigen Schlitz seiner Duel Disk. „[Particle Fusion]! Indem ich Gem-Knights vom Spielfeld verschmelze, erschaffe ich ein neues Monster! Erscheine, [Gem-Knight Topaz]!“   Du hättest wenigstens meinen coolen Beschwörungsspruch aufsagen können! Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, um mir den auszudenken?   Levriers Monster wurden in einen Wirbel aus Edelsteinen gezogen und verschmolzen zu einem neuen Krieger, der kurz darauf vor seinem Herren landete. Auch er trug eine goldgelbe Rüstung, dazu noch einen blauen Umhang und zwei Schwerter mit Blitzklingen in den Händen. „Diese Sprüche sind albern“, kommentierte Levrier Anya Bauers Einwurf trocken.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   Derweil hatte Isfanel abwartend die Arme voreinander verschränkt und warte mit regelrecht lauernden Augen auf das weitere Vorgehen seines Gegners, ohne ihn jedoch darin zu unterbrechen. Jener hielt seine Fusionszauberkarte zwischen den Fingern. „Nun wirkt der zweite Effekt von [Particle Fusion]. Indem ich sie nun von meinem Friedhof verbanne, erhält [Gem-Knight Topaz] für diesen Zug die Angriffskraft von [Gem-Knight Obsidian].“ Levrier nahm [Particle Fusion] aus seinem Friedhofsschacht und steckte diese in die Hosentasche seiner Jeans.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 → 3300 DEF/1800 (6)]   Krass! Du bist ja genauso gut wie ich! Geh ja behutsam mit Marc um, 'kay!? Wenn du ihm auch nur ein Haar krümmst, dann-   Levrier ignorierte die Gebärden Anya Bauers, obschon ihm langsam die Geduld dafür ausging. Stattdessen zeigte er jetzt entschlossen auf Isfanels Monster. Dieser Kampf würde gleich vorbei sein. „[Gem-Knight Topaz], erster Angriff!“ Wütend stürmte der Krieger auf seinen flammenden Gegner zu und hob eine seiner Klingen, um gnadenlos zuzuschlagen. Und als die Klinge niedersauste, zersplitterte Glas – er hatte dort, wo eben noch [Lavalval Ignis] gestanden hatte, stattdessen sein eigenes Spiegelbild zerstört. Es gab eine heftige Explosion, Glassplitter flogen in Levriers Richtung und fügten ihm Schnittwunden auf der Wange und dem erhobenen Oberarm zu.   [Anya: 3200LP → 3050LP / Marc: 4000LP]   „Was ist geschehen?“, fragte Levrier aufgebracht. Sein Krieger war fort, während neben Isfanel nun eine Fallenkarte aufgesprungen war. „Du bist der [Mirror Wall] zum Opfer gefallen. Diese mächtige Karte halbiert die Angriffskraft jedes Monsters, das so dumm ist, mich anzugreifen. Und 1650 Punkte sind wirklich nicht sehr viel, nicht wahr?“ Ein gehässiges Lächeln umspielte Marc Butchers Lippen. „Sieht so aus, als wärst du mir vollkommen unterlegen, werter Levrier. Wie ich sagte, du hast keine Gnade zu erwarten.“ Wieder bediente sich Isfanels Gegner einer der Angewohnheiten seines Gefäßes und schnaubte hochmütig. „Noch ist nichts entschieden. Ich setze diese Karte verdeckt.“ Mit einem Zischen erschien sie vor seinen Füßen und war somit die einzige Karte auf Levriers Spielfeldseite. „Ich beende damit meinen Zug.“   „Denkst du das wirklich?“, fragte Isfanel nicht weniger selbstbewusst und zog nebenbei die nächste Karte. „Sicher, niemand kann vorhersehen, was geschehen wird. Aber es gibt Kräfte, die intervenieren können.“ Während er das sagte, zersprang seine Fallenkarte, da ihr Besitzer nicht die erforderlichen 2000 Lebenspunkte zahlte, um ihren Effekt aufrecht zu erhalten. „Möchtest du sie sehen? Diese Kräfte, von denen ich rede?“ Levrier zuckte zusammen, als sein Gegner plötzlich seinen rechten Arm ausstrecke. Das flammende Schwert darauf begann nun so stark zu leuchten, dass Marc Butchers ganzer Körper von einer roten Aura umgeben war. Gleichzeitig spürte Levrier eine Macht, die er so noch nie zuvor erlebt hatte. Es war, als würden sich seine Eingeweide zusammenziehen. Die Erde begann zu erzittern, während der Regen mitten in der Luft plötzlich zum Stehen kam.   Was ist das!? Mir ist kotzübel!   „Selbst du fühlst es!?“, fragte Levrier erschrocken und weitete seine Augen, als sich die Flammen an [Lavalval Ignis'] Extremitäten plötzlich blau verfärbten. „Werde Zeuge meiner Macht, Levrier“, schrie Isfanel nun größenwahnsinnig. Sein Xyz-Monster wurde plötzlich zurück in den schwarzen Wirbel gezogen, aus dem er ursprünglich entstanden war. Allein, dass dieser sich plötzlich aufgetan hatte, verhieß nichts Gutes – das wusste Levrier. Was immer ihm auch begegnen würde, es war ebenfalls eine Kreatur, die nur durch einen Pakt hatte entstehen können. „Incarnation Mode!“, brüllte Isfanel aus voller Kehle, während rote Blitze aus dem Wirbel um sich schlugen. „Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 3-Monster und seinem Xyz-Material wird ein neues Rang 3-Monster! Erscheine, [Lavalval Master – Ignis Aither]!“ Oh verdammte Mistkacke, das riecht förmlich nach Ärger!   Das Erste, was aus dem schwarzen Loch auftauchte, waren zwei blaue Flammen, die sich wie Schwingen spreizten. Und es waren tatsächlich Flügel, als kurz darauf der Rest des Wesens aus dem Wirbel in die Höhe flog. Es trug noch dieselbe Rüstung wie [Lavalval Ignis], doch die Flammen an seinen Händen waren nun ebenso blau, wie seine Schwingen. Erstaunlich war, dass sein brennender Kopf nun fehlte, welcher komplett durch eine blauviolette Stichflamme ersetzt wurde. In seinen Händen trug das Wesen eine Sense aus purem, glühendem Magma, das auf den Boden hinab tropfte und jenen versengte. Um es herum kreisten zwei goldene Sphären, die viel größer waren als normale, transformierte Xyz-Materialien.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   Huh!? Das soll alles sein!? Das ist ja genauso'n Müll wie sein altes Monster! Pah, da ist ja mein beknackter [Gem-Knight Pearl] noch stärker!   Doch Levrier wusste es besser. Die Kraft, die dieses Wesen ausstrahlte, sie war ungeheuerlich. Wie hatte Isfanel es geschafft, allein Kraft seines Paktes mit Marc Butcher so eine Karte zum Leben zu erwecken!? „Du siehst so erstaunt aus. Liegt das daran, dass du nicht imstande bist, so etwas zu schaffen?“, fragte sein Gegner spöttisch und deutete auf sein neues Monster. „Wenn die unseren einen Pakt abschließen, verleihen sie ihrem Gefäß die nötige Stärke, um jeder Gefahr zu trotzen, bis das Ziel erreicht ist. Ein Jammer, dass ich das Symbol eures Vertrages wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen werde. Andererseits ist wohl nicht damit zu rechnen, dass es stärker ist als meine Kreatur. Effekt von Ignis Aither aktivieren! Indem ich genau eines seiner Xyz-Materialien abhänge, erhält mein Monster bis zu meiner End Phase für jede Karte auf meinem Friedhof 100 zusätzliche Angriffspunkte! Los, Surge Of Demise!“ Majestätisch spreizte der finstere Flammenengel seine blau lodernden Schwingen gen Himmel, sodass sich ihre Spitzen berührten. Dort wurde eine der beiden goldenen Sphären absorbiert, was dazu führte, dass nun auch besagte Flügel jene Farbe annahmen.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 → 2600 DEF/1400 {3}]   „Aber das ist noch nicht alles“, sprach Isfanel verheißungsvoll, während die schwebenden Regentropfen um ihn herum verdampften. Plötzlich schoss aus seinem Friedhof eine Karte, die er in die Hand nahm. „Dies ist die Fallenkarte [Skill Successor]! Wenn ich sie vom Friedhof aus dem Spiel entferne, erhält mein Monster einen Zug lang weitere 800 Angriffspunkte!“ Nun erglühte, wie schon um Marc Butchers Körper, auch um dessen Monster eine rötliche Aura.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/2600 → 3400 DEF/1400 {3}]   Oh shit! Unternimm was, du Idiot! Wenn der durchkommt, haben wir verloren! Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, durch das Psychovieh dieses Dreckskerls zu krepieren!   Levrier biss sich auf die Lippe. Damit hatte er nicht gerechnet. Gleichzeitig schwang Isfanel mit einer regelrecht verrückten Lache den Arm aus. „Stirb, du ach so berühmt-berüchtigter 'Gründer'! Nie wieder soll deine Existenz andere ins Unglück stürzen! [Lavalval Master – Ignis Aither], Attacke! Primordial Flame Of Destruction!“ Sein Monster stieg in die Höhe und erzeugte mit den goldenen Schwingen eine flammende Welle, die direkt auf Levrier zusteuerte.   Tu gefälligst was!   „Verdeckte Falle: [Negate Attack]!“ Der goldene Flammenwind knallte direkt auf Levriers Fallenkarte, die sich schützend vor seinen Besitzer bewegte. Dennoch entstand eine heftige Druckwelle, die zudem den ganzen Park in gleißendes Licht tauchte. Überall von der unsichtbaren Barriere prallten Flammen ab und versengten die umstehenden Bäume, Bänke, das Gras, einfach alles, mit dem sie in Kontakt traten, auf der Stelle. Es blieb nichts, außer einem Häufchen Asche. Levrier schrie aufgrund der enormen Hitze des Angriffs, obwohl seine Falle ihn abgefangen hatte. Die Kraft jener Attacke war so stark, dass sie das magische Netz um seine Beine binnen Sekundenbruchteilen zerstörte. Es gab einen grellen Blitz und das Inferno war endlich überstanden. Dampfend ging Levrier in die Knie und stöhnte. „Siehst du es nun? Das ist die Macht des Incarnation Modes!“, tönte Isfanel hoheitlich und sah erbarmungslos auf seinen Gegner herab. „Du kannst nicht gegen mich bestehen, Narr. Dein Schicksal wurde aufgeschoben, aber nicht verändert.“ Du musst das abbrechen! Wir werden krepieren, wenn das so weitergeht! Außerdem ist es auch für Marc viel zu gefährlich!   „Unmöglich! Dieses Duell kann nicht mehr abgebrochen werden!“, schrie Levrier nun aufgebracht und erhob sich ruckartig. „Es wird erst enden, wenn einer von uns stirbt! Das sind die Regeln eines Kampfes zwischen den unseren! Das Duell muss mit dem Tod eines seiner Bestreiter enden, andernfalls sind wir alle verloren! Blutzoll nennt man das!“   W-was!? Du spinnst wohl! Das kann- „Du hörst richtig! Deinen Freund kannst du nicht mehr retten!“ Nun hatte er es ausgesprochen. Und Anya Bauer wusste nun, dass es zu spät war, um noch einzugreifen. Ihr Wille würde seine Wege nun nicht mehr behindern können, dachte Levrier grimmig.     Turn 14 – Sacrifices Trotz Anyas Flehen und Bitten setzt Levrier das Duell mit dem Dämon in Marc, welcher auf den Namen Isfanel hört, fort. Der Körper des Verlierers wird als Folge des Schlagabtausches zerstört werden, sodass Anya krampfhaft nach einer Möglichkeit sucht, das Duell abzubrechen. Doch es scheint unmöglich, was bedeutet, dass sie entweder sterben oder Marc aufgeben muss … Kapitel 14: Turn 14 - Sacrifices -------------------------------- Turn 14 – Sacrifices     Was sagst du!? Du musst dich irren! Wir brauchen das Duell doch bloß abzubrechen-   „Unmöglich“, erwiderte Levrier hinsichtlich Anya Bauers Einwurf und wandte dabei seinen Blick nicht von Isfanels Monster [Lavalval Master – Ignis Aither] ab. Dieses schwebte über seinem Meister und spannte die goldenen Feuerschwingen, welche langsam wieder ihre alte Farbe Blau annahmen.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/3400 DEF/1400 {3}]   Wieso nicht!? Wir können doch Marc nicht durch dieses durchgeknallte Duell umbringen! Hat dir jemand ins Gehirn geschissen, oder warum laberst du so 'nen Kackmist!?   Levrier biss die Zähne zusammen. Er hatte zwar die Attacke seines Gegners abwehren können, aber dennoch Schaden davon getragen. Ein Blick auf Anya Bauers Arm verriet ihm jedoch, dass die Brandblasen bereits abheilten. Die Rötungen verflogen langsam, aber stetig. Trotzdem war er nicht gewillt, sich einer echten Attacke dieses Wesens auszusetzen. Schon gar nicht, da er im Rückstand lag und ein leeres Feld vorzuweisen hatte.   [Anya: 3050LP / Marc: 4000LP]   „Wie ich bereits sagte“, wandte sich Levrier tonlos an Anya Bauer, „es gibt keinen Weg mehr, dieses Duell abzubrechen. Erst wenn der Blutzoll gezahlt wird, sind wir frei. Was bedeutet, dass eines der anwesenden Gefäße zerstört werden muss. Das ist die Art, wie -wir- Kämpfe austragen.“   Red' keinen Unsinn! Es muss doch einen Weg geben!   „Es gibt keinen!“, donnerte Levrier nun aufgebracht. „Würde das Duell vorzeitig abgebrochen werden, hieße das den Tod für beide von euch! Und auch wir würden Schäden davontragen!“ Isfanel, welcher sich Marc Butchers Körper bediente, lachte nun amüsiert auf. „Sieht ganz danach aus, als würde dein Gefäß unseren Kampf nicht gutheißen. Hast du es bisher vermieden, sie über die Konsequenzen eines Duells zwischen den unseren aufzuklären? Damit sie nicht interveniert?“ Levrier schwieg dazu nur.   Er wusste, dass seine Vorgehensweise falsch war, aber er hätte auch nicht damit gerechnet, eines Tages ausgerechnet Anya Bauers größter Begierde als Feind gegenüber zu stehen. Natürlich war ihm seither bewusst gewesen, dass manche Wesenheiten versuchen würden, ihn von seiner Bestimmung abzuhalten, denn das ist schon in der Vergangenheit vorgekommen. Doch sich eines Freundes seines Gefäßes zu bemächtigen war eine neue Erfahrung und dazu noch ein kluger Schachzug. Im Elysion herrschte ein regelrechter Sturm von Anya Bauers Gefühlen. Levrier hatte alle Mühe, diese nicht bis zu sich durchdringen zu lassen, denn das würde bedeuten, dass seine Kontrolle über ihren Leib schwinden würde. Dazu waren die Wellen einfach zu mächtig.   „Tja, so muss man wohl als ein 'Gründer' handeln, oder?“, fragte Isfanel selbstgefällig und sah hinauf zu einem beflügelten Flammenkrieger. „Man könnte fast Mitleid mit dir haben. Aber wie ich dir bereits sagte, meine Existenz steht auf dem Spiel. Ich kann dich nicht verschonen. Zug beendet.“   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/3400 → 1800 DEF/1400 {3}]   Die verstärkenden Effekte haben nachgelassen, dachte Levrier erleichtert und zog wortlos eine dritte Handkarte auf, womit sein Blatt nun genauso groß war wie das seines Gegners. Als er die gezogene Karte betrachtete, hielt er erstaunt inne. Es war der Zauber [Gem-Knight Fusion], Anya Bauers Schlüsselkarte. Doch wie die Dinge im Moment standen, war sie vollkommen unbrauchbar.   Und was ist mit einem Unentschieden!? Ich meine, wenn keiner gewinnt, muss doch auch keiner sterben, oder!?   Levrier atmete tief durch. Auch das war ungewohnt für ihn, atmen zu müssen. So ein Gefäß brachte mehr Nachteile mit sich, als ihm lieb war. Und doch war es unerlässlich für Eden. Manche Konzepte erschlossen sich selbst ihm nicht, dachte er verwunderte. Wenn er doch nur wüsste, warum er zu Eden werden musste und was Eden überhaupt war. Das würde die Dinge um so vieles leichter machen. Denn er hatte das Gefühl, noch etwas Wichtiges erledigen zu müssen, bevor der 11. November anbrach. Doch was war das?   Antworte, du Dreckskerl!   „Unmöglich. Ich sagte dir bereits, dass das Duell einen Sieger hervorbringen muss, oder beide Parteien werden den Blutzoll zahlen müssen.“   Du linke Bazille! Du redest so, als würde dich das gar nicht interessieren! Marc wird sterben, wenn wir nichts dagegen tun! Und du!? Du machst da auch noch freiwillig mit, du dreckiger Bast-!   „Sollten wir uns nicht eher um unser eigenes Wohlergehen sorgen?“, erwiderte Levrier darauf tonlos. Man brauchte nur ihre nähere Umgebung zu betrachten, um zu wissen, in welcher Gefahr sie schwebten. Obwohl er [Lavalval Master – Ignis Aithers] Angriff aufgehalten hatte, war ihr näheres Umfeld nichts weiter als Schutt und Asche. Bäume brannten, Gras war versengt, die Bänke am Rande des Steinweges, auf dem sie sich duellierten, waren nun nichts weiter als ein Häufchen Asche. Dort, wo die Flammen jenes Monsters nicht gewütet hatten, schwebten Regentropfen in der von Magie erfüllten Luft – schon das war ein Beweis, wie mächtig Isfanel sein musste. Was würde mit ihnen geschehen, wenn so ein Angriff nicht mehr gestoppt werden konnte? „Warum verteidigst du Marc Butcher, obwohl er gewillt ist, dich zu töten? Bist du dir dem Ernst unserer Lage nicht bewusst?“ Für Levrier war es unbegreiflich. „Er hat deine Gefühle nie erwidert. Jetzt an ihm zu klammern würde nur bedeuten, Fehler zu machen. Er ist unser Feind!“ Du hast doch keine Ahnung von so was, du verkorkste Hohlbirne! Lass mich gefälligst hier raus, damit ich den Schaden, den du sowieso schon angerichtet hast, wenigstens noch eindämmen kann! Marc tut das wegen dir, nicht mir! Warum verpisst du dich nicht einfach!? Dann ginge es allen besser!   „Unmöglich. Ich bin durch unseren Pakt in dir verankert, bis wir entweder zu Eden werden, oder du auf die eine oder andere Weise den Tod findest.“ Levrier hatte genug von Anya Bauers Streitsucht. Er entschied sich, ihre Worte bis zum Ende des Duells zu ignorieren, andernfalls verloren sie noch durch ihren Dickschädel. Er nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Da ich jetzt am Zug bin, beschwöre ich [Gem-Knight Alexandrite]! Doch nutze ich den Effekt meiner Kreatur, um sie zu opfern und an ihre Stelle ein neues, allerdings effektloses Gem-Knight-Monster zu beschwören. Erscheine, [Gem-Knight Crystal]!“ Vor ihm tauchte ein Ritter in silberner Rüstung auf, die an Armen, Brust und Beinen mit den verschiedensten Edelsteinen geschmückt war.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Levriers Krieger löste sich jedoch kurz darauf wieder in gleißendem Licht auf. An seiner Stelle stand plötzlich ein noch größerer Ritter in weißer Rüstung, der stolz die Hände in die Hüften stemmte. Aus seinen Schulterplatten wuchsen große, durchsichtige Kristalle.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   „Nun besitze ich ein stärkeres Monster“, rief Levrier und versuchte mit aller Kraft, Anya Bauers wütende Drohgebärden und Flüche auszublenden. Zum Glück war Marc Butcher, abgesehen von seinem Monster, völlig ungeschützt. Levrier streckte den Arm aus. „[Gem-Knight Crystal], vernichte [Lavalval Master – Ignis Aither]! Clear Punishment!“ Jetzt hatte er tatsächlich diesen lächerlichen Attackennamen benutzt, den Anya Bauer immer verwendete. Dieses Mädchen hatte wirklich einen schlechten Einfluss auf ihn, dachte er dabei ärgerlich. Sein Ritter schlug mit der Faust auf den Boden und ließ die verrußten Steinplatten unter ihnen erzittern. Einige von ihnen sprangen entzwei, als sich rasend schnell eine Schneise zwischen ihnen bildete, aus der spitze Kristalldornen wucherten. Die Erdspalte schoss direkt auf Marc Butcher zu, und als sie unter seinem schwarzen Feuerengel angekommen war, schnellten die Dornen empor und spießten jenen auf. Andere Spitzen hatten hingegen dessen Besitzer ins Visier genommen und trafen jenen an der Schulter und schrammten über seine Wange. Es folgte eine Explosion.   [Anya: 3050LP / Marc: 4000LP → 3350LP]   Sei gefälligst vorsichtig mit ihm! Er kann nichts für euren beschissenen Kleinkrieg!   Doch Levrier hörte gar nicht hin. Der Rauch verzog sich und offenbarte, dass [Lavalval Master – Ignis Aither] den Angriff völlig unbeschadet überstanden hatte. Als würde jenes Wesen sie verhöhnen wollen, schulterte es abwartend seine Magmasense. Und hätte die violette Stichflamme, sein Kopf, ein Gesicht, würde es jetzt gewiss zufrieden grinsen. Auch Marc Butcher war nur leicht verletzt. Seine blau-weiße Sportjacke war an einer Stelle aufgerissen und entblößte eine blutige Schulter, während sein Gesicht nun von einer großen Schramme an der Wange entstellt wurde. Verletzungen, die nicht lange brauchen würden, um zu verheilen. „Ich habe versagt“, zischte Levrier enttäuscht, angesichts des immer noch quicklebendigen Xyz-Monsters, um welches eine goldene Sphäre kreiste. Isfanel lachte herablassend. „Selbstverständlich, aber wen überrascht das schon? Du bist nicht in der Lage, eine solche Kreatur zu erschaffen, woher solltest du also wissen, dass Incarnation-Monster nur durch Xyz-Monster besiegt werden können? Vielleicht hast du ja beim nächsten Versuch mehr Erfolg?“ Schweiß lief von Levriers Stirn. Also musste er tatsächlich [Gem-Knight Pearl] beschwören, wenn er diese Kreatur besiegen wollte. Was angesichts seiner beiden verbliebenen Handkarten eine Weile dauern würde. Zeit, die sie vermutlich nicht hatten. Unzufrieden presste er hervor: „Ich beende meinen Zug.“   Isfanel zog und legte ein wissendes Lächeln auf. Plötzlich stiegen aus seiner Duel Disk zwei goldene Sphären und kreisten zusammen mit der dritten um [Lavalval Master – Ignis Aither]. „Was ist das?“, fragte Levrier erstaunt. „Ein Effekt meines Monsters, welcher sich während meiner Standby Phase aktiviert“, erklärte sein Gegner mit einem vielsagenden, bedrohlichen Unterton. „Immer dann wird das Xyz-Material von Ignis Aither wieder auf drei aufgestockt. Dabei bediene ich mich des Friedhofs.“ Als wollte er das unterstreichen, zeigte er [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] und [Lavalval Ignis] vor und legte sie wieder unter die schwarze Karte auf seiner Duel Disk.   Na super! Dieses Teil besitzt regenerative – Man ist das ein dämliches Wort! – Kräfte! Was totaler Schwachsinn ist, da genau das nicht bei Xyz-Monstern der Fall sein sollte! Wer denkt sich sowas überhaupt aus!? Vielleicht ist dieses Mistvieh doch stärker, als es tatsächlich aussieht!   Am liebsten hätte Levrier Anya Bauer für ihre Erkenntnis gelobt, doch die Situation war ohnehin schon gefährlich genug und sie zu reizen würde alles nur schwerer machen. Nicht zuletzt hatte er auch gar keine Zeit dafür, denn plötzlich streckte Isfanel in Marc Butchers Körper den Arm aus. Mit der Hand machte er dabei eine Bewegung, als wolle er etwas mit aller Gewalt zerquetschen. „Du hast keine Ahnung, zu was der Incarnation-Mode wirklich imstande ist, oder? Lassen wir dich also nicht länger im Dunkeln tappen! Ich hänge die drei Xyz-Materialien von [Lavalval Master – Ignis Aither] ab und aktiviere seinen mächtigsten Effekt! Field Of Agony!“ Der schwarze Flammenengel stieg in die Höhe und erhob seine Magmasense. Mit einem Schlag spürte Levrier ein Stechen in seinem Kopf, welches so intensiv war, dass er ihn sich vor Schmerz halten musste. Isfanels Monster strömte eine unsichtbare Macht aus, die ihresgleichen suchte! „Anya Ba-“ Doch bevor Levrier das gefangene Mädchen überhaupt warnen konnte, schwang Ignis Aither schon seine Sense, die die drei goldenen Sphären absorbiert hatte, im Halbkreis durch die Luft. Und schickte damit eine Welle aus puren, gold-roten Flammen auf seinen Feind herab. Jener konnte gerade noch die Arme über Kreuz vor sein Gesicht halten, als der Angriff ihn schon erfasste. In Sekundenbruchteilen hatte sich Levriers gesamte Spielfeldseite in ein Feld aus hoch schlagenden Flammen verwandelt. Aber auch ein großer Teil der Parkwiese und die am nächsten liegenden Bäume wurden durch das Inferno regelrecht verschlungen. Aus der Perspektive eines Vogels musste es so aussehen, als hätte sich ein feuriger See im Park ausgebreitet. Levrier schrie aus Leibeskräften, denn die Haut seines Gefäßes verbrannte unter den bestialischen Flammen binnen weniger Herzschläge. Der Druck der Welle riss ihn wie eine Flut mit sich und schleuderte ihn meterweit über das Gelände, wo er hart mit dem Rücken aufschlug, wieder fortgerissen wurde und nochmals aufschlug, ehe er rollend zum Liegen kam.   [Anya: 3050LP → 50LP / Marc: 3350LP]   Wie durch einen unsichtbaren Windhauch löste sich das Inferno nach und nach auf und hinterließ einen verkohlten Körper, der kaum mehr an einen Menschen erinnerte. Und trotzdem war dieser noch imstande, sich torkelnd zu erheben. Levrier sah an sich herab. „Unmöglich“, krächzte er dabei kehlig. Die Kleidung seines Gefäßes war fast vollkommen verbrannt, einzig ein paar Fetzen des T-Shirts verdeckten noch die Brust und die untere Bauchregion. Die Haut darunter war feuerrot und mit Brandblasen übersät. Auch die Hose war zerfetzt, verkohlt und unansehnlich, wobei einer der Träger jener Jeans gerissen war und nun an ihr herab baumelte. Doch das alles war nichts gegen die Arme. Sie waren schwarz, verkrustet, stanken nach verbranntem Fleisch und Blut. Die Haare des Mädchens waren im Feuer versengt worden, es war fast nichts mehr übrig von ihnen. Auch die Haut auf ihrem Gesicht musste vollkommen entstellt sein, denn sie spannte fürchterlich. Ein einziger Angriff hatte Anya Bauers Körper beinahe vernichtet. Levrier spürte nicht einmal Schmerzen, was wohl eine Schutzreaktion seines Gefäßes sein musste, gekoppelt mit seinen eigenen Fähigkeiten. Im Elysion spürte er keine Emotionen mehr. Anya Bauer musste das Bewusstsein verloren haben, sofern das dort überhaupt möglich war – Levrier war sich dessen nicht sicher.   Weit entfernt von ihm hörte er plötzlich Isfanels boshafte Lache und horchte auf. „Oh? Ich hatte erwartet, dass dieser kleine Angriff dein Gefäß vernichtet, auch ohne, dass ich den letzten Rest eurer Lebenspunkte ausgelöscht habe.“ Er zuckte unbedarft mit den Schultern. „Aber wie dem auch sei, die Botschaft dürfte angekommen sein. Schade, dass ich nach Field Of Agony meine Battle Phase überspringen muss, aber es gibt ja noch eine nächste Runde. Dann werde ich dir damit den Rest deiner Lebenspunkte nehmen.“ Und während Levrier zurück zu seinem Spielfeld humpelte, wo [Gem-Knight Crystal] ohne Schaden genommen zu haben wartete, drehte Isfanel Ignis Aithers Karte auf seiner Duel Disk in die Horizontale. „Ich wechsle [Lavalval Master – Ignis Aither] in den Verteidigungsmodus. Nicht, dass ihr am Ende auf die Idee kommt, mich mit Verzweiflungstaten überfallen zu wollen. Denkt daran, nur Xyz-Monster können Ignis Aither im Kampf vernichten.“ Sein Feuerengel hüllte sich mit den blauen Flammen aus seinen Schwingen in einen pulsierenden Feuerkokon ein.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   „Außerdem kann es nichts schaden, wenn ich diese Karte verdeckt spiele“, meinte Isfanel mit süffisantem Grinsen, während sie vor seinen Füßen erschien. „Zug beendet.“ Levrier war fassungslos. Nicht nur war sein Gegner so unbeschreiblich mächtig, nein, er hatte ihm mit einem Schachzug ganze 3000 Lebenspunkte geraubt und dabei sein Gefäß fast zerstört. Anya Bauer war mehr tot als lebendig und es würde eine ganze Weile dauern, ehe sich ihr Leib regeneriert hatte. Dabei warf er einen prüfenden Blick auf das Mal an ihrem rechten Unterarm, welcher das Feuer nahezu unbeschadet überstanden hatte. Es glühte braun und ganz langsam breitete sich von dort gesunde Haut über das verbrannte Gewebe aus. Doch es würde dauern, ehe alle Wunden verheilt waren. Was angesichts dieses Feindes ohnehin nebensächlich war. Ächzend biss sich Levrier auf die wunden, blutigen Lippen. Sie waren taub, so wie sein ganzer Körper. Wenn Isfanel das nächste Mal zog, würde dies seinen Tod bedeuten. Er brauchte nur das Xyz-Material erneuern und jenes Field Of Agony erneut erzeugen. Zögerlich griff Levrier nach seinem Deck. Es gab praktisch keine einzelne Karte, die ihn aus dieser Situation befreien konnte. Dennoch musste er weiterkämpfen! „Draw!“, rief er aufgebracht und hielt schließlich eine Falle in den Händen. Er seufzte. „Ich setze ein Monster in die Verteidigungsposition und dazu eine weitere Karte verdeckt. Das war alles.“ Neben [Gem-Knight Crystal] materialisierte sich eine Karte in horizontaler Lage, während vor Levrier eine weitere in vertikaler Position erschien. Sie waren seine letzte Hoffnung. Auf der Hand hielt er nur noch [Gem-Knight Fusion], die nutzlos war.   Mit einer flinken Handbewegung zog Isfanel und betrachtete die Karte, ehe er sie plötzlich seinem Gegner zeigte. Sie hieß [Laval Magma Cannoneer]. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte Levrier aufgebracht. „Ich wollte dir nur zeigen, dass ich Ignis Aither nicht mehr brauche, um dich zu vernichten. Dieses Monster könnte es ebenso beenden.“ Dabei sprach er in einem so selbstgefälligen Tonfall, dass Levrier einen Zorn verspürte, den er sonst nur von Anya Bauer kannte. Färbte dieses Mädchen etwa derart auf ihn ab? Falls dem so war, hatte es wohl sein Gutes, dass der 11. November nicht mehr allzu weit entfernt lag – sofern er ihn überhaupt noch erleben sollte. Und während Levrier über Anya Bauers Wirkung auf ihn grübelte, entstanden aus dem Nichts drei neue goldene Sphären, die begannen, um [Lavalval Master – Ignis Aither] zu rotieren. Isfanel legte [Card Trooper], [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] und [Lavalval Ignis] unter das Xyz-Monster auf seiner Duel Disk. Dabei sagte er gönnerhaft: „Ich könnte natürlich meine Ankündigung wahr machen und dich mit meinem gezogenen Monster vernichten, aber ich denke, Ignis Aither ist die passendere Endlösung. Auch wenn ich dir zugestehen muss, tapfer gekämpft zu haben, angesichts deiner 'Möglichkeiten'“ Levrier wich einen Schritt zurück. Nur langsam erholte sich Anya Bauers Körper von den Verbrennungen, die Haut an Armen, Beinen, Oberkörper und Gesicht war nur zu einem sehr geringen Teil regeneriert. Aber auch ohne die schweren Verletzungen würde er den nächsten Angriff nicht überstehen, denn wenn die Lebenspunkte eines Spielers in einem Duell wie diesem auf 0 fielen, bedeutete das automatisch den Tod. Isfanel streckte seinen Arm weit in die Höhe, als wolle er nach seinem Flammenengel reichen. „Das ist das Ende! Ignis Aither, setze deine volle Kraft ein und benutze die drei Xyz-Materialien, die ich dir gegeben habe!“ Er schwang besagten Arm nach unten und zeugte nun mit verhärteter Miene auf Levrier. „Vernichte den 'Gründer' Levrier! Field-Of-Agony!“ Die blaue Flammenkugel, die Ignis Aither einhüllte, verschwand, als er seine Sense anhob und damit die drei Sphären absorbierte. Dann schwang er sie aus und schickte eine Welle puren Feuers in Levriers Richtung.   Dieser schüttelte den Kopf und rief: „Dieses Mal nicht! Ich aktiviere die verdeckte Falle [Hallowed Life Barrier]!“ Um ihre Kosten zu bezahlen, schickte er seine letzte Handkarte, [Gem-Knight Fusion] auf den Friedhof. „Damit wird jeder Schaden an meinen Lebenspunkten für diese Runde abgeblockt!“ Um ihn herum tauchten drei Priesterinnen in blauen Gewändern auf, die eine Art Gebet aufsagten. So errichteten sie einen Schutzschild aus weißer Energie, welcher sich wie eine Kuppel um Levrier aufbaute. Und während das gesamte Umfeld einem Flammenmeer glich, schirmte dieses Kraftfeld seinen Erzeuger vor der unerträglichen Hitze ab. Jener wusste, wie knapp er dem Tode entkommen war. Hätte er [Hallowed Life Barrier] nicht während seines letzten Zuges gezogen, wäre das Duell jetzt unwiderruflich verloren gewesen. Doch noch so einen Angriff würde er nicht abwehren können. Darauf war Anya Bauers Deck nicht ausgelegt.   Isfanel indes war so erzürnt über die fehlgeschlagene Attacke, dass er die Karten in seiner Hand unbewusst zusammendrückte „Wie es aussieht, war ich da etwas vorschnell“, meinte er ärgerlich, „angesichts deines Schutzfeldes ist es nicht weiter schade um die Tatsache, dass ich keine Battle Phase durchführen kann. Aber dennoch bin ich nicht fertig. Ich beschwöre [Laval Magma Cannoneer]!“ Vor ihm materialisierte sich ein Soldat aus blauem Gestein. Geschultert hatte er zwei große Kanonen, die mit jeweils einem Schlauch mit seinem Rückgrat verbunden waren.   Laval Magma Cannoneer [ATK/1700 DEF/200 (4)]   „Effekt von Magma Cannoneer aktivieren!“, rief Isfanel gebieterisch und zeigte zwei seiner Handkarten vor. Es waren [Laval Volcano Handmaiden] und [Laval Warrior]. „Pro Zug kann ich bis zu zwei Feuer-Monster abwerfen, um euch für jedes von ihnen 500 Punkte Schaden zuzufügen!“ Die Rohre der Kanonen begannen rot zu glühen. Levrier wollte noch etwas sagen, doch schon schoss der Kanonier zwei rote Lavakugeln auf ihn ab. Beide prallten an dem Kraftfeld wirkungslos ab. „Das war sinnlos!“, meinte Levrier aufgebracht. Isfanel wusste doch, dass er ihm diese Runde keinen Schaden zufügen konnte, wieso hatte er das also getan? Jener lachte aber nur abwertend. „Gewiss nicht. Wenn [Laval Volcano Handmaiden] auf den Friedhof geschickt wird-“ „Ich kenne den Effekt deines Monsters!“ „Gut! Dann schicke ich durch sie eine weitere Handmaiden und durch deren Effekt auch meine dritte Handmaiden auf den Friedhof. Und die wiederum schickt [Laval Lakeside Lady] auf den Friedhof, um den Kreis zu schließen.“ Vor Levrier tauchten drei schrill kichernde, junge Mädchen mit brennendem Haar auf, die kurz darauf wieder verpufften. Levrier wusste, dass Marc Butchers Deck darauf ausgelegt war, Laval-Monster auf den Friedhof zu schicken. Deshalb also hatte er diese ganzen Monster für nichts geopfert. Bloß wofür genau? „Ich wechsle Ignis Aither wieder in den Angriffsmodus und setze eine weitere Karte verdeckt. Das wäre dann alles.“ Nun lagen zwei Karten vor ihm, während die blaue Flammensphäre um seinen Feuerengel endgültig erlosch. Genau wie das Schutzfeld um Levrier, welches zusammen mit den Priesterinnen verschwand.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   Das war eine Falle! Levrier griff nach seiner Duel Disk, und- Lass mich gefälligst hier raus, du elender Dreckskerl!   Anya Bauers plötzlicher Wutausbruch kam so überraschend und mit solcher Wucht, dass Levrier sich den Kopf hielt und in die Knie ging. Die Wellen ihrer Emotionen waren so stark, dass das Elysion zu kollabieren drohte. Wie war das möglich!?   Wegen dir sehe ich jetzt aus wie frisch aus dem Vulkan geschlüpft! Was hast du meinem schönen Körper angetan, du dreckige Mistmade!? Wenn du das nicht auf der Stelle rückgängig machst, werde ich dafür sorgen, dass du die Radieschen von ganz unten wachsen siehst! Lass-mich-raus!   Stöhnend presste Levrier die Hände auf Anyas entstellten Schädel. Er war durch Isfanels Angriff zu sehr geschwächt, er konnte sie nicht länger im Elysion festhalten. Aber sie durfte nicht die Kontrolle übernehmen, der Schmerz würde sie in den Wahnsinn treiben – dann war sie nutzlos! „Tu das nicht“, ächzte er. „Wenn du jetzt zurück in dein Gefäß kehrst, wird es dich vielleicht umbringen. Sollte ich vertrieben werden, können meine Kräfte die Schmerzen nicht länger im Zaun halten!“ Mir doch egal! Erst schließt du einen beschissenen Pakt mit mir und nun machst du aus mir Chucky, die Mörderpuppe! Ich glaub' es hackt! Ganz zu schweigen von Marc! Als ob ich zulasse, dass du ihn einfach ausradierst! Mistkerl!   Levrier schrie nun richtig, denn Anya Bauers Präsenz war schmerzhafter als jede Verletzung. Nicht umsonst hatte er sie als sein Gefäß gewählt, doch dass sie sich derart gegen seine Kontrolle zur Wehr setzen konnte, war ihm nicht bewusst gewesen. „Hör auf … das ist nicht- AHH!“ Er konnte sie nicht länger zurück halten, ihre Wellen rissen seinen Geist mit sich. Er spürte, wie das Elysion in sich zusammenbrach und schrie.   Sie schrie. Vor Wut, wegen diesen entsetzlichen Schmerzen, aus Frustration. Die Scherben um sie herum waren längst verschwunden, doch Anya schrie weiter. Das Mädchen steckte wieder in ihrem Körper und bereute es zutiefst. Levrier hatte nicht übertrieben. „Ahhhh“, wimmerte sie und wollte sich an den besonders stark schmerzenden Oberarm fassen, doch als sie die verbrannte Haut berührte, fühlte es sich an wie tausend Nadelstiche. Ihre Beine waren wie Pudding, sie stolperte vorwärts und ging in die Knie.   Ich habe dich gewarnt! Nun kann ich dir nicht mehr helfen, Anya Bauer! Es wird Stunden dauern, bis ich genug Kraft habe, um deine Wunden zu heilen!   „Leck … mich“, presste sie unter ihren wunden Lippen hervor. Unter größten Anstrengungen erhob sie sich wieder, doch stand immer noch auf wackeligen Beinen. „Mir geht’s gut!“ „Oh“, kommentierte Isfanel das alles amüsiert. „Damit hätte ich nicht gerechnet. Levriers Gefäß ist tatsächlich aus seinem Gefängnis ausgebrochen. Welch wahrhaft seltenes Ereignis. Du hast meine Anerkennung sicher, Anya Bauer.“ Das Mädchen richtete ihr Augenmerk von der bereits neuentstandenen Haut an ihrem rechten Arm auf ihren Gegner. Sie kniff die blauen Augen, was so ziemlich der einzige noch unbeschädigte Teil ihres Körpers war, zu kleinen Schlitzen zusammen. „Spar' dir das Gelaber, Dämonenspacko! Mit dir hab ich auch noch ein Hühnchen zu rupfen! Verschwinde aus Marcs Körper, oder ich mach dir Beine!“ Isfanel zuckte unbedarft mit den Schultern. „Bedaure, aber das ist leider nicht möglich. Du solltest doch mittlerweile um die Bedeutung eines Paktes mit den unseren wissen.“ „Dann prügle ich dich eben aus ihm heraus!“ „Wirklich?“ Er lachte aufgesetzt. „Damit würdest du im Endeffekt nur Marc Butcher schaden.“ „Na und?“, erwiderte Anya garstig. „Muss er eben ein bisschen die Zähne zusammenbeißen, solange ich mit dir beschäftigt bin!“ Überrascht verzog Isfanel das Gesicht. „Oh? Mit so einer Antwort hätte ich nicht gerechnet. Mit dir ist wohl nicht gut Kirschen essen?“ Er lächelte plötzlich vergnügt, wodurch Marcs Grübchen hervortraten. „Wie äußerst amüsant du doch bist. Bedauerlicherweise muss ich dich dennoch vernichten.“ „Komisch“, grinste Anya in ihrer entstellten Form. „Genau das Gleiche habe ich gerade auch von dir gedacht, Laberbacke!“   Sie griff nach ihrem Deck. Zwar hatte sie keinen Plan, wie sie dieses verrückte Duell abbrechen konnte, ohne dass jemand zu Schaden kam, aber ihr würde beizeiten schon etwas einfallen. Jetzt aber musste sie erstmal ins Spiel zurückfinden, nachdem Levrier sie in diese Lage gebracht hatte. „Draw!“, krächzte sie und bekam einen Hustenanfall. Ihre Lungen brannten wie das Feuer, welches ihre Haut versengt hatte. Anya verstand zwar nicht, wieso diese sich ganz langsam neuzubilden schien, doch das war ihr nur recht – sie wollte nicht aussehen wie dieser widerliche Alastair. Wo war der eigentlich, wenn man ihn mal wirklich brauchen konnte!? Als sie ihre gezogene Karte betrachtete, runzelte sie die Stirn. Die würde gar nichts ausrichten. Also spielte sie sie verdeckt aus, woraufhin der Zauber vor ihren Füßen erschien. Dann legte sie ihre Hand auf ihr gesetztes Monster und rief: „Ich wechsele [Morphing Jar] in den Angriffsmodus! Wenn er geflippt wird, werfen wir beide unser Blatt ab und ziehen fünf neue Karten.“ Doch tatsächlich besaß keiner von ihnen auch nur eine Handkarte. Die horizontale Karte vor ihr wirbelte um und offenbarte einen grauen Tonkrug, aus dessen Inneren ein Auge und vergilbte Zähne heraus guckten.   Morphing Jar [ATK/700 DEF/600 (2)]   Beide Spieler zogen schließlich fünf Karten, ehe Anya jene musterte. Ihre neue Hand war perfekt! Sie streckte ihren Arm aus und deutete auf die Zauberkarte, die sie vor dieser Aktion gesetzt hatte. Jene sprang auf und zeigte eine Hand, aus deren Innenseite ein Lichtfaden glitt. „[Silent Doom]! Damit kann ich ein normales Monster von meinem Friedhof in Verteidigungsposition zurückrufen! Erscheine, [Gem-Knight Tourmaline]!“ Vor ihr tauchte der Ritter des Turmalins in goldener Rüstung auf und erzeugte zwischen seinen Händen einen Blitz, während er in die Knie ging. Neben ihm stemmte [Gem-Knight Crystal] die Hände in seine Hüften, als wolle er dem Neuankömmling zeigen, wer der Stärkere war.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   „Und jetzt beschwöre ich als Normalbeschwörung [Gem-Knight Amber]!“ Noch ein Krieger erschien zwischen Tourmaline und Crystal. Dieser trug eine gold-silberne Rüstung und war mit zwei Dolchen aus roten Blitzen bewaffnet. Auf seiner Brust prangerte ein wunderschöner Bernstein.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   Anya streckte den Arm in die Höhe, der Dornenkranz mit dem Kreuz darin leuchte kaum merkbar auf. Jetzt hatte sie alles, was sie brauchte, um dieses Mistvieh von einem Monster zu bezwingen. „Aus meinen Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network! Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“ Amber und Tourmaline wurden zu braunen Lichtstrahlen, die in den schwarzen Wirbel gezogen wurden, welcher sich inmitten des Spielfelds auftat. Daraus empor stieg ein schlichter Krieger in weißer Rüstung, der erhaben die Arme verschränkte und über das Feld zu Anya glitt. Dabei umkreiste ihn ein Ring aus massiven, rosafarbenen Perlen und zwei Lichtkugeln, die sein Xyz-Material darstellten.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   Mit zufriedenem Grinsen auf den Lippen griff Anya nach dem Friedhofsschacht an ihrer Duel Disk. „Das war aber noch lange nicht alles.“ Sie nahm [Gem-Knight Fusion] und [Gem-Knight Topaz] daraus hervor und steckte Letzteren in das, was mal ihre Hosentasche gewesen war. Als sie dort zusammengeknüllte Pappe ertastete, wusste sie, dass die [Particle Fusion]-Zauberkarte, welche Levrier zu Beginn des Duells verbannt hatte, dem Inferno zum Opfer gefallen war. Aber sie hatte zuhause zum Glück noch eine Ersatzkopie. „Ich verbanne einen Gem-Knight vom Friedhof und erhalte [Gem-Knight Fusion] vom Ablagestapel zurück!“, erklärte sie wütend. „Und ich aktiviere sie auch gleich. Damit verschmelze ich [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Emerald] zu einem neuen Monster! Garnet, du bist das Element! Emerald, du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte und werdet zu [Gem-Knight Citrine]!“ Edelsteine wirbelten durch die Luft, als die Abbilder ihrer beiden Monsterkarten in die Höhe stiegen und in grellem Licht zu einem weiteren Ritter verschmolzen. Dessen Unterarme waren aus purem Magma. Der Krieger schulterte ein gewaltiges Breitschwert mit einer Hand, während von seiner bräunlichen Rüstung ein blauer Umhang wehte.   Gem-Knight Citrine [ATK/2200 DEF/1950 (7)]   Unglaublich! Ich hätte nicht gedacht, dass du zu solch einem Zug imstande bist! Anscheinend muss ich meine Meinung über dich überdenken, Anya Bauer! Doch sei gewarnt, dort-   „Ja, ja, halt deinen Rand, du Nervensäge!“, fauchte das Mädchen aufgebracht. „Das ist alles nur deine Schuld! Du wolltest ja unbedingt hierher kommen!“ Und nun musste sie es ausbaden und einen Weg finden, wie sie Marc retten konnte. Von ihrem Spielfeld ausgehend war das gesamte, nähere Umfeld pechschwarz, vollkommen verbrannt. Das war Isfanels Werk. Was aber würde geschehen, wenn sie, Anya, nun angriff und Marc Schaden zufügte? Sie war nur ein Mensch und besaß keine Kräfte, zumal Levrier nahezu außer Gefecht gesetzt war. Dennoch behagte ihr nicht dabei, dass dieser Blutzoll wie ein Damoklesschwert über dem Duell stand. Konnte man in so einem Spiel überhaupt gewinnen? „Levrier“, fragte sie vorsichtig. „Gibt es eine Möglichkeit, dieses … System, oder was auch immer das ist, auszutricksen?“ Und schon bereue ich meine Worte. Hast du nicht zugehört? Es ist unmöglich. Wenn zwei Wesen wie wir es sind sich bekriegen, wird ein Vertrag zwischen ihnen geschlossen. Dieser ist bindend und kann, genau wie der Pakt zwischen uns, nicht ohne Weiteres gebrochen werden.   „Also gibt es einen Weg!“ Nein! Denn wird er gebrochen, kommen beide Parteien um! Das habe ich dir schon einmal gesagt!   Anya schnaufte unzufrieden. Das konnte doch nicht wahr sein! Irgendeine Möglichkeit musste es schließlich geben, hier heil heraus zu kommen! Levrier enthielt sie ihr vor, das musste es sein! Plötzlich sah sie zu ihrer verrußten Duel Disk. Wenn sie aufgeben würde, wäre sie doch nicht durch einen Angriff besiegt worden. Keine Verletzungen. Es erschien dem fast kahlen Mädchen nur logisch. Langsam bewegte sich ihre Hand zur Duel Disk, doch sie hielt inne. Denn sie selbst musste zugeben, dass das zu einfach war. Was, wenn sie sich irrte?   Bist du des Wahnsinns!? Aufgeben würde bedeuten, dass wir verlieren und den Blutzoll zu zahlen haben! Denkst du überhaupt nicht nach, Anya Bauer!? Natürlich tat sie das! Aber es war einfach frustrierend, ihr wollte nichts einfallen. Anya sah herüber zu Marc, der mit ausdrucksloser Miene alles beobachtete. Und plötzlich fragte sie sich, warum er nicht hämisch grinste. Hätte er nicht etwas sagen müssen, um sie in ihrem Tun zu bestätigen? Oder war dieser Isfanel so siegessicher, dass es ihm gleich war, auf welche Weise er gewann? „Tch“, ächzte sie. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte! Vier Monster kontrollierte sie, drei davon gehörten zu den stärksten, die sie zu bieten hatte. Und dennoch wusste sie nicht weiter. Angreifen würde bedeuten, Marc zu verletzen. Tu es! Denn solltest du jetzt zögern, war alles umsonst!   Anya zuckte zusammen. Solange Marc besessen war, würde er nicht zögern und sie wirklich töten. Levrier hatte recht damit, sie musste etwas unternehmen. „Ich werde seine Monster zerstören“, entschied sie schließlich mit Unbehagen in der Stimme. „So kann er uns keinen Schaden zufügen. Hoffentlich sind seine neuen Handkarten scheiße! Vielleicht gewinnen wir dadurch Zeit, bis mir etwas Besseres eingefallen ist.“ Sei nicht leichtsinnig! Denk an die-   „Okay!“, rief sie schließlich entschlossen und streckte ihren Arm aus. „Zeit, ein bisschen Leben in dieses Spiel zu bringen! [Gem-Knight Citrine], greife [Laval Magma Cannoneer] an! Incinerating Blade Slash!“ Ihr Krieger mit dem Breitschwert stürmte vor und holte mit seiner Klinge aus, um den felsigen Artilleriesoldaten zu vernichten. Doch Isfanel lachte zufrieden auf und schwang seine Hand über die verdeckten Karten aus. „Dumme Göre! Sieh, was du von deiner blinden Angriffswut hast! Du hast meine beiden permanenten [Molten Whirlwind Wall]-Fallen ausgelöst! Sie erhöhen die Angriffskraft aller Laval-Monster um die Anzahl ihrer Artgenossen auf dem Friedhof mal 100. Da dort momentan acht Stück liegen, sind das ganze 1600 Extrapunkte! Verge- WAS!“ Seine Fallen, die aufgesprungen waren, klappten wieder zu. Mit einem gezielten Hieb teilte Citrine seinen Gegner in zwei Teile, wodurch eine Explosion entstand. Isfanel schrie auf, als die darauf folgende Schockwelle ihn zurückwarf. Doch er konnte das Gleichgewicht halten.   [Anya: 50LP / Marc: 3350LP → 2850LP]   Stöhnend hielt er sich den Kopf. „Verdammt! Was- Urgh!“ „Wenn Citrine angreift, können keine Effekte oder Karten aktiviert werden!“, erklärte Anya selbstbewusst. Er sank in die Knie und hielt sich mit beiden Händen den Schädel. Wütend presste er hervor: „Ich- Ah! Ich aktiviere meine Fallen, damit du nicht auf die Idee kommst, noch einmal anzugreifen. Urgh! Ich habe nicht gewusst, dass dein Krieger beim Angriff die Aktivierung anderer Karten unterbindet!“ Flammen stiegen aus dem Boden hervor und begannen, sich entgegen dem Uhrzeigersinn um ihren Erzeuger zu drehen, immer schneller. Wie ein Tornado zog dieser Wirbel im hohen Tempo seine Kreise um Isfanel, als plötzlich ein weiterer entstand, sodass sie zusammen eine regelrechte Mauer bildeten, an der es kein Vorbeikommen gab. Nun, da neun Laval-Monster auf seinem Friedhof lagen, wurde ihr Stärkungseffekt noch größer.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 → 3600 DEF/1400 {3}]   Erschrocken starrte Anya nach oben, wo über Isfanel der flammende Engel schwebte. Seine ehemals blauen Feuerschwingen glühten, gestärkt durch die Fallen, nun in grellem, unwirklichem Silber. Das war knapp, dachte sie erschrocken. Ihr Herz trommelte wild gegen ihren Brustkorb. Hätte Citrine nicht die Fähigkeit, beim Angriff Kartenaktivierungen zu unterbinden, wäre sie jetzt bereits Geschichte!   Du musst einen Weg finden, um diese Fallen zu umgehen oder zu vernichten! Wenn dieses Wesen nächste Runde seinen Effekt aktiviert oder auch nur angreift, sind wir verloren!   „Denkst du, das weiß ich nicht!?“, schrie Anya aufgebracht. „Und wie soll ich das anstellen!?“ Die letzten beiden Karten in ihrer Hand waren die Fallenkarten [Birthright] und [Justi-Break] – nutzlos. Sie konnten den Effekt von Ignis Aither nicht unterbinden! Aber sie würde nicht so einfach aufgeben, sonst hieße sie schließlich nicht Anya Bauer! „Ich setze zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug!“, verlautete sie selbstbewusst. Ihr musste etwas einfallen, um Isfanel dazu bringen, mit Ignis Aither [Gem-Knight Crystal] anzugreifen. Dann könnte sie ihn durch ihre Falle [Justi-Break] vernichten. Aber wie sollte sie das anstellen? Zwar hatte sie schon einmal ein Schmierentheater veranstaltet, doch damals hatte sie diesem Obertrottel von Dämonenjäger Alastair gegenübergestanden. Dessen Stolz war leicht angreifbar gewesen, doch Isfanel? Wo war seine Schwachstelle? Hatte er überhaupt eine?   Als könnte er Gedanken lesen, nahm er langsam Haltung an, dabei immer noch mit einer Hand am Kopf. „Oh? Bluffen wir jetzt etwa? AH!“ Er sank zurück in die Knie und kniff die Augen zu. „Verdammter Narr! Dieser Kerl ist hartnäckig!“ Verwirrt starrte Anya ihn an. „Was ist denn mit dem los?“ Sein Gefäß versucht vermutlich, die Kontrolle zurückzugewinnen.   Und genau in diesem Moment stieß Marc einen bestialischen Schrei aus, sank nach vorn und stützte sich mit den Händen vom Boden ab. Keuchend blickte er auf. „Anya? Bist du in Ordnung?“ „Marc!?“ Er schrie wieder auf und kippte zur Seite. „Dargh! Du … musst … angreifen!“ „Was!?“ Das Mädchen verstand nicht. Unter qualvollem Ächzen griff Marc, der wie ein geprügelter Hund am Boden lag, nach seiner Duel Disk und zog eine Karte. „Ich … werde ihn aufhalten! Aber … ich kann ihn nur einen Zug lang … unterdrücken! Du musst … zuschlagen!“ Aus dem Nichts erschienen drei goldene Sphären, die um [Lavalval Master – Ignis Aither] kreisten. Marc legte [Lavalval Ignis], [Card Trooper] und [Kayenn, The Master Magma Blacksmith] unter das Xyz-Monster auf seiner Duel Disk. Anya hingegen konnte nur fassungslos zusehen.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/3600 → 3400 DEF/1400 {3}] Er war zurück und wollte ihr helfen! Wollte, dass sie das Duell gewann! Aber warum!? „Bist du bescheuert!?“, fauchte sie aufgebracht. „Wenn ich das tue, wirst du …! Dann wirst du …“ „Ich weiß! Sonst wäre ich wohl kaum zurückgekehrt!“ Unter großen Anstrengungen richtete er sich auf und kam wackelig auf die Beine. „Ich will, dass du es tust! Damit dieses Ding in mir verschwindet!“ „Huh!?“ Marc schloss die Augen. In seinen Worten schwang große Verbitterung mit sich. „Ich war ein Idiot zu glauben, dass das, was ich tue, richtig ist. Eine Marionette bin ich, nichts anderes.“ „Was redest du da!?“ „Halt den Mund und hör zu!“, fuhr Marc sie scharf an. „Keine Entschuldigung dieser Welt könnte ungeschehen machen, was ich dir bereits angetan habe! Es gibt keinen Weg, der uns beiden das Leben retten kann! Deswegen beende du es, denn ich habe es nicht besser verdient!“ Widerwillig schüttelte Anya den Kopf. „Bist du vollkommen durchgeknallt, Butcher!? Erst willst du mich und Levrier umbringen und plötzlich änderst du so mir nichts, dir nichts deine Meinung!?“ Er lachte zynisch auf. „Wäre es dir lieber, wenn ich weitermache wie bisher? Du weißt, dass ich dieses Duell mit nur einer Aktion gewinnen könnte!“   Von seinen Worten getroffen zuckte Anya zusammen. Was dachte dieser Kerl sich bloß dabei? War ihm sein Leben plötzlich so egal, dass er nicht mehr darum kämpfen wollte? Oder bedeutete sie ihm doch mehr, als es zunächst den Anschein gehabt hatte? Was ging nur in Marc vor sich!?   „Ich beende meinen Zug!“ Wütend begehrte Anya auf, verwirrt von seinen Worten. „Du Feigling! Warum rennst du davon!? Glaubst du, ich brauche deine Almosen!?“ „Und wie du die brauchst! Du bist eine ausgemachte Versagerin, Anya! Hättest du nicht Levrier und deine Freunde, würdest du gar nichts auf die Reihe kriegen!“ Er riss die Augen auf und zeigte erbarmungslos mit dem Finger auf sie. „Jemand wie du wird es nie zu etwas bringen, wenn man ihm nicht den Weg weist! Und für so jemanden will ich mich ernsthaft opfern!? Anscheinend habe ich gerade einen Fehler gemacht, als ich meinen Zug beendet habe!“   Seine Worte waren wie Stiche in ihr Herz. Also konnte sein schlechtes Gewissen doch nicht so groß sein, dass er ernsthaft sein Leben für sie geben würde. Wie naiv sie doch war, dachte Anya verbittert. Wer würde schon bereitwillig sein Leben für einen anderen aufgeben? Insbesondere für sie? „Du bist … ein Arschloch …“ „Gegen dich bin ich noch harmlos! Wenn du jetzt versagen solltest, werde ich keine Rücksicht mehr auf dich nehmen!“, donnerte er und verzog unter Schmerzen das Gesicht, da Isfanel anscheinend alles tat, um die Kontrolle zurückzugewinnen. „Du hast es wirklich verdient zu sterben! Allein schon, weil du dein Leben gar nicht zu schätzen weißt! Welcher Mensch würde bei so einer Gelegenheit denn zögern? Ich lege mich für dich auf den Präsentierteller und du redest von Almosen!?“ Er sollte endlich aufhören und die Klappe halten! „Was weißt du schon!?“ „Ich bin nicht so emotional verkrüppelt wie du, denn ich kann wenigstens so etwas wie Schuld empfinden!“   Anya wich seinem Blick aus und sah ihre verkohlte Hand an. Dann blickte sie herüber zu Marc, der ihr in seinen Qualen einen verächtlichen Blick zuwarf. Und plötzlich kristallisierte sich in all dem Chaos in ihrem Kopf ein Gedanke heraus: er war schwach. Einfach nur schwach. Anstatt sich diesem Isfanel zu widersetzen, hatte er alles getan, was jener von ihm wollte. Und nun fühlte er irgendeine heuchlerische Art von Reue, konnte es nicht zu Ende bringen. Solche Leute hasste Anya wie die Pest. Sie glaubten nicht an das, was sie taten. Wieso sollte sie also an seine Worte glauben? Er kannte sie doch gar nicht! Und hatte sie nicht eben noch um -ihn- gekämpft? Ja, aber das war -ihm- anscheinend entgangen! Plötzlich sah sie alles in einem ganz anderen Licht. Als Marc ihr von Angesicht zu Angesicht sagte, dass er nichts für sie empfand, hatte er bereits von Levrier gewusst. Es war also nicht nur ein Korb, sondern auch ein Abschied gewesen. Weil er entschieden hatte, dass er sie töten würde. Auch wenn es unheimlich schmerzte, ballte Anya eine Faust. Wie konnte er nur? Ausgerechnet er, der für sie immer der Eine, das Gute am beschissenen Alltag gewesen war? Und wie konnte sie sich in so jemanden überhaupt … verliebt … haben. „Liebe“, schnaufte sie bitter enttäuscht, „ist scheiße.“ Dass er jetzt plötzlich von seinem Vorhaben abgesehen hatte, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, hatte nichts mit Gefühlen für sie zu tun. Er tat es einzig aus Gewissensbissen. Sein Herz hing an Valerie. Und das war etwas, was sie durch kein Duell der Welt ändern konnte. Aber das bedeutete nichts mehr für sie. Marc war in jenem Moment, als er über ihr Leben entschieden hatte, für Anya unwiderruflich gestorben. Jetzt hieß es er oder sie. Und Anya verspürte nicht länger den Drang, das Unausweichliche noch weiter hinauszuzögern. Marc hatte die ganze Zeit über gewusst, worauf er sich eingelassen hatte. Nun musste er mit den Konsequenzen leben – oder sterben, was sich mit dem nächsten Zug entscheiden würde. Er hatte es ja nicht anders gewollt! „Ich bin“, sprach sie ungewohnt kühl und zog, wobei sie für eine Millisekunde einen fiesen Stich im Brustkorb spürte. Ihr Leib schmerzte so fürchterlich, dass sie am liebsten schreien wollte. Und das hatte sie nur Marc zu verdanken. Levrier hatte recht, er war ein Feind, egal, was sie vielleicht einmal für ihn empfunden hatte!   Anya Bauer, was hast du getan! Wie konntest du von deinem Deck-!?   Doch das Mädchen hörte Levrier gar nicht, bemerkte auch nicht das Glimmen, welches von ihrem Mal ausging. Wie in Zeitlupe sah sie sich ihre neue Karte an und verharrte. Dann schob sie sie wortlos in ihre Duel Disk. In Pearls Hand erschien plötzlich eine silberne Axt, auf deren Blatt ein leise glucksendes Gesicht aus Gold prangerte – die [Axe Of Fools].   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 3600 DEF/1900 {4}]   Jetzt besaß sie also ein Monster, das stark genug war, um [Lavalval Master – Ignis Aither] zu vernichten. Sie streckte den Arm aus, und sprach mechanisch: „Pearl, Funny Axe Strike.“ [Gem-Knight Pearl] flog auf seinen Feind zu, gefolgt von seinen riesigen Perlen, passierte problemlos die Feuerwirbel und schlug zweimal mit der Axt zu. Auf der Brust des schwarzen Feuerengels erschien plötzlich ein leuchtendes Kreuz, ehe dieser in einer gleißenden Explosion unterging. Jene löste eine so starke Druckwelle aus, dass Marc von den Beinen gerissen wurde und hart auf den Rücken knallte. Schwarze Partikel schimmerten dort, wo Ignis Aither eben noch gewesen war. Die Flammentornados erloschen.   [Anya: 50LP / Marc: 2850LP → 2650LP]   Beende es, Anya Bauer! Das ist unsere letzte Chance! Du darfst jetzt nicht zögern!   Doch nach wie vor hörte Anya nicht hin, sondern war uneingeschränkt auf Marc fixiert. Der verzog das Gesicht. „Nett. Aber hast du auch die Nerven, es zu einem Ende zu bringen? Oder bist du feige?“ Auf wackeligen Beinen erhob er sich wieder und winkte herausfordernd. „Bringst du es? Dann los! Andernfalls zermalme ich dich!“ Wollte er tatsächlich auf diese Weise umkommen? Was für ein Idiot! Wenn er es sich so sehr wünschte, würde sie ihm dabei helfen! „Wenn du mich so nett bittest“, rief sie kalt und streckte den Arm aus, „bekommst du, was du verdienst! [Gem-Knight Crystal] und [Gem-Knight Citrine], direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Clear Punishment und Incinerating Blade Slash!“   Anya Bauer! Hinter dir!   Während ihre Monster sich zum Angriff bereit machten, wirbelte das Mädchen irritiert um. In der Ferne bemerkte sie, wie drei Gestalten über den rußgeschwärzten Steinweg auf sie zueilten. „Anya!“, rief Abby entsetzt, während sie hinter Valerie herlief, aber immer weiter zurückfiel. „Oh Gott sei Dank, wir sind nicht zu spät! Was ist hier nur geschehen!?“ „Hat Anya einen Furz angezündet?“, fragte Nick dicht hinter Abby glucksend. „Coole Sache!“ „Joan hat uns hierher geführt! Was- Ah!“ Valerie erschrak, als Anyas [Gem-Knight Citrine] einen großen Satz nach vorn machte und Marc ins Visier nahm. Auch deren Besitzerin drehte sich überrascht zu jenem um. Plötzlich war ihre Rachlust vollkommen verflogen. Das Mädchen spürte, dass es einen großen Fehler begangen hatte. „Brich die Angriffe ab!“, schrie Valerie noch aufgewühlt. Doch dafür war es bereits zu spät. Mit aller Wucht rammte Crystal seine Faust in den Boden und ließ einen Spalt entstehen, der mit rasender Geschwindigkeit auf Marc zuschoss. Spitze Kristalle schnellten aus dem Riss hervor. Gleichzeitig erschien Citrine hinter ihm und setzte zu einem Stich an. Valerie, die als Erste bei Anya angekommen war, schlug vor Entsetzen die Hände vor ihr Gesicht. „NEIN!“ Die Kristalldornen spießten Marcs Gliedmaßen und Oberkörper auf, während die Klinge Citrines sich durch seinen Torso bohrte, wobei ein heftiger Ruck durch seinen Körper ging. Blut tropfte von seinen Lippen, die sich zu einem Lächeln formten. „Danke, Dummkopf! Nun brauch ich kein schlechtes Gewissen haben …“ Eine ohrenbetäubende Explosion folgte. Es entstand eine Schockwelle, die so gewaltig war, dass sie Anya und Valerie umwarf. Selbst Abby und Nick, die noch ein ganzes Stück vom Spielfeld entfernt waren, wurden regelrecht davon geworfen.   [Anya: 50LP / Marc: 2650LP → 0LP]   Stöhnend öffnete Anya ihre Lider. Sie lag auf dem Rücken und blinzelte. Es gab keine Stelle an ihrem verbrannten Körper, die nicht schmerzte. Ächzend richtete sie sich auf. Der Regen, welcher zuvor ausgesetzt hatte, fiel wieder in Strömen vom Himmel hinab. Dort, wo Marc eben noch gestanden hatte, klaffte nunmehr einzig ein Krater im Boden. Panisch suchte sie mit ihrem Blick die Gegend ab. Das Eingangstor des Parks hatte keinen Schaden genommen, auch das Waldgebiet um Marcs Spielfeld nicht. Doch nirgendwo war er zu entdecken.   „Was … habe ich getan?“, murmelte sie fassungslos. Er war fort. Er war … „DU!“ Mit einem Ruck wurde sie niedergerissen und spürte einen Faustschlag direkt ins Gesicht. Es brannte wie Feuer auf ihrem nackten Fleisch. „Wie konntest du!?“ Valerie hatte sich auf sie gestürzt und schlug erneut zu. „Wie konntest du das tun!? Was hat er dir getan!?“ Es folgte eine Ohrfeige. Anya konnte sich nicht gegen die Schläge wehren und selbst wenn sie noch genug Kraft übrig gehabt hätte, würde sie es nicht tun. Denn sie wusste, dass sie sie verdient hatte – als Marcs Mörderin. Dem schwarzhaarigen Mädchen auf ihr standen Tränen in den Augen. Immer wieder schlug sie auf Anya ein, die es wortlos über sich ergehen ließ. „Habe ich dafür dein Leben gerettet!? Dass du Marc kaltherzig umbringst!?“ Sie schlug abermals zu, obwohl ihre Knöchel bereits höllisch schmerzten. Unter Tränen brüllte sie: „Antworte mir!“   Plötzlich schnellte unter Valerie Redfield eine Hand vor und packte sie am Hals. „Hör auf damit! Sie ist nicht länger hier.“ Mit spielender Leichtigkeit drückte Levrier die wild gewordene Furie von sich und schleuderte sie mit einer einfachen Handbewegung zur Seite. Das Mädchen rollte über den verbrannten Boden und blieb reglos liegen. Alles, was noch blieb, war ihr Schluchzen. Auch Nick Harper und Abigail Masters waren nun zu ihnen gestoßen. Besonders Letztere war ein Bildnis des erlebten Schreckens. Blass war sie, die getönte Brille hing ihr von einem Ohr und sie spitzte erschüttert die Lippen, als sie Levrier aufhalf. „Oh Gott, Anya! Was hat dir dieser Dämon bloß angetan!?“ „Mir geht es den Umständen entsprechend gut“, erwiderte Levrier kühl, „Anya Bauer hingegen hat sich ins Elysion zurückgezogen.“ „E-Elysion? W-wovon sprichst du? Bist du etwa Levrier!?“ Er nickte knapp. „Das Elysion ist eine Zuflucht zwischen der körperlichen und der Bewusstseinsebene, welche Anya Bauer sich zunutze gemacht hat. Dort können die meinen mit den euren in Kontakt treten, selbst wenn kein Pakt geschaffen wurde.“ Levrier neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Valerie Redfield, die immer noch dort lag und sich die Seele aus dem Leib weinte. „Doch für Erklärungen ist auch später noch Zeit. Wir sollten von hier verschwinden, ehe der Täuschungszauber um den Park schwindet und man von der Zerstörung Notiz nimmt.“ Abigail Masters zuckte zusammen, als Levrier ihr dabei wieder in die grauen Augen blickte. Furcht spiegelte sich in ihnen wieder. „O-ok! Die heilige Joan hat uns von dem Zauber berichtet. Sie war es, die euren Kampf bemerkt hat.“ Ihr Blick wanderte zum Krater. „I-Ist … ist Marc wirklich … tot?“ „In der Tat.“ Sie legte betroffen die Hände auf ihre Brust. „Oh Gott, wie furchtbar! Das ist so schrecklich! Hat … Hat er euch wirklich angegriffen?“ Levrier nickte. „Auch das ist korrekt. Allerdings hat sein Gewissen ihn daran gehindert, es zu einem Ende zu bringen. Er hat Anya Bauer provoziert, ihn zu besiegen, damit er nicht mit seiner Schuld leben muss. Ich denke …“ Er schüttelte schließlich den Kopf, denn es gab Dinge, die er besser nicht aussprechen sollte. „Nein, schon gut. Wir sollten gehen! Ich muss mich darauf konzentrieren, Anya Bauers Wunden zu heilen!“ Wortlos nickte sein Gegenüber und bot sich als Stütze an. Derweil war Nick zur bereits pitschnassen Valerie gegangen und legte ihr vorsichtig eine Hand auf den Kopf, streichelte sie. Doch sie schreckte auf und schlug seine Hand davon. „Lass mich in Ruhe!“ „Wir müssen doch gehen“, meinte Nick hilflos und blinzelte verdutzt. „Mir doch egal! Geht, verschwindet, ihr alle! Ich will niemanden mehr sehen! Geht!“ Erschrocken von ihrem Ausbruch, wich Nick einen Schritt zurück und musterte das Mädchen in ihrem hellblauen Kostüm mitfühlend. Dann drehte er sich wortlos um und folgte seinen Freunden, half Abby dabei, Anya zu stützen.   Valerie hingegen starrte in den grauen Himmel. Die Tränen auf ihrem Gesicht hatten sich mit den Regentropfen vermischt. Sie fror und fühlte innerlich leer, stand neben sich und kam sich dennoch gleichzeitig wie eine Tote vor. Sie hatte ihren Verlobten verloren … durch Anyas Hand. Ausgerechnet durch sie! Obwohl sie immer von sich behauptet hatte, selbst etwas für Marc zu empfinden! Wie hatte sie das nur tun können!? Wie hatte sie sich nur auf dieses Duell einlassen können!? Völlig gleich, ob ein Dämon im Spiel war, oder nicht, das würde sie ihr nie verzeihen können! Anya war eine Mörderin! Sie schlang ihre Arme um den Oberkörper, ließ den Kopf hängen und weinte stille, bittere Tränen. Valerie, höre mich. Womöglich bin ich imstande, dir Trost zu schenken.   „Joan?“ Erschrocken sah das Mädchen wieder auf. Unter all den grauen Wolken trat der Mond hervor. Sein helles Licht spendete ihr jedoch keinen Trost. Wie wollte die Heilige Johanna das können?   Du musst einen ganz bestimmten Ort aufsuchen. Dort wirst du finden, was du am meisten begehrst ...   Und als Jeanne D'Arc ihre Ausführungen beendet hatte, erhob Valerie sich mit gefestigter Miene, drehte sich um und verließ den Park durch das Haupttor. Mit einem Entschluss, von dem sie niemals gedacht hatte, dass sie ihn jemals treffen würde …     Turn 15 – Aftermath Nach Marcs Tod ist Anya vollkommen verändert. Sie geht ihren Freunden aus dem Weg, spricht mit niemandem und ist feindseliger denn je. Abby, die das alles mit großer Sorge beobachtet, will ihrer Freundin beistehen, so wie Anya ihr zuvor beigestanden hatte. Um deren Herz zu öffnen, provoziert sie sie solange, bis Anya einem Duell zustimmt. Doch die missversteht Abbys guten Willen als weiteren Versuch, ihr das Leben zu nehmen und nutzt unbewusst Levriers Kräfte, um Abby zu verletzten. Die wird vor eine schwere Wahl gestellt … Kapitel 15: Turn 15 - Aftermath ------------------------------- Turn 15 – Aftermath     Seufzend legte Abby ihr Kinn auf den Handrücken, wobei sie ihren Kugelschreiber fest umklammert hielt. Ihr Blick hing an Mr. Stantler, der über die Nachwirkungen des Versailler Vertrags philosophierte. Doch wie so oft in letzter Zeit, konnte sie sich einfach nicht konzentrieren. Nervös rutschte sie von einer Pobacke auf die andere. Zum ersten Mal bereute sie es, sich eine Bank in der ersten Reihe ausgesucht zu haben. Sie drehte ihren Kopf nach links über die Schulter und beobachtete Nick auf seinem Fenstersitz dabei, wie er seelenruhig schlief. Ihn schien Marcs schrecklicher Tod nicht weiter berührt zu haben, zumindest ließ er es sich nicht anmerken. Man könnte zwar darüber streiten, was das über den lang gewachsenen jungen Mann aussagte, doch im Grunde beneidete Abby ihn für seine Unbekümmertheit. Sie stöhnte leise auf.   Über eine Woche war vergangen, seit der Kampf zwischen Levrier und Isfanel ein blutiges Ende gefunden hatte. Nun war es Mitte Oktober, das Wetter kühl und grau und alle Welt kannte nur noch das eine Thema. Den Brand im Park. Und die damit automatisch verbundene Suche nach dem Brandstifter. Abby musste im Gedanken auflachen. Man suchte nach einem Brandstifter, obwohl keiner der Bewohner das Feuer durch Isfanels Verhüllungszauber gesehen hatte. Anscheinend gaben sich die Behörden und Medien alle Mühe, sämtliche merkwürdigen Vorfälle rund um Livington als Unfälle und Straftaten darzustellen. Dabei hieß es längst schon hinter vorgehaltener Hand, dass es in der Stadt spukte. Die ersten Leute waren schon im Begriff, ihre Häuser und Grundstücke zum Verkauf anzubieten. Abby konnte es ihnen nicht verdenken. Auch ihre Stiefeltern waren besorgt, obschon sie bisher keine derartigen Pläne schmiedeten. Wie lange das jedoch noch so bleiben würde, wusste das Mädchen nicht. Sie konnte Anya doch nicht im Stich lassen!   Ihr Blick ging weiter über die Fensterreihe hin zur letzten Bank, wo Anya mit versteinerter Miene saß und mit ihrem Bleistift im gleichmäßigen Takt aufs Papier schlug. Obwohl sie es sich nicht anmerken ließ, musste sie die Sache am schwersten getroffen haben. Der Bürgermeister, Mr. Redfield, hatte verlauten lassen, dass Marc Butcher ein Opfer des Brandes gewesen sei. Abby war sich sicher, dass Valerie dabei ihre Finger im Spiel hatte, um die wahren Geschehnisse zu vertuschen. Jene war seit diesem Tag auch nicht mehr gesehen worden. Die offizielle Begründung war ein schwerer Schockzustand, gekoppelt mit einer Rauchvergiftung, da Valerie seither behauptete, mit Marc zum Zeitpunkt des Brandes im Park unterwegs gewesen zu sein. Aber wer wusste schon, wie es ihr jetzt wirklich ging?   Abby seufzte. Es war einfach nur schrecklich. Marcs Tod hatte dafür gesorgt, dass alles auseinander brach. Valerie hatte sich ganz offensichtlich von allen abgekapselt und Anya tat seither genau dasselbe, sprach kein Wort mehr mit jemandem, wenn es nicht unbedingt nötig war. Dabei war es wirklich erstaunlich, wie schnell sie sich von ihren Wunden erholt hatte. In jener Nacht hatten Abby und Nick Levrier ins Haus der Familie Harper gebracht, wo er bis zum nächsten Morgen geschlafen hatte. Und als sie das Gästezimmer an besagtem Morgen betreten hatten, war Anyas Körper samt Haare vollkommen restauriert gewesen. So, als wäre nie etwas geschehen. Der einzige Unterschied zu vorher war, dass Levrier vorübergehend Anyas Körper kontrollierte, da jene sich bis auf Weiteres in ihre innere Zuflucht, das Elysion, zurückgezogen hatte. Ganze drei Tage hatte dieser Zustand angehalten. Das erinnerte Abby an Matts Worte, als die beiden sich das erste Mal begegnet waren. Sofort keimte in ihr ein schlechtes Gewissen auf, hatte sie Anya schließlich nie davon erzählt.   Abby lag auf den Knien und starrte flehend zu Matt auf, welcher sein Gesicht hinter einer Maske aus weißem Porzellan verborgen hielt. Unter den Arm geklemmt trug er Abbys kleinen Stiefbruder Michael, dessen Glieder schlapp herab hingen, war das Kind schließlich bewusstlos. Die Drei befanden sich im großen Gemeinschaftsraum der Familie Masters, in dem es neben einem niedrigen Tisch nur Sitzkissen gab, die wild verteilt im Raum lagen. „Ich würde mich nie gegen Anya stellen!“, begehrte Abby auf. „Es muss doch einen anderen Weg geben, die Menschenleben zu retten, die für 'Eden' geopfert werden müssen!“ „Verdammt, es gibt keinen! Denkst du, ich würde mir sonst die Mühe machen und mich mit dir abgeben? Denkst du nicht, dass ich eher Anya angreifen würde, wenn ich die Wahl dazu hätte?“ Sein freier Arm zitterte, doch er hob ihn an und ballte eine Faust. „Manche Dinge sind unausweichlich! Und ohne dich schaffen wir es nicht!“ Abby schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich kann das alles nicht glauben! Dass Anya … dass sie durch den Pakt … unsterblich geworden ist …“ „Es ist aber so!“ Matt schwang seinen Arm aufgebracht aus. „Hast du etwa noch nicht bemerkt, dass ihre Wunden binnen weniger Stunden komplett verheilen!?“ „S-schon, die Platzwunde, die sie vor einiger Zeit aus Victim's Sanctuary davongetragen hatte, war am nächsten Tag verschwunden, aber-“ „Sei nicht so blind! Der Dämon hat einen Großteil seiner Kräfte auf Anya übertragen, um sie so vor möglichst vielen Gefahrenquellen zu schützen! Abgesehen von anderen Dämonen kann ihr niemand auf lange Sicht auch nur ein Haar krümmen!“ Er schnaubte. „Niemand außer dir.“ „Aber warum ich!?“ Der in einem schwarzen Mantel gekleidete, junge Mann schüttelte den Kopf. „Wenn sie freiwillig ihr Leben aufgeben würde, dann … kann selbst die mächtigste Dämonenmagie ihren Tod nicht verhindern.“ Er stampfte auf. „Und deswegen brauchen wir dich! Du musst sie dazu bringen! Wir sind ihre Feinde, aber du bist vielleicht imstande, ihr die Situation klar zu machen!“ Auf wackeligen Beinen stand das Mädchen auf und hielt sich die Hände auf die Brust. „Nein! Das kannst du nicht von mir verlangen!“ „Du hast bis morgen Abend Zeit, es dir zu überlegen. Triff mich auf dem Schrottplatz, dann werden wir sehen, was aus dir und ihm hier wird.“ Er nickte zu dem Jungen, den er unter dem Arm geklemmt festhielt. Dabei griff er mit seiner anderen Hand in die Manteltasche und zückte eine weiße Karte hervor, auf der in goldener Farbe ein sechskantiger Stern abgebildet war. „Es tut mir leid, dass das sein muss …“ Ein grelles Licht ging von der Karte aus.   Anya war unsterblich, damit niemand 'Eden' aufhalten konnte, dachte Abby betrübt. Nun, da sie wusste, dass sie eine Sirene war – ein Wesen mit starken, magischen Kräften – könnte sie Matts Vorhaben sogar jederzeit direkt ausführen. Sie hatte die Macht, gegen Dämonen wie Levrier zu kämpfen. Es war pure Ironie. Auch Matt wusste darum. Würde er also wiederkommen, um sie zu erpressen? Abby seufzte. Sie hatte mittlerweile so große Angst um ihre Familie, dass sie nachts kaum ein Auge zu tat und immer wieder durch das Haus schlich, um zu sehen, ob Matt oder der andere Dämonenjäger, Alastair, in der Nähe waren.   Es klingelte. Die Schüler standen auf und packten ihre Hefte und Bücher in den Rucksack. Abby beobachtete, wie Anya als Erste das Klassenzimmer verließ. Sie wusste genau, wohin das Mädchen gehen würde – aufs Dach. Das war zwar verboten, aber Anya wäre nicht Anya, wenn sie das jemals interessiert hätte. Es war ihre Zuflucht, wann immer etwas sie so sehr beschäftigte, dass selbst ihr sonst so hervorragend funktionierender Verdrängungsapparat das Problem nicht beseitigen konnte.   „So kann es nicht weitergehen“, meinte jemand hinter Abby. Die drehte sich um und sah erstaunt auf, als der einen Kopf größere Nick mit besorgtem Blick zur Tür starrte, aus der Anya regelrecht geflüchtet war. Als sie sich in die Augen sahen, verzog Nick grinsend das Gesicht. „Ich will meinen Anya-Muffin zurück!“ „A-Anya-Muffin?“ „Hehe, jap. Willst du wissen, wieso ich ihr diesen Spitznamen gegeben habe?“ „… nein“, entgegnete Abby ihm trocken. Dann stöhnte sie. „Aber du hast schon recht. Wir sollten nicht länger zusehen, wie sie alles in sich hineinfrisst. Bestimmt gibt sie sich die Schuld für alles.“ „Garantiert.“ „Huh?“ „Garantiert willst du es wissen, mein ich“, gluckste Nick und Abby wunderte sich immer mehr, was denn mit dem Kerl los war, dass seine Tonlage dauernd schwankte. „Also-“ Sie hielt ihm die Hand vors Gesicht, etwas, was sie sich von Valerie abgeschaut hatte, als diese Anya damals auf dem Schulhof Einhalt geboten hatte. „Kein Bedarf, Nick! Komm lieber mit! Aber rede nur, wenn ich es dir ausdrücklich erlaube! Am besten sag nur 'ja', wenn ich das Wort an dich richte.“ Er blinzelte verdutzt. Dann grinste er. „Ja.“ „Prima! Dann los, wir werden Anya beistehen, ob sie es will, oder nicht!“ Denn Abby wusste bereits genau, wie die erste Reaktion ihrer Freundin aussehen würde …   ~-~-~   Mit besorgter Mimik trat Abby, dicht gefolgt von Nick, aus der Tür des Treppenhäuschens auf dem Dach heraus und schritt über den Beton, dabei nach Anya suchend. Vom mehrere Stockwerke hohen Backsteingebäude hatte man einen guten Überblick über den Campus, der wie ein Kreis mit der Rasenfläche im Inneren gehaltenen wurde. Direkt vor sich sah sie die beiden Sporthallen und das dahinter liegende Footballfeld, als sie sich umdrehte, das etwas kleinere, weiße Gebäude der Unterstufe. Und Anya, die am Rande des Daches saß und die Füße in die Tiefe baumeln ließ. Dabei hatte sie ihr Kinn auf die Faust gelegt, während sie sich mit dem Ellbogen auf dem Oberschenkel abstützte. Sie schien Livington zu beobachten, das hohe, ovale Einkaufszentrum in der Stadtmitte, die anderen kleinen Geschäfte rings herum und die Wohnsiedlungen am Stadtrand. Vorsichtig bewegten sich Abby und Nick auf das Mädchen zu. „Verschwindet“, zischte jenes gereizt, ohne sich überhaupt umzudrehen. „Wir sind hier-“ „Red' ich etwa Chinesisch, Masters?“ Anya drehte den Kopf in einer derart schnellen Bewegung, dass man beinahe glauben konnte, ihr Genick dabei knacken zu hören. „Verzieht euch! Ich hab keinen Bock auf euer Freundschaftsgeschwafel! Mir geht es gut, 'kay? Ich will nur etwas allein sein, das ist alles!“ Abby trat einen Schritt vor und breitete die Arme aus. „Wir sehen das aber anders, stimmt's Nick?“ „Ja“, gab der mechanisch von sich und kicherte dann über seinen gehorsamen Tonfall. Abby funkelte ihn daraufhin böse an und wandte sich wieder an Anya. „Seit Tagen geht das nun so! Dir wird es bestimmt nicht besser gehen, wenn du nur alleine vor dich hin grübelst! Sprich mit uns über Marc, dann-“ Mit einem Ruck war Anya auf den Beinen und drehte sich um. Sie hatte ihre Fäuste geballt und strafte ihre Freundin mit einem Blick, den so mancher gar nicht überlebt hätte. „Hast du was an den Ohren, Masters? Ich-will-nicht-reden!“ „Nick, sag doch was!“, wandte sich das Mädchen verzweifelt an den hochgewachsenen Kerl, dessen dunkelblondes Haar wie gewohnt ungekämmt vor sich hin wucherte. „Ja.“ „Was Konstruktives!“ „Ja!“ Abby seufzte schwer, denn Nicks Idiotie war einfach nicht mehr zu überbieten. Anya verschränkte ungeduldig die Arme und schien darauf zu warten, dass sie beide entweder explodierten oder zumindest das Weite suchten. „Ich zähle bis drei, dann seid ihr von hier verschwunden, oder ich helfe nach! Und ihr wisst genau, was hierfür die schnellste Lösung ist, also nehmt die Beine in die Hand, bevor ich es tue!“ Doch vehement schüttelte das Hippiemädchen den Kopf. „Nichts da, Anya! Ich werde nicht eher gehen, bis wir das geklärt haben!“ „Und was dann?“, fragte die Blondine schneidend. „Tanzen wir zusammen im Kreis?“ „Nein! Aber dann wird alles wenigstens ein Ende haben!“   Unerwartet zog Anya eine Augenbraue an, während sich ihre zornigen Gesichtszüge lösten. „Was meinst du damit?“, fragte sie tonlos. „Was ich gesagt habe! Und wenn du es so nicht willst, dann können wir genauso gut durch ein Duell die Sache endgültig klären! Auch wenn danach nichts mehr von deinem falschen Stolz übrig sein wird!“ Abby hatte sich so in Rage geredet, dass es ihr gleich war, wie dämlich die Idee mit dem Duell war. Aber wenn Anya sich dadurch abreagieren konnte, war das einen Versuch wert. Plötzlich lachte Anya auf, es klang hohl und verbittert. „Ach so ist das also. Jetzt kapiere ich es! Deswegen bist du also hier rauf gekommen! Hätte ich mir ja denken können!“ Verwirrt erwiderte ihr Gegenüber: „Wie meinst du das?“ „War doch klar, dass du auch irgendwann so werden würdest! Hat die Gehirnwäsche dieses Dämonenjägers also endlich Erfolg gehabt, ja!?“, brauste das Mädchen auf. „Musste ja so kommen! Ich habe schließlich Marc gekillt, ich werde zu Eden, ich bin gefährlich! Bla bla bla!“ Erschrocken von ihrem Ausbruch, wich Abby zurück und schüttelte den Kopf. „Nein Anya, du verstehst da was falsch! Ich wollte wegen deinen Schuldgefühlen-“ „Schuldgefühle? Pah!“ Anya verzog ihr Gesicht zu einer boshaft grinsenden Grimasse. „Du irrst dich, Schwester! Ich habe keine Schuldgefühle wegen dem, was mit Marc geschehen ist! Er hat mich zuerst angegriffen und egal wer er auch sein mag, jemand der mich umnieten will, hat kein anderes Schicksal verdient!“ „Anya!“, empörte sich Abby fassungslos. „Hörst du überhaupt, was da aus deinem Mund kommt!?“ „Jedes Wort, Masters! Und dass du jetzt hier bist, um mich kalt zu machen, überrascht mich auch nicht wirklich! Ist ja jetzt der neue Volkssport, Anya umzubringen! Wer es als Erster schafft, bekommt einen Gutschein für Wendy's!“ Die Augen des Mädchens verengten sich zu Schlitzen, als sie in die Hocke ging und nach ihrem Rucksack griff, der am Rande des Daches lag. Dabei blieb sie aber auf Abby fixiert, die alles sprachlos mit ansah. „Aber nicht mit mir, Masters. Meinetwegen könnt ihr euch schon mal anstellen, ich werde jeden von euch eigenhändig ins Jenseits befördern!“ Während sie das sagte, holte sie ihre Duel Disk hervor und legte sie an, ehe sie sich wieder erhob und mit ausgestrecktem Arm zu sich winkte. „Komm nur, Masters. Wenn du meinst, du bist mir gewachsen, dann versuch doch mal dein Glück. Kannst ja deine Sirenenpower benutzen!“   Allerdings war Abby wie erstarrt. Anscheinend hatte Anya sich im Verlauf der letzten Tage irgendetwas eingeredet, sodass sie nun dachte, die ganze Welt wäre ihr Feind. Natürlich musste es ihr so erscheinen, als habe sich alles gegen sie verschworen! Erst Levrier, dann Alastair, Matt, die Patienten von Victim's Sanctuary und nicht zuletzt sogar Marc, auch wenn er nur durch Isfanel manipuliert worden war. Aber das hier war einfach nur ein Missverständnis! Abby wollte schon etwas sagen, als sie Nicks Hand auf ihrer Schulter spürte. Als sie zu ihm aufsah, schüttelte er mit einer wissenden Mimik den Kopf. „Der Anya-Muffin wird nicht zuhören, solange sie im Angriffsmodus ist. Zeige ihr, dass du es ernst meinst und duelliere dich mit ihr.“ Plötzlich grinste er verstohlen. „Und frag sie am besten gleich noch, ob sie mir ein paar ihrer Sprüche aufschreibt!“ Das brünette Mädchen ließ den Kopf hängen. Nick hatte natürlich recht, denn in ihrer derzeitigen emotionalen Lage würde Anya nicht auf ihre Versuche der Schlichtung anspringen. Jedes weitere Wort würde vermutlich nur Öl ins Feuer schütten, Anya nur in ihrer Wut bestärken. Aber war ein Duell die Lösung? Es würde doch nur auf sie so wirken, als wolle Abby ihr wirklich weh tun.   „Was ist, Masters?“, fragte Anya höhnisch. „Hast du Schiss bekommen? Wenn du es 'ernst meinst', dann komm und hol' mich doch, ich bin hier praktisch auf dem Servierteller!“ Verzweifelt schüttelte ihr Gegenüber den Kopf. „Nein! Du verstehst alles falsch! Ich will das nicht-!“ „Mir egal, was du willst! Kämpfe oder verschwinde! Ich brauche weder dich noch sonstwen, 'kay? Wenn du mir'n Messer in den Rücken stechen willst, dann nur zu! Aber dann musst du das Echo vertragen, du feiges Miststück!“ Abby zuckte zusammen. Die Beleidigung ihrer Freundin hatte sie schwer getroffen. Tränen standen ihr in den Augen, die man aufgrund ihrer getönten Brille zum Glück nicht sah. Dass Anya sich nicht sofort helfen lassen würde, war ihr klar gewesen. Aber dass es so schlimm ist, hatte Abby nicht erwartet. Am liebsten würde sie wirklich gehen, bloß wäre sie dann nicht eine schlechte Freundin? Anya hatte auch alles getan, um sie vor einer großen Dummheit zu bewahren. Sie war es ihr einfach schuldig! Das Missverständnis musste aus dem Weg geräumt werden und vielleicht hatte Nick sogar recht. Wenn sie das Duell gewann, Anya aber nicht dabei verletzte, konnte sie sie vielleicht von ihrem Irrtum überzeugen. „Okay, ich mach's“, meinte Abby zögerlich. Sie legte ihre breite Tasche aus zusammengenähter Pappe von diversen Verpackungen ab, welche sie die ganze Zeit bei sich getragen hatte. Daraus holte sie unter all den Büchern eine Action Figur heraus, einen jungen Mann mit spitzen Haaren, die in ganze drei Farben getaucht waren. Von seinem Arm nahm sie die kleine Battle City-Duel Disk ab, die binnen eines Lidschlags die Größe des Originals erreicht hatte. „Abgefahren!“, staunte Nick dabei. „So was will ich auch, eine Schrumpf-Duel Disk!“ „Idiot!“, zischte Anya sauer, auch wenn sie einen Moment lang ebenfalls danach den Anschein erweckt hatte, als habe Abbys Zaubertrick sie beeindruckt. „Das ist doch nur ein Kunststück von ihr, sie ist schließlich 'ne beschissene Sirene! Fiktion zu Realität und so'n Bullshit! Aber das juckt mich nicht.“ Seufzend legte Abby sich den Apparat an und schob ihr Deck, welches sie ebenfalls aus der Tasche geholt hatte, in den dazugehörigen Schacht. Eigentlich hatte sie sich diese Vorführung aufheben wollen, um Anya aufzuheitern. Wäre sie gerade nicht so engstirnig, hätte sie das bestimmt cool gefunden. Doch so … Im Endeffekt war es auch egal. Jetzt musste sie erstmal zusehen, wie sie diese Furie bändigen konnte, ohne dabei sich oder jene vom Dach zu stürzen.   „Ich bin bereit“, meinte Abby schließlich resignierend. Wie eine Katze schlich Anya dabei um die beiden und stellte sich schließlich nahe an den Rand des Daches. „Was soll das!?“, fragte ihre Freundin daraufhin verwirrt. „Macht es nur interessanter und leichter für dich!“, meinte Anya tollkühn. „Kannst ja versuchen, mich mit deinen Superkräften runter zu werfen! Sofern du nicht als Erste mit dem Kopf im Boden steckst natürlich!“ Abby jedoch weigerte sich. „Bei so etwas mache ich nicht mit!“ „Feigling! Hast du etwa Schiss, dich könnten ein paar Hologramme umwerfen?“ Anya zuckte provozierend mit den Schultern. „Wie erbärmlich! Und du willst 'ne Attentäterin der 'Guten' sein? Das ich nicht lache …“ Nicht vor den Hologrammen hatte sie Angst, dachte Abby besorgt. Sondern vor dem, was Anya durch sie versuchen würde. Dass sie dabei gar nicht auf etwaige Attacken ihrer Monster angewiesen war, wusste Anya hoffentlich nicht. Die Hologramme dienten lediglich wie Auslöser für die Kräfte, die Levrier ihr vermacht hatte. Abby betete dafür, dass jener Anya bisher noch nicht in ihrem Umgang unterwiesen hatte. Andernfalls sah es schlecht für sie aus.   Widerwillig schritt Abby zum anderen Ende des Daches. Eine andere Wahl hatte sie nicht, außer, sie würde das Ganze abbrechen und wieder gehen. Aber welche Folgen das hätte, wollte sie sich gar nicht ausmalen. Das Mädchen wusste, dass sie extrem vorsichtig sein musste, um nicht zu Schaden zu kommen. „Brav, Masters“, raunte Anya böswillig. „In dir steckt ja doch etwas Mumm, hätt' ich gar nicht gedacht. Den wirst du auch dringend benötigen, schließlich legst du dich mit mir an! Ich werde jeden von euch überleben, da kannst du Gift drauf nehmen!“ „Besser nicht“, meinte Nick von der Seite her glucksend, wobei er an dem Treppenhäuschen angelehnt stand, „dann wäre sie ja tot.“ „Blitzmerker“, zischte Anya verächtlich und streckte ihren Arm mit der Duel Disk aus. „Na dann, können wir endlich anfangen!?“ Abby nickte knapp, dann rief ihre Freundin laut: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Abby: 4000LP] „Ich mache den ersten Zug!“, polterte Anya und zog gleich sechs Karten, ehe Abby etwas einwenden konnte. Sie beäugte nachdenklich ihr Blatt, ehe sie sich zwei Karten daraus griff. Die erste legte sie verdeckt in horizontaler Lage auf ihre Monsterkartenzone, die andere schob sie darunter in den Schlitz für die Zauber- und Fallenkarten. „Diese beiden hier, mehr nicht!“ In vergrößerter Form tauchten ihre gesetzten Karten vor ihren Füßen auf.   Abby schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals herunter und zog nun ihrerseits. Sie sollte das lieber schnell beenden, war dabei ihr Gedanke. „Okay, ich beschwöre [Naturia Pumpkin]! Und da du ein Monster kontrollierst, darf ich durch seinen Effekt noch ein Naturia-Monster von meiner Hand beschwören! So zum Beispiel [Naturia Vein]!“ Zwei Monster erschienen auf ihrer Spielfeldseite. Eines von ihnen war ein grüner Kürbis auf Beinen, der ein zufriedenes Gesicht auf seinem runden Körper machte. Das andere hingegen war ein kleines, tanzendes Blatt, welches seine winzigen Arme in die Höhe streckte.   Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)] Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]   „Wusst' ich's doch“, brummte Anya unberührt. Abby streckte den Arm gen Himmel, wodurch das kleine Blatt und der Kürbis in die Höhe aufzusteigen begannen. „[Naturia Vein] ist ein Empfänger-Monster, deswegen stimme ich es jetzt auf [Naturia Pumpkin] ab! Oh great god of the west! Rule this land with your penetrating gaze and justice! Synchro Summon! Roar proudly, [Naturia Beast]!“ Es gab einen grellen Lichtblitz, als sich das Blatt in einen grünen Ring verwandelte, durch das der Kürbis flog. Mit einem gefährlichen Brüllen sprang ein weiß-grüner Tiger mit Beinen aus Holz hinter Abby hervor und ging stolz in die Hocke. Sein freundlicher Blick täuschte dabei durchaus über die Gefahr hinweg, die von ihm ausging.   Naturia Beast [ATK/2200 DEF/1700 (5)]   Abby biss die Zähne zusammen. Sie musste das hier schnell beenden, damit Anya sich beruhigen konnte. Also streckte sie kämpferisch den Arm aus. „[Naturia Beast], zerstöre ihr verdecktes Monster!“ Der Tiger sprintete auf die gesetzte Karte zu, aus welcher ein Ritter in saphirblauer Rüstung erschien. Zwar schuf dieser eine Barriere aus gefrierendem Wasser, doch die Pranke seines Kontrahenten war stärker und zerschlug das Eis, riss den Krieger entzwei.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   Anya wich dabei glatt einen Schritt zurück und hielt sich die Arme vors Gesicht, so als erwarte sie, gleich angefallen zu werden. Was jedoch nicht eintrat. „So viel dazu“, murrte Anya, als sie die Gefahr vorüber glaubte. In ihren blauen Augen funkelte pure Feindseligkeit, die Abby regelrecht beängstigend fand. „Ich beende meinen Zug“, kündigte diese schließlich an. „Anya, bitte-“ „Halt die Klappe!“   Schwungvoll zog die Blondine. Anhand ihres grimmigen Gesichtsausdruckes hätte man meinen können, dass sie eine richtige Rockerbraut war, trug sie schließlich eine schwarze Lederjacke über ihrem gleichfarbigen Totenkopf-Shirt. Und in ihr brodelte es wie in einem Vulkan. Nie glaubte Anya, so viel Zorn verspürt zu haben. Warum meinte die ganze Welt plötzlich ihr Feind sein zu müssen? Das war alles nur Levriers Schuld! Hätte sie doch nur nie diesen Pakt geschlossen! Sie fixierte sich auf Abby. Die hatte es auch nicht anders gewollt. Wer nicht hören will, muss eben fühlen und wer Anya kannte wusste, dass damit nur Schmerzen gemeint sein konnten. Und genau das wollte sie Abby zufügen, Schmerzen! Der Blick der Blondine fiel auf ihr Blatt. Unter anderem befand sich dort [Gem-Knight Fusion], doch Anya wusste, dass [Naturia Beast] jede Zauberkarte spielend leicht außer Gefecht zu setzen vermochte. Allerdings hatte sie von Anfang an damit gerechnet, dass ihre Gegnerin ohne Umschweife sofort die großen Geschütze auffahren würde. Wie gut, dass sie das alles mit eingeplant hatte. „Verdeckte Falle aktivieren!“, rief sie entschlossen und schwang mit ihrem Arm über die gemeinte Karte, wodurch diese aufsprang. „[Birthright]! Sie reanimiert eines meiner normalen Monster vom Friedhof in Angriffsposition! Kehre zurück, Sapphire!“ Aus dem Boden entstieg vor ihr der Ritter des Saphirs, welcher symbolisch auf seinem Brustpanzer eingelassen war.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]   „Von meiner Hand beschwöre ich nun [Gem-Knight Iolite]!“, rief Anya daraufhin und knallte das Monster auf ihre mittlerweile über 20 Jahre alte Battle City-Duel Disk, welche immer noch tadellos funktionierte. Ein weiterer Ritter in hellblauer Rüstung tauchte vor Anya auf, doch anders als Sapphire, führte er eine Waffe mit sich. Es war eine abgerundete Klinge aus purem Wasser, ähnlich einem Säbel.   Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]   Anya streckte ihren Arm in die Höhe, dabei Abby nicht aus den Augen lassend, an deren nervösem Blick sie bereits ablesen konnte, dass jene wusste, was nun geschehen würde. „Meine beiden Stufe 4-Monster werden zu einem Rang 4-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network! Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“ Ein schwarzer Wirbel öffnete sich mitten im Spielfeld und sog die braunen Lebensessenzen der Ritter in sich auf, bevor aus ihm ein neuer Krieger erschien. In schlichter, weißer Rüstung gekleidet, stieg dieser majestätisch mit verschränkten Armen in die Höhe, gefolgt von einer Schar riesiger, rosafarbener Perlen.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   Mit dem Zeigefinger deutete Anya auf den Tiger ihrer Gegnerin, der auf allen Vieren bereits den Angriff erwartete. „Blessed Spheres of Purity!“ Pearl schoss seine Perlen auf den Tiger ab, der einer nach der anderen geschickt auswich, sich dabei in Abbys Richtung zurückzog. Doch er ahnte nicht, dass die Kugeln über das Dach der Schule hinausflogen und in der Luft stehen blieben, ehe sie wie ein Bumerang zurückkamen und Abbys gesamtes Spielfeld in Explosionen tauchten. Diese schrie auf, während gleichzeitig das Mal an Anyas Arm bräunlich leuchtete.   [Anya: 4000LP / Abby: 4000LP → 3600LP] „Lass dir das eine Lehre sein, dich mit mir anzulegen“, meinte Anya kaltherzig, während der Rauch sich verzog. Abby lag auf den Knien und sah ziemlich mitgenommen aus, ihr beigefarbenes Kleid an einigen Stellen verdreckt und zerfetzt. Vollkommen getroffen von Anyas realem Angriff, sagte sie kein Wort und starrte ihre Freundin nur fassungslos an. Die zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern führte ihren Zug fort. „Da ich jetzt wieder Zauberkarten aktivieren kann, spiele ich [Gem-Knight Fusion]!“ Über ihr erschien ein Wirbel aus den verschiedensten Edelsteinen, welcher zwei Krieger in jeweils rostbrauner und grüner Rüstung in sich zog. „Ich verschmelze damit [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Emerald]! Garnet, du bist das Herz! Emerald, du die Rüstung! Erscheine, [Gem-Knight Ruby]!“ Aus dem Sog schoss ein Ritter mit blauem, wehendem Umhang, welcher sich vor Anya stellte und stolz seine Lanze schwang.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Anya steckte eine Fallenkarte in den dazugehörigen Schlitz unter Ruby. „Diese hier verdeckt! Damit beende ich meinen Zug!“ Gleichzeitig hielt Abby sich den linken Arm, welcher von Pearls Angriff leicht verletzt worden war und erhob sich. Noch immer war sie ein Bildnis der Fassungslosigkeit, doch schließlich schluckte sie ihren inneren wie äußeren Schmerz hinunter und zog. Sie redete sich ein, dass Anya all das nur tat, weil sie insgeheim Angst hatte. Angst davor zu sterben. Abby wusste, dass sie ihre Freundin nur davon überzeugen konnte, dass von ihr keine Gefahr ausging, wenn sie alles erduldete, was Anya ihr entgegen brachte. Auch wenn sie sich also in ihrer Sirenenform vor den Angriffen ihrer Freundin besser schützen konnte, durfte sie sich nicht verwandeln, um keinen falschen Eindruck zu erwecken. Zwar bedeutete das, dass sie mit weiteren Verletzungen oder gar Schlimmerem rechnen musste, aber eine andere Wahl hatte sie nicht.   „Okay“, meinte sie zögerlich und versuchte dabei, die Taffe zu mimen und lächelte verloren. „Mein Zug!“ Als sie ihre gezogene Karte ansah, strahlte sie vor Freude, was Anya mit einer abweisenden Grimasse quittierte. Vermutlich dachte sie, dass Abby einen Weg gefunden hatte, sie zu besiegen, was vielleicht auch gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. „Von meiner Hand der Zauber [Monster Reborn]! Damit reanimiere ich [Naturia Beast] vo-“ „Nichts wirst du! Konter!“, fauchte ihre Gegnerin bestimmend und schwang den Arm aus, woraufhin ihre Fallenkarte aufsprang. „[Paradox Fusion]! Indem ich ein Fusionsmonster, also Ruby, bis zur End Phase meines übernächsten Zuges verbanne, kann ich die Aktivierung einer beliebigen Karte verhindern! Also bleibt der Flohzirkus da, wo er ist!“ Das Hologramm von [Gem-Knight Ruby] flackerte unstet auf, zersetzte sich in viele kleine, hellblaue Kästchen, ehe es schließlich verschwand. Doch Abby grinste nur in sich hinein. Hatte sie es doch gewusst! Warum sonst hatte Anya zuvor ein Fusionsmonster gerufen, obwohl ihre Battle Phase längst vorüber war? Zwar mochte es an sich kein schlechter Gedanke gewesen sein, den Gegner mit [Paradox Fusion] ausstechen zu wollen, doch leider – oder eher zum Glück – kannte Abby ihre Freundin zu gut und wusste genau, wie sie tickte. Damit stand der Weg nun frei für ihre wahre Offensive! „Na gut, dann rufe ich nun von meiner Hand [Gale Dogra]!“ Eine grüne Motte erschien vor ihr und erzeugte mit ihren blauen Schwingen einen Wirbelwind aus glitzerndem Staub, der Abby umgab.   Gale Dogra [ATK/650 DEF/600 (2)]   Verdutzt blinzelte Anya, die dieses Monster noch nie zuvor gesehen hatte. „Kein Naturia? Was für'n Teil ist das denn?“ Ihre Gegnerin zwinkerte verspielt. „Ein sehr nützlicher Gefährte! Für 3000 Lebenspunkte kann ich sofort ein Monster aus meinem Extradeck auf den Friedhof legen!“ Anya brach in schallendes Gelächter aus. „Im Ernst!? Willst du etwa freiwillig verlieren? Hast du etwa Schiss bekommen, Masters?“ Doch Abby nahm den Hohn ihrer Freundin gelassen. „Nicht ganz.“ Sie zeigte [Naturia Barkion] vor, ehe sie diesen in den Friedhofsschacht ihrer Duel Disk schob. Kurz darauf wurde der Staub um sie dichter, sodass einen Moment lang nichts von Abby zu sehen war.   [Anya: 4000LP / Abby: 3600LP → 600LP]   „Pah!“, raunte Anya und verschränkte in ihrer Überheblichkeit die Arme voreinander. „Lach du nur“, erwiderte Abby und zückte zwei Zauberkarten aus ihrem Blatt, die sie in ihre Duel Disk einschob. „Bald lachen wir wieder zusammen! Ich aktiviere [Supremacy Berry] und eine weitere Zauberkarte! Doch zunächst zu [Supremacy Berry]! Sie schenkt mir 2000 Lebenspunkte, wenn meine im Vergleich zu deinen niedriger sind.“ Eine weiße Friedenstaube mit einem Ölzweig im Schnabel landete auf Abbys Schulter, welche das Tier liebevoll betrachtete, ehe es davonflog und damit einen Regen aus hellblauen Lichtkugeln über Abby niedergehen ließ.   [Anya: 4000LP / Abby: 600LP → 2600LP]   „Okay, was ist das für ein Bullshit?“, verlange Anya zu wissen. „Kannst du dich mal entscheiden, was du nun willst?“ Ihre Gegnerin lächelte wissend. „Ich weiß genau, was ich will! Dass es dir besser geht!“ „Hör auf, Masters! Du dummlallst mal wieder! Sei lieber ehrlich, denn ich glaube dir sowieso kein Wort! Die ganze Welt ist gegen mich und du bist letztlich auch nur eine von vielen!“ „Du irrst dich!“, widersprach Abby beherzt. Aber sie wusste, dass es vergebene Liebesmüh war, Anya von ihrem Irrtum auf verbaler Ebene überzeugen zu wollen. Das konnte sie nur durch Taten, und zwar, indem sie Anya besiegte, ohne ihr ein Haar zu krümmen. „Von wegen! Ihr seid im Grunde doch alle gleich! Kaum seht ihr etwas, das ihr nicht versteht, muss es sofort böse und schlecht sein! Erzählt mir doch nichts!“   In sich hinein seufzend, dachte Abby, dass sie wohl am besten wusste, was es bedeutete anders zu sein und gefürchtet zu werden. Wer außer Nick und Anya würde sie schon akzeptieren, wenn man erfuhr, dass sie eine Sirene war? Diese zwei mochten etliche Macken haben, aber sie waren im Grunde ihres Herzens gute Menschen. Und allein schon deswegen würde sie um Anya kämpfen! „Du wirst es noch sehen“, meinte Abby entschlossen und deutete auf ihre zweite Zauberkarte, „aber bis das geschieht, musst du dich erstmal hiermit auseinander setzen! Diese Karte dient einzig allein dem Zweck, mein mächtigstes Monster zu beschwören! Sie nennt sich [Miracle Synchro Fusion]!“ Anya runzelte die Stirn und kratzte sich unwissend am Kopf. „Miracle-was-jetzt!?“ „Durch sie kann ich zwei Monster auf meinem Friedhof verschmelzen und anschließend verbannen, um ein Fusionsmonster von meinem Extradeck zu beschwören! Voraussetzung dafür ist allerdings, dass mindestens eines der hierbei benutzten Fusionsmaterialien ein Synchromonster ist! Was bei meinem Monster sogar in doppelter Hinsicht der Fall ist, da sowohl [Naturia Beast], als auch [Naturia Barkion] Synchromonster sind.“ Sie hielt die beiden weißen Karten zwischen ihren Finger und hielt sie in die Höhe. „Und jetzt werdet eins! Erscheine und entführe uns in eine Welt voller Schönheit und Wohlstand! Komm herbei, [Naturia Exterio]!“ Überall um die beiden jungen Frauen herum begannen Blumen aus dem Beton zu wachsen. Ein merkwürdiges, fauchendes Brüllen ertönte über dem Dach. Aus dem Nichts landete mit einem Satz eine mannshohe, vierbeinige Gestalt vor Abby. Es war der grün-weiße Tiger, doch anders als zuvor, wies er jetzt Merkmale des Drachen [Naturia Barkion] auf. So trug er dessen Schädel wie einen Helm, während aus seinen Läufen schuppige Holzrinde wuchs.   Naturia Exterio [ATK/2800 DEF/2400 (10)]   „Crap“, raunte Anya bei Exterios Anblick genervt. Nicht nur, dass sie Abby jenes Monster noch nie hatte benutzen sehen, nein, es war auch noch stärker als ihr Pearl. Und genau das wusste ihre Gegnerin auch auszunutzen, als sie den Arm befehligend ausstreckte. „Los, attackiere [Gem-Knight Pearl]! Tut mir leid, Anya, aber das muss jetzt sein!“ Ihre Kreatur preschte auf den schwebenden Ritter zu, welcher seine Perlen vor sich als Schutzwall aufbaute. Doch dem gewaltigen Prankenhieb Exterios waren sich nicht gewachsen, welcher die Edelsteine zerschlug und ein Loch in Pearls Brust riss. „Warum ist dieses Ding nur so verdammt nutzlos!?“, fauchte Anya wütend, als ihr Krieger in einer Explosion unterging. Instinktiv wich sie zurück, um nichts davon abzubekommen.   [Anya: 4000LP → 3800LP / Abby: 2600LP]   „[Gale Dogra], direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte!“, hörte sie da schon Abby rufen. Aus dem Rauch zischte die kleine Motte hervor und rammte Anya. Diese stolperte jedoch nur vor Schreck rückwärts, anstatt von der Wucht der Attacke getroffen zu werden. Die Blondine hielt sich daraufhin verwundert die Brust und schüttelte uneinsichtig den Kopf. „Glückstreffer!“   [Anya: 3800LP → 3150LP / Abby: 2600LP]   „Ich beende meinen Zug“, meinte Abby besorgt. „Anya … ich will dir nicht weh tun. Warum verstehst du das nicht?“ „Erspare mir dieses Geblubber und halt den Rand, ich muss mich konzentrieren“, zischte ihre Freundin im Angesicht ihres leeren Feldes und rief: „Mein Zug, Draw!“ Dabei sah ihre Situation alles andere als rosig aus. Denn nicht nur hatte Abby die Kontrolle über das Duell, nein, es fehlte Anya auch an Handkarten. Diese eine nächste könnte schon alles entscheiden. Doch so leicht würde Anya es ihr nicht machen! Es war wie ein Impuls, der durch das Mädchen ging, als sie zog. So erschien es ihr, als würde ihr Mal kurz ziepen. Allerdings war das vermutlich nur Einbildung und als Anya ihre gezogene Karte betrachtete, waren jegliche Gedanken betreffend jenes seltsamen Gefühls längst verflogen. „Für den Anfang nicht schlecht! Ich beschwöre [Gem-Armadillo]! Und durch seinen Effekt kann ich einen Gem-Knight vom Deck auf die Hand nehmen, wenn er als Normalbeschwörung gerufen wird! So wie [Gem-Knight Tourmaline]!“ Während das schwebende, beinlose Gürteltier vor ihr auftauchte, zeigte Anya das gesuchte, gelb-umrandete Monster hervor und grinste hinterhältig.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Wegrennen ist keine Option!“, rief Anya lautstark. „Los [Gem-Armadillo], auf ins Gefecht! Mach uns den Schädlingsbekämpfer!“ Das geisterhafte, braune Gürteltier teleportierte sich direkt vor Abbys Motte und riss ihr mit seinen Klauenhänden die Flügel aus, woraufhin diese sich auflöste. Es folgte eine Explosion, die Abby nach hinten fallen ließ, dicht an den Rand des Gebäudes.   [Anya: 3150LP / Abby: 2600LP → 1550LP]   Ächzend erhob diese sich und war gleichwohl überrascht, nachdem Anya das Ende ihres Zuges angekündigt hatte. Was war dieses Gefühl gerade eben gewesen? Dieser Druck in ihrem Inneren? War das Anyas Werk gewesen? Abby biss sich auf die Unterlippe. Selbst in ihrer derzeitigen Lage ging Anya in die Offensive, statt sich zu schützen. Dabei war ihr Kampf hoffnungslos, auch wenn sie davon noch nichts ahnte. Denn [Naturia Exterios] besondere Fähigkeit würde ihr jede Chance zum Sieg nehmen. Dennoch … hatte Anya soeben eine weitere Fähigkeit Levriers, neben dem Erzeugen von Angriffswellen, eingesetzt? Oder war es doch nur ihre Einbildung gewesen? Mit Unbehagen schüttelte das Hippiemädchen den Kopf. Im Grunde spielte es keine Rolle, denn es änderte nichts an ihrem gesetzten Ziel, Anya zur Vernunft zu bringen. „Mein Zug“, verkündete sie kämpferisch. „Draw!“ Tief durchatmend, überlegte sie, was sie ihrer Freundin sagen könnte. Da Worte bisher jedoch erfolglos geblieben waren, erkannte Abby, dass Schweigen durchaus eine Alternative darstellte. Vielleicht würde Anya das viel eher zu schätzen wissen? Also beschränkte sie sich auf das Duell und nahm eine Monsterkarte von ihrem Blatt. „Ich beschwöre die [Naturia Strawberry]!“ Kichernd sprang daraufhin eine überdimensionale Erdbeere auf Beinen vor Abby hin und her und hielt sich dabei ihren großen Kopf.   Naturia Strawberry [ATK/1600 DEF/1200 (4)]   „Tch!“, höhnte Anya. Sie runzelte die Stirn und behielt denselben feindseligen Blick bei, welcher Abby seither so zu schaffen machte. Und in ihm erkannte sie letztlich, dass weder sie noch Nick die Freunde waren, die Anya im Moment brauchte. „Sorry“, murmelte Abby leise. Nicht wissend, welche Art von Freund Anya überhaupt in ihrer Situation an sich heranlassen würde. Jemand, vor dem sie Respekt hatte? Aber gab es diese Person überhaupt? Abby schluckte. Marc wäre so ein Freund gewesen. Doch ausgerechnet der war nun tot. Es war wie ein Teufelskreis und auch wenn sie diesen hartnäckig durchbrechen wollte, bekam Abby durch ihre Erkenntnis langsam Zweifel an ihrem Tun. „Nein“, murmelte sie leise. Sie hatte diesen Kampf begonnen, sie würde ihn auch zu Ende führen, selbst wenn das Ergebnis nicht optimal ausfallen würde. Irgendwie erinnerte sie dies an Matts Worte. Wie konnte man wissen, ob das, was man erreichen will, nicht letztlich das Gegenteil brachte … Sie schüttelte den Kopf, um ihn von diesen Gedanken frei zu machen. Niemand konnte in die Zukunft sehen! Dann zeigte sie auf Anyas Monster. „Exterio, greife [Gem-Armadillo] an! Strawberry, du im Anschluss direkt!“ Wieder stürmte ihre riesige Bestie hervor und streckte das Gürteltier mit einem Prankenhieb nieder, während die Erdbeere Anya einen Kopfstoß in den Magen verpasste, allerdings durch jenen hindurch flog. Die Blondine ächzte dennoch und zuckte zusammen.   [Anya: 3150LP → 450LP / Abby: 1550LP]   „Hast du nicht mehr drauf!?“, mimte Anya die Unbekümmerte, auch wenn Abby genau sehen konnte, wie ihre Hände unaufhörlich zitterten. „Zug beendet“, erwiderte das brünette Mädchen daraufhin mitfühlend. All die Kämpfe hatten Anya schon jetzt gezeichnet. Wie würde sie erst werden, wenn sie wusste, was wirklich auf sie zukam? Wenn Matts Theorie stimmte und Anya selbst nach Edens Erwachen weiterexistieren würde? Dann würde sie … Nein! Es gab keinen Beweis dafür, dass er überhaupt die Wahrheit sprach! Womöglich war alles, was er ihr erzählt hatte, erstunken und erlogen, nur um sie in seine Pläne einzuspinnen! Und dennoch …   Abby schreckte auf, als Anya mit einem Kampfschrei zog. Wieder war da dieser Druck in der Brust, dieses Mal etwas stärker. Was war das bloß? Ging das von Anya aus oder war sie krank, fragte das Mädchen sich irritiert. Ihre Gegnerin jedoch grinste heimtückisch, obwohl sie urplötzlich ein wenig außer Atem schien und keuchte. „Sieht so aus, als wäre die Glücksfee heute auf meiner Seite! Ich verbanne [Gem-Knight Iolite] von meinem Friedhof und erhalte von dort [Gem-Knight Fusion] zurück! Die aktiviere ich und verschmelze-“ „Tut mir leid, Anya, aber das wirst du nicht!“, widersprach ihre Gegnerin. „Ich aktiviere den Effekt von Exterio!“ Dieser gab ein stolzes Gebrüll von sich, während durchsichtiges Moos aus Abbys Duel Disk wuchs. Jene schnappte sich die [Supremcy Berry]-Karte von ihrem Friedhof und steckte sie in eine Tasche ihres Kleides, bevor sie von ihrem Deck die oberste Karte, [Naturia Butterfly], nahm und in den Friedhofsschlitz schob. Kurz darauf zersprang Anyas Zauberkarte, die sich in der Zwischenzeit vor ihr aufgestellt hatte. „Huh!?“ „Exterio kann für den Preis einer Deckkarte und dem Verbannen einer Karte aus meinem Friedhof jede Zauber- oder Fallenkarte annullieren. Und das ohne Beschränkung!“, erklärte Abby. Anya schüttelte ungläubig ihr Haupt und trat einen Schritt zurück. „W-was ist das für ein Mistvieh!? Das heißt, ich kann keine Zauber und Fallen mehr spielen, solange du genug Vorrat an Deckkarten hast!?“ Ihr Gegenüber nickte. Das war die wahre Stärke von [Naturia Exterio], denn dadurch, dass jedes Mal eine Deckkarte geopfert wurde, konnte gleichzeitig der Bedarf für den nächsten Einsatz des Effekts gedeckt werden. Eine verhängnisvolle Kette. „Denkst du, das beeindruckt mich?“, donnerte Anya kämpferischer denn je. „Ich werde dich dennoch alle machen! Ich beschwöre [Gem-Knight Alexandrite] und nutze seinen Effekt ihn zu opfern, um ein normales Gem-Knight-Monster von meinem Deck zu rufen! Komm, [Gem-Knight Crystal]!“   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Vor ihr erschien kurz darauf ein Ritter in silberner Rüstung, die mit vielen verschiedenfarbigen Edelsteinen geschmückt war. Doch er löste sich im Anschluss in Licht auf und machte einem weißen Ritter mit den Kristallschulterplatten Platz, der stolz seine Hände in die Hüften stemmte.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Plötzlich schwoll die Erdbeere von Abby etwa um ein Drittel seines Körperumfangs an.   Naturia Strawberry [ATK/1600 → 2000 DEF/1200 (4)]   „Was soll das denn!?“ „Strawberry erhält für das erste Monster, das du beschwörst, 100 Angriffspunkte pro Stufenstern. Das sind bei Alexandrite genau 400 Angriffspunkte“, erklärte Abby. Dabei sah sie zufällig zum Treppenhäuschen, an dem Nick mit verschränkten Armen angelehnt stand und zusah. Es war merkwürdig, ihn so still zu erleben. Täuschte sie sich oder dachte er, Nick Harper, tatsächlich nach? Als er ihren Blick bemerkte, grinste er breit. Nein, bestimmt war das nur ein Irrtum! Anya zischte zeitgleich und reckte das Kinn vor. „Als ob das reicht! Crystal, macht das Gemüse dennoch kalt! Clear Punishment!“ Vor Entsetzen klappte Abby glatt die Kinnlade hinunter. „Aber Erdbeeren sind doch Obst!“ „Schnauze, Masters, das weiß ich selbst! Kümmere dich lieber um dich selbst, denn wie's aussieht, hast du ein fettes Problem an der Laberbacke!“ Crystal schlug mit seiner Faust auf den Boden und brachte den Beton damit zum Zersplittern. Ein feiner Riss tat sich inmitten des Spielfelds auf und zischte auf Abby zu. Aus ihm schossen Kristalldornen auf das Mädchen zu, welche jenen nur entkam, da sie schnell genug einen Hechtsprung zur Seite machte. Und während Abby mit dem Saum ihres Kleid an einem Dorn hängen blieb, wobei jenes im Gegenzug durch ihren Fall einriss, wurde ihr Monster von den Spitzen aufgespießt.   [Anya: 450LP / Abby: 1550LP → 1100LP]   „Owww“, jammerte Abby, die hart gelandet war und torkelte zurück zu ihrer alten Position. Das war knapp. Um ein Haar wäre sie zu einem Sieb mutiert! Anya war wirklich entschlossen, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Eine Kunst, die sie nun endgültig perfektioniert hatte, wie Abby sich mit mulmigem Gefühl eingestehen musste. „Pfff, ich beende.“ Anya streckte den Arm rechts von sich aus. „Damit kehrt nun Ruby endlich zurück aufs Spielfeld.“ „Ruby?“, erschrak ihre Gegnerin, als neben Anya der Ritter im blauen Umhang und mit der Lanze in den Händen erschien. „Den hatte ich ja ganz vergessen!“   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Als Abby anschließend zog, musste sie feststellen, nichts Brauchbares auf der Hand zu haben. Es stand jedoch fest, dass sie den Rubinritter besiegen musste, bevor Anya ihren nächsten Zug begann. Denn jener konnte seine Angriffskraft erhöhen, indem er durch seinen Monstereffekt einfach einen anderen Gem-Knight opferte. Dagegen konnte selbst [Naturia Exterio] nichts unternehmen, also war offensichtlich, was sie zu tun hatte. Abby zeigte kämpferisch auf den Krieger. „Exterio, zerstöre [Gem-Knight Ruby]!“ „Du-!“, zischte Anya, der das gar nicht zusagte. Doch sie konnte nur mit griesgrämiger Mimik mit ansehen, wie die riesige Tigerbestie auch diesen Feind mit seinen Pranken niederstreckte.   [Anya: 450LP → 150LP / Abby: 1100LP]   Als Exterio ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand, nahm Anya einen Schritt zurück und neigte sich ein wenig vor, bereit, sofort in jede Richtung ausweichen zu können. Aber Abbys Monster drehte ihr desinteressiert den Rücken zu und kehrte zu seiner Besitzerin zurück, um sich vor ihr hinzulegen. „Mehr kann ich nicht tun“, kündigte Abby an. Sowohl im Duell, als auch im Kampf um Anyas Aufmerksamkeit. Über die blinde Rage und Zerstörungswut schien Anya sogar das Versprechen vergessen zu haben, das sie ihr einst gegeben hatte. Und Abby fragte sich erstmals, ob so etwas dann überhaupt noch eine Freundschaft war? Andererseits war sie keinen Deut besser, schließlich verheimlichte sie Anya so einiges. Das Mädchen ließ den Kopf hängen. Alles war so kompliziert geworden, seit Levrier aufgetaucht war. Aber der tat auch nur das, was in seiner Natur lag …   Plötzlich spürte Abby ein Stechen in ihrem Körper, wie sie es noch nie gefühlt hatte. Sie blickte auf und sah mit Schrecken, dass etwas an Anya sich verändert hatte. Ihre Augen, sie glühten weiß, genau wie ihre Hand, die von einer seltsamen Energie umgeben war. Der Pferdeschwanz der Blondine peitschte wild durch die Luft, während das Mädchen Mittel- und Zeigefinger an ihr Deck legte. Dabei keuchte sie, als bekäme sie kaum noch Luft. „Was ist das!?“ „Du … ich kann dir gar nicht sagen, was ich am liebsten alles mit dir und Nick machen würde! Wo wart ihr, als es passiert ist!?“ „W-“ „Immer seid ihr auf Hilfe angewiesen! Alleine kriegt ihr doch gar nichts auf die Reihe! Wenn ich nicht wäre, wärt ihr schon längst tot! Und wo seid ihr, wenn ich euch brauche!?“ Anya schnaufte und lächelte zynisch. „Überall, nur nicht bei mir! Erspart mir euer ganzes Gelaber, ich will es gar nicht hören! Ich brauche keine Freunde, ihr seid so oder so nutzlos! Draw!“ Abby schrie vor Schreck auf, wurde sie durch das Licht, welches von Anyas Arm mit dem Mal ausging, doch glatt geblendet. Dabei stieß ihr ein heftiger Wind entgegen, der ihr ohnehin ungebändigtes Haar und den Saum ihres Kleides wild flattern ließ. Stechender als dieses seltsame Gefühl waren nur die Worte des Mädchens, entstanden aus purer Verbitterung. Und doch wusste Abby, dass Anya nicht ganz Unrecht hatte, was alles nur viel schlimmer machte. Sah es wirklich so in ihrer besten Freundin aus, fragte Abby sich betroffen.   Als das Licht um Anyas Arm erlosch und ihre Hand nur noch ein wenig glühte, hielt sie zwischen ihren Fingern eine Karte und grinste dreckig. „Na so was? Die Glücksfee ist heute wirklich auf meiner Seite!“ „Was hast du da getan?“, fragte Abby verängstigt. Levrier musste irgendeine Kraft freigesetzt haben, anders war dieses Phänomen nicht zu erklären. Und plötzlich ging ihr ein Licht auf. „Du hast dieselbe Fähigkeit wie Al-“ „Ich beschwöre [Gem-Knight Tourmaline]“, unterbrach Anya ihre Freundin und ließ einen Krieger in goldener Rüstung erscheinen, der einen Blitz zwischen seinen Händen formte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   „Okay! Das ist es!“, rief Anya und schwang euphorisch den Arm aus. „Crystal, vernichte dieses Drecksvieh ein für alle Mal! Crystal Punishment!“ Der Ritter schlug mit seiner Faust auf den Boden, während Anya ihre letzte Handkarte auf den Friedhof schickte. Plötzlich erschien ein kleines Wesen mit einem verhältnismäßig großen Zauberhut hinter Crystal und verschwand in ihm. „Und indem ich [Gem-Merchant] abwerfe, kriegt Crystal einen Angriffsboost! Siehst du!? Ich brauche gar keine Zauber- oder Fallenkarten!“ Abby realisierte, dass Anya durch ihre neue Kraft jenes Monster gezogen haben musste. Um Anyas Krieger glühte eine orangefarbene Aura auf.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 → 3450 DEF/1950 → 2950 (7)]   Dieses Mal schlug Crystal beide Fäuste auf den Boden und ließ so mehrere Spalten im Beton des Daches entstehen, welche allesamt auf Abby und ihre nähere Umgebung zuschossen. Das Mädchen erkannte, dass es dieses Mal keinen Ausweg gab. Und während die ersten Kristallnadeln [Naturia Exterio] bereits aufspießten, trat sie bis an den Rand des Daches zurück. Als der erste Speer aus einer der Spalten auf sie zuschoss, dachte Abby gar nicht länger nach und machte einen Satz nach hinten, fiel in die Tiefe. Gerade noch rechtzeitig fanden ihre Hände im Fall Halt, sodass sie nun vom Dach der Schule hing und die Sträucher anstarren konnte, die bestimmt 20 Meter unter ihr lagen. Aber bei einem Fall aus dieser Höhe würden jene vermutlich noch ihr Verhängnis werden statt den Aufprall zu dämpfen, dachte Abby panisch.   [Anya: 150LP / Abby: 1100LP → 450LP]   Zwar war sie Crystals Angriff entkommen, doch hatte sie nun ein neues Problem. Und es war noch nicht vorüber. Sie hatte das Duell hiermit verloren, also würde Anya jetzt kurzen Prozess machen. „Irgendwelche letzten Worte?“, hörte sie jene unbeirrt rufen. Abby zog sich mit aller Kraft ein Stück weit über den Rand und sah zu der Blondine auf, in deren blauen Augen das Dilemma ihrer Gefühlswelt stand. Anscheinend konnte selbst eine Anya so etwas wie Enttäuschung verspüren, denn weit mehr als der Hass stand diese Emotion in ihnen. Für Abby war das Grund genug, es noch einmal mit Worten zu probieren. „Ich weiß, es ist schwer, aber lass uns doch vernünftig reden! Was bringt es dir schon, jetzt noch so weiter zu machen?“   „Du weißt doch gar nicht, wie das ist“, murmelte Anya plötzlich leise und senkte den Blick. „Wie es ist, am lebendigen Leib den Flammen zum Opfer zu fallen. Mag ja sein, dass ich zu der Zeit nichts gespürt und in diesem Elysion-Teil gefangen war, aber ich habe alles gesehen. Und du hast mich gesehen, oder was noch von mir übrig war! Also rede nicht so, als ob alles gut wär'!“ Anya sah wutentbrannt auf und schwang den Arm aus, zeigte damit auf Abby. „Ich geb' mir diese Scheiße mit dir nicht länger! Warum reden, wenn es sowieso nichts zu sagen gibt? Ich hab' das schon immer an dir gehasst! [Gem-Knight Tourmaline], direkter Angriff auf-“ Ohne Vorwarnung wurde sie am Handgelenk gepackt. Sie drehte ihren Kopf und sah über ihrer Schulter, dass Nick sie festhielt. Einmal mehr lag da dieser merkwürdige Blick in seinen Augen, den er neuerdings immer öfter aufsetzte. Es war, als wolle er sagen „nicht“. Aber er schwieg und schien auf ihre Reaktion zu warten. Aufgebracht schnaufte das Mädchen: „Lass mich los, Harper! Oder willst du gleich hinterher geschickt werden!?“   Es ist genug, Anya Bauer!   Als sie Levriers Stimme vernahm, zog sie ihre Augen zu Schlitzen zusammen. Die ganze Zeit über hatte er sich aus der Sache herausgehalten, nun meldete er sich plötzlich? „Was willst du denn jetzt!?“ Du siehst Feindseligkeit, wo keine ist! Ist dir überhaupt klar, was du da tun willst? Warst nicht du es, die Abigail Master und Nick Harper vor Alastair gerettet hat? Und nun willst du sie töten, weil du dir mit aller Kraft einzureden versucht, sie wären deine Feinde? Wo sie doch nur deinen Schmerz teilen wollen? Wenn das so ist, verweigere ich dir, noch länger meine Kräfte zu benutzen. Sie dienen dazu, uns vor Gefahren zu schützen, nicht um anderen Menschen willkürlich das Leben zu nehmen!   Anya schrie auf, als das Mal an ihrem Arm zu leuchten begann. Es brannte wie Feuer und das pulsierende Gefühle in ihrem Inneren, welches sie die ganze Zeit über stärker und stärker gemacht und angetrieben hatte, löste sich plötzlich wie Rauch auf. Ohne es fühlte Anya sich schlagartig schwach und müde.   Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, Anya Bauer, aber kein Lebewesen kann alleine fortbestehen. Die Bande mit deinen Freunden zu brechen wird dir zukünftiges Leid nicht ersparen, egal wie sehr du daran festhalten willst. „Dazu hast du kein Recht!“, fauchte Anya wütend, der es nur um dieses eine Gefühl ging. „Diese Kräfte gehören mir und ich entschei-“ Nicks Faust traf sie so unerwartet ins Gesicht, dass sie nach vorne stolperte und auf den Boden fiel. Fassungslos sah sie zu ihm auf und hielt sich die Wange. Er sah seine Finger an und gluckste: „Cool. Jetzt weiß ich, warum der Anya-Muffin so viel Spaß daran hat … au, au, au!“ Mit leidender Mimik schüttelte er die Hand, da Anyas Knochen wohl etwas zu hart für ihn gewesen waren.   „Hört bitte auf!“, rief Abby, die es mittlerweile fertiggebracht hatte, sich bis zum Oberkörper über den Rand des Daches zu ziehen. Zu ihrer eigenen Überraschung war sie sich sicher, dass hinter Nicks Faustschlag eine Botschaft verborgen lag, die man ihm niemals zugetraut hätte. Selbst er tat sein Bestes, um Anya zur Besinnung zu bringen! „Du hast recht, ich weiß nicht, wie schwer es für dich ist“, ächzte Abby und schwang ihr Bein über die Betonkante, ehe sie sich schließlich zur Gänze in temporärer Sicherheit gebracht hatte. Auf wackligen Beinen stand sie auf und nahm ein paar Schritte nach vorn, wobei sie die Arme versöhnlich ausstreckte. „Deswegen sind wir doch hier, Anya! Warum willst du das nicht sehen? Wenn ich dir ein Leid zufügen wollen würde, hätte ich es doch längst tun können! Was denkst du, warum ich nicht längst meine andere Gestalt angenommen habe?“ „Tch!“ Anya wich ihrem Blick aus. Abby senkte ihr Haupt. „Ich weiß … das Duell war ein Fehler, wir hätten dich in Ruhe lassen sollen. Aber es ist schrecklich, wenn man als Freundin nur zusehen kann, wie du dich von allem abkapselst! So sehr Marcs Verlust dir auch weh tun mag, du darfst nicht vergessen, dass du etwas zu erledigen hast!“ Mit widerspenstiger Mimik blickte Anya auf. „Was meinst du damit, Masters?“ „Eden! Du kämpfst jetzt seit knapp anderthalb Monaten darum, einfach nur am Leben zu sein! Suchst nach einem Weg, nicht Eden werden zu müssen!“ Abby nahm nun große Schritte auf ihre Freundin zu und ging vor jener in die Knie, um ihre Hände zu nehmen. Sanft sagte sie: „Und wir mit dir! Nick und ich wollen nicht, dass du fortgehst! Aber du hast das vergessen! Ein wenig Zeit haben wir noch, Anya, aber wenn wir uns nicht beeilen, ist es zu spät.“ Wieder mied ihre Freundin ihren Blick und riss sich los. „Ich brauche eure beknackte Hilfe nicht!“ „Doch“, widersprach Abby streng, „genau das tust du! Natürlich kannst du uns auch weiterhin abweisen, das ist deine Sache. Aber zusammen können wir mehr erreichen, auch wenn wir dir wie ein Klotz am Bein erscheinen mögen. Und ich kann dich beschützen, wenn du mich nur lässt. Die Tragödie um Marc wird sich nicht wiederholen, das verspreche ich dir!“   Stille. Mit einem Satz sprang Anya auf und starrte mit undeutbarem Blick auf ihre Freundin herab. Dann stöhnte sie genervt. „Gibst du eigentlich nie Ruhe, Masters?“ Verdutzt blinzelte Abby. „Wie bitte?“ „Du hast schon gehört“, raunte Anya missmutig und schüttelte den Kopf. „Deine Reden sind so anstrengend, da muss man ja irgendwann willig werden. Fein, von mir aus, dann helft mir eben. Aber jammert am Ende nicht 'rum, wenn ihr die Radieschen von unten wachsen seht.“ Abby, überrumpelt von dieser unerwarteten Kehrtwende, legte eine Hand auf ihr Knie und erhob sich mit hoffnungsvollem Gesichtsausdruck ebenfalls. „Heißt das, du bist nicht mehr böse?“ „Ja, ja“, brummte Anya und winkte ab, bevor Abby ihr überglücklich um den Hals fiel. „Aber woher dieser plötzliche Sinneswandel?“, fragte Letztere dabei. „Oh, ich bin so froh!“ „Ich hab Kopfschmerzen und keinen Bock mehr auf diese Spielchen, das ist alles! Und jetzt lass mich los, verdammt!“, fauchte die Blondine daraufhin und drückte das Hippiemädchen von sich weg, da ihr menschliche Nähe zutiefst missfiel, wenn es nicht gerade darum ging, anderer Leute Äußeres 'umzugestalten'. Doch kaum hatte sie sich von Abby losgerissen, wurde sie von hinten angefallen. Nick klammerte sich an sie und streichelte über ihr blondes Haar und den Pferdeschwanz. „Mein Anya-Muffin ist zurück!“ Keinen Herzschlag später lag er am Boden mit Anyas Turnschuh im Gesicht. „Machst du das nochmal, reiß ich dir die Klöten ab und benutze sie als Tennisbälle!“ „Okay“, presste er glucksend unter der Sohle hervor.   „Eine Sache wäre da aber noch …“, meinte Anya plötzlich mit bedrohlich leisem Tonfall und nickte in Abbys Richtung. Jene verstand nicht und drehte sich um, erschrak, als plötzlich [Gem-Knight Tourmaline] vor ihr erschien. Dessen Hände blitzen auf. „Dachtest wohl, du kommst drum 'rum, huh? Fehlanzeige, ich hab dich verarscht! Tourmaline, direkter Angriff!“ Abby stieß einen spitzen Schrei aus, als der Ritter eine Salve aus Blitzkugeln auf sie abfeuerte. Die Explosion hüllte sie in tiefen Rauch ein.   [Anya: 150LP / Abby: 1100LP → 0LP]   „Oh, ohhhhh!“, klagte Abby, als der Angriff vorüber war und die Hologramme schließlich verschwanden. Sie war unversehrt geblieben und wirbelte zu Anya um, verschränkte wütend die Arme. Dabei warf sie Anya einen besonders tadelnden Blick zu, ihre Brille war halb verrutscht. „Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen! Mach das nicht noch einmal, hörst du! Für eine Sekunde dachte ich wirklich, wieder von deinen Angriffen getroffen zu werden!“ Unbedarft zuckte ihr Gegenüber mit den Schultern. „Mir egal, was du gedacht hast. Ich habe dich besiegt, ohne fremde Hilfe! So was muss man ausnutzen! Wie würde Nelson sagen? Ha-ha!“ Dabei zeigte sie mit selbstgefälliger Grimasse auf Abby. Die schlug sich die Hand vors Gesicht. „Sag mir nicht, dass ich mir das jetzt ewig anhören muss?“ Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie Anya -tatsächlich- vernichtet hätte, dachte sie dabei grimmig. „Musst du“, lachte jene neckisch. Aber als Abby die Hand auf ihr Herz legte, lächelte sie glücklich. „Na ja, ich denke es gibt Schlimmeres.“ „Zum Beispiel?“ „Von Nick besiegt zu werden.“ Anya nickte zustimmend. „Allerdings.“ Sie betrachtete missmutig ihren Freund, der immer noch am Boden lag und sich mit verträumtem Blick über den geröteten Abdruck auf seiner Wange strich. „Viel Schlimmeres.“   Ihre Freundin klatschte die Hände zusammen und faltete die Finger ineinander. Überrascht von dieser Geste, drehte Anya sich zu ihr um und bemerkte, wie Abby über beide Backen strahlte. „Was ist? Hat endlich jemand unseren Präsidenten erschossen oder warum siehst du aus, als würde gleich ein Weltfriedensgipfel beginnen?“ „Oh, es ist nur so … du hast dieses Mal wirklich gut gespielt. Ich glaube, du bist um einiges besser geworden, seit unserem letzten Duell.“ Anya grinste keck und deutete mit dem Daumen auf sich. „Klar doch. Eine Anya Bauer kann sich schließlich nicht von ihren Sidekicks besiegen lassen!“ „Err, Sidekicks? W-was soll das denn heißen?“ „Ach, ist ja auch egal.“ Plötzlich verhärteten sich Anyas Züge. „Ich muss besser werden. Bei all den Irren, die neuerdings in dieser Stadt herumlaufen, kann ich's mir nicht leisten, zurück zu fallen. Als Testlauf für den Ernstfall warst du ja gar nicht schlecht, wenn du nur nicht so eine feige Nuss wärst.“ Abby nahm verwirrt von diesen Worten ihre Brille ab und sah Anya aus traurigen, grauen Augen an, während sie das gute Stück an ihrem beigefarbenen Kleid putzte. „Ich verstehe zwar nicht ganz, allerdings stimmt es schon, dass du besser werden solltest. Aber wie gesagt, wir sind bei dir. Auf uns kannst du zählen!“ Sie setzte die Brille wieder auf und seufzte nachdenklich. „Was das mit dem Testlauf angeht, musst du aber Einiges erklären. Was soll das heißen?“   Doch zu ihrem Entsetzen winkte Anya nur desinteressiert ab. „Ja, ja, was auch immer. Sag mal, Abby, wie lange hält der Zauber eigentlich?“ Verdutzt blinzelte das Mädchen hinter den dunkel getönten Gläsern, ehe sie verstand. Sie hob den Arm mit der real gewordenen Spielzeug-Duel Disk und schmunzelte. „Bis ich ihn beende oder mir die Kraft ausgeht. Man muss sich darauf konzentrieren, was gar nicht so einfach ist. In meiner Sirenenform geht es wesentlich einfacher.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, nahm sie das Deck wieder aus der Duel Disk und steckte es in ihre Kleidtasche. Keine Sekunde später schrumpfte der Apparat und fiel von ihrem Arm auf den Beton des Daches. Anya hob die Miniatur-Duel Disk mit Daumen und Zeigefinger auf und reichte sie Abby. „Geiler Trick. Gegen so etwas stinkt Alastairs Hokuspokus allemal ab.“ Durch das Kompliment errötete Abby und verbeugte sich hastig. „Danke!“ Dann sah sie wieder mit ernster Mimik auf und meinte streng: „Aber wir sollten jetzt lieber hier verschwinden und später weiter reden. Wenn wir und der Schaden, den du hier angerichtet hast, gesehen werden, gibt es mindestens einen Schulverweis.“ „Du tust ja so, als wäre das was Schlechtes“, erwiderte Anya aufrichtig empört. „Anya Bauer! Es vergeht bald kein Tag mehr, an dem du nicht Schuleigentum zerstörst! Wenn ich wegen dir nicht richtig am Unterricht teilnehmen kann, dann …“ Aber Anya hörte kaum noch zu und schlug sich stattdessen die Hand vor die Stirn. Nicht schon wieder eine Rede von Abby über das Geschenk der Bildung! Sie hätte sie eben -doch- beseitigen sollen, als sie die Chance dazu hatte …   ~-~-~   „Ich bin so froh, dass wir unsere Streitigkeiten beseitigen konnten“, meinte Abby schließlich ausgelassen, während sie zwischen Nick und Anya über den Bürgersteig heimwärts schlenderte. Die Sonne ging bereits unter und ihre Freundin hatte ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Wenn du meinst“, erwiderte Anya in ihrem typischen Desinteresse und grinste schließlich frech. „Aber ein Gutes hat das Ganze!“ Abby neigte den Kopf etwas nach vorn, um ihr in die Augen zu sehen. „Das wäre?“ „Ich habe einen neuen Trick auf Lager! Glaub ich jedenfalls … es war fast so, als ob ich bei meinem letzten Zug entscheiden konnte, was ich ziehen möchte.“ Und Anya dachte gar nicht daran, damit das Wort Betrug in Verbindung zu bringen, denn das taten -ausschließlich- nur die anderen. „Als ob ich lenken konnte, was passiert. Wisst ihr, ich musste nur lange genug meine Wut anheizen, es wurde von Zug zu Zug stärker, dieses komische Gefühl. Wirklich abgefahren, als stünde ich vor- ach, ist auch egal. Vielleicht ist Levrier doch nicht so nutzlos?“   Ich könnte noch so nutzlos sein und dennoch wäre niemand imstande, deine Unkenntnis und deinen Dilettantismus in den Schatten stellen.   Anya zuckte bei Levriers lahmen Verteidigungsversuch nur mit einer Augenbraue. „Was auch immer …“ „Eigentlich war das jetzt auch nicht das, was ich hören wollte“, meinte Abby gleichwohl beleidigt über die Tatsache, dass Anya nicht das, was bei ihr einer Aussprache schon recht nahe kam, als den angekündigten, positiven Aspekt erwähnt hatte. „Oh? Nun, natürlich wusste ich die ganze Zeit über, dass du mir nichts Böses willst“, meinte Anya schließlich gleichgültig und stöhnte. „Es war mir einfach nur egal, weil es leichter für mich ist, Dinge einfach zu bekämpfen, statt mich damit auseinander zu setzen. So bin ich eben. Außerdem war das gutes Training für später … jedenfalls war es so gedacht, aber im Endeffekt hätte ich wissen müssen, dass du kneifst.“ Die Drei blieben stehen. „Anya … !?“ Abby war gleichermaßen fasziniert wie entsetzt über die Tatsache, dass Anya dermaßen abgebrüht sein konnte. Dennoch hatte Anya soeben unfreiwillig einen Einblick in ihr Inneres gegeben. Und nur um der Tatsache Willen, dass die Blondine Probleme mit Konfliktbewältigung zugab, ließ Abby sie leben, so sehr kochte sie innerlich vor Wut. War das ganze Drama also tatsächlich umsonst gewesen, nur weil Anya ihre Grenzen austesten wollte!? „Miststück!“, fluchte Abby ihre Freundin garstig an. Jene sah mit selbstherrlicher Mimik auf. „Immer doch!“   Sie grinste noch einen Augenblick, dann verhärteten sich ihre Züge wieder. Anyas Augen waren zwar klar wie das Meer, aber plötzlich auch von grimmiger Genugtuung erfüllt. „Aber eins kannst du wissen. Ich bereue nicht, was ich Marc angetan habe. Er hat um alles gewusst und seine Entscheidung getroffen.“ Kurz darüber nachdenkend, nickte Abby schließlich, auch wenn ihr diese selbstgerechte Ader missfiel. Aber konnte man Anya ihre Gefühle wirklich verdenken? Die Begründung ihrer Freundin war gewissermaßen nachvollziehbar, auch wenn zu bezweifeln war, ob Anya letzten Endes nicht doch ein wenig, wenn nicht sogar große Reue für ihr Handeln verspürte. Immerhin ging es hier um den ersten Mann, in den sie sich verliebt hatte. „Wusstest du“, fing Abby zunächst zögerlich an, das Thema Marc zu vertiefen, „dass er mit Valerie verlobt war?“ Anya schüttelte mit ausdrucksloser Mimik den Kopf. „Nein. Aber selbst wenn er noch leben würde, wäre es mir mittlerweile scheißegal. Der ist schon in dem Augenblick gestorben, als er über mein Leben entschieden hat.“ Als sie das verdutzte Gesicht ihrer Freundin sah, fügte Anya noch mit der Hand auf ihrer Brust hinzu: „Im diesem Ding aus Stein hier drinnen gibt es ihn nicht mehr. Vielleicht lass ich mir ja stattdessen was Tolles draus schleifen, nun wo Marc Geschichte ist. Da ist jetzt nämlich Sperrgebiet für alles, was etwas zwischen den Beinen baumeln hat, verstehst du? “ „Auch für mich?“, jammerte Nick enttäuscht. „Ganz besonders für dich, du hohle Nuss!“, erwiderte seine Freundin daraufhin garstig. Abby musste kichern, doch kurz darauf verfinsterte sich ihre Miene. „Wenn wir schon bei Valerie sind … ich mache mir Sorgen um sie. Vielleicht sollten wir mal bei ihr vorbeischauen?“ „Tch! Glaubst du, es ist eine gute Idee, wenn die Mörderin ihres Verlobten vor der Tür steht und ihr Taschentücher anbietet?“ Anya verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. „Lass die lieber fürs Erste in Ruhe. Vielleicht schick ich ihr ein Kissen zum Ausheulen. Ich hatte da mal die Idee, in das Teil Rasierklingen zu verstecken, aber leider war das in der Praxis ein einziges Chaos.“ Aus allen Wolken fallend, klappte Abbys Kinnlade zum zweiten Mal an diesem Tag hinunter. „Was!? Aber ich dachte, jetzt da Marc tot ist, dürfte die Rivalität mit Valerie Geschichte sein?“ Mit einem bösartigen Grinsen schüttelte Anya den Kopf und trat dabei eine zerknüllte Coladose von sich weg, die einen vorbeilaufenden, kleinen Jungen nur um Haaresbreite verfehlte. „Mist, daneben!“ Sie machte eine Pause und wählte ihre Worte, was sich schwierig gestaltete, da das Artikulieren nicht gerade zu ihren Stärke zählen. „Wie sag ich es? Ich brauch etwas, um mir die Zeit zu vertreiben. Und solche High Society-Schicksen wie Redfield kommen mir da gerade recht. Ist eben Schicksal.“ Und während Anya mit den Schultern zuckte, frage Abby sich mit offenem Mund lediglich, wie so viel Boshaftigkeit in einer einzigen Person stecken konnte. Sie musste die Verkörperung des Leibhaftigen sein, eine andere Erklärung gab es nicht! „Außerdem haben wir andere Sorgen, schon vergessen?“, warf Anya schließlich ein. „In knapp drei Wochen wird’s ernst, dann ist der 11. November. Und was hab ich euch heute beigebracht? Sterben ist scheiße.“ Abby seufzte schwer, denn wieder musste sie an Matts Worte denken. Um Anya zu retten, musste jene sterben. Sie blickte ihre Freundin traurig an und meinte gespielt genervt: „Was das angeht, können wir noch mindestens ein paar Tage auf das Necronomicon warten! Scheinbar gibt es da Probleme mit dem Mittelsmann!“ „Wehe, das Teil ist genauso hirnrissig wie die anderen Schinken, die du für uns ausgesucht hast“, brummte Anya und setzte ihren Weg fort, während die anderen beiden ihr folgten. „Ach bestimmt nicht“, meinte Abby unsicher, nur um dann ihre Zweifel auch auszudrücken. „Aber ausschließen kann man es nicht.“ Im Gedanken fügte sie noch hinzu: sollte es so kommen, haben wir vielleicht unsere letzte Hoffnung verloren. Für sie waren die Einzigen, die dann noch als potentielle Wissensquellen infrage kamen, die Dämonenjäger. Und die wollten Anya schließlich tot sehen.     Turn 16 – Walking On A Thin Line Getrieben durch ihren schweren Verlust, hat Valerie einen eigentümlichen Plan ersonnen. Mithilfe von Joan Of Arc macht sie sich auf die Suche nach einem Dämon, der mächtig genug ist, ihren Wunsch zu erfüllen. Obwohl Joan sie eindringlich davor warnt, fährt Valerie schließlich zu einer weit entfernt liegenden Stadt namens Hollow City, wo sie den geheimnisvollen Collector vermutet, einen ganz besonderen und äußerst eigensinnigen Dämon. Als sie ihn schließlich in seiner Villa findet, muss sie sich zunächst einem seiner Diener stellen, ehe der Collector über ihr Anliegen entscheidet … Kapitel 16: Turn 16 - Walking On A Thin Line -------------------------------------------- Turn 16 – Walking On A Thin Line     Ich hätte dir niemals davon erzählen dürfen.   Valerie ignorierte die Einwände Joan Of Arcs und konzentrierte sich weiter darauf, ihr Zielobjekt zu finden. Seit Stunden war sie nun schon damit beschäftigt, bald würde es Mitternacht sein. Sie befand sich auf dem Dachboden der Villa ihres Vaters, dem Bürgermeister von Livington und versuchte verzweifelt, die eine Person ausfindig zu machen, die ihr in ihrer Lage zu helfen vermochte. Dazu bediente sie sich sogar schwarzer Magie, hielt sie schließlich bei Kerzenschein ein Amulett mit einem siebenzackigen Stern über ihren Schulatlas. Eine seiner Spitzen war direkt auf die Karte unter ihr gerichtet. Doch das Schmuckstück bewegte sich nicht, das Auspendeln ihres Zielobjekts hatte nicht den gewünschten Erfolg gebracht. „Er muss doch irgendwo sein“, meinte sie engstirnig und störte sich gar nicht an den verstauben Kisten und mit weißen Laken überzogenen Möbeln um sie herum.   Noch ist es nicht zu spät, umzukehren und Buße zu tun, Valerie! Was du tust ist Ketzerei!   „Hast du nicht selbst gesagt, ich solle nach dem Sammler suchen!?“, fauchte Valerie und warf das Amulett frustriert in die Ecke. Die Kerzen um sie herum, aufgestellt um einen mit Kreide gezogenen Kreis, flackerten gefährlich auf.   Ich habe meine Worte nicht mit Bedacht gewählt! Einzig zu deinem Trost habe ich sie gesprochen. Wie hätte ich ahnen können, dass sie den Wunsch in dir nur noch schüren würden?   Valerie schüttelte vehement den Kopf. „Hat sich damals aber nicht danach angehört!“ Ihr seidiges, glänzend-schwarzes Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden. Eine graue Strickjacke bedeckte ihren Oberkörper, denn auch wenn der Kerzenschein die Illusion von Wärme erzeugen mochte, war es eiskalt auf dem Dachboden. Ein Zeichen dafür, wie weit Valerie bereits in die Tiefen der Zauberei vorgedrungen war. Etwas, das Joan of Arc gar nicht gerne sah.   Alles, was ich tun kann, ist zu dir zu sprechen, Valerie. Höre mich. Wenn du diese Grenze überschreitest, werden wir beide verdammt sein. Der allmächtige Herr wird es niemals dulden, dass du dich mit Dämonen einlässt! Du wirst deine Seele einbüßen, wenn du Handel mit den ihren treibst!   „Ach wirklich?“, platzte es nun aus dem aufgebrachten Mädchen heraus. „Und wie kommst du dann überhaupt dazu, mich auf die Idee mit dem Sammler zu bringen? Sorry Joan, oder wer immer du bist, aber ein echter Engel würde das niemals tun!“   Du vertraust mir nicht mehr, nicht wahr?   „Sagen wir eher, ich weiß, dass du etwas verheimlichst“, meinte Valerie überzeugt. „Ich bin dir dankbar dafür, dass du mich damals vor dem sicheren Tod gerettet hast. Aber wenn du dich so sehr vor Gottes Zorn fürchtest, warum dann die Idee mit dem Sammler?“ Dabei erhob sie sich vorsichtig, schritt über den Kreidekreis hinweg und suchte im Zwielicht nach dem Amulett, welches hinter ein paar Pappkartons geflogen war. Joan seufzte.   Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde. Du hast recht, ich verberge ein Geheimnis vor dir.   Valerie hob das Pendel auf und drehte sich den Kerzen zu, wodurch ihr Gesicht halb im Schatten, teils im Licht lag. „Dann beichte. So wie ich dir gebeichtet habe, was meine -Sünde- angeht, die ich im Begriff bin zu begehen.“ Es brauchte einen Augenblick, ehe Joan endlich antwortete.   Wie du willst. Es gibt tatsächlich etwas, das ich dir verschweige, Valerie. Ich bin nicht auf Geheiß Gottes hier. Im Gegenteil, ich bin eine Verbannte.   Innerlich stockte Valerie, doch ließ sie sich das nicht anmerken. „Soll heißen?“   Ich suche nach einem Weg, Gottes Gunst zurückzugewinnen. Und du könntest dabei der Schlüssel sein.   „Was ist passiert?“ Darüber kann ich nicht sprechen, denn es würde bedeuten, endgültig zu fallen. Ich habe bereits meine 'Gnade' verloren, doch sollte bekannt werden, dass ich über meine Sünde gesprochen habe, würde ich zu einem gefallenen Engel werden. Und dann wäre ich nicht mehr wert als ein Dämon!   „'Gnade'?“ Valerie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Der Gedanke, dass Joan ihr letzten Endes wohl nur aus Eigennutz erschienen war, stieß ihr sauer auf. Was hatte all das zu bedeuten? Zögerlich schritt sie in den Kreis zurück, um erneut zu versuchen, den Sammler auszupendeln.   Die 'Gnade' ist unsere heilige Kraft. Oder zumindest der größte Teil davon. Ohne sie können Engel das Reich Gottes nicht betreten. Verloren habe ich sie, da ich eines seiner Gesetze gebrochen habe. Verzeih mir, Valerie, dass ich dir dies alles vorenthalten habe. Aber ich bin verzweifelt. Je länger ich auf Erden verweile, desto mehr laufe ich Gefahr, als Gefallene zu enden.   Valerie nickte knapp zum Verständnis. „Und ich soll dir also dabei helfen?“   In dir brennt das Licht der Gerechtigkeit. Dich zu beschützen-   „Stopp!“, rief Valerie plötzlich mit erhobenen Händen, die sie weit von sich streckte. „Mehr will ich im Moment gar nicht wissen! Dass du mich angelogen hast, ist schon schlimm genug. Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um über dein Anliegen zu reden! Zuerst muss ich dir verzeihen. Und der erste Weg dorthin wäre, indem du mir hilfst, den Sammlerdämon zu finden! Er muss irgendwo hier sein!“ Sie kniete nieder und tippte mit dem Finger auf die Ostküste der USA und zog mit ihm einen Kreis um den südlichen Teil jener.   Vergib mir, Valerie, aber ich kann dir dabei nicht helfen! Ich habe dir bereits viel zu viel über die Techniken, einen Dämon aufzuspüren, verraten! Sofern es mir meine Kräfte erlauben würden, hätte ich dich längst zu ihm führen können, wenn auch-   „Wenn du mir nicht hilfst, sei still, ich muss mich konzentrieren!“, verlangte Valerie engstirnig und blätterte ein paar Seiten weiter, wo das von ihr gezeigte Gebiet vergrößert dargestellt war. Ihr war eine Idee gekommen. Vielleicht funktionierte der Zauber besser, wenn man das Suchgebiet einschränkte? Sie hob das Amulett an und begann dann, es mit einer Bewegung aus dem Handgelenk im Kreis um den Teil der Karte drehen zu lassen. Nur einmal durfte man es bewegen. Danach musste man dem Zauber seinen Lauf lassen, sonst wirkte er nicht. Fand er das Ziel, würde das Amulett- Da! Als habe eine unsichtbare Kraft daran gezogen, landete das Schmuckstück wie ein Magnet auf der Karte. Die unterste Spitze des Sterns darauf zeigte auf eine Ortschaft. „Da muss es sein“, schloss Valerie zufrieden. „Hollow City!“ Bitte Valerie, denke darüber nach! Der Sammler ist eine der gefährlichsten Kreaturen auf diesem Planeten. Du kannst gar nicht ermessen, was es bedeutet, sich auf ihn einzulassen!   Valerie jedoch erhob sich ruckartig und ließ das Amulett auf die Dielen des Dachbodens niedersinken. „Was sollte das jemandem bedeuten, der sowieso alles verloren hat?“   ~-~-~   Mit geschultertem Rucksack schwang Valerie ihr Bein über die blaue Yamaha und zog dabei den Reißverschluss ihres rot-schwarzen Motorradanzugs zu. „Sorry Joan, aber für mich gibt es keinen Weg zurück. Nur einen nach vorn, denn die Dinge können auch nicht so bleiben, wie sie momentan sind“, meinte sie voller Entschlossenheit und setzte sich den schwarzen Helm auf.   Du bist diejenige, die entscheiden muss, welchen Weg du nimmst.   „Ich weiß.“ Valerie hatte eine ungefähre Idee, wie sie fahren musste, um nach Hollow City zu gelangen. Dennoch würde es Stunden dauern. Aber sie war von Hause aus sehr geduldig, die lange Fahrt würde sie nicht stören. Allein schon deshalb nicht, weil der Gedanke, dass der Sammler ihren Wunsch erfüllen konnte, ihr genug Kraft dafür gab.   Das Mädchen seufzte. Einen Blick auf die weiße Villa mit dem wunderschönen, bunten Garten und der Terrasse, die sich um das gesamte Gebäude zog, zurückwerfend, tat es ihr innerlich schon weh, dass sie mitten in der Nacht aufbrach. Ihrem Vater hatte sie davon nichts erzählt, denn sie wusste schließlich nicht, ob sie jemals zurückkehren würde. Nur einen Brief, der erklärte, dass sie sich auf eine womöglich lange Reise begeben habe, hatte sie ihm hinterlassen. Er musste vorerst genügen. „Goodbye“, sagte sie schweren Herzens und trat in die Pedale, um unter lautem Motorgeheul die Kleinstadt Livington hinter sich zu lassen.   Und während sie ein tiefes Unbehagen in sich aufkeimen spürte, wusste sie auch, dass sie nun vorsichtig sein musste, was Joan of Arc anging. Denn Valerie bezweifelte nicht, dass noch mehr hinter jener und ihrer Geschichte steckte. Dinge, die sie möglicherweise gar nicht wissen wollte.   ~-~-~   Die Wolkenkratzer im nächtlichen Hollow City spiegelten sich im Visier von Valeries Helm, während sie die Hauptstraße entlang fuhr. Für sie war dieser Ort eine Stadt, die niemals schlief, denn überall leuchteten Reklamen, Schilder und andere Objekte in grellen Farben. Selbst zu dieser späten Stunde sah man noch Leute auf den Straßen, der Verkehr war ebenfalls recht belebt für diese Uhrzeit. Und während Valeries Ziel das Nobelviertel der Stadt war, hatte sie nur einen Gedanken. Den Collector zu finden, denjenigen, der womöglich ihren einzigen Wunsch erfüllen konnte. Dass sie einen Preis zu zahlen hatte, wusste die junge Frau sehr wohl. Und sie würde ihn zahlen, wenn sie damit bekam, was sie wollte. Egal, was dieser Preis auch war.   Sie bog in eine Straße ein, die sich weit vor ihr erstreckte und in einer leichten Kurve verlief. Die Grundstücke wurden von Villa zu Villa größer und prächtiger, genau wie die Bauten selbst. Kunstvolle Statuen, riesige Palmen und Rosenbüsche trugen einen stillen Wettkampf um den schönsten Garten aus. Hätte Valerie das zu jeder anderen Zeit spannend gefunden, interessierte sie der Prunk im Übermaß nun überhaupt nicht. Sie hatte nur eine Adresse im Kopf. „Hausnummer 17“, murmelte sie in ihren Helm hinein. Auf der Fahrt hatte sie es wie ein Schlag getroffen, der Straßenname und die Nummer waren mit einem Mal in ihren Kopf gewesen. Fast wie ein Ruf, dem sie folgen sollte.   Ebenjene Hausnummer 17 entdeckte sie schließlich und blieb mit dem Motorrad vor dem Grundstück stehen. Zwar hatte sie aufgrund der hohen Hecke, welche den massiven Zaun aus schwarzen Pfeilstangen deckte, nur wenig Sicht auf das Gebäude, doch von der Einfahrt aus bekam man schon einen guten Überblick darüber, wie riesig die Villa war. Während man über die Einfahrt zu einer Unterführung in eine unterirdische Garage gelangte, war das mehrere Stockwerke hohe Anwesen so lang, dass mindestens zwei Familienhäuser hinein passten. Zu Valeries Überraschung schoben sich die Flügel des Tores zur Seite und machten den Weg frei, obwohl sie doch noch gar nicht geklingelt hatte. „Scheinbar werde ich erwartet“, meinte sie nicht weiter überrascht. Der Sammler musste sicher zu den Dämonen gehören, die stets bestens über die Vorgänge rund ums Weltgeschehen informiert waren. Was auch 'Kundschaft' mit einzuschließen schien. Woher sonst sollte sie die Eingebung, ihn hier zu finden, auch bekommen haben?   Ich warne dich ein letztes Mal, Valerie! Geh nicht dort hin! Der Collector wird dich sicherlich in eine Falle locken wollen! Sei vernünftig!   Joans Warnung ausschlagend, stellte Valerie ihre Yamaha an den Straßenrand ab, sicherte sie und schritt unbeirrt durch das Tor, welches sich hinter ihr automatisch wieder schloss. Über einen kleinen gepflasterten Weg kam sie an verschiedenen Engelsstatuen vorbei, die für sie blanker Hohn waren. Der Collector war ein Dämon und sollte Gott nicht so verspotten, dachte sie erbost, als sie an Rosensträuchern vorbeikam und schließlich die wenigen Stufen hinauf zum Haupteingang nahm. Das Gebäude wirkte schon recht alt, war im viktorianischen Stil erbaut und machte generell einen gemütlichen Eindruck. Valerie hätte nie gedacht, dass Dämonen unter den Menschen lebten, gar in der Nachbarschaft wohnten. Ob einer der reichen Hausbesitzer hier wusste, was der Sammler tatsächlich trieb?   Als Valerie die Flügeltür erreichte, schwang auch sie einfach auf. Das Mädchen im rot-schwarzen Motorradanzug starrte jedoch in eine verlassene Eingangshalle, die überraschend schlicht wirkte. Zwar war ein feiner, roter Teppich ausgelegt worden, doch auf befremdliche Weise wirkte der Saal leer. Eine Treppe zu ihrer Linken führte hinauf zu einer Galerie, von der man einen guten Blick auf den Eingangsbereich hatte. Verloren sah die junge Frau sich um, ehe eine schrille, quietschige Stimme aus ihrer unmittelbaren Umgebung sie aufschrecken ließ. „Hey Süße, einmal nach unten sehen, bitte.“ Verdutzt leistete Valerie der Aufforderung Folge und neigte ihr Haupt. Mit einem erschrockenen Schrei wich sie zurück. „W-was bist du denn!?“ Vor ihren Füßen stand eine kleine, schwarz-violette Gestalt, deren zwiebelähnlicher Körper kaum bemerkbar flackerte. Weiße, überdimensional große, pupillenlose Augen und ein kugelrunder Schmollmund verzierten den Leib des Wesens, welcher nur aus diesem großen Kopf sowie kleinen Stummelarmen und -beinen bestand. An der Spitze der ovalen Figur thronte eine schwarze Welle, die wohl sein Haar darstellte. „Was, du hast noch nie von mir gehört?“, flötete das Ding empört und hüpfte wütend auf und ab, wie ein Flummi. „Man nennt mich Orion, Herr der Finsternis, König der Unterwelt, Frauenversteher vom Dienst! Und ich sage dir, Mädel, was du brauchst, steht direkt vor dir!“ Er ist nur ein einfacher Schattengeist und nicht sehr gefährlich.   „Hi, Orion“, meinte Valerie zögerlich und starrte den Kleinen aus ihrem Visier heraus an. „Ich suche jemanden.“ „Klar tust du das, meine Hübsche! Sonst wärst du doch gar nicht hier, oder? Komm Baby, ich führe dich zu ihm. Wir können dann gleich noch einen Abstecher in eines der 45 Schlafzimmer machen, die wir hier zu bieten haben. Dann-“ „N-nein danke“, erwiderte Valerie auf das Angebot hin distanziert. „Bring mich einfach zum Collector, okay?“ Der Schattengeist ließ den Kopf hängen. „Langweilig! Aber schön, dafür werde ich schließlich bezahlt. Folgen Sie mir, gnädiges Fräulein!“   Er drehte sich um und watschelte mit seinen viel zu kleinen Beinen voran und führte Valerie so durch eine Vielzahl von Gängen, die alle in rot gehalten waren. Es war wie ein Labyrinth aus Tristesse, denn nirgendwo hing auch nur ein Bild oder etwas anderes, was einen Bruch in der Eintönigkeit der Einrichtung aufwies. Da waren nur aberdutzende Holztüren. Und als sie und Orion nach einer Periode des einseitigen Schweigens vor so einer Tür stehen blieben, war Valerie doch sehr erleichtert. Denn Orion hörte sich offensichtlich gern reden und erzählte viel über die Geschichte des Hauses, was Valerie nur bedingt interessierte. „Hier ist es. Der Chef wartet dort auf dich, Süße“, meinte der Schattengeist. „Und jetzt nimm den verdammten Helm ab, ich will wissen, wie du aussiehst!“ Valerie, die es ohnehin seltsam fand, dass er sie hübsch fand, ohne sie bisher richtig gesehen zu haben, kam seiner Aufforderung nach. Ihr schwarzes Haar fiel ihr über beide Schultern, als sie den Helm abnahm. „Heiliger Eselskot, ich bin verliebt!“, kreischte Orion und machte einen noch größeren Mund, was anatomisch bald gar nicht mehr möglich war. „Hoffentlich ist der Collector nicht genauso …“, murmelte Valerie leise und wandte sich der Doppeltür zu, vor der sie standen.   Sie griff nach beiden Klinken und riss sie mit einem Schlag auf. Vor ihr erstreckte sich ein Speisesaal, in dessen Mitte ein langer Tisch quer zum Eingang stand. Direkt ihr gegenüber saß ein einziger Mann und dinierte tatsächlich noch so spät am Abend. Valerie wurde plötzlich ganz unwohl zumute. „Ist er das?“ „Klaro, es sind immer die, die vom teuren Porzellan futtern“, meinte Orion und landete mit einem Satz auf ihrer Schulter. Valerie erschrak, als sie ihn ansah und er breit grinste. „Darf ich mitkommen?“ „Wenn du unbedingt willst“, seufzte Valerie. Sie kam sich vor wie Alice im Wunderland. Völlig fehl am Platze, redete sie tatsächlich mit einem Schattengeist auf ihrer Schulter … Plötzlich erhob der Mann, welcher genau auf der Mitte der breiten Seite des Tisches speiste, sein Haupt. „Komm ruhig herein, ich beiße nicht.“ Erstaunt musste die Schwarzhaarige feststellen, dass der Sammler einen britischen Akzent besaß. Mehr noch, er wirkte äußerlich wie ein normaler Mensch. Noch recht jung schien er, von schlanker Gestalt, mit fein nach hinten gekämmtem, dunkelrotem Haar und einer Narbe auf der Wange. Am Leibe trug er einen schwarzen Markenanzug, gar eine Krawatte. Wie ein richtiger Geschäftsmann, so ging es ihr durch den Kopf. Valerie verharrte, während sie ihn genau musterte.   Daraufhin legte er Messer und Gabel beiseite, tupfte sich mit einer Serviette den Mund ab und ließ den Rest seines Fisches stehen. Stattdessen erhob er sich und machte eine einladende Geste. „Komm ruhig, Valerie, ich weiß bereits, warum du hier bist.“ Erstaunt erwiderte sie: „Du kennst meinen Namen?“ Mit seinen braunen Augen starrte er direkt in die ihren und nickte. „Natürlich. Wie könnte ich auch nicht, bist du schließlich der Schützling von Jeanne D'Arc.“ „Selbst das weißt du?“, erschrak Valerie und erinnerte sich daraufhin daran, mit wem sie es zu tun hatte. Er war immerhin der Sammler, einer der mächtigsten Dämonen auf diesem Planeten! Wesentlich ruhiger sagte sie schließlich: „Okay, dann sag mir jetzt erstmal deinen wahren Namen! Das wäre nur fair!“ „Bedaure“, entgegnete er mit einem Schulterzucken und lächelte entschuldigend, „doch den nenne ich niemandem. Nimm es bitte nicht persönlich, aber das ist einer meiner Grundsätze. Nummer zwei heißt übrigens, nie einen Gast schlecht zu behandeln.“ Er schwang den Arm aus und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. „Setz' dich doch. Wenn du hungrig bist, werden meine Köche dir umgehend zubereiten, was immer du begehrst.“ „Nein danke“, erwiderte Valerie steif, denn sie wollte gar nicht wissen, auf welche Weise hier gekocht wurde. Und womit. „Wenn du so viel weißt, dann dürfte dir auch nicht entgangen sein, was mit meinem Verlobten passiert ist. Und genau deswegen bin ich hier.“ „Dessen bin ich mir bewusst.“ Er nickte und legte seine Hände auf den Rand des Tisches. „Auch um deinen Wunsch. Nach Rache. Nach Seelenfrieden. Nach Glück. Ich wusste es in dem Moment, als du entschieden hast, mich aufzusuchen. Ich kann dir geben, was du begehrst, das weißt du. Weißt du aber auch, was die Konsequenzen sein werden, wenn ich dir den größten unter ihnen erfülle?“ Valerie atmete tief durch. „Ja.“ Der Sammler lächelte zufrieden. „Das ist gut, denn damit ersparen wir uns beide einiges an unnötigen Diskussionen.“ Fordernd trat die junge Frau nun einen Schritt vor, während Orion alles gespannt beobachtete. „Wirst du ihn mir erfüllen?“ „Vielleicht?“ Er nahm ein Weinglas vom Tisch und nahm einen Schluck daraus, ehe er sich wieder seinem Gegenüber widmete. „Doch um zu prüfen, ob es richtig war, mich von dir finden zu lassen, musst du erst einen von mir auferlegten Test bestehen. Siehst du diesen Schattengeist auf deiner Schulter?“ „Ja.“ Valeries Herz trommelte wild in ihrer Brust.   Test? Sie hatte fast schon damit gerechnet, nicht ohne Weiteres ihren Willen Wirklichkeit werden zu sehen, doch ebenso wusste sie, dass womöglich die schwerste Prüfung ihres Lebens vor ihr stand. Der Collector mochte anders sein, als sie ihn eingeschätzt hatte, viel höflicher und gesitteter als ihr Bild eines mächtigen Dämons. Doch nichtsdestotrotz würde er seine Dienste nicht jedem anbieten, so viel stand fest. „Was ist mit Orion?“ „Wenn du ihn sehen kannst, bedeutet das, dass du meiner Zeit im Grunde nicht würdig bist. Allerdings werde ich nicht näher darauf eingehen und dir dennoch eine Chance gewähren.“ Er lächelte freundlich, was aber eindeutig aufgesetzt war. „Besiegst du meinen Diener in einem Duell, werden wir verhandeln. Verlierst du … nun ja, lassen wir diesen Teil erstmal offen. Deine Fantasie wird sich schon etwas in dieser Hinsicht einfallen lassen.“   Der Sammler setzte sich wieder an seinen Stammplatz und wartete mit dem Weinglas in der Hand Valeries Antwort ab. Jene schloss die Augen und rekapitulierte, was er ihr gesagt hatte. Sollte sie verlieren, würde ihr ein schreckliches Schicksal widerfahren. Davor hatte schon Joan sie gewarnt. Noch hatte sie die Wahl, doch was würde es bringen, wenn sie so kurz vor dem Ziel aufgab? Nichts! Sie war bereit, alles zu geben, nur damit er ihr ihren einzigen Wunsch erfüllen konnte. Und da kein Wunsch ohne einen Nachteil daher kam, wusste sie längst um die Gefahr, in der sie schwebte, wenn sie ihren Weg nun fortsetzte. „Ich werde mich der Herausforderung stellen“, sagte sie und öffnete die Lider wieder. Ein entschlossener Blick stand in ihren braunen Augen. „Außerdem kann ich es mir nicht leisten zu verlieren. Deswegen werde ich es auch nicht! Was immer mich also in diesem Fall erwartet, es ist mir gleich!“ Der Collector-Dämon setzte sein Glas ab und faltete die Hände ineinander. „Eine gute Antwort. Siehst du, Orion? Selbst die, die dich wahrnehmen können, haben nicht selten einen verborgenen Wert.“ Der Schattengeist auf Valeries Schulter zog beleidigt einen Schmollmund. „Sag das nicht so, als wären alle Menschen, die mich sehen können, schlecht! Die Biene hier ist voll okay!“ Und während der Sammler nachdenklich nickte, fragte Valerie sich, ob man Schattengeister nur sehen konnte, wenn man innerlich verdorben war. Was im Umkehrschluss bedeuten müsste, dass sie ein schlechter Mensch war. Lag das an ihrem Wunsch? Valerie schüttelte den Kopf. Nein, das stimmte nicht! Sie versuchte immer, jedem, dem sie begegnete, freundlich und gerecht gegenüber zu handeln. Außerdem hatte sie Joan an ihrer Seite, eine Botin Gottes. Eine gefallene, lügende Botin … Dennoch musste es einen anderen Grund geben, warum anscheinend nicht jeder Orion sehen konnte!   „Ich bin bereit“, meinte sie daraufhin. „Zwar weiß ich nicht, was es bedeutet, dass ich Orion sehen kann, aber nichtsdestotrotz werde ich mich als würdig erweisen, mit dir Geschäfte machen zu dürfen, Collector!“ Wieder nickte der rothaarige Brite. „Das wird sich noch zeigen. Nun denn, Orion. Du wirst die Prüfung abnehmen. Duelliere dich mit Valerie.“ Orion sprang von Valeries Schulter. „Stets zu Diensten, Cheffe!“ Dabei macht er verschiedene heldenhafte Posen mit seinen Stummelärmchen, ehe er völlig unerwartet aus seinem großen Mundwerk eine Duel Disk zog und sie anlegte. Valerie, die bisher versucht hatte, ihre Emotionen weitestgehend zu unterdrücken, musste amüsiert darüber kichern. „Du bist wirklich putzig!“ „Putzig? Putzig!?“ Anstatt sich aber über Valeries Kompliment zu freuen, stampfte der Schattengeist wütend auf. „Welch eine Beleidigung! Ich und putzig!? Sorry Schwester, aber dafür werde ich dir in deinen fetten Arsch treten, bis du einmal um den Planeten geflogen bist!“ „W-was!?“ Vor Schreck um den plötzlichen Gesinnungswandel ließ Valerie glatt ihren Helm fallen. „I-ist mein Hintern wirklich zu dick … ?“ „Dick? Ein Wunder, dass der kein eigenes Gravitationsfeld hat! Ich und putzig? Ich bin die heißeste Verführung, seit es Jauchegrubenbäder gibt!“ Plötzlich grinste er lüsternd, was bei seiner Erscheinung äußerst merkwürdig aussah. „Aber vielleicht kann ich deine Kehrseite nach dem Duell als Trampolin benutzen? Bitte, bitte, bitte!“ „N-nein!“ Empört stemmte Valerie ihre Hände in die Hüften. Ihr Blick verhärtete sich, da sie das Herumgealbere satt hatte. „Lass uns anfangen, ich möchte keine Zeit verlieren.“ „Entscheide weise, ob du dich auf das einlassen willst, was dir bevorsteht“, sprach der Sammler, welcher von seinem Platz aus alles stumm beobachtet hatte. „Wenn du einmal diesen Pfad eingeschlagen hast, kannst du ihn nie wieder verlassen. So funktioniert das, was die Menschen als Schicksal bezeichnen.“ Auch wenn seine Worte Valerie verwirrten, hatte sie ihre Entscheidung längst getroffen. Den weiten Weg hierher hatte sie nicht umsonst auf sich genommen. „Ich will meinen Wunsch erfüllt sehen, egal was es mich kostet! Also duellieren wir uns, Orion!“ „Gerne doch, Schätzchen“, flötete der Schattengeist nun wieder friedfertig,   Kurz darauf hatten die beiden sich vor je einem Ende des langen Tisches aufgestellt, sodass der Sammler direkt in der Mitte zwischen ihnen saß und alles gut beobachten konnte. Valerie hatte inzwischen die blaue Duel Disk aus ihrem Rucksack genommen und angelegt. Auch wenn sie Orion als sehr niedlich empfand, würde sie nicht den Fehler machen und den Schattengeist unterschätzen. Schließlich riefen beide: „Duell!“   [Valerie: 4000LP / Orion: 4000LP]   Erstaunt stellte Valerie fest, dass Orions Karten, als jener sein Startblatt zog, tatsächlich Spezialanfertigungen sein mussten. Schließlich konnte ein knapp 30 Zentimeter großer Schattengeist mit Stummelarmen kaum normale Karten halten. „Ich fange an“, flötete Orion bester Laune und zog eine weitere Karte. Nur ganz schwer konnte man erkennen, dass er tatsächlich kleine Fingerchen besaß. Es war grotesk, dachte Valerie, während ihr Gegner bereits ein Monster aus seinem Blatt hervor nahm. Sie duellierte sich mit einem Dämon, nur um mit einem weiteren einen Handel eingehen zu können. Dabei dachte sie bisher, im Dienste des Herren zu stehen. Wie war es nur dazu gekommen? Warum konnten die Engel ihr nicht stattdessen helfen? Doch Orions Ankündigung riss sie aus ihren Gedanken. „Ich aktiviere den Effekt von [The Fabled Nozoochee] aus meiner Hand! Indem ich ein Fabled-Monster abwerfe, kann ich ihn als Spezialbeschwörung rufen! Lass' krachen, Buddy!“ Vor ihm tauchte eine gelbe, voluminöse Schlange auf, die einen blauen Helm trug. Mit ihren Kulleraugen war sie genauso groß wie Orion, als sie sich aufbäumte. Dabei hielt sie einen blauen Dämon umwickelt, der kugelrund war und klitzekleine Flügel besaß.   The Fabled Nozoochee [ATK/1200 DEF/800 (2)]   „Tihihihi“, kicherte Orion. „Aber das war noch nicht alles! Da ich [The Fabled Cerburrel] abgeworfen habe, kann ich ihn nun von meinem Friedhof beschwören! Partytime!“ Neben ihm und der dicken Schlange erschien ein Hundewelpen mit rotem Fell. Doch statt einem, besaß dieses gleich drei Köpfe und wurde von einem anderen, grauen Kugeldämon an einer Kettenleine geführt.   The Fabled Cerburrel [ATK/1000 DEF/400 (2)]   „Zwar könnte ich durch Nozoochees Fähigkeiten noch ein weiteres Fabled-Monster beschwören, doch ich habe kein passendes auf der Hand“, erklärte Orion weiter. Dann grinste er scheinheilig. „Aber keine Sorge, Püppchen, ich werde schon dafür sorgen, dass du eine Show siehst, die du nie vergessen wirst!“ Valerie hingegen wusste nicht, ob das jetzt gut oder schlecht war. Die seltsamen Kreaturen ihres Gegners verhießen zumindest nichts Gutes, denn sie erinnerten die Schwarzhaarige entfernt an die Dark World-Monsterreihe, die als sehr gefährlich in der Profiszene galt. Und als wäre das das Stichwort gewesen, hüpfte Orion plötzlich auf der Stelle. „Jetzt geht’s ab, Leute! Ich stimme meinen Stufe 2-Empfänger Cerburrel auf meinen Stufe 2 So-was-von-Nicht-Empfänger Nozoochee ein!“ „Was!?“ Valerie wich zurück. „Du willst ein Synchromonster rufen? Aber die Stufen deiner Monster sind doch so niedrig!“ „Ganz genau, Herzchen“, antwortete Orion stolz, ließ aber dann den großen Kopf hängen. „Leider hab ich gerade keinen coolen Spruch auf Lager, deswegen: Synchro Summon! Zeig dich, [The Fabled Unicore]!“ Lautes Wiehern ertönte. Die Flügeltüren des Speisesaals schwangen auf und ein Einhorn kam in den Raum hinein galoppiert. Es zog an Orion vorbei, der plötzlich in die Höhe sprang und auf dem Sattel des Schimmels landete. So drehten sie zusammen eine Runde um den Esstisch, ehe sie dort Halt machten, wo der Schattengeist sich soeben noch duelliert hatte. The Fabled Unicore [ATK/2300 DEF/1000 (4)]   „Ich habe noch nie ein Synchromonster wie dieses gesehen“, gab Valerie erstaunt zu. Orion gluckste von seinem neuen Sitzplatz aus. „Mit mir erlebt man jeden Tag etwas Neues, Süße! Leider kann ich keine Rücksicht auf dich nehmen, da der Boss sonst böse wird! Deswegen setze ich eine Karte verdeckt und beende meinen Zug!“ Mit seiner kleinen Hand schob er die Minikarte in seine Duel Disk, welche daraufhin wie gewohnt in der üblichen Größe neben Unicore als Hologramm erschien.   Wortlos zog Valerie daraufhin und überlegte, wie sie wohl am besten vorgehen sollte. Keines der Monster auf ihrer Hand war stark genug, um dieses Einhorn zu besiegen. Allerdings gab es da dennoch eine Möglichkeit, eine passende Antwort auf Unicore zu beschwören. „Ich rufe [Gishki Abyss]“, rief sie entschlossen und ließ daraufhin einen Haimann erscheinen, der auf zwei Beinen stand und eine Stoffhose trug.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)]   Valerie streckte den Arm aus. „Wenn er beschworen wird, kann ich mir ein beliebiges Gishki-Monster von meinem Deck auf die Hand nehmen, solange sein Verteidigungswert höchstens bei 1000 liegt!“ Anschließend griff sie nach ihrem Deck und nahm es aus der Duel Disk. „Und meine Wahl fällt auf das Ritualmonster [Evigishki Gustkraken], dessen Verteidigung genau an der Höchstgrenze liegt!“ Sie zeigte die blau umrandete Karte vor, ehe sie ihr Deck wieder in den Apparat an ihrem Arm schob, woraufhin dieses automatisch durchgemischt wurde. Zufrieden betrachtete Valerie ihre sechs Handkarten. Gustkraken war mit 2400 Angriffspunkten stärker als Unicore! Also nahm sie den zur Beschwörung benötigten Ritualzauber aus ihrem Blatt und rief: „Jetzt aktiviere ich [Gishki Aquamirror]!“ Vor ihr erschien ein kreisrunder Spiegel, dessen Umrandung aus purem Gold gemacht war. „Damit-“ „Und ich meine verdeckte Falle“, unterbrach Orion sie, „[Reckless Greed]! Damit darf ich die Karten schon jetzt ziehen, welche ich sonst erst in meinen nächsten beiden Draw Phasen bekommen würde! Allerdings muss ich jene dann auch überspringen!“ Gesagt, getan. Er zog zwei Karten von seinem Deck und kaum hatte er sein Blatt auf diese Weise aufgefüllt, zersplitterte Valeries Zeremonienspiegel plötzlich in tausend Teile. Jene stieß erschrocken einen Seufzer aus. „Wie das!?“ „Tehehe!“ Orion hüpfte auf dem Rücken seines Einhorns. „Du hast gerade Bekanntschaft mit Unicores besonderer Fähigkeit gemacht! Wenn unsere Handkartenanzahl identisch ist, wird jeder deiner Karteneffekte automatisch annulliert!“ Erschrocken blickte Valerie zuerst auf ihr Blatt, welches nach der Aktivierung ihres Zaubers fünf Karten zählte, dann auf Orions Hand, die nach seiner Fallenkarte ebenfalls fünf Karten betrug. „Oh nein“, murmelte sie und erkannte, dass ihr Gegner so etwas vermutlich schon die ganze Zeit geplant hatte. Ohne den Spiegel konnte sie ihr Ritualmonster nicht rufen, was bedeutete, dass ihre Offensive noch vor dem eigentlichen Akt zerschlagen worden war. Jetzt hieß es umdenken. Dennoch würde sie so leicht nicht klein beigeben! „Nettes Manöver! Aber so leicht lasse ich mich nicht beeindrucken! Ich setze zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug!“ Vor ihren Füßen erschienen die beiden Fallenkarten, denn mit den gesetzten Karten konnte sie ihre eigene Handkartenzahl verringern und so den Annullierungseffekt von [The Fabled Unicore] umgehen. Und Valerie war sich dabei sicher, dass sie Orion auf diese Weise besiegen konnte.   Jener zog mit seinem kleinen Händchen und gluckste von seinem Reittier aus vergnügt. „Man, für mein erstes echtes Duell bin ich echt gut! Was sagst du, Str- Meister?“ „Du schlägst dich gut, Orion“, antwortete der Sammler und beobachtete vom Esstisch aus alles mit einer nicht zu verleugnenden Neugier. Währenddessen geriet Valerie ins Stocken. „E-erstes Duell? S-soll das heißen-?“ „Jop.“ Orion nickte, wobei er mit seiner Stirn doch glatt gegen Unicores Mähne knallte und aufschrie. Da seine Arme zu kurz waren, um an die schmerzende Stelle zu gelangen, blieb ihm nichts außer zu jammern und mit Kullertränchen in den Augen weiterzuerzählen. „Ich wurde vom Boss persönlich trainiert! Das heißt, ich bin der zweitbeste Duellant in diesem Zyklus.“ „Du redest zu viel, Orion“, mahnte der Rothaarige ruhig. „Fahre lieber fort.“ „Ist gebongt!“   Indes wunderte sich Valerie, was Orion mit Zyklus meinte. Etwa die Gefolgschaft des Sammlers? Wenn er sich also wirklich das erste Mal duellierte, dann gab es nur zwei Alternativen. Entweder war er ein ausgemachtes Naturtalent. Oder er war der einzige Diener des Sammlers, wenn sein bester Mann ein unerfahrener Grünschnabel war. Andere Dämonen hatte Valerie in der riesigen Villa nicht gesehen, was sie verwunderte. Nichtsdestotrotz mahnte sie sich zur Vorsicht. Wenn sie eines gelernt hatte, dann, dass der Schein trügen konnte!   „Wie du sicherlich weißt, Val – Ich darf dich doch Val nennen, oder? Sag mir, dass ich dich Val nennen darf!“ Die junge Frau nickte ein wenig genervt von Orions Gedankensprung. „Wenn du willst …“ „Okay, Val! Val-chan. Nein, nein, nein! Val-sama! Ja, Val-sama, das ist es! Ohhhh, du erinnerst mich an dieses hübsche Ding aus diesem einen Manga! Du musst wissen, ich bin auch ein Otaku!“ Valerie, die in der Tat -nicht- wusste, was ein 'Otaku', oder ein 'Chan', oder ein 'Sama' war, runzelte bereits verärgert die Stirn und breitete die Arme aus. „Interessant, Orion, wirklich. Aber könntest du jetzt vielleicht …?“ „Schon gut“, maulte Orion enttäuscht von Valeries offensichtlichem Desinteresse und setzte seine ursprüngliche Erklärung fort. „Also wie du weißt, darf ich durch den Effekt von [Reckless Greed] jetzt für zwei Runden nicht in meiner Draw Phase ziehen. Aaaaaaaaaaaber! Ich kann dennoch ein Monster beschwören! Also lass es krachen, [The Fabled Rubyruda]!“ Ein seltsamer, ungewöhnlich großer Vogel mit je zwei Fangzähnen in seinem überraschend breiten Schnabel erschien neben dem Einhorn, auf dem Orion ritt. Es wirkte wie eine Krähe, die im Stile japanischer Bildkunst gezeichnet worden war. Aus seinem Rücken ragte ein kleiner Thron, der mit Lederschnallen an seinem Leib befestigt war, welcher zufälligerweise genau Orions Größe besaß.   The Fabled Rubyruda [ATK/1100 DEF/800 (4)]   Plötzlich huschte ein Grinsen über Valeries Gesicht. „Perfekt! Genau das habe ich erwartet! Durch deine Beschwörung hast du meine Fallenkarte ausgelöst! [Torrential Tribute]! Und mit ihr wird das gesamte Spielfeld nun von Monstern befreit!“ Wie aus dem Nichts erschien von Valeries Spielfeld aus ein gewaltiger Wasserstrahl, der direkt auf Orions Monster abzielte. Doch plötzlich wirkte ihm ein Wirbelsturm entgegen. „Was!?“, rief Valerie erstaunt. „Tehehe, genau das habe -ich- erwartet, Val-sama-chan! Ohhhh ich kann mich einfach nicht entscheiden!“ Orion grinste über beide Backen wie ein Honigkuchenpferd. „Du bist einfach zu süß, meine hübsche Biene! Aber leider muss ich meine Pflicht tun! Und das heißt, dass ich von meiner Hand den Schnellzauber [Mystical Space Typhoon] aktiviere und damit deine andere verdeckte Karte zerstöre!“ Mühelos löste der Zyklon den Wasserstrahl auf und fegte nebenbei Valeries gesetzte [Poseidon Wave]-Fallenkarte vom Spielfeld. Diese verstand einen Moment lang nicht, wieso keines der Monster bei diesem Akt ums Leben gekommen war. Doch dann zählte sie eins und eins zusammen, als sie einen Blick Orions Blatt warf. Genau wie sie besaß auch er drei Handkarten, was bedeutete, dass [The Fabled Unicore] jeden ihrer Effekte annullierte. „So ein Mist“, fluchte sie laut. Der liebestolle Gnom war gar nicht so dumm! Mit Schnellzaubern seine Kartenzahl zu manipulieren war ein geschickter Winkelzug, gegen den sie auch nichts unternehmen konnte! „Sorry Püppchen“, sagte der Schattengeist niedergeschlagen. Dabei streckte er seinen Arm aus. „Das muss jetzt sein, der Cheffe will es so! [The Fabled Rubyruda], hau drauf auf [Gishki Abyss]! Unicore, Cursed Horn Attack, versenk' dein Horn in- Nein, nein, nein, lieber nicht! Gib Val-sama-chan-sama lieber nur einen sanften Tritt!“ Kaum hatte Orion seine Battle Phase verkündet, schoss der Garuda-Vogel bereits auf Valeries Haimenschen zu und rammte ihn, sodass jener explodierte. Valeries schwarzes Haar wehte wild durch die Luft, als jene von der Schockwelle erfasst und mit erhobenen Armen ein Stück zurückgeworfen wurde.   [Valerie: 4000LP → 3700LP / Orion: 4000LP]   Aber ehe sie sich versah, galoppierte bereits das Einhorn auf sie zu. Orion, der auf dem Tier saß, hielt sich ängstlich die Augen zu, offenbar um nicht mit ansehen zu müssen, wie Valerie angegriffen wurde. Denn das weiße Reittier machte vor ihr eine Kehrtwende und stieß mit voller Wucht seine Hinterläufe in ihre Richtung. Doch das Mädchen konnte den Angriff mit ihrer Duel Disk parieren, auch wenn sie das im Endeffekt auf ihr Hinterteil warf. „Argh!“ „Bienchen, ist alles in Ordnung!?“, kreischte Orion und drehte sich auf dem Sattel um, während sein Ross zurück zur anderen Spielfeldseite trabte. „Ich bin okay, danke“, murrte Valerie ärgerlich. Doch ihre unterschwellige Wut galt weniger Orion, als ihr selbst, spielte schließlich sie wie eine Anfängerin und nicht ihr Gegner.   [Valerie: 3700LP → 1400LP / Orion: 4000LP]   Valerie rappelte sich stöhnend auf. Es ging hier um ihren Wunsch und sie duellierte sich wie eine lausige Amateurin! Wie jemand von Anyas Schlag! Warum hatte sie nicht kommen sehen, dass Orions Monster mit gesetzten Karten allein nicht beizukommen war!? Sie biss sich auf den Daumen und überlegte, wie sie aus dieser Situation am besten wieder herauskam. „Ich spiele noch dieses kleine Kärtchen verdeckt und beende meinen Zug“, sprach Orion und ließ hinter seinen Monstern eine Fallenkarte erscheinen. „Mein Zug“, rief Valerie entschlossen und zog mit Schwung. Dabei fühlte sie etwas in sich pulsieren, wie eine unsichtbare Kraft, die ihr beistand. „Was …?“   Fürchte dich nicht, Valerie! Ich stehe dir bei! Auch wenn ich nicht gutheißen kann, was du hier tust, bin ich dennoch entschlossen, dich zu beschützen. Warte noch ein wenig, dann wird sich dir meine ganze Kraft entfalten. Valerie nickte. „Danke Joan! Ich verlasse mich auf dich!“ Auch wenn sie ihrem Schutzengel insgeheim mit Skepsis begegnete. Aber solange dieser nichts getan hatte, um den Rest von Valeries Vertrauen zu verlieren, würde sie nichts unternehmen. Denn wie hieß es doch? In dubio pro reo. Sie betrachtete ihr Blatt, das nun aus zwei Zauberkarten und dazu noch dem Ritualmonster [Evigishki Gustkraken] und dem Effektmonster [Gishki Marker] bestand. Dann blickte sie herüber zu Orion, der seinen alten Platz angenommen hatte. Valerie war sich sicher, dass seine gesetzte Karte ebenfalls mit Handkartenmanipulation zu tun haben musste. Bestimmt erwartete er, dass sie etwas ausspielte, damit er es im Anschluss annullieren konnte. „Hmm“, überlegte sie laut. Würde sie jetzt eine Karte benutzen, hätte sie drei Handkarten. Orion besaß momentan zwei. Das bedeutete, dass er mit seiner Falle vermutlich genau einmal nachziehen durfte! Und genau hier konnte sie ansetzen, erkannte Valerie. „Ich setze diese zwei Karten verdeckt“, rief sie und schob ihre Zauber in die entsprechenden Zonen ihrer Duel Disk, damit sie vor ihren Füßen erschienen. „Dann rufe ich [Gishki Marker]!“ Sie knallte das Monster auf den Apparat an ihrem Arm. „Da ich nach seiner Beschwörung nur noch eine Handkarte habe und du zwei, kannst du unmöglich mit [The Fabled Unicores] Effekt den von meinem Marker annullieren!“ „Häh!? Unfair!“, protestierte Orion wütend und sprang auf und ab. Gleichzeitig tauchte vor Valerie ein neues Unterwasserwesen auf. Dieses war eine humanoide Gestalt mit dem Kopf eines Tintenfisches. In seinen Händen hielt die rostfarbene Kreatur eine Pike, die stark an einen Dreizack erinnerte.   Gishki Marker [ATK/1600 DEF/1200 (4)]   Valerie griff mit entschlossener Mimik nach dem Friedhofsschacht ihrer Duel Disk. „Wenn [Gishki Marker] beschworen wird, erhalte ich eine Gishki-Ritualmonster- oder Zauberkarte von meinem Friedhof.“ Mit Mittel- und Zeigefinger schnappte sie sich das gewünschte Zielobjekt und drehte es auf Kopfhöhe zwischen ihren Fingern um. Es war [Gishki Aquamirror]. Und kaum eine Sekunde später hatte sie ihn verdeckt ausgespielt, um weniger Handkarten zu besitzen als Orion. Das musste sie auch, wenn sie eine ihrer anderen gesetzten Karten ungehindert aktivieren wollte. Mit erhabenem Gesichtsausdruck schwang sie den Arm aus, sodass die mittlere ihrer drei verdeckten Karten aufsprang. „[Monster Reborn]! Damit reanimiere ich ein beliebiges Monster von unseren Friedhöfen!“ Orion blies seine Wangen so stark auf, dass er regelrecht anschwoll. „Nicht auch noch das! Süße, übertreib' es doch nicht gleich!“ „Ich werde mich nicht wegen dir zurückhalten“, erwiderte Valerie jedoch stur, „ganz egal wie putzig du bist! Das Monster, das ich wiederbeleben will, ist [Gishki Abyss]! Und dank seines Effektes kann ich mir [Gishki Vanity] aufs Blatt holen, da dieser weniger als 1000 Verteidigungspunkte besitzt! Erscheine!“ Genau das tat der Haimensch auch, als er vor der schwarzhaarigen Motorradfahrerin auftauchte.   Gishki Abyss [ATK/800 DEF/500 (2)] Anschließend schob sie die gesuchte [Gishki Vanity]-Karte in den Friedhofsschlitz. „Indem ich [Gishki Vanity] abwerfe, kann ich für diesen Zug verhindern, dass du mit deinen Effekten auf die Aktivierung oder Beschwörung von Gishki-Ritualen reagierst!“ Hinter ihr flimmerte kurzzeitig die Silhouette eines schwarzhaarigen Mannes in einem Priestergewand auf. Damit besaß Valerie nun wieder nur eine Handkarte.   Jene ließ plötzlich den Kopf hängen. „Es tut mir leid, Orion. Ich mag dich, wirklich …“ Mit einem Ruck sah sie auf, wobei Tränen in ihren Augen standen. „Aber ich weiß nicht, was ich tun soll! Seit er weg ist, bin ich … alles was mir bleibt, ist … bitte versteh das!“ „Valerie“, murmelte der Schattengeist mitfühlend. Er seufzte schwer und ließ nun ebenfalls den Kopf hängen. „Verstehe schon. In dem Fall kann der große Orion wohl einfach nicht nein sagen. Auch wenn ich das eigentlich nicht darf. Aber … Ich gebe auf-“ „Tue deinen Job, Orion. Sie ist nicht hier, um bemitleidet zu werden“, wies sein Meister ihn tonlos an. „Aber-“ „Er hat recht, Orion! Ich weiß das zu schätzen“, beteuerte sie. „Aber wenn ich das hier nicht aus eigener Kraft schaffe, wie soll ich dann das packen, was noch bevorsteht?“ Valerie breitete die Arme aus. „Ich bin nicht stark! Deswegen muss ich es werden! Und dazu brauche ich euch. Und … diesen Wunsch. Aber diesen muss ich mir verdienen, erarbeiten!“ Nachdenklich sah der kleine Dämon von seinem Reittier auf. „Ist es dir denn so ernst damit, Val? Was kann denn so wichtig sein, dass du ausgerechnet hierher kommst?“ „Vertraue mir“, meinte das Mädchen und eine Träne fiel hinab auf den Boden. „Es ist wichtiger als mein eigenes Leben. Also bitte … keine vorschnellen Entscheidungen, okay? Tu, was du tun musst!“ Orion nickte zögerlich. „Kapiert.“ Valerie atmete tief durch. Nein. Der Kleine mochte zwar ein Möchtegerncassanova und Lüstling sein, aber im Grunde seines Herzens kein schlechter Kerl. Warum würde er für sie verlieren wollen, obwohl sie sich kaum kannten? Er war doch ein Dämon, die laut Joan kein Mitgefühl kannten. Oder war er gar etwas ganz anderes? Allerdings wusste sie, dass sie das wohl nie erfahren würde. Und sie hatte etwas anderes zu tun.   „Okay“, meinte sie leise und wischte sich das Nass aus den Augenwinkeln. „Mir geht’s gut, wir können weitermachen. Sorry, dass ich mich habe gehen lassen.“ „Es spielt keine Rolle. Deine Gefühle haben dich hierher gebracht, entschuldige dich also nicht dafür“, meinte der Sammler mit unlesbarem Gesichtsausdruck und verschränkte an seinem Tisch sitzend die Arme. „Bedenke, dass ich nicht gerne angelogen werde. Auch nicht, wenn es um die Gründe geht, die dich dazu treiben, mich um einen Gefallen zu bitten. Zwar weiß ich längst, was du begehrst, doch werde ich es dir nur gewähren, wenn du aufrichtig bist. Beweise das in diesem Duell. Mehr verlange ich nicht.“ Mit einem Nicken zeigte Valerie, dass sie das genauso sah. „Das werde ich!“ Das gesagt, besah sie ihre Duel Disk. Sie besaß noch zwei verdeckte Karten und die Monster [Gishki Marker] und [Gishki Abyss]. Alles war bereit. „Jetzt aktiviere ich ihn!“, rief sie und zog dabei eine Zauberkarte aus dem dazugehörigen Schlitz ihrer Duel Disk, um besagte Magie in die Höhe zu halten. „[Gishki Aquamirror]! Ich biete als Opfer meine beiden Monster an, deren Stufen zusammen 6 ergeben. Dies wird benötigt, um [Evigishki Gustkraken] zu beschwören, die ebenfalls Stufe 6 ist! Erwache aus der Tiefe des Ozeans!“ In blauen Flammen lösten sich Valeries Monster auf. Unter ihnen bildete sich ein Pentagramm, eingelassen in einem leuchtenden Symbol, das in seiner Form dem Ritualspiegel glich, welcher seinerseits inmitten des Pentagramms auftauchte. In jenem Spiegel zeigten sich kurz die Reflexionen der geopferten Monster, ehe er zersprang und der gesamte Zirkel zu einer Wasserlache wurde. Und aus dieser wiederum entstieg schlagartig eine junge, rothaarige Frau, deren Unterleib der eines gewaltigen, schwarzen Kraken war.   Evigishki Gustkraken [ATK/2400 DEF/1000 (6)]   „Boah, ist die geil!“, flötete Orion beim Anblick der verruchten Meereshexe mit großem Trötenmund. Doch ihm verging der Spaß, als Valeries Monster plötzlich zwei seiner Tentakel vorschnellen ließ, welche den Schattengeist umwickelten und von seinem Reittier empor hoben. „Gustkraken lässt mich bis zu zwei deiner Handkarten ansehen, um anschließend eine davon zurück in dein Deck zu schicken“, erklärte Valerie. Und während Orion sich unter Ächzen, Stöhnen und Fluchen wehrte, tauchten unter ihm vor seinem treuen Schlachtross die Abbilder seiner beiden Handkarten auf. [Card Destruction] und [The Fabled Catsith] hießen sie, Zauber- und Monsterkarte respektive. Und da Valerie wusste, wie verhängnisvoll Erstere in Orions Händen sein mochte, entschied sie sich mit einem Fingerzeig direkt dafür, jene zu entsorgen. Der Zauber verschwand und Orion wurde fallengelassen, plumpste auf [The Fabled Unicore]. „Autsch! Kein Wunder, dass Arielle beliebter ist als du, blöde Ziege!“, fluchte er dabei in Gustkrakens Richtung. Valerie musste kichern. „Entschuldige, Orion. Aber ich glaube, sie wird jetzt noch einmal in deiner Gunst sinken! Gustkraken, vernichte [The Fabled Unicore]! Luring Bar!“ Die Meereshexe stimmte mit schriller Stimme ein Lied an und schlug dabei mit ihren Tentakeln im Takt auf ihren Gegner ein. Orion, der sich die nicht existierenden Ohren zuhielt, schaukelte unter der Prügel, die sein Ross bezog, hin und her. Schließlich bäumte es sich auf und explodierte. Im hohen Bogen flog Orion gegen die Wand, prallte wie ein Flummi ab und steuerte auf den länglichen Esstisch zu. Wie eine Kugel rollte er um das halbe Buffet herum, ehe er vor dem Teller des Sammlers auf dem Bauch rutschend zum Stoppen kam. Und während er sein Gesicht in die schneeweiße Tischdecke drückte, hob er einen seiner Stummelarme und rief er mit belegter Stimme: „Nichts passiert …“   [Valerie: 1400LP / Orion: 4000LP → 3900LP]   „Da ich keine Handkarten mehr habe, beende ich meinen Zug jetzt“, meinte Valerie und warf besorgt einen Blick auf Orion, der mit einem Hüpfer auf die Beine kam und sich torkelnd an eine Weinflasche lehnte. „Alles in Ordnung?“ „Mir geht’s fast gut …“, meinte der Schattengeist noch immer benommen. Dabei verlagerte er sein Gewicht unglücklich und brachte so fast die Flasche zum Umkippen. Allerdings hielt er sie aufgeschreckt mit seiner ganzen Kraft am Hals fest, sodass das Schlimmste gerade noch verhindert werden konnte. Sollte man zumindest meinen … „Orion!“, brüllte der Sammler plötzlich und zeigte mit geweiteten Augen auf die Tischdecke. „Siehst du das!? Siehst du das da!? DA!“ Sein Diener blinzelte verwirrt und sah an der Flasche vorbei. Er bemerkte den kleinen, roten Punkt, auf den sein Herr aufgebracht deutete. Ein Weinfleck, der durch die Erschütterung entstanden war. „Oh nein …“ „Doch! Sieh, was du getan hast! Die können wir jetzt wegschmeißen! Dieser Fleck, so groß, so rot! Mach ihn weg! Ich ertrage das nicht!“ In theatralischer Geste legte sich der Sammler eine Hand auf die Stirn. „Unsauberkeit in meinem Haus kann nicht geduldet werden!“   Und während Orion schnell die Flasche hinüber zu dem Fleck trug, um ihn so zu verdecken, verstand Valerie gar nichts mehr. Verdutzt sah sie von Orion zu dem Collector, die anfingen, sich wegen dieser Lappalie lauthals zu streiten! „Was hat er denn plötzlich?“, fragte sie ungewollt laut. „… wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht mit Essen spielen sollst!?“ „Ich duelliere mich hier zufällig! Der feine Herr macht sich ja nicht die Hände selber dreckig!“ „Dreck!? An meinen Händen!? Wo!?“ Panisch besah der Sammler seine Finger und beugte sich so weit dabei vor, dass er fast mit der Nasenspitze an die Handflächen stieß. Derweil drehte sich Orion zu Valerie und schüttelte entschuldigend den Kopf. „Ignoriere das einfach, okay? Das ist, was übrig-“ Doch er unterbrach sich selbst und seufzte traurig. „Ach, nicht so wichtig. Manchmal ist er einfach komisch, besonders wenn es um Schmutz geht. Denk dir nichts dabei.“ „I-in Ordnung“, antwortete Valerie verwirrt. Dabei fragte sie sich, wieso ein Dämon so viel wert auf Sauberkeit legte. Und was Orions ominöse Worte wohl bedeuteten. Der Sammler indes hatte sich noch immer nicht erholt und winkte nur abfällig mit den Händen. „Runter da, Orion! Diese Decke müssen wir wegen dir wegschmeißen! Wenn wir hier fertig sind, wirst du mir umgehend eine neue kaufen gehen!“ Und während der Schattengeist vom Tisch sprang, erwiderte er aufgebracht: „Es ist mitten in der Nacht! Wo soll ich da eine auftreiben!?“ „Lass dir etwas einfallen!“ Valerie schüttelte seufzend den Kopf. „Was für ein seltsames Gespann …“ Es erstaunte sie, wie schnell sich der Collector verändert hatte. Als wäre er plötzlich eine ganz andere Person.   „'tschulligung“, sagte Orion kleinlaut, während er zu seinem Duellstandpunkt zurückkehrte, wo schon sein [The Fabled Rubyruda] auf ihn wartete. „Macht nichts.“ Als der kleine Schattengeist sein Ziel erreicht hatte, drehte er sich wirbelnd um die eigene Achse. Voller Ehrgeiz rief er: „Genug 'rumgealbert! Meine hübsche Püppi, ich muss dir jetzt leider die Show stehlen! Ich bin ja am Zug!“ „Wie das? Du kannst nicht einmal eine Karte ziehen, weil du deine Draw Phase überspringen musst“, stellte Valerie fest und straffte sich. Dabei wusste sie, dass seine verbliebene Handkarte [The Fabled Catsith] war, ein Empfänger, genau wie das Monster auf seiner Spielfeldseite. Demnach konnte er sie nicht mit einem weiteren Synchromonster angreifen. Andererseits, dachte sich Valerie, war dieser Gnom immer wieder für eine Überraschung gut. Als Orion realisierte, dass Valerie recht hatte, machte er große Kulleraugen. „Was!? D'oh! Das hab ich total verpennt! Unfair! Aaaaaber- ich hab das hier! Verdeckte Falle [Jar Of Greed] aktivieren! Ich kann nicht ziehen? Guck mal genauer hin, Valval!“ „V-valval?“ Valerie erstarrte. Doch Orion griff nur grinsend nach seiner Duel Disk und zog schwungvoll eine Karte, genau wie es ihm der Effekt seiner Karte gebot. Auch wenn Valerie grinsen musste, weil sich richtig gelegen hatte, was jene verdeckte Falle anging und sie ihn wirklich seine Handkartenzahl manipulieren ließ, fühlte sie auch einen Stich in ihrem Herzen.   Valval … so hatte Marc sie immer genannt, wenn er sie ärgern wollte, denn dieser Spitzname erinnerte ihn an seine Lavalval-Synchromonster, die zugegeben wenig Ähnlichkeiten mit dem Mädchen hatten.   „Einer für alle, alle für einen! Für mich!“ Valerie blickte erstaunt auf. Orion hielt eine Zauberkarte in die Höhe. „Das hier ist [One For One]! Ich brauche nur eine Monsterkarte abwerfen und darf dafür eine von meinem Deck beschwören, solange sie nur einen Stufenstern besitzt!“ Vor Orion erschien ein seltsamer Apparat. Bestehend aus einem kugelrunden Körper sowie drahtigen Armen und Beinen, thronte auf dem Haupt der Kreatur tatsächlich eine Bratpfanne. „[T-t-t-tuningware]! Fast so gut wie H-Warez!“ Orion zwinkerte glucksend.   Tuningware [ATK/100 DEF/300 (1)]   Valerie wurde jäh aus ihrer Verwunderung über Orions Monster gerissen, als eine heftige Explosion ihre Spielfeldseite erschütterte. Die junge Frau wich erschrocken zurück und musste feststellen, dass von ihrer Meereshexe nichts mehr zu sehen war, als sich der Rauch verzog. „Was!?“ Orion hob einen seiner Stummelarme und tat mit seinem Zeigefinger so, als wolle ein Lehrer seine Schülerin belehren. „Guck doch nicht so doof! Hättest du dir den Effekt von [The Fabled Catsith] durchgelesen, als du die Gelegenheit dazu hattest, wüsstest du, warum dein Monster jetzt höchstens eine Rolle im Remake von Michael Jacksons Thriller bekommt!“ „Ich habe ihn mir durchgelesen“, meinte Valerie steif. „Mir war nur nicht bewusst, dass er auch auf diese Weise aktiviert werden kann.“ Breitmündig grinste der Schattengeist. „Klar tut er das, solange die Mieze nur von der Hand abgeworfen wird. Ob das Kosten sind, spielt keine Rolle.“ Valerie biss sich vor Wut auf die Lippen. Sie hatte sich von der Annahme, die Fabled-Karten würden wie die Dark World-Karten funktionieren, in die Irre führen lassen. Jetzt hatte sie ein richtiges Problem! „So konnte ich dein Monster zerstören. Und weißt du, was das Beste ist? Ich kann noch was ganz anderes! Sieh her!“, flötete Orion derweil. Wieder wich Valerie einen Schritt zurück, denn sie wusste bereits, was jetzt folgen würde. „Ich stimme den Stufe 4 [The Fabled Rubyruda] auf die Stufe 1 [Tuningware] ab! Äh ...“ Orion blinzelte. „Warte, ich hab's gleich. … d'oh, dabei hatte ich mir doch alles aufgeschrieben! Wieso habe ich bloß meinen Notizblock gefressen, als mir langweilig war!?“ Er winkte ab. „Egal, Synchro Summon! Mach ein bisschen hinne, [Thunder Unicorn], ich hab nicht ewig Zeit!“ Wie schon einmal zuvor ertönte lautes Wiehern von den Gängen des Anwesens. Valerie wirbelte um und sah zur Flügeltür, die bereits aufschwang. Wieder kam ein Einhorn in den Saal galoppiert, während Orions Monster einfach verschwanden. Doch von dessen Stirn ragte ein gelbes Horn empor, welches aussah wie ein echter Blitz. Was auch nur zu dem blauen Leib passte. Und wie schon vor ihm [The Fabled Unicore], musste auch das Donnereinhorn als Reittier für Orion herhalten, als es in Reichweite war.   Thunder Unicorn [ATK/2200 DEF/1800 (5)]   „Sollte [Tuningware] für eine Synchrobeschwörung benutzt werden, ziehe ich eine Karte“, erklärte Orion von seinem hohen Ross und zog, beachtete die Karte aber nicht weiter. Denn für ihn zählte nur, dass er dieses Spiel gewinnen konnte – Valeries Lebenspunkte waren völlig ungeschützt. „'tschulligung, Valval, aber ein Schattengeist muss tun, was er eben tun muss. Dafür wird er schließlich bezahlt. Nur dass ich nicht bezahlt werde!“ Er warf einen giftigen Blick in Richtung seines Meisters, der dem Duell in seiner gewohnt distanzierten Art zusah. Das Weinglas in der Hand, schien er wieder ganz der Alte zu sein und reagierte gar nicht auf die Kritik seines Untergebenen. Der winzige Dämon wandte sich wieder an seine Gegnerin. „Nimm es mir nicht übel, okay? Ich hätte für dich aufgegeben, ehrlich! Aber so … [Thunder Unicorn], direkter Angriff! Orion for the Win!“ Zusammen mit seinem Reittier machte dieser sich auf, Valerie den letzten Rest zu geben, damit sie dieses Duell verlor. Doch anstatt in Panik zu geraten, blieb die Schwarzhaarige ruhig und überlegte. Den Angriff konnte sie nicht aufhalten, nur abschwächen. Wenn sie eine Chance haben wollte, dieses Duell noch zu gewinnen, musste sie ihre letzte verdeckte Karte dafür verwenden. „Schnellzauber aktivieren!“, rief sie und ließ ihren Arm über die vor ihren Füßen liegende Karte schwingen. „[Half Shut]! Damit halbiere ich die Angriffskraft deines Einhorns für diese Runde, mache es im Gegenzug dafür aber im Kampf unzerstörbar!“ „Och nöööööö!“ Der Zauber klappte auf und entfachte einen rotgelben Wirbel, welcher ihren Angreifer verlangsamte.   Thunder Unicorn [ATK/2200 → 1100 DEF/1800 (5)]   Dennoch ließ dieser sich nicht aufhalten. Endlich angekommen, bäumte sich das Donnereinhorn vor Valerie auf und verpasste ihr mit seinen Vorderläufen einen heftigen Tritt, den diese mit ihrer Duel Disk abfing. Trotzdem wurde sie unter der Kraft des Angriffs zurückgeworfen und landete hart auf dem Rücken. „Urgh!“   [Valerie: 1400LP → 300LP / Orion: 3900LP]   Mit leidvoller Mimik richtete das Mädchen sich auf und keuchte erschöpft. Sie fühlte sich kraftlos und elend, denn es wollte ihr einfach nicht gelingen, eine effektive Gegenoffensive zu starten. Nun besaß sie gar keine Karten mehr. Im Grunde war das Spiel gelaufen … Indes trabte Orion auf seinem Einhorn zurück zu seiner Duellposition und warf dabei einen besorgten Blick zurück. Ihm tat dieses Mädchen leid, denn sie ahnte nicht, was der Preis dafür war, würde sie in diesem Spiel siegreich hervorzugehen. Vielleicht war es sogar das Beste für sie, wenn er sie jetzt besiegte und nach Hause schickte? „Zug beendet“, meinte er nur tonlos, unwissend, wie er entscheiden sollte und was für Konsequenzen es für sie beide hätte.   Thunder Unicorn [ATK/1100 → 2200 DEF/1800 (5)]   Indes fiel Valerie überrascht auf die Knie. Es war, als würde sie in ein tiefes Loch stürzen, denn sie hatte erkannt, dass es wohl keinen Ausweg mehr aus ihrer Lage gab. Ohne Hand- und Feldkarten blieb ihr nur der nächste Zug. Und die Chancen, mit ihm die Lösung für ihr Problem zu finden, waren mehr als gering. „Warum ist er so viel stärker als ich?“, murmelte sie vor sich hin und sah ihre Handfläche an. „Was habe ich falsch gemacht? Ich …“   Wem sollte sie schon etwas vormachen? Sie hatte Angst zu verlieren. Immer schon, seit sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie Angst gehabt. Um ihre Großmutter, die einen Schlaganfall erlitten und schließlich wenige Monate später gestorben war. Vor Prüfungen, die sie nicht zu bestehen glaubte. Um ihre Freunde, von denen sie nie wusste, welche echt und welche falsch waren. Vor dem Motorradfahren. Und um ihren Verlobten, den sie nie verlieren wollte. Warum konnte sie nicht einfach furchtlos sein? Warum konnte sie die Dinge nicht so ändern, dass es allen gut ging? Und dann erschien -sie- vor ihren Augen. Anya. Das Mädchen, das nie Angst hatte und lieber versagte, als irgendwem zu imponieren. Die sich nichts gefallen ließ und sogar vor Mord nicht zurückschreckte. Sie … !   Valerie ballte eine Faust und erhob sich, denn etwas in ihr pulsierte und gab ihr Kraft. „Es ist noch nicht vorbei!“ „Huh?“ Orion blinzelte verdutzt. „Valval, was ist mit dir?“   Verzage nicht, mein Kind. Wenn du wirklich diesen Weg fortsetzen möchtest, werde ich dich mit meiner Kraft unterstützen. Auch wenn Gott mich dafür endgültig verstoßen mag. Dafür, dass ich dir die Wahrheit verschwiegen habe, bin ich es dir schuldig.   „Joan“, sprach Valerie leise und fixierte ihren Blick auf den Sammler, der sie aus emotionslosen Augen anstarrte und dabei sein Weinglas festhielt. Und in diesem Augenblick war es ihr völlig gleich, ob Joan eine Heilige oder der Teufel höchstpersönlich war, solange sie ihr nur half, siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen. „Gib mir alles, was du hast. Wenn ich -ihr- jemals wieder gegenübertreten will, muss ich dieses Duell gewinnen! Egal was es kostet!“   Dann erfahre die heilige Kraft!   Als Valerie ihre Hand an ihr Deck legte, begann diese in flammendem Weiß zu leuchten. Das war genau das, was sie brauchte, dachte Valerie. Sie spürte bereits, was sie ziehen würde, hatte es klar vor Augen, diese eine, rettende Karte! „Danke Joan! Draw!“ Mit Schwung zog sie jene Karte und spürte noch in der Bewegung ein so heftiges Stechen in ihrer Brust, dass ihr die Luft wegblieb. Röchelnd kippte sie zur Seite und fiel der Länge nach auf den Boden. Dabei glitt ihr die Karte aus der Hand. Valerie erstarrte. „W-was!?“   Mit einem Ruck war der Sammler aufgestanden. „Wie es aussieht, habe ich mich in dir getäuscht. Du solltest mir dein Innerstes zeigen, damit ich deinen Wert bestimmen kann. Doch was muss ich sehen? Du versucht, das Schicksal zu betrügen, indem du einen neuen Pfad hinzufügst. Erbärmlich. Sind das die Grenzen deiner Aufrichtigkeit?“ „N-nein!“ Valerie fühlte sich, als habe man ihr alle Kraft geraubt. Sie reichte nach der gezogenen Karte aus, die vor ihr lag und drehte sie in ihren Fingern um. Und was sie dort sah, erschütterte sie bis ins Mark. „Was!? Nein! Das war-“   Vergib mir, Valerie! Er hat meine Kräfte einfach blockiert! Was für eine Macht ist das? So etwas habe ich selbst bei Erzengeln noch nie gesehen! Was … ist er?   Eine Träne rann indes über Valeries Wange. „Nein …“ Denn die Karte, die sie in der Hand hielt, war nicht etwa die, die sie in ihrem Inneren gesehen hatte. Es war [Evigishki Soul Ogre], das Ritualmonster. Ein Monster, das sie niemals beschwören konnte in ihrer derzeitigen Lage. „Valval … warum hast du versucht, uns zu betrügen?“, fragte Orion enttäuscht. „So etwas machen nur Idioten.“ „Halt den Mund!“, schrie Valerie verzweifelt, die die Demütigung des Sammlers nicht ertragen konnte. „Du verstehst das nicht!“ Unter Mühe zwang sie sich wieder auf und starrte hasserfüllt herüber zum Esstisch, an den sich der Sammler wieder gesetzt hatte. Der rothaarige Mann verzog keine Miene und sagte: „Wir alle müssen einen der Pfade beschreiten, die für uns ausgelegt sind. Du bist keine Ausnahme. Zu denken, du hättest das Recht zu ändern, was bereits feststeht, ist schlichtweg töricht. Ich habe dich wohl überschätzt, was deine Gesinnung angeht.“ Getroffen von diesen Worten zuckte Valerie zusammen. Sie hatte sie gespürt, diese Kraft, und er hatte sie einfach verpuffen lassen. Dieser Kerl hatte in einem Sekundenbruchteil ihre letzte Hoffnung zerstört! „Fahre fort, Orion“, meinte der Sammler völlig ungerührt. „Deine Gegnerin ist nicht imstande, etwas in ihrem Zug zu unternehmen.“ „K-klaro!“   Orion zog mit konzentrierter Mimik von seinem Deck und sah von [Thunder Unicorn] herüber zu Valerie, die ihren Blick senkte und nur die Fäuste ballte. Hilflos wandte er sich an seinen Herren, der nur gebieterisch nickte. Der Schattengeist wusste, dass er ihm nicht den Befehl verweigern durfte, allein schon deshalb, weil sie befreundet waren. Doch nie zuvor hatte jemand ihm so leidgetan wie Valerie und Orion konnte beim besten Willen nicht sagen, woran das lag. Er war sich sicher, dass es nichts mit ihrem Vorbau zu tun hatte. Mitleid mit einem völligen Fremden … wie lange war das wohl her … ?   „Orion. Tu es.“ Der Kleine schüttelte auf die Ermahnung hin seinen Kopf, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben, welche sich seiner bemächtigen wollten. Es hatte keinen Zweck, weiter nachzugrübeln. Er wusste, was er zu tun hatte und letztlich tat er Valerie damit einen Gefallen. Siegesgewiss streckte er seinen Arm aus. „Jetzt endest es wohl. [Thunder Unicorn], vernichte Valeries letzte Lebenspunkte. 'tschulligung … Valval …“ „Spar' dir das“, zischte sie, ohne aufzusehen. Und auch wenn ihre Wut über das eigene Versagen und den Sammler nicht Orion galt, tat es gut, sie einfach loszulassen. Das Blitzeinhorn galoppierte schließlich auf die Schwarzhaarige zu. Wie zuvor versuchte es, sie unter seinen Läufen zu begraben. Dieses Mal jedoch wehrte sich Valerie nicht und wurde von einem kräftigen Tritt in die Brust umgeworfen. Ächzend landete sie auf dem Rücken und rollte unter einem schmerzlichen Stöhnen auf den Bauch, sich die Wunde haltend.   [Valerie: 300LP → 0LP/ Orion: 3900LP]   „Und so endet es, völlig unspektakulär“, sprach der Collector und erhob sich, wobei er sich vom Tisch abstützte. „Nun gut. Du hast mich enttäuscht, Valerie. Doch ich kann sehen, was dich zu deinen Taten bewogen hat.“ Seine Augen funkelten. „Lass uns also über das Geschäft reden.“ Erschrocken sah Valerie mit zusammengekniffenen Augen auf. „Was!? Aber- Ich habe verloren! Wieso willst du mir trotzdem helfen?“ Der Sammler lächelte, doch es war ein falsches Lächeln, denn seine feinen Züge bewegten sich nicht natürlich zu seinen angezogenen Mundwinkeln. „Wie alles auf dieser Welt, hast auch du immer noch einen Wert. Aber es wird nicht deine Seele sein, die ich im Austausch für deinen 'Wunsch' verlange.“ Ungläubig richtete sich das Mädchen auf und stand wieder auf zwei Beinen. Doch sie zitterte so sehr, dass sie alle Mühe hatte, nicht sofort wieder umzukippen. Es klang zu gut, um wahr zu sein und Joan hatte sie davor gewarnt, mit Dämonen Geschäfte zu machen. Aber wenn er ihr wirklich geben konnte, was sie wollte, dann war ihr alles gleich. „Nicht meine Seele?“, fragte sie skeptisch nach. „Warum nicht? Ich dachte das ist, was Dämonen normalerweise im Austausch für ihre Dienste wollen!“ Der Collector starrte sein Weinglas an und betrachtete die Reflexion seiner selbst fasziniert. „Natürlich ist die Seele ein sehr wertvolles Gut. Das Wertvollste, was ein einfacher Mensch zu bieten hat.“ Nun blickte er Valerie wieder unverwandt in die Augen. „Besonders du, die du durch einen waschechten Engel geleitet wirst, wärst eine hervorragende Investition.“ Plötzlich verhärtete sich sein Tonfall. „Andererseits bist du trotz deiner Gaben nicht einmal imstande, meinen niedersten Diener zu bezwingen. Man könnte sagen, so etwas wie du verkauft sich schlecht.“ „Sorry Valval, er meint damit, dass du eine Versageri- Was!?“, kreischte Orion und hüpfte aufgeregt umher. „Niederster Diener!? Aber ich hab die heiße Braut doch abserviert! Wieso-!?“ „Misch dich bitte nicht ein, Orion“, sprach Collector gelangweilt. Frustriert ließ der Schattengeist seinen Kopf, sozusagen seinen ganzen Körper, hängen und seufzte. „Nicht mal bezahlt werde ich für all die Demütigungen …“   „Aber wenn meine Seele nicht gut genug ist, was dann?“, wollte Valerie nun aufgebracht wissen. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er sonst noch von ihr verlangen könnte. Der Sammler lächelte nun wieder hinter seiner schleierhaften Maskerade aus vorgespielten Emotionen. „Weißt du, es gibt Dinge, die besitzen seither einen hohen Wert. Wie die Seelen. Haben wir die Macht über diese, können wir nach dem Tode ihres Besitzers alle darauf folgenden Inkarnationen jener Existenz nach unserem Belieben lenken. Wer sich mir also verkauft, ist solange unter meiner Kontrolle, bis seine Seele erlischt.“ „Warum willst du meine Seele dann nicht!?“, fauchte Valerie und trat ungestüm einen Schritt vor. „Warum ist sie nicht gut genug!?“ „Du bist verdorben durch die Gefühle, die du tief in dir hegst“, erklärte der Sammler daraufhin mitleidig. Er nahm einen Schluck vom Glas in seiner Hand. „Du kannst mich nicht täuschen. Dein Groll gegenüber Anya Bauer ist kein Geheimnis, nicht für uns. Von größtem Wert aber sind die Seelen, die sich aus reiner Aufopferung aufgeben.“ Seine Stimme wurde kalt. „Zu denen gehörst du aber nicht. Wenn wir jeden erhören würden, der unserer habhaft werden will, würde das empfindliche Gleichgewicht unserer Welt binnen kürzester Zeit zusammenbrechen. Und ich persönlich bin mit ihr so zufrieden, wie sie ist. Veränderungen sind nicht mein Ding, verstehst du? Außerdem gibt es noch genug andere Gründe, warum wir nicht jede Seele annehmen, die uns über den Weg läuft.“ Valerie biss sich so sehr auf die Lippe, dass es blutete. Wie konnte er es wagen!? Er kannte sie doch gar nicht! Die Schmerzen, die sie in sich trug, konnte er sich doch gar nicht vorstellen! „Was willst du dann?“, fragte sie leise. Nun sah der Collector ihr wieder in die Augen. Dabei stand in den seinen eine Zuversicht geschrieben, die das Mädchen zutiefst beunruhigte. „Deinen Namen.“ „W-was!?“ „Du hast recht gehört, deinen Namen.“ Er lachte auf. „Sicher, deine Seele ist im Vergleich immer noch viel wertvoller als dein Name. Aber es gibt für jede Ware einen passenden Markt. Und warum das eine nehmen, wenn das andere auf lange Sicht viel lukrativer ist?“ Valerie schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht! Warum ausgerechnet meinen Namen? Wie soll man sich das denn vorstellen!?“ Wenn man seinen Namen an jemanden verkauft, besitzt dieser jemand Macht über ihn. Er vermag bis in die tiefsten Winkel der Seele vorzudringen und ist auf diese Weise mit dir verbunden. Es ist anders, wenn man über die Seele verfügt. Der Name steht nur für Wissen, keine Kontrolle. Dennoch solltest du dir das alles gut überlegen, Valerie! Vergib mir, dass ich überhaupt erwogen habe, dich hierher zu führen! Wir hätten niemals hierher kommen dürfen! Möge ich Gottes Strafe empfangen für meine Torheit, denn dich trifft keine Schuld!   „Joan …“ Valerie verstand es nicht. Wenn die Seele so viel wertvoller war, als ihr Name, warum wollte der Collector dann Letzteren haben? Lag es nur daran, dass sie Anya für das hasste, was sie Marc angetan hatte? Nein! „Der Name ist mir sofort von Nutzen“, erklärte der Sammler plötzlich amüsiert darüber, wie hin und her gerissen das Mädchen doch war. „Eine Seele vermag ich erst einzusammeln, nachdem sie den Körper verlassen hat. Allerdings würde ich dem Spektakel rund um Eden gerne aus der Ehrenloge beiwohnen. Wissen kann nie schaden. Aber erwarte nicht von mir, dass ich mich in dieses Geplänkel einmische. Dafür ist es nicht bedeutend genug.“   Tief durchatmend, straffte sich Valerie und sah dem rothaarigen Mann entschlossen in die Augen. „Mein Name also?“ Er nickte. „Du weißt sicher bereits, was ich als Gegenleistung dafür erwarte?“ Der Sammler lächelte. „Bei jemandem wie dir ist so etwas nicht schwer zu erraten. Es gibt zwar einige Einschränkungen, aber die sind minimal. Es ist machbar. Über die Details werde ich dich aufklären, wenn wir den Handel abgeschlossen haben.“ „Dann haben wir jetzt einen Vertrag“, meinte Valerie steif und schritt auf den Esstisch zu. Sie reichte dem jungen Mann ihre Hand entgegen und wartete darauf, dass er einschlug. Dieser nickte. „Wie du meinst. Jetzt gibt es endgültig kein Zurück mehr für dich.“     Turn 17 – And Then I Said No Eines Morgens bekommt Anya überraschend Besuch von dem Dämonenjäger Matt. Nachdem sie erfolglos versucht, ihn einen Kopf kürzer zu machen, offeriert er ihr plötzlich ein unerwartetes Friedensangebot. Er bietet sogar an, Anya alles über Eden zu erzählen, was er in den letzten Wochen in Erfahrung bringen konnte. Anya geht zähneknirschend darauf ein, doch während Matts Bericht taucht Alastair auf. Einen Verräter genannt, beginnt Matt in der Hoffnung auf Schlichtung ein Duell. Doch plötzlich …   Kapitel 17: Turn 17 - And Then I Said No ---------------------------------------- Turn 17 – And Then I Said No     „Ohhh, komm schon, stirb endlich!“, fauchte Anya aufgebracht. „Stirb, stirb, stirb! Dir zermansch' ich das Hirn, du miese Ratte-“ Es klingelte von unten und ein schriller Schmerzensschrei ertönte plötzlich. „Oh verdammter Kackmist, Game Over!“ In blutigen Lettern flimmerte die verhängnisvolle Botschaft über Anyas Fernseher. Die hockte im Schneidersitz vor der Glotze und starrte ebenjene mit offenem Mund an. Einen Wutschrei später schepperte schon der kabellose Controller ihrer Spielkonsole gegen den Apparat. Noch einen Wutschrei später realisierte Anya, dass sie soeben ihren Fernseher um die Ecke gebracht hatte. „Oh fuuuuuuuuuuuuuuuuuck!“, fluchte sie und sprang auf. Wer auch immer gerade ihre tadellose Gewinnstrecke UND ihren uralten Röhrenbildfernseher ruiniert hatte, würde dafür mit dem Leben zahlen müssen!   Außer sich vor Zorn stampfte sie durch das Zimmer, schnappe sich dabei Barbie, die neben der Tür an der Wand lehnte und eilte schließlich die Treppen hinab ins Erdgeschoss. Ihren mit Nägeln und Rasiermesserklingen bespickten Baseballschläger geschultert, war sie zu allem bereit, was wehtun konnte. Breitbeinig baute sie vor der Haustür auf, während es abermals klingelte. „Oh Kumpel, ganz blöde Idee“, murmelte sie bereits mit grimmigen Vergnügen und beugte sich zu dem Spion. Nur für den Fall, dass es Nick oder Abby waren, schließlich tötete man nicht einfach seine Nutztiere. Denn wenn sie jetzt durch diese Tür stürmte, war sie nicht mehr zu stoppen. Doch statt ihren Freunden erkannte sie durch die Linse verformt eine Person in einem schwarzem Mantel, die sich gerade von der Klingel neben der Haustür entfernte und plötzlich selbst in den Spion schaute. Es waren graue Augen. Anya wich zurück, starrte dann neugierig wieder durch. Nun stand der junge Mann mit verschränkten Armen da und tippte regelmäßig mit der Fußspitze auf den Boden. Schwarzes, nach hinten hoch abstehendes Haar, eine genervte Mimik, besagte graue Augen – Anya wurde ganz anders. Diesen Typen kannte sie doch!   Eben der hämmerte plötzlich gegen die Tür. „Mach endlich auf, ich weiß, dass du zuhause bist!“ Anyas Augen verengten sich zu Schlitzen. Wieso stand ausgerechnet -der- vor ihrer Tür!? Hatte diese Knalltüte etwa Todessehnsucht? „Ob ich zuhause bin?“, murmelte sie und warf einen Blick auf Barbie. „Du wirst dir gleich wünschen, dass jemand ganz laut 'nein' geschrien hätte, Mistkerl! Ahhhhhhhhh!“   Unter ihrem Kampfschrei riss sie die Tür auf und holte blindlings mit Barbie aus. Der Schwarzhaarige wusste gar nicht, wie ihm geschah, als Anya auf ihn losging und wich gerade noch rechtzeitig zurück, als sie wie ein Berserker nach ihm schlug. „Stopp!“, rief der Dämonenjäger Matt und hob die Hände, von denen eine bandagiert war, nur um sie rasch zurückzuziehen, da sie sonst von Barbie zerfetzt worden wären. „Stirb!“, schrie Anya und scheuchte den jungen Mann quer über den Rasen. Immer wieder musste der sich ducken oder Ausweichschritte machen, nur um nicht von der blonden Furie zermalmt zu werden. „Bist du verrückt geworden!? Lass das!“, schrie er Anya an, die aber gar nicht daran dachte und ihm mit einem Abwärtshieb den Schädel spalten wollte. Matt warf sich zur Seite und sah, wie Gras und Erde durch die Luft spritzen, als Barbie ihn verfehlte und auf dem Boden aufschlug. „Stirb, stirb, stirb!“, kreischte Anya ihn von der Seite nur an, während sie Barbie wieder anhob und nun nach seinen Beinen ausholte. Matt zog sie rechtzeitig zurück, sodass wieder nur der Rasen der Familie Bauer einstecken musste. „Warum willst du nicht endlich sterben!?“ Bevor Anya jedoch wieder zuschlagen konnte, trat Matt mit beiden Füßen zu. Anya, die sich vor ihn aufgebaut hatte um den Gnadenstoß zu liefern, wurde an beiden Schienbeinen getroffen und torkelte mit unmenschlichem Geschrei zurück. Gleichzeitig stützte Matt sich mit beiden Händen ab und sprang geschickt auf. Doch die Belastung seines verletzten Arms ließ ihn aufstöhnen. „Ich kann auch austeilen, wenn ich will!“, meinte er genervt und rieb sich dabei über die bandagierte Stelle. „Ah, verdammt!“ Anya stützte sich auf Barbie ab und legte mit schmerzverzerrter Miene die Hand auf ihr linkes Bein. „Mistkerl, das war unfair! Halt beim nächsten Mal einfach still, 'kay!?“ „Kein Bedarf!“, motzte er zurück. „Schade, dann eben auf die harte Tour! Hieyhieyhiey!“ Wieder stürmte Anya unter einem misslungenen Xena-Kampfausruf auf ihren Gegner zu und schwang Barbie von einer Seite zur anderen, um ihrer blinden Wut Ausdruck zu verleihen. Bei Matt angelangt, versuchte sie es wieder mit einem Abwärtshieb, doch als der Dämonenjäger auswich, änderte sie die Richtung des Schlages und war sich des Sieges gewiss. Dummerweise schien ihr Gegenüber mit so etwas gerechnet zu haben, denn er war schneller als sie und machte einen Schritt nach vorn, packte Anyas Handgelenk, drehte es. Und ehe sie sich versah, hatte er sie einfach entwaffnet.   „Lass mich los!“, brüllte sie ihn an und versuchte sich aus seinem Griff zu winden, doch Matt zog ihren Arm und somit auch sie nur näher an sich heran. „Erst wenn du mir zuhörst“, antwortete er ärgerlich. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. „Ich bin nicht hier, um dir etwas anzutun!“ „Das ist aber schade! Ich hab nämlich ganz viele Ideen, was ich dir antun könnte!“ Eine davon war, dass sie ihm ihr Knie in die Kronjuwelen rammen wollte. Leider blockte Matt den Angriff mit seiner freien Hand ab, was Anya jedoch die Gelegenheit gab, sich loszureißen, Barbie aufzusammeln und sich neu zu formieren. Mit erhobenem Baseballschläger stand sie Matt gegenüber. „Na!? Noch 'ne Runde gefällig!? Ich werde gerade erst warm!“ „Kein Bedarf“, brummte er wieder, wich aber dennoch ein wenig zurück. Dabei bemerkten beide gar nicht, wie zwei Fahrradfahrer mit ungläubigen Blicken an Anyas Grundstück vorbeifuhren und in die Pedale traten, als sie erkannten, wer da gerade im Begriff war, lebenslang hinter Gitter zu kommen. „Was willst du dann überhaupt hier!?“, verlangte Anya zu wissen. „Ich kaufe nix von Pennern! Schon gar nicht von welchen, die meine Freundin erpressen wollten!“ „Die Fragen erst stellen, wenn das Opfer schon tot ist, huh?“, erwiderte Matt bissig. „Zum Glück bin ich kein Schwächling, der sich von einem Mädchen fertig machen lässt!“ „Pass auf, was du sagst! Dieses Mädchen war allein dieses Jahr schon 37 Mal auf dem Polizeirevier! Und das sind nur die Leute gewesen, die gepetzt haben!“ „Ich werde in mehreren Bundesstaaten wegen Mordes an meinem Vater gesucht!“ „Pah! Das kann ich locker überbieten! ICH werden in -allen- Bundesstaaten wegen-“ Doch Anya realisierte, dass das, womit sie sich gerade brüsten wollte, noch in der Planungsphase befand und sie bedauerlicherweise kein derartiges Delikt auf dem Kerbholz hatte. Noch nicht! „Oh verdammter Kackmist! Aber ich habe auch schon jemand umgebracht. Marc Butcher, wenn dir das was sagt?“ Gleichzeitig verfinsterte sich ihr Blick deutlich. „Also Gleichstand?“ Matt pfiff anerkennend. „Hab in der Zeitung davon gelesen. Demnach bist du für den Brand im Park verantwortlich. Aber Marc Butcher killen? Dachte der wäre bei dem Brand umgekommen? Außerdem hab ich dich bisher eher so eingeschätzt, dass du zu der Sorte Mensch gehörst, die im letzten Augenblick kneift.“ „Eine Anya Bauer kneift nicht!“ Matt nickte grinsend. „Anscheinend. Hab dich wohl unterschätzt.“ Plötzlich wurde sein Blick ernster. „Allerdings sollten wir nicht in der Öffentlichkeit über so etwas reden. Wie ich schon sagte, bin ich nicht hier, um dir zu schaden. Im Gegenteil. Ich bin gekommen, um dir ein Friedensangebot zu machen!“ Anya lachte auf und deutete bedrohlich mit ihrer Waffe auf ihn. „Bin ich Mutter effing Theresa oder was!? Ich HASSE Frieden! Und werde ihn bestimmt nicht mit jemandem schließen, der mich neulich noch in einem Sarg sehen wollte!“   Doch bevor die Blondine wieder mit Barbie auf ihn losgehen konnte, zückte Matt eine Karte aus seinem Ärmel. Entgegen Anyas Erwartungen handelte es sich nicht um einen Zauber der Dämonenjäger, sondern um eine gewöhnliche Duel Monsters-Karte. „Wie soll ich es sagen, die Umstände haben sich geändert. Die hier kriegst du, wenn du dich mit mir hinsetzt und erstmal nur zuhörst, was ich zu sagen habe“, erklärte Matt ruhig. „Bah, ich bin nicht käuf-“ Doch als sie erkannte, um welche Karte es sich handelte, klappte ihre Kinnlade hinunter. „Nein! Das kann nicht sein! Das ist bestimmt 'nen Fake oder eine Bombe!“ „Nein, ist sie nicht. Sieh selbst“, erwiderte Matt und warf Anya die Karte zu. Die fing sie zwischen Mittel- und Zeigefinger auf und starrte ehrfürchtig das Artwork an. „Unmöglich! Woher hast du die!?“ „Manche Leute -sind- käuflich. Hab sie vom Schwarzmarkt. Unglückliche Geschichte, der ursprüngliche Besitzer hatte ein paar Bekannte im Untergrund, die am Ende nicht seine Freunde waren. Egal. War jedenfalls nicht gerade billig.“ Anya hielt das Fusionsmonster wie einen Schatz in der Hand. Von [Gem-Knight Zirconia] gab es nur sehr wenige Exemplare, da jene vor einiger Zeit als eine von verschiedenen Preiskarten auf internationalen Turnieren ausgegeben wurden. Doch so weit zu kommen war für Anya immer nur ein unerreichbarer Traum gewesen. Und jetzt hatte sie die Karte, die besondere, die fast vergessene, die, die nie Teil ihrer Sammlung war, endlich in den Händen!   Die Betonung lag auf hatte, denn Matt stand plötzlich vor ihr und riss sie ihr wieder aus der Hand. Verdutzt starrte sie den Dämonenjäger an, als habe er gerade Barbie verbrannt. „Sorry, aber behalten darfst du die nur, wenn wir jetzt reingehen und uns unterhalten.“ „Ich bin nicht käuflich!“, fauchte sie und versuchte das wertvolle Stück aus seiner Hand zu reißen, doch er wich aus. „Gib die her!“ „Hast wohl Blut geleckt, huh? Na, was wird wohl siegen? Gier oder Sturheit?“ In Anya spielte sich derweil ein nahezu epischer Kampf ab. Natürlich wollte sie die Karte haben, mehr als jede andere. Aber doch nicht von dem! Bloß hätte sie dann endgültig ihre Sammlung vollständig! Aber wegen dem und nicht aus eigener Kraft! Doch wann bot sich schon so eine Gelegenheit, immerhin wurde [Gem-Knight Zirconia] nicht mehr gedruckt? Aber dann stünde sie in der Schuld ihres Feindes! Andererseits … „Ach scheiß drauf, gib das Teil her! Von mir aus höre ich mir dein Gelaber an!“ Drohend hob sie ihren Zeigefinger und schulterte Barbie. „Aber komm nicht auf dumme Gedanken! Ich kann mir das Ding auch so holen, vergiss das nicht!“ Matt grinste triumphierend. „Na bitte, geht doch!“ Wenn der wüsste, dachte Anya hinterhältig. Sobald das Teil ihr gehörte, würde es eine Nervensäge weniger auf der Welt geben! Als ob sie es ihm so leicht machen würde, immerhin hatte sie noch eine Rechnung wegen Abby mit ihm offen! Wen interessierte schon der beknackte Fernseher, heute war ihr Glückstag!   ~-~-~   Zusammen betraten Anya und Matt das Wohnzimmer der Familie Bauer. Anya deutete auf die Couch an der Nordwand und meinte giftig: „Mach's dir bequem! Aber nicht zu sehr, lange wirst du hier nämlich nicht sitzen!“ „Werden wir noch sehen“, erwiderte Matt kühl und zog an ihr vorbei, ließ sich in das schwarze Leder fallen und breitete sich zu Anyas Ärgernis aus, als würde ihm das Haus gehören. Er schlug in lässiger Pose ein Bein über das andere und legte sein Kinn auf den Handrücken, wobei er sich mit dem Ellbogen an der Lehne abstützte. Anya hingegen nahm auf einem der beiden Sessel Platz und saß Matt schräg gegenüber, wobei sie Barbie griffbereit an besagtem Sessel anlehnte. „Okay, was willst du?“, fragte sie herrisch und forderte im gleichen Atemzug: „Und rück' die Karte raus, wenn wir schon dabei sind!“ Matt zuckte nur mit den Schultern und schob [Gem-Knight Zirconia] über den Glastisch. Mit einer hastigen Bewegung schnappte sich Anya das wertvolle Stück und funkelte den Schwarzhaarigen feindselig an. „Ich mach's kurz. Ich bin hier, weil ich nicht will, dass du zu Eden wirst“, erklärte Matt schließlich tonlos. „Das hat zwei Gründe. Einer wäre, dass du auch andere Menschen neben dir ins Unglück stürzen würdest, was nicht in meinem Interesse liegt. Der andere ist, dass niemand weiß, was genau Eden ist und wie sich das auf unsere Welt auswirken wird. Die Gefahr, einen verhängnisvollen Fehler zu begehen, ist viel zu groß. Kannst du mir folgen?“ Anya blinzelte zweimal, ehe sie ebenso kühl erwiderte: „Aha.“   Dann richtete sie ihren Blick auf das Fusionsmonster in ihren Händen und wollte gespannt den Effekttext lesen, als sie plötzlich aufschrie: „Huh!? Kein Effekt!?“ „Hast du etwas anderes erwartet? Das ist die stärkste Karte der Gem-Knights. Da kann selbst das Geschenk von deinem Dämonenfreund nicht mithalten“, meinte Matt spitzzüngig. „Sag bloß, das wusstest du nicht?“ „Das ist doch Beschiss!“, donnerte Anya wütend. „Was interessieren mich 2900 Angriffspunkte, wenn das Teil sonst nix auf den Kasten hat!? Wieso zum Teufel passiert so etwas immer mir!?“ Matt grinste. „Schon mal was von Karma gehört?“ „Davon redet Abby auch andauernd. Ist das ne neue Seife oder so!?“ Anya schnaubte wütend. „Ist ja auch egal! Das klären wir später!“   Die beiden sahen sich kurz schweigend an, ehe Matt sich am Kinn rieb. „Also, wie viel weißt du über Eden und die Gründer?“ Anya machte kurz ein nachdenkliches Gesicht. Zumindest gab sie sich Mühe, doch tatsächlich musste sie gar nicht lange grübeln, um eine Antwort zu finden. „Dass das Teil am 11.11. ne Party feiert und ich sozusagen der Stargast bin?“ „Mehr nicht?“ Matt schien aufrichtig überrascht und beugte sich mit großen Augen nach vorne. „Nimmst du das hier etwa nicht ernst? Dir bleiben verdammt nochmal nur noch ein paar Tage bis dahin! Was zur Hölle hast du die letzten Wochen getrieben!? “ „Ähm, mich mit Möchtegerndämonen und Dämonenjägern herumgeschlagen?“ Anya runzelte verärgert die Stirn. „Entschuldige, dass ich nicht in deinen Kreisen verkehre und daher auf uralte Bibliotheken zurückgreifen muss! Ist doch nicht meine Schuld, wenn in den Schinken dort nur Schwachsinn steht! Woher soll ich wissen, wo es die -guten- Infos zu finden gibt!?“ Doch Matt fasste sich nur an die Stirn und schüttelte fassungslos den Kopf. „Das glaub ich jetzt nicht. Hast du ein Glück, dass ich hier bin. Andernfalls würdest du blindlings in dein Verderben rennen.“ Plötzlich meinte er aufgebracht: „Anya, du hast gerade mal noch zwei Wochen Zeit, alles vorzubereiten! Wenn es nicht wegen -ihm- wäre, wäre es mir vollkommen gleich, was mit dir geschieht!“ Allerdings ließ sich das Mädchen nicht von seinen Worten beeindrucken und antwortete schnippisch: „Gott, hab ich aber ein Glück … Wie wäre es, wenn du mir erstmal erklärst, was ein Gründer überhaupt ist! Und was heißt hier eigentlich vorbereiten?“   Ich denke, mit Gründer meint er mich. Allerdings tappe ich, was diese Vorbereitungen angeht, ebenso im Dunkeln wie du, Anya Bauer.   „Was heißt hier, du denkst!?“, wandte sich Anya an die Decke des Wohnzimmers. „Kann es sein, dass du in der Dämonenschule, als es um Eden ging, zufällig wegen akuter Hirnabstinenz gefehlt hast!?“ „Weiß er nicht, dass er ein Gründerindividuum ist?“, fragte Matt überrascht. Anya verzog verärgert das Gesicht und ließ sich in die Lehne des Sessels fallen. „Offensichtlich nicht, Schlaumeier. Aber du. Wie wäre es also, wenn du den Mund aufmachst und zu singen beginnst? Bevor ich auf die Idee komme, Barbie als Vorhut reinzuschieben!“ „Ist im Grunde ganz einfach“, meinte der Schwarzhaarige und ließ sich ebenfalls wieder zurückfallen. „Die Dämonen, die als Gründer bezeichnet werden, sind die einzigen ihrer Art, die die Vorgänge rund um Eden in Gang setzen können. Als du den Pakt mit deinem unsichtbaren Freund geschlossen hast, hast du damit automatisch alles in die Wege geleitet. Herzlichen Glückwunsch, in zwei Wochen wird der Turm von Neo Babylon deine Schule platt machen. Gut gemacht!“ „Häh? Hast du das gewusst?“, fragte Anya Levrier, da sie sonst keine Idee hatte, was sie sagen sollte. Ihr war das alles jetzt schon viel zu kompliziert.   Ja. Der Turm von Neo Babylon ist essentiell für unser Unterfangen. Ohne ihn ist es unmöglich, Eden zu werden.   „Komisch. Warum überrascht mich es mich gar nicht, dass du mir das bisher verschwiegen hast?“, fragte Anya bissig und wandte sich an Matt. „Deine Erklärung, Einstein?“ Der junge Mann in Schwarz schloss die Augen und überlegte. Kurz darauf öffnete er sie wieder und setzte zur angeforderten Erklärung an. „Hör zu, Anya. Mein Wissen ist auch nur sehr lückenhaft, deswegen werde ich dir nicht sagen können, wie du Eden wirst, geschweige denn genau das verhindern kannst. Alles was ich weiß, habe ich aus diversen Aufzeichnungen, die die Dämonenjäger und gescheiterten Gründerindividuen uns hinterlassen haben. Hätte Refiel in dem Duell zwischen dir und Alastair deinen 'Kumpel' nicht als Gründer erkannt, wüssten wir bis heute nicht, womit wir es zu tun haben.“ „Ahja. Und weiter?“ Anya spielte gelangweilt mit einer blonden Strähne, die ihr im Gesicht hing. Seufzend legte Matt seine Unterarme auf die Oberschenkel und ließ den Kopf hängen. „Sie alle beschreiben den Beginn dieses Prozesses wie folgt. Zunächst formt der Gründer mit einem Menschen, der ihm würdig erscheint, einen Pakt. Dieser ist der Grundbaustein für alles, was folgt. Dort, wo er geschlossen wurde, wird zum vorgesehenen Tag der Turm von Neo Babylon erscheinen.“ „Das wäre ja in der Aula“, überlegte Anya. Plötzlich legte sie ein triumphierendes Grinsen auf, als sie realisierte, was Matts Worte bezüglich der Livington High bedeuteten. „Geil! Heißt das, die Schule verschwindet?“ „Weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass du nur im Inneren des Turms zu Eden werden kannst.“ „Dann bleib ich dem Teil einfach fern“, schloss Anya daraus stolz und lehnte sich entspannt zurück. „Problem gelöst.“ Matt lachte zynisch auf. „Als ob. Die letzten Gefäße der Gründer, die das versucht haben … ach egal.“ Wieder ließ er den Kopf hängen. „Es funktioniert nicht. Bisher hat niemand der Betroffenen einen Weg gefunden, den Prozess von Edens Erwachen aufzuhalten. Genau wie es wohl noch nie jemandem gelungen ist, Eden zu erwecken.“   Ich habe es in der Vergangenheit bereits versucht. Auf der höchsten Spitze des Turms, im Kristallsaal, sollte es stattfinden. Doch mein Gefäß starb einen elendigen Tod, bevor das eigentliche Ritual überhaupt begonnen hatte. Bis heute habe ich dafür keine Erklärung gefunden.   „Huuu, die guten Nachrichten häufen sich“, brummte Anya und richtete ihr Wort an Matt. „Das wird ja immer besser. Weißt du zufällig, warum bisher jeder gescheitert ist?“ „Offensichtlich weil die falsche Menge an Zeugen als Opfer angeboten wurde.“ Einmal mehr runzelte Anya in ihrer Unwissenheit die Stirn und verschränkte genervt die Arme. „Und das Ganze heißt übersetzt soviel wie … ?“ „Es heißt“, sprach Matt und sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich. Auch wurde er plötzlich sehr leise, dass Anya sich regelrecht in seine Richtung beugen musste. „Es heißt, dass du allein nicht imstande bist, Eden zu wecken.“ „Ahja?“ „Ja …“ Mit einem Ruck sah er weg. „Du brauchst diejenigen, die die Zeugen der Konzeption genannt werden. Menschen, die ebenfalls im Pakt mit einer hohen Wesenheit stehen. Du erkennst sie an den Malen an ihren Armen, die deinem ähneln. Jede Wesenheit hat dabei ihr eigenes Symbol. So hat es zumindest einer der gescheiterten Gründer ausgedrückt.“ Die Blondine hob ebendiesen Arm und betrachtete das schwarze Kreuz im Dornenkranz auf ihrer Haut. Anschließend sah sie wieder auf. „Klingt scheiße.“ „Ist es auch, denn sie müssen für Eden geopfert werden. Aber wie viele gebraucht werden, das weiß niemand. Und das ist der Grund, warum ich hier bin. Die Zeugen … du wirst sie ins Unglück stürzen.“   Anya Bauer! Wenn das der Wahrheit entspricht, ist Valerie Redfield in großer Gefahr! Sie besitzt ebenfalls ein solches Mal! Noch bevor Levrier geendet hatte, sprang Anya mit funkelnden Augen auf. „Eden, ich komme! Alter, endlich werd' ich diese Dumpfralle los! Hallelujah!“ Matt klatschte sich die Hand an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Hast du überhaupt zugehört? Da könnten Menschen sterben! Wegen dir!“ Allerdings interessierte das Anya nicht. Sie blickte gleichgültig auf ihn herab und verzog keine Miene, als sie sagte: „Wen juckt's?“ „Mich!“ Nun war auch Matt aufgesprungen.   Ich sage das nur ungern, aber auch Marc Butcher muss demnach ein Zeuge der Konzeption gewesen sein. Das ist also die Verbindung, die ich zu diesem Dämon, Isfanel, gespürt habe. Sein Gefäß ist ein potentielles Opfer gewesen. Das erklärt, warum ich beim letzten Versuch, Eden zu erwecken, gescheitert bin. Ich habe nicht um die Existenz jener Zeugen der Konzeption gewusst … doch …   Allerdings hörte Anya gar nicht zu, sondern funkelte nur ihr Gegenüber an. Dabei erwiderte sie nicht minder aufgebracht und wild gestikulierend: „Wen verdammt nochmal juckt's? Es hat doch jeder selbst die Wahl, ob er diese Paktkacke annimmt oder nicht! Redfield hätte eben das Kleingedruckte lesen müssen! Und ich werde sicher nicht wegen der …“ Doch Anya wusste nach wie vor nicht, was genau die Konsequenzen ihres Scheiterns waren. Deswegen stampfte sie wütend auf. „Ich werde definitiv, aber so was von sicher NICHT aufgeben, klar!? Was soll ich auch tun, wenn es sowieso keinen Weg gibt, den Mist zu beenden!?“ „Du bist ein Monster, weißt du das!?“, erwiderte Matt, dessen Kopf hochrot vor Wut geworden war. „Und da heißt es, ich wäre die Verkörperung eines Dämons, huh!? Lächerlich!“ „Ach ja? Na warum killst du mich dann nicht, wenn ich doch so böse bin und du mich am liebsten loswerden würdest!?“, fragte Anya provozierend und winkte Matt tollkühn zu sich. „Lass uns da weitermachen, wo wir eben aufgehört haben!“ „Pah!“, raunte der Dämonenjäger und winkte ab. Er wandte sich dem Fenster zu und durchschritt das Wohnzimmer. Den Blick von ihr abgewandt, murmelte er verbittert: „Was glaubst du wohl? Wenn das ginge, hätte Alastair schon längst kurzen Prozess mit dir gemacht.“ Das Mädchen schnalzte mit der Zunge und grinste gehässig. „Der hat wohl eingesehen, dass ich in einer anderen Liga spiele als er.“ Matt sah sie über seine Schulter hinweg hasserfüllt an. „Soll das ein Scherz sein? Nur weil du nahezu unsterblich bist, heißt das nicht, dass du uns überlegen bist.“   Er weiß davon!?   „Wovon?“ Anya blinzelte verdutzt. „Huh?“ Vor Verwirrung verzichtete sie sogar auf ihre obligatorischen Protestsprüche inklusive Beleidigung und Drohgebärden. „Unsterblich, ich? Bin ich endlich ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen worden?“ Matt lachte zynisch auf. „Klar, als größter Kotzbrocken der Menschheit! Pff, so etwas Ähnliches hat deine Freundin damals auch gesagt, als ich ihr davon erzählt habe.“ „Danke, du hast ja doch Ahnung“, erwiderte Anya, stolz auf seine ursprünglich als Beleidigung gemeinten Worte. „Aber was soll das heißen, meine Freundin habe etwas Ähnliches gesagt? Meinst du Abby?“ „Als ich ihr sagte, dass der Pakt mit dem Gründer dir zeitweilige Unsterblichkeit verleiht, hat sie auch so einen ähnlichen Witz gerissen.“ Der Schwarzhaarige musste bei dem Gedanken daran schmunzeln. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieses Mädchen noch nicht geahnt, was ihr bevorstand. Doch als er sah, wie Anyas Züge sich verhärteten, traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. „Sie hat dir nichts davon erzählt?“ „Allerdings …“ Matt stöhnte auf und schlug sich die Hand vor die Stirn. „Oh verdammt! Und ich Idiot serviere dir das auch noch auf dem Silbertablett?“ Er schüttelte den Kopf und musste auflachen. „Man … ich und mein Glück. Da zerfetzt die mir den Arm und erzählt dir dann nichts von alldem?“ Schließlich pfiff er anerkennend. „Respekt. Diese Abby ist sogar loyal ihren Feinden gegenüber.“ „Aller-dings“, knurrte Anya unmenschlich und ballte eine Faust. Mit einem Mal sah der Dämonenjäger das Mädchen mit einem fiesen Grinsen an. „Ob das daran liegt, dass sie sich umentschieden und die Seiten gewechselt hat?“ „Das werden wir gleich herausfinden!“, donnerte Anya wütend. „Wenn ich die in die Finger bekomme, mache ich sie kalt, dann warm und anschließend wieder kalt!“   Es hatte sie wie ein Schlag getroffen. Nicht die Unsterblichkeit, die war ihr egal. Aber dass Abby ihr nichts davon erzählt hatte, war für Anya schlichtweg Verrat. Ausgerechnet sie, ihre beste Freundin! Wie viel hatte sie von Matt erfahren? Alles eben Gesagte? Oder gar noch mehr? Warum!? Nach allem, was Anya für sie getan hatte. Was zugegebenermaßen etwas mehr hätte sein können, aber dennoch! Sie hatte Abby davor bewahrt, eine Mörderin zu werden, noch dazu hatte sie sie überhaupt erst aus den Fängen Alastairs befreit und sie hatte ihr ihr Selbstvertrauen wiedergegeben, nachdem sie Angst vor sich und ihrer Herkunft entwickelt hatte! Und was war der Dank!? Verrat! Diese miese Lügnerin! Was sollte dann das auf dem Dach neulich? Wollte Abby sie zu diesem Zeitpunkt tatsächlich umbringen und hatte es schlichtweg aus Feigheit nicht durchziehen können? Anya wusste nicht mehr, ob das Mädchen noch Freund oder Feind war. Genau wie Levrier, der ihr all dies ebenfalls verschwiegen hatte. Sie würde die beiden-!   „Oh verdammt!“, polterte Matt plötzlich und schreckte vom Fenster zurück. „Was ist denn!?“, fauchte Anya ihn an, denn sie hasste es, wenn man ihre theatralischen Momente unterbrach. Nicht mal ungestört aufregen konnte man sich mit dem! Matt deutete mit dem Daumen Richtung Fenster. „Ich schätze, wir haben unerwartet Besuch bekommen.“ Widerwillig trat Anya zu ihm und sah hinaus auf die Straße. Und als sie erkannte, was er meinte, stöhnte sie frustriert auf. „Oh, na toll! Jetzt ist auch noch Oddstrange McWeirdo hier. Und ich dachte echt, der Tag kann nicht mehr beschissener werden!“   Wenn man jedoch Alastairs vernarbtes Gesicht dort draußen recht betrachtete, wie er dort auf dem Bürgersteig vor Anyas Gartentür stand, mochte man glatt vom Gegenteil ausgehen. Denn Anyas Zorn schien nichts zu sein im Vergleich zu dem, der Alastair offensichtlich hierher geführt hatte. Still stand er da und wartete, hatte er die beiden am Fenster schließlich längst bemerkt.   „Das wird jetzt weniger lustig“, meinte Matt nachdenklich. Er wandte sich vom Fenster ab und schritt durch das Wohnzimmer, um das Haus zu verlassen. Anya blickte ihm genervt hinterher. „Was will der überhaupt hier? Will der mir plötzlich auch helfen?“ Sie folgte ihm zur Haustür. „Nein“, erwiderte Matt, wobei er schon vor ebenjener stand. „Ganz im Gegenteil. Alastair will dich am liebsten auf einem Scheiterhaufen sehen. Nur geht das eben nicht so leicht. Aber dass er sofort spitzgekriegt hat, dass ich mit dir gemeinsame Sache machen will? Naja, so misstrauisch wie er ist.“ „Gibt's etwa Ärger im Paradies oder was ist los?“, raunte Anya spitz. „Ich dachte ihr seid'n Team?“ „Wart ab und sieh selbst.“ Das gesagt, öffnete Matt die Tür und trat ins Freie, dicht gefolgt von Anya, der langsam der Kopf vor so viel Informationsinput zu dröhnen begann. Dabei rief sie ihm hinterher: „Und nur damit du es weißt, ich glaube dir sowieso kein Wort! Du und ich, Partner? Pah, eher heirate ich Nick!“ „Pff, wenn du meinst …“   Als Matt dicht gefolgt von Anya über den Weg hin zur Gartentür des Grundstücks ging, richtete er seinen Blick starr auf Alastair. Es war wie ein Marsch bei einer Beerdigung, so kam es dem Dämonenjäger zumindest vor. Und so wie er Alastair kannte, plante dieser wahrscheinlich schon fleißig an der seinen. „Was für ein seltener Anblick“, spottete Alastair, als die beiden Partner sich schließlich durch den Zaun getrennt gegenüber standen. „Der Jäger und seine Beute, vereint.“ „Na so weit sind wir noch nicht“, gab Matt sich mit einem unbedarften Schulterzucken gelassen. Anya ihrerseits fügte scharfzüngig hinzu: „Und werden es auch nie sein! Niemand, der Anya Bauer-“ „Halt den Mund, Schlangenzunge“, verlangte Alastair ruhig aber bestimmend und schenkte dem Mädchen gar keine Beachtung, fixierte sich stattdessen auf Matt. „Hast du mir irgendetwas zu sagen?“ „Kommt drauf an, was du hören willst.“ „Eigentlich spielt es keine Rolle, was dich hierher geführt hat. Du lässt dich auf sie ein? Das macht uns zu Feinden.“ Der entstellte Alastair in seinem roten Mantel zog aus einer Innentasche ebenjenes ein Messer und zeigte damit auf seinen Freund. „Erwartete keine Gnade, nur weil wir uns nahestanden.“ Matt lachte fassungslos auf und breitete seine Arme aus. „Du willst das wirklich durchziehen? Ohne zu wissen, warum ich überhaupt hier bin? Seit wann bist du so verdammt ignorant?“   Doch statt einer Antwort erwartete Matt ein Ausfallschritt nach vorne. Das Messer schoss an seiner Wange vorbei, während er nach rechts auswich und Alastairs Arm packte. Allerdings konnte er den darauf folgenden Faustschlag seines Gefährten nicht abwehren und wurde an der Wange getroffen. „Hör auf damit!“, forderte Matt, machte einen Satz über Anyas Gartentor und stand Alastair nun direkt gegenüber. Nur um anschließend dessen Hieben und Stichen ausweichen zu müssen. Zeitgleich staunte Anya, wie schnell die beiden in ihren Bewegungen eigentlich waren. „Alter Falter!“   Was erwartest du? Diese beiden haben sich dem Kampf gegen die unseren verschrieben. Dass sie dazu körperlich und geistig trainiert sein müssen, ist eine Selbstverständlichkeit.   „Ach halt die Klappe!“ Das Mädchen hoffte darauf, dass einer der beiden es schaffte, den anderen einen Kopf kürzer zu machen. Dann müsste sie nämlich nur noch die Reste beseitigen. Zu denen übrigens auch Abby gehören würde!   Matt wich ein weiteres Stück von Alastair zurück. „Hör doch endlich zu!“ „Wieso sollte ich? Du wusstest um die Konsequenzen deines Handelns!“ Alastair verzog wütend sein Gesicht, was bei seinen vielen Brandnarben nahezu grotesk wirkte, als trage er eine Maske. „Schon damals, als du Idee hattest, einen Dämon auf sie zu hetzen, habe ich geahnt, dass es irgendwann hierzu kommen würde! Wie gut, dass wir das nie umgesetzt haben! Dennoch hat dich der heilige Refiel deswegen im Auge behalten! Ich musste wissen, was in dir vor sich geht!“ „Dann hat dein Haustier mich also ausspioniert, huh?“, erwiderte Matt bissig. „Du vertraust wirklich niemandem, oder?“ Alastair jedoch polterte: „Rede nicht so über einen Engel! In der Tat, ich vertraue niemandem! Und du bist der beste Beweis dafür!“ Auf seine harschen Worte hin zuckte Matt zusammen, denn er konnte die Wahrheit in ihnen nicht verleugnen. „Recht hat er …“ Anya ebenso wenig.   „Bleibt mir wohl nichts anderes übrig …“ Plötzlich zückte Matt aus der Tasche seines schwarzen Ledermantels zwei weiße Karten, von denen er eine in die Höhe warf und eine direkt auf Alastair zu. Es gab zwei grelle Lichtblitze und als Anya ihre Augen öffnete, musste sie schlucken. Der Himmel war verdunkelt, in tiefstem Blau, als wäre die Nacht angebrochen. Außerdem schien es so, als wären einige der Häuser des beschaulichen Vororts Livington plötzlich durch unsichtbare Mauern direkt in ihrer Mitte durchtrennt worden. Wie ein Würfel schien der Bannkreis sich über ihr Umfeld gelegt zu haben. Sie stöhnte resignierend. „Jetzt geht das wieder los …“ Plötzlich loderten schwarze Flammen um die beiden auf. Anya wich erschrocken zurück, als jene den Gartenzaun verbrannten und einen Teil des Grundstücks zu verschlingen begannen. „Spinnst du!? Meine Mutter wird mich dafür umbringen!“, keifte sie dabei und zeigte auf das Feuer, denn sie wusste bereits durch das Duell mit Alastair, dass der Schaden bestehen bleiben würde, trotz Bannkreis. Dass die Flammen aber auch auf das Nachbargrundstück herfielen, war Anya auf der anderen Seite völlig egal. So sparte sie sich wenigstens die Mühe damit, es irgendwann selbst zu tun. „Sorry, aber das muss sein“, entschuldigte sich Matt, während vor ihm und Alastair jeweils ein schwarzes Tuch aus Samt schwebte. Anya erkannte sie wieder, es waren diese Dinger, die wie Duel Disks funktionierten. „Tut mir leid um dein Grundstück, aber bevor Alastair hier noch völlig durchdreht, dachte ich mir, dass wir das unter uns regeln sollten. Ohne Zuschauer versteht sich.“ „Und deswegen ein Duell?“, fragte sein Kamerad höhnisch. Matt nickte ihm mit siegessicherer Mimik zu. „Sicher. Kann ja sein, dass du mir an den Kragen willst. Bei mir sieht das allerdings etwas anders aus. Irgendwie muss ich mich ja verteidigen, oder?“   Alastair betrachtete das schwebende Tuch mit dem eingenähten Duel Monsters-Spielplan darin, seine eigene Schöpfung. Die Flammen würden erst verschwinden, wenn der Zauber, der in dem schwarzen Stoff verwoben war, seine Wirkung verlor. Und das ging nur durch ein Duell. Er hatte also gar keine andere Wahl. Wütend sah er auf. „Was bezweckst du mit dieser Farce? Du verbündest dich mit dem Feind und nun das?“ Er richtete sich dabei an Anya. „Was soll das, Dämon? Hast du seinen Verstand verhext?“ Nicht weniger abweisend und zynisch erwiderte die: „Das musst du schon Matt von Schwafel fragen und nicht mich!“ „Kapierst du es nicht?“, herrschte jener seinen Freund und Mentor an. „Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten! Anya zu töten ist so oder so nahezu unmöglich, warum also versuchen wir nicht, ihr stattdessen zu helfen?“ Alastair verengte seine Augen zu Schlitzen und zischte: „Warum würde ich so etwas tun wollen? Sie ist eine Dämonenanbeterin und sollte vernichtet werden!“ „Genau das ist doch der springende Punkt! Dazu sind wir nicht in der Lage und das weißt du! Ich für meinen Teil werde aber nicht einfach nur zusehen, wie du in Lebensgefahr schwebst! Ich habe schon einmal meine Familie verloren, das wird mir kein zweites Mal passieren!“ Plötzlich erweckte Matt den Eindruck, als wäre er unendlich traurig. Er neigte den Kopf zur Seite und biss sich auf die Lippe, scheinbar erdrückt von der eigenen Hilflosigkeit gegenüber seinem Freund.   Erstaunt wandte Anya sich an den Schwarzhaarigen, welcher die Fäuste ballte und mit entschlossenem Blick auf Alastairs Reaktionen abwartete. „Was geht denn mit dir ab? Seit wann ist ausgerechnet der denn in Gefahr?“ „Sag's ihr“, verlangte Matt daraufhin von seinem Gegenüber. „Pff …“ Alastair schloss die Augen und hob seinen rechten Arm, ehe er den roten Stoff seines Mantels wegschob. Und was Anya dort erblickte, verschlug ihr glatt die Sprache. Neben dem vernarbten Gewebe war deutlich ein gelbes Mal zu sehen, welches eine Lanze darstellte, die direkt durch den Brustkorb eines Skeletts ging, einem schräg nach unten gerichtetem Pfeil gleich. „W-was!?“, sprudelte es schließlich aus dem Mädchen heraus. „Der auch!?“ „Das war der Preis, den ich zahlen musste, um des Heiligen Refiels Kraft zu empfangen“, erklärte Alastair emotionslos. „Wie du siehst, spielt es keine Rolle, ob Engel oder Dämonen dich erwählen. In beiden Fällen wirst du ein Zeuge der Konzeption.“   „Verstehst du nun, warum ich mit dir zusammenarbeiten will?“, fragte Matt Anya bedrückt. „Wirst du zu Eden, geht er womöglich hopps.“ Er wandte sich an das Mädchen und musste erstaunt bemerken, dass sie nicht mehr auf der anderen Seite des schwarzen Feuerwalls stand. Erschrocken stellte er fest, dass sie am Boden lag und sich nicht rührte. „Anya!“, rief er und starrte Alastair verwirrt an. „Was ist mit ihr?“ „Ihr Dämon hat sie ins Elysion befohlen“, antwortete jener unterkühlt. „Sieht so aus, als gäbe es Dinge, die er vor uns nicht bereden will. Im Elysion kann Refiel ihn nicht hören.“ „Bist du dir sicher? Sie-“ Alastair schnaubte. „So besorgt bist du also um jemanden, der vor Kurzem noch dein Erzfeind war. Kümmere dich nicht um sie. Bin nicht ich es, der im Mittelpunkt deiner Aufmerksamkeit stehen sollte?“ Aufgewühlt sah Matt abwechselnd zur bewusstlosen Blondine und Alastair, nicht wissend, wie er darauf reagieren sollte. Ihm war klar, dass mit seinem Freund ohnehin nicht zu diskutieren war. Sie beide wussten, dass sie das Duell austragen mussten, damit ihr loderndes Gefängnis verschwand, doch die Frage war, wie Alastair spielen würde. Er hatte Refiel, mit dem er realen Schaden durch seine Angriffe anrichten konnte. Matt hatte da bedeutend weniger Glück.   „Wenn du wirklich diesen Pfad beschreiten willst, sind wir fortan Feinde“, sprach Alastair ungerührt von der Verzweiflung seines ehemaligen Kameraden, denn diese war jenem regelrecht ins Gesicht geschrieben. So war es immer gewesen, wenn in Matt ein Kampf um die Frage entfacht war, was das Richtige sei. Der Dämonenjäger schüttelte auf Alastairs Worte hin vehement den Kopf. „Hör auf zu reden, als wäre alles so simpel, verdammt! Du warst es doch erst der Auslöser für alles! Wegen dir hat Anya den Pakt geschlossen! Also tu nicht so, als wäre alles meine Schuld! Stattdessen solltest du uns lieber helfen, einen Ausweg aus dieser Misere zu finden!“ „Ich werde niemals mit Dämonen kooperieren!“ Das war Alastairs letztes Wort. Um dies zu verdeutlichen, legte er sein Deck auf die dazugehörige Fläche des schwebenden Tuches, welches sich verhärtete und zu einer Marmorplatte wurde. „Dann werde ich dich eben dazu zwingen!“, erwiderte Matt und tat es ihm gleich. Das entlockte dem hochgewachsenen Mann mit dem langen, schwarzen Haar, von dem ihm ein Teil in Form eines Zopfes über der linken Schulter lag, ein höhnisches Gelächter. „Thh! Und wie willst du das anstellen? Mit einem bedeutungslosen Duell wie diesem? Du müsstest mich schon töten, um etwas an dieser Situation zu verändern. Aber zu so etwas bist du nicht in der Lage, auf die eine oder andere Weise. Warst du noch nie.“ Die traurige Wahrheit ließ Matt zusammen krampfen. Dennoch blieb er kämpferisch und versuchte sich an aufgesetzter guter Laune, wie er es immer tat, wenn er in Wirklichkeit verzweifelt war. „Wart es ab. Wie du weißt, bin ich immer für eine Überraschung gut.“ „Hmpf!“ Schließlich schrien beide: „Duell!“   [Alastair: 4000LP / Matt: 4000LP]   „Ich bin der Herausforderer, also fange ich auch an!“, stellte Matt klar, nachdem beide über ihr Startblatt verfügten. Doch kaum hatte er sein Deck berührt, durchlief ein eisiges Gefühl seinen Arm und breitete sich von dort im ganzen Körper aus. Seine Sicht verschwamm und statt der schwebenden Marmorplatte entstand ein völlig anderes Bild vor seinen Augen.   Alastair stand ihm in erhabener Pose im schwarzen Flammenkreis gegenüber, während weit über ihm eine eine weiße, mechanische Kreatur schwebte. Metallische Schwingen besaß sie, wie die eines Engels. Verbunden waren sie mit einem goldenen Ring, der sich am Rücken jenes Wesens befand, das statt Beinen eine Art Turbine am Unterleib besaß. Es streckte seinen rechten Arm in Matts Richtung und bündelte von der Handfläche aus eine gleißende Lichtkugel. „Das war's wohl“, sagte er, ohne überhaupt zu wissen warum er das tat. „4400 Angriffspunkte sind genug, um mich mit einem Schlag zu vernichten. Dumm gelaufen, huh? Hat ja nicht lange gedauert.“ Das waren nicht seine Worte, dachte Matt daraufhin erschrocken und erkannte, dass dies eine Vision sein musste. Und er kannte dieses Monster, dem Alastair nebenbei lauthals den finalen Angriff befahl. Es war [Vylon Epsilon]. „Judgment Bomber!“ Alastairs engelhafte Kreatur schoss nun die Lichtkugel in seiner Hand auf Matt ab, welcher schreiend in einer Explosion unterging.   Sogleich verschwamm alles und Matt sah wieder den Spielplan vor sich schweben, immer noch die Finger auf die oberste Karte seines Decks gelegt. Fassungslos, was gerade geschehen war, blickte er auf und starrte Alastair an. „Was … war das?“ „Wovon redest du?“, erwiderte der kühl. „Willst du nun beginnen oder nicht?“ „K-klar.“ Er zog hastig und ließ das eben Erlebte Revue passieren. Alastair hatte ihn mit einem Schlag besiegt, das war, was er gesehen hatte. Doch wieso? War das die Zukunft? Wenn ja, warum hatte er diese gesehen? Das ging doch weit über seine Fähigkeiten und die eines Dämonenjägers im Allgemeinen hinaus! Matt warf prüfend einen Blick auf sein Blatt. Was immer er da gesehen hatte, es musste etwas bedeuten! Konnte das Refiels Einwirken gewesen sein, um zu verhindern, dass etwas Schlimmes geschah? Der junge Mann schüttelte den Kopf. Nein, Refiel war ganz auf Alastairs Seite. Beziehungsweise kam es ihm eher so vor, als würde Refiel Alastair regelrecht lenken. Diesem Engel, den er nie gesehen hatte, traute Matt ohnehin nicht über dem Weg. Es war völlig undenkbar, dass der ihm beistehen wollte. Also woher kam diese Vision dann? Egal was es war, Matt war nicht so töricht, sie einfach zu ignorieren. Wenn Alastair wirklich vorhatte, ihn binnen eines Zuges zu besiegen, musste er unbedingt auf Nummer Sicher gehen. Denn es war zu erwarten, dass das, was Matt eben gesehen hatte, schon nächste Runde geschehen würde. „Ich setze ein Monster verdeckt!“, rief Matt und knallte jenes auf den Spielplan. Daraufhin erschien besagte Karte vor ihm in vergrößerter Form und Querlage. „Außerdem aktiviere ich [Foolish Burial]. Damit schicke ich ohne Umschweife ein Monster von meinem Deck auf den Friedhof.“ Der junge Dämonenjäger schnappte sich sein Deck und zückte schließlich [Steelswarm Scout], den er zusammen mit seiner Zauberkarte auf den Ablagestapel legte. „Sehr gut. Zug beendet!“ Matt überkamen jedoch Zweifel. In die Zukunft zu sehen war unmöglich! Nein, wegen seiner Nervosität musste ihm seine Fantasie einen Streich gespielt haben. Anders war das nicht zu erklären, was er gesehen hatte.   „Mein Zug.“ Alastair legte wortlos [Vylon Prism] auf seinen Spielplan. Sofort im Anschluss erschien das weiß-goldene Wesen, einem hohen Schild in Prismaform nachempfunden, vor ihm.   Vylon Prism [ATK/1500 DEF/1500 (4)]   „Nun von meiner Hand die Magiekarte [Celestial Transformation]. Dank ihr beschwöre ich von meiner Hand ein Monster der Gattung Fee als Spezialbeschwörung.“ Er legte sein Monster neben [Vylon Prism] und reckte stolz das Kinn. „Dabei gehen jedoch die Hälfte seiner Angriffspunkte verloren und es wird am Ende des Zuges sterben. Ich wähle [Vylon Hept].“ Eine weitere weiße Gestalt erschien, die breite Arme, dafür aber keinen Unterleib besaß. Goldene Schwingen ragten aus seinem breiten Rücken und ließen es nicht weniger edel erscheinen als seinen Kameraden.   Vylon Hept [ATK/1800 → 900 DEF/800 (4)]   „Was-!?“ Matt konnte es nicht glauben. Das bedeutete-! Alastair schwang seinen Arm aus. „Du weißt, was dich jetzt erwartet. Ich stimme den Stufe 4-Empfänger [Vylon Prism] auf [Vylon Hept] ein! Infinite power lies within the tormented soul! Rule this world with your penetrating gaze! Synchro Summon! Descend down, [Vylon Epsilon]!“ Ein gleißendes Licht breitete sich im Bannkreis aus, als [Vylon Hept] durch die vier typischen, grünen Synchroringe flog, in die sein Kamerad zersprungen war. Was folgte war eine regelrechte Lichtexplosion. Ein mechanisches Schnarren ertönte daraufhin, als über Alastair eine weiße Maschine mit ebenso weißen Metallschwingen herabstieg. Jene Flügel waren an einem goldenen Ring befestigt, der über seinem Rücken angebracht war und wie alle Vylon-Monster mangelte es auch Epsilon an Beinen, wofür er stattdessen eine turbinenähnliche Vorrichtung besaß, mit der er zu schweben vermochte.   Vylon Epsilon [ATK/2800 DEF/1200 (8)]   „Unmöglich …“, murmelte Matt fassungslos im Lichte des majestätischen Ungetüms. „Natürlich ist das möglich. Und sieh her, es ist noch nicht vorbei!“ Alastair zückte [Vylon Prism] zwischen seinen Fingern hervor und erklärte: „Indem ich mein Leben um 500 Punkte verkürze, kann ich diese Karte zu einer Ausrüstungsmagie umfunktionieren, sobald sie den Friedhof betritt. Diese verbindet sich nun mit [Vylon Epsilon] und stärkt es nur im Falle eines Kampfes um 1000 Angriffspunkte!“   [Alastair: 4000LP → 3500LP / Matt: 4000LP]   „Also 3800 im Ernstfall“, zählte sein Gegner nur gebannt mit, als eine durchsichtige Abbildung des prismaartigen Schildes in [Vylon Epsilon] verschwand. „600 fehlen noch …“ „600?“, hakte Alastair mit unterschwelligem Erstaunen nach. „Du weißt also schon, was jetzt geschehen wird?“ „Man könnte sagen, ich kann es mir denken“, erwiderte Matt grimmig. Was er gesehen hatte, es würde eintreten. Aber das war völlig absurd! „Hmpf, wie auch immer. Ich aktiviere von meiner Hand die Ausrüstungsmagie [Vylon Material], die meine Kreatur um 600 Angriffspunkte verstärken wird. Doch ich benutze [Vylon Epsilons] Effekt und schicke besagte Ausrüstung sofort wieder auf den Friedhof, um dein Monster zu vernichten! Declaration Of Superiority!“ Epsilon legte seine gewaltigen Hände aufeinander und schoss eine Lichtkugel auf Matts gesetzte Karte ab, die in einer grellen Explosion zerfetzt wurde. Kurz erschien eine schwarze Bienengestalt, die jedoch unter dem Druck des unnatürlich lodernden Infernos einfach zersprang. „Wie du weißt, erhalte ich eine neue Vylon-Magiekarte, wenn [Vylon Material] auf den Friedhof geschickt wird.“ Alastair zeigte eine weitere Kopie besagten Ausrüstungszaubers vor. „Diese hier soll es sein und deinen Untergang besiegeln, indem ich mein Monster zurück auf 4400 Angriffspunkte bringe und dich mit einem Schlag vernichte!“   Ein dünner Stachel schoss aus den weißen Flammen und drang direkt in [Vylon Epsilons] Brust ein. Matt stand mit verschränkten Armen hinter seiner Marmorplatte und grinste zufrieden. „Dacht ich's mir doch. Du hast gerade [Steelswarm Sting] zerstört und damit deinen Untergang besiegelt, nicht meinen. Wie du weißt, reißt Sting ein beliebiges Ritual-, Fusions- oder Synchromonster mit sich ins Verderben. Bye bye, [Vylon Epsilon]!“ Mit einem noch lauteren Knall detonierte der Stachel in der Brust des mechanischen Engels und riss ihn so in tausende Stücke. Erstaunt sah Alastair nach oben, von wo überall Einzelteile seiner Kreatur herabregneten und sich auflösten. Nebenbei nahm er aufgrund der Tatsache, dass [Vylon Material] bei der Zerstörung seines Monsters auf den Friedhof gelegt wurde, die dritte und letzte Kopie ebenjener vom Deck aufs Blatt. „Tja, sieht so aus, als hätte der Schüler seinen Meister überholt. Ich kann deine Gedanken lesen, weißt du?“, triumphierte Matt zufrieden. Und überspielte damit den Fakt, dass er diesen Sieg nur dieser seltsamen Eingebung zu verdanken hatte. „Du hast 'meine' Gedanken anscheinend nicht zu Ende gedacht“, holte Alastair ihn da plötzlich mit unheilverkündender Stimme auf den Boden der Realität zurück. „Magiekarte, [Monster Reborn]!“ „Was-!?“ Dort, wo eben noch Alastairs Monster zerfetzt worden war, regenerierte es sich in bläulichem Licht nun wieder zu alter Pracht.   Vylon Epsilon [ATK/2800 DEF/1200 (8)]   „Verdammt“, schrie Matt fassungslos, „das kann doch nicht wahr sein!“ „Dachtest du ernsthaft, ich hätte mit so etwas nicht gerechnet?“ Alastair schnaubte abfällig. „Maße dir nicht an, dich über mich zu stellen. Wissen allein genügt dazu nicht. Das beweise ich dir jetzt! Ich rüste [Vylon Epsilon] mit [Vylon Material] aus!“ Um seine Kreatur erleuchtete eine silberne Aura.   Vylon Epsilon [ATK/2800 → 3400 DEF/1200 (8)]   Anschließend streckte Alastair seinen Arm aus und zeigte erbarmungslos auf Matt. „Empfange deine Strafe, Verräter! [Vylon Epsilon], Judgment Bomber!“ „Oh verdammt!“ Matt wich noch zurück, doch es geschah innerhalb eines Herzschlags. Die monströse Maschine spannte ihre Schwingen und schoss in so hoher Geschwindigkeit eine gewaltige Lichtkugel aus seinen Händen ab, dass für Matt gar nicht daran zu denken war, sich zu schützen. Laut krachend wurde er erwischt und in einer gleißenden Kuppel gefangen, aus der immer wieder und wieder Blitze auf ihn herab sausten, bis er schreiend in die Knie ging und umkippte.   [Alastair: 3500LP / Matt: 4000LP → 600LP]   Sein schwarzer Mantel war an einigen Stellen aufgerissen und verbrannt. Dennoch richtete Matt sich ächzend auf und versuchte darüber zu lachen. „Das ist wohl schief gegangen.“ Wankend auf die Beine gekommen, starrte er ungläubig Alastairs Monster an. „Damit habe ich echt nicht gerechnet.“ „Und deswegen wirst du mich nie übertreffen können, Matthew Summers.“ Alastair nahm seine letzte Handkarte und legte sie hinter seinem Monster auf den Spielplan. „Diese hier setzte ich, um dein Urteil endgültig zu fällen. Du wirst diesen Kreis nicht lebend verlassen.“ „Obwohl wir Freunde sind?“, ächzte Matt und hielt sich die Schulter dabei. „Machst du es dir mit deiner Verräternummer nicht etwas zu leicht?“ „Das sind die Gesetze der Dämonenjäger“, rechtfertigte Alastair sich jedoch nur kalt, „die, die wir alle einhalten müssen. Der Kodex. Tu nicht so, als ob du das nicht hast kommen sehen.“ Sein Gegner erwiderte jedoch nur trotzig: „Ich habe dir wohl zu viel Menschlichkeit und Verstand zugetraut. Sorry, mein Fehler!“ „Das Gerede eines Dämonenfreundes interessiert mich nicht. Du bist am Zug. Nutze ihn weise, denn es wird dein letzter sein.“   Na wie wird er dann erst reagieren, wenn er erfährt, dass wir gleich einen netten Plausch haben werden?   Matt erstarrte, als er diese spöttische Stimme vernahm. Sofort erkannte er, dass Alastair sie nicht gehört haben konnte. Woraufhin ihn ein unheimlicher Verdacht beschlich. „Was bist du?“, flüsterte er. „Hast du mir etwa diese Vision geschickt?“   Was ich bin spielt doch gar keine Rolle. Menschen … immer müssen sie alles kategorisieren. Aber ja, das war ich. Wer auch sonst?   „Warum bist du hier und hilfst mir?“ Matt verzog wütend das Gesicht. „Bist du Anyas Dämon? Wenn ja, verzichte ich auf deinen Beistand!“   Oh mitnichten, ich bin nicht Levirer. Nenne mich einfach … Another. So, und jetzt zum Geschäft.     Turn 18 – In Cold Blood Der Dämon 'Another' stellt Matt vor die Wahl, einen Pakt mit ihm einzugehen. Matt, der um die Lebensgeschichte Alastairs weiß und in Another denjenigen erkennt, der für den Tod von Alastairs Eltern verantwortlich ist, verweigert jedoch jegliche Kooperation. Doch im Angesicht seines früheren Freundes wird ihm klar, dass er ohne Hilfe machtlos ist und nicht mit Gnade rechnen darf. Sollte er den Pakt allerdings annehmen, wird er selbst zu einem Zeugen der Konzeption und somit womöglich zum Opfer Edens, was wiederum auch ein Tor für völlig neue Möglichkeiten öffnet. In Matt entfacht ein schrecklicher Kampf zwischen seiner Loyalität zu Alastair und der Frage, was das Richtige ist … Kapitel 18: Turn 18 - In Cold Blood ----------------------------------- Turn 18 – In Cold Blood     „A-another?“, stammelte Matt leise, in der Hoffnung, dass Alastair diesen Namen nicht hörte.   Der einzig Wahre. Von deiner Gemütslage her zu urteilen schätze ich, dass du meinen Namen bereits einmal gehört hast?   „Soll das ein verdammter Scherz sein?“ Matt bemühte sich, so leise wie möglich zu sprechen, auch wenn er am liebsten schreien wollte. Doch wenn Alastair etwas davon mitbekam, wären die Folgen undenkbar. Another war schließlich der Dämon, der Alastairs Familie auf dem Gewissen hat. Und nun sprach er zu ihm, Matt! „Was willst du hier?“, zischte dieser leise und ließ seinen Gegner dabei nicht aus den Augen, tat so, als überlege er sich eine Strategie mit den vier Karten auf seiner Hand.   Eigentlich wollte ich einen alten Freund besuchen, doch wie es scheint, ist der gerade etwas verhindert. Lass mich raten, du hast in seiner Gegenwart die Worte Dämon und Freund in einem Satz gesprochen? Armer Kerl, ich hab ihm wirklich zugesetzt, nicht wahr?   Auf die gehässigen Worte hin biss Matt die Zähne zusammen, um bloß nicht die Fassung zu verlieren. Allein anhand der Selbstgefälligkeit dieses Wesens konnte er abschätzen, wie sehr Alastair Another hassen musste. Ein Gefühl, das Matt mit ihm spätestens jetzt zu teilen begann. „Willst du ihm etwas antun?“, fragte er im Flüsterton. „Dann sei dir schon mal hinter die Ohren, dass ich dich eigenhändig vernichten werde! Ach vergiss es, das werde ich so oder so!“   Das sagen sie alle. Seit über fünfzehn Jahren verfolgt mich der Bengel und jedes Mal, wenn wir uns begegnen, endet es in einer Katastrophe. Warum glaubst du, dass du besser bist als er, Grünschnabel?   „Halt's Maul!“, fluchte Matt nun und hätte sich ohrfeigen können. „Was ist los?“, fragte Alastair nicht weiter überrascht. „Gehen die Nerven mit dir durch? Du bist am Zug, Verräter.“ „Ich muss noch etwas überlegen“, grinste Matt gequält, „ist sozusagen ein innerer Konflikt, wie ich dir am besten in den Arsch trete.“   Momentan sieht es aber nicht so aus, als würdest du das können. Eigentlich ist es eher anders herum der Fall. Und das weißt du auch.   „Was immer du hier bezwecken willst, ich rate dir zu verschwinden!“   Sonst? Willst du mich mit deinen Zaubertricks foltern? Was glaubst du denn, warum Alastair mich bisher nicht erledigt hat? Weil körperlose Wesen leider nicht sehr anfällig für Klingen sind. Auch nicht, wenn sie verhext sind. Aber die Erfahrung wirst du sicher auch noch machen. Wenn du noch so lange lebst, heißt es.   Matt schnaufte wütend. Was wollte diese Bestie hier? Ausgerechnet jetzt musste der sich einmischen! Er, der der Grund war, warum Alastair ein Dämonenjäger geworden ist! Und dieses Wesen redete nun auf ihn ein? Ganz egal wie man es betrachtete, Matt wusste, dass er in ernsten Schwierigkeiten steckte. Wenn Refiel Anothers Anwesenheit bemerkte, würde Alastair nicht eher schlafen, bis es einen Summers weniger auf der Welt gab!   Was meinst du? Soll ich dir helfen? Du kennst ja das Procedere schon vom Hörensagen. Aber ich verspreche dir, dass es live ein völlig anderes Erlebnis ist.   Daraufhin glaubte der Dämonenjäger seinen Ohren nicht zu trauen. Hatte Another ihm soeben einen Pakt angeboten? „Hilfe!? Von dir!?“   Gewiss. Du wirst sicherlich einsehen, dass deine Lage nicht gerade die Beste ist. Zähl doch mal deine Lebenspunkte. Da macht's einer nicht mehr lange.   [Alastair: 3500LP / Matt: 600LP]   Zwar war es richtig, dass Matt deutlich im Nachteil war, aber zu glauben, er würde sich auf einen Pakt einlassen war wahnsinnig! Und schon gar nicht mit Another, dem wohl heimtückischsten Dämonen, dem er und Alastair je begegnet waren. Mehr oder weniger zumindest, Matt selbst hatte Another nie getroffen, da Alastair immer alleine auf die Jagd ging, wenn sein Erzfeind involviert war.   Natürlich saß Matt in der Patsche, das wusste er. Sein Feld war leergefegt, seine Hand bestand aus vier relativ nutzlosen Karten und Alastair kontrollierte sowohl eine unglaublich gefährliche Kreatur, als auch eine verdeckte Karte. Was spielte es da für eine Rolle, dass sein Blatt leer war? Geradezu majestätisch bäumte sich [Vylon Epsilon] auf und spreizte seine Schwingen, die an einem goldenen Ring über seinem Rücken befestigt waren.   Vylon Epsilon [ATK/3400 DEF/1200 (8)]   „Verschwinde!“, zischte Matt und zog von seinem Deck, welches sich auf der schwebenden Marmorplatte befand, auf der der Spielplan von Duel Monsters abgebildet war. Doch als Matt die gezogene Karte erblickte, seufzte er. Sie würde ihm zwar etwas Zeit verschaffen, stellte aber keine Lösung für sein Problem dar, an Alastairs Monster vorbeizukommen.   Sieh an, sieh an. Sind wir immer noch so überzeugt von uns?   Matt warf einen Blick über die schwarzen Flammen, die den Duellbereich umgaben, damit jener nicht betreten oder verlassen werden konnte. Anya lag immer noch bewusstlos am Boden, da ihr Geist sich vermutlich im Elysion befand und direkt mit Levrier kommunizierte. Das Elysion war der einzige Ort, der zu hundert Prozent sicher vor Refiels Observation war. Wobei es fraglich war, ob Levrier überhaupt darum wusste.   Dennoch! Wie war Another hier hereingekommen? Denn um die Nachbarschaft herum hatte Matt einen Bannkreis erschaffen, der aus helllichtem Tag eine tiefe Nacht gemacht hatte. Zudem wirkte es in ihm so, als wären einige Gebäude in ihrer Mitte durch die Wände des Bannkreises geteilt worden. So einen Bannkreis zu betreten war ohnehin schon sehr schwer. Wenn man jedoch noch nicht einmal über ein Gefäß verfügte, wie es bei Another der Fall war, waren die Chancen unglaublich gering, sich Zugang zu seinem Inneren verschaffen zu können. Woraus Matt mit erzürnter Miene schloss, dass Another bereits hier war, als er den Kreis errichtet hatte. Denn man konnte bei dieser Art von Bannkreis nur diejenigen aussperren, um deren Präsenz man vorher wusste. Verfolgte Another Alastair etwa?   Nanu, so still? Denkst du über meine Worte nach?   Dem mochte zwar so sein, was Matt sich allerdings nicht anmerken lassen wollte. Er richtete wieder sein Augenmerk auf sein Blatt und musste leise fluchen. Im Zug zuvor hatte er [Steelswarm Scout] auf den Friedhof geschickt und ursprünglich vorgehabt, ihn nächste Runde von dort zu reanimieren und [Steelswarm Moth] zu beschwören, womit er zwei Karten von Alastairs Spielfeldseite auf dessen Hand zurückgeben konnte. Nur gab es jetzt ein Problem: er hatte nicht mehr genug Lebenspunkte für dieses Unterfangen! „Okay“, fasste sich Matt schließlich ein Herz und zückte eine Karte aus seinem Blatt. Es war die, die er zuvor gezogen hatte. „Diese Runde schlagen wir etwas ruhigere Töne an. Ich aktiviere [One Day Of Peace]. Wir beide ziehen jetzt eine Karte und können bis zum Ende deines nächsten Zuges keinen Schaden mehr an den Lebenspunkten des Gegners anrichten.“ „Du musst wirklich verzweifelt sein“, erwiderte Alastair, der die ganze Zeit über geduldig gewartet hatte und nun eine Karte zog. „Das schindet auch nur Zeit. Lange wirst du so nicht durchhalten.“ Matt zog ebenfalls und ärgerte sich über die Tatsache, dass sein Freund recht hatte. Besonders angesichts seiner neu aufgezogenen Karte, die komplett nutzlos für ihn war. Es half nichts, er musste zusehen, eine halbwegs solide Verteidigung aufzubauen. „Okay! Ich setze eine Karte verdeckt und dazu noch ein Monster im Verteidigungsmodus! Wollen wir erstmal sehen, ob du Recht behältst!“ Die beiden Karten tauchten vor ihm auf, als er sie auf den Spielplan legte.   Komm schon, wir beide wissen, dass er recht hat. Und glaub mir, Matt Summers, es wird noch schlimmer werden. Ich weiß es, ich habe es gesehen.   „Verschwinde endlich aus meinem Kopf, du elende Ratte! Leg dich meinetwegen mit Alastair an, der wartet nur darauf!“   Eigentlich bin ich auch deswegen hierher gekommen. Die Dinge entwickeln sich zurzeit nicht so, wie ich es mir erhofft habe. Deshalb muss ich sie jetzt gerade biegen.   „Was soll das jetzt heißen!?“   Darüber können wir reden, wenn Alastair seinen Zug beendet hat. Ich denke, du wirst dann etwas kooperativer sein.   Matt pfiff abfällig. Von wegen! Dank des Effekts seiner Zauberkarte war er den ganzen nächsten Zug lang über geschützt! „Mein Zug“, verkündete sein Gegner derweil und zog auf zwei Karten auf. Er blickte mit vereister Mimik auf und setzte ein künstliches Lächeln auf. „Es mag stimmen, dass ich nicht effektiv anzugreifen vermag, doch den Effekt von [Vylon Epsilon] kann ich dennoch nutzen.“ Die über ihm verharrende Engelskreatur legte seine massiven Handflächen aufeinander und bündelte in ihnen eine gleißende Lichtsphäre. „Indem ich einmal pro Zug eine Ausrüstungsmagie von meiner Kreatur entferne“, erklärte Alastair, nahm [Vylon Material], mit der Epsilon ausgerüstet war und legte sie auf den Ablagestapel, „zerstöre ich eine deiner Karten. Dein Monster ist mein Ziel.“   Vylon Epsilon [ATK/3400 → 2800 DEF/1200 (8)]   Im Anschluss feuerte der mechanische Engel seine Energiekugel ab und löste auf Matts Spielfeldseite eine heftige Explosion aus. Mit wehendem Haar stieß Matt einen wütenden Seufzer aus, hatte er doch gehofft, dass Alastair sich auf seine verdeckte Karte und nicht auf [Steelswarm Gatekeeper] konzentrieren würde. „Effekt von [Vylon Material] aktivieren“, rief Alastair unbeirrt, „wenn es auf den Friedhof gelegt wird, erhalte ich eine neue Vylon-Magiekarte von meinem Deck.“ Er zeigte sie zwischen seinen Fingern hervor. „Dies ist [Vylon Segment]. Und ich rüste [Vylon Epsilon] damit aus, sodass es nun nicht länger als Ziel von Monster- und Fallenkarteneffekten erwählt werden kann.“ Mit einer Karte in der Hand beendete er schließlich seinen Zug. „Dein Ende ist nahe.“   „Verdammter Mist“, knurrte Matt im Angesicht von [Vylon Epsilon]. Jetzt war diesem Ding noch schwerer beizukommen. All seine Hoffnung ruhte nun in seinem nächsten Zug. „Kann ja nur schief gehen“, gluckste er niedergeschlagen und griff nach seinem Deck. „Aber so schnell lass ich mich nicht abservieren! Draw!“ Mit Schwung zog er die nächste Karte von dem Stapel vor ihm, doch als er sie erblickte, lachte er ironisch auf. „Das war ja so was von klar …“   Hab ich dir zu viel versprochen? Bist du jetzt bereit zu verhandeln?   „Niemals!“, donnerte Matt entschlossen. Another sollte endlich Land gewinnen, er würde diesem Monster nicht einmal klein beigeben, wenn er dafür seine geliebte Tara wiedersehen konnte. Solche wie der waren der Grund, warum Alastair ein so hasserfülltes und kompromissloses Leben führte. Er durfte nicht so enden, sagte sich Matt, denn wenn er seine Freundin und seine Schwester Sophie jemals wiedersehen wollte, musste er überleben! Doch wie sollte er das in seiner jetzigen Situation anstellen? Er war Alastair gegenüber machtlos …   Worte, gesprochen mit solcher Endgültigkeit. Bist du einfach nur einfältig oder sehnst du dich etwa nach dem Tod?   „Weder noch!“   Warum dann diese harsche Zurückweisung? Du hast doch noch gar nicht darüber nachgedacht, was die Vorteile wären, mich an deiner Seite zu haben.   „Es gibt keine!“ Nein, dachte sich der Dämonenjäger, er würde sich nicht für die Worte dieser Kreatur öffnen! Sicher gab es einen Weg, Alastairs eisernem Griff zu entkommen. Er musste nur nachdenken!   Und wieder diese Engstirnigkeit. Heißt das, du willst deinen Freund nicht retten? Immerhin könntest du Anya Bauer eigenhändig töten, solltest du über Kräfte verfügen, die von einem Pakt herrühren. Etwas, das Alastair nicht von sich behaupten kann, mit seinem kleinen Engelchen auf der Schulter.   Allerdings schüttelte Matt entschieden den Kopf. Das waren doch nur armselige Versuche, ihn verführen zu wollen. Natürlich bestand diese Möglichkeit im Falle eines Vertrags zwischen ihm und Another, doch es gab so vieles, was dagegen sprach. Einmal abgeschlossen, war dieses Wesen in ihm verankert, konnte im Schlimmstfall sogar seinen Körper übernehmen! Außerdem … Matt sah über die Flammen hinweg zu der am Boden liegenden Anya. Sie schien immer noch im Elysion gefangen zu sein. Er hatte ihr das Friedensangebot gemacht. Es jetzt zu brechen ging gegen seine Grundsätze, auch wenn sie objektiv gesehen immer noch seine Feindin war. Außerdem war es ohnehin schon schlimm genug, dass Alastair ihn als Verräter ansah. Noch ein Gesinnungswechsel würde alles nur verkomplizieren, zumal das jetzt hinsichtlich seines Freundes sowieso etwas spät kam …   ~-~-~   „Was zur Hölle soll das!?“, fauchte Anya wütend. Sie stand inmitten des leuchtenden, sich drehenden Mosaiks der Erde, welches ihr Elysion darstellte. Um sie herum nur die Dunkelheit, fand sie sich Levrier gegenüber, welcher einmal mehr seine Form nach Anyas Vorbild gewählt hatte. Aus der Weite betrachtetet sahen sie aus wie Zwillingsschwestern. Nur anhand der zornigen Mimik konnte man Anya identifizieren, während Levrier eher teilnahmslos in die Leere starrte. „Ich denke, ich weiß nun, was wir tun müssen, um Eden zu werden.“ „Das ist aber schön für dich! Lass mich raten, diese Laberbacke Matt hat dir den entscheidenden Tipp gegeben?“, fragte Anya zynisch und verschränkte die Arme. „Wir müssen alle opfern, die ein Mal haben, nicht wahr?“ Levrier neigte seinen Blick auf sie herab und nickte. „Das ist korrekt. Nun, da er es gesagt hat, fühle ich, wie mein Wissen wiederkehrt. Die Frage ist … warum lag es verborgen? Wie konnte ich etwas derart Wichtiges vergessen?“ Er fasste sich nachdenklich an die Stirn. „Es gibt nur eine Erklärung dafür. Jemand muss mein Gedächtnis manipuliert haben.“ „Oder du hast ganz einfach Alzheimer“, kommentierte Anya das Ganze gallig. Sie stemmte die Hände in die Hüften und grinste fesch. „Alt genug bist du ja dafür.“ „Vielleicht irre ich mich auch.“ „Wäre ja nicht das erste Mal. Aber damit, dass du nutzlos bist, habe ich mich schon lange abgefunden.“   „Wir müssen die Orte finden, an denen die Pakte geschmiedet worden sind.“ „Huh?“ Überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel horchte Anya auf. „Und warum?“ „Mein Gedächtnis ist noch nicht klar“, antwortete Levrier, immer noch mit der Hand auf der Stirn, „doch allein ein Opfer zu erbringen reicht nicht. Wir müssen sie in eine Verbindung setzen. Nur so werden sie zu wahren Zeugen der Konzeption.“ Anya zuckte mit den Schultern. „'kay, dann machen wir das.“ „Nimm das nicht auf die leichte Schulter!“, mahnte Levrier Anya plötzlich laut. „Erkennst du denn nicht, was es bedeutet, Eden zu werden? Du musst nicht einfach nur deine Menschlichkeit aufgeben! Du musst Leben opfern. Valerie Redfield. Sie ist deine Freundin. Und auch wenn du Alastair hasst, könntest du ihn einfach so dem Limbus zum Opfer fallen lassen?“ „Mir doch egal! Dann sollen sie eben verrecken!“ „Du kannst mich nicht täuschen, Anya Bauer!“, polterte Levirer nun und zeigte gnadenlos mit dem Finger auf sie. „Alle, aber nicht mich. Jemanden zu töten war und wird nie deine Absicht sein. Dafür schätzt du das Leben zu sehr!“ Getroffen blickte das Mädchen weg. „Halt den Mund! Du weißt gar nichts über mich, du elender Parasit! Was soll dieses ganze Gelabere überhaupt? Du willst doch Eden werden! Sei doch froh, dass es an der Ausstattung dafür nicht mangelt!“ „Ich werde zu Eden werden“, meinte Levrier nun wieder ruhig, „deine Person spielt keine Rolle mehr, ich könnte deinen Körper jederzeit für mich in Anspruch nehmen. Was ich dir verdeutlichen will ist das Schicksal dieser Menschen, sollte mein Vorhaben gelingen. Und es wird zu deinem Schicksal werden, wenn wir versagen. Der Limbus.“   Das schon wieder, dachte das Mädchen ärgerlich. War das jetzt das neue Trendwort? Langsam kam sie mit diesen ganzen Quatschbegriffen nicht mehr mit … „Uuuuuuh, wie schreeeeckliiiiiich! Was zum Teufel ist dieser verdammte Limbus überhaupt? Wieso machst du so ein Geheimnis daraus?“ „Wenn du wirklich wissen willst, was der Limbus ist, so werde ich es dir sagen.“ Levrier schloss die Augen und neigte seinen Kopf zur Seite. „Jeder Pakt basiert auf einem Versprechen gegenüber dem Wesen, welches ihn anbietet. Es gibt viele Formen und Arten eines Pakts. Manche Versprechen gelten solange, bis das Gefäß stirbt, andere – so wie unseres – bis zu einem bestimmten Tag oder Ereignis. Doch egal was auch die Bedingungen sind, sollte dieses Versprechen gebrochen werden, wird die Seele des Gefäßes in den Limbus gezogen.“ Alles was Anya von sich gab, war ein knappes: „Aha.“ „Seelen können dem Limbus auf ganz unterschiedliche Weisen zum Opfer fallen. Sie können verbannt werden oder der Tribut für einen höheren Zweck sein, wie es bei Edens Erwachen der Fall ist. In unserem Fall würde der Pakt deiner Freunde zerbrechen, wenn wir sie opfern. Daher werden ihre Seelen in den Limbus gezogen.“ „Ja, ja, kommst du auch mal zum Punkt“, giftete Anya und verschränkte ungeduldig die Arme. „Was-ist-der-Limbus!?“ „Der Ort ohne Wiederkehr. Keine Macht dieser Welt vermag es, in ihn einzudringen, oder ihn zu verlassen. Wenn deine Seele einmal dort gefangen ist, kann sie nie wieder reinkarniert werden.“ Levrier öffnete die Augen. „Er ist die wahre Hölle, von Wesen jenseits unserer Vorstellungskraft erschaffen, um zu bestrafen, was sich gegen die natürlichen Gesetzmäßigkeiten dieser Welt auflehnt. Natürlich weiß niemand, was genau im Limbus auf uns wartet …“ Er sah nun Anya tief in die blauen Augen. „… aber eine Seele kann nicht ohne Weiteres schwinden. Du wirst unsterblich sein, gefangen in einer Welt aus deinen schlimmsten Albträumen. Du oder die Opfer, die Eden dargebracht werden müssen. Das ist, was sie über den Limbus sagen.“ „In dem Fall“, entgegnete Anya leise, „Pech für sie.“   ~-~-~   „Verdammt“, zischte Matt mit schweißnasser Stirn. Alles Denken hatte nichts gebracht, die Situation blieb unverändert – er stand kurz vor seiner Niederlage. Und dieser verdammte Dämon wollte nicht aufhören, ihn mit seinen Worten einzulullen.   Ist das dein Lieblingswort? Wie wahr, du bist verdammt dazu, durch die Hand deines besten Freundes zu fallen. Oh schade, schade, ich hätte dich wirklich für klüger gehalten. Du versuchst nicht einmal, hinter die Fassade zu sehen.   „Was soll das heißen!?“   Für dich und Alastair bin ich der Mörder seiner Familie. Dies bestreite ich auch nicht. Aber habt ihr euch jemals gefragt, -warum- ich ausgerechnet seine Eltern getötet habe?   Keuchend schreckte Matt zurück, als die Welt um ihn herum zu einer einzigen schwarzen Masse mutierte. Glühender Wind schlug ihm entgegen, als er sich plötzlich einem lichterloh brennenden, zweistöckigen Haus gegenüber sah. Außer dem Knistern der Flammen war kein Laut zu vernehmen. Die Straße um ihn herum war verschneit, es war mitten in der Nacht. „Das ist der Tag, an dem Alastair zu einem Waisenkind wurde“, sprach plötzlich jemand neben dem überraschten Matt. Dieser erstarrte, als er die Person an seiner Seite bemerkte. Welche sein Zwillingsbruder hätte sein können. Doch sofort realisierte er, dass dies nur Another war, der sein Aussehen missbrauchte. „Warum zeigst du mir das!?“, verlangte Matt erzürnt zu wissen. „Um ein Exempel zu statuieren. Diejenigen, die Eden zu nahe kommen, bringen nur Leid über sich und ihre Liebsten“, erwiderte Another ernst und zeigte auf die brennende Tür des Hauses, welche plötzlich aufschwang. „Dort. Der Engel Refiel erbarmt sich dem unschuldigen Alastair.“ „Was soll das heißen!?“, fauchte sein Gegenüber aufgebracht und würdigte dem, was dort aus der Tür kam, keines Blickes. „Was hat Eden damit zu tun?“ „Eine Menge. Alastairs Eltern waren Dämonenjäger, gefürchtet von allem, was den Menschen Angst einjagt. Doch so gefährlich sie auch waren, so dumm waren sie auch. Sie wollten mithilfe einer gefährlichen Technik Edens Erwachen erzwingen und hätten dabei das gesamte Weltgefüge auseinander gerissen.“ Der falsche Matt drehte sich zu seinem fleischlichen Gegenstück um. „Wenn Eden erweckt werden soll, dann auf natürliche Weise, innerhalb des Zyklus, der nur etwa alle 200 Jahre stattfindet. Ihr versuchtes Eingreifen in Dinge, die nicht geändert werden dürfen, wurde mit dem Tode bestraft. Ich wurde lediglich auserkoren, ihr Richter zu sein.“ „Von wem, huh!? Vom Teufel!?“ „Vom Schicksal.“ Matt schnaufte aufgebracht und wandte den Blick ab. Die Selbstgefälligkeit dieser Bestie war zu viel für ihn. Was immer Alastairs Eltern getan hatten rechtfertigte nicht, einem Kind die Familie zu rauben! Abgesehen davon war er sich sicher, dass dies ohnehin nur Lügen waren. Um ihn zu bezirzen.   Überrascht sah er auf, nur um eine völlig in Weiß verhüllte Person zu sehen, die einen bewusstlosen, vielleicht zwölfjährigen Jungen in den Armen trug und über die Straße direkt an ihnen vorbei schritt. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, war nicht zu erkennen, wie Alastairs Retter aussah. Doch auch so wusste Matt bereits, dass es sich um Refiel handelte. „Sie hassen uns.“ „Mit recht!“ Another lachte auf. „Wie wahr. Gerade Refiel ist ein besonderes Exemplar von Engel. Er tut alles, um Gottes Wohlgefallen zu erringen. Einzig zu dem Zweck, zum Erzengel erhoben zu werden.“ „Mir doch egal. Ich kann den Kerl sowieso nicht leiden.“ Obwohl er ihn nie gesehen hatte, fügte Matt dabei noch im Gedanken hinzu. „Er dich auch nicht. Wie ich ihn einschätze, bist du ihm sicher ein Dorn im Auge“, meinte Another amüsiert, „wenn es nach ihm ginge, dürfte kein Mensch einen freien Willen besitzen. Schon gar nicht sein Schützling.“ „Warum erzählst du mir das?“ „Ich bin heute in Plauderlaune“, reagierte Another mit einem Schulterzucken. „Wenn es uns nicht gäbe, hätten die Engel schließlich keinen Job.“ Plötzlich drehte er sich mit einem diabolischen Grinsen zu Matt um. „Immerhin sind wir sozusagen für den Tod einer ihrer Kultfiguren verantwortlich.“ Mit einem Schlag wurde Matts Umfeld in tiefes Schwarz getönt. Erschrocken stellte er fest, dass er auf einem kreisrunden Mosaikbild stand, welches unzählige Zahnräder abbildete, die ineinander verkeilt waren. Das Bild drehte sich unter seinen Füßen. „Elysion …“, murmelte er erstaunt und sah auf. „Ich habe gar nicht gemerkt-!“ „Wer noch nie hier war, bemerkt den Übergang nicht. Schon das brennende Haus gehörte dazu“, erklärte sein Spiegelbild auf der gegenüberliegenden Seite des Mosaiks. „Aber die Zeit des Redens ist jetzt vorbei. Nach wie vor haben wir zu klären, ob du einen Pakt mit mir schließt oder nicht.“ „Du kennst die Antwort bereits!“ Mit der flachen Hand deckte Another plötzlich seine linke Gesichtshälfte ab. „Natürlich tu ich das, du wiederholst dich wie eine ausgeleierte Schallplatte. Du könntest ja nie mit einem bösen Dämon wie mir zusammenarbeiten.“ Irritiert von der Geste seines Gegenübers schwang Matt wütend den Arm aus. „Verdammt richtig!“ Daraufhin rückte Another mit seiner Hand zur anderen Gesichtshälfte. „Könnte man meinen. Deine Lippen sagen nein, aber in deinem Inneren sieht es doch ganz anders aus. Du weißt, dass du mit meiner Macht Anya Bauer vernichten und so deinen Freund retten könntest. Das willst du doch. Wenn du Alastair verraten vermagst, dann sie erst recht.“ Matt schluckte. War er so einfach zu durchschauen? Er wollte Alastair um alles in der Welt retten, weil dieser ihm ein neues Leben geschenkt hatte. Die ständige Flucht vor der Polizei hatte ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben. Ohne Aufgabe war er ziellos durch die Welt gewandert. „Sie kamen ohne Vorwarnung …“ Es war in einer Seitengasse gewesen, als sie ihn entdeckt hatten. Vor drei Jahren, an -dem- Tag …   „Hände hinter den Kopf“, befahl einer der Polizisten. Eingekesselt wie er war, blickte der heruntergekommene Matt nach vorn und zurück, doch zu beiden Seiten lauerte je ein Polizist mit gezückter Dienstwaffe. „Das ist er, Hank“, meinte der Polizist, der ihm direkt gegenüber stand. „Den Typen hab ich neulich erst auf einem Fahndungsfoto gesehen! Pff, hast dich ja ganz schön verändert, Kleiner!“ Es stimmte, Matt war viel hagerer als damals, ungepflegt mit Dreitagebart und ungewaschenen Klamotten. Und auch wenn sein Haar etwas länger war, waren ihm die Grundzüge erhalten geblieben. „Auch das noch“, brummte er fassungslos. „Was meinst du Willy, wie viel bekommen wir für den?“, fragte Hank, der Polizist hinter ihm, seinen Partner. „Vielleicht 'nen neuen Job? Immer nur auf die Suche nach verdorbenen Seelen zu gehen ist langweilig. Lieber will ich was mit 'nem gewissen Nervenkitzel.“ Matt horchte auf. Irgendetwas stimmte mit diesem Mann nicht. Bildete er sich das ein, oder- Nein! Die Augen, sie waren anders! Er konnte es nicht definieren, aber ihre Form war unmenschlich. „Verdorben? Sie kennen mich doch gar nicht!“ „Halt den Mund, du Rotzgöre! Allein dein Anblick macht mich krank“, erwiderte Willy voller Abscheu. „Du bist nicht das, für was du dich ausgibst! So einen wie dich können wir nicht gebrauchen in unseren Riegen! Nahezu widerlich rein …“ Matt stieß mit dem Rücken gegen die Häuserwand, panisch einen Blick zurückwerfend. Auch der andere Polizist hatte plötzlich diese unheimliche Ausstrahlung. Und die Augen, sie verfärbten sich langsam schwarz, komplett schwarz! „Was seid ihr!?“, fragte Matt hysterisch. „Ihr seid keine Cops!“ „Doch sind wir! Nebenberuflich“, lachte Willy, „wir fangen böse Buben. Und die besten von ihnen schicken wir an einen Ort, den du wohl am ehesten als 'Hölle' kennst. Aber du bist wertlos!“ „Drum werden wir dich wohl erschießen müssen“, fügte Hank hinzu, „ich meine, als gesuchter Mörder? Wer würde es uns verübeln?“ Matt wandte sich an den Polizisten vor ihm, bereits fieberhaft nach einem Ausweg suchend. „Soll das ein verdammter Scherz sein!? Ich wehre mich doch gar ni-“ Doch bevor er geendet hatte, schnellte eine Messerklinge aus dem Hals des Polizisten Willy hervor. Auch seine Augen waren pechschwarz, doch glühten kurz auf, ehe er zusammenbrach. „Das solltest du aber“, sprach die Gestalt, die aus dem Nichts hinter dem Mann erschienen war. Es war Alastair.   Das war der Tag, als Alastair ihm das Leben gerettet und sich fortan um ihn gekümmert hatte. Über drei Jahre lag das nun zurück. Matt seufzte. Er musste die Schuld begleichen. Aber sicher nicht, indem er einen Pakt mit dem Wesen einging, das Alastairs Familie auf dem Gewissen hatte. Nicht auszudenken wären die Konsequenzen eines Pakts! Denn egal welche Kräfte er erlangte, Another könnte praktisch jederzeit seinen Körper übernehmen, wenn er nicht vorsichtig war. Noch dazu wäre er ebenfalls ein Zeuge der Konzeption, eines der potentiellen Opfer für Edens Erwachen. Und Anya … er konnte sein Versprechen, ihr zu helfen, nicht brechen. Auch wenn sie zu töten das geringere Übel wäre. „Mit mir kannst du Edens Erwachen aufhalten“, sagte Another in Matts Gestalt ruhig, „ohne mich zusehen, wie dein Freund geopfert wird. Natürlich gäbe es eine dritte Alternative.“ „Welche!?“ „Du tötest ihn. Dann würdest du seiner Seele zumindest den Limbus ersparen.“ Aufgebracht stampfte Matt auf. „Einen Teufel werde ich tun!“ „Selbstverständlich kannst du das nicht. Vorher müsstest du an seinem Herrchen vorbei … und natürlich deiner eigenen Naivität. Dein Egoismus wird ihm nur Leid bringen.“ „Ich werde ihn nicht verraten!“ Another lachte auf. „Das hast du bereits getan. Und ganz gleich was du sagst, kannst du dich am Ende doch nicht vor der Wahrheit verschließen. Matt Summers, du strebst nach meiner Macht.“ Eine Faust ballend, zeigte der junge Mann außer sich vor Zorn auf sein Gegenstück. „Red' nicht weiter!“ „Wusstest du, dass ein Pakt nicht mit Worten geformt werden muss? Die Antwort liegt in der Seele“, erklärte Another und schloss die Augen, „und deine Seele wünscht sich nichts mehr, als Eden zu vernichten. Und deshalb werden wir den Pakt schließen!“ „Ich sagte nein!“ „Und ich ja!“ Der falsche Matt zersprang plötzlich in tausende schwarze Partikel, die eine Wolke bildeten. Erschrocken wich das Original zurück, als jene auf ihn zugeschossen kam. Überall drangen die schwarzen Kugeln in seinem Körper ein, während Matt schreiend auf die Knie fiel und sich den Kopf hielt. „Verschwinde! Ich lasse dich nicht hinein!“, rief er stur. Doch eine Antwort erhielt er nicht. Das brauchte er auch gar nicht, denn als das Mosaik unter ihm zerbrach und er in die Tiefe fiel, wusste Matt, dass Another nicht gelogen hatte. Der Pakt war ohne seine Zustimmung geformt worden. „Wie …?“, murmelte er leise, als er in der Ferne ein grelles Licht bemerkte. Ein Schatten wurde auf ihn geworfen, schmal, dafür aber unglaublich hoch. Matt hielt eine Hand vor sein Gesicht, um nicht geblendet zu werden. Glockengeräusche ertönten im Hintergrund, als das Bild vor ihm deutlicher wurde. Der schwarze Turm lief immer spitzer gehend zusammen, doch an seinem Ende thronte eine mächtige Kuppel mit langen, hornartigen Auswüchsen, an denen dutzende goldene Glocken befestigt waren. Bevor Matt jedoch weitere Details erhaschen konnte, blendete ihn das Licht so stark, dass er die Augen zusammenkneifen musste.   „... dass du so tief fallen würdest …“ Matt schreckte auf. Er stand noch immer vor dem Duel Monsters-Spielplan und hielt seine Karten in den Händen. Er blickte herüber zu Alastair, der leichenblass war und wie eine Salzsäule mit geweiteten Augen verharrte. „Einen Pakt zu formen … nun bist du wahrlich einer von ihnen.“ „E-es ist nicht-“ „Halt den Mund!“ Alastair zeigte mit dem Finger auf ihn. „Refiel hatte recht! Ich hätte dich damals nicht am Leben lassen dürfen! Irgendwann würdest du mich ins Unglück führen und sieh, was nun geschehen ist! Jetzt kann dich nichts mehr retten!“ Nicht wissend, wie er darauf reagieren sollte, betrachtete Matt seinen Arm und hielt geschockt inne. Tatsächlich war da das Symbol eines Pakts. In violetter Farbe gehalten, war dort ein sphärenartiges Objekt, das von dämonischen, ledrigen Schwingen umhüllt war. Der letzte Beweis, dass Another ihn in den Pakt gezwungen hatte. „Wie ist das möglich!?“ Matt konnte es nicht glauben. Kein Dämon konnte einen Pakt ohne Einwilligung eingehen! Wieso traf das auf Another nicht zu!?   Anstatt vergossener Milch nachzuweinen, solltest du lieber deine neuen Kräfte nutzen und dich zur Wehr setzen. Du stehst jetzt auf einer Ebene mit ihm, was den kleinen Nachteil hat, dass er dich jetzt erst recht töten will. Er mag halt keine anderen Götter neben sich.   „Halt's Maul, du-“ Oh, bitte … nur nicht so wütend. Ich hab es dir doch erklärt, oder? Dein Kopf sagt nein, deine Seele hat regelrecht ja geschrien. Wieso überspringen wir nicht dein weinerliches Gehabe und kommen zur Sache? Vielleicht erweist sich unsere Partnerschaft ja für beide Seiten als nützlich?   „Red Klartext!“   Womöglich gibt es einen Weg, ihn und Anya Bauer zu retten. Und alle anderen Involvierten. Doch dafür brauchst du wohl oder übel meine Hilfe. Die wirst du auch bekommen, wenn du mir hilfst.   „Und was willst du!?“ Matt glaubte kein Wort von dem, was Another da sprach. Einen Weg, alle zu retten!? Den gab es höchstens im Märchen! Keine seiner Aufzeichnungen verwies auf so eine Option und auch wenn sie nicht alles abdeckten, sagten alle Quellen, dass diejenigen, die als Gefäß für die Gründer dienten, für immer verloren waren.   Das ist sehr simpel. Zerstöre den Turm von Neo Babylon für mich.   „Warum!?“ Warum nicht? Darüber hast du selbst schon nachgedacht, daher solltest du hier wohl kaum an deine moralischen Grenzen stoßen. Mehr verlange ich im Gegenzug für meine Hilfe nicht. Wenn du mir nicht vertraust, lass mich dir meine Aufrichtigkeit beweisen, indem ich mir deinen Körper nicht sofort zum Untertan mache.   Matt schnaufte aufgebracht. Er fühlte sich unendlich hilflos. Niemals wollte er dieser mordenden Bestie seinen Körper überlassen, aber sie hatte jetzt die Zügel in der Hand. Und es gab keine Möglichkeit, sie wieder loszuwerden … „Wenn du nicht sofort deinen Zug durchführst, werte ich ihn als beendet“, mischte sich Alastair nun wieder ein. „Und bedenke, dass ich dich exorzieren muss. Du weißt, was das heißt?“ „Meine Seele kommt in den Limbus …“ Die Erkenntnis traf Matt wie ein Schlag. Jetzt, da er in einem Pakt stand, würde der erzwungene Verlust Anothers dazu führen, dass seine eigene Seele im Limbus verloren geht. „Auch das noch. Wenn ein Paktträger stirbt, ist es nicht so schlimm. Aber wenn dabei sein Paktdämon gewaltsam entfernt wird, landet die Seele im Limbus …“ Alastair nickte knapp. „Das hast du dir selbst zuzuschreiben.“ Nervös ließ Matt den Blick auf sein Blatt sinken. Er konnte nichts mehr tun! Es gab keine Strategie, die ihn aus dieser Situation brachte. Alastairs [Vylon Epsilon] war zu stark, gut beschützt dank [Vylon Segment], noch dazu besaß Alastair eine verdeckte Karte. Ihm hingegen blieben nur eine beinahe nutzlose Falle und vier ebenso unbrauchbare Handkarten. „Es ist vorbei“, murmelte er leise. Sieh in deinem Extradeck nach. Dachtest du, ich würde einen Pakt mit dir schließen, nur um im Anschluss wieder ausgetrieben zu werden?   Widerwillig folgte Matt der Anweisung und griff nach seinem Extradeck, welches gesondert auf der linken Seite seiner schwebenden Marmorplatte lag. Es befanden sich nur wenige Karten darin, Xyz-Monster, die er in seiner momentanen Lage nicht beschwören konnte. Doch … „Dieses ist neu!“, stellte er überrascht fest. „Das ist-“   Das Symbol unseres Paktes, korrekt. Ich war so frei sie so zu gestalten, dass sie deinem Freund große Schwierigkeiten bereiten kann. Los, beschwöre sie.   „Nein!“   Also willst du lieber für alle Zeiten im Limbus gefoltert werden? Wenn du meinst …   Der Dämonenjäger schüttelte den Kopf. Er konnte unmöglich das 'Geschenk' dieses Dreckskerls annehmen! Dieser Pakt basierte nicht auf gegenseitiger Zustimmung! Und er war gewiss kein Sklave Anothers, er würde sich nicht auf dessen Hilfe einlassen! Matt schluckte. Aber wenn er es nicht tat, würde er seinen nächsten Zug nicht mehr erleben …   Stell dich nicht so an, es ist nur eine Karte. Alastair würde sich auch nicht scheuen, Refiels Geschenk gegen dich einzusetzen.   Refiel war zumindest ein Engel! Egal wie Matt es jedoch drehte und wendete, es gab keine Alternative. Es musste sein, wenn er seinem Freund das Schicksal ersparen wollte, was dieser ihm nun androhte. Schließlich nickte er. „Von mir aus … Aber wage es nicht, dich noch weiter einzumischen.“ Wenn die Situation es gebietet, werde ich entsprechende Maßnahmen einleiten.   „Tch!“ Matt sah zu Alastair auf. „Ich weiß, was du von mir denkst. Wir werden darüber reden, sobald dieses Duell vorbei ist. In Ruhe und ohne Morddrohungen.“ „Wenn dieses Duell vorbei ist, wird einer von uns nicht mehr leben. Bete, dass ich es sein werde.“ „Als ob ich so etwas tun würde! Verdammt, warum bist du bloß so stur und verbohrt!?“ Matt musste auflachen. Das zeichnete seinen Freund eben aus. Irgendjemand musste den Kerl endlich von seinem hohen Ross herunterholen. Und er konnte es schaffen, das wusste er. Auch wenn er die Art und Weise, wie es geschehen sollte, alles andere als gut hieß. Auf der anderen Seite hingegen war er selbst Schuld an seiner Lage, immerhin hatte er sich Anothers Worten überhaupt erst geöffnet. Er musste jetzt das Beste aus seiner ohnehin schon brenzligen Situation machen.   [Alastair: 3500LP / Matt: 600LP] Vylon Epsilon [ATK/2800 DEF/1200 (8)]   „Zeit, endlich meinen Zug zu machen!“ Noch stand er diesem engelshaften Maschinengeschöpf gegenüber, dachte Matt grimmig, aber nicht mehr lange! Er schwang seinen Arm über das Tablett vor ihm aus. „Verdeckte Falle! [Infestation Ripples]! Ich zahle 500 Lebenspunkte, um ein Steelswarm-Monster von meinem Friedhof zu reanimieren! Komm zurück, [Steelswarm Sting]!“   [Alastair: 3500LP / Matt: 600LP → 100LP]   Aus dem Boden, aus einer rosaroten Masse, die sich wie eine Pfütze ausbreitete, entstieg eine fliegende, schwarze Dämonengestalt, die stark an eine Hornisse erinnerte.   Steelswarm Sting [ATK/1850 DEF/0 (4)]   „Nun von meiner Hand: [Double Spell]“, rief Matt und zeigte den Zauber zwischen Mittel- und Zeigefinger vor, legte ihn anschließend auf den Spielplan, „indem ich eine Zauberkarte abwerfe, kann ich eine solche von deinem Friedhof wählen und ihren Effekt aktivieren. Und ich dachte da an [Monster Reborn], um [Steelswarm Gatekeeper] wiederzubeleben! Erscheine!“ Matt legte [Recurring Nightmare] auf den Friedhof. Ein grelles Licht erstrahlte neben seinem Hornissenmonster, woraus schließlich eine gepanzerte, auf vier Beinen laufende Kreatur trat. Zwar hatte es Ähnlichkeit mit einem Käfer, wirkte jedoch in seiner schwarzen Aufmachung gleichzeitig dämonisch.   Steelswarm Gatekeeper [ATK/1500 DEF/1900 (4)]   Braver Junge.   „Denk nicht, dass ich das freiwillig tue! Ich habe keine andere Wahl!“, donnerte Matt und streckte entschlossen den Arm aus. „Nun erschaffe ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster geboren! Xyz-Summon! Falle über die Welt wie eine Plage hernieder, [Steelswarm Roach]!“ Matts Monster verwandelten sich in violette Lichtstrahlen. Jene wurden von einem schwarzen Loch inmitten des Spielfeldes aufgesaugt, welches sich gleichzeitig mit Matts Ankündigung geöffnet hatte. Aus dem dunklen Wirbel hervor trat eine lange, humanoide Gestalt, die in ihrer Hand ein Rapier trug. Die goldenen Schwingen der aufrecht stehenden Schabe wirkten wie ein Umhang, der Schultern und Rücken bedeckte. Zwei grelle Sphären kreisten dabei um das Monster. Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Alastair rümpfte die Nase. Seine vernarbten Lippen formten die Worte: „Ist das alles?“ „Keinesfalls“, reagierte Matt gelassen und zückte eine weitere Zauberkarte von seinem Blatt, „im Gegenteil, er ist genau das, was ich gebraucht habe! Denn damit kann ich [Xyz Energy] aktivieren!“ Die beiden um [Steelswarm Roach] rotierenden Lichtkugeln strahlten golden auf. Matt erklärte: „Im Austausch für ein Xyz-Material kann ich eines deiner offen liegenden Monster vernichten! Und da dein [Vylon Epsilon] durch den Effekt von [Vylon Segment] nur vor den Effekten von Monster- und Fallenkarten sicher ist, kannst du nichts gegen die Zerstörung unternehmen!“ Matts Kriegerschabe streckte ihr Schwert stolz in die Höhe, während eine weiße Aura um sie entstand. Jene explodierte regelrecht, als Roach seine Klinge nach vorn schwenkte und damit auf Alastairs Monster deutete. Wie aus der Pistole geschossen schnellte ein Energieball, dessen Zentrum eines der Xyz-Materialien war, auf die mechanische Kreatur zu und brachte sie mit einem donnernden Grollen zu Fall. Es folgte eine Explosion, die Alastairs langes, schwarzes Haar unstet aufflattern ließ. „Effekt von [Vylon Segment]“, sprach jener jedoch unbekümmert, „ich erhalte nun eine neue Vylon-Magiekarte von meinem Deck als Ersatz. Meine Wahl fällt auf [Vylon Filament].“ Er zeigte den Ausrüstungszauber Matt und fügte ihn seiner Hand hinzu, welche nun aus zwei Karten bestand. Sein Gegner, der nur eine Handkarte besaß, grinste zufrieden. „Sieht ganz so aus, als wäre ich wieder im Rennen, huh?“ Anschließend warf er einen Blick auf [Steelswarm Roach], um welche nunmehr nur noch eine Sphäre kreiste. „Du hast jetzt freie Bahn! Los, attackiere ihn mit Piercing Shadow Strike!“ Über den Boden schwebend, schnellte die Schabe auf Alastair zu und zielte mit der Klinge in ihrer Hand direkt auf dessen Brust. Doch anstatt einen Treffer zu landen, gelang es ihrem vermeintlichen Opfer, die Schneide geschickt zwischen seinen Fingern festzuhalten. „Das allein wird mich nicht zu Fall bringen“, sagte er dazu, zog an dem Schwert und schleuderte Roach mit einer schnellen Bewegung Richtung der schwarzen Flammen. Gerade noch rechtzeitig konnte der Insektenmann seinen Flug mitten in der Luft abbremsen und kehrte zu Matt zurück, welcher alles überrascht mit angesehen hatte.   [Alastair: 3500LP → 1600LP / Matt: 100LP]   Voller Anerkennung musste Matt pfeifen. „Wow, netter Move. Den muss ich mir merken.“ „Spar dir das! Eine Kreatur geboren aus der Finsternis, so wie sie es ist, wird mir niemals Schaden zufügen können!“ „Was du nicht sagst? Noch so einen Treffer wirst du nicht schönreden können. Ich beende meinen Zug.“   Matt verschränkte besorgt die Arme. Er hatte ins Spiel zurückgefunden, doch nur aufgrund Anothers Hilfe. Aber war es das wirklich wert? Nun hasste Alastair ihn noch mehr als zuvor. Selbst wenn er gewann, was würde danach geschehen? Sein Freund war niemand, der offen für Kompromisse war. Ihn mithilfe eines Paktes zu besiegen bedeutete nur, seinen Stolz anzugreifen, was Alastair im Umkehrschluss noch viel mehr gegen ihn aufbringen würde. Es war ein Teufelskreis. Vielleicht hätte er sein Schicksal einfach akzeptieren sollen, dachte Matt betrübt. Another zuzuhören war der größte Fehler seines- „AH!“   „Infinite evil, waiting to get purged! Be the voice of his justice! Synchro Summon! Purify this twisted world! [Vylon Ultima]!“ Grelles Licht blendete Matt, als Alastair seine Hand gen Himmel streckte. Von dort erschien eine gewaltige Kreatur, bestückt mit sechs goldenen Schwingen. Ein mechanischer Erzengel, dessen Leib einem Kreuz nachempfunden war. Um seinen Hals ragte ein goldener Kragen, richtete er doch über all jene, die sich gegen seinen Meister stellten. „Das … kann nicht sein“, murmelte Matt fassungslos. „Das ist das Ende!“ „Wie wahr. Erkennst du nun, wie töricht es war, den Dämonen zu lauschen?“ Eine Träne rann über Alastairs vernarbtes Gesicht. „Unsere Wege werden sich nun auf ewig trennen. Ich bete dafür, dass du im Limbus deine Fehler erkennen und Gottes Gnade erhalten wirst. Leb wohl, Matt …“   Matt stöhnte auf und hielt sich seine pochende Stirn. „Nicht schon wieder …“ Noch eine von Anothers Visionen? Bedeutete das, dass Alastair ihn in seinem nächsten Zug besiegen würde? Aber wie? Sein Blick fiel auf Alastairs verdeckte Karte, die er in seinem ersten Zug gesetzt hatte. Er kannte nur eine Karte im Deck seines Freundes, die imstande war, alle für [Vylon Ultimas] Beschwörung benötigten Monster aufs Spielfeld zu bringen. „[Vylon Link]“, murmelte er leise.   Das ist die Zukunft, die dich unter normalen Umständen erwarten würde. Doch fürchte dich nicht, ich habe für alles vorgesorgt. Er wird dich nicht besiegen können. Wart einfach ab und genieße die Show.   „Tzz.“ Anothers unbekümmerten Worte beruhigten Matt kein bisschen. Zwar zweifelte er nicht an ihrer Glaubwürdigkeit, doch missfiel ihm zusehends die Abhängigkeit, die zwischen ihnen bestand. Im Grunde lenkte Another nun dieses Duell. Und seine Eingriffe glichen praktisch Betrug, etwas, was Matt bis aufs Mark hasste. Das war nicht die Weise, auf die er seinen Freund zur Besinnung bringen wollte!   „Ich bin am Zug“, verkündete jener jedoch nach wie vor seelenruhig und zog eine Karte. Mit nun drei Karten auf seiner Hand, strahlte er eine Siegesgewissheit aus, die Matt ins Schwanken brachte. Würde wieder geschehen, was Another ihm gezeigt hatte? Oder war Refiel im Begriff zu intervenieren? Dem Engel traute er das durchaus zu. „Verdeckte Falle aktivieren!“, rief Alastair und schwang den Arm aus. „[Vylon Link]! Zu Kosten einer Vylon-Ausrüstungsmagie kann ich drei Vylon-Monster von meinem Friedhof auferstehen lassen. Jedoch büßen sie ihre Offensivkraft, ihre Effekte und einen Stufenstern ein. Außerdem verlieren sie während dem Ende meines Zuges ihr neugewonnenes Leben wieder!“ Matt schreckte innerlich auf. Also hatte er mit seiner Vermutung Recht gehabt! Dann bedeutete das wohl … Vor Alastair erschienen der Reihe nach das prismaförmige [Vylon Prism], der engelsgleiche [Vylon Hept] und schließlich sogar [Vylon Epsilon].   Vylon Prism [ATK/1500 → 0 DEF/1500 (4 → 3)] Vylon Hept [ATK/1800 → 0 DEF/800 (4 → 3)] Vylon Epsilon [ATK/2800 → 0 DEF/1200 (8 → 7)]   Bereite dich darauf vor, [Steelswarm Roachs] Effekt zu benutzen!   Gleichzeitig streckte Alastair seine Hand gen Himmel. „Ich stimme mein Stufe 3 [Vylon Prism] auf mein Stufe 7 Synchromonster [Vylon Epsilon] ein! Infinite evil, waiting to get purged! Be the voice of his justice! Synchro Summon! Purify this twisted world! [Vylon Ultima]!“ Und wie Matt es vorhergesehen hatte, blendete ihn grelles Licht, als das gigantische Wesen aus der Dunkelheit der Nacht herabstieg und alles im näheren Umkreis erleuchtete. „Unglaublich“, murmelte Matt fasziniert und gleichzeitig erschüttert. „Wirklich gut …“   Vylon Ultima [ATK/3900 DEF/3500 (10)]   „Aber noch lange nicht gut genug!“, schrie er nun und entfernte das verbliebene Xyz-Material von [Steelswarm Roach]. „Da die Stufe deines Monsters weit über 5 liegt, kann ich den Effekt meines Monsters aktivieren! Jenes wird die Beschwörung deines [Vylon Ultima] schlichtweg für ungültig erklären! Prohibition Of Obscurity!“ Wie ein schwarzer Pfeil schoss an Matts Schabe an dem riesigen Wesen vorbei, absorbierte noch im Flug die übrig gebliebene Sphäre und zerteilte mit nur einem Schwertschlag das kreuzförmige Monster. „Nein!“ Alastair weitete seine Augen, als sein Monster sich einfach im Nichts auflöste. „Wie kann eine Kreatur der Finsternis-!?“ „In dieser Welt ist alles möglich“, antwortete Matt ihm ernst, „nicht alles ist schwarz oder weiß, Alastair. Nur weil ich einen Pakt geschlossen habe, bin ich noch lange kein Dämon!“ Aber konnte er im Angesicht von Another wirklich seinen eigenen Worten glauben, fragte Matt sich schuldbewusst.   ~-~-~   „Bist du dir sicher, dass du wirklich dazu in der Lage bist, Anya Bauer?“ Das Mädchen lachte verächtlich auf und drehte ihren Finger über die Schläfe. „Spinnst du? Keiner von denen ist mein Freund. Weder Redfield, noch diese beiden Penner da unten.“ Mit einem verächtlichen Nicken deutete sie hinab zu der Sphäre, die alles widerspiegelte, was in der Zwischenzeit zwischen Matt und Alastair geschah. „Außerdem könntest du doch sowieso jederzeit die Kontrolle übernehmen.“ Levrier stellte sich neben sie und beobachtete das Geschehen. Matt hatte soeben das Monster beschworen, welches er als Symbol seines Paktes mit dem Dämon erhalten hatte. „Nun sind es drei Zeugen. Opfer für Eden. Kannst du ihren Verlust verschmerzen?“ Die Blondine zuckte unbedarft mit den Schultern. „Klar kann ich das. Wie gesagt, die Drei sind nicht meine Freunde. Wenn es sowieso keine Alternative gibt, aus diesem Kackmist herauszukommen, müssen sie eben die bittere Pille schlucken. Ich habe keinen Grund, Rücksicht auf sie zu nehmen. Warum sollte ich auch freiwillig in diesem beschissenen Limbus enden wollen?“ „Getreu dem Motto 'Lieber die als ich'?“ „Bingo.“   In Anyas blauen Augen stand grausame Gleichgültigkeit geschrieben. „Bleibt die Frage, wie wir dafür sorgen, dass es noch mehr Opfer gibt.“ Überrascht sah Levrier das Mädchen an. „Du bist wirklich zu allem entschlossen? Was hat deine Meinung geändert? Du wolltest nie Eden werden, doch nun …“ Anya neigte ihren Kopf mit einer finsteren Grimasse Richtung ihres Gegenübers. „Nur damit das klar ist: ich tue das nicht für dich! ICH bin hier immer noch der Boss! Und ehe ein beknackter Dämon auf die Idee kommt, meine Freunde zu solchen Opfern zu machen, nehme ich das lieber selbst in die Hand und picke mir ein paar entbehrliche Loser raus, klar?“ Levrier schloss die Augen. „Deine Einstellung ist löblich. Aber ich befürchte, dass wir in dieser Hinsicht nichts unternehmen können. Ich kann nur einen Pakt schließen.“ „Also müssen wir uns die anderen Idioten woanders herholen?“ „Ja. Nur wird das nicht reichen.“ Skeptisch hob Anya eine Augenbraue und beobachtete Matt dabei, wie er den Gegenangriff auf seinen Freund einleitete. „Oh, Überraschung … soll heißen?“ „Es ist nur eine Eingebung … aber als dieser Matt Summers den Pakt geschlossen hat, ist sein Elysion in sich zusammengebrochen. Und anschließend sofort reinkarniert, genau wie bei dir. Seine Teile haben sich zu einem neuen Gefüge vereint. Die letzte Antwort … sie ist im Elysion der Zeugen verborgen. Dessen bin ich mir sicher.“ „Aha.“ Levrier nickte. „Mehr noch. Dort, wo die Pakte geschlossen werden, hinterlassen sie eine Spur in der realen Welt. Sie ist verschwindend gering, doch in letzter Zeit gehen immer stärker werdende Schwingungen von diesen Orten aus. Anfangs habe ich dem keine Bedeutung zugeschrieben, doch es scheint mehr dahinter zu stecken.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich schlage deshalb vor, wir sehen uns das an, sobald diese beiden ihre Zwistigkeiten beigelegt haben.“ „Positiv. Hab ja sonst nix zu tun“, brummte Anya unzufrieden und kehrte ihrem Partner den Rücken zu. Sie schritt über die Mosaikplatte, auf welcher die Erde abgebildet war. In ihrer Mitte blieb sie stehen. „Ich kann's gar nicht erwarten bis das alles hier vorbei ist …“ „Willst du deshalb deine Bekannten opfern?“ „Nein … aber wenn nicht ich, wer sonst? Ist doch deine letzte Chance, oder? Die solltest du nicht vergeigen. Aber keine Panik, mit mir an deiner Seite kannst du gar nicht verlieren.“ Levrier schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf, sagte aber nichts. Jedoch musste er lächeln, glaubte er, einen der seltenen Blicke auf Anyas wahre Persönlichkeit erhascht zu haben. Was ihn gleichzeitig aber auch traurig stimmte …   ~-~-~   „Es tut mir leid, Alastair, aber ich kann es mir nicht leisten, hier zu versagen“, sprach Matt mit schlechtem Gewissen. Die letzten Teile von [Vylon Ultima] hatten sich aufgelöst. Doch anstatt sich seine drohende Niederlage einzugestehen, blieb Alastair seelenruhig. Er ballte eine Faust und hob sie auf Kopfhöhe. „Du hast nicht versagt, sondern ich. Anstatt dich vor den Verlockungen der Dämonen zu beschützen, habe ich dich direkt in ihre Arme getrieben …“ „Huh!?“ „Vergib mir, Matt. Du hattest die ganze Zeit recht, es war meine Schuld.“ Überrascht vom Sinneswandel seines Gegenübers hellte sich Matts Miene auf. „Meinst du das ernst?“ „Ja!“ Mit einem Mal streckte Alastair seinen Arm aus, seine Stimme bebte. „Deswegen werde ich dir so bald wie möglich folgen! Ich habe mein Recht zu leben verwirkt! Wie soll ich mit dem Wissen leben, dich ins ewige Unglück getrieben zu haben!?“   Oh großartig. Jetzt dreht er richtig durch. Bieg das wieder gerade!   Matt jedoch war zu geschockt von den Worten seines Freundes. Umso mehr, als eine Träne über die vernarbten Wangen Alastairs rann. Verzweifelt rang der Schwarzhaarige nach Worten. „Du irrst dich, Alas-“ „Schweig! Ich ertrage es nicht mehr! Der Gedanke, dich nicht retten zu können, ist unerträglich! Wie konnte es dazu kommen!?“, fragte Alastair in ungewohnt flehender Manier. „Was habe ich getan, dass mein einziger Freund den Dämonen verfällt?“ Schlagartig änderte sich seine Tonlage. „Ich werde sie töten, jeden, den ich finden kann! Und ich werde im Kampf fallen, um Buße zu tun!“ „Hör auf!“ „Nein! Ich kann deine dämonenverseuchte Stimme nicht länger ertragen, Matt!“ Alastair schnappte sich eine Karte von seinem Friedhof. „Ich aktiviere den Effekt von [Vylon Prism]! Wenn es auf den Friedhof gelegt wird, zahle ich 500 Lebenspunkte, um es an eines meiner Monster auszurüsten! An [Vylon Hept]!“   [Alastair: 1600LP → 1100LP / Matt: 100LP]   Um Alastairs Engelsmaschine leuchtete eine weiße Aura auf. Matt schwante Übles. Alastair konnte doch nicht etwa-!? „Da [Vylon Hepts] Effekt blockiert ist, muss ich auf die Schnellmagie [Vylon Polytope] zurückgreifen! Sie beschwört alle ausgerüsteten Vylon-Monster auf mein Spielfeld, die, sobald sie das Spielfeld verlassen, verbannt werden!“ Blitze schlugen um [Vylon Hept], als aus seinem Inneren plötzlich das schildartige [Vylon Prism] austrat.   Vylon Prism [ATK/1500 DEF/1500 (4)]   „Oh verdammt“, stieß Matt aus, welcher seine Befürchtungen nun Realität werden sah, „Alastair, hör auf damit! Wir können über alles reden!“ „Die Zeit des Redens ist vorbei, Matt! Ich kann dich nicht retten, aber zumindest deine Seele befreien! Und für diese Sünde möge mich Gott ebenfalls in den Limbus schicken, damit ich dein Leid dort teilen kann!“ Alastair streckte seinen Arm in die Höhe. „Ich stimme mein Stufe 4 [Vylon Prism] auf mein Stufe 3 [Vylon Hept] ein! Divine light guides the way to heaven! The mourning soul strifes towards purification! Synchro Summon! Arise, [Vylon Sigma]!“ Prism zersprang in vier grüne Ringe, die Hept durchquerte. Ein Lichtblitz folgte, als abermals eine mächtige Kreatur aus der Höhe hinab Richtung Spielfeld stieg. Und genau wie alle Vylon-Synchromonster war sie atemberaubend schön. Mit je drei goldene Ringe an beiden Armen und einem großen siebenten über dem Rücken, wirkte [Vylon Sigma] mit seinen silbernen Schwingen nicht minder erhaben als [Vylon Epsilon] und [Vylon Ultima].   Vylon Sigma [ATK/1800 DEF/1000 (7)]   „Das kann doch nicht wahr sein“, stöhnte Matt entgeistert. Er blickte auf seine Duel Disk und stellte fest, dass seine [Steelswarm Roach] keinerlei Xyz-Materialien mehr besaß, um die Beschwörung von Alastairs Monster zu annullieren.   Was regst du dich so auf, dieses Ding ist schwächer als dein Monster?   Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   „Wenn du mal in die Zukunft gesehen hättest, wüsstest du, dass du da falsch liegst“, murmelte Matt im Angesicht seines Freundes. Jener schien sich wieder beruhigt zu haben, von seiner Verzweiflung war keine Spur mehr zu entdecken. Ruhig sagte er: „Ich werde dich in guter Erinnerung behalten, Matthew Summers. Der einzige Freund, den ich jemals hatte … [Vylon Sigma], Harmonic Wave Buster!“ Das himmlische Wesen streckte seinen ganzen Körper durch und schickte eine gleißende Welle in Matts Richtung. „Oh verdammt!“     Turn 19 – Fools Day Während Anya, Matt und Alastair sich ihren inneren Konflikten ausgesetzt sehen, trifft Nick im Livingtoner Park eine junge Frau namens Melinda. Jene scheint nach ihrem Bruder zu suchen, einem Benny. Und als Nick ein Foto von Melinda und ihrem Bruder sieht, nimmt ihre Begegnung einen überraschenden Verlauf an … Kapitel 19: Turn 19 - Fools Day ------------------------------- Turn 19 – Fools Day     [Alastair: 1100LP / Matt: 100LP]   „Es ist aus …“, murmelte Matt, geblendet von der Lichtwelle, die ihn erfasst hatte. Sie glitt durch ihn hindurch, gefolgt von immer neuen Wellen, die Alastairs engelsgleiches Wesen, [Vylon Sigma], aussendete.   Vylon Sigma [ATK/1800 DEF/1000 (7)]   Jener stand mit verschränkten Armen vor seinem Monster und beäugte kritisch, wie Matt und sein Insektenritter [Steelswarm Roach] durch Sigmas Attacke den Boden unter den Füßen verloren und in der Luft zu schweben begannen.   Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   „Dass es soweit kommen musste …“ „Schlimme Dinge passieren eben“, presste der hilflos in der Luft liegende Matt ächzend hervor, „und ich ziehe sie irgendwie magisch an, huh?“ „Warum du?“ Alastair fasste sich an die Stirn. „Ein Pakt mit einem Dämon, um Dinge zu ändern, die nicht zu ändern sind … du bist zu sanft, egal wie gleichgültig und grausam du dich versuchst zu geben. Warst es schon immer.“ Matt lachte krächzend auf. Er hatte sich mit seinem bevorstehenden Ende abgefunden. „Sag das nicht. So hört es sich an, als wäre ich eine totale Lusche.“ „Ich kenne die Wahrheit über dich.“ Überrascht horchte Matt auf. „Der Mord an deinem Vater. Nicht du hast ihn begangen, sondern deine Schwester, Sophie. Du hast sie lediglich gedeckt, weil du dachtest, du wärst besser für ein Leben auf der Flucht geeignet. Aber als Dämonenjäger darf man nicht selbstlos sein, denn es bedeutet, dass man früher oder später vom rechten Pfad abkommt, von ihm fortgelockt durch schlangenzüngige Dämonen.“   Ein kalter Schauder überkam Matt. Alastairs Worte schnitten sich in seine Seele wie ein Messer in Butter. Wie hatte er das herausgefunden!? Er hatte sich für seine Schwester geopfert, die der Tyrannei ihres Vaters ein Ende gesetzt hatte. Aber außer ihnen beiden wusste niemand darum! Matt musste schlucken. War er wirklich so leicht zu durchschauen? Wie jämmerlich …   Alastair streckte den Arm aus. „Ich kann dich nicht gehen lassen, Matt. Nicht einmal retten kann ich dich jetzt noch. Aber ich verspreche, deine Schwester zu beschützen und mich um sie zu kümmern, bis zu dem Tag, an dem ich dir in den Limbus folgen werde.“ „Halt den Mund, Idiot“, brummte Matt, der nun aufrecht in der Luft schwebte, sich aber nicht rühren konnte, „sie lebt ein anderes Leben als wir. Jemand wie du kann sie nicht beschützen. Außerdem steht sie nicht auf Frankenstein.“ „Das sind also deine letzten Worte?“ Matt grinste verschlagen. „Ist doch allemal besser als 'oh mein Gott, verschone mich!', oder nicht?“ Alastair musste ebenfalls lachen. Und realisierte, dass er seinen Partner bereits jetzt vermisste. Dennoch war es zu spät und obendrein seine Aufgabe, dass kein Dämon in Menschengestalt auf Erden wandelte. „Das ist der Abschied“, sagte er leise und ballte seine ausgestreckte Hand zu einer Faust. „Effekt von [Vylon Sigma] aktivieren. Wenn ich einen Angriff deklariere, wird meine Kreatur automatisch mit einer Ausrüstungsmagie von meinem Deck versehen. Mit [Vylon Material] erhöhe ich so ihre Angriffskraft um 600!“ Die weiße, metallische Gestalt leuchtete grell auf. Dann streckte sie ihren Körper noch einmal durch, um eine letzte, gleißende Welle auszulösen, die Matt erfasste.   Vylon Sigma [ATK/1800 → 2400 DEF/1000 (7)]   Dieser schloss die Augen und musste schmunzeln. Er hatte alles versucht, um seinen Freund aus den Fängen Edens zu befreien und war kläglich gescheitert. Hoffentlich würde Alastair stark genug sein, selbst einen Weg aus der bevorstehenden Katastrophe zu finden. „Der Limbus … gleich weiß ich, wie er ist …“ Die funkelnde, weiße Welle riss ihn wie ein Sturm mit sich.   Sei kein Narr, Menschensohn! Denkst du, ich wäre nicht auf so etwas vorbereitet? Für wen hältst du mich?   Und während Matt mit vollem Karacho auf die schwarze Flammenwand hinter ihm zuschoss, riss er entgegen seinem Willen plötzlich den Arm in die Höhe. Auch die Worte, die er dazu sprach, waren nicht die seinen. „Incarnation Mode! Jederzeit während meines Zuges kann ich [Steelswarm Roach] zu einer höheren Wesenheit erheben! Ich rekonstruiere das Overlay Network und benutze Roach als Xyz-Material, um aus ihm ein neues Rang 4-Xyz-Monster zu machen!“ Kurz vor dem Feuer kam Matts Körper ruckartig zum Stehen, verharrte in der Luft. Als würden sich Fesseln von ihm lösen, schwebte er nun mit gleichgültiger Mimik auf der Stelle. Gleichzeitig wurde [Steelswarm Roach] in das schwarze Loch gezogen, welches bei jeder Xyz-Beschwörung erschien. Rote, violette und schwarze Blitze schlugen daraus empor, als schließlich eine riesige Gestalt daraus empor stieg. „Nein! Das ist-!“ Alastairs Augen weiteten sich beim Anblick des kolossalen Monsters, welches sich vor Matt wie eine eiserne Mauer aufbaute und allein mit seiner Anwesenheit [Vylon Sigmas] Angriff wirkungslos werden ließ. Und es war auch hauptsächlich Eisen, welches seinen Blick versperrte. Ein Breitschwert von der Größe eines Hochhauses wurde in den Boden gerammt, als ein muskulöser Kakerlakenmann in goldenem Umhang damit in die Knie ging. Und in derselben Farbe kreiste auch eine Energiesphäre um das riesige Insekt. „[Steelswarm Vanguard – Roach Styx]!“, rief Matt und schwang majestätisch seinen Arm aus. „Schütze unsere verbliebenen Lebenspunkte!“   Steelswarm Vanguard – Roach Styx [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Alastair hielt sich stöhnend den Kopf, so stark war die unbegreifliche Macht, die von diesem Koloss ausging. „Was hast du getan, Dämon!?“ „Nur, was notwendig war.“ Elegant fiel der besessene Matt zurück auf den Boden und schritt auf die schwebende Marmorplatte zu, um dort das neue Xyz-Monster auf [Steelswarm Roach] zu legen. „Keine Sorge, ich bin schon wieder weg. Ach und versuch gar nicht erst, Roach Styx anzugreifen, denn diese Kreatur kann nur durch Xyz-Monster im Kampf vernichtet werden.“ Er legte sich Mittel- und Zeigefinger an die Schläfen und schwenkte sie sogleich aus. „Bye bye!“ Kurz darauf kippte Matt ächzend nach vorn und tat es Alastair gleich, hielt sich den pochenden Schädel. „Was zum-!? Wie hat er-!? Und so schnell!“   Merk dir eins, Kindchen, ich habe immer ein Ass im Ärmel. Nutze es gut, denn noch eine Chance wirst du nicht bekommen.   Alastair indes atmete tief durch. Zwar mochte von den Werten her kein Unterschied zu Matts altem Monster bestehen, doch war dem Mann mit dem langen, schwarzen Haar und dem Zopf über der Schulter durchaus bewusst, dass der Teufel im Detail steckte. „Eine verdeckte Karte“, brummte er, innerlich hin und her gerissen. Er musste sich gegen diese Ausgeburt der Hölle wehren! Aber durch sie konnte er Matt noch ein paar Minuten länger sehen. Und doch, für jenen war jede weitere Minute unter der Herrschaft dieses Monsters Folter! Er musste ihn davon erlösen, um jeden Preis! Ohne weitere Handkarten sagte er schließlich: „Du bist dran … Matt? Oder doch nur der Dämon in ihm?“ Jener richtete sich, von seinem schwebenden Spielplan abstützend, stöhnend auf. „Ich fürchte, du musst mit dem Original Vorlieb nehmen. Whew, ich dachte schon, die himmlischen Glocken des Limbus zu hören … “ „Wirklich!?“ „Nein!“, empörte sich Matt. Gleichzeitig zog er seine nächste Karte. „Als ob! Reagier' nicht gleich auf alles so leichtgläubig, wenn das Wort Himmel benutzt wird!“ Alastair atmete tief durch. „Machst du dich über mich lustig!?“ Grinsend rieb sich sein Gegner unter der Nase, was Alastair aufgrund des überdimensionalen Kakerlakenritters jedoch nicht sehen konnte. „Klar, wann immer es geht!“ „Das ist ernst! Merkst du nicht, wie du immer tiefer in die Abgründe des Bösen gezogen wirst!? Sieh dir dieses Wesen an! Es ist die Verkörperung der Sünde!“ Matt legte seinen Kopf in den Nacken, betrachtete seine neue Kreatur. „Klar, es ist groß und sieht bedrohlich aus. Aber es hat mir den Arsch gerettet, also werde ich mich nicht beschweren.“ „Du bist genau wie dieses Monster, wie Kakerlaken. Einfach nicht tot zu kriegen. Ich weiß nicht, ob ich dich dafür loben oder verachten soll. Warum machst du es mir so schwer!?“ Seufzend legte Matt eine Hand auf den kalten Marmor. „Weil ich nicht so leicht aufgebe wie du. Wo du blind auf Dinge vertraust, die womöglich gar nicht existieren, suche ich nach greifbaren Alternativen. Und die einzige, die ich zurzeit sehe, ist eine Kooperation mit Anya, denn die will garantiert nicht, dass sie zu Eden wird.“ Alastair stöhnte verärgert. „Was sie will spielt keine Rolle. Es ist zu spät, war es in dem Moment, als sie sich auf den Dämon in ihr eingelassen hat.“ „Ach ja?“, brauste Matt plötzlich auf. „Wie gut, dass du allwissend bist! Wenn es für sie zu spät ist, dann auch für dich, denn du wirst es sein, der den blutigen Weg zu Eden pflastern wird! Was gewinnst du überhaupt durch diesen Blödsinn!?“ „A-“ „Gar nichts! Im Gegenteil, du richtest einen Freund hin, der für dich kämpft! Meine Meinung lässt du nicht zu, weil sie unheilig ist? Fein! Dann bin ich lieber mit dem Teufel liiert, als eine Marionette meiner eigenen Dickköpfigkeit!“ Regungslos verharrte Alastair auf der Stelle und sagte nichts.   Mit einem Schlag riss Matt die schwarze Karte seines neuen Monsters in die Höhe. „Ich werde dir zeigen, dass du dich irrst! Während der Standby Phase erhält [Steelswarm Vanguard – Roach Styx] von meinem Friedhof so viele Xyz-Materialien, bis er drei besitzt!“ Zwei weitere goldene Sphären umkreisten die gigantische Kakerlake, die Matt nach einem Wechsel in die Angriffsposition wieder auf den Spielplan knallte. Dabei schob er noch [Steelswarm Gatekeeper] und [Steelswarm Needle] unter sie. Der insektoide Ritter erhob sich, zog seine gewaltige Klinge aus dem Boden und ließ in seiner stehenden Position zu, dass Alastair Matt durch die Lücke zwischen den Beinen wieder sehen konnte.   Steelswarm Vanguard – Roach Styx [ATK/1900 DEF/0 {4}]   „Wollen mal sehen, was das Teil so drauf hat“, raunte Matt kämpferisch, „und oha, da haben wir doch auch schon gleich den ersten, sehr praktischen Effekt! Er kostet mich auch nur zwei Xyz-Materialien!“ Der Schabenritter hob beidhändig sein Breitschwert in die Höhe und absorbierte damit zwei der goldenen Sphären, bis die Klinge violett zu glühen begann. Matt indes streckte seinen Arm aus. „Durch diese Fähigkeit kannst du in diesem Zug keine Karteneffekte mehr aktivieren! [Steelswarm Vanguard – Roach Styx], benutze Clear Effector Mist!“ Alastair wich erschrocken einen Schritt zurück, als das alles überragende Insekt seine Waffen horizontal in seine Richtung schwang und damit eine violette Welle aussendete, die den Dämonenjäger wie einen Sturm erfasste. Er stöhnte auf, als dichter Nebel sein Feld einzuhüllen begann. Durch ihn war es kaum noch möglich, die Umgebung zu erkennen. „Nun Effekt Nummer zwei aktivieren, auch wenn er laut der Karte hier eigentlich der erste ist! Ist ja auch egal!“, ließ Matt ihm jedoch keine Verschnaufpause. „Im Austausch für ein weiteres Xyz-Material kann Roach Styx ein beliebiges Monster der Stufe 5 oder höher verbannen!“ Wieder steckte sein Monster die Klinge in die Höhe und absorbierte die verbliebene Lichtkugel. „Und ich dachte da irgendwie an [Vylon Sigma]! Banishing Blade!“ Wie ein ein Richter seinen Hammer bei der Verkündung des Urteils fallen ließ, ließ Matts Krieger seine Klinge auf Alastairs Engelsmaschine niedergehen, die sich bei der Berührung auflöste. Und durch den aktivierten Clear Effector Mist konnte Alastair auch keine Vylon-Zauberkarte von seinem Deck seiner Hand hinzufügen, als [Vylon Material] auf den Friedhof abgelegt wurde. Was blieb, war Alastairs leeres Spielfeld. „Sehr gut“, sprach Matt zufrieden, „sieht so aus, als wäre ich härter als du.“ „Red' keinen Unsinn …“, knurrte sein Gegner erbost. „Was du erreicht hast, hast du nur deinem 'Freund' zu verdanken.“ „Weil ein anderer versucht hat mich zu töten.“ Matt kratzte sich am Hinterkopf. „Sei kein schlechter Verlierer, Alastair. Ich werde deine verdrehte Ansicht von Recht und Unrecht aus dir rausprügeln, wenn es sein muss. Es wird Zeit, dass die Dinge sich ändern!“   Bei deinem Vorhaben musst du jedoch vorsichtig sein. Wenn du ihn jetzt angreifst, kannst du sein Leben beenden, denn dank unseres Pakts kannst du nun meine Kräfte nutzen. Solltest du dies wünschen, werde ich sie in deinen nächsten Angriff katalysieren. Aber da ich die Antwort sowieso kenne, kannst du unbedarft angreifen, ich werde sicherstellen, dass ihm nichts geschehen wird dabei. Denke nur daran, dass ich dies nicht für dich tue.   Dass Another sich nun wieder einmischte, erregte Matts Unmut. „Hör auf zu reden, wenn du weißt, was du tun sollst.“ Auch wenn der Einwand begründet sein mochte, war es in der Tat etwas ganz anderes, was dem jungen Mann Sorge bereitete. Refiel. Wenn zwei Dämonen sich bekämpften, musste einer sterben, ehe der Konflikt enden konnte. Wer garantierte ihm, dass Refiel kein falsches Spiel spielte und tatsächlich nur ein manipulativer Dreckskerl war, der Alastair benutzte? Ein Dämon? Wäre dem so, würde der Angriff Alastair das Leben kosten, da Another gezwungen wäre, seine Kräfte einzusetzen. Jedoch würde der Konflikt nicht enden können, solange er es nicht tat. In dem Fall würde einer von ihnen sterben müssen, früher oder später. Sollte er also blind angreifen oder stattdessen abwarten und sich besiegen lassen, um diese Theorie zu prüfen? Nein, aufgeben war ebenfalls keine Lösung, denn selbst wenn Refiel wirklich ein Engel war und das Prinzip des Blutzolls nicht griff, würde Alastair ihn dennoch aufgrund des Paktes umbringen wollen. Aber was war mit Another? Er war immerhin Alastairs Erzfeind und auch wenn er ihm gezeigt hatte, was damals angeblich wirklich vorgefallen war, hieß das gar nichts. Genauso gut konnte das alles nur eine Lüge sein, um ihn, Matt, dazu zu bringen, Alastair zu töten. Bloß wenn das stimmte, könnte es schon zu spät sein. Der Pakt war geschlossen …   Egal wie Matt es auch betrachtete, es gab keine Alternativen. Alle Möglichkeiten liefen darauf hinaus, dass einer von ihnen sterben könnte. Und er würde nur wissen, wie sich die Dinge wirklich verhielten, wenn er angriff. So schwer es ihm auch fiel. „Okay … [Steelswarm Vanguard – Roach Styx] … direkter Angriff! Infestation's Hammerfall!“ Hoffentlich war es kein Fehler, dachte Matt verzweifelt, als Roach Styx mit seiner Klinge ausholte und sie Richtung Alastair zu schwingen begann.   ~-~-~   Es gab gewisse Dinge, die Nick Harper nicht wusste. Zum Beispiel, dass er als Kind kurz davor stand, zur Adoption freigegeben zu werden. Letztendlich hatten seine Eltern ihn nur deshalb behalten, weil die Nachbarn sonst unangenehme Fragen gestellt hätten. Was Nick auch nicht wusste: sie bereuten ihre Entscheidung von damals zutiefst.   Allerdings waren dies Lappalien im Vergleich zu dem, was Nick an diesem angenehmen Oktobertag entging. Während seine Freundin Anya im Begriff war, eine fatale Entscheidung zu treffen und zwei Dämonenjäger und Freunde erbittert miteinander rangen, erfreute Nick sich an den Farben des Herbstes. Statt sich an den Kämpfen rund um Ehre, Verrat und Freundschaft zu beteiligen, hockte er auf einer Bank im unbeschädigten Teil des Livingtoner Parks und beobachtete all die Bäume um ihn herum, die bereits ihre Blätter verloren hatten. Und auch wenn es ziemlich kühl war, trug der hochgewachsene junge Mann ein beiges T-Shirt und Shorts, obwohl seine Gänsehaut davon zeugte, dass er fror. Seinem verkniffenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen hätte man meinen können, dass er über die wichtigen Fragen des Lebens nachdachte. Tatsächlich fragte er sich aber, ob das um ihn herumliegende Laub wieder an die Bäume wachsen würde, sobald der Frühling begann.   „Ein schöner Tag, nicht wahr?“, fragte ihn plötzlich jemand von der Seite. „Ist hier noch ein Platz frei? Die anderen Bänke sind alle besetzt.“ Nick drehte neugierig seinen Kopf zur Seite und blinzelte verdutzt. Eine Frau mit braunem Haar, das nach hinten wie eine Welle verlief, stand neben der Bank und blickte ihn erwartungsvoll an. Auffällig war, dass ihre Jeans dreckig und mit Löchern übersät war. Und auch ihr roter Rollkragenpullover hatte schon deutlich bessere Tage gesehen. Aber Nick störte das nicht, sie hatte immerhin Brüste. „Ich glaub schon“, gluckste er zufrieden. Das war wirklich sein Glückstag, was Nick schon wusste, seit seine Mutter ihn heute morgen trotz ihrer Wut wegen des verlorenen Hundert Dollar-Scheins nicht geschlagen hatte! Was bedeutete es schon, dass er den Rest des Jahres dafür hungern musste? Er freute sich über die Gesellschaft. Sonst waren immer alle anderen Menschen sofort unhöflich zu ihm gewesen. Und hatten meist keine Brüste oder für seinen Geschmack zu wenig davon. Aber er mochte Anya trotzdem. Die Fremde nahm Platz neben ihm und atmete tief durch, sah den grauen Himmel an. „Nicht mehr lange, dann wird es schneien. Mir macht die Kälte ja normalerweise nichts aus, aber dieses Jahr könnte ich ruhig auf sie verzichten.“ „Hehe, ich hab nichts gegen Kälte“, sprach Nick und dachte dabei an aufblühende 'Rosen'. Dann fügte er hinzu: „Schnee schmeckt gut.“ Was ihn an seinen Hunger erinnerte. Und wiederum seinen Magen knurren ließ. „Sorry, das macht er manchmal.“ Überrascht schaute die Frau ihn an. „Hunger? Warte, ich hab was. Ist nicht viel, aber immerhin etwas.“ Sie setzte den Rucksack, den sie bei sich trug, auf ihrem Schoß ab und holte daraus einen Müsliriegel hervor, den sie Nick lächelnd reichte. „Bitteschön! Oh, wo sind überhaupt meine Manieren? Ich bin Melinda.“ „Und ich gerettet“, strahlte Nick über beide Backen und nahm das Geschenk wie einen kostbaren Schatz an. Ehe er gierig das Papier abriss und den Riegel in einem Bissen hinunter schlang. „Aber geboren wurde ich als Nick. Kannst mich aber auch Gott nennen, hehe.“ Anstatt sich jedoch über seinen schrägen Humor aufzuregen, kicherte Melinda. „Du erinnerst mich an meinen Bruder. Er ist auch so'ne Marke.“ Plötzlich stöhnte sie traurig auf. „Ich frage mich, wo er jetzt stecken mag.“   Kurz war es zwischen ihnen still. „Im Knast?“ Wieder lachte Melinda auf Nicks Kommentar hin auf. „Nie im Leben, Benny würde nie ein Verbrechen begehen.“ Plötzlich gewann ihre Stimme etwas Zögerliches. „Aber sag, hast du ihn zufällig gesehen? Warte, ich habe ein Bild.“ Jenes kramte sie ebenfalls aus ihrem Rucksack hervor und gab es Nick. „Zugegeben, es ist etwas alt, aber er hat sich nicht sehr verändert.“ Nick nahm das Polaroid entgegen. Es zeigte einen jungen Mann zusammen mit Melinda, wie sie in einer nächtlichen Stadtkulisse Sombrerohüte trugen und mit roten Gesichtern in die Kamera grinsten. Melindas Haar war kürzer als jetzt und sie trug eine dezente Brille. Ihren Bruder kannte Nick bereits, auch wenn er auf dem Bild gepflegter wirkte und dazu noch aussah, als stecke er mitten in der Pubertät. „Der sucht nach dir.“ „Huh? Du meinst … er?“ Sie zeigte auf Benny. Nick nickte. „Benny … sucht nach mir?“ „Nein, er hieß Henny. Oder Kenny. Nein, warte, ich hab's gleich … Penner!“ Melinda blinzelte verdutzt. „Henry? Das ist sein zweiter Vorname.“ Vehement schüttelte Nick besserwisserisch den Kopf. „Nein, es war definitiv Penner! Anya hat gesagt, dass sie nichts von Pennern kauft.“ Die Erwachsene jedoch war bereits aufgekratzt aufgesprungen, wobei ihr Rucksack auf den Boden fiel. „Wo hast du ihn gesehen? Und wann!?“ „Uhh … weiß ich nicht mehr …“ „Bist du dir sicher, dass er es war?“, fragte sie aufgeregt und fasste Nick an den Schultern. „Wenn ja, muss ich sofort verschwinden! Er wird- Urgh!“ Sie fasste sich stöhnend an die Stirn und ging in die Knie. Ohne aufzusehen, fragte sie plötzlich kühl. „Anya Bauer war bei dir, sagtest du?“ „Jup.“ Mit geweiteten Augen schreckte sie hoch und taumelte von Nick zurück, sich immer noch den Kopf haltend. „Renn' weg!“ „Keine Lust. Lass uns lieber verstecken spielen.“ „Wieso?“ Sie ließ den Arm sinken. „Wenn ich dich doch sofort töten kann?“ Sie beugte sich stöhnend vor, als hätte sie Magenschmerzen. „Urgh! Nick, renn' weg! Er wird jeden Moment-“ Nick aber erkannte gar nicht, was mit Melinda vor sich ging. „Töten ist doof. Dann wäre ich ja tot.“ „Das ist kein Spiel“, schrie sie ihn an, „er ist in mir! Er will dich umbringen, weil du Anya Bauers Freund bist! Ich kenne weder dich noch sie, aber ihr beide seid in Gefahr! Ich kann nicht län- AH!“ Anstatt aber ihrer dringlichen Aufforderungen nachzukommen, trat Nick näher an sie heran und nahm sie in den Arm. „Alles wird gut, ich bin ja da.“   Ein Faustschlag in den Magen verriet ihm jedoch schnell, dass gar nichts gut wurde. Zurück torkelnd und sich dabei den Bauch haltend, erschrak Nick, als er in Melindas emotionsloses Gesicht starrte. „Dieses Mädchen …“, murmelte sie dabei und besah ihre Hände, „was für ein dickköpfiges Kind. Selbst nach unserem Pakt kann sie mich noch unterdrücken. Wohlan, es liegt den ihren eben im Blut.“ Dann sah sie auf. „Und du bist also ein Freund von Anya Bauer?“ „Hehe, ihr -Freund-“, gluckste Nick und zwinkerte mit den Augenbrauen. „Aber warum schlägst du mich?“ Melinda streckte jedoch den Arm aus und schleuderte Nick mit einer unsichtbaren Druckwelle über die Bank hinweg, sodass er rückwärts über diese fiel und direkt auf dem Kopf landete. „Au!“ Nick sprang auf und rieb sich die schmerzende Stelle. „Du bist ein Geist, oder?“ „Nein. Mein Name lautet Isfanel. Als Freund von Anya Bauer hast du ihn gewiss schon gehört, vermute ich.“ „Du bist … Marc?“ „Mein letztes Gefäß trug diesen Namen. Und wäre es nicht dank deiner Freundin, würde er jetzt noch unter den Lebenden weilen.“ Die von Isfanel besessene Melinda trat einen Schritt vor und hob wieder ihre Hand. Nick duckte sich reflexartig – weil er etwas Glitzerndes am Boden entdeckt hatte – und entging so seinem Tod, denn die Rinde eines Baumes direkt hinter ihm platze wie ein Ballon auf. „Oh, nur ein Kronkorken!“, beklagte er sich enttäuscht und schaute von der Lehne der Bank auf. „Wenn du nicht Marc bist, dann … vielleicht eines dieser Dinger?“ „Wovon sprichst du?“ Isfanel ließ die Hand sinken. „Die, die damals beim Eishockeyspiel mitgespielt haben. Alle haben sich gekloppt wegen denen. Oder die, die uns in Victim's Sanctuary angegriffen haben. Das waren dieselben.“ „Meine Person hat nichts mit derartigen Geschehnissen zu tun.“ Die besessene Melinda verengte ihre Augen zu Schlitzen. „Aber das hier ist mein Werk.“   Nick sah auf. Der Park hatte sich nicht weiter verändert, doch es war still geworden. Keine Menschen waren mehr um sie herum – er hatte es gar nicht bemerkt! Und der Himmel hatte eine rosa Farbe angenommen. Wie Zuckerwatte. Mhmm, Zuckerwatte ... „Du kannst nicht entkommen. Also versuche gar nicht erst, dich zu wehren.“ Isfanel trat wieder näher an die Bank heran und hob seine Handfläche. „Mir widerstrebt es, einen Unschuldigen zu vernichten, aber du stellst eine potentielle Gefahr dar. Zudem wird dein Tod der erste Schritt sein, um Anya Bauer in den ihren zu schicken.“ Plötzlich sprang Nick auf und sah Isfanel direkt in die Augen. „Sag das nochmal!“ „Was?“ „Was?“ „Ich-“ „Ich auch!“ „Stirb!“ Isfanel schickte eine weitere Welle in Nicks Richtung, der seinerseits ruckartig zur Seite sprang und mitansah, wie die Bank zerfetzt wurde. Stöhnend zuckte Isfanel anschließend zusammen, als hätte sich ein ziehendes Gefühl in ihm breit gemacht. Anschließend blinzelte er überrascht, als sein Gegenüber grinste. „Warum lachst du?“ „Nix! Oder doch? Weiß nicht. Meine Eltern sagen immer, ich wäre besonders.“ „Eine Barriere … in deinem Verstand. Wer hat sie erschaffen?“ Die besessene, junge Frau schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle. Dieser Ort wird dein Grab sein.“ „Duell!“ Nick hatte seine Duel Disk gezückt und grinste. „Genau wie in den Filmen! Das wollt ich immer schon mal tun, hehe.“ „Ich habe keine Absicht-“ Doch ehe sich Isfanel versehen konnte, lag Nick ihm zu Füßen und zerrte an Melindas Hose. „Ach komm schon, bitte! Ich will auch ein Holyfoot-Star sein! Nur ein Duell! Ich tu auch alles was du willst.“ Er grinste verschlagen. „Wirklich alles!“ „Was ist mit dir-!?“ „Feigling!“ Nick sprang auf, schritt zurück und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Der Nickinator erkennt sofort, wenn seine Feinde sich fürchten! Und kein Wunder, er ist schließlich der beste Duellant auf dem Planeten!“   Isfanel verstand nicht, wie dieser Menschling ihm so furchtlos gegenüber treten konnte. Es mochte an seiner mangelnden Intelligenz liegen, doch etwas an ihm riet Isfanel zur Vorsicht. Zwar schien er über keine unnatürlichen Kräfte zu verfügen, aber als Freund von Anya Bauer sollte er nicht unterschätzt werden. Zumal er recht flink zu sein schien. Und Isfanel rief sich in Erinnerung, dass er mit seinen Kräften sparsam umgehen musste. Allein der Bannkreis kostete viel Kraft. Wenn er noch mehr davon freisetzte, um diesen Nick zu vernichten, gelang es seinem Gefäß am Ende noch, die Kontrolle zurückzugewinnen. Etwas, dass er sich nach all der Arbeit nicht leisten konnte. Allein sie in einen Pakt zu zwingen hatte ihn an den Rand der Zerstörung gebracht, nachdem er sich von Anya Bauers Angriff nur sehr langsam erholt hatte. Vielleicht wäre es das Beste, auf seinen Vorschlag einzugehen? In einem Duell verbrauchte er weniger Kraft. Und sein Gegner stellte in dem Fall ein leichtes Ziel dar. Doch was, wenn es eine Falle war? Nein, es gab keine Anzeichen dafür. Er besaß keine besonderen Kräfte, das stand fest. Auch wenn etwas an seinem Elysion anders war, als bei gewöhnlichen Menschen … „Du willst unbedingt ein Duell?“, fragte Isfanel schließlich steif. „Wie du willst. Ein Feigling bin ich nicht. Doch wisse, dass es nichts an deinem Schicksal ändern wird!“ „Filmstar zu werden? Cool!“ Nick grinste breit.   Kurz darauf standen sie sich mitten auf dem Kiesweg gegenüber, mit erhobenen Duel Disks. „Es hat lange gedauert, zurückzubekommen, was mir gehört“, sprach Isfanel und schob sein Deck in den Apparat an seinen Arm. „Nun wird sich zeigen, ob mein damaliger Paktpartner bei der Wahl seines Symbols richtig entschieden hat oder nicht.“ „Ich versteh nur Bahnhof“, gluckste Nick, „aber das bin ich gewohnt! Zück schon mal Zettel und Stift, denn wenn der Nickinator mit dir fertig ist, wirst du sie brauchen, um-“ Der hochgewachsene Kerl kratzte sich am Kopf. Er hatte glatt vergessen, was er sagen wollte. Leise murmelte er zu sich selbst: „Merke! Nächstes Mal Onkel Google mitbringen für coole Sprüche.“ „Willst du noch länger warten, oder soll ich dich doch auf der Stelle vernichten?“ „Okay, bin schon bereit!“, strahlte Nick und schob sein Deck ebenfalls in die Duel Disk. „Duell!“   [Nick: 4000LP / Melinda: 4000LP]   „Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein!“, rief Nick, zog nach seinem Startblatt noch eine Karte und ließ sie ungeschickt auf den Boden fallen. „Es ist die Schwerkraft!“ „Was machst du da?“ Isfanel rührte sich keinen Millimeter und beobachtete seinen Gegner verwirrt dabei, wie er seine Karte wieder aufhob. „Weiß nicht“, machte sich Nick nichts aus der Verwirrung seines Gegners, schloss die Augen und legte die erstbeste Karte, die er greifen konnte, auf die Duel Disk. „Und heute in Nicks Wundertüte …“ Er sah nun auf den Apparat an seinem Arm und das Monster darauf. „Oh, es ist [Wind-Up Soldier]!“ Aus dem Boden schoss ein etwa ein Meter großer, grüner Spielzeugsoldat, dessen Kopf die Form eines Magneten hatte. Er ließ einmal seine Zangenhände um 360° drehen, ehe er in Kampfposition ging.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Die und die und die!“ Drei verdeckte Karten machten sich vor Nick breit. „Und nicht vergessen: der Nickinator kennt all deine Schwachstellen! Zug beendet!“ Isfanel schürzte seinerseits die Lippen. „Du wirst es bereuen, diesen Vorschlag gemacht zu haben. Womöglich denkst du von mir, dass ich ein grausames, nach Blut dürstendes Wesen bin …“ „Bist du nicht!?“, fragte Nick voller Empörung. „Nein. Doch solange meine Existenz in Gefahr ist, kann ich deine Freundin Anya Bauer nicht ignorieren. Sie darf nicht zu Eden werden!“ „Find' ich auch!“ Nick verschränkte mit fest entschlossener Mimik die Arme. „Nicht, solange sie mir nicht die 10 Dollar wiedergegeben hat, die sie mir geliehen hat!“ Den Kopf schüttelnd, gab Isfanel es auf, an den Verstand seines Gegners zu appellieren. Allein aufgrund seiner mangelnden Intelligenz war er nicht imstande, die Situation zu begreifen, in der Isfanel sich befand. Jener selbst war sich derer nicht so sicher, wie er es sein musste. Denn auch wenn Eden eine Gefahr für ihn war, wusste er so verdammt wenig darüber.   Doch das spielte jetzt keine Rolle. Dieser Bursche war sein Feind, wenn auch nur durch eine unglückliche Fügung des Schicksals. Und wenn er seinen Plan umsetzen wollte, musste er sein Blut vergießen. Und das vieler anderer Menschen, die in Kontakt mit Anya Bauer standen. „... denn sie sind ihre Schwachstelle …“, murmelte er leise und zog seine sechste Handkarte. Er würde jeden vernichten, der Anya Bauer irgendetwas bedeutete. In der Hoffnung, sie damit in den Wahnsinn zu treiben, damit sie sich selbst richtete. Dann konnte selbst der Gründer ihr nicht helfen. „Schnellzauberkarte“, rief er schließlich, „[Emergency Teleport]! Damit kann ich von meinem Deck ein Psi-Monster der Stufe 3 oder weniger beschwören, wobei es jedoch am Ende des Zuges wieder verbannt wird! Und nun erscheine, [Winda, Priestess Of Gusto]!“ Eine Säule aus blauem Licht entstand vor Isfanel. In ihr setzte sich aus kleinen, viereckigen Partikeln ein grünhaariges Mädchen zusammen, das über ihr weißes Kleid einen braunen Mantel trug und auf dem ein grüner Vogel saß. Stolz schwang sie ihren Zauberstab, in dessen Kopf ein länglicher Smaragd eingesetzt war.   Winda, Priestess Of Gusto [ATK/1000 DEF/400 (2)]   „Nun zu meiner normalen Beschwörung“, setzte Isfanel den Zug ohne Umschweife fort, „ich schicke [Gusto Gulldo] in den Kampf!“ Der Vogel auf ihrer Schulter flog in die Höhe, wuchs und trug nun plötzlich einen grünen Helm sowie ein Reitgeschirr um seinen Körper.   Gusto Gulldo [ATK/500 DEF/500 (3)]   Mit einem Schlag schwang die willenlose Melinda ihren Arm aus, während sie rief. „Nun stimme ich das Empfängermonster [Gusto Gulldo] der Stufe 3 auf [Winda, Priestess Of Gusto] der Stufe 2 ein! The feather of hope is blown away by divine winds! A storm embraces the lost valley! Synchro Summon! Reverberate, [Daigusto Gulldos]!“ Der Vogel flog in hohem Tempo an Winda vorbei und wuchs dabei weiter, als sie auf seinen Rücken sprang. Zusammen schossen sie hoch in die Luft, waren nicht mehr zu sehen, bis sie wie eine eisige Böe einmal um das Spielfeld fegten und schließlich vor Isfanel Halt machten. Nun war Gulldos endgültig erwachsen und trug eine stachelige Rüstung, während seine mächtigen Schwingen ihn und Winda über der Erde hielten. „Cool, so eine Synchrobeschwörung hab ich noch nie gesehen. Da waren ja gar keine Ringe und Blitze und so“, plapperte Nick begeistert. „So was will ich auch!“   Daigusto Gulldos [ATK/2200 DEF/800 (5)]   „Du begreifst nicht, wie gefährlich diese Kreatur ist. Deswegen lass mich dir eine Kostprobe ihrer Macht geben! Indem ich zwei Gusto-Monster von meinem Ablagestapel ins Deck zurückschicke, vernichtet Gulldos eines deiner offen liegenden Monster!“ Und kaum hatte Isfanel [Winda, Priestess Of Gusto] und [Gusto Gulldo] von seinem Friedhof aufgenommen, schickte sein Riesenvogel durch nur einen Flügelschlag einen Wirbelsturm in Richtung [Wind-Up Soldier], der stöhnend durch die Luft geschleudert wurde. Als er meterweit entfernt auf dem Boden aufprallte, zersprang er in tausend Stücke. „Ohhh“, jammerte Nick ihm mit ausgestreckter Hand und Tränen in den Augen hinterher. Schließlich blinzelte er. „Irgendwas hab ich vergessen … ahja, verdeckte Zauberfalle! [My Body As A Shield]! Für 1500 Lebenspunkte passiert jetzt irgendwas!“ Die mittlere seiner gesetzten Karten sprang auf, gab sich durch den grünen Rand als Zauberkarte zu erkennen, klappte dann aber wieder zu. „Du hast den Zeitpunkt ihrer Aktivierung verpasst“, sprach Isfanel ungerührt, „wenn du so weiter machst, wird deine Dilettantismus dein Grab sein.“ Nick grinste breit. „Sooorrryyy!“ „Zauberkarte [One For One]!“ Die braunhaarige Frau hielt die Karte in die Höhe. „Durch den Abwurf eines Monsters von meiner Hand wird ein ebensolches von meinem Deck beschworen. Einzige Einschränkung ist, dass seine Stufe 1 betragen muss. Also erscheine, [Gusto Egul]!“ Ein wesentlich kleinerer, dunkelgrüner Vogel umkreiste plötzlich seinen älteren Bruder. Aber auch das junge Tier war gut gepanzert und trug einen Helm, dessen Kamm messerscharf erschien.   Gusto Egul [ATK/200 DEF/400 (1)]   Doch Isfanel hielt bereits eine weitere Karte in der Hand. Es war die, die er für die Aktivierung seiner Zauberkarte ursprünglich abgeworfen hatte. „Der Effekt von [Gusto Griffin] aktiviert sich nun! Wenn er von meiner Hand abgeworfen wird, ruft er ein Gusto-Monster von meinem Deck aufs Spielfeld. Und dieses Mal gibt es keine Stufenbeschränkung! Höre meine Stimme, [Windaar, Sage Of Gusto]!“ Ein weißer Wirbelsturm schoss aus dem Boden und ließ einen grünhaarigen Mann daraus springen, der einen klingenbesetzten Metallstab schwang. Gekleidet war er wie ein Wanderer, doch hatte er einen stillen Zauberspruch auf den Lippen.   Windaar, Sage Of Gusto [ATK/2000 DEF/1000 (6)]   Der kleine Vogel schwirrte nun um den Priester herum, wuchs und als Egul groß genug war, sprang Windaar auf dessen Rücken. „Silence lies within the wisper of the winds! A word of power is spoken! Synchro Summon! Arise, [Daigusto Eguls]!“ Das Reittier des Wanderers war nun genauso imposant und mächtig gepanzert wie sein Artgenosse, welcher von Winda kontrolliert wurde. Nick staunte Bauklötze über die Tatsache, dass Isfanel mühelos zwei starke Synchromonster in wenigen Schritten beschworen hatte.   Daigusto Eguls [ATK/2600 DEF/1800 (7)]   Im Angesicht der beiden Riesenvögel verging Nick das Grinsen. „Oh oh, das sieht aus, als ob es gleich weh tun wird …“ „Ich werde es schnell beenden. Meine Monster, doppelter Angriff auf die Lebenspunkte meines Gegners! Löscht ihn aus! Twin Cyclones!“ Beide Kreaturen stiegen mit ihren Reitern auf und erzeugten zusammen zwei Wirbelstürme, die immer wieder ineinander übergingen und unbändig auf Nick zu rasten. Jener geriet in Panik. „Was mach ich jetzt? Die?“ Er drückte wahllos auf einen Knopf seiner Duel Disk, wodurch wieder [My Body As A Shield] aufsprang, nur um wieder nach unten zu fallen. „Dann die?“ Wieder klappte eine von Nicks gesetzten Karten auf. Dieses Mal war es eine Falle, wie man an dem purpurnen Rand erkennen konnte. Auf ihr abgebildet war ein Richter, der aus einem Sumpf entstieg und einen Duellanten vor die Wahl zwischen einer goldenen und einer Eisenaxt stellte. Der Zwillingswirbelsturm prallte an der Karte ab und verharrte fortan auf der Stelle. „[Half Or Nothing]“, raunte Isfanel mit seiner weiblichen Stimme verärgert. „Diese Karte zwingt mich, entweder die Angriffskraft meiner Monster bis zum Ende des Zuges zu halbieren oder gar ganz auf die Battle Phase zu verzichten.“ „Äh, ja, genau das!“ „Da es keine Monster auf deiner Seite des Spielfeldes gibt, sehe ich keinen Grund, den Angriff abzubrechen! Also los!“   Daigusto Gulldos [ATK/2200 → 1100 DEF/800 (5)] Daigusto Eguls [ATK/2600 → 1300 DEF/1800 (7)]   Nicks Falle wurde unter dem Getöse der Zyklone zerfetzt. Ihr Besitzer wurde schlussendlich von ebenjenen erfasst und wie ein Stück Papier durch die Luft geschleudert. Schreiend landete er schließlich in einem Busch in der Nähe des Kiesweges, auf dem die beiden sich duellierten. Mit zuckendem Bein jammerte er: „Kann mich bitte jemand hier herausholen? Hier ist es dunkel und ich hab Angst. Und hab ich erwähnt, dass das gerade sehr weh getan hat? Aua!“   [Nick: 4000LP → 1600LP / Melinda: 4000LP]   „Ich setze zwei Karten“, ließ Isfanel sich davon nicht beirren und schob seine letzten beiden Handkarten in die dazugehörigen Slots seiner Duel Disk. „Zug beendet. Damit erlangen meine Monster ihre ursprüngliche Stärke wieder. Und zusätzlich aktiviert sich nun der Effekt von [Daigusto Eguls]!“ Für einen kurzen Augenblick leuchteten die Augen des größeren der beiden Vögel rot auf. „Indem ich ein Gusto-Monster von meinem Friedhof verbanne, zerstöre ich eine gesetzte Karte meines Gegners.“ Isfanel steckte [Windaar, Sage Of Gusto] in die hintere Hosentasche von Melindas zerschlissener Jeans. „Meine Wahl fällt auf [My Body As A Shield], damit du mein weiteres Vorgehen nicht behindern kannst.“ Wieder leuchteten Eguls' Augen rot auf und dieses Mal explodierte Nicks Karte.   Daigusto Gulldos [ATK/1100 → 2200 DEF/800 (5)] Daigusto Eguls [ATK/1300 → 2600 DEF/1800 (7)]   Dieser kam schließlich auf allen Vieren angekrabbelt, gezeichnet von etlichen Schnitten im Gesicht und an seinem beigen T-Shirt. „Aua …“ „Wenn das alles ist, was du an Schmerzen erdulden kannst, geht von dir wahrlich keine Gefahr aus.“ Isfanel sah mit hochnäsiger Mimik auf Nick herab. „Jemand wie du kann niemanden beschützen. Anya Bauer wird sterben, dafür sorge ich. Das ist meine Bestimmung!“ Nick richtete sich langsam auf. „Verstehe … eine Bestimmung also? Willst du auch wissen, was meine ist?“ Überrascht von diesem merkwürdigen Tonfall, musterte Isfanel den jungen Mann interessiert. „Etwas an dir hat sich soeben verändert.“ „Nein“, antwortete Nick kühl und putzte sich beiläufig etwas Dreck von der Kleidung, „nichts hat sich verändert. Alles ist, wie es immer war. Damit das auch so bleibt, muss ich jetzt leider Ernst machen. Meine Freundin leidet auch ohne dich schon genug.“ „Was soll das bedeuten?“ Plötzlich blickte Nick mit einer Ernsthaftigkeit in seinen Augen auf, die man so noch nie bei ihm erlebt hatte. „Es bedeutet, dass ich keine Rücksicht mehr auf Melinda nehmen kann. Vielleicht bin ich gar nicht so nutzlos, wie alle immer denken? Bevor du Anya auch nur ein Haar krümmst, musst du erst an mir vorbei! Das ist -meine- Bestimmung!“   ~-~-~   „Unmöglich!“ Matt war sprachlos, konnte nicht glauben, was er da sah. Der violette Nebel um Alastair hatte sich durch den Schwung von Roach Styx' Schwert verzogen und war unverhofft an einem dreieckigen, weiß glühenden Energieschild abgeprallt, den drei kleine, kugelförmige Apparate an den Ecken erzeugten. Jenes Kraftfeld schützte Alastairs Linke und stellte ein unüberwindbares Hindernis für die Klinge dar. „Wie-!“ Der junge Schwarzhaarige realisierte erst jetzt, was ihm bereits viel früher hätte auffallen müssen. Alastairs gesetzte Karte war fort. Jener erklärte ruhig: „Ich habe sie bereits aktiviert, als du versucht hast, meine Effektaktivierungen zu unterbinden. Es handelt sich hierbei um [Delta Shield], eine Falle, die umso effektiver wird, je höher die Stufe des Monsters war, welches ich für ihre Aktivierung als Ziel ausgewählt habe. So reicht schon ein Stufenstern aus, um in diesem Zug einmalig Kampfschaden zu annullieren, wie ich es hier getan hab.“ Er deutete auf die dreieckige Barriere. „Da [Vylon Sigmas] Level aber auch über 4 lag, konnte ich zudem eine Karte ziehen und wäre imstande gewesen, mein Monster vor feindlichen Angriffen zu schützen. Wenn meine Kreatur sogar der Stufe 8 angehört hätte, wäre sie zusätzlich noch immun gegen sämtliche Karteneffekte gewesen, wodurch die deine nicht imstande gewesen wäre, Sigma zu verbannen. Doch du hattest Glück.“ Mit seiner neu gezogenen Handkarte verharrte Alastair anschließend nachdenklich, schien gar in jenen Gedanken verloren zu sein. Matt fand jedoch seine Sprache wieder. „Verdammt! Du bist mindestens genauso hartnäckig wie ich!“ „Zumindest etwas, das wir gemeinsam haben …“   Ich gebe es auf. Entweder bist du einfach nur unfähig, oder dieser Typ hat seit meiner letzten Begegnung mit ihm ordentlich dazugelernt. Langsam bereue ich es, dich als Paktpartner gewählt zu haben.   Daraufhin zischte Matt verärgert. Innerlich war er jedoch auch erleichtert, denn zumindest lebte Alastair noch. Blieb bloß die Frage, ob er selbst dessen nächsten Zug noch überstehen würde. „Ich setze eine Karte“, meinte er schließlich gefasst. Wie er Alastair kannte, würde der nächste Runde von Refiels Fähigkeit Gebrauch machen und das Schicksal beeinflussen. Alles im Sinne eines finalen Offensivschlags. Hoffen wir mal, dass mir meine Falle den Arsch retten wird, dachte er und beendete seinen Zug schließlich mit einer Handkarte. „Du bist.“   Und kaum hatte Alastair seine Hand auf sein Deck gelegt, begann sie weiß zu leuchten, was binnen Sekundenbruchteilen auf die Karten überging. „Ich hab geahnt, dass er das tun wird“, brummte Matt frustriert. „Das wird übel.“   Hoffentlich tötet er dich. Hätte ich einen eigenen Körper, würde ich angesichts dieser Farce im Boden versinken vor Scham …   Was bei Matt allerdings nicht gut ankam. „Bist du auch mal still!?“ „Das ist der letzte Zug!“, rief Alastair ihm zu. „Ich werde das ein für allemal beenden! Draw!“ Ein gleißendes Strahlen ging von ihm aus, als er schwungvoll zog. Im Kontrast dazu stand der aus schwarzem Marmor bestehende Spielplan, der wie das sprichwörtliche Auge des Sturms aus dem Licht herausstach. Alastair sah seine neue Handkarte an und nickte. Refiel hatte ihm wieder den Weg gewiesen. Matt mit einem traurigen Blick musternd, schloss er die Augen. Um dessen Misstrauen gegenüber Refiel wusste er, es war kein Geheimnis. Und es ehrte Alastair auch, dass sein Freund sich um ihn sorgte. Aber er war keine Marionette des Himmels. Refiel hatte nie Befehle gegeben, sondern ihn immer vor die Wahl gestellt. Vor die Wahl gestellt, das Richtige zu tun. Und jetzt war das Richtige, Matt von seiner Qual zu erlösen. Im Moment mochte dieser glauben, dass dieser Dämon ihn nicht verraten wird. Aber er hat ihm ohne Zweifel einen Pakt aufgezwungen und es war offensichtlich, dass dieses Miststück etwas plante. Dem musste er einen Strich durch die Rechnung machen, auch Matt würde das so wollen, wenn er nur die nötige Weitsicht besäße! „Ich beschwöre [Vylon Pentachloro]!“, tönte Alastair erhaben und fühlte sich in seinem Vorhaben dadurch bestärkt. Vor ihm formte sich ein metallisches Wesen langsam zu einer Gestalt. Erst war da der fünfeckige Körper aus dunklem Stahl, dann die zwei Arme und letztlich ein goldener, radähnlicher Kopf.   Vylon Pentachloro [ATK/500 DEF/400 (4)]   Matt schluckte. Was würde jetzt folgen? Ein Empfängermonster für eine weitere Synchrobeschwörung? Oder gar etwas ganz anderes-!? „Mögen die Schuldgefühle mich zurück zu dir führen“, sprach Alastair leise und schob eine Zauberkarte in den dazugehörigen Slot seiner Duel Disk. „[Machine Duplication]! Damit verdreifache ich ein Maschinenmonster mit einer maximalen Offensivstärke von 500!“ Erschrocken beobachtete sein Gegner, wie zwei durchsichtige Kopien links und rechts aus [Vylon Pentachloro] schossen, ehe sie eine feste Gestalt annahmen.   Vylon Pentachloro x3 [ATK/500 DEF/400 (4)]   „Nein! Das ist-!“ Alastair streckte mit entschlossener Mimik den Arm aus. „Werde Zeuge der Macht Gottes! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Seine drei Monster wurden zu gelblichen Lichtern, die in den schwarzen Wirbel gezogen wurden, welcher sich in der Mitte des Spielfeldes aufmachte. „Erscheine, [Vylon Disigma]!“ „Ein Xyz-Monster!? Aber woher-“ Aus den Tiefen der Finsternis entstieg eine gar groteske Gestalt. Sie wirkte ganz anders als die anderen Vylon-Monster. Dunkel und bösartig war die Grimasse des Wesens, dessen überdimensional großer Kopf auf zwei miteinander verbundenen, quadratischen Plattformen lag. Aus den langen Armen, die aus Disigmas Kopf ragten, schossen etliche schwarze Klingen. Während die drei Xyz-Materialien als weiße Sphären um es kreisten und dabei das Gold an seinem Körper zum Glänzen brachten, verschlug es Matt beinahe die Sprache.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}] „Was … ist das?“ Er hatte diese Kreatur noch nie in Alastairs Deck gesehen. „Das Geschenk des Engels Refiel“, antwortete dieser, „seine Macht übersteigt die eines jeden Dämons! Siehe den Grund für sein abscheuliches Äußeres! Absorbiere das Böse dieser Welt, absorbiere [Steelswarm Vanguard – Roach Styx]!“ Der Mund der abstrusen Engelsmaschine öffnete sich, als sie damit begann, den riesigen Kakerlakenritter einzusaugen. Dieser schrumpfte dabei immer mehr und kaum war er verschwunden, verfärbte sich eine der um Disigma kreisenden Sphären violett. Matt sah fassungslos auf seinen Spielplan. Hätte Alastair angegriffen, wäre er ihm mit seiner Falle [Rising Energy] zuvor gekommen. Doch ohne sein Monster ging das nicht. Es war … vorbei.   Gratulation! Du hast nach allen Regeln der Kunst versagt! Kann ich jetzt gehen?   „Halt den Rand“, murmelte Matt nur schwach. „Weil es das Böse in sich aufgenommen hat, um es zu reinigen“, erklärte Alastair plötzlich und deutete auf seine Kreatur, „ist es selbst zu einer finsteren Silhouette verkommen. Nun mag es dem Unwissenden selbst wie ein Dämon erscheinen … aber seine Intentionen sind nach wie vor rein.“ Matt musste auflachen. Er sah seinen Freund tief in die Augen, denn er erkannte die Parallelen zwischen dem entstellten Alastair und seinem Monster. „Du vergleichst dich damit? Dass ich nicht lache! Es ist eine Karte! Die hat keinen freien Willen! Und kein Gewissen! Sie tut nur das, wozu sie erschaffen, beziehungsweise missbraucht wird! Aber du! Du glaubst, du kannst dich vor der Verantwortung drücken, indem du blind irgendwelchen Überzeugungen folgst!“ Alastair streckte seine Hand aus. „Matt-“ „Und selbst wenn es wirklich besser für alle ist, wenn ich hier und jetzt sterbe, hast du als Mensch trotzdem versagt! Als Freund!“ Der Schwarzhaarige ließ bedrückt den Kopf hängen. „Tu was du willst. Ich glaube, ich habe jetzt erkannt, dass ich gegen den Engel an deiner Seite keine Chance habe.“ Alastair schüttelte vehement den Kopf. „Du irrst dich, Matt! Ich will-“ Es ist genug, Alastair. Lass ihn leben.   „Refiel!“, schoss es aus dem Dämonjäger überrascht. Matt schreckte ebenfalls auf, denn auch er hatte die sanfte, warme Stimme vernommen. Er sah sich um, doch nirgendwo war ein Zeichen des Engels, es loderten nur die schwarzen Flammen, während Anya nach wie vor bewusstlos auf der anderen Seite im Garten der Familie Bauer lag. „Wieso mischt der sich jetzt ein!?“, platzte es aus Matt heraus.   Dieser Kampf ist sinnlos. Du, Matt Summers, hast eine große Sünde auf dich geladen. Doch nicht heute soll der Tag sein, an dem der Herr über dich urteilt. Aber du, Alastair, hättest es besser wissen müssen.   „Was!?“   Dein Freund hat sich und sein Seelenheil für dich geopfert. Was er nicht hätte tun müssen, wenn du ihm mit Gnade begegnet wärst. Gottes Regeln zu befolgen heißt nicht, sie für den eigenen Wahn zu missbrauchen. Ein Wissen, das dieser Junge dir voraus hat.   „Refiel, ich-“ Nein, Alastair. Der Schmerz um den Verlust der geliebten Familie darf uns nicht blind für diejenigen machen, die noch auf Erden weilen. Deine Aufgabe, die schändlichen Dämonen von Gottes Werk zu vertreiben, bis der versprochene Tag gekommen ist, ist löblich. Doch heute bist du zu weit gegangen. Lass mich dich deshalb auf den richtigen Pfad zurückführen.   Alastair fiel gebannt und gleichwohl erschrocken von den Worten des Engels auf die Knie. Eine einzelne, goldene Feder fiel vor seine Füße. Er las sie auf und betrachtete sie, wie sie sich in seinen Fingern auflöste. „Was … soll ich tun … ?“   Frage deinen Freund. Er hat die Antwort gefunden. Und diese Antwort ist der einzige Weg, seine und die Seelen aller anderen Opfer dieses verachtungswürdigen Spiels zu retten. Höre auf ihn, denn es sind die Worte der Weisheit …   Matt spürte instinktiv, dass der Engel damit fort war. Die Wärme, die er mit sich gebracht hatte, ebenso. Schließlich rieb er sich den Hinterkopf. „Man, der scheint sich ja gerne reden zu hören.“ „Was soll ich tun?“, fragte Alastair da plötzlich und sah fragend zu Matt auf. „Hat er … recht?“ Sein Freund zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen? Glaub jedoch nicht, dass ich ihm vertraue. Wenn er aber schon auf meiner Seite steht, will ich mich mal nicht so anstellen …“ Plötzlich streckte er lächelnd die Hand nach Alastair aus, als wolle er nach ihm greifen, auch wenn sein Gegner mehrere Meter entfernt auf den Knien lag. „Lass uns dieses Chaos gemeinsam bekämpfen! Und alle retten! Dich, mich, Anya … alle! Wir werden das schaffen! Wir müssen!“   Und da sagst du, der Engel redet viel? Diese menschliche Theatralik ist hundertmal schlimmer …   „Halt endlich die Klappe, Dämon!“, zischte Matt zwischen den Zähnen. Alastair jedoch hatte seine Entscheidung längst getroffen. Er streckte die Hand ebenfalls aus, auch wenn Matt so weit von ihm entfernt war. „Dann erfahre jetzt meine Antwort. [Vylon Disigma], direkter Angriff! Sacred Black Obliteration!“ Es traf seinen Gegner völlig unvorbereitet. „Was!?“ Die grauenhafte Kreatur von Alastair erzeugte zwischen den Händen seiner enorm langen Armen eine schwarze Energiesphäre, aus der es kurz darauf einen Speer formte. Es spielte sich für Matt alles in Zeitlupe ab, als das Monster seine Waffe griff und wie befohlen in seine Richtung warf. Dann folgten eine finstere Explosion und ein schmerzerfüllter Schrei. Rauch verdunkelte das Spielfeld.   [Alastair: 1100LP / Matt: 100LP → 0LP]   Und als dieser sich verzog, lag Matt regungslos am Boden, die Augen fest geschlossen. „Ich hoffe, das ist dir Antwort genug“, sprach Alastair kühl und trat schließlich an seinen Freund heran. „Es war die einzig mögliche.“ Die schwarzen Flammen lösten sich in Luft auf. Was blieb war die unnatürliche Nacht, die Matts Bannkreis über den eingesperrten Teil Livingtons gebracht hatte, denn dieser hatte sich noch nicht aufgelöst. „Wie langweilig!“, raunte plötzlich eine penetrant genervte Stimme. „An deiner Stelle hätte ich ihn umgenietet, Narbengesicht!“   Matt schreckte auf und betrachtete im Sitzen seine Hände. „Ich lebe?“ „Leider“, posaunte Anya enttäuscht und schritt von dem kleinen Gartenweg der Familie Bauer auf den Dämonenjäger zu. Dabei rieb sie sich ein Auge. „Man, ich hab wohl echt das Beste verpasst, huh?“ „Kein Blutzoll? Dann ist Refiel wirklich … ein Engel“, murmelte Matt jedoch leise und beachtete Anya gar nicht. Denn wäre Alastairs Partner ein Dämon, hätte das Duell nur mit seinem Tode enden können. „Sieht so aus, als ob wir Gesprächsbedarf haben“, brummte Alastair und taxierte Anya mit einem giftigen Blick. „Nur weil ich sein Leben verschont habe, bedeutet das noch lange nicht, dass ich mit dem Dämonenpack gemeinsame Sache mache!“ Schließlich erhob sich Matt und gesellte sich neben Anya, welche patzig erwiderte: „Als ob ich mit dir zusammenarbeite!“ „Danke, Alastair.“ Matt lächelte. „Danke, dass du mir genug vertraust, um einen Weg einzuschlagen, der nicht meinen und Anyas Tod durch deine Hand nach sich zieht.“ „Hmpf! Ob das so sein wird, hängt ganz von dir ab.“ „Ich weiß!“ Der Schwarzhaarige nickte knapp. Er sah abwechselnd die anderen beiden an, ehe er schließlich mit einem geheimnisvollen Schmunzeln verkündete: „Und ich habe da auch schon eine Idee, die unsere Probleme lösen könnte. Allerdings würde ich vorschlagen, dass wir uns dafür an einen Tisch setzen und alles in Ruhe durchgehen.“ „Mit ihr?“ „Mit ihm!?“ Alastair und Anya funkelten sich voller Abscheu an. Doch unbeirrt von der gegenseitigen Feindseligkeit griff Matt sie beide unter jeweils einem Arm und zerrte sie Richtung Anyas Haus. „Ja, wir drei! Wenn ihr beide nicht so dämlich wärt, müssten wir das hier alles jetzt nicht durchmachen, verdammt!“ Anya gab nur einen resignierenden Zischlaut von sich, während Alastair es gleich vorzog zu schweigen. Was Matt nur in seiner Vorahnung bestätigte, dass ihre Zusammenarbeit alles andere als einfach werden würde. Aber sie saßen alle im selben Boot, es musste sein! Hier ging es nicht mehr um Dämonen oder Engel, sondern ums Überleben!     Turn 20 – Unmasked Die Zusammenarbeit von Matt, Alastair und Anya steht unter keinem guten Stern. Matts Idee spaltet die Lager und schafft statt Einigkeit nur Streit. Auf der anderen Seite stellt sich Nick dem Kampf gegen Isfanel und legt einen erstaunlichen Persönlichkeitswandel hin. Während er Isfanel etwas über seine gemeinsame Vergangenheit mit Anya verrät, gewinnt er durch ein überraschendes Manöver die Oberhand. Schließlich gelingt es ihm, Isfanel eine interessante Information zu entlocken, doch gleichzeitig … Kapitel 20: Turn 20 - Unmasked ------------------------------ Turn 20 – Unmasked     „Nicht länger auf Melinda Rücksicht nehmen?“ Isfanel rümpfte die Nase. „Was kann ein Mensch wie du schon tun?“ „Vielleicht mehr als du denkst“, antwortete Nick selbstsicher. „Bist du dir da so sicher? Selbst wenn ich dich bisher unterschätzt haben sollte, stehst du mit dem Rücken zur Wand.“ Mit einem Kopfnicken deutete die brünette Frau auf Nicks Spielfeldseite. Die war, abgesehen von einer verdeckten Karte, komplett leergeräumt. Im Gegenzug besaß Isfanel mit [Daigusto Gullos] und [Daigusto Eguls] zwei mächtige Vogelkreaturen, sowie gleich zwei gesetzte Karten. Dafür hatte er zumindest keine Karten mehr auf der Hand. Anders als Nick, der immerhin noch über zwei verfügte.   Daigusto Gulldos [ATK/2200 DEF/800 (5)] Daigusto Eguls [ATK/2600 DEF/1800 (7)]   Allerdings verzog Nick beim Anblick der beiden Monster keine Mimik. Eher schaute er sich um, ob es auch wirklich keine Zuschauer gab. Aber nein, er war gefangen in einem Bannkreis, der den Himmel in rosafarbenes Licht tauchte. Da er das Ende seines Gefängnisses nicht erkennen konnte, schätzte er, dass der gesamte Park betroffen war. Und wie er von Abby erfahren hatte, kam man hier nur raus, wenn der Erzeuger es zuließ – oder starb. Letztes war jedoch keine Option für Nick, wenn man betrachtete, dass in dem Fall auch Melindas Leben auf dem Spiel stünde. Doch der junge Mann war sich der Tatsache bewusst, dass er sich viel mehr um sein eigenes Leben sorgen sollte. Besonders wenn man einen Blick auf die Duel Disk warf.   [Nick: 1600LP / Melinda: 4000LP]   Es war sein Zug. Nick zog daher energisch und betrachtete seine neue Karte nachdenklich. „Egal welchen Weg du einschlägst, das Ziel ist immer dasselbe“, sprach Isfanel selbstsicher auf ihn ein. „Selbst wenn du mich besiegst, hast du dadurch nichts gewonnen. Verletzen können mich nur Wesen höherer Macht und du bist nur ein Mensch. Was du tust ist zwecklos.“ „Wenn du meinst“, erwiderte Nick kalt. Plötzlich zückte er eine Karte aus seinem Blatt. „Ich beschwöre [Wind-Up Magician]!“ Kurze Zeit später tauchte vor ihm ein Spielzeugmagier auf, der etwa bis zu Nicks Hüfte ging. Mit seinen Zangenhänden hielt er einen Zauberstab fest.   Wind-Up Magician [ATK/600 DEF/1800 (4)]   Anschließend schwang Nick seinen Arm aus. „Ich aktiviere meine Falle! [Call Of The Haunted]!“ Innerlich zufrieden, dass er Isfanel im letzten Zug von ihr abgelenkt hatte, griff er nach dem Friedhofsschlitz seiner Duel Disk, aus der eine einzelne Karte gefahren kam. „Damit rufe ich den [Wind-Up Soldier] von meinem Friedhof zurück im Angriffsmodus aufs Feld! “ Neben dem Magier gestellte sich nun auch noch ein grüner Kämpfer, dessen Kopfform an einen Magneten erinnerte.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Anya und ich kennen uns schon seit dem Kindergarten“, sprach Nick weiter und streckte nun seinen Arm aus. „Effekt von [Wind-Up Soldier] aktivieren. Bis zur End Phase steigen seine Stufe und seine Angriffskraft um eins beziehungsweise 400 an.“ Der kleine Soldat wuchs plötzlich auf Nicks Größe an.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)]   „Damals verhielten sich die Dinge nicht anders als heute. Anya war schon immer sehr temperamentvoll gewesen.“ Nick deutete nun auf seinen Magier. „Jetzt aktiviere ich [Wind-Up Magicians] Effekt, welcher durch [Wind-Up Soldiers] Effektaktivierung ausgelöst wurde, wodurch ich ein Wind-Up-Monster von meinem Deck beschwören kann. Wie alle Effekte dieser Monsterreihe, kann auch er nur einmal aktiviert werden. Erscheine, [Wind-Up Dog]!“ Lautes, elektronisch verzerrtes Gebell ertönte, als der Magier seinen Zauberstab schwang und zwischen ihm und dem Soldaten einen kleinen, blauen Spielzeughund erscheinen ließ, aus dessen Rücken ein Aufziehschlüssel ragte.   Wind-Up Dog [ATK/1200 DEF/900 (3)]   „Sie war immer das Thema der Erzieherinnen gewesen“, führte Nick seine Erklärung bezüglich Anya ruhig fort, griff dabei nach seinem Blatt. „Sie haben ihr Bestes gegeben, sie zu bändigen. Haben mit ihr geredet, wollten ihr helfen, als ihr Vater zusammen mit seinem Sohn, Anyas Bruder, gegangen ist.“ Mit finsterem Blick zückte er eine Zauberkarte. „Aber keiner hat kapiert, dass Anya kein Mitleid brauchte, weil es nichts geändert hätte. Ich war damals selbst ein Kind, habe aber mehr verstanden als so mancher Erwachsener.“ Isfanel verschränkte skeptisch die Arme. „Wieso erzählst du mir das?“ Unbeirrt führte Nick jedoch seine Geschichte fort, wobei er die Zauberkarte in den dazugehörigen Slot seiner Duel Disk einführte. „Anya brauchte jemanden, an dem sie all ihren Frust abladen, dem sie sich aber gleichzeitig anvertrauen konnte. Vorher schon, und nach dem Verlust ihres Bruders und ihres Vaters umso mehr.“ „Und du bist dieser jemand?“ „Exakt“, antwortete Nick ihm kalt, „aber sie hat in all den Jahren nie über sich geredet, nicht einmal. Alles, was ich am Ende tun konnte, war für sie den Trottel zu mimen, um sie zum Lachen zu bringen, bis ich irgendwann nichts anderes mehr getan habe.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während sein Tonfall deutlich aggressiver wurde. „Aber selbst gelacht hat sie kaum und wenn doch, war es nie die Art von Lache, die ich ihr abgewinnen wollte.“ Einen abwertenden Blick auf Nick werfend, schüttelte Isfanel abweisend den Kopf. „Eine traurige Geschichte. Aber so wenig mich das angeht, so wenig interessiert es mich auch. Ich bin nicht hinter ihr her, weil sie so eine kümmerliche Gestalt ist, sondern weil sie eine Gefahr für mich darstellt. Und daran ändern auch deine Sentimentalitäten nichts, Mensch.“ „Ich war noch nicht fertig“, blieb Nick jedoch unberührt davon, hatte er schließlich mit nichts anderem gerechnet. „Selbst wenn ich nicht imstande bin, Anya glücklich zu machen, werde ich bestimmt nicht zulassen, dass du ihr das letzte Bisschen nimmst, das sie noch hat. Uns!“ „Genau das werde ich ab-“ Nicks Zauberkarte sprang nun auf. Er rief ihren Namen laut. „[Inferno Reckless Summon]! Sollte ein Monster mit 1500 oder weniger Angriffspunkten als Spezialbeschwörung auf meine Spielfeldseite beschworen werden, kann ich alle weiteren Exemplare davon von meinem Deck beschwören! Dafür kannst du dasselbe bei einem beliebigen deiner Monster tun!“ Zwei weitere Spielzeughunde tauchten zwischen Nicks Magier und Soldat auf, während sich auf Isfanels Spielfeldseite nichts veränderte.   Wind-Up Dog x3 [ATK/1200 DEF/900 (3)]   Zufrieden schickte Nick seine Zauberkarte nach ihrer Benutzung auf den Friedhof. Da Isfanel nur zwei Synchromonster besaß und diese vom Extradeck gerufen werden, konnte er keine weiteren Exemplare seiner Vögel beschwören. Das lief gut. „Selbst jetzt, da dein Feld voller Monster ist, stellst du keine Bedrohung für mich dar“, höhnte sein Gegner nur. „Man soll den Tag nicht vor den Abend loben“, konterte Nick kalt. „Was soll das bedeuten?“ „Sieh doch selbst! Ich benutze den Effekt eines meiner [Wind-Up Dogs] und erhöhe so seine Stufe um 2 sowie seine Angriffskraft um 600!“   Wind-Up Dog [ATK/1200 → 1800 DEF/900 (3 → 5)]   „Ich erschaffe das Overlay Network“, gröhlte Nick nun und riss den Arm in die Höhe. Ein schwarzer Wirbel tat sich im Boden vor ihnen auf, welcher sowohl den Soldaten, als auch den von Nick gestärkten Hund in Form brauner Lichtstrahlen absorbierte. Plötzlich trat aus dem Schlund ein neues Monster hervor. „Wir schaffen das, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Über zwei Meter groß war Nicks roter Roboter. Zwar zeigte sich Isfanel von dem Bohrer an seinem Arm, als auch von dem abgekoppelten, frei schwebenden, linken Hammerarm von Zenmaioh unbeeindruckt, doch das änderte nichts an der majestätischen Erscheinung des Monsters, welche völlig anders war als alle zuvor von Nick gespielten Aufziehkreaturen. „Neckisch“, kommentierte Isfanel das eindrucksvolle Äußere von Nicks Monster hämisch, „passend zu deiner Rolle, wenn man es recht bedenkt. Und auch wenn es zweifelsohne sehr stark anmutet, ist es letztlich auch nur ein Teil eines schwächlichen Ganzen. Ein Teil von dir.“   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5}]   Doch zu Isfanels Überraschung schloss sich das Overlay Network nicht, als Nicks Maschinenkrieger daraus hervorgetreten war. Im Gegenteil, plötzlich wurden auch die anderen beiden [Wind-Up Dogs] zu braunen Lichtstrahlen, die in das schwarze Loch im Boden gezogen wurden. „Weiter geht’s! Ich weite das Overlay Network aus und beschwöre nun [Wind-Up Carrier Zenmaity], nur um sofort seinen Effekt zu nutzen! Indem ich ein Xyz-Material abkopple, kann ich ein Wind-Up-Monster von meinem Deck beschwören! Los, [Wind-Up Knight]!“ Noch während aus dem dunklen Wirbel die Spielzeugversion eines Flugzeugträgerschiffs auftauchte, schoss sie von einer ihrer beiden Rampen etwas ab, das wild um das Spielfeld zischte, ehe es vor Nick landete. Es war ein Spielzeugritter in weißer Rüstung, der sich mit Schild und Schwert bewaffnet aufrichtete, wobei ein Aufziehschlüssel aus seinem Rücken ragte.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3}] Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Was!?“, staunte selbst Isfanel, als er mitansah, wie nun Nicks [Wind-Up Magician] sowie der eben erst erschienene Ritter wieder in das Overlay Network gezogen wurden, jeweils als roter und gelber Lichtstrahl. „Dachtest du, hier wäre schon Schluss?“ Nick verzog seine Augen, sein Gesicht formte eine grimmige Maske. „Ich mag zwar keinen Dämon an meiner Seite haben, aber mich zu unterschätzen wirst du noch bitter bereuen! Runde drei! Erscheine, [Wind-Up Zenmaister]!“ Mit einem Satz landete vor Nick noch ein großer Roboter, doch war dieser weißgrün, besaß vier Düsenantriebe als Beine und wirkte trotz seines Körperumfangs ziemlich agil. Er ballte seine mächtigen Hände zu Fäusten.   Wind-Up Zenmaister [ATK/1900 → 2500 DEF/1500 {4}]   Die zwei Lichtsphären, die um ihn kreisten, leuchteten auf, anders als die, die um Zenmaioh und Zenmaity tanzten. „Zenmaister wird mit seinem Xyx-Material stärker, 300 Angriffspunkte für jedes, das er besitzt“, erklärte Nick das Phänomen. „Tch“, zischte Isfanel und wich dennoch einen Schritt zurück. Er musste zugeben, dass dieser Bursche ihn überrascht hatte. Drei mächtige Xyz-Monster in einem einzigen Zug zu beschwören, obwohl er zuvor bereits mit aller Macht in die Ecke gedrängt worden war? In einem hatte er recht. Man durfte ihn nicht unterschätzen. Isfanel grinste selbstsicher, was überhaupt nicht zu Melindas unscheinbarer Person passte. Nein, selbst wenn dieser Junge ihn besiegen könnte, würde das nichts ändern. Er besaß keinerlei Kräfte, obwohl leichte Rückstände einer großen Macht aus seinem Elysion drangen. Soviel hatte Isfanel mittlerweile erkannt. Doch das bedeutete nur mehr, dass er unbedingt vernichtet werden musste. Allein dass er offenbar Kontakt mit einer höheren Wesenheit hatte, war bedenklich. Und nicht zuletzt war er ein Bekannter Anya Bauers.   „Effekt von [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] aktivieren!“, rief Nick seinerseits und streckte den Arm aus. Dessen Monster in der Mitte hob plötzlich seinen Bohrarm und absorbierte damit eine der Lichtkugeln um ihn herum. „Damit zerstöre ich zwei gesetzte Karten auf dem Spielfeld. Deine!“ Wie aus dem Nichts tauchte sein großer Roboter plötzlich vor Isfanel auf, welcher überrascht zurückschreckte. Den Bohrer bereits auf die beiden Fallenkarten vor den Füßen des Feindes gerichtet, war Isfanel jedoch schneller. „Kette! Ich aktiviere [Whirlwind Of Gusto]! Durch das Zurückschicken von [Gusto Griffin] und [Gusto Egul] in meinem Friedhof kann ich ein Gusto-Monster mit 1000 oder weniger Verteidigungspunkten von meinem Deck beschwören! Los, [Winda, Priestess Of Gusto]!“ Und obwohl ein Wirbelwind aus Isfanels aufgesprungener Falle zischte, in der sich die kleine, grünhaarige Magierin verborgen hielt, ließ Zenmaioh seinen Arm niederfahren und zerstörte zumindest [Dust Storm Of Gusto], die andere gesetzte Karte. Den Zauberstab schützend vor sich haltend, stand Winda in der Mitte des Spielfelds von Isfanel, umgeben von den beiden Kampfvögeln.   Winda, Priestess Of Gusto [ATK/1000 DEF/400 (2)]   Nick jedoch zückte unlängst die nächste, seine letzte Handkarte. „Zeit für eine neue Hintergrundkulisse. [Xyz Territory]!“ Der Kiesweg unter ihnen brach plötzlich auseinander, als der gesamte Park in rotes Dämmerlicht getaucht wurde. Plötzlich begannen die Xyz-Materialien von Nicks Monstern zu pulsieren, während um die beiden Roboter und den Schiffsträger eine schwarze Aura entflammte, aus der weiße Funken sprühten. Doch anders als Isfanel es erwartete, passierte zunächst nichts weiter. Gleichzeitig schloss Nick die Augen und überlegte. Es stand nun drei gegen drei. Sowohl sein Zenmaioh, als auch [Daigusto Eguls] waren gleichstark, während Zenmaister [Daigusto Gulldos] Angriffskraft um 300 Punkte toppen konnte. Zumindest erschien es für Isfanel so … „Los [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]! Vernichte [Daigusto Eguls]“, befahl Nick schließlich siegessicher. „Wind-Up Power Punch!“ „Du willst also beide Monster opfern?“, raunte Isfanel. „Nein! Ich will gewinnen!“ Das gesagt, schoss plötzlich Zenmaiohs Hammerarm auf den grünen, gepanzerten Vogel in der Luft zu wie eine Rakete. „Wenn ein Xyz-Monster unter Einfluss von [Xyz Territory] mit einem anderen Monster kämpft, erhält es 200 Angriffspunkte multipliziert mit seinem Rang! Das wären im Falle von Zenmaioh ganze 1000 Angriffspunkte!“ Von Nicks Worten geschockt, erkannte Isfanel nun die gesamte Strategie hinter Nicks Spiel und konnte nur noch einmal mit den Augen blinzeln, als die Hammerfaust ein Loch in Eguls riss, plötzlich auf ihn hinab stürzte und eine gewaltige Explosion auslöste. „Kyaahh!“, schrie er mit Melindas hoher Stimme und wurde davon geschleudert.   [Nick: 1600LP / Melinda: 4000LP → 3000LP]   Schließlich kehrte Zenmaiohs Arm zu ihm zurück und koppelte sich an seinen Besitzer an. Sich langsam aufrichtend, betrachtete der in Staub gehüllte Isfanel verwundert den Arm seines Gefäßes. Er blutete. Zwar war es keine ernsthafte Verletzung, die er binnen weniger Minuten zu heilen vermochte, doch fragte er sich, wie es seinem Gegner gelungen war, sie ihm überhaupt zuzufügen. „Wie hast du das bewerkstelligt?“, verlangte er schroff zu wissen, als er wieder auf beiden Beinen stand. Etwa durch die Macht, die er gespürt hatte? Aber nein, sein Elysion hatte sich nicht im Geringsten verändert. Da war nichts, was ihm seine Kraft hätte leihen können!   Nick lächelte zufrieden. „Nichts Außergewöhnliches. Zugegeben, ich musste ganz schön ackern, um die Server der AFC zu täuschen, aber es hat sich offensichtlich ja gelohnt.“ „Du hast … das Sicherheitsprogramm ausgeschaltet?“ „Exakt. Die Minidrohnen, die die Duellhologramme erzeugen, sind nun so eingestellt, dass die Dinge, die sie erzeugen, so realistisch wie möglich sind.“ Nachdenklich verschränkte der junge Mann die Arme. Es war nicht zu vergleichen mit Abbys Fähigkeit, aus Fiktion Realität zu machen, kam gar nicht einmal an Anyas beziehungsweise Levriers Fähigkeiten heran. Dennoch war es eine ernst zu nehmende Waffe, die durchaus Verletzungen zufügen konnte. Normalerweise hatten nur bestimmte autorisierte Individuen Zugriff auf diese Funktion, aber Nick wäre nicht Nick, wenn er sich mit seinen Hackerfähigkeiten von so etwas aufhalten ließe. „Ich würde vorschlagen, dass du mich in Zukunft etwas ernster nimmst. Wie du weißt, können noch [Wind-Up Zenmaister] und [Wind-Up Carrier Zenmaity] angreifen.“ Anstatt sich jedoch davon verunsichern zu lassen, schwang Isfanel hochmütig den Arm aus. „Narr! Wisse, dass nur meinesgleichen mir ernsthafte Wunden schlagen kann! Was du tust, schädigt mein Gefäß lediglich temporär. Jede dieser Verletzungen werde ich binnen kurzer Zeit heilen!“ „Mag sein, dass ich dich nicht damit töten kann“, erwiderte Nick, „will ich auch gar nicht, denn Melinda ist unschuldig in die Sache hineingeraten und sollte nicht unser Sündenbock sein. Aber das Leben kann ich dir damit allemal schwer machen!“ „Du-!“ „Was?“, erwiderte Nick eisig. „Ich tue nur, wozu ich wegen dir gezwungen werde! Du fürchtest Eden? Warum arbeiten wir dann nicht zusammen!?“ „Weil unsere Vorgehensweisen grundverschieden sind. Als körperliche Wesen fürchtet ihr den Tod, das Ende. Euer Denken ist darauf fokussiert, eure Zeit optimal zu nutzen, dem Tod mit allen Mitteln zu entgehen.“ Isfanel nickte plötzlich heftig und lächelte geheimnisvoll. „Ja, meinesgleichen ist zeitlos, wird nicht im Verlaufe der Jahrhunderte älter und schwach. Und doch werde ich verschwinden, wenn Eden erwacht. Und das werde ich mit allen Mitteln zu verhindern wissen, selbst wenn es die Leben einiger Menschen kosten wird. Ich bin zu wichtig, um zu verschwinden!“ Ärgerlich schüttelte Nick daraufhin mit dem Kopf. „Ist das nicht ein Widerspruch? Was du fürchtest, ist auch nur der Tod in andere Worte gehüllt. Wo sind unsere Denkweisen unterschiedlich?“ „Ganz einfach. Ihr Menschen könnt keine Opfer eingehen. Dazu seid ihr zu egoistisch.“ „Man sollte aber unterscheiden, was den Begriff 'Opfer' ausmacht. Für dich sind Opfer wahrscheinlich nur ein nötiges Übel, um zu erreichen, was du bezweckst.“ Nick schnaubte. „Du hast aber keine Verbindung zu ihnen, ihre Existenz und ihr Ableben spielen für dich keine Rolle. Für uns, die wir Anya helfen wollen, ist das aber etwas ganz anderes. Weder können wir sie über die Klinge springen lassen, weil das einfacher ist, noch andere in die Sache hineinziehen und sie gefährden, nur um Anya zu retten.“ Isfanel lachte auf. „Ideale … Du redest so, als wüsstest du, womit du es zu tun hast. Aber die Realität sieht so aus: du weißt gar nichts. Weder wie du sie retten kannst, noch wie du ihr Schicksal zu erfüllen vermagst.“ Getroffen sah Nick zur Seite, schwieg. „Allein deshalb werde ich mich euresgleichen nicht unterwerfen. Ihr wäret nur Ballast.“   Aufgebracht richtete Nick wieder seinen Blick auf Isfanel und streckte den Arm aus. „Bisher hast du ebenfalls nicht durch Erfolg geglänzt, also plustere dich gefälligst nicht so auf! Anya lebt und ich werde dafür sorgen, dass das auch so bleibt! Und jetzt nimm eine weitere Kostprobe des 'Ballasts'! Zenmaister, greife [Daigusto Gulldos] an! Wind-Up Armored Fist! Und dank [Xyz Territory] erhält er während des Kampfes 800 zusätzliche Angriffspunkte!“ Damit stand es 3300 gegen 2200. Zenmaister fuhr einen seiner Arme an einer Drehspirale aus und schlug damit aus der Distanz auf den kleineren grünen Vogel und seine Reiterin ein, die beide schreiend explodierten. Wieder wurde Isfanel von einer Explosion erfasst und auf den Boden geworfen.   [Nick: 1600LP / Melinda: 3000LP → 1900LP]   „[Wind-Up Carrier Zenmaity], greife [Winda, Priestess Of Gusto] an! Wind-Up Launcher!“ Schon schoss der Spielzeugflugzeugträger einen Torpedo in Form eines Hais auf die kleine Magierin ab, die kreischend ihr Ende unter dem Beschuss fand. Doch kaum war sie verschwunden, stand an ihrer Statt ein kleines Eichhörnchen. Sein weiß-grünes Fell erinnerte entfernt an Blitze, wobei es, um diesen Eindruck noch zu bestärken, eine Haube mit einer Antenne trug, an der sich Energie auflud.   Gusto Squirro [ATK/0 DEF/1800 (2)]   Stöhnend erhob sich die brünette Frau. „Wenn Winda stirbt, beschwört sich ein Gusto-Empfänger-Monster von meinem Deck.“ „Deshalb ist es also hier“, schlussfolgerte Nick und griff nach seiner Duel Disk. „Ich entferne jetzt ein Xyz-Material von [Wind-Up Zenmaister], um Zenmaity in die verdeckte Verteidigungsposition zu wechseln. Allerdings wird jener während der End Phase aufgedeckt, welche ich jetzt einläute. Aber zumindest kannst du dir so nicht seine vergleichsweise geringe Angriffskraft zunutze machen, um mir zu schaden.“ Kurzzeitig tauchte der Spielzeugflugzeugträger ins Nichts ab, nur um dann wieder aufzutauchen, doch dieses Mal in Querlage, um Nick vor Angriffen abzuschirmen. Gleichzeitig sanken Zenmaisters Angriffspunkte, da er nun nur noch ein Xyz-Material besaß. Doch für Nick war es wichtig, seinem Gegner möglichst wenig Spielraum für Angriffe zu bieten. Denn durch [Xyz Territory] kam Zenmaity nur auf maximal 2100 Angriffspunkte, Zenmaister immerhin noch auf 3000 in seiner derzeitigen Lage.   Wind-Up Zenmaister [ATK/2500 → 2200 DEF/1500 {4}] Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3}] Um jedes seiner drei Xyz-Monster kreiste noch eine Sphäre. Selbst wenn Isfanel Fallen setzte, würde Nick sie mit [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] leicht ausschalten können. Er hatte alles seit seinem ersten Spielzug geplant … „Das sollte reichen“, schloss er seinen Gedanken laut ab. Dabei war ihm bewusst, dass seine Handlungen sich mit seinen Absichten widersprachen. Er wollte Melinda eigentlich vor Isfanel beschützen, doch verletzte sie stattdessen mit seinen Angriffen. Hoffentlich spürte sie nichts, solange sie kontrolliert wurde. „Nicht annähernd“, versicherte Isfanel ihm jedoch tückisch und kam schwankend auf die Beine. Gezeichnet von einigen blutenden Wunden, griff er nach seinem Deck, wobei seine Hand plötzlich weiß aufleuchtete. „Nicht einmal annähernd.“   ~-~-~   Hätte es in der Küche der Familie Bauer Grillen gegeben, hätte ihr Zirpen das eisige Schweigen mit Leichtigkeit übertönt. Doch so saßen sich drei Menschen an dem runden Tisch gegenüber, die grundverschiedener nicht hätten sein können. Zwei davon zogen es vor, sich gegenseitig missbilligende Blicke zuzuwerfen. Der dritte, Matt, hatte einen Ellbogen auf den Tisch gelegt und stützte seinen Kopf auf der Handfläche ab, dabei immer wieder genervt stöhnend. „Wie lange wollt ihr euch noch anschweigen und anstarren?“ „Bis er tot umfällt“, lautete Anyas trotzige Antwort. „Ich glaub, ich mache in Punkto Todesblick langsam Fortschritte, was auch endlich Zeit wurde. Siehst du es, da!“ Sie zeigte direkt auf Alastairs entstelltes Gesicht. „Da ist eine Narbe, die vorher noch nicht da war!“ Schließlich grinste sie dreckig. „Whoops, sorry, mein Fehler. Bei so vielen verliert man leicht den Überblick. Siehst immer noch genauso scheiße aus wie vorher, Kumpel!“ Alastair erwiderte das mit knirschenden Zähnen: „Mach dich über mich lustig, solange du noch kannst! Denke nicht, dass ich dir vertraue, Dämon!“ Seufzend dachte Matt sich dabei im Stillen, dass Anya vermutlich schon vor ihrem Kontakt mit Levrier so war wie sie war. Zumindest konnte er froh sein, dass -sein- innerer Dämon sich nicht auch noch einmischte. Der war schließlich seit dem Duell mit Alastair verdächtig still geworden. Aber umso besser.   „Wollten wir uns nicht über den Plan unterhalten?“ Matt funkelte beide böse an. „Ihr wisst schon. Den Plan, unseren Arsch zu retten?“ „Erstmal rettest du jetzt deinen Arsch und lieferst mir 'ne gute Ausrede, warum unser Rasen jetzt aussieht, als hätte jemand darauf 'nen beschissenen Scheiterhaufen angezündet! Ansonsten wird Mum das von dir töten, was ich übrig gelassen habe! Was nicht besonders viel sein wird!“ Anya schnaufte sauer. „Ich meine, nicht dass ich was gegen Scheiterhaufen hätte … aber da bin ich leider die Einzige in der Familie. Also besorg' mir ein Alibi!“ „Du kannst unmöglich von mir verlangen, mit dieser Dämonenbrut zusammenzuarbeiten“, empörte sich Alastair in seiner tiefen Stimme. „Ihre Selbstsucht wird uns keine Hilfe sein. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir sie vernichten sollten!“ Anya sprang vom Stuhl auf, woraufhin dieser umkippte. Drohend erhob sie ihre rechte Faust. „Ach ja!? Versuchs doch, Sackgesicht! Ach nein, das kannst du ja nicht, weil ich zufällig unsterblich bin!“ „Nicht komplett“, raunte Alastair und ließ sich nicht von Anya einschüchtern. „Mir würde etwas einfallen, verlass dich drauf, Schlangenzunge.“ „Hört ihr jetzt endlich auf damit!?“, polterte Matt entnervt und fauchte Anya an: „Und du setz' dich gefälligst wieder hin! Verdammt, wir sind hier nicht im Kindergarten!“ Allein aus Protest verharrte Anya und warf ihm einen trotzigen Blick zu. „Dann mache ich eben den Anfang“, stöhnte der jüngere der beiden Dämonenjäger schließlich. „Ich habe gesagt, dass ich eine Idee habe, um unseren Arsch aus der Scheiße zu ziehen. Wir sitzen alle drei im selben Boot. Anya, du willst bestimmt genauso wenig Eden werden, wie wir die Opfer für Edens Erwachen.“ „Verdammt richtig!“ Alastair rümpfte die Nase und lehnte sich mit gleichgültiger Mimik zurück. „Was schlägst du vor?“ Sehr gut, dachte Matt, der nun endlich die Aufmerksamkeit der beiden gewonnen hatte. „Alastair, du weißt doch, dass der Eden-Kreislauf etwa alle 300-400 Jahre stattfindet. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, formt das Gründerindividuum einen Pakt, um am vorhergesehenen Tag den Turm von Neo Babylon zu beschwören.“ Sein Partner regte keine Mimik. „Korrekt.“ „An der höchsten Spitze des Turms befindet sich der Ort, an dem Eden erwachen soll. Das heißt, der Turm und Eden sind miteinander auf irgendeine Weise verbunden. Ohne Turm kein Eden, kein Eden ohne Turm.“ Plötzlich strahlte Anya über beide Backen. „Sag, dass du das tun willst, was ich immer schon mal tun wollte …“ „Verdammt richtig“, stimmte Matt in ihr spitzbübisches Grinsen ein, „wir jagen diesen verdammten Turm in die Luft!“   ~-~-~   „Das ist-!“ Nick traute seinen Augen kaum, als Isfanel voller Schwung zog und damit ein erdrückendes Gefühl in seinem Inneren auslöste, gefolgt von einer starken Druckwelle. Er wusste genau, was Isfanel soeben getan hatte – dasselbe wie Anya in ihrem Duell gegen Abby, als sie am Rande der Niederlage stand! Isfanel hatte das Schicksal verändert! Dessen Augen glühten weiß, als er seine neu gezogene Karte betrachtete, nur um sie dann vorzuzeigen. „Sehr gut! Ich aktiviere [Xyz Drain]! Diese Zauberkarte absorbiert sämtliche Xyz-Materialien aller Monster, die sich im Angriffsmodus befinden und lässt mich für jedes von ihnen eine Karte ziehen. Jedoch darf ich danach für zwei Züge keine Karten setzen!“ Von Zenmaister und Zenmaioh schossen plötzlich die beiden Lichtsphären in Isfanels Richtung und wurden von seiner Duel Disk absorbiert, woraufhin er schließlich wieder mit leuchtender Hand zwei Karten zog. „Argh“, krächzte Nick, der sowohl mit dem Druck von Innen, als auch der ausströmenden Energie Isfanels von Außen zu kämpfen hatte. Heftiger Wind peitschte ihm ins Gesicht, als er sich an die Brust fasste. Außerdem besaß Zenmaister jetzt kein Xyz-Material mehr und verlor somit noch mehr Angriffspunkte.   Wind-Up Zenmaister [ATK/2200 → 1900 DEF/1500 {4}]   „Exzellent“, meinte Isfanel zufrieden beim Anblick seiner beiden Handkarten, „man könnte sagen, genau das, was ich gerade gebraucht habe.“ „Wie nennt man das bei euch? Das Schicksal beeinflussen? Also für mich hört sich das eher nach betrügen an“, erwiderte Nick gereizt. „Nenn es wie du willst. Wenn man über Kräfte wie die meinen verfügt, sollte man sich auch nutzen! Und nun sieh her! Ich beschwöre [Kamui, Hope Of Gusto]!“ Aus einem Wirbelsturm tauchte neben Isfanels Eichhörnchen ein junges Mädchen mit grellem, grünem Haar auf, um dessen Hals ein ebenfalls grüner Schal wehte.   Kamui, Hope Of Gusto [ATK/200 DEF/1000 (2)]   Nick ahnte bereits, was ihm nun bevorstand. „Du bist nicht der Einzige, der dies hier tun kann! Ich erschaffe jetzt das Overlay Network! Aus zwei Stufe 2-Monstern wird ein Rang 2-Monster!“ Sogleich öffnete sich ein schwarzer Wirbel inmitten des Spielfelds und sog Isfanels Monster in Form grüner Lichter in sich auf. „Stell dich dem Symbol meines Paktes! Steig auf in ungeahnte Höhen, [Daigusto Phoenix]!“ Aus dem Loch hervor spreizte eine schlanke, vogelartige Gestalt ohne Federn ihre knorrigen Schwingen. Stattdessen wirke es eher so, als besäße dieses Wesen Schuppen, die von einem grünen Brustpanzer teilweise verdeckt wurden. Sowohl von seinen Armen, als auch vom Kopf brannten smaragdgrüne Flammen, die die Flügel und Haarpracht stellten. Zwei leuchtende Sphären zogen ihre Kreise um jenes Wesen.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   „Noch sieht mein Monster schwach aus, doch ich werde dafür sorgen, dass sich das ändert! Mit dieser Zauberkarte!“ Isfanel zeigte jene vor, auf der ein Mann abgebildet wurde, dem die gesamte Lebensenergie von einer dämonischen Silhouette geraubt wurde. „[Riryoku]! Sie teilt die Angriffskraft eines deiner Monster in zwei und überlässt die andere Hälfe meinem Monster!“ Plötzlich geschah das, was auf der Karte abgebildet war, mit [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]. Dieser gab ein leises Surren von sich, als seine Energie in Form eines Strahls auf den Phönix überging, welcher dadurch auf ein bedenkliches Maß anwuchs. Gleichzeitig ging Zenmaioh geschwächt in die Knie.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 1300 DEF/1900 {5}] Daigusto Phoenix [ATK/1500 → 2800 DEF/1100 {2}]   „Das ist gar nicht gut“, murmelte Nick besorgt. Zum Glück war [Xyz Territory] aktiv. So bekam sein Monster bei einem Angriff immerhin 1000 Angriffspunkte zurück, der Phönix hingegen lediglich 400, da er nur vom Rang 2 war. Damit stand es 2300 gegen 3200 Punkte. Was Isfanel nicht im Geringsten störte. „Ich aktiviere den Effekt meines Monsters! Indem ich ein Xyz-Material verbrauche, kann eines meiner Wind-Monster in diesem Zug zwei Angriffe ausführen!“ Dabei zog er [Gusto Squirro] unter der schwarzen Karte auf seiner Duel Disk hervor und schob sie in den Friedhofsschacht. Erstaunt schrie Nick auf, als der brennende Riesenvogel eine der Lichtsphären mit dem langen Schnabel schnappte und fraß. „Damit vernichte ich jetzt deinen Zenmaioh! Flame Of Life!“ Sofort spie der Phönix eine grelle, hellgrüne Flamme auf Nicks großen Spielzeugroboter, welcher unter den Flammen einfach schmolz. Unter der sengenden Hitze schrie Nick schmerzerfüllt auf und wandte sich ab, doch einige Funken hatten Brandlöcher in seiner Kleidung hinterlassen.   [Nick: 1600LP → 700LP / Melinda: 1900LP]   „Natürlich könnte ich jetzt auch noch deinen Zenmaister angreifen, doch das würde nicht ganz ausreichen, um dich zu besiegen“, taktierte Isfanel ungehemmt. Nick wusste, dass das Blatt sich gewendet hatte. Zwar war richtig, dass es im Falle eines Kampfes zwischen Zenmaister und dem Phönix 2700 Angriffspunkte gegen 3200 stand und er mit 200 Lebenspunkten überleben würde, doch Isfanel hatte anderes im Sinn. Was nur verständlich war. „Ich vernichte lieber deinen [Wind-Up Carrier Zenmaity], damit du nicht auf die Idee kommst, neue Monster durch seinen Effekt zu beschwören! Los, [Daigusto Phoenix], Flame Of Life! Versenge das Schiff!“ Genau das tat der nächste Flammenangriff auch. Bis auf das Gerüst brannte der Spielzeugflugzeugträger nieder, ehe er explodierte. Und hätte Nick ihn nicht zuvor in die Verteidigung gewechselt, wäre das sein Ende gewesen. „Wie du siehst, werde ich immer einen Weg finden, um dir zuvorzukommen. Gib lieber gleich auf und füge dich deinem Schicksal, Mensch“, verkündete Isfanel verächtlich, „hiermit beende ich den Zug. Was bedeutet, dass der Angriffswert meines Monsters wieder zurückgesetzt wird.“   Daigusto Phoenix [ATK/2800 → 1500 DEF/1100 {2}]   Nick zog stöhnend seine nächste Karte. Der letzte Angriff hatte ihm ganz schöne Schmerzen verursacht, doch er biss die Zähne zusammen. Wofür er scheinbar belohnt wurde, strahlte er doch, als er erkannte, dass die neue Karte ihm weiterhelfen würde. „Los, [Pot Of Avarice]! Mit diesem Zauber schicke ich fünf Friedhofsmonster in mein Deck zurück, um dann zwei neue Karten zu ziehen!“ Was dieses Wesen nur durch betrügen erreichte, konnte Nick auch ohne billige Hilfsmittel schaffen, dachte er zufrieden und mischte seine drei [Wind-Up Dogs], [Wind-Up Magician] und [Wind-Up Carrier Zenmaity] ins Deck zurück, zog zwei neue Karten. Doch seine neuen Karten waren beides Fallen, die er nicht umgehend einsetzen konnte. Der brünette Zweimetermann blickte jedoch entschlossen auf. „Dein Monster ist wieder so schwach wie am Anfang. Zenmaister kann es ohne Probleme besiegen! Los, Wind-Up Armored Fist!“ Wie schon einmal zuvor, nutze das Kampfspielzeug seinen ausfahrbaren Arm, um seinen Gegner mit einem Faustschlag niederzustrecken. „Genau darauf habe ich gewartet! Werde Zeuge, wie ich dein Schicksal besiegele! Los, Incarnation Mode! Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 2-Monster und seinem Xyz-Material wird ein neues Rang 2-Monster! Zeige dich, [Eternal Daigusto – Jade Phoenix]!“ Der Feuervogel wurde wieder in das schwarze Loch in der Mitte des Spielfelds gezogen. Ein heftiger Wind drang daraus hervor und brannte Nick regelrecht in den Augen, so heiß war es um sie herum geworden. Aus dem Wirbel drangen rote, schwarze und grüne Blitze, als plötzlich das neue Monster auftauchte. War der alte Phönix das hässliche Entlein, hatte man es nun mit dem Schwan zu tun. Der gesamte, viel größer gewordene Körper des Feuervogels war nun von smaragdfarbenen Flammen bedeckt, schlanker und eleganter, einem Vogel nun wesentlich ähnlicher als es bei seinem Vorgänger der Fall war. Anmutig schwang das Monster seine endlos lang erscheinenden Schwingen, wobei er mit jedem Schlag eine Hitzewelle auslöste. Es blieb oberhalb Isfanels in der Luft und sah wie ein Richter auf Nick herab, während es von zwei Lichtsphären umkreist wurde.   Eternal Daigusto – Jade Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   „Meine neue Kreatur ist noch mächtiger als die alte!“, rief Isfanel überzeugt davon, dass ihn nun nichts mehr aufhalten konnte. „Mag sein, aber ich weiß von Abby längst, dass diese Dinger von Xyz-Monstern besiegt werden können! Also ist mein Zenmaister sehr wohl in der Lage dazu! Setze den Angriff fort, Wind-Up Armored Fist!“ „Dummer Junge! Wundert es dich nicht, warum ich den ewigen Phönix im Angriffsmodus gerufen habe!? Um seinen ersten Effekt zu aktivieren, der mich ein Material kostet! Reverse Of Life!“ Die Faust des Zenmaisters schnellte auf den großen Vogel zu, doch dieser konterte mit einem weißen Energiestrahl, den er aus dem Schnabel abschoss, nachdem er eines der Xyz-Materialen absorbiert hatte. Eine Explosion entstand, die Nick zurückwarf. Als der Rauch sich verzog, war sein Monster noch da. Aber ebenso Isfanels Phönix. Und-!   [Nick: 700LP / Melinda: 1900LP → 2700LP]   „Er hat Lebenspunkte gewonnen!?“, schoss es aus dem verblüfften Nick heraus. Sein Zenmaister hatte beim Angriff dank seiner Spielfeldzauberkarte 2700 Angriffspunkte gehabt, 800 mehr als der Phönix mit seinen, ebenfalls durch die Magie erhöhten, 1900. „Das ist nur einer von drei Effekten, über die der ewige Phönix verfügt. Dieser hier kann einmal pro Battle Phase angewandt werden, um zu verhindern, dass eines meiner Monster durch einen Kampf fällt. Zusätzlich wird der Kampfschaden dabei in Lebenspunkte für mich umgewandelt.“ Kein Wunder, dass er angriffen werden wollte, dachte Nick ärgerlich. Hätte er das nur früher gewusst. Aber jetzt war er zumindest vorgewarnt. „Ich setze diese zwei Karten verdeckt und beende meinen Zug!“ Die beiden Fallen materialisierten sich vor seinen Füßen. Hoffentlich würde das genug sein, um Isfanel zu besiegen … „Nun, ich bin am Zug!“, rief jener überschwänglich. „Du bist der Schlüssel, um Anya Bauer zu töten, Junge! Sie muss sterben! Wenn Eden erwacht, werden Kräfte freigesetzt, die deinen kümmerlichen Verstand überschreiten!“ „Was ist Eden überhaupt!? Warum muss Anya dafür geopfert werden!?“ „Eden ist … nein. Was hättest du davon, wenn du das wüsstest? Du wirst sowieso sterben! Also falle durch meine Hand!“ „Gibt es denn keinen anderen Weg, um Anya zu retten? Das würde dir doch ebenso helfen!“ „Sie müsste den Tod überleben, um überhaupt eine Chance zu haben“, donnerte Isfanel aufgebracht. „Und selbst dann-!“ Nick horchte auf. „Was soll das heißen?“ „Vergiss was ich gesagt habe! Du hast andere Sorgen!“ Plötzlich stiegen aus dem Boden zwei Lichtsphären empor, die zusammen mit der verbliebenen um den Jadephönix zu kreisen begannen. Nick wusste, was das war. Die Incarnation Mode-Monster konnten jede Runde Xyz-Materialien vom Friedhof in sich aufnehmen, bis sie drei davon besaßen, damit sie ihre Effekte wieder und wieder aktivieren konnte. Anya hatte diese schmerzhafte Erfahrung machen müssen, als sie gegen Marc gekämpft hatte. Die Ressourcen dieser Monster waren unerschöpflich, was sie so extrem gefährlich machte. Er musste besonders vorsichtig sein, so viel stand fest! Es ging ums Überleben, jetzt mehr denn je. Was er soeben erfahren hatte, könnte der Hoffnungsschimmer sein, den Anya so dringend brauchte! „Zeit, den zweiten Effekt meines [Eternal Daigusto – Jade Phoenix] zu aktivieren! Indem ich zwei Xyz-Materialien verwende, kann ich zwei deiner Karten auf dem Spielfeld auf deine Hand zurückschicken! Los, Wind Scars Of Life!“ Als der Phönix zwei der Sphären mit seinen lodernden Flügen absorbierte, um dann tausende Windklingen in Nicks Richtung zu schleudern, schreckte dieser zusammen. Sein Zenmaister wurde getroffen und löste sich auf, doch er konnte nicht zulassen, dass der linken seiner beiden Fallen dasselbe Schicksal zuteil wurde. „Ich kette [Xyz Reborn] an! Mit ihr reanimiere ich ein Xyz-Monster vom Friedhof, wobei diese Karte danach ein Material für das beschworene Monster wird! Kehre zurück, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Plötzlich stand der große Spielzeugrobotter mit dem Bohrarm vor Nick und schützte ihn so vor den messerscharfen Klingen, die der Phönix ihnen entgegen warf. Dabei rotierte um ihn das von Nick angekündigte Xyz-Material.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5}]   „Gar nicht übel. Damit hast du dein Leben um einen weiteren Zug verlängert“, meinte Isfanel und betrachtete die Falle [Dust Tornado] in seiner Hand, die er aufgrund des Effekts von [Xyz Drain] erst nächste Runde setzen konnte. Unbesorgt sah er wieder auf. „Aber du weißt, dass du dem ewigen Phönix nichts anhaben kannst. Er wird deinen Angriff wieder absorbieren. Und auch wenn du jetzt das stärkere Monster kontrollieren magst, wisse, dass der dritte und letzte Effekt von [Eternal Daigusto – Jade Phoenix], Storm Of Advancing Life, der mächtigste ist.“ „Ich höre?“ „Wenn ich diese Fähigkeit aktiviere, können all meine Wind-Monster dich direkt angreifen. Also völlig gleich, was du auch tust, nächste Runde werde ich dich besiegt haben! Zug beendet!“   Nick erstarrte. Bei seinem Lebenspunktestand war jeder direkte Treffer tödlich! Das hieß, dass ihm nur noch dieser eine Zug blieb, um einen Weg zu finden, wie er diese grässliche Kreatur besiegen konnte! Er sah auf sein Deck. Wenn der verdammte Phönix doch nur angegriffen werden könnte!   „Es ist hoffnungslos. Dein Schicksal wurde in dem Moment besiegelt, als du mir begegnet bist.“ Aufgebracht erwiderte Nick auf die Überheblichkeit seines Gegners: „Ich habe es satt! Was mein Schicksal ist, bestimme ich und nicht du!“ Dann musste er jetzt etwas Gutes ziehen, dachte Nick entschlossen und schloss die Augen. Um dieses Möchtegernweissager ein Schnippchen zu schlagen. Einfach nur etwas Brauchbares. Für Anya … „Draw!“ „Ja, zieh deine letzte Karte! Dein Ende ist so gut wie besiegelt!“ „Mein Ende?“, wiederholte Nick und betrachtete nachdenklich das, was er gezogen hatte. „Alles findet irgendwann ein Ende. Das ist das Prinzip des Lebens, die Endlichkeit. Aber wie unser Ende aussieht, obliegt ganz allein uns.“ Isfanel rümpfte die Nase. „In der Tat.“ Nick senkte den Kopf. „Letztlich will ich aber nicht“, ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen, „daran gemessen werden, wie ich gelebt habe. Sondern daran, wie ich gestorben bin.“ „Für Anya Bauer?“ Isfanels verächtlicher Tonfall war plötzlich verschwunden. Er war einer nahezu naiven Neugier gewichen, denn der Dämon schien Nicks Worte nicht zu verstehen. „Bedeutet sie dir so viel, dass du bereit bist für sie zu sterben, wenn es erforderlich ist?“ „Womöglich? Aber dieser Tag, der, an dem ich sterbe … ist nicht heute.“ Mit gefestigter Miene sah er Isfanel in die Augen. „Soweit habe ich noch nicht geplant!“ „Was du nicht sagst?“ „Das Einzige, was du gut kannst, ist Reden schwingen!“, klagte Nick seinen Gegner erbarmungslos an. „Selbst durch deine ominösen Betrügereien bist du nicht einmal im Stande, auch nur einen Menschen zu töten! Ich zeig dir, wie -ich- es machen würde! Zauberkarte! [Oni-Gami Combo]!“   Plötzlich verschwand die Sphäre um Zenmaioh in ebenjenem, woraufhin dieser plötzlich eine unglaublich starke Aura ausstrahlte, die regelrecht explodierte. Zudem wuchsen ihm aus dem Rücken ein weiteres Paar Arme, welches dem glich, welches er bereits besaß, nur dass sich Hammer- und Bohrarm dieses Mal an der jeweils anderen Körperhälfte befanden. „Dieser Zauber ermöglicht es einem Xyz-Monster – im Austausch für all seine Materialien – diese Runde zweimal anzugreifen! Damit werde ich deinem Phönix ein Ende setzen, denn du kannst ihn nur einmal retten!“ „Und wenn schon“, protestierte Isfanel und schwang aufgebracht den Arm aus, „ich habe bereits eine genaue Vorstellung davon, wie ich dich besiege. Nächste Runde wirst du es sehen, auch ohne meinen ewigen Phönix!“ „Kapierst du es nicht!? Für dich gibt es keine nächste Runde! Los, Zenmaioh, greif [Eternal Daigusto – Jade Phoenix] mit Wind-Up Power Punch an! Und durch [Xyz Territory] erhalten unsere Monster während des Kampfes 200 Angriffspunkte pro Rang!“ Die Aura um Zenmaioh glühte noch stärker auf, als er mit satten 3600 Angriffspunkten wie ein Pfeil durch die Luft schoss. Noch im Flug feuerte er seine beiden Fäuste wie Raketen auf den Phönix ab. „Narr! Damit hilfst du mir nur! Ich entferne das letzte Xyz-Material von meinem Monster, um damit deinen Angriff in Lebenspunkte für mich umzuwandeln!“ Isfanel riss [Kamui, Hope Of Gusto], welche unter der Karte des Jadephönix' lag, hervor. „Reverse Of Life!“ Sofort fraß der Phönix die letzte Energiekugel und schoss sogleich einen weißen Lichtstrahl aus seinem Schnabel, um die näher kommenden Fäuste abzufangen. Jene gingen in zwei Explosionen schließlich verloren.   [Nick: 700LP / Melinda: 2700 → 4400LP]   „Vergiss nicht, dass ich zweimal angreifen kann! Los, Zenmaioh, gib noch einmal alles! Gewinne!“ Isfanel brach in hysterisches Gelächter aus. „Das ist zwecklos! Selbst gestärkt durch deine Spielfeldzauberkarte vermag dein Monster es lediglich, den alten Lebenspunktestand herzustellen!“ „[Overwind]!“ Nicks Falle sprang plötzlich auf. Schlagartig begann sich der Aufziehschlüssel auf Zenmaiohs Rücken unglaublich schnell zu drehen. „Jetzt werden die Werte meines Monsters verdoppelt! Und dabei wird der Boost, den Zenmaioh durch [Xyz Territory] bezieht, mit eingerechnet! Es ist -vorbei-!“ Ungläubig starrte Isfanel Nicks Monster an, dessen Aura nun regelrecht pulsierte. Mit seinen zwei verbliebenen Armen, den beiden Bohrern, griff es gnadenlos den in der Luft fliegenden Phönix an. Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 3600 → 7200 DEF/1900 → 3800 {5}]   Mit lediglich 1900 Angriffspunkten hatte der Jadephönix dem nichts entgegen zu setzen. In einem grauenhaften, schrillen Schrei wurde er durch die Bohrer malträtiert und explodierte schließlich. „Unmöglich“, schrie Isfanel zeitgleich mit dem Ableben seines Monsters und warf dann einen hasserfüllten Blick auf Nick. „Heute magst du gewonnen haben, aber das war gewiss nicht unsere letzte Begegnung!“ „Ich werde warten!“, erwiderte Nick. Dann erfasste eine strahlend helle Druckwelle das gesamte Spielfeld und riss Nick, der die Augen geblendet zukniff, von den Füßen. Zu hören war nur Melindas schmerzerfüllter Schrei, welcher dem Jungen durch Mark und Bein ging.   [Nick: 700LP / Melinda: 4400LP → 0LP]   Hart schlug Nick schließlich auf dem Boden auf und rutschte zunächst ein Stück weiter, ehe er schließlich unweit der zerstörten Bank, auf der er und Melinda sich unterhalten hatten, zum Liegen kam.   ~-~-~   „Das kann nicht dein Ernst sein!“, polterte Alastair, kaum hatte Matt seinen Einfall ausgesprochen. Mit der Faust auf den Tisch hauend, rechtfertigte er sich aufgebracht: „Wie kannst du dir sicher sein, dass uns das nicht schadet!?“ „Laber' keinen Unsinn, Narbenfresse“, fauchte Anya ihn an, welche hellauf begeistert von der Idee war. „Das ist das Beste, was ich je gehört habe! Ist doch logisch, Matt hat recht! Kein Turm, kein Eden!“ Und das von jemanden, der vor einer Stunde noch nicht einmal wusste, dass der Turm von Neo Babylon existiert …   „Schnauze da oben!“, bellte Anya mit Blick an die Decke. „Es wäre eine endgültige Lösung“, erklärte Matt ruhig. „Wenn der Turm zerstört wird, kann nie wieder jemand diesem Irrsinn zum Opfer fallen.“   Und ich bin glücklich. Ich liebe dich, Matt. Hätte ich einen Mund, würde ich dich jetzt küssen, mein Märchenprinz.   Jedoch erwiderte der auf Anothers neckische Worte nichts, sondern schlug sich nur die Hand gegen die Stirn. „Die Dinge sind nicht so einfach“, weigerte sich Alastair jedoch missmutig, sich mit dem Gedanken anzufreunden, den Turm zu sprengen. „Da sind Kräfte im Spiel, die über unseren Verstand hinaus gehen. Denkst du wirklich, dass sie von einem alten Gemäuer abhängig sind?“ „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber irgendwo im Turm ist etwas, das benötigt wird, um Eden zu erwecken. Welchen Grund sollte es sonst für seine Existenz geben? Es ist einen Versuch wert.“ Matt verschränkte nachdenklich die Arme. „Außerdem werde ich trotzdem nach Alternativen suchen.“ „Wir wissen nicht einmal, ob Eden jemals zuvor erwacht ist. Es ist durchaus möglich, dass Eden gar keine physische Form besitzt. Dann nützt auch eine Ladung Sprengsätze nichts!“ „Und wie Eden 'physisch' ist!“ Anya kratzte vor Wut über Alastairs Dickkopf schon mit den Fingernägeln über den runden Holztisch. „Was denkst du, wofür die Opfer gebraucht werden? Vielleicht will das irre Teil sich einen Superkörper aus unseren Leichen basteln!?“ „Absurd!“, polterte Alastair. „Selbst wenn das wahr wäre, würde das bedeuten, dass Eden momentan keinen Körper besitzt! Ergo kann es nicht zerstört werden! Außerdem werden dadurch auch Unschuldige gefährdet, wenn der Turm mitten in der Stadt explodiert!“ „Ach ja!?“ Anya schnaubte wie ein wütender Stier. „Dann beweis' mir, dass ich Unrecht habe!“ „Wie soll ich das tun, du törichte Dämonenbrut!?“ „Du willst doch nur, dass ich krepiere!“ „Exakt! Wäre es nicht für Matt, würde ich gewiss nicht hier sitzen!“ „Aufhören!“, schrie Matt, dem das Ganze langsam zu bunt wurde. „Ihr seid ja schlimmer als Kleinkinder!“   Also ich finde diese illustre Runde unterhaltsam. Aber jede Party braucht jemanden, der sie ruiniert. Wobei ich eher auf Alastair getippt hätte …   Er sah ein, dass es nichts brachte, mit diesen zwei Streithähnen zu diskutieren. Anothers spitze Zunge half auch nicht. Tief durchatmend versuche er den beiden die Sache noch einmal ruhig zu erklären. „Bisher verfügen wir, was Eden angeht, über kein gesichertes Wissen abseits davon, dass Opfer erforderlich sind. Alles was wir tun, könnte nach hinten losgehen. Aber da ein Pakt in der Regel nur auf einen einzigen Zweck ausgerichtet ist, glaube ich, dass es bei diesem Turm ebenfalls so sein muss.“ „Hmpf!“, war alles, was Alastair dazu einfiel. Matt redete jedoch ungestört weiter. „Wir werden uns Gedanken machen, wie sich die Sprengung des Turms umsetzen lässt. Allein die dafür benötigten Materialien zu beschaffen wird nicht einfach sein, aber das überlassen wir einem alten Bekannten.“   Alastair horchte ziemlich überrascht auf. „Du meinst …?“ „Ja“, nickte Matt, „wir müssen seine Hilfe eben noch einmal in Anspruch nehmen. Anya, du wirst von uns hören. Hier.“ Er reichte der Blondine einen Zettel aus der Innentasche seines schwarzen Ledermantels. Darauf standen eine Adresse und eine Nummer geschrieben. Das Mädchen nahm das Stück Papier derart widerwillig entgegen, als würde es eine ansteckende Krankheit übertragen. „Wenn du meinst … Damit kann ich euch erreichen?“ „Genau. Deine Telefonnummer haben wir bereits.“ Anya runzelte die Stirn. „Ich glaube, ich will gar nicht wissen, woher.“ „Fürchtest du dich etwa vor einem Telefonbuch?“, kommentierte Alastair das bissig.   Indes erhob sich Matt. „Sobald ich etwas Neues in Erfahrung gebracht habe, melde ich mich umgehend bei dir. Bis dahin … halt dich von jeglicher Art von Ärger fern.“ „Ich habe nicht das Gefühl, dass sie deinen Ratschlag beherzigen wird“, lästerte Alastair weiter und richtete sich ebenfalls auf. Anya zeigte ihm ganz undamenhaft einmal mehr den Stinkefinger als Antwort. „Außerdem würde ich vorschlagen, dass wir etwa eine Woche vor Erscheinen des Turms alle Betroffenen versammeln sollten“, ignorierte Matt das Gezänk, was ihm jedoch insgeheim ziemlich schwer fiel. Dass Alastair sich so kindisch benahm, hatte er nie zuvor erlebt. „Dann besprechen wir alles und entscheiden uns, welchen Plan wir am Ende verfolgen wollen. Sofern wir wählen können, heißt es …“ Anya nickte knapp. „Meinetwegen. Ich werd's irgendwie einrichten, dass die anderen davon erfahren.“ „Also schön. Dann … bis bald.“ Matt reichte ihr die Hand, doch das Mädchen machte keine Anstalten, sie zu nehmen. Stattdessen brummte sie: „Zisch endlich ab, bevor Mum nachhause kommt!“   Als die Dämonenjäger schließlich das Haus verlassen hatten, atmete das Mädchen tief durch und ließ sich tiefer in den Stuhl fallen. „Man, die sind anstrengend …“   Ein Wort der Warnung, Anya Bauer. Den Turm von Neo Babylon zu zerstören wird dir nur Leid bringen.   „Ach ja? Ich lasse es gerne auf einen Versuch ankommen, Sackgesicht!“   Wir werden sehen, ob sich dein Opportunismus am Ende auszahlt oder nicht. Vergiss nicht, dass ich auch noch ein Wörtchen in dieser Angelegenheit mitzureden habe.   „Ich weiß“, murrte sie, „du bist immer da, wo ich bin. Aber soll ich dir was sagen? Das macht mir keine Angst!“   ~-~-~ Unter Schmerzen richtete Nick sich auf, stellte jedoch schnell fest, dass der Bannkreis sich aufgelöst und der Himmel wieder seine gewohnte, herbstlich graue Farbe angenommen hatte. „Melinda!“, stieß er erschrocken hervor, als er begriff, was geschehen war. Aber die war fort. Dort, wo sie gestanden hatte, war nunmehr nur noch ein Krater vorhanden. Auch andere Teile des Parks, wie der Kiesweg, hatten unter dem Duell stark gelitten. Nick raffte sich auf. War Melinda etwa tot!? Nein, sagte er sich und schüttelte den Kopf. Seine Angriffe haben sie verletzen, aber nicht töten können, weil er keine übernatürlichen Kräfte besaß. Sie musste am Leben sein, Isfanel war vermutlich nur geflüchtet, um seine Wunden zu behandeln. „Er hätte mich trotzdem töten können“, murmelte Nick leise. Immerhin war er kurz benommen gewesen, für einen hinterhältigen Angriff wäre genug Zeit gewesen. Weshalb er zu dem Schluss kam, dass Isfanel noch aus einem anderen Grund geflüchtet sein musste. Hatte es damit zu tun, dass er Melinda nur schwer zu kontrollieren vermochte? Resignierend seufzte der hochgewachsene, junge Mann. Er musste- „Was hast du meiner Schwester angetan!?“, schrie plötzlich jemand neben Nick, welcher ohne Vorwarnung umgerissen wurde. „Sie war hier, nicht wahr!? Was ist passiert!? Rede!“ Erschrocken stellte Nick fest, dass er den jungen Mann, der sich auf ihn geworfen und nun am Kragen gepackt hatte, durchaus kannte. „Henry!?“ „Rede!“, forderte der brünette Kerl jedoch nur aufgebracht. Er hatte sich äußerlich kaum verändert. Immer noch strahlten seine eisblauen Augen förmlich, immer noch wirkte er etwas ungepflegt, nur seine Art war eine ganz andere. So aufgebracht hatte Nick – Anya einmal außen vor gelassen – nur selten einen Menschen erlebt, was besonders bei Henry überraschend kam, war dieser ihm doch als freundliche Person im Gedächtnis geblieben. „Was ist denn hier passiert!?“, drang plötzlich noch eine Stimme zu ihnen. Henry ließ von Nick ab und betrachtete den nächsten Neuankömmling, ein wunderschönes, schwarzhaariges Mädchen. „Und du bist?“ „Valerie Redfield. Bist du … hast du das auch gespürt?“ „Valerie!?“, staunte auch Nick und blinzelte verdutzt. „Was tust du hier!?“ „Dasselbe könnte ich dich fragen! Joan hat gesagt, hier würde ein Kampf stattfinden!“ Anyas Erzrivalin fasste sich mit betrübter Miene an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ausgerechnet hier, wo- aber das ist jetzt nicht wichtig! Sag uns, was vorgefallen ist!“ „Genau das will ich auch wissen! Dieser Typ hat sich mit meiner Schwester Melinda duelliert, das weiß ich!“ Henry, der immer noch auf Nick hockte, wandte sich ebenjenem wieder zu. „Rede endlich!“ „Hehe … weiß nicht. Da war dieses … Isfanel? Und hat lustige Sachen gesagt … hehe, ich glaub, es mag mich.“ „Isfanel!?“, polterte Henry, aus allen Wolken fallend. „Was hat er gesagt!?“   Als Nick jedoch nicht antwortete, wollte Henry schon die Faust heben, als plötzlich etwas auf seinen Kopf sprang. „Du stinkst“, meinte das kleine, schwarze Wesen abfällig und sah dann auf Nick herab. „Und du erst recht! Ich glaub, ich muss kacken …“ Ein leiser Furz war zu hören und schon thronte auf Henrys Haupt ein dunkelbraunes Häufchen AA, was jenen jedoch überhaupt nicht weiter zu stören schien. Kurz etwas irritiert von dem seltsamen, warmen Gefühl auf seiner Kopfhaut, ignorierte er dies in seiner Wut und fixierte sich einzig auf Nick. Gleichzeitig sprang Orion wieder von Henry herunter und rannte zur Mülltonne neben der von Isfanel zerstörten Bank und verschwand in ebenjener, um sie zu plündern. Dabei drang seine Stimme gedämpft hervor. „Yummy, 'ne alte Bananenschale!“ Sein Kopf lugte schließlich aus der Öffnung der Tonne hervor. Die großen weißen, pupillenlosen Kulleraugen waren auf Nick gerichtet. „Und du, du bist jetzt mein Sklave und wirst alles tun, was ich dir sage! Du bist zwar dumm, aber irgendwie mag ich dich. Ich zieh bei dir ein!“ Daraufhin blinzelte Nick verdutzt, ehe er dämlich gluckste: „Coole Sache!“ „Was hast du meiner Schwester angetan?“, verlangte Henry aufgebracht zu wissen, ignorierte den Schattengeist und hob seine Faust, um jeden Moment zuzuschlagen. Schützend hielt Nick sich die Arme vor das Gesicht, jammerte: „Hilfe, Valerie, tu doch was!“ „Ich schwöre dir, wenn du nicht gleich ausspuckst, was-“ Plötzlich packte jemand seinen Arm und hielt ihn fest. „An deiner Stelle würde ich mich erstmal beruhigen. Indem du Nick Angst einjagst, erreichst du nur das Gegenteil von dem, was du eigentlich willst.“ Der lang gewachsene, zerzauste Bursche schaute überrascht auf, um zu sehen, wer ihm da geholfen hatte. Valerie war es nicht, denn es war ein Mann, der ihm da zur Hand ging. Als Nick jedoch dessen Gesicht sah, fiel seine Reaktion äußerst wortkarg aus. „Du!?“     Turn 21 – A Glimpse Of Hope Die Zeit schreitet unerbittlich voran und ehe Anya sich versieht, ist es bereits der 31. Oktober, Halloween. Anstatt jedoch die Party in ihrer Schule zu besuchen, grübelt sie zuhause über die bisherigen Ereignisse. Von einer inneren Unruhe getrieben, spaziert sie schließlich ziellos durch die Straßen, um zufällig bei Abby vorbeizusehen. Doch die ist nicht da, sondern mit einem ominösen „Freund“ auf der Feier. Der Sache eifersüchtig nachgehend, trifft Anya in ihrer Schule schließlich auf Abby und ausgerechnet Henry, vom dem sie Dinge erfährt, die sie sich im Traum nicht hätte vorstellen können … Kapitel 21: Turn 21 - A Glimpse Of Hope --------------------------------------- Turn 21 – A Glimpse Of Hope     Halloween. Anya hasste Halloween. Und sie liebte es. Überall waren Kinder, die tatsächlich so dreist waren, anderer Leute Süßigkeiten zu verlangen. Sobald es dunkel wurde, waren die Straßen voll von dieser Pest. Aber wann sonst hatte man die offizielle Erlaubnis, anderen Leuten den Schreck ihres Lebens zu verpassen? Unnötig zu erwähnen, dass Anyas Verständnis von Halloween sich grundlegend von dem anderer Menschen unterschied. Zumal sie gewiss kein Kostüm brauchte, um Schrecken zu verbreiten. Doch ihr war an diesem Abend des 31. Oktobers überhaupt nicht danach, auch nur irgendeinem dahergelaufenen Vollidioten mit Barbie Angst einzujagen. Zumal sie wegen dem verbrannten Rasen im Garten ohnehin Ausgehverbot hatte – auch wenn jeder wusste, dass eine Anya Bauer sich nicht daran halten würde, wenn es darauf ankam. Schon seit Tagen hatten diese verdammten Dämonenjäger sich nicht mehr gemeldet, obwohl Matt es versprochen hatte. Schlimmer noch, von Nick und Abby hatte sie ebenfalls nichts mehr gehört. Wobei sie doch mit Letzterer noch ein Hühnchen zu rupfen hatte bezüglich der Tatsache, dass jene ihr fundamentale Geheimnisse vorenthalten hatte. Noch vor kurzem wäre Abby selbst dieses Hühnchen gewesen, doch Levrier hatte Anya dazu geraten, ihre Freundin zunächst anzuhören. Wäre sie eine Verräterin, hätte sie genug Möglichkeiten, der Blondine das Leben schwer zu machen, so seine Worte. Und zähneknirschend musste Anya daraufhin eingestehen, dass ihr Paktpartner damit ein gutes Argument lieferte. Außerdem hieß es doch 'in dubios Porree', demnach würde sie Abby vorerst verschonen.   Dennoch saß Anya schlechter gelaunt denn je in ihrem Zimmer und zählte die letzten Stunden des Monats. Waren diese erst verstrichen, hatte sie noch elf Tage Zeit, sich bezüglich Eden etwas einfallen zu lassen. Bloß was sollte sie tun? Selbst mit den neuen Informationen von Matt und Levrier war sie im Endeffekt genauso schlau wie vorher. Die Orte, an denen Pakte geschlossen wurden, hatten laut Levrier eine Bedeutung. Und Opfer waren nötig, um Eden zu erwecken. Die Opfer und die Orte standen irgendwie in Zusammenhang, vermutlich über das Elysion. Aber für Anya ergab das keinen Sinn. Zumal sie nicht wusste, wie viele Zeugen der Konzeption überhaupt benötigt wurden. Mit Matt, Alastair und Redfield hatte sie drei. Was, wenn das zu wenig war? Und falls dem so war, woher bekam sie dann noch mehr Leute, die einen Pakt geformt haben? Die wuchsen schließlich nicht auf Bäumen.   Solltest du nicht in der Schule sein?   „Pff, die können sich ruhig ohne mich amüsieren“, raunte Anya und legte ihren Kopf gelangweilt auf ihre ausgebreiteten Arme an ihrem Schreibtisch. „Ist sowieso nicht übel, Hausarrest zu haben. Hab ich ne gute Ausrede.“ Während sie zuhause grübelte, fanden überall in Livington kleine oder größere Halloweenpartys statt. So auch in ihrer Schule. Vermutlich waren Abby und Nick gerade dort und hatten Spaß. Wahrscheinlich noch mit Beautyqueen Valerie. Sofern die sich gerade nicht in Selbstmitleid ertränkte. „Ich war noch nie beim Homecoming oder bei den Weihnachtsfesten dabei, dann werd' ich bei der scheiß Party auch nicht aufkreuzen. Ich hasse Bälle und Partys!“   Denn das würde ja bedeuten, Spaß zu haben, ohne Leuten weh zu tun.   „Verdammt richtig! Wenigstens einer, der mich versteht!“ Dass Anya dabei Levriers Sarkasmus wie so oft nicht bemerkte, tat ihrer schlechten Laune jedoch auch nichts ab. „Ich glaub, ich geh raus. Vielleicht kann ich ein paar Knilchen ihre Fressalien abnehmen.“   Bist du dir wirklich sicher, dass du nicht zu der Party willst? Anya Bauer, du hast nicht mehr viel Zeit. Auch wenn die Nachforschungen bezüglich Eden wichtig sind, solltest du deine letzten Tage gut nutzen. Das könnte das letzte Mal sein, dass-   „Halt einfach die Klappe …“ Anya sprang schnaufend von ihrem Schreibtischstuhl auf und schnappte sich ihren Rucksack, der an einem Haken an ihrer Zimmertür hing. Und während sie vom Flur aus die Treppe hinab ins Erdgeschoss rannte, rief sie: „Bin mal ne Weile unterwegs, Mom! Versuch gar nicht, mich aufzuhalten!“ Nur um sich dann zu entsinnen, dass jene sich mit ein paar Arbeitskollegen verabredet hatte und schon längst außer Haus war. Am Fuß der Treppe blieb sie kurz mit betrübter Mimik stehen, ehe sie das Haus verließ und die Tür hinter sich abschloss. Warum musste Levrier ihr jedes Mal die Stimmung verhageln!?   ~-~-~   Doch egal wohin Anya auch ging, die innere Unruhe – den wahren Grund dafür, dass sie durch die Straßen zog – schwand nicht aus ihrem Leib. Immer wieder gingen ihr Levriers Worte durch den Kopf. Die letzten Tage gut zu nutzen? Aber wofür? Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was sie alles unbedingt machen musste, bevor sie starb. Klar gab es da Dinge, die sie gerne tun wollte, aber nichts davon war wirklich … wichtig. Nicht mehr. Irgendwie. Während sie im Dunkeln unter der Straßenbeleuchtung entlang zog, fiel ihr Blick auf ein weißes Haus, das mit Toilettenpapier förmlich überzogen war. „Oh.“ Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie sich in derselben Straße befand, in der die Masters wohnten. „Süßes oder- Ahhhhh!“ Und sie hatte nicht bemerkt, wie sich drei Knirpse vor ihr aufgebaut hatten. Einer im Geisterkostüm, der sie soeben angesprochen hatte, eine Hexe und ein Skelett. „Mist Leute, das ist die freakige Anya Bauer! Die hat mich neulich beim Tag Turnier alle gemacht! Rennt weg, bevor sie euch auffrisst!“ Nur irritiert eine Augenbraue hochziehend, sah sie den Dreien hinterher, wie sie die Beine in die Hand nahmen. Dann ging sie weiter, ohne den Drang zu verspüren, den drei Rotzlöffeln eine schmerzhafte Lektion in Sachen Respekt vor den Älteren zu erteilen. Wobei sie sich fragte, was plötzlich los mit ihr war. So lustlos war sie doch noch nie gewesen. Anschließend setzte sie ihren Weg ins Ungewisse fort. Bis das Ungewisse sich in ein konkretes Ziel verwandelte. Abbys Haus. Vor dem sie wenige Minuten später stand. Nicht wie sonst penetrant, sondern nur recht kurz die Klingel betätigend, verharrte sie ungewohnt geduldig vor der Haustür. Sie brauchte jetzt Rat, dringend. Und wenn jemand klug genug war, ihr zu helfen, dann Abby. Außerdem konnte sie dann gleich die Geschichte mit Matt aus dem Weg räumen.   „Hallo Anya?“, ließen die Worte von Mrs. Masters sie schließlich aufschrecken. Jene Frau war erstaunlich groß, knackte fast die zwei Meter-Marke. Von außen sah man ihr auch nicht an, dass sie einen eher ungewöhnlichen Lebensstil pflegte. In stinknormaler Jeans und grünem Pullover gekleidet, zeugte lediglich ihre bunte Mütze davon, dass in ihr ein waschechter Rebell steckte. Wo andere Mütter mit ihren Kindern einen Zoo besuchten, protestierte Mrs. Masters bereits seit Jahren zusammen mit der ganzen Familie gegen alles mögliche, kettete sich dabei auch gerne mal an das Objekt, welches sie zu schützen gedachte. „Ist Abby da?“, wollte Anya tonlos von der jung gebliebenen, brünetten Frau wissen. „Nein, die ist mit ihrem Freund weg. Ich glaube, sie wollten auf die Party in eurer Schule.“ Doch bei Anya schrillten längst alle Alarmglocken. „Freund!? Abby!?“ Das Grauen in ihrem Kopf nahm langsam Konturen an. Abby kannte nur einen Jungen gut genug, um mit ihm eine Beziehung einzugehen. Und das war … ! „Etwa Nick!?“ „N-nein. Ich war auch ganz überrascht, als sie plötzlich- A-Anya!“ Doch die Blondine war längst auf dem Weg zur Schule.   ~-~-~   „Was machst du denn hier, Bauer?“, fragte irgendein Typ mit Zorromaske und Pappbecher mit Limo in der Hand, als Anya keuchend im Gang ihrer Schule angekommen war. Alles hier war 'geschmückt' mit buntem Firlefanz, Konfetti lag auf dem Boden und ab und zu traf man auf ausgehüllte Kürbisse am Boden oder auf Tischen, die aus den Klassenzimmern in die Gänge gestellt worden waren. Am schlimmsten war aber die dröhnende Musik, denn wie Anya es erwartet hatte, wurde -kein- Death Metal gespielt. Noch beschissener konnte diese 'Party' gar nicht werden! „Hast du Masters gesehen?“, fragte Anya scharf. Und schwor sich, dass wenn er jetzt nein sagte, ein Unglück passieren würde. „Nein“, sprachs und wurde heftig von dem Mädchen angerempelt, sodass die Limo sich auf dem weißen Hemd des jungen Mannes verteilte. Anya zischte durch die Gänge wie eine Dampflok auf Hochtouren. In irgendeinem Klassenzimmer musste Abby sein, denn die Aula wurde gerade renoviert und konnte demnach nicht so wie sonst üblich benutzt werden. Als sie schließlich zehn Minuten erfolglos durch die Schule irrte und immer schlechter werdenden Verkleidungen begegnete, entschied sie sich zu drastischeren Methoden. „Levrier“, schnaufte sie abgehackt, „such-Masters!“   Anscheinend verwechselst du mich jetzt sogar schon mit einem Spürhund.   „Red nicht, tu's einfach. Das kannst du doch, oder!?“   Wenn sie sich in eine Sirene verwandelt, dann könnte ich es. Aber ich glaube, dann wäre die Atomsphäre hier etwas anders. Ich weiß aber auch so, wo sie ist. Hinter dir.   Anya wirbelte verdutzt um und stand tatsächlich Abby gegenüber. „Ich habe gehört, du hast mich gesucht?“, staunte jene nicht schlecht. „Was ist denn los, ist irgendetwas passiert?“ Indes wunderte sich die Blondine eher darüber, warum ihre Freundin nicht verkleidet war, sondern nur eines ihrer Reissackkleider trug. Andererseits spielte das gerade keine Rolle. Immer noch außer Puste, hielt Anya Abby ihren Zeigefinger regelrecht unter der Nase. „Erstens: wieso hast du seit Tagen nichts mehr von dir hören lassen? Zweitens: was zur Hölle gibt dir das Recht, mir die Dinge, die Matt dir erzählt hat, einfach vorzuenthalten!? Und drittens: seit wann gehst du mit Nick aus!?“ Völlig verblüfft von Anyas Offensive stammelte Abby: „Äh Anya, immer schön der Reihe nach.“ „Ich warte!“, fauchte ihr Gegenüber aufgebracht und stampfte mit dem Fuß auf. „Wie wäre es, wenn du etwas Geduld zeigst?“, mischte sich plötzlich jemand hinter Anya ein und zog an dieser vorbei. Und während diese Person sich zu Abby gesellte, erkannte die Blondine den jungen, diesmal viel gepflegter auftretenden Mann als Henry wieder. Der Henry, der sie mit Billigkarten vorgeführt hatte! „Was willst du denn hier, Pennerkind!? Haben sie im Asylantenheim keinen Platz mehr für dich!?“ „Ich glaube, Melinda ist nicht hier“, meinte jener brünette Kerl resignierend an Abby gewandt, „aber danke, dass du mit mir hierher gekommen bist.“ „Kein Problem. Du hilfst uns ja auch.“ „Sie ignorieren mich“, murmelte Anya fassungslos.   Wie ich sie um diese Fähigkeit beneide …   Abby trat schließlich einen Schritt vor. „Komm Anya, lass uns einen Ort suchen, wo wir ungestört reden können. Es gibt da einiges, was du wissen solltest.“ Irgendetwas gefiel Anya nicht am Tonfall ihrer Freundin. Nicht nur, dass er so nachdenklich war, sondern auch auf befremdliche Weise distanziert. Da war doch was im Busch! „Na schön! Aber wehe, mir gefällt nicht, was ihr mir zu sagen habt! Was will der Typ überhaupt hier?“ „Das erkläre ich dir, wenn du mitkommst“, meinte Henry genervt.   ~-~-~   „Ihr verarscht mich“, murmelte Anya mit offenem Mund, nachdem die Drei sich in einem verlassenen Klassenzimmer eingefunden und die Tür hinter sich geschlossen hatten. Sie saß auf einem der Tische, welche allesamt an die hintere Wand gegenüber der Tafel gestellt worden waren und sah abwechselnd die beiden an, wie sie vor ihr standen. „Lasst mich das klarstellen“, murrte sie und deutete mit abfälliger Gestik auf Henry, „der wohnt seit Neuestem bei dir, nachdem er zusammen mit Nick und Redfield plötzlich vor deiner Haustür stand.“ Abby nickte. „Und er will Nick dabei beobachtet haben, wie der sich mit seiner Schwester, duelliert hat? Und Nick hat gewonnen!?“ Wieder nickte das Mädchen mit der getönten Brille. „Meine Schwester ist besessen von einem Dämon“, fügte Henry an, „derselbe Dämon, der schon einen deiner Freunde kontrolliert hat. Sie ist entkommen, aber ich wette, dass sie noch irgendwo in der Stadt ist!“ „Und du“, raunte Anya nun und deutete nicht weniger abfällig auf Abby, „hilfst dem da nun dabei, diese Magdalena zu finden?“ „Ja.“ Das war der Moment, in dem Anya die Hutschnur platzte. Sie sprang vom Tisch und breitete wütend die Arme aus. „Hast du nichts Besseres zu tun!? Was ist mit mir!? Wieso vertrödelst du deine Zeit für den, obwohl ich deine Hilfe viel dringender brauche!?“ „Anya! Hast du nicht zugehört? Isfanel ist zurück! Das betrifft dich genauso wie Henry! Und außerdem bin ich nicht nur deine Freundin, sondern auch Henrys!“ „Seit wann das!?“ „Seit sie weiß, dass ich dir helfen könnte, dein kleines Paktproblem loszuwerden.“ Henry trat nun zwischen die beiden und starrte Anya verächtlich aus eisblauen Augen an. „Du hast richtig gehört. Das ist der Deal zwischen mir und Abby. Wenn sie mir hilft, Melinda zu finden, revanchiere ich mich im Gegenzug dafür und verrate euch, wie ich -meinen- Pakt aufgelöst habe.“ Anya war zu verdutzt, um etwas darauf zu erwidern, zumal die ganze Situation mit einem Schlag über ihren Kopf hinausgewachsen ist. Aber als Henry plötzlich den Ärmel seines schwarzen Pullovers hochkrempelte und ein verblasstes, grünes Symbol zweier ineinander verwobener Schwingen zu sehen war, wusste das Mädchen, dass er nicht log. Es war fast gar nicht zu erkennen, was auch erklärte, warum es ihr bei ihrem ersten Treffen nicht weiter aufgefallen war.   Das nenne ich eine Überraschung. So etwas habe ich nicht kommen sehen.   „Ahja, und bevor du etwas Falsches denkst: ich bin nicht Abbys -Freund-“, stellte Henry klar, „ihre Mutter soll das nur denken, damit ich bei ihr übernachten darf.“ Giftig erwiderte Anya nun: „Ist auch besser so! Wenn du sie antatscht, brech' ich dir jeden Knochen einzeln, klar!?“ „Henry ist ein Gentleman!“, empörte sich Abby. Jener zog sich nun einen Stuhl heran und bedeutete Abby, sich zu setzen, was diese dankend tat. Da Anya ahnte, dass eine längere Geschichte auf sie zukam, nahm sie wieder auf dem Tisch Platz und ließ Henry dabei nicht aus den meeresblauen Augen. Selbstredend bereits darauf vorbereitet, jederzeit den Todesblick zu aktivieren.   „Du bist also mal …“, fing sie nach einer kurzen Zeit des Schweigens an. „Ja. Ich war einmal ein Gefäß für einen Dämon. Das ist mittlerweile ein paar Monate her und seither suche ich meine Schwester Melinda, die ebenfalls in die Sache von damals verwickelt war.“ Abby seufzte schwer. „Anya, der Dämon, der Henry damals in den Pakt gezwungen hat, war ...“ „Isfanel“, beendete Henry den Satz. „Und nachdem ich seinen Pakt gebrochen hatte, hat er meine Schwester als neues Ziel auserkoren.“   Doch Anya verstand die Welt nicht mehr. Isfanel war derjenige, der Marc dazu gebracht hatte, sie töten zu wollen. Was hatte der mit Henry und dieser Melinda zu tun?   „Was Isfanels Ziel ist, solltest du längst wissen“, erklärte Henry weiter, „daran hat sich bis heute nichts geändert. Er will den Gründer vernichten, der dazu bestimmt ist, Eden zu werden. Den Gründer, mit dem du jetzt zusammenarbeitest.“ „Auszeit!“, donnerte Anya aufgebracht und formte mit ihren Händen ein T. „Was soll das heißen, du wurdest in den Pakt gezwungen? Das ist doch freiwillig!“ „Nein. Isfanel kann einen Vertrag erzwingen, wenn die richtigen Konditionen gegeben sind. Wie genau das abläuft weiß ich selber nicht, aber ich denke, es hat mit unserem Blut zu tun. Dass in unseren, Melindas und meinen, Venen dasselbe Blut fließt.“ Henry verschränkte die Arme. „Damals, als er mich kontrolliert hat, wusste er noch nichts von dir, vermutlich weil du damals den Pakt noch nicht geschlossen hattest. Erst als Melinda eines Tages verschwunden war, habe ich begriffen, dass er es auf sie abgesehen hatte, um das fortzuführen, wozu ursprünglich ich vorgesehen war.“ „Dich, beziehungsweise Levrier, zu vernichten.“ Abby seufzte schwer. „Aber er konnte Melinda nicht übernehmen, weil sie sich, warum auch immer, zur Wehr setzen konnte.“ Seine Hand auf Abbys Schulter legend, sah Henry sie dankbar an. Anya verstand die Geste nicht, für sie sah es eher so aus, als wolle er sich an sie heran machen. „Finger weg!“ Das mit einem finsteren Blick quittierend, ließ Henry wieder von Abby ab. Dabei sagte er: „Aber jetzt ergibt alles einen Sinn. Als Melinda untergetaucht ist, hat sie mein Deck mit sich genommen. Und damit auch die Karte des Pakts, [Daigusto Phoenix]. In ihrem Abschiedsbrief hat sie mir erklärt, dass sie um meinetwillen fortging, um mich vor Isfanel zu beschützen.“ Henry schluckte und wandte sich von den beiden ab. „Ich glaube, Isfanel hat sie absichtlich in dem Irrglauben gelassen, dass er mich wieder als Gefäß will.“ „Und ohne es zu merken, hat er sie auf ihrer Flucht in deine Richtung getrieben“, fügte Abby hinzu. „Melinda wollte wahrscheinlich verhindern, dass Henry dich umbringt. Dabei hatte Isfanel es die ganze Zeit auf sie abgesehen.“ „Wir vermuten, dass Marc nur zufällig in die Sache hineingeraten ist, weil Isfanel nicht imstande war, Melinda zu knacken.“ Mit nachdenklicher Mimik wandte sich Henry an Abby. „Aber nachdem der versagt hat, muss Isfanel zurück zu seinem ursprünglichen Plan gesprungen sein, Melinda zu übernehmen.“   Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. „Oh, sorry, falsches Zimmer“, meinte ein dunkelhäutiger Schüler und knallte die Tür wieder zu. Verärgert von der Unterbrechung, schüttelte Abby den Kopf. „Na ja, und nachdem Melinda Nick getroffen hat, muss es Isfanel gelungen sein, die Kontrolle über sie zu übernehmen. Und da Nick unser Freund ist, wollte er ihn natürlich töten.“ „Das macht mir Kopfschmerzen …“, stöhnte Anya, die mit so viel Informationsinput nicht klar kam. „Also in Kurzform: der sucht seine Schwester, die jetzt 'n bisschen gaga ist und mir die Lichter ausknipsen will, weil er seinen Pakt brechen konnte?“ „'Der' hat auch einen Namen“, tadelte Abby ihre Freundin mit erhobenem Zeigefinger. „Dann eben -Henry-!“   „Da ist noch etwas“, sprach jener nun und räusperte sich, „etwas, das ich euch beiden noch nicht gesagt habe. Es betrifft meinen Namen. Denn eigentlich darf niemand wissen, dass ich hier bin. Wenn die Presse Wind von dieser Geschichte bekommt, wird alles nur noch komplizierter. Was ich euch also jetzt anvertraue bleibt bis auf Weiteres unter uns.“ Anya runzelte die Stirn. „Was hat die Presse damit am Hut? Meinst du Rita Placatelirgendwas? Die Alte wird es nicht wagen, etwas über uns zu schreiben, seit Abby ihr eine Lektion erteilt hat!“ „Die Presse im Allgemeinen. Was denkt ihr, warum ich nie meine eigene Duel Disk verwende? Damit würde man mich sofort finden.“ Henry schritt an eines der Fenster und sah hinaus auf den kreisrunden Campusplatz, wo sich unter Laternenlicht einige Jugendliche unterhielten. Was Abbys Neugier nur umso mehr anheizte. „Mach es nicht so spannend. Sag uns endlich, wer du bist.“ Henry drehte sich zu ihnen um. „Mein voller Name lautet Benjamin Hendrik Ford. Henry ist nur mein Spitzname.“ Abby fiel aus allen Wolken. „D-der Benjamin Ford!? Der, der seit Wochen vermisst wird!?“ Dann schoss es aus ihr heraus: „Jetzt weiß ich, warum du mir so bekannt vorgekommen bist, als wir uns das erste Mal gesehen haben!“ Gleichzeitig entsann sich Anya, dass sie einmal einen Zeitungsartikel über den vermissten Sohn der Abraham Ford Company gelesen hatte. Der Firma, die in den Staaten für den Vertrieb von Duel Monsters verantwortlich war. „Der bin ich. Versteht ihr jetzt, warum ich untertauchen musste? Wenn die Presse erfährt, was mit Melinda geschehen ist, bricht ein Chaos ungeahnten Ausmaßes aus. Da aber außer mir niemand von dieser Sache weiß, musste ich die Dinge selbst in die Hand nehmen.“ Entschlossen sah er die beiden Mädchen an. „Ich muss Melinda finden, bevor ihr etwas zustößt!“   „Mir doch egal“, raunte Anya plötzlich herrisch, „mich interessiert nur eins. Wie ist es dir gelungen, den Pakt zu brechen?“ „Denkst du, das sag ich dir so einfach?“ Henry schüttelte entschieden den Kopf. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich dir vertrauen kann. Aber ich vertraue Abby. Deswegen wollte ich dich aus der Sache heraushalten und mit Abby alleine nach Melinda suchen.“ Provoziert von seiner Aussage zeigte Anya ihm kurzerhand den Stinkefinger. „Pff, Arschloch! Wer sagt denn, dass wir dir vertrauen können?“ „Anya“, versuchte Abby zu schlichten, „er ist kein schlechter Mensch! Er meint es ernst! Aber du musst ihn auch verstehen. Der Dämon, der dich zu töten versucht, benutzt seine Schwester als Mittel dazu. Er hat einfach Angst, dass ihr durch deine Hand etwas passiert!“ „Du halt dich da raus“, fauchte Anya das Mädchen an und sprang nun vom Tisch auf. Auch Abby erhob sich vom Stuhl, wurde aber sofort von der Blondine mit einer Hand weg geschubst. „Hey!“, schritt Henry sofort dazwischen. „Von einem Verräterschwein lass ich mir nichts sagen!“ Getroffen wich Abby zurück. „I-ich-!“ „Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich unsterblich bin, huh!? Dachtest wohl, ich muss das nicht wissen!? Oder dass für Edens Erwachen Opfer gebraucht werden! War alles nicht so wichtig, was!?“ „N-nein“, verteidigte Abby sich eher schlecht als recht, „ich wollte nur nicht, dass du am Ende etwas Dummes anstellst. Nicht, dass dir am Ende etwas passiert, weil du aus Neugier versuchst, dich umzubringen, um zu sehen, ob du wirklich unsterblich bist. Bei Selbstmord funktio-“ „Herrgott, das weiß ich alles längst, Masters!“, herrschte Anya ihre Freundin jedoch weiter aufgebracht an. „Aber ich hätte es gerne von dir erfahren und nicht von Matt!“ „Du hast Matt getroffen!?“ „Verdammt richtig! Und der ist im Moment eine größere Hilfe als du!“ Henry mahnte Anya: „Jetzt werd' mal nicht unfair! Abby hilft mir, um dir zu helfen!“ Wütend stampfte die Blondine auf. „Ich brauche ihre beschissene Hilfe aber nicht mehr! Turtel' ruhig weiter mit dem Pennerkind, Masters, ich hab's satt!“ „Dann-!“   Doch Abby brachte den Satz nicht zu Ende. Stattdessen schluchzte sie plötzlich und stürmte aus dem Klassenzimmer. Noch ehe Henry etwas dagegen tun konnte, war das Mädchen verschwunden. An der Türschwelle stehend, drehte er sich wutentbrannt zu Anya um. „Das hast du wirklich gut gemacht!“ „Tch!“ Anstatt Gedanken an Abby zu verschwenden, nahm Anya nun Henry ins Visier. „Irgendwie habe ich dich netter und respektvoller in Erinnerung. Was ist los, Prince Gossen-Charming, vermisst du Daddys Kohle?“ „Ich bin einfach nur angespannt, das ist alles! Und ich kann dich nicht leiden! Siehst du nicht, was du getan hast? Ist dir ihre Freundschaft überhaupt nichts wert!?“ „Was nützen mir Freunde, wenn ich eh bald krepieren werde!?“ „Du bist egoistisch! Denkst du, Gefühle sind nur einseitig?“ Henry schnaufte wütend. „Als wir uns damals getroffen haben, habe ich mich wirklich zusammengerissen. Anfangs dachte ich, du bist einfach nur mit dem falschen Fuß aufgestanden. Aber dein Charakter ist einfach nur mies. Und als ich dein Mal sah, wusste ich, dass wir beide früher oder später aneinander geraten würden.“ „Ach ja? Dann hilf mich doch, dieses dämliche Teil loszuwerden!“ Anya hob ihren Arm und schob den Ärmel ihrer Lederjacke soweit beiseite, dass er das Mal an ihrem Unterarm sehen konnte. Plötzlich grinste sie hinterhältig. „Hmm, jetzt wo ich darüber nachdenke, ist das gar keine schlechte Idee …“ „Wovon sprichst du?“ Anya legte herausfordernd den Kopf in den Nacken. „Ganz simpel, Milchbubi. Wenn du mir nicht sagst, wie du dein Mal losgeworden bist, -könnte- es passieren, dass ich deiner Schwester Melanie die Lichter ausknipsen muss, wenn sie mich angreift.“ Anya fuhr sich mit dem Daumen über die Kehle. „Du weißt, Blutzoll und so.“ „Du würdest-!?“ „Nur, wenn ich muss.“ Schlagartig verlor sich ihre Gehässigkeit. „Es liegt an dir. Je früher ich das Ding loswerde, desto besser für deine Schwester. Ist in deinem Interesse.“ „Und du denkst, dass ich mich von dir erpressen lasse!?“, brauste Henry außer sich vor Wut auf. „Mein Verstand sagt mir, dass du nicht Unrecht hast, aber mein Herz nimmt das nicht hin! Ich lasse mich nicht erpressen, nicht von dir!“   Immerhin, du lernst dazu, Anya Bauer. Erpressung ist schließlich eine Steigerung zur bloßen Gewaltandrohung. Aber ich fürchte, ein Leben reicht nicht, um bis zur Stufe der Verhandlung aufzusteigen.   „Was mischt du dich jetzt da ein, Levrier!? Solltest du nicht zittern, weil ich auf dem Weg bin, dich loszuwerden?“   Warum sollte ich? Was immer der Junge dort glaubt erreicht zu haben, es ist zu bezweifeln, dass er wirklich von dem Pakt befreit ist. Vielleicht ist das Ganze auch eine Falle? Sonderlich viele Freunde haben wir uns bisher nicht gemacht. Ich für meinen Teil mache mir mehr Sorgen um die Absichten dieses jungen Mannes, als der bloßen Tatsache, dass er einen Weg zu kennen glaubt, einen Pakt zu brechen.   „Das werden wir gleich herausfinden.“ Sie wäre schließlich nicht Anya Bauer, wenn sie nicht einen Plan B hätte. Der war seither zwar immer der gleiche, aber immer noch der effektivste. Anya setzte ihren Rucksack, den sie die ganze Zeit geschultert hatte, ab. Daraus hervor zog sie eine Duel Disk. Ursprünglich hatte sie geplant, nur ein paar Rotzgören um ihre Halloweenbeute zu erleichtern, aber das hier war viel eher ihre Welt. Der Typ würde singen, so viel stand fest. „Eine Revanche für neulich?“, wunderte sich Henry, als Anya den Apparat anlegte. „Tz, als ob! Außerdem besitze ich keine Duel Disk!“ „Kein Problem“, meinte Anya unbekümmert, verließ kurzerhand das Klassenzimmer und kam wenige Minuten später, nach einem lauten Scheppern, mit einer Duel Disk zurück. Dabei wedelte sie mit ihrer freien Hand. „Blöder Spind, seit wann sind die so widerspenstig?“ Henry fing die Duel Disk geschickt auf, als Anya sie ihm zuwarf. „Die Regeln“, sagte jene schließlich und stellte sich vor die Tafel. Als sie sich umdrehte, erklärte sie: „Da du nicht freiwillig mit der Sprache 'rausrückst, müssen wir das so klären.“ „Wer sagt, dass ich mitmache?“ Prompt war es wieder da, dieses kleine, gemeine Grinsen von Anya. „Oh glaub mir, das wirst du. Denn wenn du gewinnst, werde ich dir helfen, deine kleine Prinzessin zu finden. Und ich schwöre, ihr kein Haar zu krümmen, solange sie genug Sicherheitsabstand hält.“ „Und wenn du gewinnst?“ „Wirst du mir dein kleines Geheimnis verraten. Und mir helfen, das Mal loszuwerden. Wenn das klappt und ich frei bin, könnte ich mir sogar überlegen, dir vielleicht trotzdem zu helfen. Geht die Sache jedoch schief, oder du muckst auf …“ Anya fuhr sich nochmals mit dem Daumen über den Hals. „Dann kannst du deiner Schwester schon mal einen Sarg bestellen! Was sagst du? In beiden Fällen profitierst du, bei einem mehr, beim anderen weniger. Aber wir können das Ganze auch lassen, bloß sieht es dann ganz schlecht für Melissa aus!“ „Melinda!“, korrigierte Henry das Mädchen gereizt.   Ich bin begeistert, Anya Bauer. Das ist nicht mehr nur Erpressung, das ist raffinierte Manipulation. Natürlich wird er jetzt anbeißen, da die schlimmste Option für ihn die ist, dein Angebot auszuschlagen. Vielleicht habe ich dich unterschätzt …   Anya lächelte jedoch nur tückisch. „... fein. Was soll ich auch anderes sagen?“ Henry war nur allzu deutlich anzusehen, was er wirklich von Anyas Vorschlag hielt. Sein Gesicht glich einer starren Maske, gezeichnet von Wut. Dennoch schritt er in die Mitte des Klassenraums, um Anya gegenüber zu stehen. Da die Tische nicht im Weg standen, konnte man sich hier duellieren. „Dann ist es abgemacht“, sagte die Blondine. Beide Duel Disks fuhren aus und aktivierten sich mit einem Piepen. „Duell!“   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP]   „Ich mache den ersten Zug“, kündigte Henry an, nachdem er sein Startblatt gezogen hatte. „Von mir aus. Aber denk nicht, dass sich das von damals wiederholen wird! Ich bin um einiges besser geworden, seit wir uns das letzte Mal duelliert haben!“ „Wenn du meinst …“ Henry nahm eine dauerhafte Zauberkarte aus seinem Blatt und zeigte sie Anya. „Dann zeig mir mal, wie gut du bist, wenn du auf deine Keycard verzichten musst! Ich aktiviere [Prohibition]! Damit verbiete ich die Benutzung einer von mir benannten Karte, solange [Prohibition] aktiv ist! Und in dem Fall wäre das [Gem-Knight Fusion]!“ Hinter Henry tauchte plötzlich eine Schriftrolle auf, die sich entfaltete und auf der das Abbild von Anyas wichtigster Zauberkarte abgebildet war. „Tch! Ich brauche die nicht, um dich fertig zu machen!“ Doch ihre gekrümmte Körperhaltung strafte ihrer Worte eindeutig Lügen. „Du wirst dir noch wünschen, das nicht gesagt zu haben. Ich setze zwei Karten verdeckt und gebe ab.“ Vor den Füßen ihres Gegners erschienen zwei gesetzte Karten mit dem Rücken nach oben zeigend.   Anya zog mit einem lauten Ausruf und betrachtete ihre Hand. Dort war unter anderem auch die versiegelte [Gem-Knight Fusion]. Zischend richtete sie ihren Blick auf den brünetten, jungen Mann. Seinen Worten nach zu schließen musste er immer noch das jämmerliche Mülldeck spielen, das er sich irgendwo zusammengeschnorrt hatte, da seine Schwester sein eigentliches Deck besaß. Wenn das so war, würde er vermutlich wieder versuchen, diese absurden Kombos auszuspielen. Kein Monster gerufen zu haben, bedeutete vermutlich nur, dass er etwas in dieser Richtung vor hatte und mit einer Falle ihren Angriff abwehren wollte. Und wenn es ein Angriff war, den er erwartete, sollte er ihn auch bekommen! „Ich beschwöre [Gem-Knight Tourmaline]! Direkter Angriff!“ Vor Anya erschien ein Ritter in goldener Rüstung mit einem Turmalin-Edelstein in der Brust, der in seinen Handflächen einen Blitz entstehen ließ und auf Henry abfeuerte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Henry hob den Arm, um den kanonenartigen Energieschuss abzufangen, doch wurde beim Aufprall geschockt. Da Anya aber keine Anstalten machte, ihre Kräfte einzusetzen – da sie es ohnehin so ohne Weiteres nicht könnte, selbst wenn sie wollte – wurde Henry nicht weiter verletzt.   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP → 2400LP]   Überrascht stellte Anya fest, dass Henry keine seiner Fallen aktiviert hatte. Aber umso besser für sie. Eine Faust in die Luft schlagend, rief sie stolz: „First Blood!“ Dann nahm sie ebenfalls eine Falle aus ihrem Blatt und setzte sie. „Die hier! Damit beende ich den Zug!“   Henry zog schwungvoll und lächelte zufrieden, als er seine neue Karte ansah. „Genau was ich gebraucht habe!“ Dann streckte er seinen Arm aus, mit der er die Karte hielt. „Verdeckte Falle! [Ojama Trio]! Sie erschafft drei Ojama-Spielmarken in Verteidigungsposition, die an dich gehen.“ Jeweils eine grüne, eine schwarze und eine gelbe Koboldgestalt in roten String-Tangas, alle drei nicht größer als eine Hand, tauchten plötzlich um Anyas Kopf auf und grinsten sie an.   Ojama-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/1000 (2)]   „Du gibst mir noch extra Monster!? Wie dämlich!“ Henry verzog die Augen zu Schlitzen. Dabei dachte er, dass wenn Anya sie nicht haben wollte, er ihr schon helfen würde, sie wieder zu entsorgen. „Ich beschwöre von meiner Hand [Marauding Captain]! Und der kann ein Monster bis zu Stufe 4 von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören! Erscheine, [3-Hump Lacooda]!“ Sowohl ein Krieger in eiserner Rüstung mit zwei Schwertern in den Händen, als auch ein erschöpftes Kamel mit dreckigen Bandagen um die Höcker gewickelt materialisierten sich auf Henrys Spielfeldseite. „Und jetzt von meiner Hand der Schnellzauber [Inferno Reckless Summon]! Damit verdreifache ich das eben gerufene [3-Hump Lacooda]! Dafür kannst du ebenfalls eines deiner Monster vervielfachen.“ „Dann rufe ich noch einen [Gem-Knight Tourmaline], aber im Verteidigungsmodus!“ Nachdem alle Monster erschienen waren, kontrollierte Anya die drei Ojamas sowie zwei goldene Ritter des Turmalins, während Henry seinerseits auf drei Kamele und seinen Krieger zurückgreifen konnte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Ojama-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/1000 (2)]   Marauding Captain [ATK/1200 DEF/400 (3)] 3-Hump Lacooda x3 [ATK/500 DEF/1500 (3)]   Er geht wirklich klug vor. Zunächst nimmt er einen direkten Angriff in Kauf, um keines seiner Monster im ersten Zug ausspielen zu müssen, wo er diese Kombo nicht einsetzen konnte. Dann blockiert er deine Monsterzonen mit Spielmarken, damit du das Potential seiner Zauberkarte nicht voll nutzen kannst. Was hat er als Nächstes vor?   Anya ihrerseits hatte eine Ahnung. Aber es kam ganz anders. „Das ist die Zauberkarte, die ich eben gezogen hatte! Sie nennt sich [Flash Of The Forbidden Spell] und kann nur eingesetzt werden, wenn die Monsterzonen meines Gegners alle besetzt sind! Dann zerstört sie alle deine Monster auf einmal!“ „Was zum-!?“ Plötzlich regnete es Blitze auf Anyas Monster, die eines nach dem anderen explodierten. „Und da jeder zerstörte Ojama dich 300 Lebenspunkte kostet, habe ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“, erklärte Henry zufrieden.   [Anya: 4000LP → 3100LP / Henry: 2400LP]   Nur noch mit einer gesetzten Karte verbleibend, runzelte Anya wütend die Stirn. „Da sieht man es! Hättest du nicht so viel Glück, wäre das Duell damals mein Sieg gewesen, nicht deiner!“ „Ist das deine Ausrede?“, erwiderte Henry unbeirrt. „Glaub, was du glauben willst! Von dir erwarte ich keine Einsicht!“ „Ach ja? Dann greif mich doch an!“ „Worauf du Gift nehmen kannst! Leider besitze ich nur drei Xyz-Monster, von denen zwei nicht mit den Monstern gerufen werden können, die ich besitze. Daher opfere ich zwei [3-Hump Lacooda] durch ihren Effekt, um drei Karten zu ziehen!“ Und kaum hatte Henry sein zuvor leeres Blatt aufgestockt, streckte er den Arm aus. „Die beiden verbleibenden Stufe 3-Monster nutze ich, um das Overlay Network zu erschaffen! Zeig dich, [Grenosaurus]!“ Henrys Monster wurden zu braunen Lichtstrahlen, die in das schwarze Loch gezogen wurden, welches sich inmitten des Spielfelds auftat. Daraus hervor trat ein roter Dinosaurier, der auf zwei Beinen stand und dessen Schopf tatsächlich brannte. Um ihn kreisten zwei Lichtsphären.   Grenosaurus [ATK/2000 DEF/1900 {3}]   „An den erinnere ich mich noch! Mit dem habe ich letztes Mal kurzen Prozess gemacht und heute wird das nicht anders sein“, kündigte Anya selbstsicher an. „Nur zu! Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte! Ancient Fire Burst!“ Aus seinen Nüstern schoss das urzeitliche Ungetüm eine Flammenwolke, die direkt auf Anya zusteuerte. Die schwang den Arm aus. „Ach ja? Dann komm ich dir mit der hier zuvor: [Pyroxene Fusion]! Pah! Dachtest du ernsthaft, [Gem-Knight Fusion] wäre meine einzige Möglichkeit, Fusionsbeschwörungen durchzuführen!? Diese Karte tut dasselbe, sie lässt mich Monster von meiner Hand verschmelzen!“ „Nein, genau damit habe ich gerechnet! Und ich bin vorbereitet! Konterfalle [Seven Tools Of The Bandit]! Sie annulliert deine Falle, kostet mich im Gegenzug aber 1000 Lebenspunkte!“ Anyas Falle zersprang mit einem Klicken. Kurz darauf traf sie die Feuerwolke und deckte sie ein, doch unter den Flammen hörte man nur Anyas gehässiges Gelächter.   [Anya: 3100LP → 1100LP / Henry: 2400LP → 1400LP]   Nachdem der Rauch verschwunden war, verschränkte Anya selbstherrlich die Arme vor die Brust und grinste süffisant. „Genau das ist, womit -ich- gerechnet habe. Schon als du [Prohibition] aktiviert hast, wusste ich, dass ein Teil deiner Strategie darauf abzielt, die guten Karten des Gegners zu blockieren, weil du selber nur Mist besitzt.“ „Und was heißt das?“ Henry runzelte die Stirn. „Deine Fusionsbeschwörungen wurde verhindert!“ „Stimmt … aber wer sagt, dass ich die überhaupt hätte durchführen können?“ „Dein Punkt ist … ?“ Anya klatschte sich eine Hand an die Stirn. „Alter, bist du schwer von Begriff? Ich habe eine Fehlaktivierung ausgelöst, um zu sehen, ob ich recht mit meiner Vermutung habe! Tatsächlich habe ich nur ein Monster auf der Hand, was nicht reicht, um zu fusionieren.“ „Du hast-! Du hast mich gelinkt!?“ Zufrieden nickte Anya. „Endlich hat er's geschnallt. Zu dumm, deine Konterfalle hast du ganz umsonst aktiviert. Oh, und du hast noch Lebenspunkte dafür verloren.“ Den letzten Satz hatte sie besonders betont, um Henry zu zeigen, dass das die Rache für das [Ojama Trio] war. „Linke Bazille! Wenn du auf so etwas zurückgreifen musst, bist du echt armselig! Und ich dachte, du könntest nicht tiefer sinken! Aber das sind wohl die Mittel, auf die ein Amateur zurückgreifen muss!“   Das war ein brillanter Zug, Anya Bauer. Seit wann denkst du so strategisch?   Seit sie diesen Knilch nach allen Regeln der Kunst abservieren wollte, dachte Anya, sprach es aber nicht aus. Das war der Unterschied zwischen ihnen beiden. Er hielt sie immer noch für dieselbe Amateurin, gegen die er vor knapp zwei Monaten gespielt hatte. Sie hingegen hatte begriffen, dass keiner ihrer Gegner unterschätzt werden durfte. Und da sie nun wusste, wie er spielte, hatte sie sich darauf einstellen können. Manchmal reichte es nicht aus, sich nur innerhalb der Grenzen von Karteneffekten zu bewegen. Auch Dinge wie Fehlaktivierungen konnten als Strategie eingesetzt werden. Es war so simpel … aber es fühlte sich gut an. Vielleicht war es gar nicht so schlimm, manchmal nachzudenken? Nur manchmal! Aufgebracht darüber, dass Anya ihn hereingelegt hatte, nahm Henry zwei Fallen und schob sie in die dazugehörigen Slots seiner Duel Disk. „Mit zwei gesetzten Karten gebe ich an dich ab! Was kommt als Nächstes? Willst du dieses Mal richtig schummeln? Nur zu, mir egal! Ich besiege dich auch so!“ „Als ob ich das nötig hätte!“ „Hast du aber! Abby hat mir viel über deine Duellweise erzählt! Wie oft hast du aus eigener Kraft gewonnen? Gab es nicht immer irgendeinen Umstand, der dir geholfen hat, deine Spiele doch noch zu drehen?“ Henry hatte sich regelrecht in Rage geredet. „Sieh es ein, alleine kriegst du nichts gebacken! Du wirst immer der Gnade deiner Gegner und deines Dämons ausgeliefert sein!“ „Stimmt … meine Quote ist lausig“, gab Anya offen zu. „Aber höre ich da Neid heraus? Schließlich muss man sich Hilfe auch verdienen!“ Henry stampfte mit dem Fuß auf. „Du wagst es von Neid zu reden? Wo du es doch offensichtlich nicht ertragen kannst, dass Abby andere Freunde außer dich hat? Mit deiner Eifersucht hast du kein Recht, so mit mir zu reden!“ „Volltreffer“, streute Anya jedoch nur Salz in die Wunde, „muss kacke sein, wenn man selber keine Freunde hat, weil man als reicher Schnösel nur ausgenutzt wird. Deswegen denkst du wohl, du kannst dich einfach in anderer Leute Freundschaften einmischen, was?“ „Darum geht es dir also? Du denkst, ich will dir Abby wegnehmen? Lächerlich!“ Henry lachte fassungslos auf. „Verwechsel' deine größte Angst nicht mit der Realität! Wenn dir Abby etwas bedeutet, dann behandle sie nicht nur wie ein nützliches, aber im Notfall entbehrliches Anhängsel! Deine Feindseligkeit mir gegenüber basiert auf nichts, du lässt dich von deinen Gefühlen täuschen! Weil du es auch gar nicht ertragen kannst, dass sie dir vielleicht um etwas voraus ist …“   Das war es, dachte Anya. Dieser Typ verstand überhaupt nichts! Nein, wollte sie schon vorher Levriers Fähigkeit der Schicksalsbeeinflussung nicht einsetzen, wollte sie es jetzt erst recht nicht. Aus eigener Kraft würde sie diesem Typen das Maul stopfen, so viel war sicher! „Draw!“, rief sie und bemühte sich um Fassung. Gar nichts verstand er! Als sie das Gezogene ansah, wusste sie, dass ihre Entscheidung nicht falsch gewesen war. Sie nahm eine Zauberkarte aus ihrem Blatt hervor und rief: „[Silent Doom]! Damit wird ein normales Monster, wie [Gem-Knight Tourmaline] in Verteidigungsposition von meinem Friedhof beschworen! Außerdem rufe ich [Gem-Knight Garnet] als Normalbeschwörung!“ Vor Anya tauchten der goldene Ritter sowie ein Krieger in bronzener Rüstung auf. Letzter entfachte eine Flamme in seinen Händen, wobei der Granat in seiner Brust grell schimmerte. Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Und jetzt beginnt der Spaß! Ich erschaffe das Overlay Network und überlagere meine beiden Stufe 4-Monster! Xyz-Summon!“ Wieder öffnete sich inmitten des Klassenzimmers der klaffende, schwarze Wirbel, in den die braunen Lebensessenzen von Anyas Monstern gezogen wurden. „Hier kommt es“, murmelte Henry, „[Gem-Knight Pearl], dein Paktmonster!“ „... Fehlanzeige! Hier kommt meine wahre Perle und neue, alte Geheimwaffe, um überheblichen Pennerkindern eine Lektion zu erteilen! Erscheine, [Kachi Kochi Dragon]!“ Ja, dachte Anya zufrieden, damit hatte er sicher nicht gerechnet. Als sie damals ihr Deck umstellen wollte, hatte sie diesen alten Bekannten wiederentdeckt. Levrier hatte ihn letztlich in das von ihm erstellte Deck übernommen und Anya wusste nun zu schätzen, was ihr Dämon für sie getan hatte. Denn jetzt konnte sie ordentlich austeilen! Aus dem Boden brach unter lautem Getöse ein Drache, dessen gesamter Körper von einer schützenden Kristallschicht überzogen war. Auf allen Vieren stand er, streckte seine mächtigen Schwingen aus und brüllte stolz, als um ihn zwei Lichtsphären zu kreisen begannen.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4}]   „Damit hast du nicht gerechnet, was!?“, flötete Anya. „Erinnerst du dich an damals, als du mit deinem [Black Ray Lancer] Pearls Effekt negieren wolltest, obwohl er keinen hatte? Du wirst dir noch wünschen, dass du das jetzt könntest! [Kachi Kochi Dragon], greif ihn an! Primo Sciopero!“ Der Drache flog pfeilschnell auf Henrys Dinosaurier zu und zerteilte ihn mit einem Klauenschlag wie ein Messer die Butter. Die Explosion ließ Henry aufschrecken.   [Anya: 1100LP / Henry: 1400LP → 1300LP]   „Mit Pearl hättest du mehr Schaden angerichtet“, sagte er, hatte aber das ungute Gefühl, dass ihm noch etwas bevorstand. Und er sollte Recht behalten. „Irrtum, [Kachi Kochi Dragon] hat einen Effekt, von dem Pearl nur träumen kann! Wenn er ein Monster zerstört hat, kann er für ein Xyz-Material einmal pro Zug direkt nochmal angreifen! Also los!“ Anyas Monster fraß eine der Lichtkugeln um es herum und brüllte. „Secondo Sciopero! Beende es!“ „Niemals! Falle! [Damage Diet]! Sie halbiert den Schaden, den ich für diesen Zug erleide!“ Die Falle sprang vor ihrem Besitzer auf und stellte sich wie eine Mauer schützend vor ihn. Dennoch traf der Schlag des Drachens, als jener Henry angriff. Nämlich genau in die Brust und ließ ihn zurückweichen, da die Pranke einfach durch die Karte hindurch geglitten war. „Verdammter Kackmist“, fluchte Anya enttäuscht. Um eine Haaresbreite war sie am Sieg vorbei geschlittert!   [Anya: 1100LP / Henry: 1300LP → 250LP]   Aber sie war noch längst nicht am Ende ihrer Kräfte. Sie sah ihre Hand an, welche aus zwei Fallen und [Gem-Knight Fusion] bestand. „Ich setze drei Karten verdeckt. Du bist dran, Schnöselkind!“ Völlig gleich, ob er ein Penner oder Multimilliardär war, dieser Typ hatte sie mit seinen Worten beleidigt. Dafür würde er bluten müssen! Und dafür, dass er einen Keil zwischen sie und Abby geschlagen hatte. Dafür … erst recht! Kaum hatte Anya das gesagt, riss Henry förmlich die nächste Karte von seiner Hand. Er wusste, dass jetzt etwas Gutes kommen musste, wenn er dieses Spiel noch für sich entscheiden wollte. Ohne Isfanels Kräfte konnte er dies jedoch nicht beeinflussen. Was er aber ohnehin nicht wollte, denn um diesem egoistischen Mädchen eine Lektion zu erteilen, durfte er sich nicht auf ihr Niveau herablassen. „Das ist es“, sprach er leise, als er seine gezogene Zauberkarte betrachtete. „Ich aktiviere den Ausrüstungszauber [Symbol Of Heritage]! Wenn drei Monster desselben Namens auf meinem Friedhof liegen, kann ich eines davon reanimieren und mit dieser Karte ausrüsten! Also erscheine, [3-Hump Lacooda]!“ Eines von Henrys Kamelen tauchte wieder vor ihm auf. Um den Hals hatte es eine Kette mit einem Amulett hängen, in das ein gelber, ein roter und ein blauer Edelstein eingesetzt waren.   3-Hump Lacooda [ATK/500 DEF/1500 (3)]   „Und jetzt als Normalbeschwörung: [Grass Phantom]!“ Henry knallte förmlich seine letzte Karte auf die Duel Disk, woraufhin vor ihm eine grüne Kohlrübe auftauchte, aus deren Mund rosafarbene Tentakel lugten.   Grass Phantom [ATK/1000 DEF/1000 (3)]   „Ich habe noch einen Trumpf!“, rief Henry und schwang den Arm aus. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Seine beiden Monster wurden zu brauner und blauer Energie, die von dem sich öffnenden schwarzen Loch absorbiert wurde. „Land und Meer, Erde und Wasser, werdet eins! Steh mir bei, [Circulating Flow – The Gaia Cleaver]!“ Aus dem schwarzen Wirbel erhob sich eine eindrucksvolle Gestalt. Zwar hatte der Riese einen menschlichen Körperbau, doch bestand sein Körper aus purem, hellbraunem Gestein. Wie Venen flossen kleine Flüsse an seinen Armen und Beinen und in einer seiner Hände hielt der Gigant, der mit dem Kopf an die Decke des Klassenzimmers stieß, eine riesige Axt. Zwei Lichtsphären kreisten um ihn. „Fett“, staunte selbst Anya beim Anblick dieses Monsters. Oder eher seiner Angriffspunkte.   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/3500 → 2000 DEF/2000 {3}]   „Huh!?“ Plötzlich gingen von den beiden Sphären Blitze aus. Der Riese schrie auf und rollte sich zusammen. Binnen eines Herzschlags hatte er eine kugelrunde Form angenommen, sah aus wie ein Planet. Beinahe wie die Erde! Anya blinzelte verdutzt. „Wieso hat das Teil Angriffspunkte verloren!?“ „Der Gaia Cleaver wird von seinem Xyz-Material versiegelt, wodurch seine Angriffskraft um deren Stärke sinkt.“   Verstehe. Da seine Materialien zusammen 1500 Angriffspunkte besitzen, hat dieses Wesen genauso viele Punkte verloren. Anya Bauer, das bedeutet aber auch, dass er nur seinen Effekt einsetzen und die Materialien wieder abkoppeln muss, um wieder stärker zu werden.   „So weit war ich auch schon“, zischte Anya leise. Unruhig starrte sie auf die mittlere ihrer drei gesetzten Karten. „Effekt des Gaia Cleavers aktivieren!“, rief Henry und zog das [Grass Phantom] unter seinem Xyz-Monster hervor. „Wenn du mindestens vier Karten kontrollierst, kann ich pro Zug eine davon zerstören!“ Plötzlich brach die Erdkugel, als eines der Xyz-Materialien in ihr verschwand, auf und verformte sich wieder zu dem Axt schwingenden Gesteinsriesen.   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/2000 → 3000 DEF/2000 {3}]   Anya schnaufte nur. Nichts, womit sie nicht gerechnet hatte. Wieder fiel ihr Blick unauffällig auf die mittlere gesetzte Karte. Dann sah sie abwartend zu Henry auf. „Ein Monster und drei gesetzte Fallen. Wenn ich [Kachi Kochi Dragon] vernichte, würde ein direkter Treffer reichen, um zu gewinnen“, meinte Henry, „aber täte ich das, würde ich Gefahr laufen, das Opfer einer deiner Fallen zu werden. Den Drachen kann ich auch so beseitigen, auch wenn ich dann noch eine Runde warten muss, ehe ich dich besiegt habe. Aber anders als du überstürze ich nichts!“ „Was ist also deine Lösung, Einstein?“, fragte Anya herausfordernd. „Die Karte zu zerstören, die du die ganze Zeit anstarrst! Die in der Mitte!“ „Oh shit!“, stieß Anya erschrocken hervor. Der Riese warf seine Axt nach Anyas gesetzter Karte, welche durch einen geraden Schnitt in zwei Teile geteilt wurde und explodierte. Das Mädchen nahm sie daraufhin aus ihrer Duel Disk und grinste hämisch. Dabei nahm sie einen gespielten, weinerlichen Tonfall an. „Was soll ich denn jetzt ohne meine [Gem-Knight Fusion] machen!?“ „Noch ein Bluff!?“ „... bingo! Damit hast du nicht gerechnet, was? Meine Karten nützen mir selbst dann noch, wenn ich sie gar nicht aktivieren kann!“ Henry starrte das Mädchen ungläubig an. „Wieder so ein Trick? Du kannst wohl nicht anders … aber deinen [Kachi Kochi Dragon] wird das auch nicht retten! Gaia Cleaver, greife ihr Monster an! Earth Glaive!“ Der Riese musste nur einmal mit dem Fuß aufstampfen, um mehrere Felsspitzen aus dem Boden schießen zu lassen, die alle zusammen Anyas Drachen aufspießten. Brüllend explodierte das Monster, wobei dessen Besitzerin genervt aufschrie.   [Anya: 1100LP → 200LP / Henry: 250LP]   „Zug beendet“, sprach Henry trotz allem halbwegs zufrieden, „nun sind wir wieder fast gleichauf. Wenn nicht ausgerechnet du meine Gegnerin wärst, würde das sogar Spaß machen …“ „Tch! Denk nicht, dass ich so leicht aufgebe!“ Nebenbei nahm der Riese wieder seine Planetenform an. Die Arme verschränkend, schüttelte Henry den Kopf. „Tu ich nicht. Aber du solltest wissen, dass der Gaia Cleaver nicht von Monstereffekten zerstört werden kann, solange er Xyz-Material besitzt. Also versuch es gar nicht erst. Und denk gar nicht erst an einen Angriff, denn Gaia Cleaver kann bis zu 5000 Angriffspunkte einmalig abwehren. Sieh es ein, einen ganzen Planten kannst du nicht besiegen!“ „Was!? … pff, was auch immer.“   Damit war ihr Plan, das Ding sowohl mit [Gem-Knight Prismaura], als auch [Gem-Knight Ruby] zu zerstören gerade gestorben, dachte Anya genervt. Ihre einzigen Möglichkeiten, an dieses Ding heran zu kommen! Jetzt musste sie wirklich etwas Gutes ziehen, wenn sie noch eine Chance haben wollte. Außer den zwei Fallen besaß sie keine Karten mehr. Sie griff unschlüssig nach ihrem Deck.   Brauchst du meine Hilfe?   „... Hell no! Das werde ich alleine regeln! Draw!“ Nein, wenn sie dem Kerl beweisen wollte, dass sie auch ohne Hilfe gewinnen konnte, musste sie auf Levriers Fähigkeiten verzichten! „Nur ein Monster, mehr brauch ich nicht“, murmelte Anya leise und drehte die Karte langsam in ihrer Hand um. Nur um dann die Augen zu schließen. Und in die Luft zu springen. „Hell yeah!“ Dann widmete sie sich wieder ihrem Gegner. „Sorry Kumpel, sieht nicht so aus, als ob du hier noch mal Land gewinnst! Ich beschwöre von meiner Hand [Gem-Knight Sapphire]! Zusätzlich reanimiere ich durch meine Falle [Birthright] ein normales Monster von meinem Friedhof, nämlich [Gem-Knight Tourmaline]! Erscheint!“ Und das taten sie. Sowohl ein Ritter in blauer Rüstung samt darin eingebettetem Saphir, der einen Schwall aus gefrorenem Wasser erzeugte, als auch der Krieger des Turmalins in goldener Rüstung. Letzterer war aus einem Loch im Boden aufgetaucht, nachdem Anyas Falle aufgeklappt war.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Es bedarf keiner Worte um zu wissen, was Anya vorhatte. Das Overlay Network öffnete sich abermals und absorbierte die Lebensessenzen ihrer Krieger. Kämpferisch rief Anya: „Erscheine, [Gem-Knight Pearl]!“ Aus dem schwarzen Wirbel trat ihr weißer Ritter hervor, dessen Waffen – seine sieben rosafarbenen Riesenperlen – ihm wie ein Rattenschwanz folgten, als er knapp bis an die Decke des Klassenzimmers stieg.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Das ist nicht einmal annähernd genug, um Gaia Cleaver gefährlich zu werden!“, protestierte Henry. „Mit deinem effektlosen Paktmonster erreichst du gar nichts!“ „Sagt wer?“ Anya hatte genug von diesem arroganten Mistkerl. Der würde jetzt sein blaues Wunder erleben! „Wenn du dachtest, ich würde nur einen Weg kennen, um ohne [Gem-Knight Fusion] zu fusionieren, hast du dich aber so was von geschnitten! Sieh her, meine letzte Fallenkarte! [Fragment Fusion]!“ Anyas Falle sprang auf und zeigte den weißen Ritter [Gem-Knight Crystal] in unendliche Leere fallend, wobei ein Wirbel aus Edelsteinen ihm folgte. „Hiermit kann ich von meinem Friedhof Monster verschmelzen, indem ich sie aus dem Spiel verbanne!“, erklärte Anya hitzig, griff nach ihrer Duel Disk und zog zwei Karten aus ihrem Friedhof, die sie in ihre Hosentasche steckte. „Der einzige Nachteil ist, dass das beschworene Monster am Ende des Zuges das Zeitliche segnet! Aber mehr brauche ich auch nicht! Mach dich bereit, ich entferne Garnet und den zweiten Tourmaline von meinem Friedhof! Garnet, du bist das Herz, Tourmaline, du die Rüstung! Vereint euch!“ Plötzlich tauchten überall im Raum die verschiedensten Edelsteine auf. Weiße Energielinien bildeten sich überall zwischen ihnen und boten eine spektakuläre Show. Doch vor Anya geschah etwas Besonderes, denn dort wurde ein regelrechtes Netz gebildet. Fast wie ein Loch mutete es an und das war es auch, als mit einem Mal ein Krieger in roter Rüstung daraus vor dem Mädchen auftauchte. „Endlich bist du hier, [Gem-Knight Ruby]!“ Mit wehendem, blauen Umhang und Lanze in der Hand, stand der Rubinritter direkt unter Pearl.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Und jetzt sieh zu und lerne! Ich opfere durch Rubys Effekt meinen Pearl, um Rubys Angriffspunkte um die von Pearl zu erhöhen! Zu mehr ist das nutzlose Ding eh nicht gut!“ Henry schreckte zurück. „Im Ernst!?“ „Aber so was von!“ Anyas Xyz-Monster löste sich in weißem Licht auf, welches von Rubys Lanze absorbiert wurde. Schließlich erglühte um den Ritter eine rosafarbene Aura.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 5100 DEF/1300 (6)]   Fassungslos starrte Henry den gestärkten Ritter an. „Das ist nicht wahr …“ „Tja, so ein Pech, was!? Dein dämliches Monster kann nur Angriffe blocken, die mit maximal 5000 Angriffspunkten ausgeführt werden! Sieht wohl so aus, als ob mein Ruby jetzt stark genug ist, um einen ganzen Planeten zu vernichten!“ Anya streckte zufrieden den Arm aus. Plötzlich wurde ihre Stimme ernst. „Du irrst dich. Abby ist für mich kein Anhängsel, sie ist die Einzige, die sich vorstellen kann, wie ich mich fühle! Und ja, verdammter Kackmist, ich bin eifersüchtig! Wie würdest du dich fühlen, wenn die einzige Person, der du vertraust, dir lauter Dinge verheimlicht!? Also hör gefälligst auf, dir einzubilden zu wissen, was andere Menschen fühlen! Kein Mensch kann jemals wissen, was der andere fühlt!“ Sie atmete ein letztes Mal tief durch, ehe sie befahl: „Los Ruby, Attacke! Sparkling Lance Thrust!“ „Pah … ist das ein schlechtes Omen oder was? Du und einen Planeten zerstören?“, fragte Henry plötzlich, als Anyas Monster auf den Gaia Cleaver zuraste und überging dabei bewusst ihren Appell. „Das lasse ich nicht zu! Von dir lasse ich mich nicht besiegen, niemals! Falle aktivieren!“ Erschrocken zuckte Anya zusammen. „Was!? Die habe ich total vergessen!“   Henry war erstaunt, gleichwohl aber auch rasend vor Wut. Dass dieses Mädchen es so weit gebracht hatte kam für ihn völlig überraschend. Vielleicht war sie wirklich nicht so dumm, wie er angenommen hatte? Aber selbst wenn das stimmte, änderte das nichts an ihrem Charakter. Allein ihn damit zu erpressen, Melinda etwas anzutun, war etwas, das er ihr niemals vergeben würde. Nein, sie würde seine Hilfe nicht erhalten, solange sie sich nicht grundlegend änderte! Zwar hatte er ursprünglich geplant, sie mit seiner letzten Fallenkarte unter Hilfe der [Damage Diet] auf seinem Friedhof zu besiegen, doch es war letztlich anders gekommen. Aber zumindest eins konnte er noch tun. „Ich aktiviere [Destruction Ring]! Jener vernichtet eines meiner Monster, um uns beiden 1000 Punkte Schaden zuzufügen!“ Anyas Gesichtszüge entglitten ihr regelrecht, als sie das hörte. Geschieht dir recht, dachte Henry sich dabei schadenfroh.   Noch bevor Ruby mit seiner Lanze den Planeten berührt hatte, explodierte dieser unter lautem Getöse von selbst und schleuderte den Krieger weit zurück. Anya wurde geblendet von dem grellen Licht und konnte nicht begreifen, was soeben geschehen war. Dieser Typ, er-   [Anya: 200LP → 0LP / Henry: 250LP → 0LP]   … hatte aus Verzweiflung tatsächlich ein Unentschieden provoziert. Die Hologramme verschwanden, sodass die beiden sich schließlich im Klassenraum gegenüber standen und in gebeugter, von der Anspannung hervorgerufener Haltung hasserfüllt anstarrten. „Das hast du wirklich gut gemacht!“, fauchte Anya garstig mit Schweiß auf der Stirn. Sie war so kurz davor gewesen, zu erfahren, wie sie den Pakt loswerden konnte. So nah dran!   Du hast gut gekämpft, Anya Bauer. Und damit meine Erwartungen an dich zum ersten Mal bei weitem übertroffen. Du warst deinem Gegner wahrlich ebenbürtig.   „Spar dir das, Levrier, ich habe nicht gewonnen!“, donnerte Anya aufgewühlt. Hätte sie doch nur bessere Karten gehabt, dachte sie dabei frustriert. Dann hätte sie ihn vielleicht besiegen können! Nur daran hatte es gelegen, ihr Spiel war besser denn je gewesen! Plötzlich stand Henry vor ihr und reichte ihr die Hand. „Gutes Spiel“, sagte er dabei steif. Allerdings wurde er dafür nur angeherrscht. „Was soll das jetzt!?“ „So zollt man dem anderen Respekt. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob du den verdient hast.“ Wütend schlug Anya seine Hand beiseite, wie schon beim letzten Mal, als sie sich duelliert hatten. „Deinen Respekt brauche ich aber nicht, Milchbubi!“ Die Hand sinken lassend, schüttelte Henry den Kopf. „Wie ich mir dachte, du hast tatsächlich nichts dazugelernt. Du bist vielleicht besser geworden, aber an deiner Einstellung hat sich nichts geändert.“ „Das ist nicht wahr.“   Die beiden drehten sich überrascht um, als Abby im Türrahmen stand. „Anya hat zum ersten Mal zugeben, dass sie verletzlich ist.“ Das Mädchen schritt auf die beiden zu und lächelte, wischte sich dabei mit einem Taschentuch eine Träne unter der Brille weg. „Ich hab die ganze Zeit alles mit angehört. Und ich finde es toll, dass du dir so viel Mühe gegeben hast, ohne dich von Levriers Fähigkeit abhängig zu machen, Anya.“ „Du bist nicht mehr wütend?“, fragte Anya skeptisch, als Abby vor ihr stand und lächelte. Jene schüttelte den Kopf. „Nein. Weil du recht hattest. Ich hätte dir diese Dinge nicht verschweigen dürfen. Und auch nicht hinter deinem Rücken mit Henry nach seiner Schwester suchen, obwohl du meine Hilfe genauso nötig brauchst.“ „Ich erinnere euch beide an unseren Deal“, mischte sich der brünette Kerl daraufhin ein. „Da Anya weder verloren, noch gewonnen hat, ändert sich nichts. Wenn ich Melinda gefunden habe, sage ich euch, wie ihr den Pakt brechen könnt. Eher nicht.“ Abby sah den jungen Mann daraufhin mit einem bedauernden Gesichtsausdruck an. „Tut mir leid, Henry, aber wir wissen bereits um diese Möglichkeit.“ „Was!?“, schoss es sowohl aus Anyas, als auch aus Henrys Mund. Nickend deutete Abby auf den Spross der Ford-Familie. „Deine Geschichte hat bestätigt, was Nick von Isfanel erfahren hat, als sie sich duelliert haben. Da Isfanel dein Paktdämon war. Er hatte gesagt, dass man den Tod überleben müsste. Und das hast du getan, nicht wahr?“ Henry rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Schätze die Katze ist damit aus dem Sack, was?“ „Stimmt das?“, fragte Anya, die sich nicht sicher war, ob sie überhaupt verstand, was da gerade abging. „Du bist 'ne Leiche?“ „Nein!“, widersprach Henry. „Aber es ist wahr, dass ich an der Schwelle des Todes stand. Es ist ...“ „Du kannst uns die Geschichte später erzählen“, unterbrach Abby ihn freundlich und richtete sich an Anya. „Aber vorher muss ich dir etwas zeigen. Erst dachte ich, es wäre keine gute Idee, bloß hast du schließlich ein Recht darauf, es zu sehen. Keine Geheimnisse mehr zwischen uns, nicht wahr?“ Neugierig kratzte sich Anya am Kopf. Damit war die Sache wohl ein für alle Mal erledigt – endlich! Brummig fragte sie: „Wenn du meinst? Um was geht es denn?“ „Valerie ist zurück“, antwortete Abby geheimnisvoll. „Und … du wirst es sehen, wenn du mitkommst.“ „Redfield? Pff, was interessiert mich Daddys kleine Prinzessin?“ „Sie wartet auf uns bei sich zuhause. Komm einfach mit, okay?“ Henry zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, das geht mich nichts an. Ich verschwinde und suche weiter nach Melinda. Abby, wirst du mir trotzdem helfen?“ Das Mädchen nickte freundlich, aber zurückhaltend lächelnd. „Natürlich. Aber Anya ist auch meine Freundin.“ „Ich weiß. Wenn ich irgendetwas Interessantes erfahre, was Eden betrifft, teile ich es euch mit. Aber erwarte nicht, dass ich warm mit ihr werde.“ Anya stemmte wütend die Hände in die Hüften. „Gleichfalls! Und hey, was ist jetzt mit deinem kleinen Geheimnis?“ „Abby wird es dir erklären, da sie wahrscheinlich ohnehin schon alles durchschaut hat. Mehr müsst ihr auch nicht wissen, das ist Privatsache. Also dann, tschüss ihr beiden.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und hob die Hand zum Abschiedsgruß, während er das Klassenzimmer verließ. Als er weg war, seufzte Abby nachdenklich. „Ich ahne, was vorgefallen ist. Kein Wunder, dass er so plötzlich weg wollte. Darüber spricht man bestimmt nicht gern.“ Anya, die keine Ahnung hatte, wovon ihre Freundin da sprach, zuckte mit den Schultern. „Mir egal, der Typ geht mir auf die Eierstöcke.“ „Er ist kein schlechter Kerl, er macht sich nur Sorgen um seine Schwester.“ „Was auch immer. Was ist jetzt mit Redfield?“ „Ja … lass uns gehen.“   ~-~-~   „... und was macht eigentlich Nick?“, fragte Anya, während sie zusammen die letzten Meter Richtung der Villa der Redfields nahmen. „Keine Ahnung, er hat mir zwar zusammen mit Henry und Valerie erzählt, was vorgefallen ist, aber seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht versteckt er sich, weil er Angst hat? Du weißt ja wie Nick ist.“ „Wenn ja, werde ich ihn schon aus seinem Loch holen“, schnaubte Anya. Wenn sie eines hasste, dann waren es Schisser. Es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte. Aber dass er sogar das Duell gewonnen hatte? Das zu glauben fiel ihr wirklich schwer. Nick doch nicht!   „Jedes Mal, wenn ich dieses Teil sehe, kommt die Pyromanin in mir hoch“, giftete Anya schließlich, als sie vor dem Grundstück der Redfields standen. Es war sehr farbenfroh gehalten. Überall wuchsen Rosenstöcke und andere Blumen, eine Hecke trennte an beiden Seiten das Grundstück von den Nachbarn. Das dreistöckige Gebäude hingegen war komplett weiß und ähnelte in seiner Form ein wenig jenem berühmten Haus, in dem sich die Präsidenten den Hintern wund saßen. Anya hasste es. Am Tor angelangt, betätigte Abby die Klingel. Kurz darauf meldete sich eine weibliche Stimme über Lautsprecher. „Ja bitte?“ „Hi Val-“ „Redfield? Ich hab gehört, du wolltest mich sehen?“, raunte Anya da schon in den Sprecher. „Anya? Du bist gekommen? Gut. Kommt rein“, antwortete Valeries Stimme tonlos und ein anschließendes Knacken deutete an, dass sie bereits aufgelegt hatte. Die Torflügel schwangen daraufhin auf, sodass die Mädchen über einen kleinen Kiesweg hin zur Haustür gelangten. Jene öffnete sich, noch bevor sie angekommen waren. Valerie schien sie wirklich zu erwarten, trat sie schließlich nach draußen und kam ihnen eilig entgegen. „Ich glaub, ich muss kotzen“, war Anyas erster Kommentar, als sie ihre geschworene Erzfeindin erblickte. „Was ist das da auf deinem Kopf, Redfield? Ein Propeller?“ Damit meinte sie die rosafarbene Schleife, welche das lange, schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Tadelnd zischte Abby: „Anya! Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für so etwas!“ „Ich freue mich auch, dich zu sehen“, entgegnete Valerie der Blondine kalt. „Kommt bitte mit.“ Und so folgten sie dem Mädchen in die Villa. Anya hatte ihre lieben Mühen, nicht eine der vielen Antiquitäten, die Valeries Vater sammelte, unauffällig zu demolieren. Das ganze Haus sah von innen viel älter aus, als von außen. Alles war mit Holz ausgearbeitet, wirkte alt und viel eher wie eine überdimensional große Winterhütte, denn wie die Villa eines Bürgermeisters. Zumindest war das Anyas Meinung. „In die Küche“, sagte Valerie stocksteif und führte sie in ebenjene. Und als Anya sie betrat, konnte sie ihren Augen nicht trauen. Dort, auf dem Tisch sitzend … „Was zur Hölle ist das denn!?“ „Oh, er hat wohl wieder Hunger. Zu dumm, bei Nick wird der Kühlschrank immer abgeschlossen, deswegen kommt er immer wieder hierher zurück.“ Anya wusste nicht, was das Ding dort war, das auf dem Esstisch der Familie Redfield saß und sich ein ganzes Tortenstück auf einmal in den Mund schob. Je länger sie es jedoch betrachtete, desto weniger wollte sie es wissen. „Darf ich vorstellen? Das ist Orion“, kicherte Abby. Der schwarze Schattengeist drehte sich zu den drei Mädchen um und starrte die Blondine mit seinen Kulleraugen an. Kurz musterte er ihre Statur, ehe er flötete: „Heiliger Mambajamba, ich glaub ich bin verliebt.“ Mit vorgehaltener Hand flüsterte Abby amüsiert zu Anya: „Das sagt er zu allen weiblichen Wesen.“ Orion hüpfte vom Tisch und lief auf Anya zu, was sich allerdings als fataler Fehler herausstellte, als diese ihn mit einem gezielten Kick gegen den Kühlschrank schleuderte. „Komm mir nicht zu nahe, du hässliches Ding!“ Von der Kühlschranktür herabrutschend, krächzte Orion. „Oh, eine Tsundere. Die liebe ich ganz besonders … aber diese hier ist irgendwie nur Tsun, kein bisschen Dere … Aua …“ „Redfield, was ist das für ein Ding!? Und was sucht es ausgerechnet bei dir!?“ „Joan hat mich zu ihm geführt. Er soll mich bewachen, wenn sie nicht da ist. Er ist ein Schattengeist, aber im Grunde ein guter Kerl … Hey! Nein Orion, wir machen unser Geschäft nicht in der Küche!“ Staunend sah Anya mit an, wie dieses Ding doch tatsächlich ein Häufchen auf Valeries teurem Parkettboden legte. Was ihm gleich die ersten Sympathiepunkte einbrachte. „Ich kacke dahin, wo's mir passt! Ich bin doch keine Katze, die-“ Doch schon war Valerie auf ihn zugestürmt und hatte ihn gepackt. „Du gehst jetzt schön auf dein Töpfchen!“ Mit dem laut protestierenden Orion verließ sie kurzerhand die Küche. Genervt murmelte sie im Vorbeigehen an die anderen beiden gewandt: „Bin gleich wieder da.“   Und kaum war Valerie um die Ecke verschwunden, wandte sich Anya enttäuscht an ihre Freundin. „Und deswegen hast du mich hierher gebracht?“ „Auch, aber-“ „Hi Anya, hi Abby.“ Anya drehte sich um. Und dieses Mal schien es, als würde ihr Herzschlag einen Moment aussetzen. Sie spürte, wie die Hitze in ihr aufstieg, war jedoch unfähig, etwas zu sagen, geschweige denn auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Das konnte nicht sein. Er war … „Hi Marc“, grüßte Abby den großen, kräftigen Footballspieler zurückhaltend. „Na, hast du Orion schon gesehen?“, fragte Marc Anya amüsiert, die es gerade noch so fertig brachte, zu nicken. „Ist schon ein komisches Kerlchen. Aber irgendwie lustig. Sein Stoffwechsel gibt mir aber zu denken.“ Einen Moment starrte der junge Mann irritiert das leere Kuchenblech auf dem Esstisch an. „Hat er den ganzen Kuchen gefuttert, den Valerie gebacken hat?“ „Ja, sieht so aus“, antwortete Abby ihm weiterhin schüchtern, dabei besorgt auf Anya schielend, die sich keinen Millimeter rührte. „Lass mich endlich runter“, kreischte jemand hinter Marc im Türrahmen. Valerie gesellte sich mit schockiertem Gesichtsausdruck zu ihm und ließ dabei glatt Orion fallen. Es war offensichtlich, dass sie nicht geplant hatte, dass Anya und Marc sich so begegneten. Wie in Trance sagte sie: „Anya, kann ich kurz mit dir unter vier Augen reden?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, packte Valerie die Blondine am Handgelenk und zerrte sie davon. Anya ließ es sich kommentarlos gefallen. „Was ist denn mit denen los?“, wunderte sich Marc unbekümmert. „Hat das etwas mit Orion zu tun?“ „Nein“, antwortete Abby ihm betrübt. „Eher mit dir.“ Marc schob den Ärmel seines Pullovers beiseite. Zum Vorschein kam sein verblasstes Paktmal, das Langschwert, das eins mit einer Flamme wurde. „Also hiermit …“ „Unter anderem“, gab sich Abby weiterhin knapp. Tatsächlich machte sie sich große Sorgen, um das, was Anya jetzt bevorstand. Die glaubte schließlich, Marc getötet zu haben. Dass er nun wieder zurück war … Und nicht zuletzt hatten Valerie und sie seit damals nicht mehr miteinander gesprochen. Aber die Anspannung der Schwarzhaarigen hatte sie, seit sie zurück war, die ganze Zeit über gespürt und nun befürchtete Abby, dass jene Anspannung sich gegen Anya entladen würde. „Hoffentlich geht das gut“, murmelte sie nachdenklich.   ~-~-~   Kaum hatte Valerie die Tür ihres Zimmers geschlossen, rammte sie Anya mit voller Wucht gegen ebendiese. „Damit eins klar ist: was du jetzt erfährst, wirst du niemandem erzählen! Nicht Abby, nicht Nick, nicht einmal Marc! Absolut niemandem, verstanden!?“ Anya, die zu verwirrt war, um zu protestieren, nickte. „Gut!“ Valerie ließ jedoch nicht ab von Anya, presste sie eher noch härter gegen die Tür. „Marc lebt, du hast richtig gesehen! Ich habe ihn zurückgeholt!“ „Wie … wie hast du das angestellt!? Ich … dachte er sei …?“ „Ich habe sozusagen meine Seele dem Teufel verkauft, um ihm sein Leben zurückzugeben.“ Ihre Stimme wurde leise, fast kaum mehr hörbar. „Merk dir das hier gut: Marc erinnert sich nicht an die Dinge, die an jenem Tag geschehen sind, als du ihn kaltblütig getötet hast! Alle denken, er hätte deinen Angriff, beziehungsweise den Brand überlebt! Das bleibt auch so, verstanden!?“   Anyas Herz trommelte in ihrer Brust wie niemals zuvor. All die Erinnerungen, die sie verdrängen wollte, kamen zurück. Marc, der sie töten wollte, um Valerie davor zu bewahren, ein Opfer Edens zu werden. Marc, der es am Ende nicht geschafft hatte, das auch durchzuziehen. Marc, der lieber selbst sterben wollte, als sie umzubringen und sie provoziert hat, ihm den Gnadenstoß zu versetzen. Wieso lebte er wieder? Was hatte Valerie da bloß getan?   Jene redete ungehalten weiter: „Marc weiß nicht, dass er tatsächlich versucht hat, dich umzubringen. Für ihn ist jener Tag so verlaufen, als hätte Isfanel ihn verlassen, weil er nutzlos geworden ist. Diese Erinnerungen habe ich ihm einpflanzen lassen, damit er nicht an seinen alten Erinnerungen zerbricht. Er weiß aber sehr wohl, dass er darüber nachgedacht hat, dich zu töten. Deswegen …“ „W-“ „Komm ihm nicht zu nahe, klar!? Du hast ihn mir schon einmal genommen! Ich habe alles von Marc erfahren: von Eden und den Opfern, die erbracht werden müssen! Ich weiß, ich bin eines davon und nur deshalb werde ich dir helfen, diesen Terror zu beenden. Aber lass-ihn-in-Ruhe!“ Valeries Finger bohrten sich tief in Anyas Oberarme. „Sonst wirst du deines Lebens nicht mehr froh werden.“ Anya sagte nichts. Deshalb schüttelte Valerie sie heftig. „Hast du verstanden!?“ „Ja!“   Tief durchatmend ließ Valerie schließlich von Anya ab, fand ihre Fassung wieder. „Gut … ich habe einen großen Preis gezahlt, damit Marc wieder lebt. Mach das nicht kaputt!“ Wie denn, dachte Anya aufgewühlt. Sie verstand nichts von all dem, was heute geschehen war. Es war einfach zu viel! „Orion ist auch nicht Joans Bote, sondern eine Art Wächter, der den von mir gezahlten Preis einfordert, wenn die Zeit gekommen ist“, erklärte Valerie weiter. „Aber all das bleibt unter uns!“ „Warum erzählst du mir das überhaupt!?“ „Damit du dir deiner Verantwortung bewusst bist! Nicht nur Marc hat eine neue Chance bekommen, sondern auch du! Was du getan hast, werde ich dir niemals vergeben! Aber zumindest hast du jetzt die Chance, dir selbst zu vergeben!“ „Aber-“ „Geh jetzt, Anya! Melde dich nur bei mir, wenn es wirklich wichtig ist! Ich kann deinen Anblick nicht länger ertragen!“ Wortlos kam die Blondine der Aufforderung nach und verließ Valeries Zimmer. Unwissend, was sie jetzt tun sollte. Marc war zurück … und mit ihm all die Probleme, denen sie zuvor aus dem Weg gegangen war.     Turn 22 – What I Didn't Dream About Jeannie Zwei Tage sind vergangen, seit Anya die Wahrheit über Valeries Verschwinden erfahren hat. Unverhofft meldet sich Matt bei ihr und scheint einen Weg gefunden zu haben, wie sie den Pakt mit Levrier brechen kann. Durch einen Jinn, demselben Fabelwesen, welches angeblich jedem, der seine Lampe besitzt, drei Wünsche gewährt. Anya, die zunächst skeptisch ist, begleitet Matt auf den Weg zum Aufenthaltsort der Lampe. Doch die Dinge geraten völlig aus dem Ruder, als … Kapitel 22: Turn 22 - What I Didn't Dream About Jeannie ------------------------------------------------------- Turn 22 – What I Didn't Dream About Jeannie     Anya Bauer, ich verstehe deinen Unmut, aber dies ist nicht die Zeit zum Trübsal blasen. Neun Tage haben wir noch Zeit, die letzten Vorbereitungen zu treffen, um Eden zu erwecken. Wenn wir scheitern, hat das für dich schlimme Konsequenzen! Und ich werde die letzte Chance verlieren, meine Bestimmung zu erfüllen!   Doch selbst Levriers eindringliche Worte erreichten nichts bei Anya. Zwei Tage war es jetzt her, dass sie Marc wiedergesehen hatte. Zwei Tage, in denen sie von so vielen Fragen und Zweifeln geplagt worden war wie nie zuvor. Es war der 2. November und Anya Bauer wusste nicht mehr, was richtig noch falsch war. Sie wollte nicht im Limbus enden, gleichwohl aber auch nicht Eden werden. Letzteres bedeutete neben dem Verlust ihrer selbst auch, dass sie Menschen opfern würde. Was kein Problem wäre, wenn nicht die Zweifel aufgetaucht wären.   In der Zwischenzeit hatte sie Abby von der Zusammenarbeit mit den Dämonenjägern erzählt. Und wie sie es erwartet hatte, war ihre Freundin nicht gerade davon angetan. Zwar akzeptierte sie Anyas Entscheidung und stimmte sogar zu, dass die Hilfe der beiden dringend benötigt wurde, doch ihre Gefühle insbesondere gegenüber Matt machten es auch für Abby schwer, sich mit dem Gedanken der Kooperation anzufreunden. Aber das war nicht das eigentliche Problem. Valerie, Matt, Alastair und diese Melinda – sie alle waren Zeugen der Konzeption. Aber Anya wusste in ihrem Inneren, dass vier Opfer nicht reichten. Dann waren da noch Henry … und Marc. Ihre Male waren verblasst, sie hatten den Pakt gebrochen. Weil sie gestorben waren. Abby hatte es ihr erklärt. So war man als Zeuge – anders als Gefäß eines Gründers – nicht unsterblich. Doch das eigene Leben war das Bindeglied zwischen Mensch und Dämon, völlig unabhängig vom Paktpartner. Wird es durchtrennt, verschwand der Pakt. So war Henry seinem Dämon Isfanel entkommen. Selbstmord. Mit anschließender Reanimation.   Hätte Anya die Wahl, würde sie es sofort ebenfalls probieren. Aber Levrier würde einfach ihren Körper übernehmen, bevor sie dazu kam. Das hatte er ihr deutlich gemacht und Anya wusste, dass er die Macht dazu besaß. Im Endeffekt konnte sie nichts gegen Levrier unternehmen, da er jeden Versuch, gegen seinen Willen zu handeln, im Keim ersticken würde. Es war zum Verzweifeln. Und selbst wenn sie dazu käme sich zu richten, wäre es extrem riskant. Denn würde sie dabei wirklich sterben, wäre der nächste Halt der Limbus, weil sie als Gefäß des Gründers einen besonderen Pakt geschlossen hat.   Von all dem wussten die anderen jedoch nichts. Jedenfalls hoffte Anya das. Andererseits, wenn Abby so viel von Matt und auch Henry erfahren hatte, bestand kein Zweifel daran, dass sie bereits seit Langem wusste was Anya im Falle des Versagens blüht. Und dass sie im Grunde nicht gerettet werden konnte. Denn selbst wenn sie den Pakt brach, würde sie irgendwann eines natürlichen Todes sterben … und im Limbus laden. Das hatte Anya erkannt, nachdem sie lange über Marc und all die Dinge nachgedacht hatte, die ihr in den letzten Wochen passiert waren. Wäre sie doch bloß ihrem Lieblingsmotto treu geblieben …   Mit trübem Gesichtsausdruck lag das Mädchen bäuchlings auf dem Bett und starrte in die Leere. „Levrier, woher soll ich wissen, was wir zu tun haben!?“, fragte sie ihren unsichtbaren Begleiter wütend. „Du bist doch der Gründer. Warum denkst du nicht etwas nach!? Die ganze Zeit hast du nichts gemacht, weil du keine Ahnung hattest. Tu gefälligst nicht so, als ob alles meine Schuld wäre!“ Wie ich dir bereits einmal erklärt habe, wurde mein Gedächtnis manipuliert. Anscheinend sollte ich vergessen, wie man Eden erweckt, lange bevor ich es das erste Mal versucht habe. Ich bin nicht einmal imstande genau zu sagen, warum ich nur noch diese eine Chance besitze, Eden zu werden.   Aber war es nicht merkwürdig, dachte sich Anya dabei. Wer würde Levrier so etwas vergessen lassen wollen und warum überhaupt? … im Grunde war es ihr egal, das war sein Problem. Nur hing sie da ebenfalls mit drin.   Wir sollten uns zumindest einmal die Orte ansehen, an denen die verschiedenen Pakte geschlossen worden sind.   Anya überlegte kurz. „Das wären die Aula, Victim's Sanctuary, vor unserer Gartentür und im Park … wobei Marc wohl eh nicht mehr zählt.“   Wir sollten es uns trotzdem ansehen. Außerdem hast du vergessen, Alastairs Pakt aufzuzählen.   „Ich habe bloß keine Ahnung, wo der Narbenfreak das gemacht hat.“   Ich aber. Schließlich habe ich dich damals dort hingeführt. Es ist der Ort, an dem du die Leiche dieses Jungen gefunden hast.   „Jonathan?“ Anya blinzelte verdutzt. Den hatte sie in all dem Ärger total vergessen. Sie hatte allerdings keine Lust, wieder die Bilder seiner gerösteten Leiche wach zu rufen. „Von mir aus, vielleicht seh' ich später da nach. Ich muss noch Hausaufgaben für Montag machen.“   Seit wann machst -du- Hausaufgaben?   Anya wollte antworten, dass sie das tat, seit ihr langweilig war. Doch das Telefon klingelte unerwartet, sodass sie vom Bett aufsprang und sich den schnurlosen Hörer von ihrem Schreibtisch schnappte, welchen sie in letzter Zeit erstaunlich oft benutzte. „Was!?“, herrschte sie in den Hörer. „Matt hier. Anya, hast du zufällig etwas Zeit?“ Auf ihre Armbanduhr schauend, die ihr kurz vor 3 Uhr nachmittags anzeigte, brummte Anya: „Ja, aber nur, wenn du gute Nachrichten hast.“ „Habe ich … vielleicht. Ich denke, ich habe einen Weg gefunden, wie wir dich von dem Gründer befreien können.“ „Da kommst du aber zu spät“, rümpfte Anya die Nase, „das weiß ich längst. Aber fast-krepieren ist leider keine Option.“ „W-was!? Was soll das heißen!?“ Anya stöhnte genervt. „Das Pennerkind Henry hat es mir erzählt. Kennst du nicht, ist aber nicht so wichtig. Er war selbst mal mit einem Dämon verpaktet … oder so … jedenfalls hat er sich selbst umgenietet, wurde aber rechtzeitig reanimiert. So hat er den Pakt gebrochen.“ Aufgeregt erwiderte Matt durch den Hörer: „Und das Mal? Ist es weg!?“ „Hmm, nein. Aber fast.“ „... verstehe. Wenn das so ist, würde ich mich nicht darauf verlassen, dass das stimmt. Womöglich ist es auch nur inaktiv.“   Der Gedanke ist mir ebenfalls gekommen. Aber da ich lediglich ein wenig Restenergie sowohl aus Marc Butchers, als auch aus Benjamin Hendrik Fords Elysion nach außen dringen gespürt habe, ist es schwer, eine wahre Aussage diesbezüglich zu treffen.   „Keine Ahnung, für mich kommt das jedenfalls nicht infrage.“ „Gut, ich hatte nämlich ohnehin eine Idee, die mehr Erfolg verspricht. Kennst du zufällig Aladdin?“ „Ja, wohnt gleich bei mir um die Ecke“, raunte Anya garstig, „was soll diese dämliche Frage denn? Für Disneyfilme bin ich zu alt! Guck dir das mit Alastair an!“ „Aladdin gibt es nicht erst, seit Disney Filme davon produziert hat. Die Geschichte entstammt ursprünglich einem Märchen. Außerdem geht es mir nicht um Aladdin, sondern um die Wunderlampe.“ „Soll das heißen … ?“ „Korrekt. Wir suchen einen Jinn.“ Erstaunt musste Anya glucksen. Ungläubig fragte sie: „Die gibt es wirklich?“ „Ja, was denkst du, woher dieses Märchen denn stammt? Allerdings sind Jinns unglaublich selten und das nicht ohne Grund. Aber wenn jemand dich von dem Pakt befreien kann, dann definitiv ein Jinn.“ „Und wie soll das gehen? Kann ich mir das von dem einfach so wünschen?“ „Erstmal müssen wir uns eine Lampe besorgen, die auch einen Jinn beherbergt und nicht nur etwas, das sich als Jinn ausgibt.“ Matt machte eine kurze Kunstpause. „Ich würde vorschlagen, du kommst hierher, damit ich dir alles in Ruhe erklären kann. Ein Bekannter von uns hat uns geholfen, eine Lampe ausfindig zu machen, bei der eine gute Chance besteht, dass ein Jinn drin ist.“ „Aber wieso ausgerechnet ein Jinn?“ „Jinns spielen in der obersten Liga der übernatürlichen Wesenheiten. Und wenn du etwas bekämpfen willst, ist es immer klug, dafür eine Kraft zu verwenden, die stärker ist als die deines Feindes.“ Matt lachte. „Genau deswegen sind schon viele auf falsche Jinns hereingefallen, weil sie deren Macht gesucht haben. Die echten sind deshalb so selten, weil andere Dämonen ihre Existenz als Gefahr für sich selbst betrachten und deshalb die Lampen vernichten. Was den Tod für einen Jinn bedeutet.“ „Mehr muss ich nicht wissen. Bin gleich da.“ Kaum hatte sie aufgelegt, warf sie den Hörer aufs Bett und suchte nach ihrem Rucksack. Denkst du wirklich, dass du dich an diesen Strohhalm klammern solltest, Anya Bauer? Der Matt Summers spricht die Wahrheit, Jinns existieren. Aber sie sind genauso selten, wie er es beschrieben hat. Was, wenn wir auf einen Betrüger treffen?   „Dann mache ich den einen Kopf kürzer“, raunte Anya und packte ihre Duel Disk in den Rucksack. Nur für den Fall. Ich werde nicht zulassen, dass du den Pakt auflöst.   „Warum übernimmst du dann nicht gleich meinen Körper und stoppst mich?“, erwiderte Anya abgelenkt und überlegte, ob sie Barbie mitnehmen sollte.   Das sollte ich. Aber nicht jetzt. Zunächst möchte ich sehen, ob wir es wirklich mit einem Jinn zu tun haben. Wenn dem so ist, könnte das sehr hilfreich für uns sein. Gewiss verfügt er über Wissen, welches mir verborgen ist.   Anya schulterte ihren Rucksack. „Da kann man wohl nichts machen, was?“ Mit diesen Worten verließ sie ihr Zimmer. Daran denkend, dass Levrier nicht bedacht hatte, dass er zwar ihren Körper übernehmen konnte, aber nicht Matts. Und der würde schon dafür sorgen, dass alles so lief, wie -sie- es wollte.   ~-~-~   „Der ist ja auch hier“, war Anyas erster, selbstverständlich abfälliger Kommentar, als Matt ihr die Tür des Motelzimmers öffnete. Damit meinte sie Alastair, der draußen auf dem Parkplatz irgendetwas im VW-Bus des Dämonenjägergespanns suchte. Das Motel, das sich am Stadtrand befand, machte schon außen aufgrund der wenig genutzten Parkmöglichkeit einen verlassenen Eindruck. „Wo soll er sonst sein?“, entgegnete Matt ihr im selben, flapsigen Tonfall. „Komm kurz rein, ich will nur schnell etwas holen.“ Kaum hatte Anya das bescheiden eingerichtete Motelzimmer betreten, runzelte sie schon die Stirn. „Lüftet ihr den Laden nicht mal? Hier stinkt's wie in einem Pumakäfig!“ Matt schritt hinüber zu einem kleinen Tisch, der in der hinteren Ecke des Raumes stand. Anya ihrerseits schlich sich zu den beiden Betten, die neben dem einzigen Fenster standen und grinste diebisch. Dann zog sie aus der Hosentasche einen kleinen Beutel hervor – feinstes Juckpulver, ihr Geschenk für Alastair. Ursprünglich war es für Redfield gedacht gewesen, doch im Moment wollte sie nicht an ebendiese denken. Außerdem hatte dieses Narbengesicht es nicht besser verdient! „Das ist mein Bett“, brummte Matt, als er misstrauisch über die Schulter blickte. „Und an deiner Stelle würde ich das lassen. Bisher hat niemand Alastairs Echo vertragen.“ „Tch, der soll nur kommen“, tönte Anya großspurig, schritt zum anderen Bett und verteilte großzügig das Juckpulver unter der Decke.   Nachdem sie fertig damit war, sah sie Matt an, als erwarte sie ein Lob. Doch der schwarzhaarige Dämonenjäger war bereits zur Tür gegangen und lehnte am Rahmen, auf das Mädchen wartend. „Wenn du mit deinem Schabernack fertig bist, können wir dann losfahren?“ „Wohin?“ „Zu dem Schloss, in das dieser Schlüssel passt“, antwortete Matt geheimnisvoll und hob seine Rechte, in der er einen kleinen Schlüssel hielt. „Ist heute angekommen, unser Paket. Wir werden es vom Bahnhof abholen, es liegt in Schließfach 2905.“ Anya ließ von Alastairs Bett ab und gesellte sich zu Matt. Den Schlüssel skeptisch betrachtend, fragte sie: „Und was finden wir darin?“ Er grinste keck. „Dreimal darfst du raten.“ Erstaunt sah Anya auf. „Die Lampe!?“ Matt nickte zufrieden. „Die einzig wahre. Ich wollte dir die Überraschung hier machen, nicht am Telefon.“ Das Mädchen, welches noch ganz verblüfft war, konnte ihr Glück gar nicht begreifen. „Aber woher hast du die!? Und so schnell? Ich dachte schon, wir müssen in irgendeiner Wüste danach graben!“ „Das haben andere schon für uns erledigt.“ „Wer!?“ „Hmm“, Matt fasste sich ans Kinn, „er ist ein guter Freund und Alastairs Ausbilder gewesen. Ich habe keine Ahnung, wie viele Gefallen wir ihm mittlerweile schon schulden.“ Der junge Mann strahlte förmlich bei seiner Erklärung. „Aber als ich ihm von deinem Problem erzählt habe, ist ihm sofort die Lampe in den Sinn gekommen. Wie er sie so schnell beschafft hat, weiß ich jedoch selbst nicht.“ Anya grinste über beide Backen. „Ist doch auch vollkommen egal, los, lass uns das Ding holen und diesen Kackmist beenden!“   Zusammen verließen sie das Motelzimmer und schritten hinüber zum Parkplatz, wo Alastair gerade die Kofferraumtüren des VW-Busses schloss. Als er sich zu ihnen umdrehte, rümpfte er die Nase bei Anyas Anblick. An Matt gewandt fragte er: „Geht es los?“ „Jap.“ „Dann viel Glück. Und sei vorsichtig.“ „Ich weiß“, antwortete Matt und nickte. Einen missmutigen Blick auf Anya werfend, erwiderte Alastair: „Mir gefällt nicht, dass sie an meiner Stelle mitkommen soll. Am besten lässt du sie hier. Ihr kann man nicht vertrauen.“ „Was!?“, fauchte Anya sofort außer sich. Matt stellte sich sofort alarmiert zwischen die beiden. „Wenn du damit Levrier meinst, bin ich mir der Gefahr bewusst. Aber -er- hat gesagt, wir sollen sie sicherheitshalber mitnehmen. Und wenn uns beiden etwas zustoßen sollte, wer räumt hinter uns den Scherbenhaufen auf?“ Auch wenn der letzte Teil eher scherzhaft gemeint war, hörte man doch leise Zweifel heraus. „Dieser alte Narr“, schnaufte Alastair und meinte damit offenbar seinen Ausbilder, „was denkt er sich dabei? Aber gut. Dank deiner neuen 'Kräfte' solltest du im Zweifelsfalle mit ihr fertig werden.“ „Klar.“ „Ich dachte wir sind'n Team!?“, empörte sich Anya. Matt grinste sie über die Schulter blickend an. „Ach, auf einmal? Neulich hat sich das noch ganz anders angehört.“ „Vermassele es nicht“, mahnte Alastair und machte sich auf den Weg zum Motelzimmer. Als er an den beiden vorbei ging, sagte Matt noch, seinem Freund den Rücken zugewandt: „Wird schon schief gehen. … Und wasch mal wieder deine Bettwäsche, die ist schon ganz muffig.“ Was Anya sofort mit einem Ellbogenstoß in die Rippen und einem: „Mistkerl!“ quittierte.   Nachdem sie in den Bus gestiegen waren und Anya ihren Rücksack nach hinten auf die Ladefläche geschmissen hatte, startete Matt den Motor. Kurz darauf waren sie bereits auf den Straßen Livingtons unterwegs, mit dem Ziel Bahnhof. „Was ist das?“, fragte Anya und griff nach den vielen Ketten, Rosenkränzen, Kreuzen und Amuletten, die vom Rückspiegel hinunter hingen. „Damit wollen wir Böses von uns fernhalten. Ich denke du kannst erahnen, was von Alastair ist und was von mir.“ „Hab da so'n Gefühl“, brummte Anya und ließ von dem Schmuck ab.   „Hör mal“, meinte Matt, als er gerade in eine Straße einbog. Und während er sprach, fuhren sie an dem riesigen Einkaufszentrum von Livington vorbei. Es war aufgebaut wie ein ovales Kolosseum, von hellblauer Farbe und versehen mit einem Glasdach. Viele Leute waren auf den Bürgersteigen unterwegs, betraten die einzelnen Geschäfte vom Außeneingang oder aßen einfach nur ein Eis. Denn der 2. November war ein ungewöhnlich schöner und vergleichsweise warmer Herbsttag. „Wir haben es hier mit einem Jinn zu tun. Alector, Alastairs und teilweise auch mein Ausbilder, hat gesagt, dass er echt ist“, begann Matt mit seinen Ausführungen. „Aber ich traue dem noch nicht ganz. Alector ist zwar sehr verlässlich, aber ohne den Jinn getroffen zu haben ist es schwer, seine Identität zu verifizieren.“ „Heißt soviel wie?“ Anya kratzte sich unbedarft am Kopf und grinste beim Blick aus dem Fenster, als sie an Ernie Winter und seiner Mutter vorbeifuhren, welche Anya im VW-Bus erkannt hatten und ihre Schritte beschleunigten. „Der letzte Dschinni, den ich gesehen hab, war blau und ultranervig. Sag, dass eure anders sind.“ „Keine Ahnung ob sie blau sind. Aber ultranervig könnte hinkommen. Aber was ich eigentlich sagen will: vertraue dem Ding nicht. Vertraue nie einem Jinn, egal ob er nun echt ist oder nicht. Und pass genau auf, was du zu ihm sagst. Jinns sind bekannt dafür, dass sie möglichst viel Interpretationsraum nutzen, um Wünsche zu erfüllen. Und da es nur wenige Aufzeichnungen über das Verhalten von Jinns gibt, ist anzunehmen, dass sie keine angenehmen Gesellen sind.“ Anya gab sich allerdings optimistisch. „Nen Versuch ist es wert.“ „Sehe ich genauso.“ „Und wie läuft das ab? Muss ich wirklich nur an der Lampe reiben?“ Wieder bog Matt in eine Straße ein. In der Ferne sahen sie bereits das große, längliche Backsteingebäude, das den Bahnhof darstellte. „Ganz so einfach ist das leider nicht. Du musst an ihr reiben, das ist wahr. Aber du musst sie mit deinem Blut einreiben. Außerdem meinte Alector, dass wir eventuell auch dein Blut dafür brauchen werden, um den Pakt zu lösen. Deswegen musst du mitkommen.“ Verdutzt blinzelte Anya. „Mit meinem Blut einreiben? Warum das?“ „Es funktioniert ähnlich wie ein Pakt. Der Unterschied ist, dass du durch dein Blut zum Meister des Jinns wirst. Aber du bist dadurch an ihn gebunden. Das heißt, du wirst ihn nicht eher wieder loswerden, bis du alle drei Wünsche aufgebraucht hast.“ Eins beschäftigte Anya jedoch schon eine ganze Weile. „Wie kann der überhaupt Wünsche erfüllen? Ich meine, schnippt der mit dem Finger und das war's?“ „Frag mich was Leichteres. Aber wir werden es herausfinden.“   Matt fuhr auf den weiträumigen Parkplatz neben dem Bahnhofsgebäude und stoppte den Wagen, nachdem er erstaunlich ungeschickt eingeparkt hatte. „Was hat das Narbengesicht eigentlich vorhin gemacht?“ Anya schaute über die Rückenlehne in den hinteren Teil des Fahrzeugs. Im Laderaum stand nur eine Holztruhe auf ein paar Decken. Ihr Fahrer zog den Schlüssel ab. „Vermutlich hat er ein paar Waffen für uns vorbereitet. Shotguns mit Salzkugeln als Munition, das Übliche. Aber so etwas funktioniert bestimmt nicht bei Jinns, zumal wir da nicht einfach bewaffnet rumlaufen können.“ „Kann ich mir eine davon ausleihen? Ich hab da noch-“ „Keine Chance“, polterte Matt, der genau wusste, woran Anya dachte. Aber er würde nicht daran schuld sein, wenn in Anyas Schule ein Amoklauf stattfand! Mit ernster Mimik fragte er: „Bereit?“ „Von mir aus“, brummte die Blondine sichtlich enttäuscht, fast schon schmollend. „Und denk gar nicht dran, dich heimlich zu bedienen! Die Kiste ist abgeschlossen, nur ich und Alastair haben einen Schlüssel.“ Anya schnaubte wütend: „Spielverderber!“ Das gesagt, öffneten beide zeitgleich die Türen und stiegen aus.   ~-~-~   „Von außen sah dieser Ort aber kleiner aus“, staunte Matt, als sie mitten durch den Haupteingang den Bahnhof betreten hatten. Gegenüber von ihnen führte bereits ein Weg direkt zu einem der Bahnsteige, über zwei Brücken innerhalb des Gebäudes konnte man die Gleise auf der gegenüber liegenden Seite erreichen. Die Treppen dazu befanden sich jeweils rechts und links von dort, wo die beiden sich umsahen. Zusammen schritten die beiden auf die große Kreuzung zu, die sich vor ihnen auftat. Hier gab es Schalter für Tickets, Informationsstände und auch ein paar Geschäfte wie Bäckereien. Doch besonders der linke Teil des riesigen Ganges wurde von Schließfächern eingenommen. Anya, welcher die vielen Menschen hier zuwider waren, zog Matt in genau jene Richtung. „Welche Nummer war das nochmal?“, wollte sie ungestüm wissen. „2905.“ „Hmm, hier ist 2879. Also noch etwas weiter in diese Richtung“, murmelte das Mädchen aufgeregt und zerrte den jungen Mann regelrecht hinter sich her. „Nur nicht so stürmisch!“, beklagte der sich, als er weiter geradeaus geschleift wurde. „Je früher das hier vorbei ist, desto besser für uns!“ „Schon klar. Aber sag mal … was ist mit deinem Dämon?“   Anya blieb abrupt stehen und ließ Matt los. Den hatte sie in ihrer Vorfreude völlig vergessen. „Ich … weiß nicht“, antwortete sie zögerlich und bekam auf einmal ein flaues Gefühl im Magen. War das … nein, niemals! Eine Anya Bauer hatte keine Angst! „Levrier“, rief sie deshalb, „willst du uns aufhalten?“ Keine Reaktion. Noch einen Moment abwartend, drehte Anya sich schulterzuckend zu Matt um. „Er antwortet nicht. Was bedeutet das?“ „Ich kann mich irren, aber vielleicht wartet er auf eine Gelegenheit, deinen Körper zu übernehmen. Du solltest mich die Sache mit dem Jinn regeln lassen.“ Sofort runzelte Anya die Stirn und wurde laut. „Nie im Leben! Das ist meine Angelegenheit, also regele ich sie, damit das klar ist!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, preschte sie weiter vorwärts und suchte nach dem Schließfach. Endlos erschien ihr die Suche, bis sie schließlich auf der linken Seite die abgeblätterten Ziffern 2905 erspähte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie zusammen mit Matt vor dem Fach stand, das sich auf ihrer Kopfhöhe befand. „Schlüssel!“, verlangte sie aufgeregt und riss diesen ihrem Begleiter regelrecht aus der Hand, kaum hatte er ihn gezückt. Anyas Hände zitterten, als sie ihn in das Schloss steckte, doch jenes wollte sich beim Umdrehen des Schlüssels nicht öffnen. „Lass mich mal“, sagte Matt, packte Anyas Hand, steckte den Schlüssel richtig rein und öffnete ihr das Fach. „D-danke“, brummte sie beschämt und wandte sich dem Inhalt des Schließfachs zu. Dort, in braunes Papier gewickelt, lag ein kleines Paket, nicht größer als ein paar aufeinander gestapelte Videospielhüllen. „Wow“, staunte Anya, überwältigt von der Tatsache, dass da tatsächlich etwas lag. Sofort schnappte sie sich das Paket, schloss die Tür des Fachs, wobei jenes jedoch einen Spalt offen blieb. „Pack es aus“, war nun auch Matt ganz aufgeregt bei der Sache.   Anya riss erst das Papier ab, dann öffnete sie das Paket darunter. Zum Vorschein kam eine Lampe, die genau dem Bild entsprach, welches man sich von ihr machte. „Schätze nicht alles, was in den Märchen vorkommt ist gelogen, huh?“, war Anyas erster Spruch, als sie die aus Messing gefertigte Öllampe in den Händen hielt. Mit ihrem langen Schnabel hätte man genauso gut Teetassen füllen können. „Tja … sieht ganz so aus.“ Überrascht beobachtete Anya, wie Matt aus seiner Hosentasche ein ausklappbares Messer zückte und wich instinktiv zurück. „Keine Panik!“, wollte der sie mit erhobenen Händen beruhigen. „Aber wir brauchen Blut, schon vergessen?“ „Hier!?“ Matt schaute über seine Schulter, dann wieder zu Anya. „Ich glaube nicht, dass jemand sieht, was wir hier machen. Es muss ja kein großer Schnitt sein.“ Skeptisch reichte Anya eine Hand nach der Waffe aus. „Meinetwegen. Gib her.“ „Aber nur, wenn du mir die Lampe gibst, okay?“ Der Blick des Mädchens verdunkelte sich. „Klar.“ Was Matt skeptisch werden ließ. „Sicher?“ „... nein. Deswegen … sorry.“   Ehe Matt sich versah, packte Anya mit ihrer freien Hand die halb offen stehende Schließfachtür und schlug sie, ohne mit der Wimper zu zucken, Matt direkt ins Gesicht. Dieser fiel stöhnend um, hielt sich eine blutende Nase. „Argh, was soll das!?“ „Wie gesagt, sorry, aber das muss sein!“ Während Matt sich, vom Schmerz gelähmt, am Boden hin und her rollte, schnappte Anya sich das auf den Boden gefallene Messer. Es war ihr völlig gleich, dass man sie dabei beobachten könnte. Geschickt ließ das Ding einmal in ihrer Hand rotieren, ehe sie sich die Lampe unter den Arm klemmte und sich mitten über die linke Handfläche schnitt. Sofort ließ sie unter einem schmerzerfüllten Seufzer das Messer fallen, nachdem das Blut aus der Wunde sickerte. Daraufhin nahm sie die Lampe in die unverletzte Hand und strich mit der blutenden über das Messing. „Komm schon, Dschinni, lass die Sau raus!“   Im Inneren der Lampe begann ein türkisfarbenes Licht zu leuchten, während jene selbst plötzlich durchsichtig zu sein schien. Ein eisiges Gefühl durchlief Anya, sie bekam schlagartig keine Luft mehr und kippte würgend zur Seite, sich an den Fächern abstützend. Dabei bemerkte sie etwas Erschreckendes. Die Zeit, sie war stehen geblieben! All die Menschen innerhalb des Bahnhofsgebäudes, sie rührten sich keinen Millimeter mehr. Selbst Matt, der immer noch am Boden lag und sich die Nase hielt, verharrte auf der Stelle. Auch hatte sich die Farbe der Umgebung grundlegend geändert – alles war Grau in Grau. „Alter Falter“, staunte Anya und sah die Lampe an. Noch immer leuchtete ihr Inneres. Unwissend, was sie tun sollte, rief sie: „Komm da raus, ich weiß, dass du da drin bist!“   „Das bin ich bereits“, ertönte eine wohlbekannte Stimme hinter ihr. Anya wirbelte um und stellte erstaunt fest, dass ihr Matt gegenüberstand. Dabei lag er gleichzeitig am Boden und rührte sich nicht. „Verstehe“, murmelte das Mädchen unter heftigem Herzklopfen findig. „Du hast keine eigene Form, also nimmst du seine.“ „Falsch. Aber ihr Menschen seid es gewohnt, dass ihr mit euresgleichen redet. Deswegen diese Form. Nun sage mir, was ist dein Begehren?“ „Gleich zum Geschäft? So was mag ich!“ „Noch nicht ganz. Vorher kläre ich dich über die Bedingungen und Einschränkungen auf.“ Der Jinn deutete auf die Lampe in Anyas gesunder Hand. „Die Zeit wird für dich erst weiterfließen, wenn du all deine Wünsche aufgebraucht hast. Deswegen wäre es in deinem Interesse, wenn du bereits weißt, wonach du strebst.“ „Keine Sorge, Kumpel, das weiß ich genau!“ „Dann wisse, dass ich keine Wünsche erfüllen kann, die über meine Kräfte hinausgehen.“ Innerlich schreckte Anya auf. „Und wie weit ist das?“ „Das kommt auf die Art des Wunsches an. Solltest du nach etwas verlangen, das ich dir nicht geben kann, ist dein Wunsch verloren. Drei Dinge kann ich dir unter keinen Umständen gewähren: ich kann niemanden ins Leben zurückrufen, ich kann die bestehende Weltordnung nicht ändern und ich bin nicht imstande, dir Kräfte zu verleihen, die meinen gleichkommen. Außerdem ist es nicht möglich, sich mehr Wünsche zu wünschen.“ „Meinetwegen“, schnaufte Anya. Wenn er ihre Wünsche eh nicht erfüllen konnte, war es sowieso egal, ob sie sie verlor oder nicht. Aber bevor sie sie aussprach, wollte sie noch etwas in Erfahrung bringen. „Und du tust das ohne eine Gegenleistung zu verlangen?“ Der Jinn verzog keine Miene. „Dir muss bewusst sein, dass du den Preis für deine drei Wünsche bereits gezahlt hast.“ Er deutete auf die Lampe. Anya sah das gute Stück überrascht an, ehe sie begriff. „Das Blut?“ „Mit deinem Blut werde ich für Jahrhunderte weiterleben. Das ist die Gegenleistung, die du erbringen musstest. Nun sprich deine Wünsche aus.“   Anya ließ den Kopf hängen. Zwei Wünsche hatten sich auf dem Weg zum Motel in ihrem Kopf eingenistet. Die Freiheit … und stärkere Karten. Letzteres bedeutete Unabhängigkeit. Auch wenn sie es nie offen zugeben würde, hatte das Duell mit Henry ihren Stolz verletzt. Sie wollte deswegen nie wieder ein Duell verlieren. Aber sich das, die Unbesiegbarkeit, zu wünschen wäre viel zu plump. Eher wollte Anya lediglich die richtigen Startvoraussetzungen dafür. Was sie aus dem Karten machte, war etwas anderes. Geschenkte Siege wollte sie nicht – sie wollte sie sich erarbeiten. Jedoch blieb die Frage offen, wofür sie den dritten Wunsch verwenden sollte. Auch für ihn hatte sie eine ungefähre Vorstellung … aber es behagte ihr nicht. „Nenne deinen ersten Wunsch“, verlangte der Jinn mit schneidender Stimme von ihr. Anya blickte auf und atmete tief durch. „Frage! Wünschen sich Jinns die Freiheit?“ „Nein. Wir sind an unsere Lampen gebunden, weil unsere Existenz darauf ausgelegt ist. Uns die Freiheit zu wünschen würde einem Todesurteil gleich kommen. Es gibt kein Leben außerhalb der Lampe für einen Jinn.“ Sein gleichgültiger Tonfall störte Anya. „Und du nimmst das so hin? Willst du nicht wissen, wie die Welt außerhalb der Lampe ist?“ „Wie ich sagte: unsere Existenz basiert darauf, uns vom Blut unserer Meister zu ernähren und ihnen ihm Gegenzug drei Wünsche zu erfüllen. Alles andere ist uns gleich.“ Selbst ein Roboter besaß mehr Emotionen, dachte Anya ärgerlich. „Von mir aus, dein Pech. Also, mein erster Wunsch …“ Sie sah wieder die Lampe an. Und erinnerte sich an Matts Warnung, mit ihren Worten vorsichtig umzugehen. Zunächst sollte sie ausprobieren, inwieweit der Jinn überhaupt ihre Wünsche umsetzte. Also sollte sie mit etwas Kleinem anfangen. „Sperr die Lauscher auf“, richtete sie ihr Wort an ihn und presste ihm die Wunderlampe in die Hand, „mein erster Wunsch: ich möchte neue Duel Monsters-Karten! Sie sollen dem Gem-Knight-Thema angehören und von der Spielstärke her besser sein als alle meiner bisherigen Karten.“ Um das zu verdeutlichen, griff Anya nach der Deckbox an ihrem Gürtel und zückte daraus zwei Karten. „Siehst du die beiden hier? Das sind [Gem-Knight Pearl] und [Gem-Knight Zircon]! Beide sind superselten und haben hohe Angriffswerte, aber keine Effekte. Sie sind nutzlos! Deswegen nimm dir zum Beispiel Zircon als Vorlage und erschaffe eine neue Karte, die besser ist als er und im Kampf gegen Dämonen auch was taugt, verstanden?“ „Du irrst dich bezüglich der schwarzen Karte. Aber wie du wünscht. Wie viele dieser Karten verlangst du?“ Darüber hatte Anya nicht nachgedacht. Zu viele wären auch übertrieben. Es sollten einfach gute Bossmonster und praktische Ergänzungen sein, die zu ihrem Spielstil passten. „Sagen wir fünf.“   Der Jinn nickte knapp. „Dein Wunsch wurde erfüllt.“ „Was!?“, staunte Anya. „So schnell?“ „Sieh in dein Deck. Es wurde nach deiner Vorstellung ergänzt. Aber bedenke, dass dein erster Wunsch somit unwiderruflich verloren ist.“ Sofort zog Anya ihr Extradeck aus der Box und ging die Karten durch. Und staunte Bauklötze. Mit strahlenden Augen sah sie auf. „Das ist genau, was ich wollte! Woher hast du das gewusst!?“ „Dein zweiter Wunsch“, überging der Jinn jedoch Anyas Frage.   Die steckte ihre Deckbox wieder an ihren Gürtel, schnappte sich von ihrem Gegenüber die Lampe und betrachtete sie nachdenklich. Der zweite Wunsch sollte eine Steigerung sein, um zu sehen, wie weit der Jinn gehen konnte. Ihren ersten Wunsch hatte er genau so erfüllt, wie Anya es sich erhofft hatte. Sogar sie hatte nicht an manche der Dinge gedacht, die er umgesetzt hatte. Er war eindeutig ein echter Jinn! Dennoch war da trotzdem eine Restspur Misstrauen. Und die Frage, wie sich ihr zweiter Wunsch nun gestalten sollte. Von dem Pakt befreit zu werden war vermutlich der größte, also sollte sie sich den bis zum Schluss aufheben. Bloß was konnte sie sich dann wünschen? Noch einige Kleinigkeit? Oder …? „Das ist schwer“, murmelte sie in Gedanken versunken, „ich könnte Redfields Euter schrumpfen lassen. Aber ein Arsenal an Superwaffen für meine angestrebte Weltherrschaft klingt auch nicht übel.“ Aber nein … das wäre alles Schwachsinn. Verdammtes Gewissen!   „Also schön, her gehört“, wandte sich Anya wieder an den Jinn, der sie abwartend aus Matts emotionsloser Miene anstarrte, „mein zweiter Wunsch: ich kaufe Valerie Redfield von ihrer Schuld frei, die sie bezahlt hat, um Marc Butcher ins Leben zurückzurufen. Aber das bleibt unter uns, verstanden!?“ „Dieser Wunsch bedeutet, dass Marc Butcher stirbt. Soll er dennoch erfüllt werden?“ Anya schreckte zusammen. „Huh!?“ „Die Schuld ist der Austausch für sein Leben. Wird sie nichtig gemacht, wird auch das Leben dieses Mannes enden, denn er lebt nur durch den Zauber des Collectordämons. Ich besitze nicht die Kraft, diese Ordnung umzukehren. Soll ich dennoch fortfahren?“ „Nein!“, polterte Anya aufgebracht.   Das kam völlig unverhofft. Demnach konnte sie sich nicht bei Valerie revanchieren. Aber wenn er das nicht umsetzen konnte, dann … „Dann lautet mein zweiter Wunsch, dass ich von Levrier getrennt werde! Kannst du das!?“, flehte sie förmlich. Bevor sie das nicht wusste, konnte sie sich keinen Kopf darüber zerbrechen, was sie in Punkto Valerie unternehmen sollte. „Dein Wunsch“, sprach der Jinn leise, „ist erfüllt.“ Woraufhin Anya von grellem Licht geblendet wurde.   Laut scheppernd fiel die blutverschmierte Lampe auf den Boden. Matt schreckte auf und betrachtete die Antiquität, sah dann hoch zu Anya. Sie rührte sich nicht vom Fleck, starrte in die Leere. „Au, verdammt!“, fluchte er und betrachtete das Blut an seinen Händen. „Was sollte das!?“ Als er keine Antwort erhielt, wurde er stutzig. „Was ist los? Hast du den Jinn getroffen?“ Nun drehte sie sich zu ihm um. „In der Tat. Ich bin frei.“ „Im Ernst!?“ Matt sprang sofort auf und packte Anyas Arm, zog den Stoff der schwarzen Lederjacke weg – aber das Mal des in einem Dornenkranz gefangenen Kreuzes war noch da. „Dann hast du dich verarschen lassen!“ „Oh … das ist kein Problem. Ich habe Levrier unter Kontrolle.“ Überrascht sah Matt auf. „Hast du dir das gewünscht? Aber dann-! Du Idiotin! Dadurch änderst du nichts! Der Turm von Neo Babylon wird trotzdem auftauchen! Was hast du dir dabei gedacht!?“ „Ich?“, fragte Anya tonlos. „Gar nichts.“ Mit einem Rückhandschlag wurde Matt hart gegen die Schließfächer geworfen. „Der zweite Wunsch dieses Mädchens lautete, dass sie von der Wesenheit Levrier befreit werden wollte. Ich habe ihren Platz eingenommen.“ Matt hielt sich schockiert die Wange. „Du bist der Jinn!?“ „Dem ist so.“ Anya hob die blutige Hand und starrte sie fasziniert an. „Sie hat gefragt, ob ich mir Freiheit wünsche. Ein absurder Gedanke. Dennoch … sind ihre Worte zu mir durchgedrungen. Ist das Freiheit?“   Plötzlich ging Anyas Körper in schwarzen Flammen auf. Matt wich schreiend zurück, aber er war nicht der Einzige, der schrie. Die Leute auf dem Bahnhof bemerkten das Feuer und flüchteten augenblicklich, riefen nach der Feuerwehr oder danach, dass jemand dem armen Mädchen helfen musste. „Ich verstehe dieses Konzept nicht. Freiheit. Was soll ich jetzt tun?“ Fassungslos betrachtete Matt die vollkommen von den Flammen verschlungene Blondine. Um das Feuer selbst machte er sich dabei keine Sorgen, Levrier würde Anya heilen – sofern er es konnte. Aber irgendwie musste er diesen Fluch umkehren, schnell! Sein Blick fiel auf die Lampe, die vor ihren Füßen lag. Aber wie sollte er sie zerstören? Die Waffen lagen im Wagen, und selbst wenn- Aber da kam ihm ein neuer Gedanke. Er musste schnell sein! Mit einem Hechtsprung warf er sich vor Anyas Füße und schnappte sich die Lampe, während er im Hintergrund hörte, wie jemand aufgeregt telefonierte. Aber die Schaulustigen waren ihm in dem Moment völlig egal. „Ich bin frei“, sprach der Jinn und sah auf Matt herab, „ich kann keine weiteren Wünsche mehr erfüllen.“ „Das glaube ich aber nicht!“, donnerte der Dämonenjäger und wischte kurzerhand seine blutbesudelte Hand an der Lampe ab. „Du bist mit deiner Pflicht erst durch, wenn du alle drei Wünsche erfüllt hast. Und der letzte gehört jetzt mir!“   Innerhalb eines Herzschlages wurde die Welt in Grau getaucht. Matt sprang mit der Lampe in seinen Händen auf und wich von dem Jinn zurück, der jedoch keine Anstalten machte, ihn zu attackieren. „Ich habe mich geirrt“, stellte dieser fest, „wie es scheint, kann ich doch noch einen Wunsch erfüllen. Aber nicht du bist es, der ihn stellen darf.“ „Doch, der bin ich!“, polterte Matt und zeigte ihm die Lampe vor. „Ich habe deine Lampe, an der mein Blut klebt! Da Anya ihn nicht stellen kann, werde ich es an ihrer Statt tun.“ „Richtig. Das Mädchen ist berechtigt, den letzten Wunsch zu stellen. Genau wie du. Deshalb kann ihn keiner von euch allein vortragen.“ „Dann hol sie her!“ „Unmöglich“, erwiderte der Djinn in seiner flammenden Gestalt tonlos, „sie ist an dem Ort, den sie sich gewünscht hat. Sie verlangte Freiheit und in ihren Herzen habe ich gesehen, dass sie fliehen wollte vor dieser Welt. Deswegen habe ich sie in eine andere geschickt. Ohne einen neuen Wunsch kann ich sie nicht von dort zurückholen.“ Matt brüllte regelrecht: „Aber wie soll ich den stellen, wenn sie nicht hier ist!?“ „Einer muss dem anderen das Recht dazu abnehmen, die Hälfte des Wunsches.“   Und daraufhin hatte Matt eine Idee. „Dann sollten Anya und ich uns duellieren! Um das Recht, den Wunsch äußern zu dürfen! Da du Anyas Körper besetzt hältst, bist du derjenige, der für sie antritt.“ „Das ist eine logische Konsequenz.“ Der Dämonenjäger horchte auf. „Heißt das, es ist machbar?“ „Das ist es.“ Stutzig erwiderte Matt darauf: „Und du würdest das machen?“ „Ja.“ „Aber warum? Solltest du nicht diesen Körper als deinen eigenen behalten wollen!? Deswegen hast du ihn doch übernommen, oder?“ Der Jinn sah wieder Anyas brennende Hand an. „Freiheit ist ein Konzept, das den Jinns fremd ist. Ich verstehe nicht, was es bedeutet, frei zu sein. Und ich strebe nicht danach. Mein jetziger Zustand muss geändert werden. Aber da ich der Vertreter des Mädchens bin, ist es mir unmöglich, dich gewinnen zu lassen.“ „Egal. Wenn du gewinnst, kannst du selbst den Wunsch benutzen, um alles wiederherzustellen.“ „Ein Jinn darf sich nichts wünschen. Jinns haben keine Wünsche. Nur Menschen.“   Matt stöhnte. Die Emotionslosigkeit dieses Wesens war unglaublich anstrengend. Aber er schien tatsächlich auf seiner Seite und ungewollt in diese Lage geraten zu sein. Was die Frage aufbrachte, warum Anyas Wunsch überhaupt schiefgegangen war. Hatte Levrier etwas damit zu tun? Es war im Prinzip egal. Erstmal musste er zusehen, dass er Anyas Wunsch übernehmen konnte. Was sicherlich kein leichtes Unterfangen werden würde.   „Ich habe eine Kopie deines Decks erschaffen und dir eine Duel Disk gegeben“, sagte der Jinn. Sofort spürte Matt die Last des Apparates an seinem Arm und sah ihn erstaunt an. Auch die flammende Anya besaß plötzlich eine. „Ich werde nicht das Deck benutzen können, welches dem Mädchen gehört, denn ein starker Wille hindert mich daran, welcher von einer ihrer Karten ausgeht. Deswegen werde ich ein anderes, willkürlich gewähltes Deck verwenden. Bedenke, dass ich nicht absichtlich verlieren kann.“ „Schon kapiert“, meinte Matt und ging etwas auf Abstand. „Dann lass uns anfangen.“ „Wie du wünscht, Gebieter.“   [Matt: 4000LP / Jinn: 4000LP]   „Den Erinnerungen meiner Meisterin nach, wird sie verlangen, dass ich anfange“, sprach der Jinn weiterhin tonlos und zog gleich sechs Karten von seinem Deck. „Tu, was du nicht lassen kannst“, brummte Matt. Er schwor sich, dass wenn er mit dieser Sache durch war, eine gewisse Anya Bauer das wahre Ausmaß des Begriffs 'Rache' kennenlernen würde. „Ich beschwöre [Serene Psycho Witch]“, kündigte der Jinn an und ließ eine futuristisch angehauchte, junge Frau mit bonbonfarbenem Haar vor sich erscheinen. In ihrer Hand hielt sie zwei mechanische Dolche, die mit Kabeln an ihrem Rücken befestigt waren.   Serene Psychic Witch [ATK/1400 DEF/1200 (3)]   „Da ich von diesem Punkt an nicht weiter agieren kann, beende ich meinen Spielzug.“ „Hmpf, kannst du nicht wenigstens so tun, als hättest du Gefühle?“, fragte Matt gereizt. „Dieser mystische Tonfall tut auf Dauer in den Ohren weh.“ „Dazu bin ich nicht in der Lage.“ „Dacht' ich mir!“ Matt wusste nicht, was schlimmer war. Sich mit dem Freak zu duellieren oder ihm zuzuhören. Aber was tat man nicht alles für seine Freunde?   ~-~-~   Schritt nach Schritt, immer einer nach dem anderen. Aber es brachte nichts. Wie weit sie auch ging, es war, als würde sie auf dem Fleck verharren, nie voran kommen. „Oh verdammter Kackmist, wenn ich den jemals in die Finger kriege-“, polterte Anya wutentbrannt. Niemals einem Jinn vertrauen, das hatte Matt gesagt. Immer seine Wünsche konkret formulieren. Warum zur Hölle hatte sie sich nicht daran gehalten!? Weil denken lästig war … aber wie die Dinge jetzt standen, musste sie wirklich ihre Meinung diesbezüglich überdenken. Argh, da war es schon wieder! Außerdem war nur Redfield schuld daran, dass sie jetzt hier war und das nur, weil sie der blöden Ziege ja unbedingt helfen wollte. Und als das nicht klappte, war Anya in Panik geraten! „Wehe du biegst das nicht gerade, Dämonenjäger!“ „Na na, immer mit der Ruhe. Es könnte schlimmer sein.“   Anya drehte sich verwirrt um. Hinter ihr war etwas, ein Mann im Schneidersitz. Der schwebte! „Okay, meine Hoffnung, dass das hier nur ein verfluchter Traum ist, ist gerade um 100% gewachsen“, sagte sie gallig in seine Richtung. „Oh Kind, du bist fernab von Traum oder Realität“, sprach der Fremde und drehte seinen langen Bart um einen Finger. In seiner anderen Hand hielt er einen Stab. Anya ein zahnloses Lächeln schenkend, löste er sich aus seinem Schneidersitz und schritt nun auf sie zu. „Es war schon lange niemand mehr hier. Würdest du einem alten Mann eine Weile Gesellschaft leisten?“   Missmutig sah Anya in die Richtung, aus der sie glaubte gekommen zu sein. Nichts. Nur diese ungesunde, violette Leere. Die ganze Zeit war sie hier umhergeirrt und hatte rein gar nichts gefunden! Was war das für ein Ort, der sich scheinbar ins Unendliche ausdehnte!? Wehe, der Dämonenjäger ließ dieses Mistvieh von Jinn entkommen! Sie schwor sich, beide selbst aus dem Jenseits – oder was auch immer das hier war – heraus zu verfolgen, bis ihre Köpfe neben dem von Valerie Redfield in ihrem Zimmer hingen. Selbst wenn sie sich daran nicht mehr erfreuen können würde! „Fein“, murrte sie in die Richtung des Alten. „Hab ja sonst nix Besseres zu tun. Wahrscheinlich hast du es schon gemerkt, aber ich bin neu hier, Opa. Wurde von 'nem Jinn gelinkt.“ „Ohoho“, lachte der Mann. „Das Problem ist mir wohlbekannt.“   ~-~-~   „Nur ein Monster? Das sollte nicht schwer werden“, sprach Matt im Angesicht der Psychohexe und zog auf, womit er schließlich sechs Karten auf in Hand hielt. „Für die habe ich schon die passende Antwort! Ich beschwöre den [Steelswarm Caller]!“ Ein humanoid anmutendes, schwarzes Wesen mit roten Insektenflügeln auf seinem Rücken erhob sich vor Matt, verharrte in gebückter Haltung.   Steelswarm Caller [ATK/1700 DEF/0 (4)]   „Angriff!“, befahl Matt und zeigte auf das Monster des in dunklen Flammen stehenden Jinns. Mit einem Satz landete der Insektenmann vor der rosahaarigen Hexe und riss sie mit seinen klauenbesetzten Händen entzwei.   [Matt: 4000LP / Jinn: 4000LP → 3700LP]   „Wenn [Serene Psychic Witch] zerstört wird, verbannt sie ein Psi-Monster mit einem Höchstangriffswert von 2000 von meinem Deck“, erklärte der Jinn und schob die gewählte Karte in ein Unterfach seiner Duel Disk. „Eine verdeckte Karte. Zug Ende!“, rief Matt nur. Seine Falle materialisierte sich vor ihm. „Das läuft doch gut!“   „Mein Spielzug“, kündigte der Jinn in seiner emotionsarmen Art an und zog, „nun kehrt das verbannte Monster auf mein Spielfeld zurück.“ Ein kleines, blondes Mädchen tauchte vor ihm auf. Sie trug einen Umhang und besaß einen Zauberstab, der eher an einen Morgenstern erinnerte, welcher durch mehrere Kabel mit ihrem Rücken verbunden war. Zudem schwebte sie in der Luft. „[Esper Girl]“, nannte sie der Jinn. „Wenn sie beschworen wird, verbannt sie die oberste Karte meines Decks.“ Welche prompt abseits des Spielfelds mit dem Kartenrücken nach oben zeigend materialisiert wurde.   Esper Girl [ATK/500 DEF/300 (2)]   Matt wunderte sich, warum der Jinn so ein schwaches Monster gerufen hatte, wo es ihm doch hätte möglich sein müssen, eine Kreatur zu rufen, die die seine spielend leicht zerstören konnte. „Ich beschwöre [Serene Psychic Witch] von meiner Hand als Normalbeschwörung“, erklärte der Jinn sein Tun und legte ein weiteres Exemplar seiner Hexe auf die Duel Disk, welche umgehend neben dem fliegenden Mädchen erschien.   Serene Psychic Witch [ATK/1400 DEF/1200 (3)]   „Nun führe ich eine Synchrobeschwörung durch, indem ich mein Stufe 2-[Esper Girl] auf die Stufe 3-[Serene Psychic Witch] einstimme. Aus ihnen wird der Stufe 5-[Magical Android].“ Das kleine Mädchen stieg in die Luft, zersprang in zwei grüne Lichtringe, die sich um die Hexe legten. Ein Lichtblitz folgte und schon stand vor dem Jinn ein neues Monster. Diese neue, junge Frau wirkte, als stamme sie aus einer fernen Zukunft. Mit elektronischem Schwert und Schild in der Hand, strahlte die Rothaarige große Zuversicht aus. Magical Android [ATK/2400 DEF/1700 (5)]   „Nun, da [Esper Girl] auf den Friedhof gelegt wurde, erhalte ich die verbannte Karte“, fuhr der Jinn mit seinem Zug fort. Die neben dem Feld liegende, verdeckte Karte löste sich auf, als er sie sich aus dem Unterfach seiner Duel Disk nahm. „Nach den Regeln dieses Duells greife ich nun dein Monster an.“ „Schon kapiert“, raunte Matt sichtlich angenervt. „Aber das war ein Fehler! Verdeckte Karte aktivieren! [Infestation Tool]! Ich schicke ein Steelswarm Monster von meinem Deck auf den Friedhof“, wobei er [Steelswarm Scout] vorzeigte und entsorgte, „und stärke meinen Caller dafür bis zur End Phase um 800 Angriffspunkte!“   Steelswarm Caller [ATK/1700 → 2500 DEF/0 (4)]   Die Kriegerin griff mit ihrem großen Schwert an, doch der Insektenmann flog über sie hinweg und schlug ihr hinterrücks mit seinen Klauen ein Loch in die Brust, woraufhin sie kreischend explodierte.   [Matt: 4000LP / Jinn: 3700LP → 3600LP]   „Man, das ist einfach gewesen“, murmelte Matt, „zu einfach …“ „Ich gehe nun in die Main Phase 2 und aktiviere die permanente Zauberkarte [Soul Absorption].“ Nachdem ein Abbild der Karte vor dem Jinn erschien – darauf gezeigt wurde ein Mann, dessen Seele von verschiedenen Dämonenköpfen ausgesaugt wurde – ging von ihr ein blaues Leuchten aus. „Ich fahre fort mit [Soul Release]“, sprach der Jinn, „womit ich fünf Karten von unseren Friedhöfen entferne. Diese sind zweimal [Serene Psychic Witch], [Esper Girl], [Magical Android] und [Steelswarm Scout].“ „Was!?“ Plötzlich schossen vier blaue Lichtsphären aus dem Friedhofsschacht des Jinns, sowie eine aus Matts Duel Disk. Sie alle wurden von dem blauen Licht von [Soul Absorption] angezogen und verschwanden schließlich in ihr. „Wann immer Karten verbannt werden, erhält der Besitzer von [Soul Absorption] pro Karte 500 Lebenspunkte.“ Der Dämonenjäger fiel aus allen Wolken. „Aber das sind 2500 Lebenspunkte auf einen Schlag!“ „So ist es.“   [Matt: 4000LP / Jinn: 3600LP → 6100LP]   „Nun aktiviere ich die Zauberkarte [Psychic Feel Zone]. Sie beschwört ein Psi-Synchromonster im Verteidigungsmodus von meinem Extradeck, indem ich zwei aus dem Spiel verbannte Materialien dafür zurück auf meinen Friedhof lege.“ Der Jinn zeigte [Magical Android] und [Esper Girl] vor, ehe er sie in den Friedhofsschlitz schob. „Zusammen ergeben sie Stufe 7. Es erscheint nun [Psychic Lifetrancer]“ Zwei grüne Ringe schossen aus dem Friedhof des Jinns in die Luft, gefolgt von fünf leuchtenden Sphären. Kurz darauf ging eine blasse, schwarzhaarige Frau in blauer Bekleidung vor ihm in die Knie. Ihre linke Körperhälfte war die einer Maschine.   Psychic Lifetrancer [ATK/2400 DEF/2000 (7)]   „Na klasse“, brummte Matt im Angesicht des Cyborgs. „Ich wusste doch, dass da was faul war!“ „Nun aktiviere ich den Effekt dieses Monsters. Ich verbanne ein Psi-Monster von meinem Friedhof“, sprach der Jinn und entfernte von dort den [Magical Android], „und erhalte 1200 Lebenspunkte. Dazu kommen weitere 500 Lebenspunkte durch [Soul Absorptions] Effekt.“ Wieder wurde eine Seele von seiner Zauberkarte verschlungen.   [Matt: 4000LP / Jinn: 6100LP → 7800LP]   „Was zum-!? Wie soll ich so viele Lebenspunkte auslöschen!?“ „Das musst du selbst herausfinden. Entweder das, oder du verlierst dein Anrecht auf den letzten Wunsch“, zeigte sich der Jinn unberührt. „Ich setze zwei meiner drei Handkarten verdeckt und beende den Zug.“ Die Karten materialisierten sich vor ihm. „Damit verliert mein Caller seine Bonuspunkte“, ging Matt widerwillig darauf ein.   Steelswarm Caller [ATK/2500 → 1700 DEF/0 (4)]   Das würde wohl länger dauern, dachte sich der Dämonenjäger dabei und zog schwungvoll. Eins stand fest, Anya würde tief in seiner Schuld stehen, wenn das erst vorbei war! Behände griff er sich ein Monster aus seinem Blatt und rief: „Tributbeschwörung: Caller geht, [Steelswarm Mantis] kommt!“ In einem wirbelnden, blauen Licht verschwand Matts geflügelter Insektenmann. Stattdessen trat daraus eine neue Kreatur. „Und nun aktiviert sich [Steelswarm Mantis'] Effekt, da ich sie als Tributbeschwörung gerufen habe! Für 1000 Lebenspunkte beschwört sie ein Steelswarm-Monster von meinem Friedhof und zwar den für ihre Beschwörung geopferten Caller! Außerdem ruft genau der, weil ich ihn als Tribut für die Beschwörung eines Steelswarm-Monsters angeboten habe, einen seiner Artgenossen der Stufe 4 oder abwärts von meinem Deck, [Steelswarm Sting]!“ Vor Matt tauchten gleich drei Monster auf einmal auf, nachdem er kurz zuvor erst sein altes geopfert hatte. Jenes war auch unter ihnen, dazu kamen noch [Steelswarm Mantis], der wie sein Name schon andeutete, ein schwarzer Mantismann war, sowie [Steelswarm Sting], eine pechschwarze Riesenhornisse mit Armen und Beinen.   [Matt: 4000LP → 3000LP / Jinn: 7800LP]   „Weiterhin aktiviere ich jetzt [Reasoning]! Nenne eine Stufe, danach schauen wir solange Karten von oberhalb meines Decks an, bis ein Monster darunter ist. Dieses wird beschworen, sofern es nicht die Stufe besitzt, die du genannt hast“, erklärte Matt den Effekt der Zauberkarte, die er in seine Duel Disk schob. „Stufe 8.“ Schon die erste Karte, die Matt von seinem Stapel aufdeckte, war ein Monster. „Pech gehabt, [Steelswarm Gatekeeper] ist Stufe 4! Los, erscheine!“ Noch ein Insektenmensch gesellte sich zu den anderen. Dieser aber ging auf vier Beinen und basierte auf einem pechschwarzen, gepanzerten Käfer. Damit besaß Matt nun gleich vier Monster, die er in einem Zug gerufen hatte, welche sich im ganzen Gang des in Grau gefangenen Bahnhofs ausbreiteten.   Steelswarm Mantis [ATK/2200 DEF/0 (5)] Steelswarm Caller [ATK/1700 DEF/0 (4)] Steelswarm Sting [ATK/1850 DEF/0 (4)] Steelswarm Gatekeeper [ATK/1500 DEF/1900 (4)]   Ohne Umschweife schwang er den Arm aus. „Los, Mantis, vernichte jetzt seinen [Psychic Lifetrancer]!“ Ruckartig flog der Mantismann mit den dünnen Flügeln auf seinem Rücken auf den weiblichen Cyborg zu. Doch jener wurde plötzlich ein helmartiger Apparat auf den Kopf gesetzt. Der Jinn sprach: „Das ist die Fallenkarte [Psychic Reactor]. Sie verbannt für diesen Zug alle kämpfenden Monster, wenn ein Psi-Monster in diesem Kampf verwickelt ist.“ Kaum hatte die Mantis den Cyborg mit einem Faustschlag niedergestreckt, lösten beide sich in blauem Licht auf und wurden zu Lichtkugeln, die von der Zauberkarte [Soul Absorption] absorbiert wurden.   [Matt: 3000LP / Jinn: 7800LP → 8800LP]   „Das ist doch nicht zum Aushalten“, schrie Matt regelrecht vor Wut und zeigte mit dem Finger auf seinen Gegner. „Aber ich kann dich jetzt wenigstens direkt angreifen!“ „Du irrst dich“, sprach der Jinn und ließ seine zweite Fallenkarte aufklappen. „Ich aktiviere [Brain Hazard]. Damit rufe ich ein verbanntes Psi-Monster zurück. Dies ist [Magical Android]!“ Matt erschrak, als aus dem Nichts die stolze, futuristische Kriegerin vor dem in schwarzen Flammen gehüllten Jinn auftauchte.   Magical Android [ATK/2400 DEF/1700 (5)]   „Verdammt! Das wird jetzt etwas wehtun, aber“, murmelte Matt grimmig, „von so etwas lasse ich mich nicht aufhalten! [Steelswarm Sting], opfere dich!“ Sein Hornissenmann schoss die Nadel an seinem Körperende auf die rothaarige Kriegerin ab, welche diese jedoch mit einem behänden Schwertschlag postwendend zurück zum Absender schickte. Getroffen von der eigenen Attacke, explodierte Matts Monster.   [Matt: 3000LP → 2450LP / Jinn: 8800LP]   Plötzlich bildeten sich Risse im Schwert des magischen Androiden. „Zu dumm! Wenn [Steelswarm Sting] das Zeitliche segnet, nimmt er ein Synchro-, Ritual- oder Fusionsmonster mit sich!“ Matt zeigte mit dem Daumen nach unten. „Abmarsch!“ Und schon platzte das Schwert auf und löste so eine Explosion aus, die seine erschrockene Besitzerin mit sich riss. Matt streckte da bereits den Arm aus. „Das hat mich ein paar Lebenspunkte gekostet, war die Sache aber wert! Gatekeeper, Caller, direkter Angriff!“ Seine beiden verbliebenen Monster setzten zeitgleich zum Angriff an. Und während der gepanzerte Käfer aus seinem Maul eine säurehaltige, gelbe Flüssigkeit spie, rannte der aufrecht gehende Insektenmann auf den Jinn zu und schlug mit seinen Klauen nach ihm.   [Matt: 2450LP / Jinn: 8800LP → 5600LP]   Als wäre jedoch nichts geschehen, verharrte der Jinn auf der Stelle. „Sehr gut, das ist immerhin ein Anfang“, murmelte Matt vor sich hin. Dennoch hatte er das Gefühl, kaum voran zu kommen. Plötzlich riss er den Arm in die Luft. „Und jetzt werden wir mal verhindern, dass du weiterhin ein Synchromonster nach dem anderen beschwörst! Ich erschaffe das Overlay Network! Xyz-Summon!“ Vor ihnen tat sich ein schwarzer Wirbel auf, welcher die beiden Insekten in Form violetter Lichtstrahlen in sich aufnahm. Matt brüllte dazu: „Steh mir bei, [Steelswarm Roach]!“ Aus dem Loch hervor trat ein edler Schabenritter, dessen goldener Umhang gleichzeitig sein Flügelpaar war. Mit einem Rapier in der Hand stellte er sich mutig seinem Feind, wobei zwei grelle Lichtkugeln um ihn kreisten. Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Doch etwas war merkwürdig, überlegte Matt und betrachtete das Mal an seinem Arm. Das sphärenartige Objekt, umhüllt von Dämonenschwingen, glühte nicht auf. Das letzte Mal, als er sein Paktmonster beschworen hatte, war dies jedoch der Fall gewesen. War Another etwa nicht hier? Allerdings störte das Matt nicht im Geringsten. Er hasste dieses Wesen ohnehin wie die Pest dafür, dass es ihn in einen Pakt gezwungen hatte. Ohne ihn hätte er Alastair zwar nicht beschwichtigen können, doch der Preis dafür war groß gewesen. Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt, um nachtragend zu sein. „Ich setze eine Karte verdeckt und beende meinen Zug“, rief Matt und ließ die gesetzte Karte vor sich erscheinen.   „Dann beginne ich meinen Spielzug“, kündigte der Jinn an und zog eine Karte, die er kurz betrachtete, ehe er die andere aus seinem Blatt ausspielte. „Beschwörung. [Silent Psychic Wizard].“ Aus dem Nichts tauchte ein in blau gekleideter Krieger mit hochmoderner Lanzenwaffe ausgerüstet auf, die durch Kabel mit seinem Rücken verbunden waren, welcher seinerseits von seinem Umhang bedeckt wurde. Der Jinn erklärte dabei: „Dieses Monster verbannt ein Psi-Monster von meinem Friedhof.“ Schon entsorgte er den [Magical Android], wodurch abermals eine Seele von seiner Zauberkarte absorbiert wurde. „Geht das schon wieder los!“, beklagte sich Matt lauthals darüber. „Verdammt!“   [Matt: 2450LP / Jinn: 5600LP → 6100LP]   Doch noch etwas bereitete ihm Sorgen. Ein Blick auf die Angriffspunkte des Psychokriegers verriet ihm, dass jener [Steelswarm Roach] ebenbürtig war.   Silent Psychic Wizard [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Und er hatte es kommen sehen, als der Jinn sagte: „Mein Monster greift nun deines an. Beide werden zerstört.“ Zeitgleich stürmten der Schabenritter und der Krieger aufeinander zu und lieferten sich ein erbittertes Duell mit ihren Waffen. Doch plötzlich grinste Matt verschlagen. „Ganz dumme Idee! Ich hab noch ein Ass im Ärmel! Los, Incarnation Mode! Ich rekonstruiere das Overlay Network und mache aus meinem Rang 4-Monster ein neues Rang 4-Monster!“ „Das ist nicht möglich. Einmischungen von außen werden nicht geduldet.“ „Was!?“ Matt schnappte nach Luft. „Soll das heißen-!?“ „Du kannst nicht auf die Kraft deines Paktpartners zurückgreifen. Der Kampf wird fortgesetzt.“ Der Schwarzhaarige war fassungslos. Selbst Another musste sich der Macht dieses Wesens beugen und konnte nicht eingreifen!? Dann war das tatsächlich ein echter Jinn! Es kam, was kommen musste: beide Monster landeten im selben Augenblick einen tödlichen Treffer und spießten sich gegenseitig auf, gingen zusammen in einer Explosion unter. „Verdammt!“, schrie Matt aufgrund des Verlustes seiner Schabe. „Effekt des [Silent Psychic Wizards] wird aktiviert. Er ruft nun das von ihm verbannte Monster auf mein Spielfeld. Und dieses wird dich angreifen.“ Mit Schrecken wich Matt zurück, als direkt vor ihm der [Magical Android] auftauchte und ihm einen heftigen Schlag mit ihrer Klinge verpasste. Doch Matt wehrte den Angriff mit erhobenem Arm ab und stemmte sich mit aller Kraft gegen ihn. „Nichts da! Meine Falle [Defense Draw] wird den Kampfschaden auf 0 setzen und mich eine Karte ziehen lassen!“ Unter einem leisen Surren klappte die gesetzte, purpurn umrandete Karte vor ihm auf und machte dem Kampf ein Ende. Die rothaarige Kriegerin sprang daraufhin unzufrieden zurück und landete vor dem Jinn, während Matt eine Karte zog und tief durchatmete. „Puh … wenn der durchgegangen wäre …“ „Schnellzauberkarte von meiner Hand: [Emergency Teleport]. Ich beschwöre als Spezialbeschwörung ein Psi-Monster mit maximal drei Stufensternen von meinem Deck, welches am Ende des Zuges verbannt wird. Dieses Monster ist [Mental Seeker].“ Erschrocken davon, dass neben der Kriegerin plötzlich aus einer Lichtsäule ein kleiner, grünhaariger Junge mit hellblauem Cape erschien, stieß Matt einen trotzigen Laut aus.   Mental Seeker [ATK/800 DEF/600 (3)]   Die Augen des Burschen wurden von einem Visor verdeckt und seine Beine waren durch jeweils ein Kabel mit seiner Hüfte verbunden. Er streckte den Arm aus, was Matt völlig überraschend traf, hatte er ganz vergessen, dass dieses Monster auch noch angreifen konnte. „Gargh!“, schrie er, als er durch eine unsichtbare Kraft nach hinten auf den Boden geschleudert wurde.   [Matt: 2450LP → 1650LP / Jinn: 6100LP]   „Nun führe ich in meiner Main Phase 2 eine Synchrobeschwörung durch“, kündigte der Jinn an, „indem ich meinen Stufe 3-[Mental Seeker] auf meinen Stufe 5-[Magical Android] abstimme. Daraus entsteht der Stufe 8-[Thought Ruler Archfiend].“ Matt sprang panisch auf, als er mit ansah, wie der kleine Junge in drei grüne Ringe zersprang, die sich um seine Partnerin legten. Ein greller Blitz blendete ihn, ehe ihm die Kinnlade hinunter klappte. Das neue Monster des Jinns war eindrucksvoller als alles, was dieser bisher gespielt hatte. Breite, ledrige Schwingen spreizten sich, als der mit einem Skelett überzogene Dämon in die Höhe stieg. Seine massiven Pranken und ein langer Schweif zeugten davon, dass er alles vernichtete, was sich ihm widersetzte. „Das wird immer besser …“, brummte Matt frustriert.   Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8)]   „Damit ist mein Spielzug beendet“, sprach der Jinn und gab mit leerer Hand und Hinterreihe – abgesehen natürlich von [Soul Absorption] – an Matt ab. Dieser griff unschlüssig, was er gegen so eine Kreatur unternehmen sollte, nach seinem Deck. Einzig seine höheren Tributmonster konnten es mit der Stärke dieses Monstrums aufnehmen, aber auch wenn sich ein solches auf seiner Hand befand, mangelte es ihm an den nötigen Tributen auf dem Spielfeld. Aufgeben war jedoch keine Option. Er hatte Anya in die Sache hineingezogen, nun würde er sie auch wieder da hinaus holen! Irgendwie!     Turn 23 – Last Wish Während Matt weiterhin darum kämpft, dass Anya befreit wird, ist die dazu gezwungen sich ausgerechnet mit dem alten Mann zu unterhalten, den sie in der Lampe des Jinns getroffen hat. Im Verlaufe des Gesprächs öffnet sie ihm jedoch unerwartet ihr Herz und redet über ihre Sorgen. Doch obwohl Matt seinerseits alles versucht, scheint der Jinn einfach zu stark zu sein. Bis Matt sein mächtigstes Monster, [Steelswarm Hercules], beschwört … Kapitel 23: Turn 23 - Last Wish ------------------------------- Turn 23 – Last Wish     „Wie lange bist du schon hier, Opa?“, fragte Anya missmutig, nachdem sie unerwartet schnell gelernt hatte, dass alte Männer sehr wohl im Schneidersitz schweben konnten. Sie wusste zwar noch nicht, wer dieser alte Kerl mit dem Wanderstock war, würde es aber gewiss jeden Moment herausfinden – leider.   Diese Welt war die Leere höchstpersönlich und so saßen sie sich nun beide im Schweben gegenüber. Auch hatte sich ihr Umfeld stark verdunkelt und einen tiefblauen Ton angenommen. Der Alte hatte Anya erklärt, dass es völlig gleich war, wohin sie ging – es gab keinen Ausgang. Was sie jedoch nicht wirklich überraschte. Aber auch keinesfalls glücklich stimmte. Anya verfluchte den Jinn für seinen miesen Trick. Er hatte sie hier eingesperrt! Wenn sie doch nur-!   „Die Hälfte meines Lebens, schätze ich“, erklärte er mit krächzender Stimme. „Anfangen hat es, ich war ein Archäologe besten Alters, in Indien. Da habe ich sie gefunden, die Lampe des Jinns, nachdem ich lange suchen musste.“ „Du wusstest also von ihm … ?“ Allein an Anyas unterschwellig genervten Tonfall konnte man erkennen, dass sie nicht in der Stimmung war, mit ihm zu reden. Sie wollte hier raus, verdammter Kackmist! „Natürlich. Aber im Endeffekt war er nicht das Wesen, das wir aus den sagenhaften Geschichten kennen.“ Der alte Mann seufzte schwer. „Dass du hier bist heißt, dass du jene Erfahrung ebenfalls gemacht hast.“ Anya ballte eine Faust und schlug sie auf den Boden, welcher jedoch nicht existierte, wodurch die Blondine mit dem Pferdeschwanz wiederum ungewollt vorneüber kippte. „Argh! Jep. Und wenn ich hier raus bin, gibt’s Saures.“ Woraufhin sie die Faust stattdessen in ihre Handfläche schlug. „Leider gibt es von hier aus kein Entkommen. Du musst wissen, dass wir hier in seiner Lampe sind.“ Daraufhin rümpfte Anya die Nase. „Mir doch egal. Und ich komme sehr wohl hier raus, du wirst schon sehen, Opa!“ „Schon einige haben das gesagt. Und sie alle sind irgendwann wahnsinnig geworden und haben ihrem Leben ein Ende bereitet. Ich bin der Einzige, der es all die Zeit über geschafft hat, meinen Verstand nicht zu verlieren.“ Wieder seufzte der Alte schwer. „Vielleicht gab es in der Welt da draußen nichts, was ich hätte vermissen können? Oder waren es am Ende meine Erinnerungen, die mich getröstet haben? Wer weiß das schon …“ „Ja, ja, sehr tragisch“, winkte Anya desinteressiert ab. Doch es gab etwas, was sie dennoch neugierig machte. Wohlgemerkt nicht auf positive Weise. „Wie viele waren hier?“ „Als ich hier angekommen bin, waren es zwei, doch beide waren bereits dem Wahn verfallen. Danach folgte noch ein weiterer.“ Der Mann zeigte ihr den erhobenen Zeigefinger. „Aber nur dieser Neuankömmling hat es länger als ein Jahr geschafft. Er war wirklich eine erstaunliche Person.“ Anya indes richtete den Blick auf ihren Schoß. Es war so ironisch, dass sie nicht einmal lachen konnte. Der Wunsch nach Freiheit hatte ihr ebendiese genommen. Und dieser Ort, die „Lampe“, sie war im Grunde das, was sie sich unter dem Limbus vorstellte. Eine leere Welt der Einsamkeit. Langweilig. Mit dem Fossil ihr gegenüber konnte sie auch nichts anfangen, der kannte wahrscheinlich nicht einmal Duel Monsters. Und auch wenn sie jetzt ein paar coole neue Karten für ihr Gem-Knight Deck besaß, brachten die ihr ohne Gegner auch nichts. Alles hing jetzt von Matt ab. Plötzlich schreckte sie auf. Ohne dass sie es wollte, schoss der schreckliche Gedanke aus ihr heraus: „Und was ist, wenn er mich im Stich lässt?“ „Von wem sprichst du?“ Anya ließ den Kopf hängen. Eigentlich wollte sie etwas Schroffes in Richtung das ginge ihn gar nichts an erwidern, doch ihre Zukunftsaussichten waren alles andere als rosig. Vielleicht würde dieser Mann bald alles sein, was … nein, daran durfte sie nicht denken! „Einem …“ Nein, er war kein Freund. „Er ist ein Dämonenjäger und war bei mir, als es passierte.“   Und was, wenn Matt wirklich daran dachte, sie hier zurückzulassen? Sie war jetzt hier, im Limbus 2.0, fernab davon, ihr Schicksal als Schlüssel zu Edens Erweckung zu erfüllen. Alastair würde sicher sein, ebenso Redfield und potentiell Marc, Henry und dessen Schwester Melinda. Es würde allen gut gehen und es gab für niemanden von denen auch nur den geringsten Grund, sie hier heraus holen zu wollen. Selbst bei Abby war sie sich nicht sicher, ob die sich nicht am Ende damit abfinden würde. Und Nick war ohnehin zu dumm, um irgendetwas ausrichten zu können – wenn er es überhaupt wollte … Der Einzige, dem überhaupt etwas daran gelegen war sie zu befreien, war Levrier. Und was dessen Verbleib anging, herrschte bei Anya große Ahnungslosigkeit. War er jetzt alleine? Oder gar tot?   „Vielleicht findet er einen Weg, die Wirkung des Wunsches aufzuheben“, versuchte der Mann sie nun aufzumuntern. „Dämonenjäger sind sehr gewiefte Menschen. Leider nicht immer gewieft genug, denn diese Menschen, die sich mit mir hier aufgehalten haben, waren ebenfalls Dämonenjäger. Ja, ja.“ „Selbst wenn er einen kennt, hätte er keinen Grund“, meinte Anya selbst überrascht von ihrer Niedergeschlagenheit und hielt dem Mann ihren Arm entgegen. Sie zog den Ärmel ihrer Lederjacke ein Stück hinauf und offenbarte das Kreuz im Dornenkranz. „Wegen dem hier.“ „Bist du dir sicher? Wenn er dein Freund ist, wird er es trotzdem versuchen.“ „Aber er ist es nicht. Wegen dem hier.“ Sie deutete auf dem Mal. „Bin sozusagen Staatsfeind Nummer 1.“ „Doch er hat dich zu dem Jinn geführt, nicht wahr? Er wollte, dass du von deiner Last befreit wirst.“ „Vielleicht hat er all das auch von Anfang an geplant“, erwiderte Anya wütend und schaute auf, „um mich loszuwerden. Er kann mich nicht töten, deswegen hat er mich in eine Falle gelockt.“ „Glaubst du das wirklich?“ Ihr Gegenüber fuhr sich mehrmals über den Bart. „Wenn du meinst. Dann ist er wirklich klug, dieser Dämonenjäger.“   ~-~-~   [Matt: 1650LP / Jinn: 6100LP]   Stöhnend wischte sich Matt den Schweiß von der Stirn. Ihm war nicht aufgefallen, wie heiß es auf dem Bahnhof war, seit die Zeit für alle Menschen außer ihn und den Jinn angehalten hatte. Was aber daran lag, dass ebenjener brannte wie ein Öltanker in einem Vulkan. Pechschwarz waren die Flammen, die den Körper von Anya komplett verhüllten. Matt vermutete, dass das die wahre Form des Jinns sein musste. Bloß war das nicht sein Problem. Jenes war der riesige Dämon, dem er in dieser grauen Welt gegenüber stand.   Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8)]   Seine mächtigen Schwingen weit ausspannend, starrte die mit einem Skelett bezogene Kreatur Matt angriffslustig an. Fast schlimmer noch war die permanente Zauberkarte des Jinns, [Soul Absorption], durch die er jedes Mal, wenn eine Karte verbannt wurde, 500 Lebenspunkte erhielt. Allein dadurch machte er Matt seither das Leben unsagbar schwer. Dieser war jetzt zwar am Zug, saß dennoch mächtig in der Patsche. Sein Feld war leergeräumt und einzig seine drei Handkarten konnten ihn unter Umständen davor bewahren, den Wunsch zu verlieren. Darum ging es hier schließlich, Anyas Hälfte des dritten Wunsches zu bekommen. Der Jinn, der Anya in diesem Duell vertrat, konnte sich selbst keine Wünsche erfüllen, obwohl auch er den missglückten zweiten Wunsch des Mädchens umkehren wollte. Deshalb musste er, Matt, der mit seinem Blut an der Lampe gerieben hatte, sich jetzt duellieren, damit er auch die andere Hälfte bekam. Erst dann konnte er Anya befreien. „Dann lass uns mal loslegen“, murmelte der Dämonenjäger schließlich und griff nach seinem Deck.   ~-~-~   „Mir ist langweilig“, brummte Anya genervt und bettete ihr Gesicht in ihre Hände, den Alten ungeduldig anstarrend. Der ständige Farbwechsel ihrer Umgebung ging ihr mittlerweile ziemlich auf die Nerven. Jetzt stand alles in grellem Gelb, es blendete schon fast. Wenn sie tatsächlich den Rest ihres Lebens so verbringen musste, würde sie vermutlich allein deshalb nach spätestens einer Woche irre werden. Sofern sie nicht vorher an einem epileptischen Anfall starb, weil sie sich dabei auf die Zunge gebissen hatte. Es war zum Kotzen! Seither hatten die beiden Gefangenen kein Wort mehr gewechselt, was der Hauptgrund war, warum Anya sich beklagte. Fast schien es, als würde der Opa darauf warten, dass sie von sich aus auf ihn zuging. „Ich könnte dir ja ein paar Geschichten erzählen“, bot ihr Gegenüber nun an, „vielleicht lernst du ja noch etwas über Dämonenjäger? Die, die ich kannte, haben vieles erlebt.“ „Von mir aus.“ Resignierend verschränkte Anya ihre Arme. Immerhin bekam sie dann etwas Ablenkung.   „Auf meinen Reisen sind mir viele Dämonenjäger begegnet, nicht nur die, die die Macht der Wunderlampe gesucht haben“, begann der Bärtige seine Erzählung wie ein erstklassiger Märchenonkel. „Einer von ihnen war dieser besondere Mann, der hier mit mir eingesperrt war. Er suchte die Lampe, anders als all die anderen, nicht aus Eigennutz. Oder vielleicht doch? Ich glaube, das ist Interpretationssache.“ Anya horchte interessiert auf. Welcher Mensch wünschte sich schon etwas ohne Eigennutz? „Was wollte er sich denn wünschen?“ „Das, was sich wohl die meisten von uns wünschen: er wollte die Menschen, die ihm lieb und teuer waren, wieder ins Leben zurückrufen. Doch nicht etwa, weil nur er sie vermisste. Nein, es gab da jemanden anderes, der diese zwei Menschen wesentlich dringender brauchte als er selbst.“ „Aber der Jinn kann keine Menschen wiederbeleben, hat er gesagt!“ Anya schnaubte. „Dein Kumpel war ein Trottel, wenn er sich das gewünscht hat, obwohl der Jinn ihn vorher aufgeklärt hat.“ „Oh? Nein nein nein, der Dämonenjäger hat sich etwas anderes gewünscht, als er die Regeln des Jinns erfuhr.“ Der Alte schenkte ihr eines seiner zahnlosen Lächeln und betrachtete anschließend seinen Stab. „Er wollte frei sein von dem Schmerz und der Verantwortung, den der Verlust dieser beiden mit sich brachte. Dieser Wunsch geschah aus Eigennutz. Und du musst wissen, die beiden, die er ins Leben zurückrufen wollte, waren ebenfalls Dämonenjäger. Gestorben durch die Hand ihrer Beute.“ „Das ist … Pech für die“, raunte Anya, die eigentlich etwas ganz anderes sagen wollte. „Mehr als nur Pech. Sie starben, weil sie sich überschätzt hatten. Aber ein Vater wird immer versuchen, seine Tochter zu retten, nicht wahr?“ Die Nase rümpfend, legte Anya wieder eine Hand auf ihre Wange und starrte bewusst zur Seite. „Nicht alle Väter, Opa …“ „Dieser hier schon. Sein Wunsch war es lediglich, sie wiederzusehen. Sie und ihren Ehemann, der ebenfalls starb. Damit sie sich um sein Enkelkind, ihren Sohn, kümmern konnten.“ Plötzlich klang der Fremde so unendlich traurig, dass Anya gar nicht anders konnte, als ihn anzusehen. „Aber indem er in seinem schwachen Moment die falschen Worte gewählt hatte … landete er hier.“ „Nicht losheulen“, motzte sie ihn unbeholfen an, „er ist doch jetzt tot und bei ihnen. Im Himmel oder sonst wo! Oder nicht?“ Aber unerwartet lächelte er sie wieder an und wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Du bist ein gutes Kind.“ „N-nein! Garantiert nicht!“ Was allerdings auf taube Ohren stieß. „Warum erzählst du mir nicht etwas von dir? Was hat dich dazu gebracht, den Jinn aufzusuchen?“   Genau das, was sie eigentlich vermeiden wollte, dachte Anya frustriert und ließ den Kopf hängen. „Spielt doch keine Rolle mehr …“ „Wir werden bestimmt noch viel Zeit miteinander verbringen. Natürlich kannst du damit warten, bis du dich bereit fühlst, darüber zu reden“, sprach er einfühlsam auf sie ein, „aber ich sehe doch, dass dich schon die ganze Zeit etwas bedrückt.“ „Es ist-“ Aber nein, sie konnte nicht darüber reden! Doch als der Alte sie so gütig ansah, dass sie seinen Blick nicht länger ertragen konnte, löste sich ungewollt ihre Zunge. „Es ist, weil ich bald sterben werde! Aber ich will nicht sterben!“ „Ist es wegen deinem Mal?“, fragte ihr Gegenüber mit Blick auf Anyas Arm, wobei der Blick auf Levriers Paktsymbol durch die schwarze Lederjacke wieder verborgen lag. „Ja …“, brummte Anya frustriert. „Ich war blöd genug, einen Pakt mit einem Gründer einzugehen. Was das ist, ist jetzt nicht weiter wichtig, kann ich dir auch später noch erzählen. Aber in neun Tagen wird etwas passieren, das mich entweder das Leben kostet und mich in die Hölle schickt … oder zu irgendetwas macht, von dem ich keine Ahnung habe, was es überhaupt ist.“ Der Alte zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. „Das klingt wirklich ernst. Welches Datum schreibt ihr denn? Ich habe leider schon lange den Überblick verloren.“ „Zurzeit den 02. November Zweitausend-…“ Den letzten Teil des Satzes hatte Anya nur leise genuschelt. „So viel Zeit ist verstrichen? Dann bin ich bereits weit über 80 Jahre alt“, empörte sich ihr Gegenüber, jedoch durchaus belustigt über diese Tatsache. „Aber dann heißt das, dass dein Todesdatum auf den 11.11. festgelegt ist.“   Anya schwieg kurz, seufzte dann leise. „So sieht's aus.“ „Das ist ein sehr besonderes Datum. Ein Omen. Was hast du dir gewünscht, um deinem Schicksal zu entkommen?“ „Frei zu sein, von meinem Paktpartner getrennt zu werden. Dadurch bin ich aber hier gelandet.“ „Dann hat der Jinn deinen Wunsch fehlinterpretiert, genau wie damals bei jenem Dämonenjäger, der seinem Schmerz entkommen wollte. Wie traurig. Anscheinend versteht den Jinn nicht, was Freiheit bedeutet.“ Aber die Miene des Mannes hellte sich auf. „Aber was ist mit deinem Freund, dem Dämonenjäger? Wird er dir nicht helfen?“ „Niemals“, brummte Anya, die sich zwischenzeitlich aus dem Schneidersitz gelöst hatte und nun beide Arme um die Beine legte, als sie jene an sich heranzog. Es war, als wolle sie sich vor den Blicken ihres Gegenübers verstecken. „Denn der wäre genauso dran, wenn ich leben würde. Er ist sozusagen eines der Opfer, die benötigt werden, damit ich mein Schicksal erfülle. Nur deswegen hat er mir geholfen. Niemand … würde jemandem wie mir helfen …“ Der Opa lachte jedoch fröhlich. „So ein Quatsch. Es gibt immer jemanden, dem man etwas bedeutet, Kindchen!“ „Nicht in meinem Fall.“ Schließlich sah sie mit betrübter Mimik auf. „Ist nicht so, als ob ich nicht geahnt hätte, dass das hier schief geht. Aber dass ich jetzt weg bin heißt auch, dass keiner der anderen Malträger sterben muss. Und es bedeutet, dass meine Freunde … nicht mehr Gefahr laufen, so zu enden wie die anderen. Abby und Nick …“ Der Alte strahlte sie nun förmlich an. „Da bitte! Du hast Freunde. Und du sorgst dich um ihr Wohl, also werden sie sich auch um dich sorgen und dich hier heraus wünschen. Glaub daran!“ Doch Anya ließ wieder den Kopf auf ihre Kniescheiben sinken. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“   ~-~-~   „Verdammt! Verdammt nochmal!“ Matt stand der Schweiß auf der Stirn. Seine gezogene Karte war nicht das, was er erhofft hatte. Damit konnte er lediglich etwas länger überleben. Den Blick auf den beflügelten Dämon vor dem Jinn werfend, musste sich Matt eingestehen, dass letzterer ein ganz schön harter Brocken war. Doch noch war nicht alle Hoffnung verloren! „Ich sehe mich gezwungen, diese Karte hier zu spielen: [One Day Of Peace]! Damit ziehen wir beide eine Karte, können aber bis zum Ende deines nächsten Zuges dem anderen keinen Schaden zufügen.“ Wortlos zogen sie beide eine Karte, womit der Jinn nun wieder ein Blatt besaß. Matts, welches aus vier Karten bestand, machte ihm jedoch wenig Hoffnung. „Moment-!“, platzte es aus ihm heraus, als er es noch einmal genau betrachtete. Damit konnte er-! Selbstbewusst verkündete er, als er ein Monster auf seine Duel Disk knallte: „Dieses Monster verdeckt und dazu noch eine gesetzte Karte! Das war's für diesen Zug!“ In horizontaler Lage tauchte der Kartenrücken des Monsters vor Matt auf, während direkt dahinter seine gesetzte Falle in vertikaler Position erschien. Lass es klappen, betete Matt im Stillen.   „Ich beginne meinen Spielzug“, kündigte der Jinn jenen an und zog. Matt indes ärgerte sich regelrecht über seinen teilnahmslosen Gegner. Selbst jetzt, da dieser einen beträchtlichen Vorsprung besaß, zeigte er keine Regung von der sonst so weit verbreiteten Überheblichkeit. Aber so war das wohl bei Jinns: sie kannten keine Gefühle. Nein, ganz stimmte das nicht. Die Neugier hatte ihn dazu getrieben, Anyas Körper zu übernehmen. Also war da vielleicht doch mehr? „Ich beschwöre [Split Psychic Manipulator].“ Unter dem unheimlichen Dämon tauchte ein alter, rundlicher Mann auf, der zwei Spritzen in den Händen hielt, die mit Schläuchen an seinem Kopf verbunden waren. Sein grauer Bart reichte bis zum Boden.   Split Psychic Manipulator [ATK/400 DEF/100 (1)]   „Durch seinen Effekt reduziere ich die Stufe des [Thought Ruler Archfiends] um eins und erschaffe eine Spielmarke, die [Split Psychic Manipulator] gleicht.“ Laut gackernd warf der Alte eine seiner Spritzen hoch in die Luft, welche das linke Bein des Dämons traf. An dem Schlauch ziehend, entnahm er jenem eine grüne Flüssigkeit, die dadurch direkt in sein Gehirn floss. Bis dem Alten ein neuer Kopf wuchs, der eines Babys.   Spalt-Spielmarke [ATK/400 DEF/100 (1)] Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8 → 7)]   „Nun benutze ich diese drei Monster, um eine Synchrobeschwörung durchzuführen.“ Matt entglitten die Züge. „Was!? Noch eine!?“ „Der Stufe 1 [Split Psychic Manipulator] stimmt sich nun auf die Stufe 1-Spielmarke und den Stufe 7 [Thought Ruler Archfiend] ab. Es erscheint daraufhin [Overmind Archfiend].“ Entsetzt verfolgte Matt, wie der Körper des alten Mannes zersprang und zu einem grünen Ring wurde, wobei der Kopf des Babys diesen zusammen mit dem Dämon passiert. Ein greller Lichtblitz blendete Matt, es folgte daraufhin ein grässliches Brüllen. „Unmöglich!“, stammelte Matt, als er dieses neue Monster sah. Äußerlich ähnelte es stark dem [Thought Ruler Archfiend], auch wenn der Skellettanteil an seinem Körper deutlich größer geworden war, wie die Bestie an sich, welche fast den halben Gang des Bahnhofs für sich in Anspruch nahm. Zudem glänzten die Knochen nun silbrig.   Overmind Archfiend [ATK/3300 DEF/3000 (9)]   „3300!? Das ist stärker als alles, was ich besitze!“ „Ich benutze nun den Effekt dieses Monsters und verbanne [Thought Ruler Archfiend] von meinem Friedhof.“ Aus dem Friedhof des Jinns tauchte eine blaue Sphäre auf, die umgehend von seiner permanenten Zauberkarte [Soul Absorption] aufgesaugt wurde.   [Matt: 1650LP / Jinn: 6100LP → 6600LP]   „Nun aktiviere ich [Miracle Synchro Fusion]. Indem ich ein Psi-Synchromonster und ein weiteres Psi-Monster von meinem Friedhof verbanne, ermöglicht es diese Zauberkarte, dass ich [Ultimate Axon Kicker] als Fusionsbeschwörung beschwöre.“ Matts Gegner schob [Magical Android] und [Split Psychic Manipulator] in das Unterfach der Duel Disk, welches alle seine aus dem Spiel entfernten Karten aufbewahrte. Zwei weitere Seelen stiegen daraufhin aus dem Friedhof auf und wurden sofort wieder von der permanenten Zauberkarte verschlungen, um deren Besitzer jeweils 500 Lebenspunkte zu schenken.   [Matt: 1650LP / Jinn: 6600LP → 7600LP]   „Will der mich verarschen!?“, hauchte Matt heiser, als vor dem [Overmind Archfiend] -noch- ein Monster derselben Größe auftauchte. Auch dieses ähnelte stark dem [Thought Ruler Archfiend], mit dem Unterschied, dass diese Kreatur keine Beine mehr besaß, dafür aber sein dämonischer Schweif wesentlich länger war.   Ultimate Axon Kicker [ATK/2900 DEF/1700 (10)]   Matt runzelte ärgerlich die Stirn. „Ich glaube, jetzt kapiere ich es. Diese beiden Monster sind die zwei möglichen Pfade, die [Thought Ruler Archfiend] beschreiten kann. [Overmind Archfiend] stellt das Böse dar, und dieser hier das Licht.“ „Ich verstehe diese Interpretation nicht. Doch auch wenn deine Zauberkarte dich vor Kampfschaden beschützt, gilt dies nicht für deine Monster. Darum greift [Ultimate Axon Kicker] dein verdecktes Monster an.“ „Sicher …“ Der vordere Dämon konzentrierte in seinen Klauenhänden einen grünen Energieball, den er schließlich auf Matts gesetztes Monster abfeuerte. Unter einer tosenden Explosion wurde [Steelswarm Genome], eine formlose, schwarz geschuppte Gestalt, regelrecht zerfetzt. Selbst Matt, der den Schlag nicht abbekommen hatte, wurde von einer heftigen Druckwelle zurückgeworfen.   Steelswarm Genome [ATK/1000 DEF/0 (2)]   Der Jinn sah Matt teilnahmslos an, als dieser tief durchatmete. „Wenn [Ultimate Axon Kicker] ein Monster in Verteidigungsposition angreift, wird unter normalen Umständen Durchschlagschaden zugefügt. Da dies jedoch diese Runde nicht möglich war, sind deine Lebenspunkte sicher. Allerdings hat mein Monster ein anderes im Kampf zerstört, daher erhalte ich dessen Angriffspunkte, um mein Leben zu verlängern.“ „Das auch noch!?“ Grüne Lichter tanzten um den entflammten Jinn in Anyas Körper.   [Matt: 1650LP / Jinn: 7600LP → 8600LP]   „Damit ist mein Spielzug beendet.“ Matt aber starrte nur mit entglittenem Gesichtsausdruck seine Hände an. „Irgendjemand da oben muss mich wirklich hassen! Wie zum Teufel soll ich so viele Lebenspunkte auslöschen!?“ „Fahre mit deinem Zug fort, Meister“, forderte der Jinn jedoch nur, ohne ihm die Antwort für sein Problem zu geben.   Matt betrachtete sein Blatt, das aus seinem besten Monster und einem weiteren Artgenossen bestand. Und er hatte noch seine verdeckte Falle. Damit würde er sich zwar über Wasser halten können, aber wenn er dieses Spiel nicht bald beendete, würde er den Kampf verlieren. Denn hier ging es nicht wirklich darum, das stärkere Monster zu beschwören. Es ging darum, wer am Ende zäher war, mit seinen Ressourcen besser umging. Und die Ressourcen des Jinns waren nicht etwa seine Karten, sondern seine Lebenspunkte, die durch seine Zauberkarte [Soul Absorption] schier unerschöpflich waren. Und nicht nur das, er besaß auch andere Wege, sie zu regenerieren, wie man anhand des [Ultimate Axon Kickers] sehen konnte. Lange würde das nicht mehr gut gehen. „Für jemanden, der seit hunderten von Jahren in einer Lampe eingesperrt ist, bist du wirklich eine harte Nuss“, lobte Matt seinen Gegner respektvoll. „Ich tue das, wozu ich erschaffen worden bin.“ „Keine Ahnung, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Aber ich muss dich besiegen, damit Anya zurückkommen kann!“ Der Jinn nickte. „Das ist korrekt. Um ihren Teil des Wunsches zu erlangen, musst du mich, ihren Vertreter, in diesem Duell schlagen. Wenn du verlierst, wird der Wunsch auf mich übertragen, doch aufgrund der Beschaffenheit eines Jinns ist es ihnen nicht möglich, ihre eigenen Wünsche zu erfüllen.“ Matt kratzte sich unsicher am Kopf. „Hast du denn einen?“ „Ich weiß es nicht. Aber ich spüre den Drang, die alte Ordnung wieder herzustellen. Ist das ein Wunsch?“ „Ich glaube schon.“ Komischer Kauz, dachte sich Matt dabei. Wie aussah, wusste dieser Jinn gar nicht, was Wünsche überhaupt waren. Beziehungsweise verstand sie einfach nicht. Er lachte auf.   „Keine Sorge, ich helfe dir dabei schon irgendwie! Ich bin am Zug! Draw!“ Voller Schwung riss Matt die Karte von seinem Deck und brauchte nur einen kurzen Blick von der Seite auf sie zu werfen, um zu erkennen, dass -sein- Wunsch sich erfüllt hatte. „Perfekt!“ Er nahm vor seinem Gegner eine aufrechte Haltung an. „Gleich ist alles vorbei! Da ich keine Monster kontrolliere, beschwöre ich [Steelswarm Cell] als Spezialbeschwörung von meiner Hand!“ Sofort tauchte vor ihm ein kugelrunder Käfer auf, dessen kreisförmiger Schlund voller spitzer Zähne war.   Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)]   Sofort schwang Matt daraufhin seinen Arm aus. „Nun meine Falle: [Infestation Ripples]! Für 500 Lebenspunkte reanimiere ich jetzt [Steelswarm Genome]!“   [Matt: 1650LP → 1150LP / Jinn: 8600LP]   Kurz darauf gesellte sich zu dem dicken Käfer die unförmige, geschuppte Gestalt, die eher einer wabbeligen Masse ähnelte, denn einem Insekt.   Steelswarm Genome [ATK/1000 DEF/0 (2)]   Matt zückte nun eine seiner verbliebenen Handkarten und grinste verschlagen. „Damit ist der Weg für mein mächtigstes Monster geebnet! Gegen den hier hat niemand eine Chance! Ich biete meine beiden Monster als Tribut an, wobei ich Genomes Effekt nutze und ihn als zwei Tribute behandle! Befalle diese Welt wie eine Epidemie, vor der es kein Entkommen gibt! Herr der Seuchen, [Steelswarm Hercules]!“ Vor Matt erhob sich daraufhin ein Wesen, das es von der Größe her locker mit den Monstern des Jinns aufnehmen konnte. Wie ein Kriegsherr mutete dieser humanoide, pechschwarze Herkuleskäfer an, dessen Flügel einem Umhang gleich über dem breiten Kreuz des Monsters lagen. Gleich zwei Armpaare besaß diese Kreatur, beide übersät mit dicken, goldenen Hörnern. Das untere, kleinere verschränkte er in majestätischer Haltung, als wolle er seinen Feinden zeigen, dass es niemand mit ihm aufnehmen konnte.   Steelswarm Hercules [ATK/3200 DEF/0 (10)]   Und das konnten sie auch nicht, wie Matt im Begriff zu erklären war. „Dieses Monster kann nur durch drei erbrachte Tribute gerufen werden, hat es dafür aber in sich!“ Plötzlich packte der Herkuleskäfermann mit seinem zweiten Armpaar zwei violette Energielanzen, die er aus dem Nichts erschaffen hatte. Der Dämonenjäger sagte dazu: „Einmal pro Zug vernichtet Hercules für die Hälfte meiner Lebenspunkte absolut -alles- auf dem Spielfeld, außer sich selbst!“   [Matt: 1150LP → 575LP / Jinn: 8600LP]   Die erste Lanze warf der mächtige Krieger in die Richtung des Jinns, welcher sich jedoch nicht einmal einen Millimeter bewegte. Die zweite stemmte er vor Matt in den Boden. „Sag Goodbye zu deinen Psychokreaturen!“, donnerte Matt siegessicher. Dann explodierten die Lanzen, erst die geworfene, noch mitten in der Luft zwischen den beiden Monstern des Jinns, dann jene vor Matt. Der gesamte Gang des Bahnhofs wurde unter lautem Krachen in tiefen, violetten Nebel gehüllt. Matt ballte eine Faust, als sich die Schwade um ihn herum zu lichten begann. „Das hat dich erwischt, huh?“ Als er aber zwei riesige Schatten vor sich erkannte, die sich aus dem Nebel abzuzeichnen begannen, verging ihm das Lachen. Und kaum war der Nebel ganz verschwunden, bestätigte sich seine Vermutung. „Du bist echt nicht kleinzukriegen, was!?“ Der Jinn, welcher sich hinter seinen Monstern aufhielt, antwortete: „[Ultimate Axon Kicker] kann nicht durch Karteneffekte vernichtet werden. Außerdem beschwört [Overmind Archfiend] ein durch seinen Effekt verbanntes Monster auf meine Spielfeldseite, sollte er zerstört werden. Deswegen ist [Thought Ruler Archfiend] an seine Stelle getreten.“   Thought Ruler Archfiend [ATK/2700 DEF/2300 (8)]   „Ach so? Stimmt, jetzt seh ich den Unterschied.“ Dieser Dämon war etwas kleiner und hatte Beine. Aber Matt setzte daraufhin nur ein keckes Grinsen auf und zückte seine letzte Handkarte. „Tut mir leid, aber ich habe mir schon fast gedacht, dass deine beiden Monster nicht so leicht tot zu kriegen sein werden. Genau wie du. Deswegen war das eben nichts weiter ein Testlauf! Der wahre Spaß fängt hiermit an! Mit dem Zauber [Origins Of Infestation]!“ Plötzlich platzten aus der Brust seines Herkuleskäfers, welcher in der Zwischenzeit alles verärgert beobachtet hatte, violette Sporen hervor. Es ächzte unter Schmerzen und streckte beide Armpaare weit aus, genau wie auf Matts Karte abgebildet. Dieser erklärte dazu: „Diese Zauberkarte funktioniert nur in Verbindung mit einem Steelswarm-Monster, das in diesem Zug als Tributbeschwörung gerufen wurde! Und sie hat es in sich! Jetzt erhält [Steelswarm Hercules] für alle seine Artgenossen und Infestation-Karten auf meinem Friedhof 200 Angriffspunkte, was insgesamt neun Stück sind!“ Der dämonische Käfermann stieß einen tiefen, kehligen Schrei aus.   Steelswarm Hercules [ATK/3200 → 5000 DEF/0 (10)]   „Und noch etwas!“, rief Matt plötzlich und fuhr sich dabei mit dem Handrücken über die blutverschmierte Nase, die er Anya zu verdanken hatte. „Dieses Monster kann zusätzlich zu seinem normalen Angriff für jedes Monster, das bei seiner Beschwörung geopfert wurde, noch einmal angreifen! Was zwei Zusatzangriffe für mich bedeutet! Das ist die volle Stärke meines Decks!“ Der Jinn nickte. „Ich verstehe. Demnach habe ich dieses Duell verloren.“ „Yeah …“ Matt schloss die Augen. „Tut mir leid für den Ärger, den Anya verursacht hat. Bald ist alles wieder so, wie es sein sollte.“ Dann riss er sie auf und streckte seinen Arm in die Höhe. „[Steelswarm Hercules], beende es! Greife die beiden Monster und anschließend den Jinn direkt an! Infestation's Solitude!“ Regelrecht kreischend reckte Matts Monster seine Brust nach vorn und schoss einen gewaltigen Laserstrahl daraus ab, der erst [Thought Ruler Archfiend], dann [Ultimate Axon Kicker] und schließlich den brennenden Jinn selbst erfasste. Eine gewaltige Druckwelle, ausgelöst durch die Zerstörung der Monster, erfasste Matt und drohte ihn mit sich zu reißen. Aber es war nicht nur eine, nein, immer wieder entstanden neue, die sich im ganzen Bahnhof ausbreiteten.   [Matt: 575LP / Jinn: 8600LP → 0LP]   „Nenne deinen Wunsch, Meister“, drang die Stimme des Jinns trotz des Getöses glasklar an Matts Ohr. Der, mit dem heftigen Wind kämpfend, wurde immer weiter nach hinten gedrückt. Ächzend rief er mit aller Kraft: „Ich wünsche mir, dass Anya Bauer in ihren Körper zurückkehrt! … zusammen mit allen anderen, denen durch deine Hand dieses Schicksal zuteil wurde!“ Erst gab es keine Antwort. Doch schließlich: „Dein Wunsch wurde erfüllt. Nun werde ich in meinen Schlaf zurückkehren.“ Die Druckwellen wurden zu stark für Matt. Schreiend wurde er mit ihnen gerissen, doch noch während er über den Boden flog, hörte er noch etwas. „Mein Wunsch ist es, dass die Lampe zerstört wird.“ „Huh!?“ Dann prallte er mit voller Wucht auf dem Boden auf. Alles wurde schwarz vor seinen Augen …   ~-~-~   „Was hast -du- dir eigentlich gewünscht, dass du hier gelandet bist, Opa?“, fragte Anya nach einer Weile neugierig und sah den Alten fragend an. „Die ganze Zeit hast du die Geschichten anderer erzählt und dir meine angehört. Aber warum du hier bist, weiß ich noch gar nicht.“ „Oh? Ich glaube doch.“ „Wie mein-“ Doch ein heftiges Beben erschütterte plötzlich die endlose Dimension. Anya kippte nach vorne, in die Arme des Mannes. „Was ist das!?“, schrie sie und starrte mit ihm zusammen in den 'Himmel', in welchem sich plötzlich Risse bildeten, aus denen goldenes Licht drang. „Wie es aussieht hast du doch Freunde, mein Kind!“, lachte er glücklich. Fassungslos beobachteten beide, wie dieser befremdliche Ort in sich zusammenbrach. Und als das Licht die beiden endlich erreichte, lösten sie sich auf.   Anya sackte nach vorne und wusste nicht, ob sie gerade fiel oder auf dem Boden lag. Aber nein, das war … Sie öffnete die Augen und lag auf der Brust des Mannes, welcher schwer atmete. Sofort schreckte sie auf und sah sich um. „Huh!?“ Sie befanden sich in einer Art Lager, überall standen Kisten mit Aufschriften und auch ein Gabelstapler war hier zu finden. „Ach so!“, schoss es aus ihr heraus, als sie schließlich verstand. Hier wurden die Briefe und Pakete gelagert und sortiert, damit sie später den Schließfächern zugeordnet werden konnten.   Sofort wandte sie sich an den alten Mann und packte ihn strahlend an den Schultern. „Wir sind frei! Opa, wir sind frei!“ „Ich fürchte … leider etwas zu spät …“ „Huh!?“ Der Mann öffnete keuchend seine Augen und sah sie mitleidig an. Seine Augen waren blutunterlaufen, ganz anders als noch vor wenigen Minuten. „Wie es aussieht … bin ich nicht mehr so jung wie du. In dieser Welt macht sich mein Alter bemerkbar.“ „Was redest du da!? Du siehst doch ganz fit aus für einen 80-Jährigen! Du kannst doch jetzt nicht einfach mir nichts, dir nichts krepieren!“ „Die Welt in der Lampe hat innerhalb der Jahre das Innere meines Körpers verändert. Ich musste nie essen, aber habe trotzdem so lange überlebt. Ich glaube, deshalb kann ich außerhalb der Lampe nicht mehr existieren.“ Doch Anya schüttelte ihn nur aufgeregt. „Rede nicht so'n Unsinn, das war doch alles nur Magie! Jetzt ist es vorbei!“ „Du hast Glück, dass du nicht lange dort warst.“ Der Mann lächelte glücklich, als ihn ein Hustenanfall mit blutigem Auswurf heimsuchte. Hilflos sah Anya sich um, doch es gab nichts, was sie tun konnte. Als der Anfall sich gelegt hatte, schloss er die Augen. „Du hast mich nach meinem Wunsch gefragt. Wahrscheinlich hast du es längst durchschaut, aber ich … war der Dämonenjäger, der versucht hat, seine Familie wiederzusehen.“ „Dann stirb jetzt nicht!“, schrie Anya aufgebracht. „Wir finden bestimmt einen Weg! Es gibt so vieles, was-“ „Du bist wie mein kleiner Enkel damals. Stur, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann, ein Mittel zu finden kann, wie du Edens grausamen Fluch loswirst.“ Anya schreckte zurück. „Du weißt-!?“ „Sag meinem Enkel, wenn du ihm jemals begegnest … sag A- …“ Doch der Kopf des Mannes kippte zur Seite, bis sein Körper sich in grellen, tanzenden Lichtern aufzulösen begann. Anya fasste sich an die Wange, als sie realisierte, dass er tot war. Sie war nass. Die andere auch. Ihre Augen, warum weinte sie? Warum weinte sie!? Und wieso hörte es nicht auf!? „Tut mir leid …“, schluchzte sie unter bitteren Tränen. „Es tut mir so leid …“   ~-~-~   Matt schlug benommen die Augen auf. „Oh Gott sei dank, er ist wach!“, hörte er eine fremde Stimme rufen. Ein Mann, den er nicht kannte, beugte sich über ihn. „Junge, bist du okay? Auf einmal lagst du am Boden.“ „Mir ist nur etwas schwindlig“, log Matt, als er die Menschentraube um sich herum bemerkte. Tatsächlich war ihm aber -sehr- schwindlig. „Na Dornröschen, endlich aus dem Prinzessinnenschlaf aufgewacht!?“ Der Dämonenjäger schreckte auf, als sich ein Teil der Traube auflöste. Mit verschränkten Armen stand Anya vor ihm. Sie wirkte unglaublich mitgenommen, aber ansonsten unversehrt. Keine Brandwunden. Matt sprang auf und wollte ihr entgegen kommen, doch ein Faustschlag streckte ihn nieder und warf ihn direkt auf den Boden zurück. Sofort regten die umstehenden Leute sich auf, doch Matt gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt. Mit aufgerissenen Augen schrie er sie von unten herab an: „Ist das der Dank dafür, dass ich gerade deinen Arsch gerettet habe!?“ „Nein! Das ist die Strafe dafür, dass ich solange warten musste, Mistkerl!“ „Du undankbares Miststück!“ Plötzlich reichte Anya ihm mit abschätziger Miene die Hand. Es schien ihr geradezu größte Mühen abzuverlangen, die folgenden Worte auszusprechen: „Trotzdem danke.“ Einen Moment mit eisigem Blick verharrend, packte Matt schließlich mit wütendem Augenrollen ihre Hand und ließ sich von ihr aufhelfen. „Keine Ursache. Und sei froh, dass ich keine Mädchen schlage. Sonst würdest du jetzt durch jeden Türschlitz passen.“ Gott, jetzt redete er sogar schon wie sie! Einen schlechteren Einfluss als die Blondine konnte es gar nicht geben! „Ja, nur treten“, brummte Anya und erinnerte sich an ihre letzte Begegnung. Matt wirbelte um und wies die anderen Leute um sie herum mit scheuchender Handbewegung an, dass alles gut war und sie verschwinden konnten. „Abmarsch Leute, hier gibt es nichts zu sehen, alles ist gut!“ „Ja, zieht Leine!“, half ihm Anya und die, die sie erkannt hatten, entfernten sich eiligen Schrittes von den beiden. Was nicht gerade wenige Leute waren. Eben die letzten Nullnummern, die immer noch nicht geschnallt hatten, wer da vor ihnen stand. „... hier hat es nicht gebrannt, wie man sieht!“, rief Matt denen zu, die immer noch davon überzeugt waren, dass kurz zuvor ein Feuer getobt hatte. „Komm, lass uns schnell verschwinden“, meinte Anya schließlich, nachdem das Chaos sich etwas gelegt hatte, und schnappte sich kurzerhand die Lampe, die vor dem Postfach auf dem Boden lag. „Ehe die Cops kommen, weil jemand mich verpetzt hat.“ „Gut …“   ~-~-~   „Wo warst du überhaupt die ganze Zeit, als der Jinn deinen Körper besetzt hat?“, fragte Matt sie neugierig, als die beiden schließlich im VW-Bus des Dämonenjägergespanns saßen. Anya, mit der Wunderlampe auf dem Schoß, drehte sich verwirrt zu ihm um. Erst zögerte sie etwas, ehe sie antwortete: „Im Elysion, wo sonst? Levrier war auch da. Der Jinn hat ihn schon unterdrückt, als wir den Bahnhof betreten haben.“ Matt schüttelte genervt den Kopf. „Dasselbe bei meinem Exemplar. Aber das hätte verdammt nochmal echt ins Auge gehen können! Was hast du dir dabei gedacht, mir einfach eins reinzuwürgen!?“ Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Wollte verhindern, dass du dich einmischt.“ Beschwichtigend, aber doch gleichzeitig mit ihrer typischen, unterschwelligen Boshaftigkeit, fügte sie noch hinzu: „Außerdem steht dir die Nase irgendwie gut zu Gesicht.“ Daraufhin schnaufte ihr Gegenüber wütend. „Hätte ich mich nicht eingemischt, wärst du jetzt nicht hier!“ „Ich hab mich doch schon bedankt!“ „Ja …“ Matt stöhnte und tupfte sich mit einem Taschentuch dabei die blutige Nase ab. „Auf jeden Fall sollten wir das Ding zerstören.“ Er deutete auf die blutbesudelte Messinglampe auf Anyas Schoß. „Daraus entspringt nichts Gutes! Außerdem war es der Wunsch des Jinns … glaub ich.“ „Oh, damit hab ich keine Probleme“, brummte Anya und schaute sich die Öllampe wütend an, drehte sie in ihren Händen. „Am Ende war alles nur falscher Zauber. Obwohl, die Karten hab ich noch …“ „Die was?“ „Nichts“, wich sie seiner Frage aus. „Tch, was auch immer. Aber ich glaube“, Matt seufzte schließlich und warf das Taschentuch über seine Schulter, um sich ein neues aus dem Fach vor Anya zu holen, „dass der Jinn nicht böse war. Soweit ich es verstanden habe, liest er die Wünsche auch von unseren Herzen, nicht nur von den Lippen. Aber ein Jinn versteht weder, was Wünsche sind, noch die Emotionen, die mit ihnen gekoppelt sind. Deswegen hat er sie auch fehlinterpretiert.“ Er wandte sich neugierig an Anya. „Ich habe alle frei gewünscht, die er eingesperrt hat, vorsichtshalber. Waren denn da noch andere?“ Anya zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich habe niemanden gesehen. Wie auch, das Elysion ist doch nur dem Besitzer und irgendwelchen Geisterspackos zugänglich, oder nicht?“ Schließlich zückte Matt den Schlüssel und startete den Motor. „Egal, jetzt sind sie frei. Die Lampe wird die nächsten Jahrzehnte nicht zu gebrauchen sein, weil sie sich erst aufladen muss. Also können wir sie nicht noch einmal verwenden. Worum ich aber ehrlich gesagt nicht traurig bin …“   Hast du das vorhin gehört, Anya Bauer?   Anya schreckte beim Klang von Levriers Stimme auf. „Was?“   Vorhin. Es klang tatsächlich, als ob jemand laut geweint hat. „Tch! Putz dir die Ohren, da war nichts!“ Und leise flüsternd fügte sie noch hinzu, damit Matt es nicht hörte: „Und was -da- passiert ist, geht niemanden etwas an, klar!?“ Du wirst dich nie ändern, oder?   „Scheint ja wieder alles beim Alten zu sein“, kommentierte Matt die Selbstgespräche des Mädchens belustigt. „Das war ein totaler Reinfall. Ich will jetzt einfach nur nachhause und ins Bett … und Alector wird sich was anhören können!“ „Ja …“   Ein totaler Reinfall. Anya war immer noch an Levrier gebunden. Selbst der Jinn hatte ihr am Ende nicht helfen können. Vielleicht gab es wirklich keinen Weg, von Levrier loszukommen? Es war wohl wirklich ihr Schicksal …     Turn 24 – The Collector Am Folgetag entschließt sich Anya dazu, endlich die Orte zu untersuchen, an denen die verschiedenen Pakte geschlossen worden sind. Nachdem sie zu einer interessanten Schlussfolgerung gekommen ist, wird sie plötzlich von einem Mann angesprochen, der sich als derselbe Dämon herausstellt, welcher schon Marc ins Leben zurückgeholt hat – der Sammler. Und er macht Anya ein Angebot, das geradezu verführerisch gut klingt. Jedoch … Kapitel 24: Turn 24 - The Collector ----------------------------------- Turn 24 – The Collector     „Puh, nur noch ausdrucken und ich bin fertig damit“, sagte Abby, nachdem sie den letzten Satz ihres Aufsatzes über den Artikel 231 des Versailler Vertrags abgetippt hatte. „Du wirst wirklich danach suchen gehen?“ Sie drehte sich auf ihrem Stuhl um 180° und sah zu Anya herüber, die auf Abbys Bett lag und verschiedene CDs anschaute, die allesamt dem Hippiemädchen gehörten. „Ja, nachher“, antwortete die Blondine beiläufig und zeigte eine rote CD, auf der ein Piano abgebildet war, in die Höhe. „Kann ich mir die ausleihen?“ „Klar. Aber seit wann hörst du Mozart? Ich dachte Chopin wäre jetzt bei dir in?“ „Das bleibt unser Geheimnis, klar!? Wenn du es weitererzählt, werde ich allen erzählen, dass das Pennerkind bei dir wohnt und mit dir rumhurt!“   Niemand durfte je erfahren, dass Anya Bauer … klassische Musik liebte. Außer Abby, die ihre Leidenschaft teilte. Bloß war die so langweilig, dass sich niemand daran störte. Bei Anya hingegen war das anders, sie hatte immerhin ihren schlechten Ruf zu verlieren. Diese Art der Musik hörte sie nur, wenn absolut niemand zuhause war und sie davon ausgehen konnte, dass das auch so blieb. Sie verstand sowieso nicht, warum man nicht beides, Death Metal UND Klassik hören durfte, ohne gleich als vollkommen irre abgestempelt zu werden. Diese Auszeichnung wollte sie sich durch andere Dinge verdienen, nicht durch die Musik, die sie hörte.   „Ist ja gut“, erwiderte Abby beleidigt und rückte ihre getönte Brille zurecht. „Er ist ohnehin nur hier zum Schlafen und manchmal zum Essen. Dass er so aufopferungsvoll nach seiner Schwester sucht, ist irgendwie … romantisch. Ich beneide sie fast ein wenig.“ Keifend erwiderte Anya daraufhin: „Geh mit ihm aus und ich kill einen von euch! Vorzugsweise ihn!“ „Ich weiß es zu schätzen, dass du eifersüchtig bist“, stichelte Abby pikiert, „aber die Wahl meiner Freunde treffe ich immer noch selbst.“ „Rede ich hier neuerdings mit einem Redfieldklon?“ Anya blinzelte verdutzt. „Seit wann wehrst du dich?“ „Seit ich dir das Leben zur Hölle machen kann?“ Um das zu demonstrieren, warf Abby eine einzelne, auf ihrem Schreibtisch herumliegende Naturiakarte in Anyas Richtung, aus der plötzlich eine kleine Sonnenblume mit Augen, Armen und Beinen auftauchte, direkt vor Anyas Nase. „Ach ja?“, erwiderte diese herausfordernd, schnappte sich die Blume kurzerhand und biss ihr in den Kopf. Sofort sprang Abby kreischend auf. „Neeeeeein! Was machst du denn da!?“ Daraufhin verwandelte sich die Sonnenblume in die Karte [Naturia Sunflower] zurück, die nun durch Anyas Zahnabdrücke entstellt war. Beide Mädchen sahen sich einen Moment lang an, ehe sie laut zu lachen anfingen.   „Ich gehe dann mal“, meinte Anya schließlich und sprang von Abbys Bett auf. Die CD packte sie neben die Duel Disk in ihren Rucksack, welchen sie danach schulterte. „Muss noch halb Livington abklappern, was 'ne Weile dauern kann.“ „Ich hoffe, du findest irgendeinen Hinweis, der dir weiterhilft“, meinte Abby aufrichtig und sah Anya besorgt an. „Wenn ich irgendetwas tun kann, dann sag es.“ „Ne sorry, ich fürchte, das ist 'ne Gründer-only-Angelegenheit. Du spürst ja nicht mal etwas direkt vor unserer Haustür, da wo Matts Pakt geschlossen wurde.“ „Leider nein.“ Anya stöhnte aufgrund des bedrückten Tonfalls ihrer Freundin. „Mach dir nichts draus, ich auch nicht, nur Levrier. Wie gesagt, ist wohl allein sein Gebiet.“ „Aber er hat nichts herausgefunden?“ „Nein, deswegen wollen wir uns ja die anderen Orte ansehen.“ Anya kratzte sich mit zusammengekniffenen Augen hinter dem Ohr. „Auch wenn ich nicht glaube, dass wir was finden.“ Abby legte einen mitleidigen Blick auf. „Und dir geht es auch wirklich wieder gut? Ich meine, erst gestern …“ „Ja ja, klar. Das mit dem Jinn ist dumm gelaufen, aber ich habe eh nie viel erwartet.“ „Was ist aus der Lampe geworden?“ Frech grinsend fuhr sich Anya mit dem Daumen über die Kehle. „Matt hat sie gestern noch verschrottet. Aber der dämliche Jinn wollte es ja so.“ „Trotzdem ist das irgendwie traurig.“ „Ja ja, was auch immer. Also ich hau dann mal rein, bis morgen“, Anya steckte angeekelt die Zunge heraus, „in der Schule. Warum muss ich da hingehen, wenn ich sowieso bald weg vom Fenster bin!?“ Doch Abbys strenger Blick sagte Anya, dass sie von ihr keine Zustimmung erhalten würde. Also verabschiedeten sich die Mädchen voneinander, sodass die Blondine sich auf dem Weg machen konnte. Von Abby aus am nächsten lag der Park, in dem Marc sich mit Isfanel verbündet hatte. Zwar war Anya nicht wohl bei dem Gedanken, ihn aufzusuchen, nach allem was zwischen ihr, Marc und Valerie geschehen war, doch ließ es sich nicht vermeiden. Umso schneller hatte sie es hinter sich, sagte sich das Mädchen immer wieder. Danach stand die Schule auf dem Programm, wo sie selbst den Pakt mit Levrier geschmiedet hatte. Anschließend würde sie zu der Stelle gehen, an der angeblich Alastair sein Mal erhalten hatte. Dort, wo sie vor einigen Wochen Jonathans Leiche gefunden hatte. Von wo es immerhin nicht mehr weit bis nach Hause war. Victim's Sanctuary, Valeries 'Territorium', lag dummerweise auf der anderen Seite der Stadt, weshalb Anya es sich für morgen nach der Schule aufheben musste. Trotzdem, ihre Motivation ließ zu wünschen übrig …   ~-~-~   Energiereste, wie auch bei dir zuhause. Aber nichts deutet daraufhin, wie wir sie für unsere Zwecke gebrauchen sollen. Hier liegen die Scherben eines zerbrochenen Elysions, doch zugreifen kann ich nicht darauf. Was bedeutet das?   „Dass du nutzlos bist?“, antwortete Anya ihm gallig und sah sich voller Unwohlsein um. Das ganze Gebiet war abgesperrt worden, damit niemand den Tatort betreten konnte, was Anya jedoch nicht daran störte, das vollkommen abgebrannte Gelände trotzdem unsicher zu machen. Sie stand in diesem Moment womöglich auf der Stelle, von der aus sie den Todesschlag gegen Marc befohlen hatte. Doch heute war es helllichter, wenn auch kühler Tag. Aber nicht die herbstlichen Temperaturen waren der Grund, warum Anya ihre schwarze Totenkopflederjacke enger an sich zog. Es war der Teufel auf ihrer Schulter, der auf den Namen 'schlechtes Gewissen' hörte. „Können wir jetzt gehen?“, nörgelte sie unzufrieden. „Ich frier' mir hier den Arsch ab.“   Wie bedauerlich. Komm, wir gehen in eine wärmere Zone der Stadt. Oder gleich nach Jamaika?   „Hör' auf mich zu ärgern, du Geisterspacko! Wenn ich mich bewege, wird mir wenigstens warm.“ Lass mich raten: durch dieses Wissen hast du deinen erstes „Bestanden“ bei einem Physiktest bekommen?   „Nein! Das habe ich dafür bekommen, dass ich genau berechnen konnte, wie schnell ein Messer fliegen muss, um einen Schädel sauber zu spalten! Wenn du willst, führe ich es dir gerne vor!“   Wie dem auch sei, ich habe nicht gefunden, wonach ich gesucht habe. Lass uns deine Schule aufsuchen.   Anya schnaubte. Ausgerechnet an einem Sonntag ging sie -freiwillig- in die Schule. Wenn jemand sie dabei sah, würde sie den Rest ihres Lebens wegen Mordes hinter Gitter kommen. Andererseits: lange absitzen müsste sie eh nicht. „Na endlich“, brummte das Mädchen und setzte sich in Bewegung.   ~-~-~   Auf dem kreisrunden Campusgelände angekommen, sah Anya sich um. Keiner außer ihr war hier, gut. Weder bei den Sporthallen links, noch rechts vor dem Gebäude der Unterstufe rührte sich etwas. Also blieb nur noch der Weg geradeaus: ins Oberstufengebäude, gemacht aus dem hässlichsten Backstein, den Anya je gesehen hatte. „Dafür müsste ich dich eigentlich auf Schadensersatz verklagen!“, beschwerte sich Anya und reichte nach dem Türgriff aus. Aber die Tür öffnete sich nicht. Auch nicht durch schütteln. „Was zum-!?“   Du besitzt nicht zufällig einen Schlüssel?   „Nö. Nicht dass ich einen bräuchte, aber du kannst nicht zufällig durch Wände gehen?“   Sicher könnte ich das. Du aber nicht. Bedauerlicherweise muss ich mich in deinem Radius aufhalten, solange der Pakt gültig ist.   „Also hiermit“, brummte Anya, zog sich kurzerhand eine Büroklammer aus den Haaren nahe ihres Pferdeschwanzes und verbog sie so, dass sie in das Schlüsselloch passte. Unter größter Friemelei versuchte Anya, das Schloss zu knacken.   Ich werde nicht fragen, warum du das in deinen Haaren trägst. Aber wenn du dir von Abby schon CDs leihst, frage sie das nächste Mal doch bitte auch nach Modeaccessoires.   „Die habe ich immer mit dabei, eben wegen so- scheiße.“ Das Ding war einfach abgebrochen, wie sie feststellen durfte, nachdem sie den Rest davon hinauszog. Mit fassungsloser Miene betrachtete sie ihr 'Werkzeug'. „Seit wann brechen Büroklammern ab!?“   Bist du dir sicher, dass das überhaupt eine ist? Ich gehe nicht davon aus, dass du sonderlich oft Büroklammern benutzt?   Bei näherem Ansehen war Anya sich da tatsächlich nicht mehr so sicher. Das Ding wegwerfend, stöhnte sie laut. „Also dann eben auf die altmodische Tour.“ Sprachs und schritt kurzerhand ein paar Meter weiter zu einem etwas erhöht liegenden Fenster, das zu einem der Klassenräume gehörte und schlug es mit dem Ellbogen ein.   Dezent wie immer.   „Uns wird schon keiner sehen! Außerdem ist das nicht das erste Mal“, murmelte Anya, beseitigte die verbliebenen Scherben innerhalb des Fensters vorsichtig und zog sich schließlich in das Klassenzimmer hinauf. Dabei redete sie ächzend weiter. „Vor drei Jahren – Oder waren es vier? – hab ich mal meine Akten geklaut und verbrannt. Aber die Idioten hatten sich vorher Kopien gemacht.“ Mit einem Satz landete sie in dem Raum, in dem unter anderem ihr Geschichtskurs stattfand. Eilends schritt sie auf die Tür zu-   Der arme Wald, der dafür herhalten musste …   -und trat die Tür mit einem gezielten Kick auf, um auf den Gang zu gelangen. Das Schloss war einfach herausgebrochen und hing lose an der Tür. „Wow“, staunte Anya, „ich glaub, ich bewerbe mich demnächst mal bei Superwoman als Aushilfe.“ Ich habe etwas nachgeholfen, wenn es dir nichts ausmacht. Und versuch es gar nicht erst. Bei Harley Quinn hast du größere Chancen.   „Du kennst dich mit Comics aus?“ Anya pfiff anerkennend und hastete durch den Gang, der sie zur Aula führen sollte.   Wenn die überall bei dir herumliegen, komme ich nicht umher, einen Blick zu riskieren.   Doch Anya war bereits vor der großen Flügeltür angelangt und öffnete sie mit beiden Händen, wie schon zuvor, als Alastair ihre Freunde gekidnappt hatte. Den langen Raum durchschreitend, sah sie sich überrascht um. Die Stühle waren fort, damit die Bauarbeiter ungestört das Loch in der Decke reparieren konnten, durch welches trübes Tageslicht drang. Auch der Schutt war weggeräumt worden, dafür stand im Gegenzug nun ein Baugerüst mitten im Saal. „Und, spürst du irgendwas?“, fragte Anya neugierig, als sie direkt in der Mitte der Aula zum Stehen kam. Ihre Stimme hatte einen leichten Nachhall.   Dieser Ort … ist anders. Ganz anders.   „Sind das gute Nachrichten?“   Ich glaube weniger. Die Scherben deines vorherigen Elysions sind zwar voller Energie, doch nicht alle. Außerdem kann ich nicht tiefer in das Gefüge eindringen, obwohl es dein Elysion ist.   „Das ist bescheuert“, stöhnte Anya und fasste sich genervt an die Stirn. „Lass uns von hier verschwinden, ehe wir noch erwischt werden. Was Konstruktives kommt hier ohnehin nicht bei raus.“   Mit dir definitiv nicht. Ich bin unschlüssig, was das zu bedeuten hat. Vermutlich ist all das meinem Einfluss als Gründer zu verdanken, doch wieso kann ich dein zerbrochenes Elysion nicht betreten?   „Weil ich ein neues habe?“ Die Blondine blinzelte verdutzt und wickelte dabei ihren Pferdeschwanz um den Zeigefinger. „Habe ich überhaupt ein neues?“   Ja. Nach einem Pakt wird ein neues Elysion geboren, während das alte zerbricht. Das liegt daran, dass ich ein Teil deiner selbst bin und somit auch zu deinem Elysion gehöre. Das, was uns hier begegnet ist, dürfte nicht sein. Ein zerbrochenes Elysion dürfte unter normalen Umständen nicht mehr existieren.   Anya schnalzte mit der Zunge. „Das habe ich auch kapiert! Nur sind das hier keine normalen Umstände. Egal, wenn das Ding defekt ist, haben wir ein Problem. Wie wär's wenn wir uns erstmal das letzte für heute anschauen gehen und uns dann überlegen, wie wir dieses hier reparieren?“ Vielleicht ist das die Lösung? Um Eden zu erwecken muss dieses Elysion wieder zusammengesetzt werden. Manchmal ist deine Art zu denken gar nicht so abwegig.   „D-danke“, brummte Anya mit einer Spur Stolz in der Stimme. „Aber ich will jetzt wirklich hier weg. Normalerweise habe ich keinen Schiss vor Cops, aber wenn die mich jetzt einbuchten, können wir dieses Ding nicht reparieren. Also nichts wie weg.“ Du hast recht, wir sollten uns um das nächste Elysion kümmern. Dem von Alastair …   ~-~-~   „Ich glaube hier hat er gelegen“, meinte Anya eine knappe halbe Stunde später und deutete mitten auf den Asphalt der schmalen Straße. Die Häuser zu ihrer Linken befanden sich allesamt auf einer höher gelegenen Ebene, die durch eine paar Stufen unweit von Anya erreicht werden konnte. Gegenüber der hohen Steinfassade lag ein dichter Wald, die Stadtgrenze, doch das Mädchen hatte keine Blicke für ihn übrig. Der Himmel war beinahe genauso erdrückend grau wie an jenem regnerischen Tag, als Anya die Leiche entdeckt hatte. Doch dieses Mal schüttete es nicht wie aus Eimern. Eher hatte man den Eindruck, dass es jeden Moment schneien könnte. Das hieß, wenn man nicht wusste, dass es in Livington nur sehr selten schneite.   Du stehst genau auf der Stelle. Geh aus dem Weg.   Anya, die sich das nicht zweimal sagen ließ, wich mit flauem Gefühl im Magen zurück. Was auch gut so war, als direkt neben ihr ein Auto in hohem Tempo vorbeifuhr. „Pass doch auf!“, brüllte Anya diesem hinterher, ohne etwas damit zu bezwecken. Das Auto bog um die Ecke, woraufhin das Mädchen sich wieder dem Asphalt widmete. „Irgendwas?“   Ja. Dieses Elysion … ist nicht zerbrochen.   „Häh!? Aber die waren doch alle kaputt. Die müssen doch über'n Jordan gehen, wenn wir Pakte schließen, oder nicht!?“   Präzise.   „Dann ist die Narbenfresse also ein Schwindler! Das Mal an seinem Arm ist eine Fälschung!“   Nein, es ist echt. Denn sonst würde es hier kein verlassenes Elysion geben. Ich denke, das hat mit der Tatsache zu tun, dass Alastairs Paktpartner Refiel ein Engel ist. Womöglich unterscheidet sich der Prozess der Wiedergeburt eines Elysions im Falle eines Engels von dem, wenn meinesgleichen einen Pakt schließt. Aber einen Reim kann ich mir auch hieraus nicht machen.   Anyas Schlussfolgerung: „Warum zerscheppern wir es dann nicht? Problem gelöst.“ Wenn du es betreten kannst? Ich vermag das nicht. Wir werden Alastair fragen müssen, ob er das für uns erledigt, sofern es nötig ist. Aber ich frage mich dennoch, warum ausgerechnet dieses Elysion unbeschädigt ist. Es strahlt dieselbe Restmenge an Energie wie die anderen aus, was nicht besonders viel ist.   Die Blondine fasste sich ans Kinn und gab einen nachdenklichen Laut von sich. Nebenbei kickte sie einen kleinen Stein mit dem Fuß von sich fort. Irgendwas stimmte hier nicht. Vielleicht lag es daran, weil sie von diesem Hokuspokus keine Ahnung hatte – was ihrer Meinung nach auch so bleiben könnte. Dennoch passte irgendwie kein Elysion zum anderen, abgesehen von Matts und Marcs, die dieselben Merkmale besaßen. Sie verstand ohnehin nicht, warum überall in der Stadt verteilt diese Dinger … „Levrier“, sprach sie leise, als sie etwas Interessantes realisierte, „ich glaube, diese Teile sind nicht zufällig da, wo sie sind. Und soll ich dir was sagen? Uns fehlt eins, womit ich nicht Victim's Sanctuary meine.“   Was bringt dich ausgerechnet zu dieser Annahme?   „Keine Ahnung, ob du den Stadtplan kennst, aber überleg' doch mal, du Schlauhirn. Von der Schule aus gesehen sind alle Orte, die wir besucht haben, ungefähr gleich weit weg. Wenn wir die jetzt mal als Mittelpunkt nehmen, könnte man um sie herum einen fünfzackigen Stern mit den anderen fünf Punkten zeichnen.“   Du machst Witze. Aber warte … womöglich ist da sogar etwas Wahres dran.   „Klar ist es das!“ Anya haute die Faust auf ihre flache Hand. „In den Filmen ist das auch immer so.“   Dass jeder Punkt den gleichen Abstand zum Zentrum, deinem Elysion, besitzt ist in der Tat sehr ungewöhnlich. Fast als wäre es Schicksal. Wenn deine Theorie stimmt, sollte sich der Aufenthaltsort des letzten Elysions eingrenzen lassen.   „Im Südwesten der Stadt … gibt es den Bahnhof und das Einkaufszentrum!“ Anya drehte sich auf der Stelle um, ging ein paar Schritte nach vorn, nur um wieder zur alten Stelle zurückzukehren. „Fragt sich nur, wessen Elysion das ist.“   Höchstwahrscheinlich Melinda Fords, da sie erst vor Kurzem in diese Stadt gekommen und von Isfanel befallen worden ist.   „Aber warte“, sagte Anya und ihre Stimme wurde schlagartig sehr leise, „heißt das nicht, dass Marcs Pakt … noch besteht?“   Das kann ich weder bestätigen, noch abstreiten. Solange wir nicht mehr wissen, sollten wir uns in der von dir beschriebenen Gegend umsehen. Wenn du tatsächlich recht hast, könnte das ein großer Durchbruch für uns sein.   „Für dich meinst du wohl. Diese ganze Elysionkacke-“   Anya Bauer, hinter dir!   Das Mädchen wirbelte sofort um und erschrak zutiefst, als ein Mann in einem schwarzen Anzug direkt vor ihr stand. Das Haar tiefrot, die Augen fest auf sie gerichtet, wirkte seine Gestalt seltsam fehl am Platz. Doch warum konnte Anya beim besten Willen nicht sagen. Vielleicht wegen der Narbe auf der linken Wange? Aber auch so stach er einfach heraus.   Er hat keine Präsenz! Als existiere er gar nicht! Ich konnte ihn nicht einmal sehen, bis zu diesem Augenblick! Sei vorsichtig, dieses Wesen ist nicht von dieser Welt!   Er streckte mit verträumter Mimik die Hand in den Himmel. „Ah ja, das Elysion. Unsere Seelenzuflucht, der Ort, der allen anderen vorenthalten bleibt.“ „Was willst du, du Schickimickifreak!?“, fauchte Anya ihn an und wich zurück. Aber weniger wegen seinem plötzlichen Auftauchen, sondern eher dem britischen Akzent, den er besaß. Anya hasste Briten, seit jene ihr vor vielen Jahren bei einer Auslandsreise ihres Vaters, auf welcher sie ihn begleitet hatte, den Eintritt in einen Pub verweigert hatten. „Die Splitter eines verlassenen Elysions besitzen geheimnisvolle Kräfte. In der Sekunde, in der ein Pakt geschlossen wird, zerbricht es. Natürlich regeneriert es sich augenblicklich und wird neugeboren, doch was bleibt sind die Scherben einer vergangenen Realität, eines alten Pfads.“ Nun sah er sie wieder direkt an und lächelte wissend. „Verbindet man all diese verlassenen Pfade zu einem Netz, das sich um den Turm von Neo Babylon erstreckt, könnte man Eden womöglich finden. Aber wer weiß das schon mit Gewissheit? Du sicher nicht, Anya Bauer. Jene, die nach Eden strebt …“ „Woher weißt du-!?“ Er hob beschwichtigend die Hand. „Nur mit der Ruhe. Ich weiß vieles über dich. Womöglich mehr als du selbst.“ „Und woher!? Wer bist du!?“ Seine Stimme gewann etwas Einzigartiges, unendlich Geschmeidiges, Allwissendes an sich, als er mit großer Betonung antwortete: „Der Sammler.“ Könnte er der Collectordämon sein!? Der, der mit Seelen handelt!?   „Meine Karten kriegst du nicht!“ Anya zeigte ungeniert mit dem Finger auf ihn. „Und ich kaufe nichts von Pennern … und allen anderen Idioten, die ich nicht leiden kann!“ „Oh nein. Ich bin hier, um zu kaufen. Und wonach ich gelüste ist das Anrecht auf deine Seele.“   Ich wusste es! Anya, hör ihm nicht zu! Du musst flüchten!   „Vor dem habe ich keine Angst!“, tönte das Mädchen aufbrausend und stampfte mit dem Fuß auf. „Wie lästig. Wenn ich Geschäfte treibe, dann für gewöhnlich unter vier Augen“, sprach der rothaarige Edelmann und schnippte mit dem Finger. Anya stieß einen kurzen Schrei aus, als ihr Mal nur für den Bruchteil einer Sekunde schmerzhaft brannte. Es war so schlimm, dass sie in die Knie gehen und sich den Arm halten musste. „Nun sind wir ungestört. Solange ich anwesend bin, ist Levrier in deinem Elysion gefangen.“ Dass das die Wahrheit war, wusste Anya schon deshalb, weil ihr Paktpartner ihr nicht mehr in den Ohren lag, sie solle abhauen. Sie erhob sich langsam. Dreckig grinsend erwiderte sie dabei: „Seine Stimme hat mich sowieso nur genervt. Aber du hast immer noch nicht meine Fragen beantwortet.“ Der Brite lächelte zufrieden. „Ich bin hier, da deine Not mit jeder Stunde wächst. Und ich besitze das Wissen, das du brauchst, um dein Schicksal zu erfüllen. Ebenso das Wissen, das dir helfen wird, es -nicht- zu erfüllen.“   Die Haltung des Mädchens lockerte sich schlagartig, ein Teil ihrer Anspannung verschwand und wich der Neugier. „Soll das heißen, du weißt, wie ich … weiterleben kann?“ „Richtig, das tu ich. Aber der Preis und meine Assistenz für dieses Unterfangen muss“, er streckte ihr den Arm aus und machte mit seinen Fingern eine greifende Geste, „kann nur deine Seele sein.“ Anya schaute ihm tief in die braunen Augen, dann lachte sie hysterisch auf. „Vergiss es, das kaufe ich dir nicht ab!“ „Wenn du kein Interesse hast, werde ich gehen. Doch ob ich deine Seele besitze, oder sie durch Eden verloren geht, sollte für dich keine Rolle spielen. Aber wenn du nicht handeln willst.“ Er machte Anstalten, sich umzudrehen, doch Anya rief ihn zurück. „Warte gefälligst!“ Über seine Schulter sehend, warf er ihr einen abwartenden Blick zu.   „Kannst du das wirklich? Mich retten?“ „Retten kann ich dich nicht in dem Maße, welches du dir vorstellst. Den Pakt kann ich ohne Konsequenzen für dich brechen, doch nicht ohne den bereits von mir genannten Preis.“ Er drehte sich wieder zu ihr um. „Ich bin imstande, dir nahezu jeden Wunsch zu erfüllen. Selbst die, die das Leben eines geliebten Menschen wiederherstellen. Du hast es anhand von Marc Butcher gesehen, das war mein Werk.“ Anya klappte die Kinnlade herunter. „Du warst das!?“ „Deine Freundin hat dafür ihren Namen an mich weitergeben. Mit ihm war ich imstande, dich zu beobachten. Du befindest dich zwar auf einem richtigen Weg, was die Erfüllung deines Schicksals angeht, doch ohne meine Hilfe stehen die Chancen gut, dass du letztlich scheiterst.“ Er warf ihr wieder dieses geschäftsmännische Lächeln zu. „Und das wollen wir beide nicht, nicht wahr?“ „Du willst meine Seele haben, damit ich ein paar Jahre länger leben kann?“ Anya schwang den Arm aus. „Vergiss es, Kumpel! So dämlich bin ich nicht! Wenn du kein besseres Angebot hast, verschwinde und lass mich in Frieden! Sonst säg' ich dir nämlich den Kopf ab, tüte ihn schön ein und spiele erstmal 'ne Runde Basketball damit! Wollen doch mal sehen, wie viel deine Rübe verträgt, wenn -ich- Körbe werfe!“ Unnötig zu erwähnen, dass sie eigentlich vorgehabt hatte, Valerie Redfield diesen Spruch an die Stirn zu klatschen. Manchmal sogar wortwörtlich. Der Collector jedoch machte sich scheinbar nichts aus ihren Drohungen, sondern zeigte mit dem Finger auf sie. „Du verlangst ein besseres Angebot? Ist es nicht besser, wenn ich deine Seele verwalte, anstatt sie im Limbus verrotten zu lassen? Aber ich denke, ich habe da eins. Es wird dir sicherlich mehr zusagen.“ „Lass hören!“ „Wir duellieren uns um die Wahrheit. Freikaufen kann ich dich nur durch deine Seele. Aber Informationen, wie du Eden werden kannst, sind hingegen etwas, das ich dir auf andere Weise geben kann.“ „Und wie!?“, verlangte Anya aufgebracht zu wissen. Der Sammlerdämon lächelte nun wieder geheimnisvoll. „Finde es heraus, indem du dich mit mir duellierst. Du wirst merken, dass ich dir in vielerlei Hinsicht nützlich sein kann.“   Dieser Typ hatte eindeutig eins an der Waffel, dachte Anya skeptisch und betrachtete ihn genau. Von außen sah er 'nur' wie ein stinkreicher Angeber aus. Das Problem mit diesem Kerl war jedoch, dass er von Dingen redete, über die nur die wenigsten Bescheid zu wissen schienen. Allein was er über das Elysion gesagt hatte. Zeugte das nicht davon, dass er ihr wirklich helfen könnte? Auch nicht zu vergessen: er hatte auch Marc ins Leben geholt. Trotzdem, sie traute diesem Bastard nicht über den Weg. Wenn er glaubte, sie in irgendein dubioses Seelengeschäft herein reden zu können, war er aber ganz schief gewickelt! Bloß wenn sie ihn jetzt gehen ließ, könnte sie die einzige Chance verlieren, die Wahrheit über Eden zu erfahren. Und auch wenn Levrier sie eine Opportunistin nannte … sie hatte ihr Versprechen ihm gegenüber nicht vergessen. Wenn er dieses Mal nicht Eden würde, dann nie mehr. Aber warum auf ihre Kosten!?   „Tch, von mir aus, ein kleines Duell am Nachmittag hat noch niemandem geschadet“, brummte Anya und setzte dabei ihren Rucksack ab. Der Brite schien zufrieden. „Eine kluge Wahl.“ „Aber ich mache nur mit, wenn es in diesem Duell nicht um meine Seele geht, klar!?“ „Ohne deine Einstimmung kann ich sie nicht einfordern. Sei unbesorgt. Nicht der Ausgang des Duells wird dir die Antworten bringen. Deine eigenen Entscheidungen werden es sein.“ Seine Art so hochintellektuell zu reden störte Anya zutiefst. Sie nahm ihre Duel Disk aus dem Rucksack und legte sie sich an. Wollten doch mal sehen, ob er genauso gut mit seinen Karten umgehen konnte wie mit Worten. Wieder schnippte der Collector mit dem Finger, woraufhin eine Battle City Duel Disk an seinem Arm erschien. „Pass bloß auf, dass dein teurer Anzug nicht schmutzig wird“, zischte Anya gallig, „denn mit mir geht’s dreckig zur Sache!“ „Wenn du damit deine kleinen Tricksereien meinst, wie etwa Fehlaktivierungen von Karten? Nur zu.“ Er schwang gönnerhaft den Arm aus. „Aber falls du vorhast, dem Schicksal eine neue Wendung zu geben – sofern du dich überhaupt der Fähigkeiten Levriers bedienen kannst – werde ich einschreiten müssen. Aber wir beide wissen, dass du das nicht ohne ihn schaffst.“ Woher wusste der Kerl all das, fragte sich Anya ärgerlich und warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Der war doch gar nicht beim Duell gegen Henry dabei gewesen! Aber wenn er davon wusste, dann vielleicht auch von Eden? Sie musste es herausfinden! „Ich brauch den Quatsch nicht, um zu gewinnen!“ „Wie ich sagte, hier geht es nicht um den Ausgang des Duells, sondern um seinen Verlauf.“ Anya schnaufte und rief schließlich: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Collector: 4000LP]   „Ich beginne!“, verkündete Anya und zog zu ihrem Startblatt gleich eine sechste Karte, ehe ihr Gegenüber widersprechen konnte. Es war ohnehin verrückt! Sie duellierte sich mitten auf der Straße mit einem Freak, der mehr wusste als ihr lieb war. Genau dort, wo sie Jonathans Leiche gefunden hatte, made by Alastair. Sie konnte förmlich die Stimme des Narbengesichts hören, wenn er jetzt hier wäre. Blöde Dämonenbrut, bla bla, töte ihn, bla bla. Aber der würde sich noch wundern, wenn sie am Ende mit der Lösung ankam! Behände griff Anya ein gelb umrandetes Monster aus ihrem Blatt. „Sag hallo zu einem meiner Lieblingsdrachen! Los, [Alexandrite Dragon]!“ Funkelnde, farblose Edelsteine überzogen die Haut des mannshohen Drachens, welcher mit einem Satz vor Anya landete und niederkniete. Als er sich auf zwei Beinen erhob, spannte er seine Schwingen an und stieß ein majestätisches Gebrüll aus. Anya grinste keck. „Er ist eines der stärksten Monster, die kein Tribut brauchen, um beschworen zu werden!“   Alexandrite Dragon [ATK/2000 DEF/100 (4)]   „Aber er gehört nicht zu den Karten, die du dir von dem Jinn gewünscht hast.“ Nach Luft schnappend, starrte die Blondine den Sammlerdämon irritiert an. Selbst das wusste er!? Aber sie hatte doch niemandem davon erzählt, nicht mal Abby! „Alter, besorg' dir'n Privatleben und spionier' nicht das anderer Leute aus!“, fauchte sie anschließend und schnappte sich eine Karte aus ihrem Blatt. „Die verdeckt! Was heißt: Ende im Gelände. Vorerst!“   „Die Dinge zu beobachten ist sehr wichtig für mein Tun. Nur wer über das nötige Wissen verfügt, wird das bekommen, was er will. Du solltest das von allen am besten wissen“, schmetterte der Collector Anyas anklagenden Tonfall ab und zog seinerseits eine Karte. „Aber du wirst herausfinden, dass ich nicht nur über Wissen verfüge. Sieh her und lerne. Normalbeschwörung: das Empfänger-Monster [Fabled Kushano]!“ Aus einer blauen Lichtsäule tauchte ein geflügelter Mann auf, dessen ebenfalls blaues Haar wie ein Schleier um sein Gesicht lag. Mit dem Zeigefinger schob er die Brille auf der Nase nach oben und begann dann, in einem alten Buch zu lesen, das er in den Händen hielt.   Fabled Kushano [ATK/1100 DEF/800 (3)]   Anschließend zeigte der rothaarige Mann ein weiteres Monster von seiner Hand vor. „Nun, da ich ein Fabled-Monster kontrolliere, kann ich [Fabled Grimro] abwerfen, um mir ein Fabled-Monster von meinem Deck auf das Blatt zu nehmen.“ Nachdem er seine Wahl getroffen hatte, zeigte er die Karte mit dem Namen [Fabled Krus] vor. Nur um dann eine Zauberkarte zu zücken. „Anschließend aktiviere ich [Graceful Charity], die es mir gestattet, drei Karten zu ziehen, um danach zwei von meinem Blatt wieder abzuwerfen.“ Anya knirschte wütend mit den Zähnen, während sie zusah, wie er der Reihe nach drei Karten von seinem Deck zog. Was sollte das werden!? Besonders überrascht war sie, als er zwei Monsterkarten ablegte, worunter auch [Fabled Krus] war. Doch ehe sie ihn darauf ansprechen konnte, begann er bereits von sich aus zu erklären. „Die von mir abgeworfenen Monster waren [Fabled Dyf] und [Fabled Krus]. Sollte Letztere auf den Friedhof abgeworfen werden, vermag sie, einen Namensvetter von ebendort als Spezialbeschwörung zu beschwören. Drum erscheint jetzt [Fabled Dyf].“ Aus einer weiteren blauen Lichtsäule materialisierte sich neben dem Gelehrten Kushano ein dämonischer, älterer Herr. In grüner Robe gekleidet, waren seine Schwingen ledrig und mit Schuppen besetzt.   Fabled Dyf [ATK/1400 DEF/1700 (3)]   „Wird das jetzt eine Synchrobeschwörung? Oder … etwa eine Xyz-Beschwörung!?“, stammelte Anya irritiert. Sie kannte diese Monster nicht. „Was wäre dir denn lieber? Aber nein, ich muss dich enttäuschen, nach Synchrobeschwörungen ist mir heute nicht. Daher erschaffe ich das Overlay Network.“ Seine Monster verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen, die von dem sich öffnenden, pechschwarzen Schlund verschluckt wurden, welcher sich in der Mitte des Spielfelds öffnete. „Xyz-Summon! Bringe verdrängte Erinnerungen zurück, [Lavalval Ignis]!“ „Was!?“, keuchte Anya beim Klang jenes Namens. Aus der Düsternis entstieg eine einzelne Flamme. Doch diese stellte sich als der Kopf eines Kriegers heraus, welcher sich in dunkler Rüstung und wehendem, zerschlissenem Umhang des blutigsten Rots, das Anya je gesehen hatte, vor seinem Besitzer aufbaute. Selbst seine Fäuste brannten.   Lavalval Ignis [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   „Nein …“, murmelte Anya fassungslos im Angesicht des großen Kriegers, um den zwei Lichtssphären kreisten. „Das kann nicht sein!“ „Du meinst, weil diese Karte aus dem Pakt zwischen Isfanel und Marc Butcher geboren wurde? Du liegst richtig, natürlich ist sie einzigartig. Aber aus Gründen der Demonstration habe ich eine Kopie erschaffen, die dem Original in Nichts nachsteht.“ Der Sammler streckte den Arm aus. „Sieh selbst. Ich greife dein Monster an.“ Sofort bündelte sein Ghost Rider-Abklatsch, wie Anya ihn insgeheim nannte, eine Feuerkugel zwischen seinen Händen, die er wie einen Torpedo auf ihren Drachen abfeuerte. Mitten im Flug wuchs sie plötzlich, als eine der Sphären ihr folgte und in ihr verschwand. Der Collector hatte [Fabled Kushano], welcher unter der schwarzen Karte auf seiner Duel Disk lag, entfernt. Und Anya wusste genau warum.   Lavalval Ignis [ATK/1800 → 2300 DEF/1400 {3}]   Ihr Drache wurde von der Flamme getroffen und konnte ihrer Macht nicht standhalten. Kreischend ging er in einer Explosion unter. „Dargh!“ Anya schützte sich mit erhobenem Arm vor der daraus entstandenen Schockwelle, die fürchterlich auf der Haut brannte. Genauso heiß wie damals!   [Anya: 4000LP → 3700LP / Collector: 4000LP]   „Wie du siehst, habe ich ganze Arbeit geleistet, als ich die Kopie erstellt habe. Wie beim Original kann ich ein Xyz-Material entfernen, um [Lavalval Ignis] temporär um 500 Angriffspunkte zu stärken.“   Lavalval Ignis [ATK/2300 → 1800 DEF/1400 {3}]   Der Sammler lächelte zufrieden mit sich selbst. „Aber wer weiß das besser als du, die du gegen den Mann gekämpft hast, welchen du einst mehr als alles andere begehrtest?“ „Ich wiederhole mich“, zischte Anya ihm voller Verachtung zu, „schaff dir ein Privatleben an, Bastard!“ „Wieso? Die Leben der anderen sind viel interessanter. Und nützlicher.“ Er blickte auf sein Blatt und zog drei Karten daraus hervor. „Man kann keinen Handel treiben, wenn man keinen Überblick über den Markt hat. Ich setze zwei Karten verdeckt und aktiviere nun die dauerhafte Zauberkarte [Scales Of Wisdom].“ Während sich vor seinen Füßen die gesetzten Karten materialisierten, tauchte hinter ihm eine riesige, goldene Waage aus, wie sie auch die Justitia in der Hand hielt – nur dass ebenjene durch Abwesenheit glänzte. Beide Schalen der Waage, gehalten von Seilen aus purer Energie, befanden sich auf gleicher Höhe. „Das ist die Karte, die dir jede Antwort liefern wird“, sprach der Sammler geheimnisvoll, „solange du den Preis bezahlst, heißt es.“ „Was ist das für ein Mist!?“ Anya war nicht wohl bei der Sache. „Das Beste, das dir passieren konnte.“ Der Sammler streckte beide Arme weit aus. „Durch [Scales Of Wisdom] wirst du dieses Duell nicht verlieren können. Du brauchst dich also nicht vor meinen Angriffen zu fürchten, solange du unter dem Schutz dieser Karte stehst.“ Unmöglich, dachte sich Anya dabei erschrocken. Nie im Leben würde jemand freiwillig so eine Karte ausspielen wollen, ohne Hintergedanken zu haben! „Und was ist der Haken!?“ „Es gibt keinen. Du triffst die Entscheidungen, bestimmst selbst … den Haken. Denn diese Waage erlaubt es dir einmal während unser beider Züge eine Frage zu stellen. Im Gegenzug gestattet sie mir, den entsprechenden Preis einzufordern. Zahlst du diesen, erhältst du deine Antwort.“ „Und was für ein Preis soll das sein!?“ „Der Abwurf einer Handkarte? Das Zerstören eines deiner Monster? Lass dich überraschen.“ Er lächelte wissend. „Du bist schließlich zu nichts verpflichtet. Mein Spielzug ist damit beendet.“   Für Anya klang das alles mehr als dubios. Was sollte diese Karte, wenn sie durch sie ohnehin nicht mehr verlieren konnte? Dieser Spinner plante doch etwas, so viel stand fest! „Draw!“, rief sie aus voller Kehle und zog schwungvoll. „Warum probierst du es nicht gleich aus? Was willst du wissen?“ Die Blondine runzelte die Stirn. Sollte sie es wagen oder nicht? Es war definitiv ein Risiko, sich auf diesen schleimigen Typen einzulassen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt! „Fein! Fangen wir halt mit etwas Kleinem an! Wer bist du? … und was muss ich zahlen, um das zu erfahren?“ Der Sammler fasste sich ans Kinn und überlegte kurz, ehe er wieder aufsah. „Diese Information ist nicht allzu kostbar. Für 600 deiner Lebenspunkte wirst du es erfahren?“ „Nur 600!? Das ist ja spottbillig! Von mir aus!“   [Anya: 3700LP → 3100LP / Collector: 4000LP]   „Wie du willst“, erwiderte der rothaarige Brite. Er verschränkte die Arme und begann zu erklären. „Ich bin ein Dämon, der seit Jahrtausenden mit Seelen, 'Namen' und anderen Gütern handelt und dafür im Austausch alles Mögliche erhält. Hauptsächlich sind andere Dämonen und übernatürlichen Wesenheiten mein Klientel. Aufgrund meines hohen Alters gibt es kaum einen Ort dieser Welt, den ich noch nicht gesehen habe. Normalerweise gehen die Kunden auf mich zu, es ist selten, dass ich einen 'Hausbesuch' mache. Aber bei dir ist das etwas anderes. Dein erbitterter Kampf gegen das Schicksal hat mein Interesse geweckt.“ Er warf ihr eines seiner schmierigen Lächeln zu. „Zufrieden mit dem, was du gehört hast?“ Die Zornesfalten auf Anyas Stirn hätten ihm jedoch schon Antwort genug sein müssen. „Und für das habe ich gerade Lebenspunkte bezahlt!? Was soll der Scheiß!? Die eine Hälfte davon wusst' ich schon und die andere war mir piepegal!“ Allerdings ließ sich der Collector davon nicht erweichen. Er rechtfertigte sich folgendermaßen: „Du hast gefragt wer ich bin, also habe ich dir einen Überblick über meine Historie verschafft.“ „Gar nichts hast du! Nichtmal deinen Namen hast du genannt!“ „Meinen Namen hast du nicht verlangt. Und selbst wenn du es tätest, würdest du den Preis dafür nicht zahlen können.“ Er zuckte lachend mit den Schultern, schnappte sich plötzlich eine Schachtel Zigaretten aus dem Sakko und zündete sich eine davon mit einem offenbar sehr alten Feuerzeug an. Den Rauch aus der Nase blasend, fragte er: „Und was sind schon Namen?“ Erstaunt sah Anya mit an, wie er die eben erst angezündete Zigarette vor sich auf den Boden schmiss und austrat. Er lächelte sie besserwisserisch an. „Ist nicht gut für die Lunge. Und schmutzig. Ja, schmutzig in der Tat.“ Anya schnaufte nur wütend. Das war das erste und letzte Mal, dass sie mit diesem Spinner verhandelte. Seine blöde Zauberkarte konnte er sich sonstwo hinsteck-   Erstaunt stellte Anya fest, dass eine Schale der riesigen Waage nun etwas tiefer stand, während die andere durch jenes Gewicht auf der gegenüberliegenden Seite nach oben gehievt wurde. „Mit dir treibe ich keine Geschäfte mehr“, raunte sie davon leicht verunsichert und griff nach einer Zauberkarte aus ihrem Blatt. Dabei murmelte sie leise zu sich selbst: „Wollen doch mal sehen, ob Matts kleines Bestechungsgeschenk etwas taugt.“ Anschließend verkündete sie laut: „Ich aktiviere jetzt [Gem-Knight Fusion]! Damit verschmelze ich [Gem-Knight Sardonyx] und [Gem-Knight Emerald] von meiner Hand! Emerald, du bist das Element, Sardonyx, du der Ursprung! Werdet jetzt zu [Gem-Knight Zirconia]!“ Der Boden vor Anya brach unter lautem Krachen auf, als sich ein massiver Ritter vor ihr aufbaute. Er war fast so hoch, wie er breit war, was vor allem daran lag, dass man seine Arme als richtige Pfeiler bezeichnen konnte. An ihren Enden befanden sich pizzagroße Edelsteine, die namensgebenden Zirkone. Der blaue Umhang des silbernen Ritters wehte still daher.   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   „Der Sucker hat zwar keinen Effekt, aber dafür ordentlich Muckis!“, tönte Anya. Bevor sie die Karten des Jinns ausprobierte, wollte sie zunächst sehen, ob es auch mit ihrem derzeitigen Bestand klappte. Zumal es doch 'unhöflich' wäre, das Geschenk eines Fre- Bekannten nicht wenigstens 'auszupacken'. „Interessante Wahl.“ „Worauf du einen ablassen kannst! Los, greif dieses Mistvieh von Ghost Rider an!“ Sie konnte den Anblick dieser Kreatur ohnehin nicht länger ertragen, da es sie an die Geschehnisse von damals erinnerte. „Zirconia Smasher!“ „Dann lass uns sehen, ob du aus deinem letzten Kampf mit dieser Kreatur gelernt hast. Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ Anya stieß einen spitzen Schrei aus, als sich der schwarze Wirbel öffnete und den aus ihm geborenen [Lavalval Ignis] nun wieder verschluckte. „Das kann nicht sein! Wie kannst du-!? Und vor allem in meinem Zug-!?“ „Ich kann noch vieles, von dem du nichts weißt. Wenn du neugierig bist, frag einfach. Aus dem Rang 3-Monster wird nun ein neues Rang 3-Monster. Erscheine nun, [Lavalval Master – Ignis Aither]!“ Eine blaue Stichflamme schoss zusammen mit roten und schwarzen Blitzen aus dem Galaxienwirbel. Empor stieg dieselbe Kreatur, die Anya damals um ein Haar das Leben gekostet hätte. Blaue Feuerschwingen und ein in selbiger Farbe brennender Kopf, schwarze Rüstung sowie eine unheilverkündende Sense in den Händen – das war [Lavalval Master – Ignis Aither]. Zwei goldene Energiekugeln umkreisten seinen Kopf.   Lavalval Master – Ignis Aither [ATK/1800 DEF/1400 {3}]   Anyas massiver Ritter holte mit der Faust zum Schlag gegen den fliegenden Engel aus, doch jener parierte die Attacke mühelos mit seiner Sense und warf Zirconia spielend leicht zurück. „Tch!“ Natürlich war Anya im Moment der Beschwörung des schwarzen, flammenden Engels klar gewesen, dass ihr Angriff scheitern würde. Nur Xyz-Monster konnten diese Incarnation Mode-Dinger, oder was auch immer, besiegen. „Das ist echt blöd gelaufen“, musste sie zornig zugeben, reichte dabei nach ihrem Friedhof aus. „Aber dieses Mal bin ich vorbereitet! Ich verbanne [Gem-Knight Sardonyx] von meinem Friedhof, um meine [Gem-Knight Fusion] von dort zurück auf die Hand zu erhalten! Dann setze ich eine weitere Karte verdeckt und gebe ab!“ Neben ihrer in der letzten Runde gesetzten Karte erschien kurzerhand eine weitere. Dem Mädchen stand der Schweiß auf der Stirn. Sie musste dieses Ding schnellstmöglich loswerden, sonst würde sie am Ende wieder aussehen, als wäre sie von den Toten auferstanden. Und dieses Mal war kein Levrier da, der ihre Wunden heilen und den Schmerz unterdrücken konnte. „So eine Scheiße!“   „Aber hast du wirklich Grund zur Sorge?“, fragte der Sammler, während er sein Blatt um eine neue, dritte Karte erweiterte. „[Scales Of Wisdom] verhindert deine Niederlage. Meine Kreatur kann dir im Grunde nichts anhaben.“ Unter jene legte er [Fabled Kushano], woraufhin nun drei Lichtsphären um [Lavalval Master – Ignis Aither] kreisten. Anya wusste, dass dieses Biest während jeder Standby Phase sein Xyz-Material auf drei Stück aufstocken konnte. Dadurch war seine Macht nahezu unerschöpflich, wie Marc … nein, Isfanel ihr schmerzhaft bewiesen hatte. „Tch! Ist das nicht der Sinn eines Duells!? Dass man den Gegner fertig macht?“ Anya sah sich beiläufig um. Nirgendwo waren Menschen. Es war eine verhältnismäßig kleine Straße, aber dennoch war duellieren hier verboten. Wo waren die Petzen, die einem sonst immer sofort im Nacken lagen? Machte der Kerl sich keine Sorgen, dass man sie sehen könnte? Der Collector schüttelte den Kopf. „Nein, nicht im Falle dieses Duells. Aber wenn deine Lebenspunkte auf 0 fallen, kannst du das natürlich als Niederlage werten. Schließlich wäre dies der Fall, wäre nicht ich dein Gegner.“ „Ach ne!?“ „Lässt du es darauf ankommen und willst den Effekt von [Scales Of Wisdom] erneut aktivieren?“ Sofort schwang Anya daraufhin wütend den Arm aus. „Vergiss es! Nochmal lasse ich mich nicht von dir verarschen!“ „Auch dann nicht, wenn ich dir das komplette Wissen über die Incarnation Mode-Monster überlasse?“ Er schloss lächelnd die Augen. „Du weißt noch längst nicht alles über sie.“ Anya stockte. Wo er recht hatte, hatte er recht. Allein, dass er dieses Vieh in ihrem Zug gerufen hatte, war völlig unerwartet für sie gekommen. Und wenn Isfanel tatsächlich wieder angreifen würde, dann … „Okay, was soll es diesmal kosten?“ „Der Preis für dieses exklusive Wissen“, sprach der rothaarige Anzugträger geradezu ölig geheimnisvoll, „sind 500 deiner Lebenspunkte. Wirst du zahlen?“ „500!?“ Das konnte sie nicht! Nicht, wenn [Lavalval Master – Ignis Aither] ihr Gegner war. „Gibt es keine Alternative?“ „Nein. Das ist der Preis.“   Nachdenklich wischte sich Anya mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Zahlte sie, würde sie nur noch 2600 Lebenspunkte besitzen und damit unweigerlich dem Field of Agony zum Opfer fallen. Dieses kostete sie 3000 Lebenspunkte, wenn der Sammler drei Xyz-Materialien von Ignis Aither abkoppelte, um es zu aktivieren.   „Kay, ich zahle. Aber wehe, du verarscht mich wieder!“ Kaum hatte sie das gesagt, verspürte Anya ein befremdliches Ziehen in der Brust. Gleichzeitig veränderte sich das Gleichgewicht der Waagschalen wieder, sodass die eine abermals aufstieg, während die andere absank.   [Anya: 3100LP → 2600LP / Collector: 4000LP]   „Wie du wünscht. Hinaus über das Wissen, das du bereits verfügst, existieren drei Regeln für Incarnation Mode-Monster, die dich, wenn du sie berücksichtigst, zum Sieg führen werden.“ Anya hielt sich die Brust verwundert, nachdem der Schmerz verschwunden war und sah auf. „Ach ja? Dann fang' mal an zu singen!“ „Die erste beschreibt ihre Beschwörung. Sie kann jederzeit während des gesamten Duells erfolgen, wie du bereits gemerkt hast. Aber niemals in dem Zug, in dem das ursprüngliche Monster beschworen wurde.“ Anya zog erstaunt eine Augenbraue hoch. „Deshalb hat Marc es nicht sofort eingesetzt … aber heißt das nicht, dass ich diese Dinger sofort beseitigen muss, wenn ich nicht ihrer Superform gegenüber stehen will?“ „Du hast es erfasst“, bestätigte der Sammler dies nickend. „Ferner besagt die zweite Regel, dass nur die Xyz-Materialien wiederkehren dürfen, die für die Beschwörung des Originals verwendet wurden. Als einzige Ausnahme gilt das Original selbst, in unserem Fall [Lavalval Ignis], auf welchem jede Inkarnation schließlich basiert. Auch dies ist eine Schwäche, die richtig ausgenutzt, zum Erfolg führen kann.“ Was er damit meinte, verstand Anya zwar nicht, aber sie würde es definitiv im Hinterkopf behalten. „Und die dritte Regel?“ „Sie können nur beschworen werden, wenn der Paktpartner es erlaubt. Sollte dieser blockiert oder unterdrückt werden, ist es unmöglich, zu inkarnieren. Und noch etwas, das dir helfen könnte: der letzte, mächtigste ihrer Effekte kann ebenfalls nicht in dem Zug aktiviert werden, in dem die Inkarnationen beschworen werden.“ Der Sammler verschränkte nun die Arme abwartend. „Das ist das Wissen, welches ich dir vermitteln sollte. Bist du zufrieden?“   Grübelnd kratzte sich Anya an der Schläfe und starrte den Asphalt unter ihren Füßen an. Eventuell könnte das alles wirklich nochmal nützlich werden. Zumindest war es gut, dass sie nun Bescheid wusste. Unsicher brummte sie, als sie aufblickte: „Ich glaube schon.“ „Stelle die richtigen Fragen und du wirst die richtigen Antworten erhalten. Aber nun setze ich meinen Zug fort. Wie du es sicher erwartet hast, werde ich nun die drei Xyz-Materialien von [Lavalval Master – Ignis Aither] abhängen, um seinen gefährlichsten Effekt zu aktivieren: Field Of Agony. Dies wird dir ohne Umschweife 3000 Punkte Schaden zufügen. Was wirst du jetzt tun, Anya Bauer?“ Der schwarze Flammenengel streckte seine Sense hoch in die Luft und ließ sie die drei goldenen Sphären absorbieren, ehe er sie mit aller Kraft schwang. Womit er eine endlos erscheinende Welle aus Flammen in Anyas Richtung aussendete, die erschrocken zurückwich. „Also doch!“, keuchte sie. „Es ist bereits ein Zug vergangen, seit dieses Monster inkarniert wurde. Deswegen konnte ich diesen Effekt nun aktivieren.“ Als die Flammen bedrohlich näher kamen, schwang Anya entschlossen den Arm aus. „Ach ja!? Dann friss das, Laberbacke! Meine Falle [Hallowed Life Barrier] wird den Schaden abfangen. Dafür muss ich nur eine Karte abwerfen.“ Woraufhin sie sich ihrer, einzig für diesen Zweck geborgenen [Gem-Knight Fusion] entledigte. Sofort schloss sich ein Kraftfeld in Form einer Kuppel um Anya und ihren [Gem-Knight Zirconia] und fing gerade noch rechtzeitig die Flammen ab, welche ihrerseits die hohe Steinmauer und den Asphalt hinter dem Mädchen heimsuchten, glücklicherweise aber nicht bis zum Wohngebiet reichten. Der Sammler klatschte anerkennend. „Gut taktiert. Aber das funktioniert nur einmal.“ „Das reicht auch!“, erwiderte Anya garstig. Die Flammen um sie herum lösten sich zusammen mit dem Kraftfeld auf. Allerdings hinterließen sie pechschwarzen Ruß an Asphalt und der Fassade. „Da ich nicht mehr angreifen kann aufgrund des Effektes von [Lavalval Master – Ignis Aither], werde ich nun in meine Main Phase 2 wechseln und ein Monster beschwören. Es hört auf den Namen [Fabled Raven].“ Ganz in dunklem Grau gewandt, erschien vor dem Sammler ein dämonischer Mann, dessen Augen rot leuchteten. Besonders auffällig waren pechschwarzen Schwingen an seinen Armen und auf dem Rücken, die ihn umso düsterer wirken ließen.   Fabled Raven [ATK/1300 DEF/1000 (2)] „Was will denn dieser Grufti hier!?“ „Ich aktiviere nun meine Fallenkarte [Limit Reverse], womit ich ein Monster mit maximal 1000 Angriffspunkten auferstehen lassen kann. Das wird [Fabled Krus] sein.“ Noch während seine Falle aufklappte, begann Raven fies zu kichern. Neben ihm tauchte ein kleines Mädchen in einem schwarzen Nachthemd auf. Mit ihren winzigen Fledermausschwingen hielt sie sich gerade so in der Luft und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Fabled Krus [ATK/1000 DEF/800 (2)]   Eine seiner beiden verbliebene Handkarten in einen der Zauber- und Fallenkartenslots schiebend, sprach der Collector seelenruhig weiter. „Mit ihnen erschaffe ich nun das Overlay Network. Xyz-Summon: [Daigusto Phoenix].“ „Was!? Noch so eins von der Sorte!?“ „Gewiss“, entgegnete ihr der rothaarige Brite lächelnd, während sich gleichzeitig seine gesetzte Karte materialisierte, als auch das schwarze Loch des Overlay Networks sich öffnete. Seine beiden Monster wurden in gelben Strahlen hineingezogen und machten einem federlosen, unproportionierten Vogel Platz, dessen Schwingen und Schopf von smaragdgrünem Feuer eingedeckt worden waren. Um ihn kreisten seine zwei Xyz-Materialien.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   „Damit beende ich diesen Zug. Und nun, da du wieder am Zug bist, kannst du mir deine nächste Frage stellen.“ „Alles klar! Die lautet: hältst du auch mal den Rand und lässt mich in Ruhe meinen Zug planen!?“ Der Sammler grinste verschmitzt. „Für 50 Lebenspunkte weißt du es.“ „Fuck you!“ Passend dazu zeigte Anya ihm den Mittelfinger. Gleichzeitig zog sie mit der anderen Hand die nächste Karte von ihrem Deck. Einen prüfenden Blick später stand ihre Strategie schließlich fest. „Hmm, das ist eine zu wenig“, murmelte sie daher, „da muss ich wohl nachhelfen!“ „Wirst du keine Frage stellen?“ „Schnauze auf den billigen Plätzen! Sieh lieber zu und staune, bevor du am Ende noch heulend in der Ecke liegst!“ Anya griff nach ihrem Friedhofsschacht und erklärte dazu: „Ich verbanne den [Gem-Knight Emerald] von vorhin und bekomme [Gem-Knight Fusion] zurück!“ Kaum hatte sie das verkündet, fügte sie ihre wichtigste Zauberkarte schon ihrem Blatt hinzu. „Selbst dann nicht, wenn ich dir etwas über Eden verrate? Zum Beispiel, wie man es erweckt?“ Sofort wurde Anya hellhörig und ließ vom Blick auf ihre Karten ab. „Im Ernst!?“ „Aber so ein Wissen ist keinesfalls billig. Du wirst mir ganze 1000 Lebenspunkte zahlen müssen, wenn du erfahren möchtest, wie du dein Schicksal erfüllen kannst.“   Ungläubig starrte Anya auf ihre Duel Disk. Sie hatte schon so viele Lebenspunkte gezahlt, um an Infos zu kommen. Wenn sie das jetzt schon wieder tat, würde sie auf 1600 fallen – viel war das nicht. Und sie durfte nicht vergessen, dass sie es gleich mit zwei Paktmonstern zu tun hatte. Eines von ihnen kannte sie nicht einmal und schlimmer noch, es befand sich noch in seiner Ursprungsform. Andererseits … sie konnte doch sowieso nicht verlieren, oder? Zumindest, solange sie die [Scales Of Wisdom] nicht anrührte. Außerdem, selbst -wenn- der Sammler sie zerstören würde, hätte sie ja immer noch ein paar Lebenspunkte. Und wehrlos war sie auch nicht. Was waren 1000 jämmerliche Lebenspunkte schon im Vergleich zur Gewissheit? „Deal“, brummte sie leise.   [Anya: 2600LP → 1600LP / Collector: 4000LP]   „Und jetzt rede dir den Mund fusselig!“, gab ihm Anya diese, für ihre Verhältnisse, großzügige Erlaubnis. Nur um wieder von einem stechenden Schmerz geplagt zu werden, während sich das Verhältnis der Waagschalen abermals veränderte. Ihr Gegner lächelte zufrieden. „Du weißt, worauf es ankommt. Eden … wie ich schon vorhin sagte, befindest du dich auf dem richtigen Weg. Dein Elysion, es muss mit den anderen fünf verbunden werden.“ „Also gibt es wirklich fünf!?“ „Ja und nein. Es gibt viele, doch nur diese fünf erfüllen die Vorgaben. Das heißt, eigentlich nur vier von ihnen. Das, welches sich hier befindet“, er machte eine Kunstpause, die Anya wie eine Ewigkeit erschien, „schläft. In künstlicher Starre. Wie du es daraus löst … weiß nicht einmal ich. Aber ich bin mir sicher, dass du es rechtzeitig schaffen wirst.“ Anya atmete tief durch und versuchte, das Kribbeln unter ihrer Haut zu ignorieren. Genau wie den trommelnden Herzschlag. Trotzdem bekam sie ihre unterschwellig vor Aufregung bebende Stimme nicht unter Kontrolle. „Und wie verbinde ich diese Dinger mit meinem!?“ „Nimm die Scherben deines Elysions und lade sie mit der Energie der fünf anderen auf, für jedes von ihnen genau eine. Dann bring sie zurück und lasse Levrier ein neues Elysion erschaffen. Warte damit jedoch nicht zu lange. Es muss passieren, bevor der Turm von Neo Babylon auftaucht. Gelingt es dir, wird sich dir der wahre Pfad zu Eden eröffnen. Wenn du es aber bis dahin nicht schaffst … ist alles zu spät.“ „Und das ist alles!?“ Der Sammler schloss die Augen. „Nein. Eine Sache noch. Nimm die fünf dazugehörigen Individuen mit in den Turm. … du weißt warum.“ „Also werden sie sterben?“, fragte Anya atemlos. „Matt, Alastair, Redfield, Marc und …“ Die Lider aufschlagend, entgegnete ihr der Sammler: „So ist es. Nun weißt du, was du innerhalb der nächsten sieben Tage tun musst. Bist du mit der Antwort zufrieden?“ Anya ließ den Arm, mit dem sie ihre Karten hielt, plötzlich hängen. „Nein. Aber das liegt nicht an dir …“ „Wenn du Eden geworden bist, wirst du keine Schuld mehr fühlen. Aber vergiss nicht: mein Angebot steht noch. Ich könnte dich von deinem Elend befreien und damit auch die anderen. Alles was du mir versprechen musst ist deine Seele.“ Sofort festigte Anya ihren Blick und gewann ihre kämpferische Haltung zurück. „Niemals!“ „Dann sei es so.“   Tief durchatmend, rang Anya um ihre Fassung. Sie durfte jetzt nicht über das Erfahrene nachdenken, nicht jetzt! Später ja, aber nicht jetzt! Dann konnte sie entscheiden, was sie tun sollte. Doch zunächst: „Weiter im Text! Ich aktiviere [D.D.R. – Reincarnation From A Different Dimension]! Ich werfe eine Karte ab und beschwöre eines meiner verbannten Monster aufs Spielfeld, welches mit dieser Zauberkarte ausgerüstet wird und damit an sie gebunden ist.“ Anya entschied sich für [Gem-Knight Fusion] und knallte anschließend das Monster ihrer Wahl auf die Duel Disk. „[Gem-Knight Sardonyx]!“ Vor ihr tat sich ein gekrümmter Spalt ins Nichts auf, aus dem ein breiter Krieger stieg. Seine Rüstung spiegelte den Edelstein wieder, auf dem seine Existenz basierte: rote und weiße Linien, ineinander verlaufen – der Sardonyx. An einer Kette schwang er einen ebenfalls aus rotem Sardonyx bestehenden Morgenstern.   Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   Heftig atmend, die erschreckenden Gedanken mit aller Macht verdrängend, knallte Anya ihre letzte Handkarte auf die Duel Disk. „Hinzu kommt [Gem-Armadillo]!“ Neben ihrem Ritter gesellte sich ein Gürteltier mit Raketen auf dem Rücken, das keine Beine besaß, sondern einen rattenschwanzförmigen Unterleib.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Wenn der beschworen wird“, erklärte Anya, nahm ihr Deck aus der Halterung und fächerte es auf, einen prüfenden Blick auf die Karten werfend, „schenkt er mir einen Gem-Knight. So wie [Gem-Knight Garnet]!“ Sie zeigte die normale Monsterkarte vor, die ihre einzige Handkarte darstellen sollte, und ließ anschließend ihr Deck von der Duel Disk durchmischen. „Dann bedeutet das, dass du eine Xyz-Beschwörung planst.“ „Bingo! Overlay Network, go!“ In braunen Lichtstrahlen verschwanden Anyas Monster in dem sich öffnenden, schwarzen Loch, welches im Gegenzug einen mit Kristallen überzogenen Drachen freigab. „Xyz-Summon! [Kachi Kochi Dragon]!“ Brüllend spannte Anyas neues Monster seine ebenfalls mit Kristallen überzogenen Schwingen.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4}]   „Eine kluge Wahl“, kommentierte der Sammler dies anerkennend, „viel besser als [Gem-Knight Pearl].“ „Was du aber laut sagen kannst! Und jetzt gibt’s Kloppe!“ Anya streckte den Arm aus und zeigte auf [Lavalval Master – Ignis Aither], welcher sofort daraufhin seine flammenden Flügel um den Leib schlug, da er sich immer noch im Verteidigungsmodus befand. „Mach-es-kalt! Primo Sciopero!“ Wie ein Düsenjet hob der Drache ab und schoss schnurstracks auf seinen Gegner zu. Anya erklärte lauthals: „Da [Kachi Kochi Dragon] ein Xyz-Monster ist und ihn zerstören kann, hat dein dämlicher Ignis Aither mit seinen jämmerlichen 1400 Verteidigungspunkten keine Chance!“ „Korrekt!“ Vor dem schwarzen Engel angekommen, schlug der Drache mit seinen edelsteinbesetzten Klauen zu und zerteilte seinen Gegner unter einer heftigen Explosion. „Na bitte!“, jubelte Anya und war wieder voll in ihrem Element. „Und als Krönung entferne ich jetzt ein Xyz-Material und lasse [Kachi Kochi Dragon] gleich nochmal angreifen! Los, Secondo Sciopero!“ Der Drache drehte den Kopf zur Seite, fraß eines seiner beiden Xyz-Materialien und nahm den federlosen Phönix ins Visier, als jener plötzlich in ein sich öffnendes, schwarzes Loch unter ihm gezogen wurde. „Incarnation Mode, ich rekonstruiere das Overlay Network.“ „Wusst' ich's doch!“ Aus dem Overlay Network schossen rote, grüne und schwarze Blitze, als ein völlig in smaragdfarbenden Flammen gehüllter, riesiger Vogel daraus hervortrat und weit über den beiden Duellanten seine Kreise zog. Der Sammler nannte ihn: „[Eternal Daigusto – Jade Phoenix]!“   Eternal Daigusto – Jade Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   „Der sieht zwar nicht übel aus, ist aber noch lange kein Match für [Kachi Kochi Dragon]! Den hättest du dir sparen können!“, gab Anya sich siegesgewiss und befahl: „Los, setze deinen Angriff fort!“ „Ich entferne eines der Xyz-Materialien und mache mein Monster einmal pro Zug unzerstörbar für Kämpfe. Ferner werden mir nun die Lebenspunkte gutgeschrieben, die ich sonst verlieren würde. Reverse Of Life!“ Anya erschrak zutiefst, als der Phönix einen Lichtstrahl aus seinem Schnabel auf ihren Drachen schoss, welcher direkt in die Brust getroffen wurde, quer über das Spielfeld flog und direkt vor seiner Besitzerin unter einem dröhnenden Schmerzensschrei auf den Boden knallte.   [Anya: 1600LP / Collector: 4000LP → 4600LP]   Zischend wischte sich Anya den Schweiß von der Stirn, als sich ihr Monster zum Glück wieder aufrichtete. „Dämliches Mistvieh!“, beschimpfte sie den am Himmel verharrenden Flammenphönix. „Aber bilde dir nicht ein, dass du so einfach davon kommst! Vielleicht kann ich dich nicht ins Jenseits befördern, aber ein bisschen Prügel hat noch niemandem geschadet!“ Mit ehrgeizigem Blick wandte sie sich an [Gem-Knight Zirconia], der alles abwartend mit angesehen hatte. „Los, immer feste drauf! Zirconia Smash!“ Sofort sprang der massive Ritter in die Luft und holte mit seinem linken Pfeilerarm zum Schlag aus. Dieser saß, als er den Phönix erreicht hatte, denn jener wurde ein ganzes Stück durch die Luft geschleudert, obschon er den Angriff überlebte.   [Anya: 1600LP / Collector: 4600LP → 3200LP]   Als Anyas Krieger mit einem Satz wieder neben dem Drachen landete, verkündete diese schlecht gelaunt: „Zug beendet!“   Und kaum hatte der Collectordämon seine nächste Karte gezogen, schob er [Fabled Krus], die er zuvor als Aktivierungskosten für Reverse Of Life entfernt hatte, wieder unter das Xyz-Monster auf seiner Duel Disk. Dieses war nun wieder von drei goldenen Sphären umgeben. „Wie wäre es mit einer Frage? Was möchtest du wissen?“ Anya biss sich auf die Lippen. Sollte sie oder nicht? Vermutlich würde sie das wieder viele Lebenspunkte kosten, aber … sie wollte es wissen! Wissen- „-was ist Eden!?“ „Die Antwort würde deine gesamten restlichen Lebenspunkte kosten.“ Der Sammler sah sie fragend an. „Ist es das wert?“ Die Blondine geriet ins Stocken. „Alle!?“ „Ja.“ „Dann vergiss es!“ Auf keinen Fall durfte sie ihre verbliebenen Lebenspunkte aufgeben. Denn wenn die [Scales Of Wisdom] danach zerstört werden würde, hieße das zu verlieren. Was im Falle ihres Gegners wohl alles andere als gut war! „Dann lasse mich dir ein Gegenangebot machen. Eine kleine Information über Eden, für nur 500 Lebenspunkte.“ Anya stöhnte. Wenn es ihr half … „Meinetwegen, 500 sind entbehrlich.“ Sofort tauchte der stechende Schmerz in ihrer Brust wieder auf, die Waagschalen bewegten sich, sodass eine nun fast ganz oben lag, während die andere von einem unsichtbaren Gewicht belastet beinahe den Boden berührte.   [Anya: 1600LP → 1100LP / Collector: 3200LP]   „Eden“, sprach der Sammler leise und sah Anya dabei tief in die meeresblauen Augen, „wurde bereits einmal erweckt. Und anschließend wieder versiegelt.“ „Und weiter?“ Ihr Gegner lachte. „Das war alles.“ „Was!? Für den Mist habe ich meine wertvollen Lebenspunkte ausgegeben!?“ „Ich dachte, sie seien entbehrlich? Ich sagte 'eine kleine Information'. Wenn du mehr willst, musst du auch mehr zahlen.“ Dafür kassierte er glatt noch einen Stinkefinger von Anya. „Vergiss es, du Dreckskerl!“ „Wie du meinst. Nun werde ich meinen Zug fortsetzen.“ Er legte eine seiner beiden Handkarte auf die Duel Disk. „Beschwörung: [Fabled Gallabas]. Mit anschließender Fallenaktivierung: [Call Of The Haunted], womit ich [Fabled Grimro] vom Friedhof erwachen lasse.“ Vor ihm materialisierten sich ein dämonischer Krieger, welcher mit seinen schuppenbesetzten Armen einen riesigen Morgenstern schwang und eine pechschwarz gefederte, junge Frau, welcher Rabenflügel aus dem Rücken wuchsen.   Fabled Gallabas [ATK/1500 DEF/800 (4)] Fabled Grimro [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   „Ich erschaffe das Overlay Network“, rief der Sammler unter Anyas genervtem Stöhnen, „Xyz-Summon! Erscheine, [Evigishki Merrowgeist].“ Kaum erklang der Name von Valerie Redfields Paktkarte, horchte die Blondine mit gespitzten Ohren auf. Mürrisch brummte sie eher zu sich, als ihrem Gegner: „Alles, bloß nicht dieses Teil!“ Als das schwarze Loch sich in der Mitte des Spielfelds öffnete und die beiden gelben Lichtstrahlen, die transformierten Monster des Sammlers absorbierte, schnaufte Anya laut. Denn als die mit einem Zauberstab bewaffnete, rothaarige Meerjungfrau die Bühne betrat, fühlt das Mädchen sich sofort an die Zeit zurückerinnert, als Valerie sie vor den Angriffen der Verrückten aus Victim's Sanctury beschützt hatte – eine glatte Demütigung.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   „Nun“, rief der Sammler und streckte seinen Arm nach dem Phönix am Himmel aus, „entferne ich zwei Xyz-Materialien, um den Effekt von [Eternal Daigusto – Jade Phoenix] zu aktivieren. Somit schicke ich zwei Karten auf dem Spielfeld auf deine Hand zurück. Deine Monster. Wind Scars Of Life!“ Anya glotzte wie ein Mondkalb, als sie sich völlig sicher war, richtig verstanden zu haben. „Was!?“ Doch schon sendete der Phönix am Himmel per Flügelschlag etliche gebogene, grün leuchtende Energieklingen, die auf Anyas Monster wie ein Hagelschauer niedergingen. Sowohl der Drache, als auch Zirconia schrien, bevor sie sich letztlich auflösten und in Anyas Extradeck verfrachtet wurden, da sie sie nicht einfach ihrem Blatt hinzufügen konnte. „Das getan, werde ich nun deine Lebenspunkte direkt angreifen. Doch keine Sorge, du wirst nicht verlieren. [Evigishki Merrowgeist], Sceptre Of Foresight!“ Behände ließ die schwebende Meerjungfrau den Zauberstab in ihren Händen wirbeln und richtete ihn schließlich auf Anya. Welche es sich nehmen ließ, mal wieder den Mittelfinger zu zücken. „Verpiss dich, Miststück! Als ob ich mich von so'ner Wischiwaschi-Tante wie dir angreifen lasse! Meine Falle wird genau das verhindern: [Fragment Fusion]! Sie verbannt Sardonyx und [Gem-Armadillo] von meinem Friedhof, um mich eine Fusionsbeschwörung durchführen zu lassen. Das gerufene Monster stirbt zwar am Ende des Zuges, stellt aber einen super Schild gegen die Angriffe von ollen Möchtegernschicksen dar! Komm zurück, [Gem-Knight Zirconia]!“ Überall tanzten plötzlich Edelsteine in der Luft, als einige vor Anya ein Pentagramm durch Energielinien zeichneten, aus dem letztlich Zirconia hervortrat. Dieser streckte die Arme vor Anya aus, um sie vor den Angriffen ihrer Feinde zu schützen.   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   Unverrichteter Dinge brach die Meerjungfrau ihren Angriff ab und zog sich ein Stück Richtung des Collectordämons zurück. Dieser meinte unbekümmert: „Wenn das der Fall ist, beende ich meinen Zug hiermit.“ Wodurch Zirconia in tausend Teile zersprang.   „Mein Zug!“, schrie Anya hitzig und riss die nächste Karte von ihrem Deck. Bevor ihr Gegner etwas sagen konnte, blaffte sie ihn an. „Und vergiss es, ich will keine Fragen mehr stellen.“ „Aber du hast doch noch gar nicht gefragt, wie die andere Möglichkeit aussieht. Die, dich von Levrier loszulösen.“ Anya schnappte nach Luft. Verwirrt entgegnete sie: „A-aber du sagtest doch-“ „Damit meinte ich nur, wenn ich -es- für dich erledigen soll. In dem Fall verlange ich nach wie vor deine Seele. Aber wenn -du- es tun willst, nun ja, kostet es dich lediglich …“ Er machte eine seiner Kunstpausen. „Den Rest deiner Lebenspunkte.“ „Unmöglich! Mach's billiger und wir können drüber reden!“ „Sicher? Dieses Wissen ist wertvoll. Nicht nur für dich, sondern für alle deine“, das letzte Wort betonte er besonders stark, „Bekannten. Mit ihm könntest du sie alle retten, inklusive dich selbst. Wenn du bereit bist, ein großes Wagnis einzugehen.“ In Anya schrie es laut 'Was gibt es da schon groß zu überlegen, sag ja!', doch gleichwohl war ihr das einfach zu gefährlich. Was, wenn das alles doch nur eine Falle war? Sie wusste ja nicht einmal, ob überhaupt etwas von dem stimmte, was er ihr erzählte! Und dieser Schmerz, den sie immer wieder spürte, was hatte der zu bedeuten? Aber dem gegenüber stand die Freiheit. Nein, das Leben. Was hieße es denn schon, wenn jetzt etwas Unvorhergesehenes geschähe? Wenn sie zu Eden wird, wäre sowieso alles aus. Und wenn sie dabei versagt, landete sie im Limbus, dem Ort ohne Wiederkehr. Was könnte schon schlimmer sein als das!? Sie wäre frei, wenn sie jetzt zustimmte!   „Ich werde nicht verlieren?“, vergewisserte sie sich mit leiser Stimme. Der Sammler nickte nur knapp. „Dann … meinetwegen.“ Sofort ließ ein grässlicher Schmerz sie aufschreien und sie glaubte, ihr Herz würde stehen bleiben. Die Waagschalen hinter dem Sammler bewegten sich wieder ein Stück, während Anya keuchend in die Knie ging und sich die Brust hielt. Nun standen beide Schalen am jeweiligen Zenit ihrer Möglichkeiten. Noch mehr Gewicht würde das Gebilde gewiss nicht verkraften.   [Anya: 1100LP → 0LP / Collector: 3200LP]   „Ich weiß, dass du bereits von dem jungen Ford gehört hast“, der Sammler lächelte wissend, „dass er den Tod überlebt hat, um den Pakt zu brechen. Er irrt. Und liegt doch richtig.“ „Sprich Klartext“, presste Anya schwer atmend hervor. Sie war insgeheim erstaunt, tatsächlich noch zu leben. Hielt der Sammler sich am Ende tatsächlich an die Vereinbarung? „Zu sterben ist der Weg, sich eines Paktes zu entledigen. Der Tod ist das Ende, aber ist er nicht immer endgültig. Doch was im Leben miteinander verbunden ist, muss im Tode auseinander gehen.“ Langsam erhob sich Anya, als der Schmerz nachließ. „Ich verstehe immer noch nicht.“ Der Sammler nickte. „Wenn du stirbst, muss der Dämon ebenfalls sterben. Sollte dies nicht geschehen, besteht die Möglichkeit, dass die alte Verbindung – der Pakt – wieder 'zusammenwächst'. Bist du mit dieser Information zufrieden?“ „Aber wie soll ich das anstellen!?“, begehrte Anya auf. Allerdings wurde sie nur vor einem erhobenen Zeigefinger gestellt. „Diese Frage wirst du nicht mehr stellen können. Das Limit ist erreicht. Von nun an musst du das gewünschte Wissen selbst zusammentragen. … Oder du machst mir ein Angebot.“ Mit einem Mal stampfte Anya auf. „Vergiss es! Diese dubiosen Geschäfte gehen mir langsam auf die Eierstöcke! Und deswegen werde ich das jetzt beenden!“ „Ach so?“ „Ich verbanne von meinem Friedhof [Gem-Knight Zirconia], um meine [Gem-Knight Fusion] zu bergen“, rief Anya und tat genau dies, knallte anschließend ihre nachgezogene Karte auf die Duel Disk. „Jetzt rufe ich [Gem-Armadillo] und suche mir durch seinen Effekt [Gem-Knight Obsidian] auf die Hand!“ Auf Anyas Spielfeldseite tauchte wieder das altbekannte Gürteltier auf, oder besser gesagt die zweite Kopie, die das Mädchen davon in ihrem Deck spielte.   Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]   Kaum hatte Anya die Karte mit dem Bild eines pechschwarzen Ritters, welcher eine Kette aus Perlen als Waffe benutzte, ihrem Blatt hinzugefügt, streckte sie schon ihre Hand mit [Gem-Knight Fusion] zwischen Mittel- und Zeigefinger in die Luft. „Und nun verschmelze ich Obsidian und Garnet von meiner Hand und beschwöre [Gem-Knight Ruby]! Scheiß auf den Beschwörungsspruch, hau einfach rein!“ Als die Abbilder der beiden zu verschmelzenden Monster über Anya erschienen und ineinander übergingen, wurden die verschiedensten Edelsteine mit in den Fusionssog gezogen. Aus dem sprang kurze Zeit später ein eleganter Krieger in roter Rüstung, dessen blauer Umhang auf magische Weise wehte. Die Lanze auf den Sammler gerichtet, stieß der Ritter einen stolzen Schrei aus.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   Doch neben ihm tauchte plötzlich noch ein Ritter auf, dieser trug eine bronzene Rüstung und bündelte einen Schwall Flammen in seinen Händen. Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Na, überrascht?“, lachte Anya gehässig. „Doof, was? Dass Obsidian, wenn er von meiner Hand auf den Friedhof wandert, ein normales Monster auf meine Spielfeldseite vom Friedhof beschwört! Also [Gem-Knight Garnet]!“ Sie setzte ein noch widerlicheres, siegessicheres Grinsen auf. „Aber keine Sorge, Kumpel, der verschwindet gleich wieder. Zusammen mit [Gem-Armadillo].“ „Dessen bin ich mir bewusst“, antwortete der Sammler unbekümmert. „Umso besser, denn dann weißt du, dass du längst verloren hast! Ich opfere meine beiden Monster, um ihre Angriffskraft auf Ruby dank dessen besonderer Fähigkeit zu übertragen!“ Garnet und das Gürteltier lösten sich in helle Lichter auf, die von der Lanze ihres Kameraden absorbiert wurde. Um den explodierte nun förmlich eine rote Aura.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 6100 DEF/1300 (6)]   Der Sammler klatschte anerkennend in die Hände. „Wirklich gut. Dein Kampfstil wird immer besser.“ „Klappe! Von dir brauche ich kein Lob! Beende das jetzt, Ruby! Greif die olle Sumpfkuh mit Sparkling Lance Thrust an!“ Schließlich fügte sie noch hinzu: „Und versuch gar nicht erst, dieses Miststück zu transformieren, Bastard! Auch wenn du ihre Weiterentwicklung im Verteidigungsmodus rufen würdest, wäre das egal, denn Ruby fügt Durchschlagschaden zu! Nun jetzt mach-ihn-alle!“ „Sehr gut erkannt“, sprach der Sammler und schloss seine Augen. Wie ein Pfeil schoss Anyas Ritter auf die Meerjungfrau zu und stieß ihr seine Lanze in die Brust. Einen jämmerlichen, hilfesuchenden Schrei von sich gebend, zersprang jene schließlich in tausend Teile …   [Anya: 0LP / Collector: 3200LP → 0LP]   … und hinterließ Anya damit, geschützt vom Effekt der [Scales Of Wisdom], als Siegerin.   Schwer atmend ging das Mädchen in die Knie, als sie begriff, dass es tatsächlich vorbei war und sie gewonnen hatte. „Gut gespielt“, lobte der Sammler sie, welcher plötzlich direkt vor ihr auf der Straße stand. Anya sah mit grimmiger Miene auf. „Klaro! Und jetzt hau ab!“ „Für deinen grandiosen Sieg verrate ich dir noch etwas. Sieh es als Dreingabe für deinen Einsatz im Duell an“, sagte er geheimnisvoll. „Das letzte Elysion befindet sich in der Kanalisation unterhalb der Stadt, zwischen Bahnhof und Einkaufszentrum. Wo genau es ist musst du selbst herausfinden.“ Dann drehte er ihr den Rücken zu. „Das Schicksal ist kein festgelegter Weg, sondern ein Netz aus vielen Pfaden, die man beschreiten kann und deren Zahl je nach der eigenen Situation variiert. Dabei ist es so umfangreich, dass kein Sterblicher es je begreifen könnte und retrospektiv betrachtet, zeichnet sich in diesem Netz der eine Weg ab, den man hinter sich zurückgelegt hat. Das ist Leben.“ „Huh!?“ Als er sich von ihr entfernte, sprach er in seiner kryptischen Art und Weise weiter. „Deshalb ist es aber auch nicht möglich, die Zukunft mit Gewissheit vorherzusehen. Doch all diese Pfade enden letztlich mit dem Tod. Und von dort erstreckt sich ein ganz neues Netz aus Pfaden.“ Er blieb stehen. „Aber es ist möglich, dem Netz des Schicksals neue Pfade hinzuzufügen, Pfade, die nie vorgesehen waren. Dies ist meine Aufgabe als Sammler. Um auf die zu deiner Unzufriedenheit beantwortete Frage zurückzukommen.“ Der Rothaarige sah sich noch einmal nach Anya um, die ihn völlig irritiert betrachtete. „Ich bin mir sicher, dass wir uns wiedersehen werden. Denn unser beider Pfade laufen aufeinander zu wie eine Kreuzung. Bis dahin, Anya Bauer … stirb nicht.“ Und einen Herzschlag später, Anya hatte nur geblinzelt, war er fort.   Was hast du dir dabei gedacht!?   Anya hielt sich die Ohren, als es plötzlich laut in ihrem Kopf hallte. Habe ich dich nicht vor ihm gewarnt!? Dieser Dämon hätte dich töten können! Oder gar Schlimmeres! Hast du übersehen, dass er noch über eine verdeckte Karte verfügt hatte? Was hättest du getan, wenn er damit [Scales Of Wisdom] zerstört hätte!?   „Krieg dich wieder ein“, raunte Anya und erhob sich langsam. Den hatte sie in all der Aufregung ganz vergessen. Seinen Worten nach zu schließen hatte er jedoch alles aus dem Elysion miterlebt.   Wenn du gestorben wärst-   „Bin ich aber nicht, 'kay!? Und solltest du nicht etwas dankbarer sein, Sackgesicht!? Immerhin weißt du jetzt alles, was du wissen musst! Und das hast du nur mir zu verdanken! Mir und meinem Mut, etwas zu riskieren!“   Du meinst wohl deinem tollkühnen Egoismus!   Anya sah sich derweil um. Die Brandspuren an der Fassade unterhalb der Wohnhäuser und auf der Straße waren ganz schön groß. Wenn jemand sie hier bemerkte, würde das eine Menge Ärger geben, welchen sie sich im Moment nicht leisten konnte. „Egal! Ende gut, alles gut!“   Wie dem auch sei. Du hast recht, ich danke dir. Mit dem Wissen des Collectors können wir endlich unsere Bestimmung erfüllen. Aber was wirst du jetzt tun? Es sollte kein Problem sein, dein Elysion mit anderen zu verbinden, abseits dem von Alastair, welches wir erst erwecken müssen. Doch die Frage ist: wie bekommen wir die Zeugen der Konzeption dazu, den Turm zu betreten?   Plötzlich ließ Anya den Kopf hängen und begann, sich dem anliegenden Wald zu nähern. Ohne Levriers Frage zu beantworten.     Turn 25 – Inevitable Decisions Am nächsten Tag versammelt Anya die gesamte Truppe, bestehend aus Matt, Alastair, Valerie, Marc, Orion, Henry, Abby und Nick in der Küche der Familie Redfield, um ihnen von ihrer Begegnung mit dem Sammler zu berichten. Doch anstatt ihnen die Wahrheit über das Geschehe zu sagen, tischt Anya ihnen eine folgenschwere Lüge auf. Zudem versucht sie Alastair dazu zu bringen, sein zurückgelassenes Elysion zu zerstören. Doch der misstraut dem Mädchen. Ausgerechnet Marc ist es, der sich für Anya einsetzt und …   Kapitel 25: Turn 25 - Inevitable Decisions ------------------------------------------ Turn 25 – Inevitable Decisions     „Ich komme mir vor wie 'ne beschissene Sekretärin“, beklagte sich Anya, die nun seit Stunden am Telefon saß und korrespondierte, was das Zeug hielt. Ungeduldig schritt sie von einer Ecke zur anderen in ihrem unaufgeräumten Zimmer, wo sich Comichefte, Videospielhüllen, durchgehend schwarze Klamotten und Duel Monsters-Karten einen erbitterten Kampf um die besten Plätze lieferten. „Und wo ist das?“, fragte Matt auf der anderen Seite des Hörers. „Such im Telefonbuch oder sonst wo, Herrgott! Es gibt nur eine Familie Redfield in der Stadt!“ Und wären es mehrere, hätte sie die vermutlich längst ausgelöscht, fügte Anya noch im Gedanken hinzu. Eine Schnöselfamilie war schlimm genug. „Also in einer Stunde? Okay, ich sag Alastair Bescheid.“ „Ja“, raunte Anya in den Hörer. „Der soll unbedingt kommen, denn mit dem hab' ich noch was zu klären.“ Matt klang verwundert. „Was denn?“ „Erfährst du dann! Genau wie alles andere, was ich gestern so erfahren habe. Also dann, wir sehen uns, kthanxbye!“ Schon hatte sie aufgelegt und warf den Hörer achtlos beiseite, ließ sich in ihr Bett fallen und schloss die Augen. „Phew, das waren alle, glaub ich. Jetzt müssen sie nur noch kommen.“   Und was wirst du ihnen sagen? Die Wahrheit? In dem Fall müsste ich deinen Körper übernehmen, um zu verhindern, dass sie wie aufgescheuchte Hühner die Stadt verlassen. Keiner von ihnen wird freiwillig den Turm von Neo Babylon betreten.   Alles, was Anya dazu zu sagen hatte, war ein tiefes: „Hmpf!“ Von ihrem Schreibtisch aus hallte Abbys Stimme herüber: „Anya, wäre es nicht fair, Valerie vorher Bescheid zu sagen?“ Mit einem Ruck saß die Blondine wieder aufrecht, welche ihr Haar heute ausnahmsweise einmal offen trug – was ihr aber alles andere als gut zu Gesicht stand, wenn man bedachte, dass sie dadurch fast 'mädchenhaft' aussah. „Wieso? Ich dachte, Redfield liebt Partys? Und sie wird die besten Gäste haben, die sie jemals gesehen hat!“ Abby stieß einen resignierenden Seufzer aus. „Du kennst Valerie kein bisschen, oder?“ „Besser als du das Pennerkind.“ Anya verzog ihre Augen zu Schlitzen. „Ist da was zwischen euch gelaufen?“ „N-nein!“, protestierte Abby, welcher die Schamesröte ins Gesicht stieg.   Ihre Worte sagen nein, die Körperfarbe ja.   „Was hat er mit dir angestellt!?“ „Nichts!“, kreischte Abby förmlich und drehte sich auf dem Drehstuhl um, damit Anya bloß nicht ihr Gesicht sah. Doch die war längst aufgesprungen, drehte Abby wieder zu sich und verfrachtete sich mit dämonischem Gesichtsausdruck auf ihrem Schoß. Die Finger knacken lassend, fragte sie: „Sicher?“ „Ganz sicher! Ganz, ganz, ganz sicher! … leider!“ „Was!?“ Abby quiekte panisch: „Nichts!“ Woraufhin Anyas Gesicht wieder menschliche Züge annahmen. „Ist auch besser so!“ „Was ist es denn eigentlich, was du uns erzählen willst?“, fragte das brünette Mädchen eilig, um bloß das Thema zu wechseln. „Was ist gestern passiert, dass du alle bei Valerie versammelst?“ „Wirst du schon noch erfahren“, meinte Anya mit ihrer typischen Endgültigkeit und warf einen Blick auf die Armbanduhr. „Wir sollten uns sowieso bald fertig machen. Ich will dabei sein, wenn Redfields Kinnlade den Boden schrubbt, weil ihre Geburtstagsparty vorgezogen wurde!“ „Du hast es voll mit Absicht gemacht, huh?“ „Klaro“, brüstete Anya sich stolz, doch ihre Mimik wurde wieder zu einer dämonischen Fratze. „Wehe, dein neuer Mitbewohner kommt nicht! Und wenn ihr heimlich Händchen haltet, reiß ich euch den ganzen Arm ab, verbrenne ihn und füttere euch mit der Asche!“ Abby schluckte ängstlich. „Schon gut, er hat versprochen zu kommen!“   ~-~-~   „Redfield?“, tönte es eine halbe Stunde später ahnungslos aus dem Lautsprecher neben dem großen Tor, welches den Eingang zu Valeries Domizil darstellte. Als keine Reaktion folgte, sagte Valeries Stimme streng: „Anya, du kannst die Klingel jetzt loslassen, ich bin hier.“ „Whoops, muss ich doch glatt überhört haben“, log die Blondine und nahm dem Finger nur widerwillig von der Taste. „Was willst du?“ „Die klingt nicht gerade begeistert“, flüsterte Abby im Hintergrund zu Nick, welchen sie auf dem Weg hierher entgegen Anyas ursprünglichem Plan abgeholt hatten. „Hehe, wenn sie mich sieht, wird sich das bestimmt ändern.“ Abby stöhnte leise. „Das wag' ich zu bezweifeln.“ Indes antwortete Anya missmutig auf die Frage ihrer Erzfeindin. „Ganz einfach, Redfield! Lass mich rein und ich erkläre es dir. Vielleicht.“ „Abby, hat sie Waffen dabei?“ Das Hippiemädchen schreckte beim Klang ihres Namens glatt auf. „Ähm, n-nein, ich glaube nicht. Hi Valerie!“ Ein resignierender Seufzer erklang. „Meinetwegen, kommt rein.“ Woraufhin sich das Tor von selbst öffnete.   Wie ein Feldmarschall schritt Anya den Weg hinauf zur Villa der Redfields, flankiert von ihren Generälen Nick Harper und Abigail Masters, die sich eher an dem prachtvollen Blumengarten erfreuten, denn daran dachten, Anyas Tempo zu halten. „Jetzt ist nicht die Zeit zum Glotzen“, herrschte jene die beiden daraufhin an, griff ihre Arme und zog sie hinter sich her. Kaum waren sie vor der Tür angelangt, öffnete jene sich und Valeries Kopf lugte misstrauisch hervor. Ihr schwarzes Haar war dieses Mal zu einer Turmfigur hochgesteckt. Was Anya selbstredend nicht unkommentiert lassen konnte. „Was suchen denn die Essstäbchen in deiner Frisur, Redfield? Kannst du dir neuerdings keine Haarspangen mehr leisten?“ „Was willst du?“, erwiderte die nur ebenso feindselig. Es war deutlich, dass ihre Worte ernst gemeint waren, als sie sagte, sie würde Anya nie für ihre Taten verzeihen. „Ab in die Küche“, befahl der Marschall bereits seinen Unterlingen, die es jedoch nicht wagten, sich an Valerie vorbei ins Haus zu stehlen. Plötzlich sprang etwas Schwarzes hinter Valerie hervor, direkt auf Anyas Oberkörper zu. „Kawaii, Tsundere ist wieder da!“ Doch der kleine Schattengeist Orion wurde mit einer saftigen Rechten rechtzeitig abgefangen und stattdessen mit voller Wucht gegen Nicks Schädel geknallt, welcher daraufhin glatt aus den Socken gehauen wurde. Mit schmerzerfüllten Blicken lagen dieser und Orion am Boden, wobei Letzterer krächzte: „Sie ist immer noch nur Tsun, kein bisschen Dere …“ „Die hässliche Knolle war aber nicht eingeladen“, brummte Anya beim Anblick des KO gegangenen Schattengeists. „Was?“ Valerie schien wirklich ahnungslos. Doch Anya schnappte sich Abby, bat sich ungeniert selbst herein und ließ ihre Erzfeindin verwirrt zurück, die sich genervt stöhnend um die beiden Verwundeten bemühte.   Kaum hatte sie es geschafft, Nick aufzurichten und ins Haus zu bitten, fand sie Anya bereits in ihrer altmodischen Küche aus dem 18. Jahrhundert wieder, wie sie einfach so auf dem langen Esstisch saß und abwartend die Arme verschränkt hielt. „Was soll das!? Wieso platzt du einfach in mein Haus herein!?“ „Weil ich's kann, Redfield, deshalb!“ Abby, die zurückhaltend neben Anya stand, fasste sich ein Herz und klärte die aufgebrachte Valerie schließlich auf. „Anya hat alle zusammengetrommelt, die irgendetwas mit Eden und einem Pakt zu tun haben.“ Woraufhin Valeries wütende Mimik einer überraschten wich. „Und wozu?“ „Weil ich den Jackpot abgestaubt habe“, raunte Anya zynisch. „Jetzt setz dich auf deinen Schickimickiarsch und warte, bis der Rest hier ist!“ „Ich kann das Kissen sein!“, gluckste Nick wolllüstig, doch bekam von Orion, der auf seinem Kopf hockte, eins auf die Zwölf mit dessen kleiner Faust. „Vergiss es! Du bist nur mein Sklave und hast daher kein Recht, eine solch anspruchsvolle Aufgabe zu übernehmen! Ich mach das! Nicht wahr, Valval?“ Deren zusammengekniffene Augen waren Antwort genug, um die beiden zum Verstummen zu bringen. Abermals stöhnend ob Anyas Frechheiten, ließ sich Valerie schließlich ein wenig weiter weg von den anderen auf einem der Stühle am Essenstisch nieder und wartete geduldig.   ~-~-~   Und fauchte Anya eine halbe Stunde später an, als die Küche voller Menschen war, die sie nicht kannte. „Ich dachte, es kommen 'ein paar' Leute!? Nicht eine halbe Footballmannschaft!“ „Sind doch nur'n paar“, zuckte Anya neben ihr mit den Schultern und sah die versammelte Gruppe an. Da war Matt, der gegen einen Küchenschrank lehnte und die Hand zum Gruß hob. Ihm gegenüber auf einem Stuhl saß sein Partner Alastair, das Narbengesicht, welches wie immer schaute, als würde er jeden Moment Amok laufen. Dann natürlich Marc, der Valerie beruhigend die Hände auf die Schultern gelegt hatte – Valerie hatte ihn persönlich auf Anyas 'Bitten' hierher beordert. Und zwischen Abby und Nick saß nun das Schnöselkind Henry, welcher ziemlich ungeduldig wirkte. „Sieht aus, als wären alle hier“, stellte Abby fest, wobei ihr Augenmerk komischerweise nur auf Henry gerichtet war – ganz zu Anyas Ärgernis. Die hatte aber keine Zeit für Kindereien und kam deshalb umgehend zur Sache. „So Leute … was sollte ich nochmal sagen, Abby?“ „Du sollst dich bedanken, dass alle gekommen sind“, flüsterte die ihr leise vom Tisch aus zu. „Ja ja, also, nett dass ihr vorbei geschaut habt. Kuchen gibt’s später.“ Anya neigte sich herüber zu Valerie, zischte spitzzüngig, aber immer noch gut hörbar: „Los, geh backen Redfield, das könnte jetzt etwas länger dauern.“ „Nicht nötig, ich habe gestern erst ein neues Rezept für eine Schokolade-Vanille-Torte ausprobiert“, erwiderte Valerie auf die Stichelei der Blondine unbeeindruckt. „Jeder, der nachher Hunger hat, kann gerne ein Stück bekommen.“ „Mhmmmm, ich liebe Ku-“ „Klappe, Harper!“, befahl Anya Nick wütend und richtete ihren Blick auf die ganze Gruppe. Irgendwie war ihr unwohl, zu so vielen Leuten zu sprechen. Besonders wenn … aber sie wusste, dass es keine Alternative gab. „Dürfen wir jetzt erfahren was du herausgefunden hast?“, fragte Matt ungeduldig. Ihm fiel nebenbei auf, dass das Mädchen, Abby, welches er vor einiger Zeit erpresst hatte, konsequent seinen Blick mied. Seine Mimik trübte sich. „Wir haben nicht ewig Zeit, verstehst du?“ Du weißt, dass du keine Wahl hast. Du musst sie anlügen, Anya Bauer. Entweder du oder ich.   „Ich weiß“, gab Anya beiden grimmig zu verstehen, leitete damit aber auch gleichzeitig ihre Erklärung ein. Es war so schwer. Sonst war ihr Lügen immer leicht gefallen, doch dieses Mal? Man könnte meinen, ihr Brustkorb implodierte jeden Moment. Dennoch hatte sie sich eins geschworen. Wenn es hieß, entweder die oder ich … würde es immer nur 'ich' geben. Sie würden dasselbe an ihrer Stelle tun. „Ich weiß, wie wir Eden vernichten können.“   Sofort ging ein aufgeregtes Raunen durch die Küche der Redfields. Alastair war der Erste, der Worte dafür fand. Und sie waren wenig schmeichelhaft. „Du lügst, Schlangenzunge! Wie könntest du-“ „Ich habe einen Mann getroffen, der mir alles verraten hat, was ich wissen wollte.“ Anya drehte sich mit verschwörerischer Mimik zu Valerie um. „Den Sammlerdämon.“ Jene zuckte merklich zusammen, als sie das vernahm und den Wink verstand. Doch anstatt etwas darauf zu antworten, erwiderte sie Anyas Blick nur unschlüssig. Die Worte, die sie beide austauschten, waren stumm. Zu dumm nur, dass Anya nicht imstande war, die ihres Gegenüber zu verstehen. Deswegen wunderte es auch nicht, dass Matt sich als Erster einmischte. „Was!? Den hast du getroffen!? Bist du lebensmüde!?“ „Der Collector ist einer der gefährlichsten Dämonen auf diesem Planeten! Kein Jäger hat es je geschafft, ihn zu töten!“, polterte auch Alastair. „Und du hast ihn aufgesucht!?“ „Nicht ich ihn, er mich“, stellte Anya mit kühler Stimme klar. Sie schloss die Augen. „Er wollte unlautere Geschäfte mit mir treiben, meine Seele stehlen, weil er Interesse an mir zu haben scheint. Eine andere 'Kundin' von ihm hat ihn wohl auf mich aufmerksam gemacht.“ Dieses Mal entglitt Valerie glatt ein erschrockener Seufzer, doch Anya ignorierte sie. Wenn sie noch näher darauf einging, würde sie die Schwanenprinzessin verraten, was momentan nicht in ihrem Interesse war. Denn eigentlich musste sie Valerie dafür dankbar sein, die Aufmerksamkeit des Sammlers erregt zu haben. „Wir haben uns um die Wahrheit duelliert, nachdem ich sein Angebot ausgeschlagen habe. Und wie ihr seht, habe ich gewonnen. Es war knapp, aber ich habe erfahren, wie Eden getötet werden kann.“ „Was musstest du als Preis dafür zahlen!?“, verlangte Alastair zu wissen. „Niemand erhält etwas von dem Sammlerdämon ohne Gegenleistung!“ Nun stampfte Anya wütend auf. „Meine Seele hätte er bekommen, wenn ich das Duell verloren hätte, 'kay!? Aber ich habe gewonnen! Er ist leer ausgegangen! Außerdem hat er sich nicht abwimmeln lassen, was hätte ich tun sollen!? Wegrennen!? Pah, als ob er mich hätte gehen lassen! Ist doch nicht mein Problem, wenn er sich am Ende auf sowas einlässt und dann verliert!“ Matt, der seine Ruhe wiedergefunden hatte, blieb nichtsdestotrotz ziemlich skeptisch. „Und er hat sich an die Abmachung gehalten?“   Plötzlich schaltete Marc sich an, der Valerie dicht an sich gezogen hatte. Deren Blick war auf befremdliche Weise abwesend, regelrecht leer. „Anstatt Anya mit Fragen zu bombardieren, solltet ihr sie erstmal ausreden lassen. Denkt ihr denn, sie lügt euch an, wenn die Sache für sie am allerwichtigsten ist?“ Der jüngere der Dämonenjäger nickte. „Da hat er recht. Aber bist du dir absolut sicher, dass er dich nicht reingelegt hat?“ „Weiß nicht“, Anya zuckte dazu unterstreichend mit den Schultern, „ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich glaube er hat nichts angestellt. Egal. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass Eden eine physische Form besitzt. Allerdings … wartet die im Turm von Neo Babylon.“ „Das habe ich mir schon fast gedacht“, reagierte Matt daraufhin und übertönte das Geflüster von Abby und Henry, die ganz zu Anyas Ärgernis verdächtig unbeteiligt wirkten. Müssten die nicht längst auf dem Tisch Salza tanzen? Indes sprach er weiter: „Und was ist die schlechte?“ „Der letzte Raum, da wo Edens Herz liegt“, Anya machte eine Pause und atmete tief durch. Noch konnte sie einen Rückzieher machen. Aber das hieße, elendig zu verrecken und im Limbus enden. Da sie aber sowieso starb, egal was geschah, war ein schlechtes Gewissen ohnehin bedeutungslos. Die letzten Tage … würde sie damit leben müssen. Sie schloss ihren Satz ab: „wird sich nur öffnen, wenn mich fünf Zeugen der Konzeption dahin begleiten.“ „Sie lügt!“, polterte Alastair und sprang auf, mit dem Finger auf Anya zeigend. „Das ist eine Falle, um uns in den Turm zu locken und zu opfern!“ Anya zuckte erschrocken zusammen.   Hast du ernsthaft erwartet, dass er dir das abkaufen würde? Anya Bauer, das war keine sonderlich kluge Lüge. Du hättest auf mich hören und warten sollen, bis uns etwas Besseres eingefallen wäre.   Aber ihr war nichts 'Besseres' eingefallen, dachte Anya verzweifelt. Außerdem war es stimmig! Der Turm von Neo Babylon musste betreten werden, wenn man Eden finden wollte. Warum sollte sich der Pfad also nicht erst öffnen, wenn alles Nötige 'zusammengesammelt' war? „Anya würde so etwas nie tun!“, ergriff Abby nun eifrig das Wort und sprang ebenfalls auf, direkt Alastair in die Augen sehend. Es waren Blicke voller Verachtung. „Sie ist nicht so wie ihr, feige und hinterhältig! Für Anya geht es hier um Leben und Tod! Sie wäre die Letzte, die ein Interesse daran hätte, euch zu opfern, wenn sie davon sowieso nichts hätte!“ „Danke, Abby“, murmelte Anya leise und ließ den Kopf hängen. Kannte ihre Freundin sie nicht lange genug, um zu wissen, dass das Quatsch war? Oder hatte sie es am Ende sogar durchschaut und … spielte trotzdem mit? „Ich denke auch, dass Anya lügt“, erklang plötzlich Valeries Stimme zögerlich. Sofort wich Anya von ihr zurück und zeigte ihr den berühmten Mittelfinger. „Redfield, du Miststück! Dass du das glaubst, war mir sowieso klar! Fuck off, Bitch!“ Doch mehr hatte Valerie Anya nicht zu sagen und wandte den Blick ab. Für einen Augenblick jedoch glaubte die Blondine, Zweifel in den Augen ihrer Widersacherin erkannt zu haben. Oder war es nur das schlechte Gewissen, weil sie ihr ungewollt den Sammler auf den Hals gehetzt hatte?   „Ich bin auf ihrer Seite“, meinte Matt kühl und nickte zu Abby herüber, die sich sofort von ihm abwandte. „Ich habe genug mit Anya erlebt, um zu wissen, wie sehr sie darum kämpft, frei zu sein.“ „Du glaubst ihr tatsächlich!?“, schoss es aus dem entsetzten Alastair heraus, der seinen Freund daraufhin an den Schultern packte. „Obwohl sie dich erst neulich hinterhältig hintergangen hat!?“ „An ihrer Stelle hätte ich vielleicht genauso gehandelt, es war eine Panikreaktion!“, erwiderte Matt stur und riss sich von Alastair los. „Außerdem wäre ich an deiner Stelle nicht so vorlaut, du bist an allem Schuld! Du hast Anya in die Arme Levriers getrieben! Du bist der Allerletzte, der hier etwas zu sagen haben sollte!“ Getroffen von Matts Worten schritt Alastair zurück. In seinem vernarbten Gesicht stand ein regelrechter Schock geschrieben, schien er nie damit gerechnet zu haben, jemals von Matt so strikt abgewiesen zu werden. „Ich glaube auch an Anya.“ Jene wirbelte schockiert um, genau wie Valerie, als Marc die Blondine freundlich ansah. „Aus eigener Hand weiß ich, was für schreckliche Dinge man zu fühlen beginnt, wenn man keinen Gedanken mehr fassen kann, ohne einen Dämon im Nacken zu haben.“ Marc hob seine rechte Hand an und betrachtete sie betrübt, ehe er eine Faust ballte. „Nichts ist schwerer als die, die man liebt, zurückzulassen. Aber sie zu opfern? Ein Mensch wie Anya, die ihren Freunden immer beigestanden hat, könnte das bestimmt nicht. Und jeder, der etwas anderes sagt, wird wohl oder übel mit mir aneinander geraten.“ Sowohl aus Anyas, als auch Valeries Mund schoss es: „Marc!“ Jener richtete seinen gütigen Blick auf Anya. „Keine Sorge, wir helfen dir schon irgendwie.“ „D-danke“, antwortete das blonde Mädchen und wich dem Blick des hochgewachsenen, dunkelhaarigen Footballspielers beschämt aus. Dass der Mann, den sie einst geliebt und aus verletztem Stolz getötet hatte, jetzt für sie sprach, trieb sie an die Grenzen ihres Gewissens. Wie konnte sie das jetzt noch durchziehen!?   Deine Worte spalten wirklich die Lager, Anya Bauer. Wäre der Hintergrund nicht so ernst, würde ich mich tatsächlich amüsieren. Denke ich.   „Fragen wir doch unsere Paktpartner, was sie davon halten!“, gab sich Alastair derweil noch nicht geschlagen. „Meiner hat kein Problem damit“, zuckte Matt mit den Schultern, „Eden interessiert ihn nicht, aber er meint, dass er ebenfalls so eine Falle stellen würde, wenn er Anya wäre.“ Alastair richtete sich mit finsterem Blick an Valerie. „Und was sagt die Heilige Johanna von Orléans?“ Valerie stammelte verdutzt: „Woher wissen Sie-!?“ „Antworte einfach!“ Geschlagen blickte das schwarzhaarige Mädchen auf das Parkett unter ihren Füßen. „Sie sagt, wir sollen Anya vertrauen.“ „Tch, sie ist kein bisschen besser als Refiel!“, fluchte Alastair empört und verriet sich damit ungewollt. Matt grinste keck und verschränkte die Arme. „Sieh an, ist sich das Traumpaar neuerdings uneins?“ „Ich habe dir bereits mehrmals gesagt, dass ich keine Marionette des Himmels bin!“ „Ich wünschte, ich könnte meinen fragen“, murmelte Marc dabei zu Valerie und Anya. Erstere streichelte ihrem Verlobten jedoch beruhigend über den Oberarm. „Sei froh, dass du es nicht kannst. Isfanel ist ein Monster. Und wie seine Meinung ausfallen dürfte, ist sowieso kein Geheimnis.“   „Hey, Pennerkind“, donnerte Anya plötzlich und sah herüber zu Henry, der zwischen Abby und Nick saß. „Ja?“, schaltete sich jedoch Orion auf Nicks Kopf ein. „Was gibt’s, meine süße Tsundere? Lust auf ein kleines Spiel mit dem Chickachecker?“ „Nicht du, der da!“ Anya zeigte ungeniert auf den brünetten, jungen Mann. „Du hast die ganze Zeit noch nichts gesagt. Was ist, traust du dich nicht?“ „Mich geht das nichts an“, erwiderte der tonlos. „Dir ist aber klar, dass deine Schwester Marisa gebraucht wird, oder!? Immerhin ist sie eine der fünf Zeugen!“ Sie sah ihn herausfordernd an. Innerlich erschrak Anya allerdings. Beinahe hätte sie Opfer statt Zeuge gesagt, auch wenn sie noch nicht wusste, ob seine Schwester wirklich das letzte Zahnrad im Edengetriebe darstellte. Die Wahrscheinlichkeit war jedoch sehr groß. „Das war mir schon klar, seit Melinda sich mit deinem Freund duelliert hat.“ Plötzlich erhob sich Henry und schritt an Anya vorbei. Mit gesenkter Stimme sagte er zu ihr: „Wenn du Eden wirklich stoppen willst, werde ich dir helfen. Ich und Melinda werden zum versprochenen Zeitpunkt da sein. Ich verlasse mich auf dich … und deinen Egoismus.“ Mit diesen merkwürdigen Worten verließ Henry ohne Verabschiedung die Küche und hinterließ eine Schar verdutzter junger Menschen.   „Melinda ist eine Zeugin der Konzeption?“, brach es aus Abby heraus, kaum war Henry verschwunden. Anya nickte grimmig. „Jep. Jemand anderes kommt nicht infrage.“ „Wie furchtbar“, stammelte ihre Freundin und schlug die Hände vor den Mund. „Aber warum will er der Dämonenbrut dann helfen!?“, verstand Alastair nicht. Sein Partner erklärte es. „Ganz einfach: Isfanel will Edens Zerstörung. Wenn er das erreicht, wird er Melinda sicherlich freigeben. Henry hat keine andere Wahl, als Anya zu vertrauen, denn er selber ist nicht imstande ihr zu schaden.“ „Genau wie ich“, murmelte Valerie, „weil Joan ein Engel ist. Ansonsten …“ „Tch! Sie ist ein gefallener Engel und dazu Verräterin!“, stellte sich Alastair völlig unerwartet gegen die unfreiwillige Gastgeberin. „Sie ist-“ „Du weißt gar nichts!“, ließ jene das nicht auf sich sitzen. „Sie wurde-“ „Auszeit!“, polterte Matt aufgebracht dazwischen, dem klar geworden war, dass eine kollektive Entscheidung hier nicht getroffen werden konnte. „Diesen Himmelskram könnt ihr unter euch regeln!“   Stöhnend schwang er sich vom Schrank aus herüber zu Anya und stellte sich neben sie. Dabei hielt er die Arme weiterhin verschränkt und sah jeden aus der Runde streng an. „Ob Anya lügt oder nicht muss jeder für sich selbst entscheiden. In genau einer Woche wird der Turm von Neo Babylon auf eurem Schulgelände erscheinen, das ist Fakt. Wenn dieser Tag gekommen ist …“ Plötzlich wandte Matt sich mit einem mitfühlenden Gesichtsausdruck an Anya. „... wirst du wissen, wer deine wahren Freunde sind.“ Das Mädchen vermied direkten Blickkontakt. „Yeah …“ Matt richtete sich wieder an die anderen. „Wer Angst hat, ist nicht gezwungen zu kommen. Aber denkt alle daran, dass ihr Anya auf dem Gewissen haben werdet, wenn sie ohne uns den Turm betritt. Sie ist die Letzte, die sterben will. Was passieren wird, wenn sie zu Eden wird. Denkt darüber nach, wenn ihr am 11. November entscheiden müsst, ob ihr mit ihr zusammen den Turm betretet oder nicht.“ Betroffenes Schweigen erfüllte daraufhin die Küche. „Danke“, brachte Anya unter größten Mühen ihre Gefühle Matt gegenüber zum Ausdruck. Der aber winkte ab. „Keine Ursache. Auf mich kannst du zählen. Weißt du, wie Eden getötet werden kann?“ „Nein … aber ich denke, dein alter Plan dürfte aufgehen …“ „Also Sprengstoff“, überlegte Matt und griff sich ans Kinn. „Gut, ich werde das Zeug besorgen.“ Die Blondine atmete tief durch, ehe sie zweimal in die Hände klatschte. „Also schön, die Pressekonferenz ist vorbei! Ihr habt den Mann gehört! Und wehe, auch nur eine von euch Napfsülzen lässt mich hängen! Denjenigen werde ich persönlich abholen und in den Turm schleifen, kapische!?“   Du warst zwar nicht sonderlich glaubwürdig, aber ich denke, Matt Summers Einsatz könnte sich ausgezahlt haben. Tu nur nie wieder so etwas Dummes, Anya Bauer. Das nächste Mal werde ich nicht zusehen, wie sich die Dinge entwickeln.   In Wirklichkeit hatte Levrier nur Angst, dass er sie nicht gut imitieren konnte, dachte dessen Gefäß daraufhin wütend, sah sich jedoch gezwungen, den Ärger in Anwesenheit der anderen herunterzuschlucken. Stühlerücken ertönte. Abby und Nick waren aufgestanden und gingen jetzt auf Anya zu. Das brünette Hippiemädchen nahm sich Anyas Hand und drückte jene fest mit den ihren. „Kopf hoch, alles wird gut werden. Das hast du prima gemacht.“ „Huh?“ Abby lächelte sie aufmunternd an. „Den Mut zu haben, sich so offen ins Kreuzfeuer zu stellen … dafür hast du meinen Respekt. Wir alle wissen insgeheim, dass du uns nicht verraten würdest. Du bist zwar, entschuldige, etwas gewöhnungsbedürftig, aber bestimmt nicht das Monster, für das Alastair dich hält.“ „D-danke.“ Also schien sie doch nichts zu ahnen. „Ich gehe nachhause und werde mit Henry reden. Ich mache mir Sorgen um ihn. Er braucht wohl jetzt jemanden, mit dem er reden kann.“ Anya nickte knapp. „'kay, mach das.“ „Ich gehe auch. Spongebob läuft gleich“, gluckste Nick unbekümmert wie eh und je. So verabschiedete Anya die beiden schlechten Gewissens. Wie konnte sie Abby jetzt noch in die Augen sehen? Und wieso kümmerte sie das neuerdings überhaupt?   Doch als Alastair wie ein Sommergewitter an ihr vorbeirauschte, packte Anya diesen fest am Arm. „Du bleibst schön hier, Freundchen! Mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen!“ Aber der Dämonenjäger riss sich sofort los. „Denk nicht, dass ich deinen Worten Glauben schenke, Schlangenzunge.“ „Hey“, schritt Marc ein und stellte sich zwischen die beiden. „Lass Anya zufrieden, klar?“ „Marc, ich bin oben. Ich hab Kopfschmerzen“, murmelte Valerie und schritt hinter Anyas Rücken an jener vorbei. Als sie auf gleicher Höhe waren, flüsterte sie dieser kaum merklich etwas zu: „Kein Wort darüber.“ Anya, sich verblüfft umdrehend, sah nur wie Valerie von der Tür aus um die Ecke bog.   Was hat sie damit gemeint?   Wenn sie das mal wüsste, dachte Anya ärgerlich. Aber Redfield konnte ihr in diesem Moment nicht gleichgültiger sein. Sie hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen. „Wir gehen dann auch“, meinte Matt und klopfte Anya auf die Schulter. „Zieh nicht so'n Gesicht, das steht dir nicht. Wenn jemand wie du versucht, nachdenklich auszusehen, geht das meist in die Hose.“ „Was, soll das heißen, du-!?“ Allerdings war das der falsche Zeitpunkt für so etwas. „Warte gefälligst! Könntet ihr mich mitnehmen?“ Erstaunt blinzelte Matt. „Wohin denn?“ „Dorthin, wo Alastair mit Refiel seinen Pakt geschlossen hat.“ Der Hüne wurde sofort hellhörig. „Was willst du dort!?“ „Wirst du sehen, wenn wir da sind! Oder soll ich allen von deinem kleinen Geheimnis erzählen? Du weißt schon, Victim's Sanctuary, Gewitter …“ Und nicht zu vergessen Jonathans Leiche. Alastair wusste sofort, worauf sie hinaus wollte. „Du dreckige-!“ „Kann ich auch mitkommen? Ich denke, ich sollte Valerie jetzt lieber etwas Zeit für sich gönnen“, schaltete sich Marc ein. „Außerdem ist mir nicht wohl dabei, dich mit denen allein zu lassen, Anya.“ „V-von mir aus!“ Auch das noch! Wieso war der Kerl plötzlich so nett zu ihr, seit er wieder am Leben war!? Jetzt, wo sie kein Interesse mehr an ihm hatte!? „Wenn es dich glücklich macht“, meinte Matt mit ahnungslosem Schulterzucken. „Dann bringen wir euch beide eben dahin.“   ~-~-~   Kaum hatte Alastair den VW-Bus am Waldrand geparkt, stiegen Anya und Marc von der Ladefläche aus. Einige Meter weiter auf der Straße war irgendwo die Stelle, an der Jonathan durch Alastairs Hand gestorben war. Wie wirst du Alastair darauf ansprechen? Sein Misstrauen ist ohnehin groß genug und wenn du jetzt etwas Falsches sagst, wird er Matt am Ende nur damit anstecken.   „Lass das mal meine Sorge sein.“ „Was?“ Anya bemerkte Marcs verwirrten Gesichtsausdruck, als sie schon mal zu der Stelle vorgingen. „Nichts. Levrier wollte nur was von mir.“ „Oh … irgendwie beneide ich dich.“ Das Mädchen blieb abrupt stehen, woraufhin Marc es ihr gleichtat. „Wieso das denn!? Was gibt es denn an mir zu beneiden bitteschön!?“ „Nun“, sagte er und ließ den Kopf hängen, „du hast jemanden an deiner Seite, der dich führt. Alle haben diese Geister, denen sie vertrauen. Aber ich habe meinen verloren.“ Er sah wieder auf und lächelte gequält. „Versteh mich nicht falsch, Isfanel ist ein kaltblütiges Monster. Und ich würde sicher auch nicht mit dir tauschen wollen. Es muss schwer sein, Levrier zu unterdrücken, oder?“ „J-ja. Sehr schwer.“ „Aber dennoch. Er würde alles tun, um dich zu beschützen. Die Dinge sind nicht so einfach, wenn man auf sich gestellt ist.“ Anya blinzelte verdutzt. War das, was Marc fühlte? Fühlte er sich einsam, weil Isfanel nicht mehr da war? Oder ging es ihm am Ende nur darum, dass ihm jemand den Weg wies, damit er selbst nicht nachdenken musste? „Pff! Sei froh, dass du ungestört deine eigenen Entscheidungen treffen kannst! Außerdem hast du Valerie. Was brauchst du mehr?“ Marc lachte. „Da hast du recht. Danke, Anya.“   Indes hatten Alastair und Matt zu ihnen aufgeschlossen, sodass sie zusammen die letzten Meter zu der Stelle nahmen. „Hier habe ich mich mit dem Sammler duelliert“, meinte Anya, zeigte vor ihnen auf die Brandflecken überall auf dem Asphalt und der Steinmauer, die zu der höher gelegenen Ebene gehörte, auf der sich die Wohnhäuser befanden. Alles war durch die Polizei mit einem Absperrzaun gesichert worden. „Verdammt“, staunte Matt, „das sieht ja nach 'nem heftigen Kampf aus.“ „Pah! Und das wolltest du uns zeigen?“, herrschte Alastair Anya an. Die drehte sich mit grimmiger Miene zu ihm um. „Nein, Narbengesicht! Hier irgendwo liegt dein verdammtes, abgetragenes Elysion! Und solange das nicht in tausend Teile zerscheppert, wird die Tür zum Turm sich nicht öffnen.“ Sie machte eine scheuchende Handbewegung. „Also husch husch, mach das Drecksteil kaputt, damit ich nachhause kann!“ „Wovon redest du da, Dämonenbrut!?“ „Sie hat recht“, meinte Matt nachdenklich und fasste sich ans Kinn, „mein Dämon hat genau das gerade gesagt. Das Elysion, welches du vor dem Pakt besessen hattest, ist in der Nähe. Aber vollkommen intakt, obwohl du bereits ein Neues besitzt.“ „Und warum sollte ich auf sie hören!?“ „Weil sie es besser weiß als du!“, stellte sich Marc wieder beschützend vor Anya. „Sei kein Idiot!“ Alastair verzog grimmig das Gesicht. „Und wer bist du, dich hier einzumischen? Immerhin hat dieses Mädchen dich-“ Doch Anyas gezielter Faustschlag auf Alastairs breiten Kiefer ließ diesen verstummen, ehe er aussprechen konnte, was Marc niemals erfahren durfte. Sich die Wange haltend, starrte der schwarzhaarige Dämonenjäger im roten Mantel das Mädchen hasserfüllt an. Dabei spuckte er zur Seite, ehe er zischte: „Wie kannst du es wagen!?“ „Hey, lasst den Mist!“, schritt nun Matt zwischen die Streithähne. An Anya gewandt, fragte er: „Was soll er tun, damit das Elysion zerbricht?“   Er vertraut dir wirklich, trotz der Sache mit dem Jinn. Er ist wahrlich naiv.   „Ich habe keine Ahnung“, brummte Anya und verfluchte Levrier innerlich, welcher ihr ohnehin schon schlechtes Gewissen mit aller Macht noch mehr reizen wollte, wie es schien. „Als ob ich der Dämonenbrut helfen werde!“ „Das wirst du!“, schrie Marc nun aufgebracht. „Du hast den Albtraum angefangen, also wirst du alles tun, um ihn wieder zu beenden!“ Alastair grinste finster und lachte abfällig auf. „Zwing mich doch!“ Daraufhin griff Marc nach etwas hinter seinem Rücken und zog ein Deck hervor. „Wenn du darauf bestehst!“ „Ein Duell?“, wunderte sich Anya beim Anblick der Karten. „Sicher.“ Marc hielt den Blick starr auf seinen potentiellen Gegner gerichtet. „Oder soll ich lieber die Fäuste sprechen lassen? Damit hätte ich zwar auch kein Problem, aber Gewalt war noch nie die Lösung.“ Anya lachte auf. Was für eine Verschwendung. Ein Kerl wie er passte doch gar nicht zu Redfield. Die verstand nichts vom Stolz eines Sportlers, obwohl sie selbst im Eishockeyteam war. Marc wollte für sein Team gewinnen, völlig gleich, ob es nun Duel Monsters oder Hockey oder ein Kampf Mann gegen Mann war. In dem Fall war sie sein Team. Aber Anya wusste, dass sie die Schlacht um ihn längst verloren hatte. Sie zuckte genervt mit den Schultern. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber sei vorsichtig, der Typ ist nicht ohne.“ Matt seinerseits fasste sich stöhnend an den Kopf. „Junge, wieso werde ich immer in die Streitigkeiten anderer reingezogen?“ „Du hast einfach die falschen Freunde“, erwiderte Anya neckisch. Und erkannte, dass sie damit auch sich selbst meinte. Woraufhin sie etwas auf Abstand ging, als sich Marc und Alastair bereit zum Duell machten. Der jüngere Dämonenjäger gesellte sich neben sie. „Eher habe ich meine Freunde schlecht erzogen“, meinte er scherzhaft. „Aber bei dir ist sowieso Hopfen und Malz verloren.“ „Was dachtest du denn?“ Anya sah dabei bewusst in den Himmel, der bereits in tiefem Rot stand. Ja, bei ihr war wirklich alles verloren … verdammt, langsam war es doch mal gut!   Alastairs weißes D-Pad klappte inzwischen aus, als er und sein Gegner sich auf der Straße gegenüber standen. „Von so einem Grünschnabel wie dir lasse ich mich nicht herumkommandieren. Ich frage mich, was dein Dämon wohl hierzu sagen würde, wenn er noch hier wäre?“ „Dass ich dir in den Arsch treten soll!“ Marc aktivierte seine Duel Disk und schob sein Deck in den dafür vorgesehenen Schacht. Derweil betrachtete Alastair ihn missmutig. Es war unmöglich, dass dieser Bursche überhaupt vor ihm stand. Anya hatte ihn getötet, der Blutzoll der kämpfenden Dämonen hatte sein Leben eingefordert. Wie konnte er jetzt wieder leben? Anya Bauer wusste die Antwort, dessen war sich Alastair sicher. Hatte sie mit dem Sammler gehandelt, um ihn zu reanimieren? Törichtes Gör! Sie brachte nichts als Unglück mit sich. Mit einer Dämonenbrut wie ihr würde er niemals zusammenarbeiten! „Duell!“, riefen beide schließlich.   [Marc: 4000LP / Alastair: 4000LP]   „Ich übernehme den ersten Zug“, stellte Alastair klar und zog gleich sechs Karten auf einmal. Sein Gegner fuhr sich über den Spitzbart und nickte mit entschlossener Mimik. „Nur zu. Die Ersten werden die Letzten sein.“ „Tch!“ Mit seinen albernen Pseudoweisheiten konnte er vielleicht eine Anya Bauer beeindrucken, nicht aber einen gestandenen Dämonenjäger wie ihn! „Sieh dich vor! Ich rufe [Vylon Cube]!“ Unter einem lauten Surren tauchte ein würfelartiges, schwebendes Objekt vor Alastair auf. Zwei Arme schossen aus seinen Seiten, als er Marc mit einem Laserstrahl zu scannen begann.   Vylon Cube [ATK/800 DEF/800 (3)]   „Kein Grund zur Sorge“, gab dieser daraufhin von sich. „Dann sieh zweimal hin! Ich aktiviere die Magie [Celestial Transformation], um ein Feen-Monster von meiner Hand zu beschwören! Es verliert dabei die Hälfte seiner Offensivstärke und wird am Ende des Zuges vernichtet.“ Alastair lächelte jedoch finster, als er das Monster auf sein D-Pad legte. „Nicht, dass es etwas bedeuten würde, bei dem was ich vorhabe. Erscheine, [Vylon Hept]!“ Noch eine dieser befremdlichen Kreaturen erschien neben dem Würfel. Diese hier ähnelte jedoch vielmehr einem mechanischen Engel mit seinen goldenen Schwingen und dem Körper aus Stahl, der sich besonders durch die massiven Arme und fehlenden Beine des Wesens hervor tat.   Vylon Hept [ATK/1800 → 900 DEF/800 (4)]   Alastair ballte eine Faust, die er in den Himmel streckte. „Mach dich bereit …“ Dabei fragte Anya Matt unauffällig: „Seit wann benutzt ihr Duel Disks? Ihr habt doch diese komischen Hokuspokus-Karten dafür?“ Der lachte aber nur amüsiert. „Glaubst du, die benutzen wir jedes Mal, wenn wir uns duellieren? Manchmal gibt es Situationen, in denen wir nicht gleich allen an den Kragen wollen. Dann nehmen wie diese D-Pads.“ Matt holte aus der Innentasche seines Mantels einen schwarzen, schmalen Apparat, der eher einem Tablet-Computer mit Schnalle ähnelte, denn einer Duel Disk. „Die sind extrem teuer im Laden, aber auf dem Schwarzmarkt kann man sie sich recht günstig besorgen.“ „Tch, ich brauche so'n Scheiß nicht. Ich bleib bei meiner Battle City-Duel Disk.“ „Das verlodderte Ding?“ Anya stampfte wütend auf. „Hey, das ist'n Erinnerungsstück meines Vaters! Mach dich drüber lustig und ich zeig dir, wie stabil das Ding ist! Und zwar, wenn ich dir damit die Rübe glattbügle!“ Mit erhobenen Händen wich Matt von ihr. „Schon gut, tut mir leid. Da hab ich wohl glatt 'nen Nerv getroffen …“   „Ich stimme meinen Empfänger [Vylon Cube] Level 3 auf [Vylon Hept] Level 4 ab!“, rief Alastair aus voller, tiefer Kehle. „Infinite potential lies within the heart of steel. Cover this infected world with your sacred wings! Synchro Summon! [Vylon Delta]!“ Der Würfel stieg hoch in die Luft und zersprang in drei grüne Ringe, welche der mechanische Engel durchquerte. Ein greller Lichtblitz erhellte die gesamte Straße. Marc zeigte sich jedoch nicht gerade überwältigt von Alastairs Synchromonster. Hinter den gewaltigen, silbernen Stahlschwingen, die dieser neue Maschinenengel schützend um seinen Körper hielt, erblickte er gewaltige Fäuste. Der Leib des Wesens endete in einer rot glühenden Spitze, um die drei goldene Ringe schwebten. Elegant stieg es aus der Luft hinab und breitete sich in seiner massiven Größe vor Alastair aus.   Vylon Delta [ATK/1700 DEF/2800 (7)]   „Dadurch, dass [Vylon Cube] für die Synchrobeschwörung eines Licht-Monsters als Empfänger benutzt wurde, erhalte ich eine Ausrüstungsmagie von meinem Deck“, erklärte Alastair angespannt und zeigte [Vylon Material] vor. Diese tauschte er mit einer Falle von seinem Blatt aus, welche er im Anschluss auf sein D-Pad legte, um sie einscannen zu lassen. „Diese Karte verdeckt. Damit beende ich meinen Zug und erhalte durch [Vylon Deltas] Effekt noch eine Ausrüstungsmagie während meiner End Phase von meinem Deck.“ Noch während sich seine Falle vor ihm materialisierte, zückte Alastair eine zweite Kopie von [Vylon Material] und fügte sie seinen drei anderen Karten hinzu. Marc nahm es gelassen und fragte herausfordernd: „Was ist? Ich habe noch nicht einen Zug hinter mir und du gehst schon in die Defensive?“ „Rede nicht von Dingen, die du nicht verstehst, Fehlschlag.“   „Fehlschlag!?“, wiederholte Anya erschrocken Alastairs Beleidigung. Sie wusste genau, warum er das tat – weil Marc daran gescheitert war, sie umzubringen. „Dieser Dreckskerl!“ Doch der schwarzhaarige Footballspieler warf Anya nur einen selbstsicheren Blick zu. „Keine Sorge, so etwas verletzt mich nicht.“ Wieder an seinen Gegner gerichtet rief er: „Mein Zug!“ Schwungvoll riss Marc eine Karte von seinem Deck und grinste. „Prima, noch ein Monster! Dann wird das ja funktionieren!“ Er griff nach einer anderen Karte aus seinem Blatt. „Los, ich schicke [Laval Magma Cannoneer] in den Ring!“ Vor ihm materialisierte sich ein Soldat aus blauem Gestein. Geschultert hatte er zwei große Kanonen, die mit jeweils einem Schlauch mit seinem Rückgrat verbunden waren.   Laval Magma Cannoneer [ATK/1700 DEF/200 (4)]   Kaum war sein Monster auf dem Feld, schob Marc schon zwei Karten in seinen Friedhofsschacht, darunter auch seine soeben gezogene. „Zweimal pro Zug nimmt [Laval Magma Cannoneer] meinen Gegner unter Beschuss, wenn ich ihm die passende Munition liefere. Laval-Monster! Das kostet dich pro Treffer 500 Lebenspunkte!“ Je ein Abbild der Karten von [Laval Enchanter] und [Laval Lakeside Lady] tauchten vor Marcs Monster auf, verwandelten sich in rote Kugeln und verschwanden dann in den Kanonenrohren. Nur um dann in Form von mächtigen Lavastrahlen auf Alastair abgefeuert zu werden. Dieser hob zum Schutz seinen Arm, obwohl er von Marcs Angriffen nichts zu befürchten hatte. Zwei explosive Einschläge erschütterten sein Spielfeld.   [Marc: 4000LP / Alastair: 4000LP → 3000LP]   „Wow, er geht richtig zur Sache! Los Marc, weiter so!“, feuerte Anya ihn begeistert an.   Wirst du rückfällig, was die Schwärmerei für ihn angeht, Anya Bauer?   „Nein“, murmelte die leise, „dieses Mal ist es anders, als du denkst …“ Gleichzeitig zückte Marc eine Fallenkarte von seiner Hand zeigte sie vor. „Die hier aktiviere ich jetzt, [Dustflame Blast]!“ „Narr!“, erwiderte Alastair und schwang, als sich der Rauch lichtete, den Arm aus. „Fallenkarten müssen einen Zug vor ihrer Benutzung gesetzt werden!“ „Und du denkst, das weiß ich nicht!? Dann schau dir doch mal den Effekt meines [Laval Enchanters] an.“ Der Aufforderung mürrisch folgend, tippte Alastair auf seinem D-Pad das Icon des Friedhofs seines Gegners an, wählte besagtes Monster aus und weitete die Augen, als er dessen Effekt durchlas. „Unmöglich!“ „Und wie das möglich ist! Da er durch eine Laval-Karte auf den Friedhof geschickt wurde, kann [Laval Enchanter] für diese Runde eine Falle von meiner Hand aktivieren.“ Hinter Marc tauchte das Abbild einer wunderschönen Frau mit flammendem, blauem Haar auf, die ein enges, schwarzes Kostüm am Leib trug und ihre Hände in denselben blauen Flammen aufgehen ließ. Ihr Besitzer zeigte seine Falle vor: „[Dustflame Blast] verbannt alle Laval-Monster aus meinem Friedhof, um dieselbe Anzahl an Karten auf dem Spielfeld zu vernichten. Unnötig zu erwähnen, wer bei nur zwei Monstern der Hauptleidtragende ist!“ Alastair stieß einen widerspenstigen Schrei aus, als zwei flammende Kugeln aus dem Himmel auf ihn herab schossen und eine gleißende Explosion auslösten. Derweil schob Marc die zuvor abgeworfenen Monster in seine Hosentasche. „Dumm gelaufen, was?“ Als der Rauch sich lichtete, war Alastairs Feld vollkommen leer. Jener ballte wütend eine Faust, konnte jedoch seine Abscheu Marc gegenüber gar nicht zum Ausdruck bringen und fluchte deshalb nur laut.   Er mag zwar nicht mehr mit Isfanel verbunden sein, aber seinem Duellstil hat das scheinbar nicht geschadet. Marc Butcher ist noch genauso gefährlich, wie damals in deinem Tag Duell gegen ihn und Valerie Redfield oder als wir gegen ihn gekämpft haben.   „Yeah“, war alles, was Anya dazu zu sagen hatte. Marc schien aber noch nicht fertig mit seinem Zug zu sein. „Ich aktiviere jetzt von meiner Hand die Zauberkarte [Molten Conduction Field], um gleich zwei Laval-Monster von meinem Deck auf den Friedhof zu legen.“ Er trennte sich von [Laval Miller] und [Laval Volcano Handmaiden]. Kaum hatte er dies getan, ertönte eine schrille Lache, und unter Funken kam vor ihm eine flammende Gestalt eines jungen Mädchens zum Vorschein. „Das ist [Laval Volcano Handmaidens] Effekt!“, erklärte Marc dazu voller Eifer. „Wird sie auf den Friedhof gelegt, sofern noch andere Laval-Monster wie der Miller dort liegen, schickt sie noch einen Artgenossen dorthin. Was eine Handmaiden sein wird, die ihrerseits noch eine Handmaiden abwirft, welche zum Schluss [Laval Forest Sprite] mit ins Unglück stürzt!“ So schob Marc schließlich dank nur einer Karte gleich fünf Monster in den Friedhofsschlitz seiner Duel Disk. Seine letzte Handkarte zückend, rief er bestimmend: „Letztere wird jetzt vom Friedhof auferstehen! Ich aktiviere [Monster Reborn]!“ Eine kleine Gestalt tauchte neben dem Kanonier auf. Arme und Beine des rothaarigen Mädchens, welches eine Kapuze trug, glühten rot auf.   Laval Forest Sprite [ATK/300 DEF/200 (2)]   Marc streckte nun den Arm weit aus. „Und jetzt stimme ich meinen Stufe 2-Empfänger [Laval Forest Sprite] auf meinen Stufe 4-[Laval Magma Cannoneer] ab!“ Zeitgleich flogen seine Monster in die Luft, wobei sich das Mädchen in zwei grüne Ringe aufspaltete. „A spark lights the otherworldly flame of destruction! An inferno of tragedy unfolds! Synchro Summon! Ignite, [Laval The Greater]!“ Kaum hatte der Kanonier diese Ringe passiert, blendete ein heller Lichtblitz die Duellanten. Rote und blaue Flammen kreisten um Marc, zischten dann nach vorn und verschmolzen zu einer Flamme, aus der eine humanoide Gestalt entstand. Deren Körper bestand aus blauem Gestein, das von jeweils rotem und blauem Feuer von den Armen ausgehend umhüllt wurde.   Laval The Greater [ATK/2400 DEF/800 (6)]   „Wenn [Laval The Greater] als Synchrobeschwörung gerufen wird, müsste ich normalerweise eine Handkarte abwerfen.“ Marc lächelte zufrieden. „Nur habe ich schon alle verbraucht. Also überspringen wir das einfach und kommen zu [Laval Forest Sprite], die, wenn sie vom Feld auf dem Friedhof landet, allen offenen Laval-Monstern einen netten Angriffsschub verpasst. 200 für alle Artgenossen auf dem Friedhof, worin sie selbst ebenfalls mit inbegriffen ist. Was bei immerhin sechs Laval-Monstern ganze 1200 Punkte macht!“ Die Flammen, die um Marcs Monster schlugen, explodierten förmlich und breiteten sich zischend über die ganze Straße aus.   Laval The Greater [ATK/2400 → 3600 DEF/800 (6)]   Anya stieß einen zufriedenen Schrei aus. „Das war's, Narbenfresse!“ „Ganz richtig!“ Marc streckte den Arm aus. „[Laval The Greater], direkter Angriff! Otherworld Flame!“ Der Dämonenjäger seinerseits weitete die Augen, als er zusah, wie das Monster eine Flamme zwischen seinen Händen bündelte, die aus blauem und rotem Feuer bestand. Feuer, wie damals, als er seine Familie durch Anothers Hand verloren hatte! [Laval The Greater] schoss die Flamme wie eine Kanonenkugel auf Alastair ab, welcher einen unmenschlichen Schrei ausstieß. Sein ganzes Feld wurde durch die Attacke in Brand gesetzt. Kurz bevor die Flamme ihn jedoch berührte, prallte sie an einem unsichtbaren Kraftfeld ab, erzeugt von drei kleinen Maschinen, wurde gespalten und versengte stattdessen die umliegenden Bäume des anliegenden Waldes und die Straße – natürlich nur im Maße einer Hologrammsimulation. „Was!?“, stieß Marc einen entsetzten Schrei aus. „Der Angriff ist verpufft!?“ Schwer atmend stand ihm Alastair gegenüber, sein Gesicht gezeichnet durch die Erinnerungen seiner Kindheit und den damit verbundenen, unbändigen Hass. „Solche wie du werden mich niemals zu Fall bringen!“ „[Delta Shield]“, sprach Matt weiter, um zu erklären, was geschehen war. „Ich habe es gesehen, Alastair hat sie kurz vor der Explosion, die sein Spielfeld vernichtet hat, angekettet. Das hat er schon bei mir getan und sich damit vor einem Angriff gerettet. Das siehst du auch daran, dass er eine Karte mehr auf der Hand hat, als noch vorhin. Einer der Effekte von [Delta Shield] besagt, dass er, wenn er ein Stufe 5 oder höher-Monster als Ziel für die Aktivierung auswählt, eine Karte ziehen kann.“ Als Anya und Marc erschrocken nachzählten, stellten sie fest, dass Alastair tatsächlich nun fünf Karten besaß. „Zug beendet“, knurrte der Footballspieler, dem es leider an Handkarten mangelte, um sich auf Alastairs nächsten Zug vorzubereiten. Welchen es gar nicht hätte geben dürfen!   „Einem wie dir werde ich mich niemals beugen, Dämonenfreund!“, schrie Alastair förmlich und riss seine Karte vom Deck. „Und ich werde nicht einmal die Macht des Heiligen Refiels brauchen, um dir eine Lektion zu erteilen!“ „Heißt, er schummelt nicht“, rief Anya böswillig in Marcs Richtung. Doch dessen Aufmerksamkeit war ganz auf seinen Gegner gerichtet, der außer sich schien vor Wut. Dabei hatte er diesem doch gar nichts getan. Oder etwa doch? Alastair knallte ein Monster auf sein D-Pad. „Erscheine, [Vylon Pentachloro]! Und verdreifache dich dank der Magie [Machine Duplication]!“ Vor ihm formte sich ein metallisches Wesen langsam zu einer Gestalt. Erst war da der fünfeckige Körper aus dunklem Stahl, dann die zwei Arme und letztlich ein goldener, radähnlicher Kopf. Aus ihm schossen zwei Abbilder seiner selbst und nahmen rechts und links neben ihm feste Form an.   Vylon Pentachloro x3 [ATK/500 DEF/400 (4)]   „Ich erschaffe das Overlay Network! Xyz-Summon“, schrie Alastair und streckte den Arm in die Höhe. Seine drei Monster verwandelten sich in gelbe Lichtstrahlen. Ein schwarzes Loch tat sich inmitten des Spielfelds auf und sog jene Strahlen ein. Dafür trat eine gar grausige Gestalt daraus hervor, um welche drei Lichtsphären tanzten. Es war, als wäre diese Kreatur aus den Tiefen der Finsternis selbst entsprungen. Dunkel und bösartig war die Grimasse des Wesens, dessen überdimensional großer Kopf auf zwei miteinander verbundenen, quadratischen Plattformen lag. Aus den langen Armen, die aus seinem Kopf ragten, schoss ein ganzes Bataillon an schwarzen Klingen. „Vernichte meine Feinde, [Vylon Disigma]“, brüllte Alastair aufgebracht.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Wieso ist er plötzlich so wütend?“, fragte Anya irritiert. Unter diesen Umständen könnte es passieren, dass Alastair etwas sehr Dummes tat. Zum Beispiel sein Monster zu einer noch grauenvolleren Kreatur zu inkarnieren. Aber konnte er das mithilfe eines Engels überhaupt? Matt seufzte. „Ich denke, Marcs Angriff erinnert ihn an den Tag, an dem er seine Eltern verlor. Du musst wissen, ein Dämon namens Another hat sie, als Alastair noch ein Kind war, grausam in ihrem eigenen Haus verbrannt. Daher hat er auch all die Narben.“ „Oh …“ Anya erinnerte sich, bemerkte dabei nicht den Blick voller Schuld des Dämonenjägers. Es war ihre erste Begegnung mit Alastair und dem Duell, das sie letztlich nur durch eine List gewann, indem sie genau jene Schwachstelle, den Namen Another, ausgenutzt hatte. Durch dieses Duell war die halbe Aula eingestürzt. Nachdenklich rief sie Marc schließlich zu: „Sei bloß vorsichtig! Das Narbengesicht dreht jetzt vollkommen am Rad!“ Voller Eifer riss Alastair eine der Kopien von [Vylon Pentachloro] unterhalb seines Xyz-Monsters hervor. „Effekt von [Vylon Disigma]! Es absorbiert ein beliebiges offenes Monster meines Gegners und kann fortan nie wieder durch Kreaturen derselben Elementklasse besiegt werden!“ Disigma öffnete sein schreckliches Maul und sog alle Flammen auf, die sich in der Umgebung ausgebreitet hatten. Auch [Laval The Greater] selbst konnte sich des starken Soges nicht erwehren und endete letztlich im Schlund der grauenhaften Kreatur, verschwand einfach. Als Folge verfärbte sich einer der Lichtsphären um Disigma rot. „Mein Monster“, stieß Marc erschrocken hervor. Das Blatt hatte sich unerwartet für ihn gewendet und nun war er es, der ohne Karten auf Spielfeld und Hand dastand. „Ich bin noch nicht fertig!“, rief Alastair weiterhin und hielt drei Zauberkarten mit demselben Bild in die Höhe. „Diese Karten werden Disigmas Offensivmacht um jeweils 600 erhöhen! [Vylon Material]!“ Anyas Augen weiteten sich. „Gleich drei auf einmal!?“ Um Disigma entflammte eine weiße Aura, die regelrecht blendete.   Vylon Disigma [ATK/2500 → 4300 DEF/2100 {4}]   „Das ist … genug, um mich …“, brach Marc brockenhaft hervor. Doch schon hatte er Alastairs Finger auf sich zeigend. Jener starrte ihn voller Missgunst an, schien sich jedoch wieder beruhigt zu haben. „Merke dir eines für die Zukunft, Freund der Dämonin. Ich werde mich euch niemals unterwerfen. Und nun erfahre die Kraft Gottes! [Vylon Disigma], Sacred Black Obliteration!“ Seine Kreatur erschuf zwischen ihren Händen einen schwarzen Energiespeer, welchen sie ergriff und mit aller Kraft in Marcs Richtung schleuderte. Der konnte nicht einmal einen Schrei ausstoßen, da wurde er schon direkt in die Brust getroffen. Wodurch der Speer in einer schwarz-violetten Energiekuppel explodierte.   [Marc: 4000LP → 0LP / Alastair: 3000LP]   Disigma verschwand in schwarzen Partikeln, während sich die Kuppel allmählich aufzulösen begann. Entsetzt schrie Anya: „Marc!“ Doch Matt legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Ihm ist nichts passiert. Alastair würde keinen Unschuldigen töten. … denke ich zumindest.“ Denn für einen Moment hatte es tatsächlich nach dem Gegenteil ausgesehen. Als die Auswirkungen der Explosion endgültig nachgelassen hatten, stand Marc immer noch und fasste sich an die Stelle, durch die der Speer in seinen Leib gedrungen war. Die Hand betrachtet, murmelte er unzufrieden. „Ich habe verloren …“ Alastair schritt erhobenen Hauptes an ihm vorbei. „Was für eine Zeitverschwendung. Matt, wir gehen!“ „Sorry, ich beeile mich jetzt besser, ehe ich den ganzen Abend seiner schlechten Laune ausgesetzt bin, weil er mich als neues Opfer auserkoren hat“, verabschiedete Matt sich eilig von Anya und rannte seinem Partner hinterher. „Bye!“ Jene beobachtete still, wie die beiden in den VW-Bus stiegen und fortfuhren. Ihr tat Marc leid, wie er da mit vergrämter Miene auf der Straße stand und sich selbst bedauerte.   Anya Bauer! Das Elysion, es ist zersplittert!   Sofort schreckte sie auf. „Was!? Aber wie-!?“   Es ist in dem Moment geschehen, als er sein Paktmonster beschworen hat! Das muss der Grund sein, warum all die anderen Elysions zerstört waren, nur seines nicht. Damals, als er diesen Jungen getötet hat, muss er diese Karte nicht in dem Duell verwendet haben.   „Daran soll es gelegen haben!?“ Anya konnte das nicht glauben. Alastair hatte diese Karte sicher schon öfters eingesetzt, sie selbst hatte ihr doch gegenüber gestanden!   Eine andere Erklärung habe ich nicht hierfür. Aber es spielt keine Rolle, das letzte Elysion ist somit zerbrochen. Wir können jetzt tun, was der Sammler uns geraten hat und die Scherben deines Elysions mit der Energie der anderen aufladen!   Anya nickte zögerlich. „Vielleicht. Noch wissen wir nicht, wie das letzte Elysion aussieht. Redfields ist ja offensichtlich wie es sein sollte, im Arsch. Aber wenn das letzte auch noch nicht zerbrochen ist, stehen wir vor einem fetten Problem.“   Das finden wir nur heraus, wenn wir uns in die Kanalisation begeben.   „Anya?“ Das Mädchen schreckte auf, als Marc ihr mit deprimiertem Gesichtsausdruck entgegen kam. Er versuchte zu lächeln, aber als Sportler schien er sich mit dem Gedanken an eine Niederlage nicht so leicht anfreunden zu können. „Entschuldige, dass ich verloren habe. Es muss peinlich für dich gewesen sein. Ich dachte, ich tue dir einen Gefallen damit, aber-“ Anya winkte ab und stöhnte augenrollend. „Ist doch egal. Ich bin froh, dass dieser Mistkerl endlich weg ist.“ „Aber ist das okay?“ Sie wich seinem Blick aus. „Klar. Mir fällt schon was ein. Levrier hat noch 'ne Idee, wie wir das Ding auch ohne Alastairs Hilfe kaputt kriegen.“ Wieso log sie ihn deshalb überhaupt an, fragte sie sich nebenbei verwirrt. „Verstehe. Dann viel Glück. Und …“ Er zögerte, senkte den Blick. „Und wünsch mir Glück. Ich werde ab morgen nämlich wieder zur Schule gehen. Das wird ein echter Spießrutenlauf, nach dem Tag Turnier neulich.“ „D-du packst das schon.“ Anya schlug ihm kumpelhaft und doch ungeschickt zugleich mit der Faust gegen die Schulter. „Du bist immerhin der Star-Quarterback. Die werden sich schon einkriegen. Immer schön auf depri machen und sich überall entschuldigen. Im Nu ist alles wieder vergessen.“ „Ich hoffe es. Dann werde ich mal los, ehe Val sich Sorgen macht.“ „Ja, also dann. Bye …“ „Bye.“ Sie sahen sich noch kurz in die Augen, ehe Marc auf dem Absatz Kehrt machte und davon rannte.   Anya sah ihm mit betrübter Miene hinterher. Die Tatsache bedauernd, dass er niemals mehr für sie empfinden würde als jetzt in diesem Augenblick. Im Gegenteil. Wenn er erkannte, dass sie ihn und alle anderen betrogen hatte, würde er sie hassen. Er und alle anderen auch. Aber nur für einen kurzen Moment. Der vielleicht mehr wiegen würde als ihr ganzes Leben.   ~-~-~   Kaum war Nick in seinem äußerst unordentlichen Zimmer angekommen, schritt er herüber zu einem Haufen alter Wäsche und holte unter dem Berg ein schwarzes Schnurlostelefon hervor. „Das Genie behält selbst im Chaos den Überblick“, murmelte er abgelenkt, wählte eine Nummer und legte den Apparat ans Ohr. Kurz darauf hob eine Dame mit schriller Stimme ab. „Ja bitte?“ „Nina, ich bin es.“ „D-d-du!?“ Nicks Augen verengten sich zu Schlitzen. „Haben Sie die Adresse, die ich von Ihnen wollte?“ „Ich habe doch gesagt, dass das nicht so einfach ist! Der Autor konnte mir keine Adresse geben!“ „Und wie haben Sie das Problem gelöst?“, fragte Nick scharf. „Also, was das angeht …“ Die Frau lachte heiser, schien sie doch regelrecht in Panik zu geraten und plapperte plötzlich wie wild drauf los. „Ich habe ihn gebeten, ein Treffen für morgen zu arrangieren! Um halb Eins in einem kleinen Café im Einkaufszentrum!“ „Ich glaube ich weiß, welches Sie meinen“, murmelte Nick und betonte seine nächsten Worte mit aller Schärfe, „danke, Nina.“ „N-nicht doch! Ich habe doch versprochen, mich ein wenig umzuhören.“ „Aber erst, als ich Sie freundlich daran erinnert habe“, stellte Nick klar. „Dennoch haben Sie mir womöglich geholfen, eine Katastrophe zu verhindern.“ Sofort wurde die Frau am Ende der Leitung hellhörig, von Angst keine Spur mehr. „Wie meinen?“ „Nichts.“ Nina musste nicht wissen, was Anya im Begriff war zu tun. „Und er wird definitiv kommen? Der Verstoßene 'Edens'?“ „So sicher wie das Amen in der Kirche. Aber du solltest ein bisschen Geld mitbringen, das musste ich leider versprechen.“ „Wie viel?“ „30.000$“, nuschelte sie so leise und kleinlaut in den Hörer, als fürchte sie eine große Explosion als Antwort. Die blieb allerdings aus. „Sollte kein Problem sein. Ich hoffe, er kann uns weiterhelfen. Auch in Ihrem Interesse, Nina.“ Damit legte Nick auf und warf den Hörer auf den Wäschehaufen. So viel Geld würde einiges an Arbeit in Anspruch nehmen. Was eine schlaflose Nacht für ihn bedeutete.     Turn 26 – The Children Of Eden Nina Placatelli, welche nach der Sache mit Abby Nick noch einen Gefallen schuldete, hat für ihn am nächsten Tag ein Treffen arrangiert. Und zwar mit einem geheimnisvollen Mann namens Drazen, der laut dem Buch 'Thirty Legends – The Whole Truth' jener Verbannte aus der Stadt der Allerheiligsten, Eden, ist. Da Nick es jedoch nicht geschafft hat, die von Drazen für das Treffen angeforderten 30.000$ so kurzfristig als Bargeld zu beschaffen, besteht Drazen auf einen Deal. Wenn Nick gewinnt, erfährt er mehr über jene Stadt, die denselben Namen wie Anyas mysteriöses „Eden“ trägt. Verliert er, muss er ganze 100.000$ für Drazen besorgen. Was diesen Umstand noch erschwert ist die Tatsache, dass Nick nicht alleine gegen Drazen antreten kann, da … Kapitel 26: Turn 26 - The Children Of Eden ------------------------------------------ Turn 26 – The Children Of Eden     „Nick!“, drang eine schrille, sich überschlagende Stimme an das Ohr des jungen Mannes. Doch ehe der überhaupt die Augen öffnen konnte, wurde er am Schopf gepackt und sein Kopf hoch gerissen. „Ich dachte, du wärst längst in der Schule!“, donnerte seine Mutter. „Nicht, dass es einen Unterschied macht, ob du anwesend bist, oder nicht …“ „Hi, Mum“, grinste Nick und winkte ihr vors Gesicht. Die Frau im besten Alter, welches das komplette Gegenteil von Nick war – klein, mürrisch und ordentlich, was man besonders an den braunen, kurzen Haaren erkennen konnte, die im Vergleich zu Nicks wilder Mähne anständig frisiert waren – ließ den Kopf des jungen Mannes wieder auf seinen Schreibtisch fallen, sodass Nicks Schädel mit voller Wucht auf die Tastatur seines Laptops knallte. „Mach dich fertig!“, befahl sie in einem Tonfall, der verdächtig an eine gewisse Blondine erinnerte. „Ja, Mum …“, murmelte Nick, wobei seine Stimme von der Tastatur gedämpft wurde. „Mum? Wie spät ist es eigentlich?“ „Kurz nach zwölf. Deswegen beeil' dich gefälligst! Und mach dich gefälligst an Anya heran, damit ihr heiraten und nach Asien oder sonstwohin auswandern könnt!“ Das Knallen einer Tür verriet, dass der Weckdienst seiner Mutter hiermit beendet war. Nicks Augen fielen wieder zu. Noch bis ein Uhr konnte er schlafen, dann- „Ein Uhr!?“, stieß er erschrocken hervor und schreckte auf. Die Zeitanzeige seines Laptops verriet ihm, dass es bereits 12:14 war. Er hatte noch eine dreiviertel Stunde, um im Einkaufszentrum zu sein. „Das Geld!“ Er war gestern Nacht mitten in der Arbeit eingeschlafen! Sofort rief Nick von der Internetseite seiner Bank seinen Kontostand auf. Doch nicht alles der 30.000$, die er zuvor durch gewisse Transaktionen errungen hatte, waren schon auf sein Konto überwiesen worden. Aber das war die Summe, die die Person, welche er unbedingt treffen wollte, laut Nina verlangt hatte! „Dann muss er sich mit einer Anzahlung zufriedengeben“, murmelte Nick ärgerlich, klappte seinen Rechner zu und erhob sich. Wenn er sich beeilte, konnte er noch schnell etwas Geld abheben, ehe er im Café „Bikini Fruit“ hoffentlich den Mann traf, der Anyas grausamen Plänen Einhalt gebieten konnte.   ~-~-~   So schnell er konnte, rannte Nick völlig zerzaust durch das riesige Einkaufszentrum. Praktisch alles hier bestand aus glänzenden Flächen. Der Boden im edlen, wenn auch gewöhnungsbedürftigen Metalllook, das Dach und die verschiedensten Geschäfte teilweise sogar komplett aus Glasplatten. Ziemlich viele Leute waren heute, am 5. November, unterwegs und nicht wenige wurden von Nick angerempelt. Sie saßen auf den Bänken, die sich in der Mitte der Einkaufsstraße befanden, betrachteten Kleider, Schmuck und andere Waren, die vor den Geschäften ausgestellt waren oder aßen im Schlendergang ein Eis. Das Sonnenlicht erhellte das blaue Kolosseum, wie das Einkaufszentrum auch genannt wurde, mit warmen Strahlen, wenn es nicht gerade von grauen Wolken behindert wurde.   Es erschien Nick wie eine Ewigkeit, bis er einen der riesigen Seiteneingänge erreicht hatte. Gleich nebenan befand sich, ebenfalls durch eine Glaswand getrennt, ein kleines Café. In Neonlettern stand über dem Eingang „Bikini Fruit“ und schon von außen sah Nick, dass fast alle Tische besetzt waren. Außer Atem stürmte er in das Café und schritt an der riesigen Bar vorbei, hektisch nach einem einzelnen Mann suchend, der wahrscheinlich schon auf ihn wartete. Doch bevor er überhaupt einmal den Blick durch das Café hatte kreisen lassen, wurde er am Arm gezogen, mitgeschleift und auf einen Stuhl in der hintersten Ecke des Cafés gezwängt. „Hey, was-! Nina!?“ Eine rothaarige, blasse Frau setzte sich ihm gegenüber und legte ihre überdimensionale Krokodilslederhandtasche auf den runden Glastisch, der sie beide trennte. Ihre Frisur war ein einziges Chaos aus Haarspangen. Die dicke Hornbrille auf Nina Placatellis Nase tat ihr Übriges, um aus der grünäugigen Frau einen Geier zu machen, der nur auf die nächste große Story wartete. „Hallöchen, Nick. Lange nicht gesehen“, zwinkerte sie ihm verführerisch zu. „Was wollen Sie hier?“, verlangte Nick mit unterdrückter Wut zu wissen. „Ich dachte, ich treffe mich mit -ihm-.“ Nebenbei setzte er den Rucksack von seinen Schultern ab. „Tust du doch auch“, meinte sie schulterzuckend, „mit mir zusammen.“ „Warum-!?“ Sie kicherte spitz. „Ach tu doch nicht so, du Dummchen. Denkst du, ich lasse mir eine so interessante Story entgehen?“ Theatralisch seufzend fügte sie hinzu: „Der verlorene Sohn der heiligen Stadt Edens gibt sein erstes Interview, wie romantisch. Wenn ich das abdrucken lasse, werden mir die Leser zu Füßen liegen. Außerdem wird dann keiner mehr glauben, dass 'Thirty Legends – The Whole Truth' von meinem lieben Cousin nur erfundener Quatsch ist!“   Wenn er nicht so verzweifelt wäre, so dachte Nick wütend, würde er persönlich dafür sorgen, dass dieser liebe Cousin von seinem Verlag auf die Straße gesetzt wurde. Aber es war wirklich interessant herauszufinden, dass dieses Buch tatsächlich von einem Verwandten Ninas geschrieben worden war. Was vermutlich auch erklärte, warum sie so besessen von allem Übernatürlichen schien – es lag in der Familie. Normalerweise glaubte Nick ja nicht an Zufälle, aber das hier konnte anders gar nicht bezeichnet werden. Das absurde Buch, das Abby sich damals in der Bibliothek ausgeliehen hatte, stand mit Nina Placatelli, der örtlichen Quatschkolumnistin, in Verbindung. All dies hatte Nick erfahren, als er Nina eines für sie unschönen Tages anrief, um nachzufragen, was für Informationen sie denn inzwischen für Anya und Abby bereit hielt, nachdem Letztere ihr eine Lektion erteilt hatte. Die Antwort fiel jedoch ernüchternd aus: nichts. Darum hatte Nick damit gedroht, ihr Abby auf den Hals zu hetzen, wenn sie nicht bald etwas Vorzeigbares zu ihm brachte. Woraufhin Nina von ihrem Cousin und dem Buch 'Thirty Legends – The Whole Truth' zu erzählen begann, welches er selbst teilweise gelesen hatte, bevor er es frustriert zurück in die Bibliothek brachte. Es war ironisch, denn eigentlich hatte Nick Nina nur als Mittel zum Zweck benutzt, um Abbys Angst vor Duellen zu bekämpfen. Dass sie nun tatsächlich noch einen Nutzen besaß, der darüber hinaus ging, konnte schon glatt als Wunder bezeichnet werden. Und was Wunder anging: wenn dieser ominöse Fremde, den Nina nur unter größten Mühen hierher eingeladen hatte, eine Niete war – und die Chancen standen gut, dass dem so war – würde sie ihr ganz persönliches, blaues Wunder erleben. Denn die Transaktionen, die Nick durchgeführt hatte, um an die 30.000$ zu gelangen, wurden unter anderem von ihrem Konto getätigt. Aber ihr Geld hatte er absichtlich nicht mit abgehoben, um die Sache gegebenenfalls rückgängig zu machen, wenn er bekam, was er wollte. Doch im Moment war sie, ohne etwas zu ahnen, pleite.   „Würden Sie bitte gehen?“, fragte Nick unhöflich. „Nein, nichts da!“ Sie schüttete demonstrativ den Kopf. „Hast du auch an das Geld gedacht? Mein Cousin sagt, dieser Typ ist nicht sonderlich sesshaft und hat auch keine Arbeit. Er reist durch die Lande, deswegen war es auch so schwer, ihn zu kontaktieren.“ „Um das Geld brauchen Sie sich keine Sorgen machen“, erwiderte Nick kühl, „eher mache ich mir Sorgen um Sie.“ Sofort weitete die rothaarige Frau im besten Alter ihre giftgrünen Augen. „W-wie meinen!?“ „Wenn ich erfahre, dass das nur ein Trick ist, um sich durch mich zu bereichern …“ Nick sprach absichtlich nicht weiter, damit Ninas gut ausgeprägte Fantasie den Rest übernehmen konnte. Die hob panisch die Hände. „Nicht doch! So etwas Niederes würde ich nie tun!“ Nick schloss die Augen. „Ich hoffe es. Für Sie, Nina.“ „S-sicher.“ Nebenbei sah sie auf die Uhr an ihrem Arm. „Der ist aber ganz schön spät …“ „Wieso? Ich bin doch hier?“   Beide schreckten auf, hatten sie den Mann nicht bemerkt, der direkt neben ihnen an einem der Stühle saß und ein freundliches Lächeln aufsetzte. Nick betrachtete ihn fassungslos. Das war unmöglich, von seiner Position aus hätte er jeden sofort bemerkt, der sich ihrem Tisch genähert, geschweige denn Platz genommen hätte. Aber dieser Kerl, er war einfach aus dem Nichts aufgetaucht! „Huuuuh!“, atmete Nina tief durch und fächerte sich mit der flachen Hand Luft zu. „Das nenne ich einen gelungenen Auftritt.“ „Ich hoffe, ich habe die Dame nicht erschreckt“, meinte der Fremde amüsiert. Nina zwinkerte ihm becircend zu. „Ach Unsinn, mein Lieber, ich habe schon ganz andere Sachen erlebt. Als Reporterin kennt man keine Gefahr.“   Derweil musterte Nick den Mann skeptisch. Er war schon ziemlich alt, bestimmt über 60 Jahre, was man schon an dem weißen Haar erkannte, welches zu einem losen Pferdeschwanz gebunden auf seinem Rücken lag. Dazu trug er eine Brille mit kreisrunden Gläsern, aus deren Mitte seine grauen Augen regelrecht strahlten. Markant machte ihn aber der braune Poncho mit schwarzen Streifen, den er über seinem Leib trug. „Was ist? Störe ich?“, richtete der Mann sein Wort an Nick. „Nein“, erwiderte der zögerlich. „Ich bin nur etwas überrascht. Wir haben Sie nicht bemerkt.“ Der Alte winkte lachend ab. „Das sagen sie alle. Ich bin mal hier, mal da, aber nirgendwo auf Dauer. Nennt mich Drazen.“ „Drazen also“, murmelte Nick und sah aus den Augenwinkeln zu Nina herüber, die bereits Stift und Notizblock gezückt hatte, um sich alles aufzuschreiben. Ihr Gast lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. „Warum wolltet ihr mich sehen? Ich war sehr überrascht, als der neugierige, junge Autor von damals mich kontaktiert hat.“ Bevor jedoch einer von ihnen beiden antworten konnte, kam eine rothaarige Kellnerin in weiß-schwarzem Kostüm an. „Möchten Sie etwas bestellen?“ „Einen Kirschsaft“, bat Drazen. „Ich will ein Stück Ihrer-“ Doch Nick unterbrach Nina harsch: „Für uns beide bitte nichts.“ „W-wie Sie wünschen“, stammelte die Kellnerin erstaunt von Nicks endgültigem Tonfall und zog unzufrieden von dannen. Woraufhin Nina giftige Blicke um sich warf. Die Nick mit seinen eigenen auffing und mit doppelter Wucht zurückwarf. „Ihr seid ja ein lustiges Gespann“, lachte Drazen bärbeißig. „Seid ihr ein Paar? Ist ja ein ganz schöner Altersunterschied zwischen euch beiden.“ „Als ob!“, empörte sich Nina. „Ich stehe auf richtige Männer! Will sagen: reiche Männer, die eine Frau so behandeln, wie sie es verdient hat!“ Nick entgegnete daraufhin gallig an Drazen gewandt: „Sie sollte froh sein, dass sie -nicht- bekommt, was sie verdient hat.“ „Oh?“ Drazen lachte daraufhin so laut, dass einige Gäste sich empört zu ihm umdrehten. Geschäftsmännisch legte Nick seine Hände aufeinander und schloss nachdenklich die Augen. „Was mein Anliegen angeht, würde ich das gerne unter vier Augen klären. Nina, Sie können jetzt gehen.“ „Nichts da, ich bleibe!“ „Bitte, Nina.“ Doch es klang eher nach einer Drohung. „Vergiss es, Burschi! Sei nicht so übermütig! … tch, als Idiot hast du mir bedeutend besser gefallen!“ Die Frau kritzelte sofort etwas auf ihren Notizblock und murmelte leise: „Nötigte mich zum Bleiben, hat mit Gewalt gedroht.“ Jedoch wurden sie wieder von der Kellnerin gestört, die Drazen auf einem Tablett seinen Kirschsaft reichte, welchen er dankend entgegen nahm. Nachdem er einen Schluck genommen und das Glas abgesetzt hatte, richtete er sich mit einem erwartungsvollen Lächeln an Nick. „Und? Hast du das Geld?“ Daraufhin zog dieser aus seinem Rucksack einen weißen Umschlag hervor, der schon von außen den Eindruck machte, gut gefüllt zu sein. „Das hier sind 15.000$. Die kriegen Sie als Anzahlung.“ „Wir hatten aber das Doppelte ausgemacht.“ Drazen zwinkerte. „Als Anzahlung.“ „Sie bekommen gar nichts, wenn Sie mir nicht vorher beweisen, dass Sie mehr über 'Eden' wissen.“ „Welches Eden denn? Meine geliebte Heimat oder das Eden, das bald hier aufkreuzen wird?“ Nick lachte wenig überzeugt auf und blieb hart. „Soll das Ihr Beweis sein? Das können Sie genauso gut von ihr erfahren haben.“ Mit dem Daumen zeigte er auf Nina, welcher er damals versehentlich etwas zu viel verraten hatte. „Wie viele Opfer hat deine Freundin denn schon beisammen? Alle fünf?“   Es kam so plötzlich, dass Nick beinahe der Umschlag aus der Hand fiel. Das konnte Drazen nicht ohne Weiteres wissen! Nina wusste von den Opfern, die für Edens Erwachen benötigt wurden, überhaupt nichts! Und auch sonst niemand außer denen, die gestern in Valeries Küche anwesend gewesen waren. „Volltreffer“, lachte Drazen und schnappte sich einfach den Umschlag aus Nicks Hand. Er blätterte durch die Scheine, die sich darin befanden und seufzte. „Aber das ist zu wenig. Ein alter Mann wie ich wird mit ein paar Almosen nicht lange über die Runden kommen.“ Mit einer beiläufigen Geste warf er den Umschlag zurück auf den Tisch. „Komm wieder, wenn du mehr dabei hast.“ „Opfer? Was für Opfer? Ein grausames Ritual, um den bösen König der Unterwelt wiederzuerwecken?“, mischte sich Nina ein und kritzelte eifrig auf ihrem Notizblock herum. „Mehr Geld konnte ich in so einem kurzen Zeitraum nicht beschaffen“, sagte Nick unbeeindruckt von Drazens Geste und verstaute den Umschlag wieder in seinem Rucksack. „Außerdem reicht mir das noch nicht als Beweis für Ihre Glaubwürdigkeit.“ „So misstrauisch, hmm?“ Der Weißhaarige lachte amüsiert. „Gefällt mir! Aber ich weiß leider nicht, was ich dir sagen kann, um dein Vertrauen zu gewinnen.“ Nick nahm ihn fest ins Visier. „Wie wäre es zur Abwechslung mit etwas, was ich noch nicht weiß? Deswegen sind wir doch hier.“ Grinsend nahm Drazen noch einen Schluck Kirschsaft. „Ahhh! Etwas Neues also? Hmm … wie wäre es damit. Dein Eden und mein Eden … zwischen ihnen besteht eine Verbindung.“ „Welche soll das sein?“ Drazen schmunzelte amüsiert. „Du bist noch nicht darauf gekommen? Schande über dich, Junge. Meine geliebte Stadt wurde nach deinem Eden benannt.“ Überrascht starrte Nick den fremden Mann an, wie er ganz seelenruhig am Tisch saß und ihn abwartend ansah. „Dann sind die beiden Eden … nicht ein und dasselbe!?“ „Natürlich nicht. Aber wenn du mehr hören möchtest, lass es klingeln. Ansonsten bin ich weg. Und mich rechtzeitig ausfindig zu machen, bevor deine Freundin in den Turm geht, wird ziemlich schwierig.“ Drazen grinste vergnügt. „Wenn ich nicht gefunden werden will, dann findet mich auch keiner.“ „So viel Geld zu beschaffen dauert aber eine Weile!“ Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Lass dir etwas einfallen. Du bist doch kein dummes Kerlchen.“   Nick überlegte fieberhaft. Seine Zweifel waren zwar noch nicht ganz ausgeräumt, aber zumindest waren Drazens Worte rund um die beiden 'Eden' ein Anfang. Er war fest davon ausgegangen, dass, wenn dieser Mann wirklich kein Schwindler war, die geheimnisvolle Stadt der Allerheiligsten das Eden war, das Anya so fest im Griff hielt. Aber was bedeutete das? Dass sie am Ende nur den Namen von Anyas Eden trug? Hatte das etwas mit den Gründern zu tun? Jenen, die als Einzige die Prozesse rund um Eden in Gang setzen konnten? Er musste es wissen. Noch heute!   „Wir duellieren uns“, verlangte Nick plötzlich, „und Sie werden mir alles sagen, was ich wissen will.“ Drazen sah ihn aus den Augenwinkeln interessiert an. „Und was bekomme ich, wenn ich gewinne?“ „100.000$ in bar.“ Sein Gegenüber lachte amüsiert. „Ich dachte, so viel Geld wäre unmöglich in einem Tag aufzutreiben.“ Selbst Nina schüttelte erstaunt den Kopf. „Er hat recht. Du bist vielleicht nicht der Idiot, für den du dich ausgibst, aber überschätzt du dich da nicht ein kleines bisschen?“ Nick aber ließ sich nicht davon beeinflussen. „Ich schaffe das schon. Ihr könnt gerne zusehen, wenn ihr wollt.“ „In dir steckt eine Menge krimineller Energie. Ich mag das“, lachte Drazen wieder so laut, dass die anderen Gäste sich genervt zu ihm umdrehten. „Und mir gefällt dein Angebot.“ Unter seinem Poncho hob er einen Arm hervor, an dem eine Duel Disk angebracht war. Dazu reichte er Nick seine andere Hand. „Dann ist es ein Deal.“ Der brünette, hochgewachsene Mann schüttelte sie. „Ja. Aber nicht im Einkaufszentrum. Irgendwo, wo uns niemand beobachtet.“ „Das ist wirklich sehr interessant“, murmelte Nina und notierte sich jedes Detail mit Zunge an der Oberlippe. „Bestechungsgelder, Betrug, Verrat. Ich sollte darüber nachdenken, daraus einen Roman zu machen …“   ~-~-~   Kurz darauf fanden sich die Drei in einer Seitengasse wieder. Es stank hier fürchterlich, was an den vollkommen überfüllten Mülltonnen lag, die überall herumstanden. Nick hatte diesen Ort bewusst gewählt. Hier würde niemand sie beobachten … und hoffentlich auch niemand Drazens Schmerzensschreie hören. Mit einem Blick auf seine Duel Disk schmunzelte der brünette, junge Mann. Er hatte die Sicherheitssperre für die Hologrammdronen noch nicht wieder eingeschaltet, sodass seine Monster nach wie vor echte Verletzungen zufügen würden. Und das war auch sein wahrer Plan. Wenn Drazen erst realisierte, worauf er sich eingelassen hatte, würde er freiwillig reden. Ansonsten musste er damit rechnen, dieses Duell nicht zu überleben. Natürlich würde Nick es niemals so weit kommen lassen, er würde Drazen rechtzeitig anbieten, das Duell zu unterbrechen, wenn jener kooperierte. Aber zumindest eine Kostprobe seiner Fähigkeiten sollte der alte Mann erhalten.   Nina stellte sich kämpferisch mit einer Duel Disk am Arm neben Nick. „Ich bin berei-heit!“ „Was!?“ Sie rückte ihre Brille zurecht und legte ihre riesige Krokodilsledertasche ab, aus der sie den Apparat anscheinend geholt hatte. „Aber sicher, du Dummchen! Denkst du, ich lasse mir so etwas entgehen?“ „Ich duelliere mich lieber alleine. Also verschwinden Sie, Nina. Oder treten Sie zumindest beiseite.“ Drazen, der ihnen gegenüber stand, mischte sich lachend ein. „Man sollte einer Dame nie einen Wunsch abschlagen. Außerdem sehne ich mich schon lange nach einer Herausforderung. Da kommt mir das nur recht. Und du hast den Vorteil, nicht alleine kämpfen zu müssen.“ Nick schüttelte wortlos den Kopf. Der Typ hatte keine Ahnung, wie qualitativ mangelhaft Ninas Duellstil war. Die war eher eine Behinderung, denn eine Bereicherung für ihn. Allerdings ließ sich die rothaarige Journalistin nicht erweichen. „Da hörst du es! Der Mann hat gesprochen. Also lass uns ab-he-ben, Partner!“ Sie schlug ihm so hart auf den Rücken, dass Nick glatt vorne über stolperte. „Das kann noch heiter werden“, murmelte er genervt und aktivierte seine Duel Disk. Synchron hallten drei Stimmen durch die Gasse: „Duell!“   [Nick: 4000LP Nina: 4000LP //// Drazen: 4000LP]   „Als Solospieler beginne ich“, stellte Drazen voller Vorfreude klar und zog sein Startblatt plus eine Karte, was zusammen sechs Stück machte. Nebeneinander warteten Nick und Nina gespannt auf seinen ersten Zug. Der mit einer Zauberkarte begann. „[Foolish Burial]. Mit ihr schicke ich ein beliebiges Monster vom Deck auf den Friedhof.“ Zwischen seinen Fingern hielt der Weißhaarige dabei eine Karte namens [Scrap Chimera], ehe er sie in den Friedhofsschlitz schob. Dann wählte er ein Monster von seiner Hand und legte es auf die Duel Disk. „[Scrap Goblin], komm hervor!“ Lauter verschiedene Schrottteile flogen durch die Luft und formten eine kleine Gestalt, die aufrecht stand und entfernt an einen Maulwurf erinnerte. Mit einem Arm, der lediglich aus einer alten Gabel bestand, machte der Goblin keinen gefährlichen Eindruck.   Scrap Goblin [ATK/0 DEF/500 (3)]   Hysterisch gackernd zeigte Nina mit dem Finger auf das harmlos anmutende Monster. „Wer ist so dumm und ruft ein derart schwaches Monster im Angriffsmodus!? Kyahahaha!“ „Ich werde mich hüten, einer Dame zu widersprechen“, sagte Drazen mit einem verschmitzten Lächeln und schob eine Karte in den mittleren der Zauber- und Fallenkartenslots. „Mit dieser Karte als Abschluss überlasse ich meinen Gegnern das Feld.“ Vor seinen Füßen materialisierte sich die gesetzte Karte. „Wurde auch Zeit“, rief Nina laut, „mein Zu- Hey!“ Nick hatte noch vor ihr gezogen und damit die Zug-Reihenfolge festgelegt. Die Journalistin ballte wütend eine Faust. „Das ist unhöflich! Es heißt Ladies first!“ „Interessiert mich nicht“, erwiderte Nick gleichgültig und betrachtete sein Blatt, das fast nur aus Monstern bestand. Was nicht sonderlich gut für ihn war. Dennoch griff er entschlossen nach einem von ihnen und rief: „Los, [Wind-Up Knight]!“ Sofort tauchte vor ihm ein knapp ein Meter großer, weißer Spielzeugritter auf, mit Schild und Schwert bewaffnet. Wie bei all seinen Artgenossen ragte auch aus seinem Rücken ein Aufziehschlüssel.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Zug beendet“, sprach Nick und sah zu Nina herüber. „Geben Sie sich Mühe!“ „Ja doch!“, fauchte die zurück und riss ihrerseits eine Karte von ihrem Blatt. „Du wirst dich noch umgucken, Burschi, wenn Nina Placatelli als strahlende Siegerin aus diesem Duell hervor geht!“ Drazen lachte bärbeißig. „Selbstbewusst ist sie ja.“ Nick war eher dazu geneigt, es Selbstüberschätzung nennen.   „Okay“, rief Nina kampfbereit. „Starten wir durch mit [XX-Saber Boggart Knight]!“ Mit wehendem, rotem Umhang stellte sich eine schlanke, menschenähnliche Kreatur vor seine Besitzerin. Die überdimensional langen Fingernägel schnippen lassend, kicherte die Gestalt und zückte einen Säbel, dessen Klinge aus blauer Energie bestand. XX-Saber Boggart Knight [ATK/1900 DEF/1000 (4)]   Nina schnappte sich eine weitere Karte von ihrem Blatt. „Wenn er gerufen wird, beordert er ein weiteres X-Saber-Monster von meiner Hand aufs Spielfeld! Der Name: [X-Saber Pashuul]!“ Noch einmal schnippte der Koboldritter mit dem Finger, da ging schon neben ihm eine in blauer Panzerung gehüllte Person in die Hocke. Das schwarze Haar lag dem Mann, dessen rechtes Auge durch ein mechanisches Implantat ersetzt worden war, über dem Rücken. Mit einer großen Breitklinge gedachte er sich vor Angreifern zu schützen.   X-Saber Pashuul [ATK/100 DEF/0 (2)]   „Selbst der ist stärker als dieser Schrotthaufen“, tönte Nina selbstherrlich und streckte den Arm aus. „Aber ich habe ihn nicht gerufen, um zu kämpfen, sondern damit er sich auf meinen Boggart Knight einstimmt! Zeit für Feintuning, Stufe 2 und Stufe 4!“ Pashuul zersprang in zwei grüne Ringe, die vor Nina durch die Luft glitten, gefolgt von ihrem Koboldritter. „Crossing swords form a sign of resistance! Hear the name of the X²! Synchro Summon! [XX-Saber Hyunlei]!“ Aus einem Lichtblitz erschien eine wild durch die Luft wirbelnde Kriegerin, die mit nur einer Zehenspitze auf dem Boden stehen blieb und ihre gebogene Klinge mit Mittel- und Zeigefinger berührte. Dabei trug sie einen Helm und ein rotes Cape, das ihr bis zu den Hüften reichte.   XX-Saber Hyunlei [ATK/2300 DEF/1300 (6)]   „So sehen die -guten- Monster aus!“, lachte Nina hysterisch und zeigte auf Drazen. „Die -gute- Hyunlei wird jetzt bis zu drei Zauber- beziehungsweise Fallenkarten auf dem Spielfeld zerstören. Ich zähle zwar nur eine, aber leider – und ich reime – ist das deine, ha ha! Und anschließend greife ich dein Monster an, Großväterchen!“ Nick streckte erschrocken den Arm nach ihr aus. „Nicht, Nina-!“ Wusste sie denn nicht, dass in einem Duell mit mehr als zwei Person immer erst angegriffen werden konnte, nachdem jeder Spieler mindestens einmal am Zug war!? Doch es war bereits zu spät, um eine Warnung auszusprechen. Ninas Synchrokriegerin zückte ein Wurfmesser hinter ihrem Gürtel hervor und schleuderte dieses in Richtung von Drazens gesetzter Karte. Die, wie konnte es auch anders sein, als Reaktion darauf aufsprang. „Schade, ich dachte, ich könnte mir die hier noch ein wenig aufheben“, lachte der Weißhaarige unbekümmert. „Meine [Scrap Burst Salvo].“ Auf dem Artwork war ein Drache abgebildet, der komplett aus verschiedensten Schrottteilen zusammengesetzt war und aus seinem Maul Raketen abfeuerte, die ebenfalls notdürftig aus altem Abfall erschaffen worden waren. Jene Raketen schossen plötzlich aus der Karte hinaus. Drazen erklärte dazu: „Mit ihr vernichte ich eine meiner Karten und eine meines Gegners. Tut mir leid, aber diese kleine Amazone ist mir nicht geheuer.“ Schon schlugen die Raketen bei Nina ein, vernichteten ihre Hyunlei, genau wie den Schrottgoblin, der bei der Explosion in seine Einzelteile zersprang. Plötzlich reichte Drazen nach seinem Friedhof aus. „Wenn der kleine [Scrap Goblin], solange er offen liegt, durch eine Scrap-Karte zerstört wird, erhalte ich vom Friedhof ein Scrap-Monster zurück. Das darf allerdings kein Empfänger sein.“ Zwischen seinen Fingern zeigte er die zuvor abgelegte [Scrap Chimera] vor. Nick schnappte nach Luft, als er erkannte, dass Drazen dies alles von Anfang an so geplant hatte. Und Nina war ihm direkt in die Falle gelaufen! „Ich beende meinen Zug“, gab diese empört von sich. „So was aber auch!“ „Sie können doch nicht mit leerem Feld abgeben!?“, polterte Nick fassungslos. Nina zuckte jedoch nur unbedarft mit den Schultern. „Was soll ich sonst tun? Meine normale Beschwörung ist aufgebraucht.“ Woraufhin sich Nick genervt an die Stirn fasste. Langsam bekam er eine Ahnung, was Anya damals alles durchgemacht haben musste, als er in seiner Idiotenrolle ihren Tag-Partner auf dem Schulturnier gemimt hatte.   „Ein gutes Team lässt sich von so einem kleinen Rückschlag doch nicht unterkriegen, oder?“, fragte Drazen und zog derweil seine Karte. Nick stellte klar: „Wenn es nach mir ginge, gäbe es gar kein Team!“ „Püh! Ich könnte das auch alleine gewinnen“, zeigte sich Nina nicht weniger abgeneigt. „Oh man, ihr habt beide noch eine Menge zu lernen“, murmelte Drazen leise und legte eine Monsterkarte auf seine Duel Disk. „Komm hervor, [Scrap Chimera]!“ Aus umherfliegenden Schrottteilen setzte sich eine mechanische Schimäre zusammen, deren Kopf der eines Löwen sowie der Schweif eine elektrische Schlange war. Zudem besaß sie die Schwingen eines Vogels. Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)]   „Wenn sie als Normalbeschwörung beschworen wird, ruft sie einen Scrap-Empfänger von meinem Friedhof zurück“, erklärte Drazen und legte den zuvor zerstörten [Scrap Goblin] zurück auf seine Duel Disk. Jener tauchte auch sofort neben der Sagengestalt auf.   Scrap Goblin [ATK/0 DEF/500 (3)]   Dann ballte Drazen eine Faust, die er geradeaus streckte. „Los meine Kinder! Ich stimmte den Stufe 3-Goblin auf die Stufe 4-Chimera ab! Born from a pile of junk, the discarded gather once more! A combined force awakens! Synchro Summon!“ Der Goblin explodierte, seine Teile flogen durch die Luft und formten drei grüne Ringe, welche die Schimäre durchflog und dabei ebenfalls nach und nach in ihre Einzelteile zerfiel. Ein greller Blitz erhellte das Spielfeld. „Arise, [Scrap Archfiend]!“ Kaum waren die Schrottteile auf den Boden gefallen, erhob sich aus ihnen eine große Gestalt, ganz aus dunklem Metall. Geboren von den Überresten seiner Artgenossen, besaß dieser beflügelte Maschinendämon zwei spitze Hörner. Seine Augen leuchteten rot auf, als würde ihm Leben eingehaucht werden.   Scrap Archfiend [ATK/2700 DEF/1800 (7)]   „So viele Angriffspunkte!?“, staunte Nina und wich instinktiv zurück. „Wen von uns er wohl damit angreifen will!?“ Sie zeigte prompt auf ihren Partner. „Nimm den da!“ Selbst Nick war beeindruckt davon, dass ein Stufe 7-Synchromonster so stark sein konnte. „Habe ich gesagt, dass ich fertig bin?“, fragte Drazen amüsiert und legte noch eine Monsterkarte auf seine Duel Disk. „Wenn ein Scrap-Synchromonster beschworen wurde, kann ich diese hier von meiner Hand spezialbeschwören: [Scrap Dummy]!“ Neben seinem Dämon tauchte ein alter Crashdummy auf, der mit allerlei Gerümpel ausgebessert worden war. Da er seinen Unterkörper verloren hatte, bewegte er sich nun dank eines alten Autoreifens fort.   Scrap Dummy [ATK/800 DEF/2000 (4)]   „Und wenn einer meiner Gegner ein Monster kontrolliert, kann ich auch [Scrap Breaker] von meiner Hand als Spezialbeschwörung rufen!“ Gleich neben dem Dummy tauchte noch eine gefährliche Kreatur auf. Sie besaß weder Kopf noch Unterleib, schien sie doch lediglich der Oberkörper eines riesigen Roboters zu sein. Einer seiner Arme endete in einem Sägeblatt, das zu kreisen begann.   Scrap Breaker [ATK/2100 DEF/700 (6)]   Mit diesem griff er plötzlich den Dummy an, der daraufhin in tausend Stücke zersprang. Und Drazen griff daraufhin nach seinem Deck. „Wenn [Scrap Breaker] auf diese Weise gerufen wurde, zerstört er ein offenes Scrap-Monster, das ich kontrolliere. Den Dummy. Und wenn der durch den Effekt einer Scrap-Karte vernichtet wird, erhalte ich ein Scrap-Nicht-Empfängermonster von meinem Deck.“ Er strahlte zufrieden, als er eine weitere Kopie der [Scrap Chimera] gefunden hatte und schob sein Deck anschließend in die dafür vorgesehene Halterung zurück. Nick stieß einen angespannten Seufzer aus. Dieser Mann mochte von außen sehr unscheinbar wirken, doch war er definitiv ein sehr geschickter Duellant. Dank der neuen [Scrap Chimera] würde er nächste Runde wieder eine Synchrobeschwörung aus dem Stehgreif durchführen können. Dabei hatten sie es jetzt schon mit zwei Monstern mit über 2000 Angriffspunkten zu tun! „Tut mir leid, meine Liebe“, entschuldigte sich Drazen aufrichtig bei Nina, die sich daraufhin glatt hinter Nick versteckte. „Aber leider muss ich Sie jetzt direkt angreifen.“ „Warum nicht sein Monster!?“, beklagte sich Nina wütend, wurde daraufhin von Nick genervt weg geschubst. Drazen lächelte nur geheimnisvoll und zeigte auf die Frau. „[Scrap Archfiend], Squall of Scrap!“ Der Dämon öffnete sein Maul und brach einen ganzen Schwall an Schrott daraus hervor. Ob alte Radios, Glühbirnen und halbe Fahrräder, alles war dabei.   Nick runzelte ärgerlich die Stirn. Er hatte längst durchschaut, was Drazen wirklich wollte: dass er den Effekt seines [Wind-Up Knights] aktivierte. Mit dem konnte er nur einmal einen Angriff aufhalten. Und somit Nina beschützen. Er verengte die Augen und starrte die ganz aufgelöste Journalistin an, die jeden Moment von Drazens Angriff getroffen werden würde. Das wäre die ideale Chance, um sie loszuwerden. Allerdings gab es einen guten Grund, warum er haderte: sein eigenes Blatt war unerwartet schlecht ausgefallen und Ninas Deck definitiv stark. Unter diesen Umständen hätten sie als Team eine größere Chance auf den Sieg. Wenn sie doch nur nicht so grottenschlecht wäre … Aber es half nichts, er musste wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. „Los, [Wind-Up Knight], beschütze ihre Lebenspunkte!“ Sofort stellte sich sein weißer Spielzeugritter in den Weg und schirmte Nina vor dem herannahenden Schrott ab. Doch kaum war der Schwall verebbt, tauchte [Scrap Breaker] vor Nicks Ritter auf. „Das ist ein wahrer Gentleman“, lobte Drazen seinen Gegner aufrichtig. Was aber nichts dran änderte, dass Nicks Ritter dem Sägeblatt seines Gegners zum Opfer fiel und explodierte.   [Nick: 4000LP → 3700LP Nina: 4000LP //// Drazen: 4000LP]   „Das wurde ja auch Zeit!“, beklagte sich Nina verärgert. „Denken Sie bloß nicht, dass ich das für Sie getan habe …“ Drazen hob den Zeigefinger. „Aber nicht doch. Bitte nicht streiten. So eine noble Geste sollte nicht durch Worte beschmutzt werden.“ Er nahm eine Falle aus seinem Blatt hervor und setzte sie. „Mit diesem kleinen Schätzchen gebe ich an dich ab, Junge.“   Kaum hatte sich die verdeckte Karte vor Drazen materialisiert, fügte Nick seinem Blatt schon eine neue Karte hinzu. Nur brachte die ihm überhaupt nichts. Er fluchte innerlich. Nichts würde ihm im Kampf gegen den mächtigen Schrottdämon helfen. Das Einzige, was er tun konnte, war seinen Artgenossen zu vernichten. Der Rest würde von Nina abhängen. „Ich beschwöre [Wind-Up Soldier] und aktiviere seinen Effekt. Dadurch steigen bis zur End Phase seine Stufe und seine Angriffskraft um 1 beziehungsweise 400 an!“ Vor Nick tauchte ein etwa ein Meter großer, grüner Spielzeugroboter auf, dessen Kopfform stark an einen Magneten erinnerte. Die Schraube auf seinem Rücken begann sich rapide zu drehen.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)] Nick streckte den Arm aus. „Vernichte [Scrap Breaker]!“ Sofort sprang der Roboter nach vorne und schlug mit seiner Zangenhand mitten in die Brust des halbzerstörten, größeren Roboters. Dieser explodierte in einem großen Knall, seine Bestandteile flogen wild durch die Luft. Etwas Metallisches schoss dabei an Drazen vorbei und hinterließ eine blutige Schramme an seiner Wange.   [Nick: 3700LP Nina: 4000LP //// Drazen: 4000LP → 3900LP]   „Oh?“, murmelte der erstaunt und strich sich über die Wunde. „Da hat wohl jemand mit dem Sicherheitssystem gespielt.“ „Sie hätten sich eben-“, begann Nick, doch brach erschrocken ab. „Was!?“ Dort, wo eben noch Blut die Wange benetzte, war nun wieder gesundes Gewebe. Als hätte es die Schramme nie gegeben. „Nicht auf das Duell einlassen sollen?“ Drazen nickte. „Aber dann würde mir eine Menge Spaß entgehen. Lass mich raten, du wolltest mich erpressen, indem du mir nach und nach größere Wunden zufügst?“ Nina wirbelte um. „Stimmt das!? … und kannst du meine Duel Disk auch umbauen, wenn es geht? Das wäre bei Recherchen sicher nützlich, kyahahaha!“ Doch Nick ignorierte seine unfreiwillig gewonnene Partnerin. „Sieht so aus, als hätten Sie mich durchschaut.“ „Ich nehme es dir nicht übel. Aber wisse, dass die Kinder Edens unsterblich sind.“ Plötzlich senkte Drazen seinen Blick. „Deswegen bin ich schließlich ein Verbannter …“ „Heißt das, Sie sind mit einem Dämon liiert!?“, fragte Nick aufgebracht. Aufgeschreckt hob sein Gegenüber die Arme. „ Nein nein, wo denkst du hin?“ Zu sich selbst murmelte der alte Mann: „Ich und mein loses Mundwerk …“ „Dann sagen Sie mir, was das zu bedeuten hat!“ „Hast du das Duell schon gewonnen? Ich glaube nicht“, mahnte ihn Drazen. „Setze deinen Zug fort, statt einen alten Racker wie mir unangenehme Fragen zu stellen.“ Nick schnaufte wütend. Aber wenn es ihm nichts ausmachte verletzt zu werden, sei es drum. Er würde schon noch reden. „Okay, wie Sie wollen. Ich aktiviere jetzt den Schnellzauber [Legendary Wind-Up Key] von meiner Hand. Er zieht meinen Soldaten wieder auf und zwar, indem er ihn in verdeckte Verteidigungsposition setzt.“ Ein goldener Aufziehschlüssel ersetzte plötzlich den alten auf dem Rücken des Soldaten und drehte sich. Dabei ging der Soldat in die Knie, bis er plötzlich zu einem horizontal liegenden Kartenrücken wurde.   Wind-Up Soldier [ATK/2200 → 1800 DEF/1200 (5 → 4)] „Zug beendet“, sprach Nick verärgert, da es ihm an Optionen mangelte.   „Die allwissende Reporterin macht ihren Zug und verteilt mächtige Schläge“, flötete Nina daraufhin und zog. Sie zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt und sah zu Nick herüber. „Ich leihe mir mal eben dein Monster aus. Du gestattest?“ „W-was!?“ „[Mind Control]! Damit erlange ich die Kontrolle über ein gegnerisches Monster für einen Zug, mit dem ich aber leider weder angreifen, noch dieses Monster opfern kann.“ Nicks gesetzte Karte löste sich auf und erschien stattdessen nun vor Nina. Der Besitzer des [Wind-Up Soldiers] warf ihr das Monster mit zornigem Blick zu. Doch anstatt es zu fangen, klatschte es einfach gegen Ninas Stirn und segelte auf den Boden. „Au“, murmelte diese und hob es auf, legte es gleich im Angriffsmodus auf ihre Duel Disk. „Ich flippe dich und nutze deinen Effekt, [Wind-Up Soldier]!“ Vor ihr erhob sich aus der gesetzten Karte der grüne Spielzeugsoldat, dessen Aufziehschlüssel sich wild zu drehen begann.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)] „Nun beschwöre ich einen von meinen süßen, kleinen Darlings! [XX-Saber Fulhelmknight]!“ Vor ihr tauchte ein blonder Krieger in rotem Cape auf, der ein Schwert schwang, das sich in eine Kette bestehend aus vielen kleinen Klingen verwandelte. XX-Saber Fulhelmknight [ATK/1300 DEF/1000 (3)]   „Und nun von meiner Hand die Zauberkarte [Star Changer]! Sie ändert die Stufe eines meiner Monster um eins! Fullhelmknight, Level Up!“   XX-Saber Fulhelmknight [ATK/1300 DEF/1000 (3 → 4)] „Und jetzt das große Finale“, kündigte Nina großmäulig an. „Abstimmung! Stufe 4, Fulhelmknight auf Stufe 5, [Wind-Up Soldier]! Mighty warrior of the gentle sword, return to this wicked world! We await your command! Synchro Summon! Break free, [XX-Saber Gottoms]!“ Synchroringe entstanden, Nicks Soldat durchquerte sie und schon blitzte es wieder grünlich in der Seitenstraße, als vor Nina ein mächtiger Krieger erschien. Dieser trug eine Rüstung aus Stahl, die sogar sein Gesicht verdeckte und schwang eine enorm lange, zweiblättrige Klinge über seinem Kopf. Unruhig flatterte der rote Umhang im Wind, welcher auf seinen Schultern lag. XX-Saber Gottoms [ATK/3100 DEF/2600 (9)]   Nick war fassungslos. Ohne seine Erlaubnis hatte dieses Weib sein Monster genommen, um damit ihres zu beschwören. Wo sie doch-! „Was sollte das!?“, beklagte er sich aufgebracht. „Warum haben Sie nicht die Kontrolle über [Scrap Archfiend] übernommen, um diese Kombo durchzuführen!?“ „Kannst du nicht zählen, Burschi!? Der ist Stufe 7, das ist zu hoch gewesen, ich brauchte dein Monster!“ Sie rümpfte arrogant die Nase. „Amateur!“ Aber Nick wollte das nicht glauben. Mit [Star Changer] hätte sie die Stufe des Dämons auf 6 reduzieren, dann den Stufe 3-Fulhelmknight beschwören und daraus den Stufe 9-Gottoms entstehen lassen können. Diese Frau war ein Albtraum auf zwei Beinen! Ein ziemlich dämlicher Albtraum! Nun stand er ohne Monster da! Besagter rothaariger Albtraum hatte sich jedoch längst Drazen zugewannt. „Tut mir leid mein Hübscher, aber ich will gewinnen! Also los, Gottoms, vernihiiiichte [Scrap Archfiend]! Geronimoooooooo!“ Unbekümmert verfolgte Drazen mit einem spitzbübischen Grinsen, wie ein Schwerthieb des großen Kriegers reichte, um sein Monster zu enthaupten. Da aber Nina den Angriff durchgeführt hatte, erlitt er dabei keine Verletzungen.   [Nick: 3700LP Nina: 4000LP //// Drazen: 3900LP → 3500LP]   „Zug be-en-det“, trällerte Nina gut gelaunt. Anders als Nick, dessen Augen gefährlich nahe dran waren, aus ihren Höhlen zu flüchten. „Und sie setzt nicht einmal eine Karte, um mich zu beschützen …“ Seine Partnerin winkte ab. „Du wirst schon klar kommen, Kleiner. Kannst dich schließlich nicht hinter einer wehrlosen Frau wie mir verstecken, kyahahaha!“ Nein, dachte Nick heimtückisch, aber er konnte immer noch ihr Konto plündern. So oft er wollte!   „Nicht streiten, meine Lieben“, versuchte Drazen zu schlichten, „ich bin auch noch da! Draw!“ Zwar besaß er kein Monster mehr auf dem Spielfeld, doch das sollte sich gleich ändern. „Na, kennt ihr sie noch? Die [Scrap Chimera]?“ Schon tauchte die aus verschiedenen Schrottteilen zusammen gewürfelte Kreatur aus der griechischen Mythologie wieder auf.   Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)]   Und sie brachte Freunde mit. Zumindest einen, nämlich den Crashdummy auf dem Autoreifen, der im Kreis um sie fuhr. „Ihr müsst wissen“, erklärte Drazen dabei, als er die beiden Karten auf die Duel Disk legte, „dass [Scrap Dummy] auch ein Empfänger ist und somit von [Scrap Chimera] reanimiert werden kann.“ „Auch das noch …“, war alles, was Nick dazu zu sagen hatte.   Scrap Dummy [ATK/800 DEF/2000 (4)]   „Du hast es dir sicher schon gedacht“, sprach Drazen und streckte den Arm aus. „Aber hier kommt noch eine Synchrobeschwörung! Ich stimme meine beiden Stufe 4-Monster aufeinander ab! From within a pile of junk a heart of steel is born! The embodiment of the discarded! Synchro Summon! Tear them appart, [Scrap Dragon]!“ Nach dem grünen Lichtblitz, der den Abschluss der Prozedur einleitete, ertönte mächtiges, aber verzerrtes Gebrüll über Drazen. Und Nick erkannte das Monster sofort wieder, welches anmutig hinab stieg: es war die Kreatur, die auf der [Scrap Burst Salvo]-Falle abgebildet war. Aus blauen Blechen und anderen Materialien zusammengeschweißt, war dieser Drache elegant wie gleichzeitig furchteinflößend. Die roten Augen leuchteten, als es aus zwei Düsen an seinen Schwingen Dampf abließ.   Scrap Dragon [ATK/2800 DEF/2000 (8)]   „Was!?“, tönte Nina laut und verfiel in abfälliges Gelächter. „Der ist ja schwächer als mein Gottoms! Wie erbärmlich, gar vollkommen lächerlich!“ Drazen nahm still eine Zauberkarte namens [Guts Of Steel] von seinem Blatt und setzte sie, sodass sie sich neben der bereits eine Runde zuvor von ihm gesetzten Karte materialisierte. Dann erklärte er seelenruhig: „Mein Monster kann einmal pro Zug eine meiner Karten vernichten, um im Gegenzug auch eine Karte meines Gegners zu zerstören. Von diesem Effekt rührt auch der Name meiner Falle. Los, [Scrap Dragon], Scrap Burst Salvo!“ Die von Drazen gesetzte Zauberkarte zersprang in tausend Teile, deren Partikel von dem Drachen über ihm mit dem Maul aufgesogen wurden. Nur, damit dieser im Anschluss aus besagtem Maul Schrottraketen auf Gottoms abschießen konnte. Doch selbst Ninas grässlicher Entsetzensschrei konnte nicht verhindern, dass ihr Monster in einer gewaltigen Explosion unterging. Womit nun beide Teammitglieder ohne Karten auf dem Feld dastanden. Der Weißhaarige streckte den Arm aus und zeigte auf Nick. „Nimm es mir nicht übel, aber ersparen wir der Dame doch eine unschöne Erinnerung. [Scrap Dragon], Scrap Burst Stream!“ Der Schrottdrache lud einen blauen Energiestrahl in seinem Maul auf, den er umgehend auf Nick abfeuerte. Dieser hielt sich geblendet von der Attacke den Arm vors Gesicht und wurde voll erfasst.   [Nick: 3700LP → 900LP Nina: 4000LP //// Drazen: 3500LP]   „Was!?“, staunte Nick, als er unverletzt aus dem Angriff hervorging. „Oh? Dachtest du etwa, ich würde dir wehtun wollen?“, fragte Drazen erstaunt und brach in bärbeißiges Gelächter aus. „Warum sollte ich?“ Doch Nick antwortete nicht, sondern betrachtete den mechanischen Drachen. Wenn es ihm nicht gelang, dieses Ding auszuschalten, war er spätestens nächste Runde besiegt. Das hieß, wenn Nina nicht schon vorher wieder irgendeinen Unsinn veranstaltete. „Ich beendete damit meinen Zug“, verlautete Drazen gelassen.   „Draw!“, rief Nick eifrig und riss regelrecht seine nächste Karte vom Deck. Und als er sie erblickte, hellte sich seine Miene auf. Sofort zeigte er die Karte vor. „[Monster Reborn]. Was sie bewirkt, sollte jeder fähige Duellant wissen.“ „Was denn?“, wunderte sich Nina und drehte sich zu ihm. Und das, obwohl sie die Karte selbst einst gegen Abby eingesetzt hatte. Vor Nick tauchte schließlich der blonde Krieger mit dem Kettenschwert wieder auf.   XX-Saber Fulhelmknight [ATK/1300 DEF/1000 (3)]   „Was hast du mit meinem Monster vor!?“, kreischte Nina aufgebracht und starrte Nick wütend an. „Wenn Sie das dürfen, dann ich auch“, entgegnete dieser nur kühl und legte ein Monster auf seine Duel Disk. „Erscheine, [Wind-Up Hunter]!“   Wind-Up Hunter [ATK/1600 DEF/500 (3)]   Doch das Monster war nur für einen Sekundenbruchteil auf dem Feld, da verwandelte es sich schon in einen braunen Lichtstrahl, ebenso wie [XX-Saber Fulhelmknight]. „Ich erschaffe das Overlay Network!“, rief Nick und ließ einen schwarzen Wirbel mitten in der Seitengasse erscheinen, welcher die zwei Strahlen in sich aufnahm. „Xyz-Summon! Erscheine, [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“ Aus dem Loch trat ein Spielzeugflugzeugträger, der immerhin noch so groß war, dass er sich schützend vor Nick und Nina stellten konnte. Um das Schiff kreisten zwei Lichtsphären.   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3}] „Ich aktiviere den Effekt von Zenmaity!“, verkündete Nick. „Durch das Abkoppeln einer Xyz-Einheit kann ich-“ „Ich weiß genau, was du tun willst“, sprach Drazen amüsiert dazwischen, „ich kenne die gnadenlose Kombo bestehend aus [Wind-Up Rat] und [Wind-Up Hunter], die mir alle Handkarten nehmen soll. Und danach wirst du dich sicher hinter [Wind-Up Zenmaines] verstecken wollen, den mein [Scrap Dragon] nicht antasten kann, habe ich recht?“ Nicks Augen weiteten sich. „Wie haben Sie das durchschaut!?“ „Ich bin ein alter Knacker, ich kenne da schon die ein oder andere Kombo.“ Drazen lachte auf. „Bloß das hindert mich nicht daran, ihnen hin und wieder einen Strich durch die Rechnung zu machen. Konterfalle, [Scrapped]!“ Die purpurne Karte sprang vor Drazen auf und zeigte seinen [Scrap Dragon], wie dieser in einer Explosion unterging. Plötzlich richteten sich die Abschussrampen des Flugzeugträgers auf den Drachen am Himmel aus. „Was geschieht hier!?“ Nick war fassungslos. Es war, als würde Drazen in die Zukunft sehen können! „[Scrapped] kann nur aktiviert werden, wenn ich ein Scrap-Synchromonster kontrolliere. Dann greift er in einen beliebigen deiner Effekte ein und ändert ihn so um, dass eines meiner Scrap-Synchromonster vernichtet wird.“ Nina stammelte daraufhin: „Damit ist uns doch nur geholfen!?“ Ihr Gegenüber lachte amüsiert. „Kann schon sein.“ Schon hatte Nicks Schiff zwei Haitorpedos abgefeuert, die direkt in die Brust des mechanischen Drachen am Himmel einschlugen. Jener schrie gequält in seiner verzerrten Stimme auf, ehe er explodierte und in einem Schrottregen niederging. Doch ganz unerwartet explodierte auch Nicks [Wind-Up Carrier Zenmaity]. „Oh, ja, das muss wohl das Alter sein“, murmelte Drazen und strich sich über den Kopf hin bis zum Pferdeschwanz, welcher von seinem Poncho aus immerhin bis zu den Hüften reichte. „Ich habe wohl vergessen zu erwähnen, dass [Scrapped] danach die Karte zerstört, die mein Monster vernichtet hat.“ Fassungslos betrachtete Nick sein leeres Spielfeld. Dieser Drazen war einfach unglaublich, er hatte alles durchschaut und dementsprechend reagiert. Plötzlich schoss aus dem niedergehenden Schrotthaufen eine dunkle Gestalt. „Ah, und wenn [Scrap Dragon] durch einen gegnerischen Einfluss zerstört wird, beschwört er ein Scrap-Monster von meinem Friedhof. Das darf nur kein Synchromonster sein, ansonsten gibt es keine Beschränkung.“ Schon schwebte wieder der kaputte Oberkörper eines alten Roboters vor Drazen.   Scrap Breaker [ATK/2100 DEF/700 (6)]   Es war nicht zum Aushalten, dachte Nick krampfhaft. Jede Maßnahme gegen Drazen endete letztlich in einem Desaster. Nun konnte er nicht einmal mehr ein Monster zu seinem Schutz beschwören. Alles, was er überhaupt tun konnte, war zu bluffen. Daher nahm er die Zauberkarte [Weights & Zenmaisures] und setzte sie als Falle getarnt verdeckt. Während sie vor seinen Füßen erschien, bezweifelte der große, junge Mann jedoch, dass Drazen sich davon aufhalten ließ. Vermutlich wusste er genau, dass das nur ein Placebo war. Gesetzt aus Verzweiflung. „Ich beende meinen Zug“, sagte Nick leise. Ohne die Reporterin anzusehen, flüsterte er ihr zu: „Alles hängt jetzt von Ihnen ab, Nina.“ „Verstanden. Ich schaukel' den Stuhl schon irgendwie.“ Nick seufzte innerlich. Nicht einmal Sprichwörter bekam diese Person auf die Reihe. Sie hatten praktisch schon verloren … „Draw!“, rief Nina derweil und zog schwungvoll. Ihre drei Handkarten nachdenklich betrachtend, schnippte sie schließlich mit dem Finger. „Ich passe!“ „Was!?“, polterte Nick verstört, packte kurzerhand ihren Arm und sah sich entgegen der Regeln des Spiels ihr Blatt völlig aufgebracht an. „I-ich habe nur Monster hoher Stufe auf der Hand!“, rechtfertigte der Rotschopf sich erschrocken. Entgeistert betrachtete Nick die Karten. Es waren [XX-Saber Faultroll] der Stufe 6, [Commander Gottoms, Swordmaster], ebenfalls Stufe 6 und [XX-Saber Gardestrike], Stufe 5. Nicks Gesichtszüge entglitten ihm, als er Letzteren bemerkte. Kaum verständlich murmelte er: „Nina … dieses Monster kann von der Hand als Spezialbeschwörung gerufen werden, wenn sich zwei X-Saber auf ihrem Friedhof befinden. Nina … es befinden sich dort mindestens zwei. Und Nina … dieses Monster hätte genug Angriffspunkte gehabt, um sich zusammen mit [Scrap Breaker] zu zerstören. Nina!“ „Yieks!“ Sofort wich sie von ihm und fauchte verärgert: „Wie ich meine Karten einsetze, entscheide immer noch ich! Ich kenne sie schließlich am besten! Nick brüllte nicht weniger laut. „Ich wusste, es war ein Fehler Sie zu beschützen!“ „Ich habe bisher mehr Schaden angerichtet als du, Burschi! 400 zu 100 steht es!“   Und während die beiden sich heftig stritten, zog Drazen seufzend eine Karte und begann damit seinen Zug. „Ich sollte das wohl jetzt beenden“, murmelte er mit einem Hauch von Enttäuschung. „Also aktiviere ich [Monster Reincarnation], um von meiner Hand eine Karte abzuwerfen. Als Ersatz erhalte ich ein Monster von meinem Friedhof.“ Drazen verzichtete auf sein Monster [Scrap Hunter] und nahm sich dafür die [Scrap Chimera] auf seine Hand. Doch die beiden Zankenden nahmen gar keine Notiz davon. Resignierend seufzend legte Drazen seine Schimäre auf die Duel Disk, welche daraufhin vor ihm erschien.   Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)]   Erst als das mythische Wesen brüllte, wurden die beiden Streithähne aufmerksam und glotzen den Schrottlöwen mit Schwingen und Schlangenschwanz verwirrt an. „Dank ihres Effekts kehrt [Scrap Dummy] zurück“, führte Drazen seinen Zug fort. Zwischen Breaker und Schimäre tauchte der auf einem Autoreifen fahrende Crashdummy auf.   Scrap Dummy [ATK/800 DEF/2000 (4)]   „Was?“, murmelte Nick leise, der völlig verdrängt hatte, dass sein Gegner nun am Zuge war. „Machen wir dem ein schnelles Ende, okay?“, fragte Drazen, doch es klang eher nach einer Feststellung, denn einer Bitte. „Ich stimme den Stufe 4-[Scrap Dummy] auf den Stufe 6-[Scrap Breaker] ein! A heart of iron rests within the void of time and space! One beat, powerful enough to reverse the laws of nature! Synchro Summon! Break loose, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]!“ Ein heftiger Wind peitschte plötzlich durch die Seitengasse. Nick und Nina wurden regelrecht fort gedrückt, als der Dummy in vier grüne Ringe zersprang und der Breaker diese passierte. Ein greller Blitz blendete die beiden, als die Erde erzitterte. Nick öffnete seine Augen nur einen Spalt weit, doch erschrak so sehr, dass glatt ein kalter Schauder über seinen Rücken lief. Mülltonnen und Container, alte Bierdosen, Colaflaschen, alles was nicht am Boden festgenagelt war, schwebte in der Luft. Und hinter Drazen, da war er, der Schatten von etwas, das Nick am ehesten als 'Titan' bezeichnen würde. Doch das Licht, welches von diesem Monster ausging, war zu grell um Näheres zu erkennen. „Wenn Heavy T als Synchrobeschwörung gerufen wird“, erklärte Drazen, als wäre es nichts Besonderes, dass die Schwerkraft um sie herum ausgesetzt hatte, „erhält er bis zur End Phase für jedes verwendete Synchromaterial 500 Angriffspunkte.“   Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4000 DEF/0 (10)]   „Das war wirklich ein lustiges Duell. Aber euer Teamwork lässt noch sehr zu wünschen übrig. Wenn ihr jedoch an euch arbeitet, werdet ihr irgendwann sehr gute Duellanten sein“, sagte Drazen warmherzig. „Und nun entschuldigt, dass das jetzt etwas heftig wird. Heavy T, greif bitte die Dame an, aber sei behutsam. [Scrap Chimera], übernimm du den jungen Mann. Los!“ Ehe Nick sich versah, fiel die Schimäre über ihn her – und durch ihn hindurch. Gleichzeitig wurde die Erde erneut so heftig erschüttert, dass er und Nina zu schreien anfingen und umkippten. Ein lautes Poltern und alles war vorbei.   [Nick: 900LP → 0LP Nina: 4000LP → 0LP //// Drazen: 3500LP]   Nick lag auf dem Rücken, öffnete die Augen und bemerkte eine Hand, die nach ihm ausreichte. Drazens graue Augen glänzten regelrecht vor Freude, als er niederkniete, um dem jungen Mann aufzuhelfen. „Danke“, murmelte Nick, immer noch geschockt von den Ereignissen und ließ sich auf die Beine ziehen. Hinter Drazen stand Nina bereits wieder und klopfte sich wütend das weiße Kleid sauber. „Was für ein schlechter Witz! Wegen so einem unreifen-“ Sie sah auf und bemerkte Nicks stechenden Blick, verstummte erschrocken. Erst jetzt bemerkte jener, dass die Mülltonnen und auch die anderen Gegenstände wieder auf dem Boden der Tatsachen zurückkehrt waren. Allerdings kopfüber. Es war ihm unbegreiflich. „Was … war das?“ „Nichts“, antwortete Drazen unbekümmert und klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter, „da mir das Duell so großen Spaß gemacht hat, erlasse ich dir die Schuld.“ „D-das Geld“, erinnerte sich Nick. Er wirbelte hektisch um und sah, wie Drazen langsam die Seitengasse Richtung Straße verließ. „Warten Sie! Bitte!“ Tatsächlich hielt der alte Mann an. „Es tut mir leid, mein Junge. Ich kann dir nicht mehr sagen, als du vermutlich sowieso schon weißt.“ „Aber was ist mit den beiden Eden!? Wieso-“ Drazen drehte sich zu ihm und Nina um und versuchte zu lächeln, doch dieses Mal gelang es ihm nur kläglich. „Eden ist die Stadt der Unsterblichkeit. Vor vielen, vielen Jahren wurde sie erschaffen, um einigen wenigen Menschen eine Zuflucht zu sein.“ Nick schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber was hat das mit unserem Eden zu tun? Und wieso sind Sie überhaupt ein Verbannter?“ „Ja“, stimmte Nina mit ein, „das will ich auch wissen. Ohne das ist mein Artikel nicht komplett!“ Den Kopf in den Nacken legend, sah Drazen voller Melancholie in den wolkenverhangenen Himmel. „Unsterblichkeit ist Stillstand. Und irgendwann, wenn es nichts mehr gibt, das man in dem sich selbst auferlegten Gefängnis noch entdecken kann, wird das Leben langweilig. Der Körper eines Kindes, beseelt von dem Geiste eines Greises. So etwas darf nicht Leben genannt werden. Aber daran ändern wollte außer mir niemand etwas. Und so bin ich ins Exil gegangen, zurück in die Welt, aus der ich vor Jahrhunderten gekommen bin. Fort von der Heimat, die ich mit eigenen Händen aufgebaut habe.“   Er brauchte nicht mehr sagen, damit Nick verstand. „Und die beiden Eden?“ Drazen richtete seinen Blick wieder auf den jungen Mann. „Lass deine Freundin gehen und Eden werden. Alles andere würde sie nur vollkommen ins Unglück stürzen. Glaube mir, ich habe den Limbus gesehen.“ „Aber-!“ „Das ist nun mal der Fluch des Tores 'Eden'.“ Nick verstummte. Er sollte aufgeben!? Einfach so!? Zulassen, dass Anya starb und mit sich die Leben von fünf Menschen nahm? Wie konnte der das so einfach sagen!? „Dies hier nehme ich aber trotzdem mit“, meinte Drazen zwinkernd und zückte unter seinem Poncho einen weißen Umschlag hervor. „Immerhin habe ich dir ja am Ende doch etwas verraten. Ich wünschte, es wäre mehr gewesen. Du bist ein guter Junge.“ Mit diesen Worten wirbelte der alte Mann um und verschwand aus der Seitenstraße wie ein Schatten, der im Licht verblasste. Und hinterließ einen jungen Mann mit großen Zweifeln an seinem Tun. Doch plötzlich hallte es durch die Gasse: „Aber wenn ich mich richtig erinnere, können Verträge doch aufgehoben werden, wenn beide Parteien zustimmen. Oder liege ich da falsch?“     Turn 27 – Friends Am Tag nach dem Treffen mit Drazen nimmt Nick Abby nach der Schule beiseite und besucht mit ihr den Spielplatz. Dort haben er, sie und Anya früher immer gespielt. Seine wahre Persönlichkeit preisgebend, konfrontiert er Abby mit Anyas schrecklichem Vorhaben, die dies jedoch nicht wahrhaben will. Ein Streit zwischen den beiden Freunden entfacht, welcher in einem Duell zweier im wahrsten Sinne ebenbürtiger Gegner endet. Anderenorts ist Anya darum bemüht, die letzten Vorkehrungen für den 11. November zu treffen, an dem ihr Schicksal entschieden wird … Kapitel 27: Turn 27 - Friends ----------------------------- Turn 27 – Friends     „Der Test war heute ziemlich schwer“, sprach Abby abgespannt, als sie, Anya und Nick zusammen das große Backsteingebäude ihrer Schule verließen. „Aber ich denke, ich habe fast alles richtig beantwortet.“ Die Blondine an ihrer Seite, mit hinter dem Kopf verschränken Armen, starrte missmutig zu ihrer Freundin herüber. „Fang bloß nicht an zu heulen, wenn du nicht die volle Punktzahl bekommst!“ „Ich heule wegen so etwas nicht!“, brüskierte sich das Hippiemädchen daraufhin. Zusammen gingen sie über das kreisrunde Campusgelände hin zum Tor, um endlich der Folteranstalt Schule zu entkommen und den wohlverdienten, freien Nachmittag genießen zu können. „Hehe … ich habe dieses Mal meinen Namen richtig geschrieben“, gluckste Nick stolz, „in Spiegelschrift.“ Und wurde glatt von den beiden Mädchen ignoriert. „Was machst du heute noch?“, fragte Abby, als sie vor dem Tor angekommen waren, an Anya gewandt. Die stöhnte genervt. „Nichts Besonderes. Ein paar Erledigungen.“   Zwei Scherben haben wir bereits aufgeladen, Anya Bauer. Doch wir sollten uns sputen, es fehlen noch drei weitere. Es wäre gut, wenn wir für heute zumindest eine weitere mit Marcs Elysion aus dem Park aufladen können. Damit blieben danach nur noch Victim's Sanctuary und die Kanalisation.   „Nichts Wichtiges“, log Anya ihre Freunde daraufhin an. „Hehe, ich und Abby gehen heute aus“, gluckste Nick daraufhin amüsiert. Nur, dass Erstere davon scheinbar nichts wusste und sich pikiert umdrehte. „Wie bitte!?“ Doch schon hatte sich Nick unter ihrem Arm eingehakt. „Wird ganz romantisch. Wünsch' mir Glück, vielleicht zeigt sie mir ihre Brüste.“ „Waaaaaas!?“, fauchte Abby knallrot, konnte sich aber nicht dagegen wehren, von dem großen jungen Mann davon geschleift zu werden. „Was ist denn mit dem los!?“, wunderte sich Anya verwirrt, die den beiden nachsah, wie sie über die Straße rannten und anfingen sich zu streiten.   Vielleicht ist er eifersüchtig, jetzt da Benjamin Hendrik Ford bei Abby wohnt.   Anya winkte abfällig ab. „Ich glaube, damit will ich nichts zu tun haben. Wir haben andere Sorgen.“ Noch fünf Tage, dann war es soweit. Dann würde sie im Turm von Neo Babylon Eden werden …   ~-~-~   „Lass mich endlich los!“, beklagte sich Abby, die hinter Nick her geschleift wurde. Nur aufgrund ihrer pazifistischen Einstellung sah sie davon ab, ihm einen Tritt in sein schwaches Geschlecht zu verpassen. „Wir sind da“, meinte er plötzlich ernst. Abby blinzelte verdutzt und folgte seinem Blick. „Oh!“ Auf der anderen Straßenseite erstrecke sich ihnen ein großer Spielplatz. Buddelkästen, Schaukeln, Rutschen, alles was ein Kinderherz begehrte war hier eigens für die junge Generation erbaut worden. Die Sonne stand bereits tief am Horizont und tränkte diesen in melancholisches Rot. „Was wollen wir denn hier?“, fragte Abby verwirrt und folgte Nick über die Straße. „Sag bloß nicht, dass du mich hier daten willst!?“ „Das habe ich nur als Vorwand genommen, um von Anya loszukommen“, erhielt sie jedoch stattdessen als Antwort. Überrascht schloss das Mädchen daraufhin zu ihrem Freund auf und sah ihn nun vollkommen verwirrt an. „W-wieso das?“ „Wir müssen uns unterhalten. Über Anya und wie es weitergehen soll.“   Kurz darauf betraten sie den Spielplatz. Abby löste sich von ihm und stellte sich nachdenklich vor eine der Schaukeln. Erinnerungen wurden wach. „Hier haben wir drei immer gespielt“, murmelte sie. „Anya, du und ich.“ Nick stellte sich hinter sie. „Ja. Das ist jetzt schon so lange her, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann. Aber auch wenn wir jetzt schon längst aus dem Alter raus sind, ist es schön, ab und zu wieder hierher zu kommen.“ Er schritt an ihr vorbei und setzte sich auf eine der Schaukeln, ohne jedoch die Anstalt zu machen, Anlauf zu nehmen. Abby tat es ihm gleich und sah ihn von der Seite verdutzt an. „Ich wusste gar nicht, dass du so feinfühlig sein kannst. Irgendwie bist du heute komisch!“ „Ich bin schon mein ganzes Leben komisch“, antwortete Nick und ließ den Kopf hängen, „fragt sich nur, welcher Nick komischer ist.“ „Du meinst, der Nick, der dümmer als das ganze Footballteam zusammen ist, oder der Nick, der so schlau ist, dass er eine ganze Klasse überspringen könnte?“ Überrascht blickte Nick auf. „Du-du weißt, dass ich-“ Nun war es an Abby, den Blick zu senken. Sie nahm etwas Anlauf und begann zu schaukeln. „Weißt du, niemand kann so dumm sein, wie du es uns weiß machen wolltest. Ich habe immer gedacht, dass hinter dir mehr steckt. Spätestens seit deinem Duell mit Melinda …“ „Du hast mich also die ganze Zeit durchschaut?“ Abby schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte nur manchmal einen Verdacht, aber nie konkrete Beweise. Bis eben zumindest. Aber wirklich überraschen tut es mich nicht, nein.“ „Und Anya?“ Nun kicherte das Mädchen. „Ich glaube, die ahnt nichts davon. Solange ich keine Beweise hatte, wollte ich sie nicht darauf ansprechen.“ Nick sah in den roten Himmel. „Verstehe … würdest du sie in dem Glauben lassen, dass ich minderbemittelt bin?“ Überrascht blickte Abby zu ihm herüber. „Wieso? Ich meine, natürlich, wenn du es möchtest. Aber ich verstehe nicht ganz, warum du überhaupt … ?“ Mit einem Lächeln erwiderte er ihr: „Nicht so wichtig. Sagen wir einfach, es macht mir Spaß.“ „Du bist wirklich komisch“, brummte Abby schmunzelnd, ehe beide anfingen zu lachen.   Eine Weile betrachteten sie zusammen den Sonnenuntergang, ehe Nick wieder das Wort ergriff. „Es ihr jetzt noch zu sagen, würde ihr vermutlich nicht bekommen.“ „Anya?“ Abby stieß einen traurigen Seufzer aus. „Oh … ja. Sie wird …“ „Sie wird sie alle töten.“ „Huh!?“ Abby fiel vor Schreck von der Pritsche und landete im Sand, die getönte Brille fiel ihr von der Nase. Sofort sprang Nick von der Schaukel, sammelte die Brille auf und gab sie seiner Freundin, die ihn aus verwirrten Augen anstarrte, während sie aufstand. „W-was meinst du damit?“ „Anya. Sie hat uns angelogen. Sie kennt keinen Ausweg aus ihrer Situation und hat sich offensichtlich damit abgefunden, Eden zu werden. Um die anderen in den Turm zu locken, hat sie sich die Geschichte ausgedacht, die sie uns vorgestern erzählt hat.“ Sofort wich Abby von ihm zurück. „Anya würde so etwas nie tun! Sie kämpft bis zum Schluss!“ „Hast du es nicht gesehen?“, fragte Nick, der mit so einer Reaktion gerechnet hatte. „Ihre Körpersprache hat sie verraten. Sie hat niemandem von uns in die Augen gesehen.“ „Wieso erzählst du mir das überhaupt!?“ „Weil du ihre beste Freundin bist und dazu die Einzige … die sie davon abhalten kann.“ Abby starrte Nick fassungslos an. „S-selbst wenn das stimmt, was du sagst – und das tut es nicht! Das würde doch bedeuten, dass sie im Limbus endet! Weißt du überhaupt, was das ist!?“ „Nein, aber ich kann es mir denken“, erwiderte Nick und mied Abbys aufgewühlten Blick. „Ich habe selbst alles versucht, um einen Ausweg für sie zu finden. Aber alles, was ich herausgefunden habe, hat sich als falsch oder zwecklos herausgestellt. Und dass du dich immer noch nicht traust, Anya auf die Sache mit dem Betrüger und diesem Necronomicon anzusprechen, heißt nur, dass es dir nicht anders geht.“ „Was meinst du damit!? Nick, erklär' dich!“ Nun sah Nick das Mädchen wieder mit festem Blick an. „Gestern habe ich einen Mann namens Drazen getroffen. Wer das ist, erzähle ich dir später. Aber laut ihm könnte der Pakt aufgelöst werden, wenn Anya und Levrier sich dazu einigen.“ „Aber das wird nie geschehen!“ Mit einem Nicken stimmte er ihr zu. „Exakt. Und genau deshalb möchte ich verhindern, dass in fünf Tagen, vielleicht um diese Zeit, fünf unschuldige Menschen ihr Leben verlieren werden.“ Abby wich noch weiter von ihm zurück. Der Sand unter ihren Füßen knirschte leise, als sie sich Schritt für Schritt von Nick entfernte. Sie schüttelte den Kopf vehement. „Du glaubst das also wirklich? Dass Anya so etwas Schreckliches tun will?“ „Ja“, erwiderte der große, junge Mann daraufhin entschlossen, „aber ich glaube, dass nicht nur sie das will.“ Was dazu führte, dass Abby einen erschrockenen Seufzer ausstieß. Nun streckte Nick ihr energisch die Hand entgegen. „Verstehst du nicht? Hier geht es nicht nur um Anya! Irgendetwas oder irgendwer zieht hier die Fäden! Immer wenn Not am Mann ist, wird ein Pakt geschlossen, der rein zufällig ein Opfer für Edens Erwachen bereitstellt. Das kann doch kein Zufall sein!“ Verwirrt stolperte das brünette Mädchen noch weiter zurück. „Aber wie kommst du auf so etwas? Wer sollte denn-!?“ „Ich weiß es nicht! Aber niemand konnte uns bisher mit Gewissheit sagen, was Eden nun wirklich ist!“   Er wusste, dass dies eine Lüge war. Drazen hatte es ihm gesagt: Eden war ein Tor. Wohin, das hatte er ihm zwar verschwiegen, aber Nick ahnte Fürchterliches. Sollte Eden geöffnet werden, könnte etwas Schreckliches geschehen. Denn wer wusste schon, was hinter diesem Tor lag? Nur jemand, der Interesse daran hatte, es zu öffnen. Und dafür Anya missbrauchte. Jemand wie Levrier … Dieses Tor durfte nicht geöffnet werden. Das hatte er gestern nach langem Grübeln und einer schlaflosen Nacht erkannt. Auch wenn das bedeutete, dass Anya … leiden musste.   „Das ist doch an den Haaren herbeigezogen!“, beklagte sich Abby nun aufgebracht. „Wer außer Levrier sollte wollen, dass Eden erwacht? Und Levrier weiß nicht, was Eden ist, wie du schon sagtest!“ „Es gibt aber noch andere von Levriers Sorte!“ „Aber keiner von denen scheint bemüht zu sein, Anya wirklich zu helfen! Die Engel zählen nicht, Matts Paktdämon ist neutral und Isfanel eindeutig dagegen, dass Eden erwacht!“ Die Engel, dachte Nick insgeheim. Was sie im Schilde führten wusste keiner. Auch sie könnten diejenigen sein, die hinterrücks die Fäden in der Hand hielten.   „Und außerdem“, beklagte Abby sich weiter über Nicks Worte, „selbst wenn alles, was du sagst stimmen würde … würdest du Anya einfach so im Stich lassen? Du hast keine Ahnung, was der Limbus ist!“ „Wäre dir eine Katastrophe lieber!? Denkst du, dass ich Anya so einfach loslassen kann!?“ Nick stampfte auf. „Sie ist genauso meine Freundin!“ „Was du sagst, ist einfach nur hinterhältig!“ Tränen standen in den Augen des Mädchens, welches die Brille abnahm, um sie sich mit dem Handrücken abzuwischen. „Ich hätte nie gedacht, dass du so grausam bist …“ „Ich liebe Anya! Mein ganzes Leben habe ich eine Rolle für sie gespielt!“ Auch Nick war so aufgebracht, dass seine Wangen langsam benetzt wurden. „Dass sie meine Liebe nie erwidern wird ist okay, damit habe ich mich schon lange abgefunden! Mein Plan war es, erst wieder 'Nick' zu sein, wenn sie glücklich ist! Aber sie wird nie glücklich sein, Abby! Nie! Egal, was wir tun!“ „Wie kannst du … wie kannst du so etwas nur Liebe nennen!?“ Abby keuchte regelrecht vor Wut, ihre Augen verfärbten sich rosa. Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie auf Nick. „Dass du sie einfach so über die Klinge springen willst, weil du Gespenster siehst … das kann ich nicht zulassen! Nick! Wir sind jetzt Feinde!“   Der brünette Junge wich fassungslos zurück, erwiderte nicht minder aufgebracht: „Das kann nicht dein Ernst sein!“ Doch als Antwort schlug ihm ein heftiger Wind entgegen, der von Abby ausging. Ihr Haar wuchs auf beträchtliche Länge an, schwebte in der Luft, doch schien ihre Verwandlung in eine Sirene unvollständig. Das Mädchen ließ ihre Umhängetasche aus zusammengenähtem Stoff sinken und holte daraus eine kleine Actionfigur hervor, nahm ihr die Duel Disk an ihrem Arm ab und ließ sie durch ihre Kräfte anwachsen, ehe sie von einem Original nicht mehr zu unterscheiden war. „Tut mir leid, Nick“, sprach Abby schluchzend, „aber du bist wirklich ein riesengroßer Idiot!“ Damit legte sie sich den Apparat an den Arm an und wartete darauf, dass er es ihr gleich tat. Aber Nick weigerte sich. „Worum kämpfen wir hier überhaupt!?“ Er erhielt eine Antwort purer Verzweiflung. „Ich weiß es nicht! Aber was soll ich sonst tun!?“ „Gute Frage.“ Nick schluckte und ließ seinen Rucksack sinken, holte ebenfalls eine Duel Disk hervor. In ihrem jetzigen Zustand würde sie sich nicht dazu breit schlagen lassen, die Dinge anders zu klären. Selbst eine Abigail Masters konnte dickköpfig sein. Nick seufzte. „Aber wenn ich du wäre, würde ich vermutlich nicht anders handeln. Manchmal ist es ein Fluch … ich zu sein.“ Damit legte auch er seine Duel Disk an. Beide schrien synchron: „Duell!“   [Abby: 4000LP / Nick: 4000LP]   Nick wusste, dass dieses Duell keinen Sinn besaß. Es war nichts weiter als der Ausdruck von Abbys Verzweiflung. Wie konnte sich eine so friedliebende Seele wie sie auch mit dem Gedanken anfreunden, dass Anya zu etwas derart Schrecklichem fähig sein könnte? Fünf Menschen zu töten. Wenn von Eden nicht diese unbegreifliche Gefahr ausging, die außer ihm niemand zu sehen schien, würde Nick es zulassen. Gehen lassen musste er Anya sowieso. Aber dann sollte es wenigstens auf die für sie angenehmste Weise geschehen. Aber sollte er das zulassen, sie zusammen mit Levrier Eden werden lassen, könnte das wie ein Bumerang auf sie alle zurückfallen. Eden, das verfluchte Tor. „Wohin führst du?“, murmelte er zu sich selbst und zog sein Startblatt. „Ich beginne, schließlich bin ich Ursache für das alles. Draw.“ Er musste die Ruhe bewahren. Abby, sie versuchte mit aller Kraft, sich zu beherrschen und ihr Blut unter Kontrolle zu halten. Aber diese Verbitterung in ihrem Blick. Lag das wirklich nur an der Wahrheit hinter Anyas Absichten? Oder gab es da noch etwas anderes? Bevor er jedoch eine Karte ausspielte, betätigte er ein Knopf unterhalb seiner Duel Disk. Das Sicherheitssystem war nach wie vor deaktiviert, weswegen er es zunächst einschalten musste. Schließlich wollte er Abby nicht verletzten. Das getan, rief er schließlich: „Den Auftakt macht [Wind-Up Knight]!“ Vor Nick erschien ein weißer Spielzeugritter, kaum mehr als einen Meter groß und hielt schützend Schild und Schwert bereit. Aus seinem Rücken ragte ein Aufziehschlüssel. Nick schob eine Karte in die Backrow seiner Duel Disk. „Diese hier verdeckt. Du bist dran.“ Die Karte materialisierte sich in liegender Position vor ihm.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   „Oh Nick, was denkst du dir bloß?“, jammerte Abby und zog. „So etwas zu sagen … Anya ist unsere Freundin!“ „Aber selbst Freunde muss man irgendwann loslassen können.“ „Ach ja!? Dafür, dass du sie angeblich liebst, kannst du ja ziemlich leicht loslassen!“ Abby biss sich auf die Lippe, ihr Haar verfärbte sich an einigen Stellen weiß. „Wer Freunde wie dich hat, braucht keine Feinde mehr!“ Aufgeregt griff sie nach einem Monster in ihrer Hand. „Los, [Naturia Pumpkin]! Und wenn der beschworen wird, ruft er, solltest du ein Monster kontrollieren, ein weiteres Naturia-Monster von meinem Blatt! [Naturia Tulip]!“ Gleich zwei Monster auf einmal tauchten vor Abby auf. Das erste war ein grüner Kürbis mit Gesicht, der auf zwei Beinen lief. Daneben wuchs eine kleine, rote Tulpe, deren Kopf größer war als ihr ganzer Körper. Ihre blauen Augen strahlten regelrecht vor Freude, von Abby eingesetzt zu werden. Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)] Naturia Tulip [ATK/600 DEF/1500 (2)]   Abby streckte den Arm weit aus. Ihre Monster stiegen in die Luft auf, die Tulpe zersprang in zwei grüne Ringe. „Ich stimme meine Stufe 2-[Naturia Tulip] auf den Stufe 4-[Naturia Pumpkin] ein! Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon! Descent down, [Naturia Barkion]!“ Ein greller Lichtblitz schoss durch die zwei Ringe, aus dem daraufhin ein gewaltiger, schlangenhafter Drache flog. Sein grauer Leib war bedeckt von Rinde, die als Schuppenschicht zum Schutze des Drachen diente. Sich vor Abby ausbreitend, brüllte er stolz. Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]   Das war ein guter Schachzug, dachte Nick insgeheim. Mit Barkion konnte sie jede Falle annullieren, solange sie zwei Karten von ihrem Friedhof entfernte. Damit hatte sie seine verdeckte Karte [Overwind] lahm gelegt. „Los Barkion, greif seinen Ritter an!“, befahl Abby entschlossen und doch klang deutlich ihr verletztes Gemüt daraus hervor. Der Drache glitt in seinem Flug direkt auf den weißen Ritter zu, der schützend seinen Schild erhob. „Effekt von [Wind-Up Knight] aktivieren! Nur einmal, solange er offen auf dem Feld liegt, annulliert er einen deiner Angriffe!“ Mit einem Schweifschlag versuchte Barkion, seinen Erzrivalen niederzustrecken, doch scheiterte an dem robusten Rundschild des Kriegers. Nick lachte zufrieden. „Ritter sind dazu geboren, um Drachen zu bekämpfen.“ „Aber noch lebt mein Drache!“, stellte Abby klar. „Noch einmal gelingt dir das nicht! Ich setze eine Karte verdeckt und beende meinen Zug!“ Vor Abby materialisierte sich mit dem Bild nach unten gerichtet eine grün umrandete Karte.   Schon hatte Nick sein Blatt aufgestockt, besaß jetzt fünf Handkarten. Dass sie nicht zwei Fallen gelegt hatte, kam ziemlich ungünstig. Sein Assmonster, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh], konnte pro Zug zwei gesetzte Karten auf dem Spielfeld vernichten. Nur eine mehr und er hätte Abbys Verteidigungsreihe spielend leicht durchbrechen können. Aber vermutlich war auch sie sich dessen bewusst. „Du bist wirklich nicht schlecht“, meinte Nick anerkennend und nahm eine dauerhafte Zauberkarte aus seinem Blatt hervor, „ehrlich gesagt finde ich es toll, dass wir uns das erste Mal ernsthaft miteinander duellieren können.“ „Ach ja?“ Abby lachte bitter. „Stimmt ja, ich weiß ja jetzt um dein Lügengeflecht. Und auf so etwas bist du ernsthaft stolz!?“ „Es gibt Schlimmeres als das“, erwiderte Nick. Gerade Abby sollte das am besten wissen. „Ich aktiviere [Weights & Zenmaisures]! Danach beschwöre ich [Wind-Up Dog] und aktiviere auch gleich seinen Effekt, um seine Angriffskraft um 600 und seine Stufe um 2 ansteigen zu lassen.“ Hinter Nick baute sich eine riesige Metallwaage auf, deren Schalen durch ein Pendel unterhalb des Gebildes miteinander verbunden waren. Und während sein Ritter auf die linke Waagschale sprang, tauchte auf der rechten ein kleiner, blauer Mechanikhund auf. Der Aufziehschlüssel auf seinem Rücken begann sich zu drehen, sein zunächst unscheinbares Gewicht drückte die Schale des Ritters tatsächlich nach oben.   Wind-Up Dog [ATK/1200 → 1800 DEF/900 (3 → 5)] „Und nun wähle“, forderte Nick und breitete beide Arme aus. „[Weights & Zenmaisures] nimmt sich pro Zug zwei Wind-Ups und vergleicht ihre Stufen miteinander. Mein Gegner bestimmt dann eines der beiden Monster, das die Stufe des anderen erhält. Solltest du hierbei einem Monster die niedrige der beiden zu vergleichenden Stufen geben, darf ich als Ausgleich eine Karte ziehen.“ „Aber wenn ich die höhere wähle“, sprach Abby unbekümmert weiter, „ist es für dich leichter, ein starkes Xyz-Monster zu beschwören. Aber davor habe ich keine Angst, tu es ruhig. Dein [Wind-Up Knight] erhält die Stufe 5 des [Wind-Up Dogs].“ Nick schmunzelte. „Wenn du wütend bist, kannst du richtig süß sein.“ „W-was!? Mach dich nicht über mich lustig! Das ist ernst!“ Doch obwohl Abby regelrecht vor Zorn spuckte, stieg ihr trotzdem die Röte ins Gesicht. Die Waagschalen bewegten sich auf dieselbe Höhe.   Wind-Up Knight [ATK/1800 DEF/1200 (4 → 5)] „Aber okay, du wolltest es so“, sprach Nick und streckte den Arm aus. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Während sich sein Ritter in einen gelben Lichtstrahl verwandelte, nahm der Hund stattdessen die Form eines braunen an. Doch sie beide wurden von dem schwarzen Loch absorbiert, das sich mitten im Spielfeld auftat. „Gib mir die Stärke, meine Feinde zu besiegen! [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ Aus dem Galaxienwirbel entstieg ein gewaltiger Roboter. Seine rote Lackierung glänzte im Licht der untergehenden Sonne. Einer seiner Arme war mit einem Bohrer bestückt, wohingegen der andere eine raketenartige Faust war, welcher abgekoppelt vom Körper frei neben seinem Besitzer schwebte. Um den Mech kreisten zwei Lichtsphären.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5}]   „Sorry, aber der ist wohl deinem Drachen überlegen“, sprach Nick zuversichtlich und griff sich eine weitere Zauberkarte aus seinem Blatt. „Damit das auch so bleibt, rüste ich Zenmaioh mit [Xyz Gauntlet] aus. Er erhält pro Rang 100 Angriffspunkte und kann einmal pro Zug nicht durch Karteneffekte zerstört werden. Das ist doch, was du planst, oder?“ Abby kniff verärgert die Augen zusammen und warf einen Blick hinab zu ihrer gesetzten Karte. Um die Raketenfaust des Roboters erschien ein goldener Schlagring, von dem gelbe Blitze ausgingen.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 → 3100 DEF/1900 {5}]   „Damit wäre das auch erledigt. Los, Zenmaioh, greife [Naturia Barkion] an! Wind-Up Power Punch!“ Nick zeigte seinem Monster mit ausgestrecktem Arm das Ziel. Dieser schoss umgehend seinen Raketenarm auf den grauen Drachen ab. Woraufhin Abbys verdeckte Karte aufsprang. „Nicht so hastig! Ich habe da auch noch ein Wörtchen mitzureden! Der Schnellzauber [Battle Tuned] verbannt einen Empfänger von meinem Friedhof und gibt dessen Angriffspunkte an Barkion weiter!“ Abby zeigte [Naturia Tulip] vor, ehe sie sie in eine Tasche ihres khakifarbenen Kleides steckte.   Naturia Barkion [ATK/2500 → 3100 DEF/1800 (6)]   „Gleichstark!?“, schoss es aus dem verblüfften Nick heraus. Abby stand das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben, als sie zu ihrem Monster sagte: „Verzeih mir, Barkion, dass ich nicht mehr für dich tun kann! Bitte, leite dennoch einen Gegenangriff ein!“ Als würde der Drache sie verstehen, nickte er und nutzte seinen massiven Schweif, um die Raketenfaust mit voller Wucht zurück zu ihrem Besitzer zu schleudern. Doch das führte dazu, dass der Drache verletzt wurde und unter einem Schrei in tausend Teile zersprang, während Nicks Monster in einer Explosion unterging. „Sieh, was du getan hast!“, beklagte sich Abby bitter. Nick hingegen schüttelte den Kopf erstaunt. Die schenkte einem echt gar nichts, wenn sie Ernst machte. Und da wollte sie behaupten, er wäre als Feind schlimm? Nichtsdestotrotz griff er nach seinem Deck. „Wenn [Xyz-Gauntlet] vom Feld auf den Friedhof gelegt wird, ziehe ich eine Karte.“ Was er auch umgehend tat. „Man, du hast mir meine ganze Strategie kaputt gemacht. Aber Zenmaioh wird wiederauferstehen, und zwar hiermit! Der Zauberkarte [Zenmailfunction], die ihn in den Verteidigungsmodus vom Friedhof beschwört! Turn End.“ In kniender Position stieg der rote Roboter vor Nick in die Höhe. Immerhin konnte er jetzt wieder Fallenkarten einsetzen, nun da Barkion fort war, dachte Nick erleichtert.   Wind-Up Arsenal Zenmaioh [ATK/2600 DEF/1900 {5}]   Vor Wut blähte Abby die Wangen auf und wollte nach einem Stein im Sand treten, doch machte sich letztlich nur die Schuhe damit schmutzig, ohne den Stein getroffen zu haben. „Solche Gesten passen nicht zu dir“, kommentierte Nick das Bild belustigt. Das dachte anscheinend auch Abby, die rot anlief und beschämt ihr Gesicht in ihre Hände vergrub. Innerhalb eines Herzschlags war auch ihre Haarfarbe zumindest wieder braun. „Wie peinlich! Guck weg!“ „Und ich dachte, ich befände mich hier in einem Todeskampf …“ Sofort schnappte Abby nach Luft. „D-das tust du auch, d-du Verräter unserer Sandkastenfreundschaft, du, du, du Depp du! Mein Zug, Draw!“   ~-~-~   „Warum haben die jetzt eigentlich eine feste Form?“, fragte Anya verwirrt und betrachtete die rote Scherbe in ihrer Hand. Sie leuchtete regelrecht von Innen. Genau wie die anderen, die Anya mit der Energie aus Matts und Alastairs Elysion aufgeladen hatte.   Höchstwahrscheinlich weil ich ihr eine Form gegeben habe. Ein Elysion liegt zwischen der Grenze des Materiellen und Immateriellen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie unter Einfluss meiner Kräfte eine feste Form annimmt.   Das Mädchen drehte das Stück Mosaik neugierig in ihren Händen und schaute nebenbei immer wieder um sich. Dieser Teil des Livington Parks war immer noch Sperrgebiet, all die Brandspuren wucherten nach wie vor wie eine schreckliche Krankheit auf dem grünen Gelände. Zwar war niemand hier, aber Anya fühlte sich dennoch unwohl. Aber vielleicht lag das weniger daran, dass sie in diesem Moment etwas Verbotenes tat, sondern eher daran, was sie noch gedachte zu tun. Den Gedanken daran musste sie verdrängen, sagte sie sich streng. Keiner von diesen Fünf war ihr Freund! Wen interessierte es schon, ob es zwei Dämonenjäger, zwei reiche Schnösel und einen Footballspieler weniger auf der Welt gab? Sie definitiv nicht! „Levrier … kannst du nicht etwas gegen das Glockengeläute machten? Das nervt langsam!“, versuchte sie sich abzulenken. Denn seit sie damit begonnen hatte, die Scherben aufzuladen, hörte sie immer in der Nähe eines Ortes, an dem ein Pakt geschlossen wurde, ein Läuten aus der Ferne. Was besonders nervig war, da es dank Matt ununterbrochen vor ihrer Gartentür rumorte und sie dadurch Probleme beim Einschlafen hatte. Das sind die Glocken des Turms von Neo Babylon. Der Zeitpunkt von Edens Erwachen rückt näher. Nun, da du sie selbst aus der immateriellen Welt hören kannst, bedeutet dies, dass wir unserem Ziel immer näher kommen. Zumindest vermute ich das, da dein Vorgänger sie nicht vernommen hatte. Demnach sprach der Sammlerdämon tatsächlich die Wahrheit.   „Hurra“, brummte Anya. „Mach einfach, dass es auf-!“   Anya Bauer, irgendetwas ist merkwürdig. Ich spüre Abbys Sirenenkräfte. Sie sind zwar nicht vollkommen erwacht, aber ich frage mich, warum sie sie benutzt.   Sofort schreckte das Mädchen auf. „Was sagst du da!? Abby benutzt ihre Kräfte?“ Konnte sie etwa in einen Kampf verwickelt sein? Doch nicht etwa mit-!? „Isfanel!“, schoss es aus Anya heraus. Das durfte nicht wahr sein! Was könnte der ausgerechnet von Abby wollen? Sicherlich keine Tipps in Sachen Haarpflege! „Wo ist sie jetzt!?“   Westlich von hier. Aber ich spüre keinen Dämonen in ihrer Nähe.   „Vielleicht unterdrückt er seine Kräfte! Und seit wann bist du verlässlich!?“ Anya begann zu rennen. Hoffentlich würde sie Abby rechtzeitig finden, ehe ihr etwas geschah. Sie würde Isfanel bis ans Ende der Welt verfolgen, wenn der Abby auch nur ein Haar krümmte!   ~-~-~   Mit trauriger Miene sah Abby zu den Schaukeln herüber. Einmal hatten sie und Anya hier um die Wette geschaukelt mit dem Ergebnis, dass sie beide gleichzeitig von der Sitzpritsche in den Sand gefallen waren. Dabei hatte sie selbst bitterlich geweint, doch Anya hatte trotz blutendem Knie Nick, der darüber gelacht hatte, verprügelt, um sie aufzuheitern. Auch wenn sie Gewalt hasste war es dieses Mal an ihr, Nick zu verprügeln.   Sie studierte die Spielsituation. Ihr Feld war leer und sie am Zug mit vier Karten in der Hand. Nick kontrollierte seinen Zenmaioh im Verteidigungsmodus, besaß eine verdeckte Karte, seinen Zauber [Weights & Zenmaisures] sowie zwei weitere Handkarten. Aber sie wusste schon, wie sie Nick aus der Reserve locken konnte. Sie nahm ein Monster und legte es auf ihre Duel Disk. „Ich beschwöre [Naturia Marron]! Wenn sie gerufen wird, schickt sie ein Naturia-Monster von meinem Deck auf den Friedhof!“ Abby suchte aus ihrem Deck [Naturia Beetle] und legte ihn in den Friedhof. Gleichzeitig tauchte vor ihr eine kleine, stachelige Kastanie mit Augen auf. „Wie süß“, kommentierte Nick das, ohne dabei Preis zu geben, ob es nur Sarkasmus oder ernst gemeint war.   Naturia Marron [ATK/1200 DEF/700 (3)]   „Indem ich einmal pro Zug zwei Naturia-Monster vom Friedhof ins Deck mische, ziehe ich eine Karte“, erklärte sie den Rest des Effekts ihres Monsters, legte [Naturia Beetle] und [Naturia Pumpkin] auf ihr Deck und ließ jenes automatisch von der Duel Disk mischen. Dann zog sie hastig. Als Nächstes zückte sie eine Zauberkarte. „Und jetzt [Leodrake's Mane]! Zwar annulliert sie für diesen Zug den Effekt meiner Marron, lässt ihre Angriffskraft dafür aber zu 3000 werden!“ Nick zog erstaunt eine Augenbraue hoch, als der kleinen Kastanie lauter rote Blätter wuchsen, die sich wie eine Mähne um sie legten.   Naturia Marron [ATK/1200 → 3000 DEF/700 (3)]   „Ich setze noch eine Karte verdeckt“, verlautete Abby und ließ ebenjene vor ihren Füßen erscheinen, „und greife danach deinen Zenmaioh an! Selbst ein kleines, süßes Monster wie Marron sollte nicht unterschätzt werden!“ Mit einem quitschiegen Kampfschrei flog die Kastanie auf den vergleichsweise gigantischen Roboter zu. Nicks Finger schwebte über der Taste zur Aktivierung seiner Falle. Doch er zog ihn wieder zurück, denn er wusste, dass er [Overwind] noch später brauchen würde. Zwar konnte er mit der die Verteidigung seines Monsters verdoppeln, aber es würde dafür in der End Phase auf seine Hand, also im Falle eines Xyz-Monsters in sein Extradeck gehen. Verlieren würde er [Wind-Up Arsenal Zenmaioh] demnach so oder so. Mit voller Wucht rammte [Naturia Marron] den knienden Roboter, welcher daraufhin umkippte und explodierte. Abby verzog die rosafarbenen Augen hinter ihren getönten Brillengläsern. „Beurteile niemanden nach seinem Erscheinungsbild. Etwas, was man sich bei dir besonders zu Herzen nehmen sollte, Nick! Zug beendet!“ Als die Kastanie zu Abby zurückkehrte, fielen ihr die roten Blätter vom Leib.   Naturia Marron [ATK/3000 → 1200 DEF/700 (3)]   „Ich hätte nie gedacht, dass man den Idioten-Nick mehr mögen würde als mein wahres Ich“, gestand Nick und zog beiläufig. Abby schnaufte wütend. „Woran wird das wohl liegen? Du bist kaltherzig, Nick! Der andere Nick war zwar dumm, aber er war …“ Sie konnte es offensichtlich nicht in Worte fassen. „Der alte Nick ist aber eine Lüge“, erwiderte dieser hart. Während Nick eine Zauberkarte zückte, seufzte er innerlich. Zwar hatte er geahnt, dass Abby das alles nicht gut aufnehmen würde, aber sie jetzt so verletzt zu sehen? Er hätte einfach die Klappe halten und weiterhin auf eigene Faust versuchen sollen, eine Lösung für das Edenproblem zu finden! „Ich aktiviere den permanenten Zauber [Wind-Up Factory]!“, rief er laut. Hinter ihm baute sich ein langes Fließband auf, das vor seiner gigantischen Waage verlief. „Einmal pro Zug, wenn ein Wind-Up seinen Effekt aktiviert, erhalte ich einen seiner Kumpel vom Deck aufs Blatt. Und nun beschwöre ich [Wind-Up Soldier]! Und dazu, weil ich ein Wind-Up beschworen habe, kommt gleich noch [Wind-Up Shark] als Spezialbeschwörung!“ Seine letzten beiden Handkarten auf die Duel Disk legend, tauchten vor ihm ein grüner Spielzeugroboter mit magnetförmigem Kopf und ein blauer Spielzeughai auf – aus beiden ragte ein Aufziehschlüssel.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 DEF/1200 (4)] Wind-Up Shark [ATK/1500 DEF/1300 (4)]   Nick streckte den Arm aus. „Und nun aktiviere ich Soldiers Effekt, wodurch seine Stufe und Angriffskraft für einen Zug ansteigt. Zumal Sharks Beschwörungseffekt meine [Wind-Up Factory] in Gang gesetzt hat, wodurch ich mir [Wind-Up Rat] ins Blatt nehmen kann.“ Aus Nicks Duel Disk schoss eine einzelne Karte heraus, die dieser mit den Fingern hinauszog. Gleichzeitig bewegte sich hinter ihm das Fließband, auf dem ein Paket erschien, aus dem eine blaue Spielzeugratte sprang und im Nichts verschwand. Ebenfalls analog dazu begann der Aufziehschlüssel des Soldaten in dessen Rücken sich rapide zu drehen.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)]   „Und jetzt, [Wind-Up Soldier], Angriff auf [Naturia Marron]!“, befahl Nick. Das sollte reichen, dachte er zufrieden mit Blick auf seine gesetzte Karte. Dann betätigte er den Knopf an seiner Duel Disk, um sie aufspringen zu lassen. „Falle: [Overwind]! Sie verdoppelt die Werte meines Soldaten, aber er muss in der End Phase auf meine Hand zurück!“ „Ah!“, stieß Abby erschrocken hervor, als sich der Aufziehschlüssel am Rücken des ein Meter großen Roboters noch wilder zu drehen begann. „Das wären ganze 4400 Angriffspunkte!“ „So ist es.“ „Nein, ist es nicht!“, widersprach Abby und ließ nun ihre gesetzte Karte aufspringen. „Los, [Exterio's Fang]! Wenn ich ein Naturia-Monster kontrolliere, kann ich damit eine Zauber- oder Fallenaktivierung annullieren. Danach werfe ich eine Karte ab!“ Aus Abbys Konterfalle schoss ein weißer Fangzahn, der Nicks [Overwind]-Karte aufspießte. Sofort verharrte der Aufziehschlüssel auf [Wind-Up Soldiers] Rücken daraufhin in Bewegungslosigkeit, als dieser mit seiner Zangenhand die Kastanie zerquetschte.   [Abby: 4000LP → 3000LP / Nick: 4000LP]   „Man“, murmelte Nick und kratzte sich nachdenklich am Kopf, „ich hätte nie gedacht, dass ich so lange brauchen würde, um dir Schaden zuzufügen. Du bist wirklich gut!“ Abby, die sich einer ihrer beiden Handkarten entledigte, schüttelte nur mit bitterer Miene den Kopf. „Du nimmst das hier gar nicht ernst! Dir ist es offensichtlich egal, wie andere fühlen!“ „Ich denke nur, dass dieser Kampf sinnlos ist“, erwiderte Nick, „wir beide wissen schließlich, dass du mir nie etwas tun würdest. Egal, ob ich dich enttäuscht habe oder nicht.“ Abby ballte eine Faust und biss sich auf die Lippen. Ihr langes Haar begann durch die Luft zu schweben und verfärbte sich an einigen Stellen wieder weiß. „Sei dir da nicht so sicher, Nick. Ich bin gewissermaßen auch eine gespaltene Persönlichkeit. Die Sirenenabby ist anders, als der Streber, den du in mir siehst.“ Nick atmete tief durch. „Dann werde ich dir keine Angriffsfläche bieten, so einfach ist das. Los, [Wind-Up Shark], direkter Angriff!“ Unter lautem Gekrächze flog sein Spielzeughai auf Abby zu und biss ihr in die Schulter, doch sie schüttelte ihnen spielend leicht von sich ab.   [Abby: 3000LP → 1500LP / Nick: 4000LP]   Sie ist wirklich hart, musste Nick insgeheim anerkennen. Obwohl er sie nach und nach in die Enge trieb, blieb sie standhaft. Ihr war wirklich etwas daran gelegen, Anyas Namen zu verteidigen. Aber sie verdrängte damit nur die Wahrheit. Es war besser, diese jetzt zu akzeptieren, als später, wenn Anya ihr Vertrauen mit Verrat bestrafte. Aber dann war sie fort und Abby würde ewig mit gebrochenem Herzen zurückbleiben, ohne sich je mit Anya aussprechen zu können. Nein, was er tat, war schon richtig. „Ich benutze nun den Effekt von [Weights & Zenmaisures]!“ Seine beiden Monster sprangen je auf eine Waagschale hinter ihm, wobei der Soldat den Hai mit seinem Gewicht nach oben hievte. „Du wählst eine der beiden Stufen meines Monsters aus, die dann beide erhalten. Nimmst du die niedrigere, darf ich eine Karte ziehen. Wähle die höhere, und ich kann problemlos ein weiteres Rang 5-Monster beschwören.“ Die Frage war nur, woher er dieses nehmen sollte. Zenmaioh war sein einziges gewesen und der lag nun auf dem Friedhof. Zumal er mit Sharks Effekt dessen Stufe ohnehin auf 5 hätte erhöhen können. Nein, er -wollte-, dass Abby dieses Mal die niedrigere Stufe wählte. Man sah ihr an, dass sie sich bei der Entscheidung schwer tat. Besonders weil sie keine Ahnung hatte, was Nick noch in petto haben könnte. Sie wusste praktisch nichts über seine Art zu duellieren. Das Mädchen schluckte, ehe sie mit fester Stimme verlauten ließ: „Stufe 4.“ Schon glichen sich die Waagschalen wieder aneinander an.   Wind-Up Soldier [ATK/2200 DEF/1200 (5 → 4)]   „Das kleinere Übel, hmm?“, fragte Nick und zog eine Karte. „Ob das so klug war?“ „Du machst mir keine Angst! Wenn jemand Angst haben müsste, dann du vor mir!“, fauchte Abby aufgebracht. Weitere Teile ihres langen Haares verfärbten sich und auch ihre Stimme gewann einen tiefen, melodischen und zugleich doch rauchigen Klang. „Du weißt, was ich bin …“ „Eine überreagierende Mutter Teresa“, erwiderte Nick lachend, „vor dir kann man keine Angst haben, selbst wenn du es wirklich ernst meinen würdest.“ Abby lief abermals rot an, biss sich mit fast heraus ploppenden Augen auf die Lippen. Mit in seine Richtung erhobener Faust rief sie wieder in ihrer alten Stimme: „Ich-mein-es-ernst!“ Nick putzte sich aber nur mit dem kleinen Finger das Ohr. „Erzähl das jemandem, der dich nicht schon sein ganzes Leben lang kennt … Ich erschaffe das Overlay Network.“ Zunächst wollte Abby widersprechen, doch verstummte, als sich ein schwarzes Loch mitten im Spielfeld auftat. Nicks Monster wurden in blauen und braunen Lichtstrahlen dort hineingezogen und durch einen großen, grünen Kampfroboter ersetzt. „Los, [Wind-Up Zenmaister].“ Nick klang dabei derart gelangweilt, dass Abby vor lauter Wut begann, merkwürdige Schimpfgeräusche von sich zu geben. Wind-Up Zenmaister [ATK/1900 → 2500 DEF/1500 {4}]   Als die zwei um Zenmaister kreisenden Lichtsphären begannen, ihn durch Stromstöße mit Energie zu versorgen, erklärte Nick: „Zenmaister bekommt pro Xyz-Material an ihm 300 Angriffspunkte. Zug beendet.“   „Dir werde ich eine Lektion in Sachen wahrer Freundschaft erteilen“, verlautete Abby mit aufgeblasenen Wangen, „und darin, mich zu unterschätzen! Draw!“ Vor sich dahin murmelnd, huschte der Anflug eines Lächelns über Nicks Gesicht. „Na bitte, immerhin beruhigst du dich schon ein wenig.“ Ihre gezogene Zauberkarte in die Luft haltend, rief Abby: „Komm zurück, [Wind-Up Soldier]! [Monster Reborn]!“ Vor ihr tauchte daraufhin Nicks kleinerer, grüner Spielzeugroboter mit dem Magnetkopf auf. Der Aufziehschlüssel an seinem Rücken begann sich zu drehen.   Wind-Up Soldier [ATK/1800 → 2200 DEF/1200 (4 → 5)]   „Ich aktiviere seinen Effekt!“ Nick erwiderte unbekümmert. „Und damit auch den meiner [Wind-Up Factory].“ Hinter ihm setzte sich das Laufband wieder in Bewegung. Er griff nach seinem Deck und zeigte sein Monster vor. „Ich füge meiner Hand [Wind-Up Hunter] hinzu.“ „Ach ja?“ Abby schnaufte aufgebracht. „Und -ich- aktiviere [Glow-Up Bulbs] Effekt von meinem Friedhof! Ich lege die oberste Karte von meinem Deck ab und kann sie nur einmal während des Duells wiederbeleben!“ Die halbverwandelte Sirene nahm von ihrem Deck [Naturia Hydrangea], schickte sie auf den Friedhof und ließ stattdessen eine Blumenzwiebel mit Auge auf dem Spielfeld erscheinen.   Glow-Up Bulb [ATK/100 DEF/100 (1)]   „Bevor du mir irgendetwas unterstellst: ich habe die Karte vorhin bei der Aktivierung von [Exterio's Fang] abgeworfen!“, stellte Abby wütend klar. „Und jetzt rufe ich noch als Normalbeschwörung [Naturia Beans]!“   Naturia Beans [ATK/100 DEF/1200 (2)]   Und während vor ihr eine kleine Hülse mit drei Bohnen darin erschien, welche allesamt Augen besaßen, kratzte sich Nick überrascht an den Kopf. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie empfindlich Abby sein konnte. „Nimmst du mir irgendetwas übel?“ „Ja! Dass du Anya nicht vertraust! Und schlimmer noch, dass es dir vollkommen egal ist, was mit ihr passiert!“ Stöhnend faste sich der große, junge Mann an die Stirn. „Prima, Nick. Nun sind wir wieder ganz am Anfang gelandet …“ Hätte er doch nur seinen Mund gehalten. Trotzdem entgegnete er ihr: „Dann hast du aber nicht gut zugehört. Es ist mir nicht egal-“ „Ich will das gar nicht hören!“, klagte Abby nun wieder mit Tränen in den Augen. „Wegen dir geht unsere Freundschaft kaputt! Wegen dir weiß ich nicht mehr, was richtig noch falsch ist!“ „A-“ Abby stampfte schluchzend auf. „Genug davon!“ Sie wischte sich das Nass aus den pinken Augen und streckte den Arm in die Höhe. „Ich stimme meine Stufe 1-[Glow-Up Bulb] auf meine Stufe 2-[Naturia Beans] und deinen Stufe 5-[Wind-Up Soldier] ein! Da sie alle vom Element Erde sind, kann ich das tun! Oh great god of the south, protect the weak under your mighty wings! Synchro Summon! Arise, [Naturia Vermilion]!“ Ihre Blumenzwiebel zersprang in einen grünen Ring, den die anderen beiden Monster passierten. Jene beiden verformten sich zusammen zu einem gewaltigen roten Vogel, der in die Lüfte stieg und um das Spielfeld zu kreisen begann. Von feuerroter Farbe, war sein Federkleid aus etlichen Laubblättern gemacht, während sein langer Schweif aus ineinander verflochtenen Ranken bestand. Majestätisch bezog er über Abby Stellung und wirbelte mit seinem Flügelschlag den Sand des Spielplatzes unter ihnen auf.   Naturia Vermilion [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   „Zhū Què, der rote Vogel des Südens aus der chinesischen Mythologie. Den setzt du äußerst selten ein“, merkte Nick beim Anblick des eindrucksvollen Wesens erstaunt an. „Warum eigentlich?“ „Weil er-“ Doch Abby brach ab. Auch ihr Blick lag auf dem Vogel, doch in ihm spiegelte sich tatsächlich Abneigung und kein Stolz wieder. Und das hatte nichts mit seiner Person zu tun, erkannte Nick. Allerdings wollte er sie nicht schon wieder aufregen, indem er weiter nachbohrte. Abby ließ von dem Vogel ab und sah Nick an. Hin und her gerissen von ihrer Wut auf ihn und der Angst um die Freundschaft zwischen ihm, ihr und Anya. „Du interessierst dich für chinesische Mythologie?“, fragte sie tonlos. „Ein bisschen.“ „Dann“, ihre Stimme veränderte sich so schnell, dass selbst Nick erschrocken zusammenzuckte, „nimm eine Kostprobe! Zerstöre [Wind-Up Zenmaister]!“ Den Arm ausgestreckt, zeigte Abby mit wütender Fratze auf den Roboter. Der karmesinrote Vogel über ihr setzte zum Sturzflug an und fegte über das Feld wie ein Düsenjet. Dabei griff er mit den Klauenfüßen seinen Feind, riss ihn mit sich und schleuderte ihn noch im Flug in Nicks Richtung. Jener erkannte die Gefahr, in der er schwebte und machte einen Hechtsprung zur Seite, sodass das Wurfgeschoss sein Ziel verfehlte und stattdessen in eine der Rutschen hinter Nick krachte, die unter lautem Getöse umkippte. Daraufhin zersprang Zenmaister in tausend Stücke.   [Abby: 1500LP / Nick: 4000LP → 3800LP]   „Zug beendet“, hauchte Abby ihm verführerisch zu. Erschrocken musste Nick feststellen, dass ihr Haar nun gänzlich weiß geworden war. Sofort wandte er den Blick ab, aus Angst, ihrer betörenden Ausstrahlung zu verfallen. Sie hatte tatsächlich die Kontrolle über ihre Kräfte verloren! Zögerlich erhob sich Nick, bewusst zu den Schaukeln herüber starrend. „Verwandle dich bitte zurück, bevor dich noch jemand so sieht!“ „Und wenn schon, sie würden alles tun, was ich sage.“ „Abby, das bist nicht du!“, polterte Nick. „Das ist die Sirene in dir!“ Das Mädchen lachte amüsiert. „Aber die ist genauso ein Teil von mir. Sie ist ich. Ich bin ich, immer schon.“ „Nein, das stimmt nicht!“ Das war alles seine Schuld, dachte Nick dabei wütend auf sich selbst. Er hatte sie so durcheinander gebracht, dass sie früher oder später die Kontrolle verlieren musste! Von Anfang an hätte er das alles ernst nehmen müssen und nun!? Mit leiser Stimme sagte er: „Ich bitte dich, Abby. Verwandle dich zurück und lass uns reden.“ „Hast du Angst bekommen? Dann lass dir gesagt sein, dass alles Reden nichts bringt, wenn sich dadurch nichts verändert. Deine Meinung wird sich nicht ändern, nicht über Eden und nicht über Anya.“ Am liebsten wollte Nick ihr in die Augen sehen, doch es war zu gefährlich. Eindringlich erwiderte er: „Nein, daran ändert sich nichts, das ist richtig! Um mich geht es doch auch gar nicht, sondern um dich!“ „Ich bin unwichtig“, erwiderte Abby kühl und sah nun ebenfalls zur Seite. „Bist du nicht!“ Die Sirene lachte auf. „Ach wirklich? Dann beweise es.“   Sie war ganz anders, dachte Nick verzweifelt. Das da war nicht Abby, es waren lediglich ihre Zweifel an sich selbst, der Welt und ihren Bewohnern. So war Abby aber nicht! Jemandem wie ihr durfte der Glaube an das Gute im Menschen nicht genommen werden. … aber er hatte genau das versucht und irgendwie war ihm das letztlich gelungen. Das hier war seine Schuld. „Das tue ich“, versprach er, „und zwar, indem ich mich dir stelle und nicht davon laufe! Ich habe genau wie du Dinge, an die ich glaube! Mein Zug, Draw!“ Energisch riss er von seinem Deck eine Karte, womit er ganze vier Stück besaß. Abbys Hand war leer, wenn er richtig gezählt hatte. Doch er wagte es nicht, zu ihr herüber zu sehen, um es nachzuprüfen. Behände legte er eine seiner Karten auf die Duel Disk. „Los, [Wind-Up Rat]! Effekt: nur einmal kann sie in die Verteidigungsposition wechseln, um ein Monster aus meinem Friedhof in selbiger Position zu reanimieren! Komm, [Wind-Up Dog]!“ Vor ihm tauchten eine blaue Spielzeugratte auf, deren Beine durch zwei Räder ersetzt worden waren und ein gleichfarbiger Spielzeughund auf. Auf dem Rücken der Ratte drehte sich der Aufziehschlüssel wild, bis sie auf ihren Rädern nach vorn kippte und regungslos verharrte.   Wind-Up Rat [ATK/600 DEF/600 (3)] Wind-Up Dog [ATK/1200 DEF/900 (3)]   Das Laufband hinter Nick setzte sich mit einem Paket darauf in Bewegung. Zwischen seinen Fingern zeigte er ein weiteres Wind-Up-Monster vor, dabei weiterhin den Blick von Abby abgewendet. „Da ich wieder den Effekt eines meiner Monster verwendet habe, erhalte ich [Wind-Up Juggler].“ Diesen fügte er seinem Blatt hinzu, ehe er seine Hand in die Höhe riss. „Und jetzt erschaffe ich das Overlay Network!“ Ein schwarzer Wirbel tauchte mitten im Spielfeld auf. Nicks Monster wurden als braune Lichtstrahlen in ihn hineingezogen, wobei dieser gleichzeitig rief: „Aus meinen zwei Stufe 3-Monstern wird jetzt ein Rang 3-Monster! Xyz-Summon! Los, [Wind-Up Carrier Zenmaity]!“   Wind-Up Carrier Zenmaity [ATK/1500 DEF/1500 {3}]   Aus dem Loch tauchte ein gewaltiger Schiffsträger auf, welcher durch zwei separate Startrampen in der Mitte geteilt war. Um ihn kreisten zwei Lichtsphären – doch ihr Strahlen verflog umgehend. Der Schrei von Abbys Vogelmonster nahm ihnen das Licht. „Anscheinend weißt du nicht genug über [Naturia Vermilion]“, stellte Abby amüsiert und gleichwohl ungewohnt hochnäsig fest, „sonst hättest du dich nicht zu so einer Dummheit hinreißen lassen! [Naturia Vermilion] kann sich als Opfer anbieten, um eine Spezialbeschwörung zu annullieren!“ Erschrocken sah Nick in die Höhe, überschattet von der gewaltigen Gestalt des Wesens. Die Ranken von deren Schweif schossen nach unten und umwickelten so den Schiffsträger. Mit ungeahnter Kraft hob [Naturia Vermilion] ihn an und flog mit ihm von dannen. Nick war fassungslos. „Du hast diesen Effekt noch nie benutzt! Zumindest nicht, dass ich mich erinnern könnte!“ „Diese Karte ist eine Schande“, entgegnete ihm Abby bitter, „ein Fleck auf meiner Seele! Und mehr als wegwerfen kann man sie nicht, genau wie mich!“ Der junge, hochgewachsene Mann verstand seinerseits die Welt nicht mehr. Diese Karte war doch- „Nun verfügen wir beide über kein Monster mehr. Aber wie ich dich kenne, wird das allein dich nicht einschüchtern, oder, Nick?“ Wie sie seinen Namen aussprach, voller Verachtung! Er schüttelte den Kopf. „Nicht halb so sehr wie eine aufgewühlte Sirene. Du weißt, dass ich dich nicht verletzten wollte mit dem, was ich gesagt habe! Aber daran halte ich fest: die Wahrheit ist nicht immer angenehm! Würde ich meine Worte zurücknehmen, müsste ich lügen und das wäre falsch.“ „Ein gutes Argument. Dagegen kann ich nichts einwenden.“ Abby seufzte schwer, sagte dann aber nichts weiter. „Ich setze eine verdeckte Karte! Zug beendet!“ Vor ihrem Gegner tauchte die gesetzte Falle auf – aber das war nicht alles. Unter schrillem Gekreische tauchte der rote Vogel wieder aus dem Nichts auf – jedoch ohne seine Beute – und kreiste wieder um das Spielfeld. Naturia Vermilion [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Abby kicherte amüsiert in ihrer rauchigen Stimme. „Ich hatte vergessen, es zu erwähnen: Vermilion kehrt am Ende des Zuges auf mein Spielfeld zurück, wenn ich seinen Effekt genutzt habe!“ „Dann ist er kein Wegwerfartikel“, widersprach Nick auf Abbys vorherige Aussage, „genau wie du! Ihr beide kommt immer wieder! Und ihr seid stark! Hör auf, dich runter zu machen!“ „Und das von jemandem, der auf meinen Gefühlen herum trampelt?“ Abby gab einen verächtlichen Zischlaut von sich und griff nach ihrem Deck. „Das ich nicht lache! Draw!“ Kaum hatte sie die Karte gezogen, knallte sie sie schon auf ihre Duel Disk. „Kämpfe für mich, [Naturia Mantis]!“ Mit einem Satz landete vor ihr eine grüne Gottesanbeterin, nicht größer als ein Grashalm. Dabei bestanden die Klingen an ihren Vorderarmen aus je einem Blatt.   Naturia Mantis [ATK/1700 DEF/1500 (4)]   Aus den Augenwinkeln riskierte Nick einen Blick und stöhnte beim Anblick des kleinen Monsters im Sand. Abby wollte es beenden! Als wäre das das Stichwort, streckte die den Arm bis zum Anschlag aus. „Los meine Monster, die ihr mir als Einzige treu geblieben seid! Tut …“, sie stockte plötzlich und schloss die Augen, „tut einfach eure Pflicht …“ Unter schrillem Gekreische ging der Vogel in den Sturzflug über, mit Nick als offensichtliches Ziel. Doch der schwang tapfer den Arm aus. „So leicht mache ich es dir nicht! [Xyz Reborn]!“ Seine Fallenkarte klappte auf. „Damit reanimiere ich ein Xyz-Monster von meinem Friedhof und verwende diese Karte dann als Xyz Material! Komm zurück, [Wind-Up Arsenal Zenmaioh]!“ „Hast du schon vergessen, dass [Naturia Vermilion] Spezialbeschwörungen unterbinden kann?“, erwiderte Abby ebenso aufgeregt. „Das funktioniert bei allen Karten, die das können, nicht nur bei simplen Spezialbeschwörungen vom Extradeck oder der Hand!“ Mit einem entsetzten Schrei wich Nick zurück, als sich der Rankenschweif von Abbys Monster durch seine Falle bohrte und sie zerspringen ließ. Dafür löste sich der Vogel aber auch anschließend auf. „Viel gebracht hat es mir nicht, aber zumindest ist mein Überleben gesichert“, meinte Nick und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dass er jemals in eine derart verzweifelte Lage gerät, hätte er nie gedacht. Dagegen war Isfanel ein Waisenknabe! Ein Jammer, dass Abby nicht realisierte, wie stark sie doch war. „Deswegen bekommst du dennoch den direkten Angriff von [Naturia Mantis] ab“, widersprach ihm diese engstirnig. Die kleine, grüne Gottesanbeterin sprang mit einem weiteren Satz auf Nick zu – und wuchs! Auch ihre Klingen waren plötzlich keine Blätter mehr, sondern geriffelte, scharfe Werkzeuge. Die erbarmungslos zuschlugen. „Garghhh!“, hallte es über den Spielplatz.   [Abby: 1500LP / Nick: 3800LP → 2100LP]   Die Mantis sprang zurück zu Abby. Von ihrer Sichel tropfte Blut in den Sand, wie ein undichter Wasserhahn, bis sie schließlich schrumpfte und sich harmlos, gar verwirrt umsah. Die fast vollständig transformierte Sirene blickte unbarmherzig auf Nick herab, wie er vor ihr in die Knie ging. „Tut es weh?“ „Mir geht’s gut“, antwortete Nick und sah mit schweißnasser Stirn zu ihr auf. Er hielt sich seinen rechten Arm, mit dem er den Angriff abgewehrt hatte. Seine beigefarbene Jacke war bis zum Ellbogen aufgerissen, ein Rinnsal von Blut lief bis zu seinem Handgelenk hinab, besudelte seine Jeans. Nun hatte sie es getan, sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, einen Freund körperlich zu verletzen … „Mir nicht“, erwiderte Abby kühl. „Wegen dir. Zug beendet. Und damit kehrt [Naturia Vermilion] auf mein Feld zurück.“   Naturia Vermilion [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Kaum hatte sie das gesagt, kreiste wieder der bedrohliche Schatten des zinnoberroten Vogels um das Spielfeld. „Draw“, verkündete Nick gequält und zog mit seiner blutigen Hand eine Karte. Als er sie betrachtete, weitete er die Augen. „Das ist-!“ Damit konnte er das Spiel …   Aber was würde er damit erreichen, fragte er sich plötzlich? Er hatte diesem Duell mit dem Vorhaben zugestimmt, Abby zu beruhigen. Doch alles, was er getan hatte, war die Lage zu verschlimmern. Wenn er damit weitermachte, würde er das Duell gewinnen, aber nicht Abbys Seelenfrieden. Und außerdem … war sie die bessere Duellantin. Es schmerzte ihm zwar, das zuzugeben, aber nur aufgrund einer glücklichen Fügung könnte er jetzt das Blatt wenden. Das gehörte zwar zum Spiel, aber war für ihn doch inakzeptabel. Abby war so gut, dass er nicht einmal vorausplanen konnte, anders als beim Kampf gegen Isfanel – und dessen Deck hatte er nicht gekannt. Wie konnte der Bessere ein Duell gewinnen, wenn er gar nicht der Bessere war!? Verbittert biss Nick sich auf die Lippen. Es gab keinen Zweifel, dass sein Duellstil dem von Abby unterlegen war – ja gar dem von Anya in gewisser Hinsicht. Das war auch der Grund, warum er gestern gegen Drazen verloren hatte. Was ihm fehlte, war etwas im Duell zu fühlen. Nur gewinnen zu wollen reichte nicht. Vielleicht, wenn er sich mehr auf Nina eingelassen hätte, dann … Er war ein Holzkopf.   Und wie konnte er Abby jetzt noch von der Stimme erzählen, die ihn einst verführen wollte, einen Pakt einzugehen? Sie war einfach da gewesen, als er im Unterricht eingeschlafen war. Krank hatte sie ihn und einige andere Schüler gemacht. Hatte ihn eine Zeitlang regelrecht verfolgt, bis zu jenem Tag in Victim's Sanctuary, als sie ihn vor den besessenen Patienten gewarnt hatte. „Dies ist deine letzte Chance. Forme einen Pakt mit mir. Wenn du es nicht tust, werden du und deine Freunde diese Anstalt nicht lebend verlassen.“ Das hatte sie gesagt. Aber er? Lachte und schlug das Angebot aus. Wenn Anya und Abby damals geahnt hätten, aus welchem Grund sie ihm genervte Blicke zugeworfen hatten … Doch dieses Wesen, es hatte dasselbe Gefühl ausgestrahlt wie die besessene Caroline. Es gab keinen Zweifel für ihn, dieses Ding selbst hatte Anya die Falle gestellt. Was immer seine Absichten waren, für Nick war dieses Ding der Feind, der im Verborgenen die Fäden in der Hand hielt! Oder was sonst hatten die letzten Worte dieses Dämons zu bedeuten, kurz nachdem Anya während Valeries Duell wieder zu Bewusstsein gekommen war? Immer wieder rezitierte er diese Worte im Kopf. „Jetzt erkenne ich es. Du bist es also, Isfanel. Oder? Nein, nein, du bist anders. Bist du etwa … ? Endlich!“ Wenn er nur wüsste, wovon dieses Ding gesprochen hat! Levrier? Oder doch etwas anderes? Was immer auch zutreffen mochte, es war ihr Feind, da war Nick sich sicher! Doch das hatte nichts mit Abby zu tun. Es ihr jetzt zu erzählen, würde sie nur noch mehr aufwühlen und das konnte Nick nicht verantworten.   „Danke“, murmelte er schließlich, „durch dieses Duell habe ich ein paar Dinge gelernt. Du hattest recht, Abby. An das, was ich glaube … sollte ich nicht festhalten.“ Erstaunt erwiderte Abby mit ihrer normalen Stimme: „Was sagst du da?“ „Vielleicht sehe ich wirklich Gespenster. Aber … ganz egal, was Anya wirklich vorhat, sie … ich weiß nicht, wie wir verhindern können, dass wir sie verlieren.“ Plötzlich schlug er mit der Faust in den Sand, brüllte: „Ich weiß es einfach nicht!“ „N-Nick …“ „Aber dich damit zu belasten war falsch. Bitte vergib mir“, bat er und kniete auf allen Vieren vor ihr nieder. Doch bat er weniger darum, dass sie ihm seine harschen Worte über Anya und ihre Lage verzieh, sondern viel mehr die Lüge, die er ihr damit auftischte. Denn tatsächlich hatte sich an seiner Meinung nichts geändert. Aber das zu sagen würde die Dinge nur schlimmer machen, und Abby sollte nicht noch mehr leiden. „Ich gebe auf“, sagte Nick leise und legte seinen blutigen Arm auf das Deck in seiner Duel Disk.   [Abby: 1500LP / Nick: 2100LP → 0LP]   Die Hologramme von Abbys Monstern verschwanden. „Und nun mach mit mir, was du willst …“ Vorsichtig sah er auf und erblickte eine Abby, die ihm perplex gegenüberstand und sich nicht rührte. Ihr Haar hatte zwar den üblichen Braunton angenommen, doch sie schien so verwirrt von seinen Worten, dass sie die Sprache verloren hatte.   „Wo ist er!? Wo ist der Dreckskerl!?“ Beide schreckten bei dem Gebrüll auf. Die Stimme war unverwechselbar. Wie ein Tornado fegte Anya über den Spielplatz zu ihnen und hielt direkt hinter Nick an, keuchte erschöpft, gewann aber nur eine Sekunde später wieder die Fassung und ballte ihre Fäuste. „Wo ist der Bastard, der dich angegriffen hat, Abby!?“, fauchte die Blondine, die vor Erschöpfung ganz rot im Gesicht war. Die machte nur große Augen und blinzelte mehrmals, ehe sie den Zeigefinger erhob und wortlos auf Nick zeigte. Anya klappte die Kinnlade herunter. Sie sah zu ihm herab und erkannte, dass Nick am Arm blutete. „... du?“, knurrte sie und zählte eins und eins zusammen. Wie ein stampfender Stier trat sie von hinten auf ihn zu, Nick wandte sich nicht einmal um. Mit dem Fuß auf der Zauberkarte [Dark Hole] packte sie ihren Freund am Kragen, hievte ihn hoch und drehte ihn zu sich um. „Bist du jetzt endgültig zum Staatsspinner #1 mutiert?“, fragte sie drohend und packte ihn am Kinn, holte mit der Faust aus. „Jetzt sag bloß, du bist irgendsoein fieser Oberfutzi, der sich als Mastermind hinter allem entpuppt! Ich schwöre dir, wenn-“ „Er hat nur geschauspielert.“ Überrascht sah Anya über Nicks Schulter zu Abby, die betreten ihren Blick mied. „Huh?“ „Er hat nur so getan, als wäre er besessen. Aber er war so gut, dass ich es ihm abgekauft habe. Und dann hab ich …“, sie brach ab. Tränen standen in ihren Augen.   Tick, tick, tick.   Und dann explodierte Anya. „Seid ihr eigentlich völlig plemplem!? Sind eure Gehirnzellen beim letzten Solariumsbesuch mit Redfield weggebrutzelt worden, dass ihr so einen Bullshit abzieht!?“   Als Randnote: deine Freunde sehen nicht so aus, als würden sie sich regelmäßig bräunen, Anya Bauer. Schon gar nicht mit Valerie Redfield. Dazu hängen sie zu sehr an ihrem Leben.   „Schnauze, Levrier!“ Anya stampfte mit dem Fuß auf. Das konnte doch nicht wahr sein! All die So-so, die So-so-sor-! Diese Dinge, die man sich macht, wenn seine Freunde in Schwierigkeiten stecken und alles für die Katz! „Ihr Idioten! Seit wann habt ihr von mir die Erlaubnis, euch gegenseitig abzumurksen!? Ich kann gar nicht sagen, was mich mehr aufregt!“ Sofort hatte Nick Anyas Zeigefinger unter der Nase. Sie atmete tief durch, wurde mit einem Mal ganz ruhig. „Nick. auf einer Skala von eins bis zehn, wo eins pure Dummheit und zehn kompletter Wahnsinn ist …“ „... bin ich?“, fragte er belustigt und kratzte sich an der Stirn, neigte den Kopf zur Seite. „Gar nichts, weil du tot sein wirst, bevor ich überhaupt 'ne beschissene Wertung vornehmen kann, du wandelndes Down-Syndrom!“ Und damit bekam Nick einen Faustschlag verpasst, von dem man hätte meinen können, dass er ihn bis zum Nordpol zu schicken vermochte. Allerdings lag er am Ende doch nur knapp einen Meter von Anya entfernt, die nun auf Abby zu stampfte. Ihre Augen funkelten. „Und du!“ „Hye!“, kreischte das Hippiemädchen und wich panisch zurück. „Dass du tatsächlich auf die Schauspielkünste von Nick, von NICK, hereingefallen bist, ihn sogar kopflos angegriffen hast-!“   Ich glaube, dein Schlag war viel verheerender, Anya Bauer. Sicher bin ich mir aber nicht.   „Dafür gibt es auch für dich eine Bestrafung im Anya-Stil!“, drohte die Blondine und schlug mit der Faust in die flache Hand. „Und ich weiß auch schon genau, wie die aussehen wird …“   ~-~-~   Kaum zehn Minuten später saßen Anya und Nick auf einer Bank unweit des Spielplatzes. Letzterer hielt sich mit weinerlicher Mimik den blutenden Arm. „Nun komm, Harper, das ist doch nur'n kleiner Kratzer!“, schnaufte die Blondine voller Unverständnis. „Abby hat sich wirklich zurückgehalten! Mit ihrer Kraft hätte sie viel mehr erreichen können.“ „Aber es tut weh“, jammerte Nick. „Mit deinen Selbstheilungskräften sagt sich das so leicht“, fügte die stehende Abby mit Tränchen in den Augenwinkeln zu. Sofort fing sie sich einen derart bösen Blick von Anya ein, dass sie einen Schritt zurücksprang. „Bitte nicht schon wieder!“ Anya verzog keine Mimik, als sie die flache Hand erhob. „Du bist schuld daran, Masters! Noch so'n Spruch von dir und dein Hintern wird so heiß laufen, dass man damit Wäsche bügeln kann!“ Sofort hielt Abby sich die Pobacken. „Nicht schon wieder!“ „Ich will auch mal dran sein!“, gluckste Nick, sprang auf und war schon im Begriff, sich die Hose herunterzuziehen, als zwei Fußspitzen sich aus beiden Seiten in seine private Zone vertieften. „Kein Bedarf!“, fauchte Anya den jungen Mann an, der sich seine Weichteile weinend hielt. „Ich hänge an meiner Sehkraft!“, stimmte Abby zu. „Außerdem habe ich dir immer noch nicht verziehen!“ Erstaunt stellte Anya fest, dass die beiden nur für einen kurzen Moment einen Blick austauschten … den sie unmöglich interpretieren konnte. Aber entgegen Abbys Worten schien er am ehesten versöhnlich. Doch dann brach der Blickkontakt ab, als Nick vom Schmerz in seiner Lendenregion überwältigt wurde und zusammenbrach. „Immer ich …“, jammerte er dabei, bevor er das Bewusstsein verlor.   „Was hast du eigentlich vorhin zu erledigen gehabt?“, fragte Abby schließlich neugierig. Anya verschränkte daraufhin die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. „Nichts Besonderes. Ein paar Karten gekauft.“ „Anya, das Einkaufszentrum liegt aber genau in der entgegengesetzten Richtung, aus der du gekommen bist“, merkte Abby trocken an. „W-wer hat gesagt, dass ich da eingekauft habe!? Der Laden dort ist sowieso scheiße!“ Aber die Blondine wusste genau, dass ihre Freundin ihr nicht glauben würde. Damit es nicht zu weiteren Fragen kam, erhob sie sich hastig und zeigte auf Nick. „Statt mich zu nerven, solltest du mir lieber helfen, den da ins Krankenhaus zu bringen. Ehe er noch verblutet.“ „O-oh ja, das habe ich ganz vergessen!“ Beide nahmen jeweils einen Arm des am Boden liegenden Nicks und schulterten ihn. Dabei warf Abby ihrer Freundin noch einen misstrauischen Blick zu, ehe sie von dannen schlenderten.     Turn 28 – Family Während Anya weiterhin damit beschäftigt ist, die verbliebenen Scherben ihres zerbrochenen Elysions aufzuladen, hat Henry nur einen Gedanken: seine Schwester zu finden. Um dieses Ziel zu erreichen, ersucht er die beiden Dämonenjäger um Rat, denen er zuvor in Valeries Villa begegnet war. Doch auch sie können ihm nicht bei der Suche helfen. Allerdings, entgegen Alastairs Willen, führen Matt und Henry als Notlösung ein Ritual zur Dämonenbeschwörung durch. Denn es gibt einen Dämon, der womöglich die Antworten auf Henrys Fragen kennt … Kapitel 28: Turn 28 - Family ---------------------------- Turn 28 – Family     „Ich bin ein nutzloser Bruder, nicht wahr?“ Immer wieder stellte er Abby diese Frage, und egal wie oft sie es verneinte, selber daran glauben konnte er nicht. „Weiter kann ich dich nicht begleiten“, meinte das brünette Mädchen und deutete auf das Motel auf der anderen Straßenseite am Waldrand. „Laut Anya wohnen sie in Zimmer 7.“ Henry sah seine Begleiterin an. Schon seit gestern, als sie spätnachts aus dem Krankenhaus gekommen war, verhielt sie sich seltsam. Irgendetwas mit ihrem Freund Nick, so hatte sie gesagt, war aber weiteren Fragen ausgewichen.   Schon länger hatte er sie auf die Dämonenjäger ansprechen wollen, doch nun begriff der junge Mann, dass er einen schlechten Zeitpunkt gewählt zu haben schien. Aber es war bereits der 7. November, Edens Erwachen stand kurz vor der Tür. Er musste Melinda finden! Wenn er aber jetzt Abby ansah, wie sie verkrampft und voller Abscheu das Motel anstarrte, fragte er sich, ob es wirklich nur der Unfall ihres Freundes war, der ihr zu schaffen machte. „Stimmt etwas nicht?“ „M-mir geht’s gut“, wich sie aus, „aber wenn du mich fragst, solltest du dich von diesen Leuten fern halten. Sie sind … abscheuliche Menschen!“ „Sie sind meine letzte Chance“, gestand Henry betrübt, „wo immer sich Isfanel versteckt, auf normalem Wege kann ich ihn nicht finden. Als Dämonenjäger müssen sie einfach eine Möglichkeit kennen, Isfanel aufzuspüren!“ Abby nickte. „Es muss furchtbar sein, seine Schwester in der Hand eines Dämons zu wissen …“ Sie zuckte zusammen, dann sprach sie angespannt weiter: „Aber manche Dämonen wandeln in Menschengestalt unter uns. Ich hoffe, sie können dir weiterhelfen.“   Damit verabschiedete sie sich kurz angebunden von Henry und ließ ihn stehen. Kurz sah er dem Mädchen hinterher, wie es eiligen Schrittes davon rannte. Warum hatte sie ihn überhaupt begleitet? Er hätte den Weg schon alleine gefunden. Mit dem Blick auf das Motel gerichtet, ging er letztlich über die Straße. Abby wusste, dass sie ihm ihr Herz ausschütten konnte. Wann dieser Zeitpunkt war, musste sie selbst entscheiden.   Und wie er über den Sand des Vorhofes des Motels lief, fiel sein Blick auf den Parkplatz links neben dem ebendiesem. Bis auf zwei PKWs und ein VW-Bus standen dort keine Autos. Er schätzte, dass der VW-Bus den Dämonenjägern gehören musste, damit sie ihre Ausrüstung transportieren konnten – andererseits wusste er nicht, was ein Dämonenjäger überhaupt an Ausrüstung besaß. Das Motel war so aufgebaut, dass es zwei Stockwerke gab. Das obere wurde durch eine Stahltreppe erreicht, die sich ebenfalls auf der linken Seite befand. Alle Zimmer waren so ausgerichtet, dass die Eingänge zur Straße hin lagen. Und Henry fand Zimmer Nummer 7 recht schnell, denn es war am äußersten linken Rand, auf der unteren Ebene angesiedelt.   Ohne zu zögern klopfte er dreimal laut gegen die Tür und wartete ab. Von dem, was er vor ein paar Tagen im Haus dieser Valerie erlebt hatte, waren sie nicht so übel. Der Entstellte schien relativ verbohrt zu sein in seiner Weltanschauung, aber der etwas Jüngere machte einen halbwegs vernünftigen Eindruck. Allerdings fragte sich Henry dadurch abermals, was für ein Problem Abby mit ihnen hatte. Vermutlich war Anya darin involviert, da besonders dieser Alastair nicht gut zu sprechen auf sie schien.   Die Tür wurde schließlich aufgerissen und Henry fand sich ebenjenem großen, im Gesicht vernarbten Mann gegenüber stehen. Er trug ein schwarzes, ärmelloses Shirt um den Oberkörper zusammen mit einer schwarzen Hose und musterte ihn kritisch. „Warum bist du hier?“, fragte er scharf. „Weil ich eure Hilfe brauche“, kam Henry ohne Umschweife zum Punkt, nicht weniger angespannt. Wie er solche Menschen hasste, die einem sofort mit Feindseligkeit begegneten, ohne sich auch nur angehört zu haben, was man zu sagen hatte. Der schien vom selben Schlag zu sein wie Anya. Kein Wunder, dass sie sich nicht ausstehen konnten. „Du bist doch ebenfalls ein Malträger“, erwiderte Alastair aufgeregt. „Ich habe dich bei der Versammlung gesehen. Warum sollten wir dir helfen?“ „Ehemaliger Malträger“, stellte Henry richtig, „und helfen sollt ihr mir dabei, meine Nachfolgerin zu finden. Meine Schwester. Wenn wir Eden vernichten wollen, ist sie unabkömmlich, das solltet ihr mittlerweile wissen.“ Alastair zischte verächtlich, ehe er ihn mit einer Geste herein ließ.   Kaum war Henry in das kleine Zwei-Bett-Zimmer eingetreten, kam ihm schon der andere Dämonenjäger entgegen. Dieser trug ein schwarzes Unterhemd mit einem weißen Handtuch um den Hals, hielt dabei eine Cola-Dose in seiner Hand und schaute ihn verdutzt an. „Du bist doch …“ „Henry. Wir müssen reden“, sagte er entschieden. „K-klar.“ Verdutzt deutete der Schwarzhaarige, dessen Name Matt lautete, sofern sich Henry richtig erinnerte, auf einen kleinen Tisch in der rechten Ecke des spärlich eingerichteten Zimmers. „Setz' dich. Möchtest du auch etwas zu trinken?“ „Nein“, schlug Henry das Angebot aus und nahm dort an einem der beiden Stühle Platz. Matt setzte sich ihm gegenüber, während Alastair das Gespräch aus der Ferne gegen die Haustür gelehnt beobachtete.   „Du kommst bestimmt wegen deiner Schwester?“, fragte Matt und traf damit direkt ins Schwarze. „Richtig. Ich möchte euch bitten, sie für mich zu finden. Ich habe bereits alles ausprobiert, überall gesucht, aber bin mit meinem Latein am Ende. Ohne sie können wir nicht zum Herzen Edens vordringen, wie du sicher weißt. Womit du auch gleich einen Grund hast, mir zu helfen.“ Überrascht von so viel Direktheit hob Matt abwehrend die Arme. „Moment mal, warte! Das ist ja schön und richtig und alles, aber wie stellst du dir das vor?“ Henry erwiderte ungerührt: „Als Dämonenjäger solltet ihr doch in der Lage sein, eure Beute aufzuspüren. Besitzt ihr nicht irgendwelche Mittel dafür?“ Ziemlich perplex lachte Matt daraufhin auf. „Denkst du, wir haben ein Radar dafür? Normalerweise bemerkt man Dämonen erst, wenn sie dir so nahe sind, dass du ihre Anwesenheit am ganzen Leibe spüren kannst – wenn überhaupt! Einzig Refiel kann Auren orten, sofern diese sich in der näheren Umgebung befinden und nicht unterdrückt werden. Der Radius ist zwar eher klein, aber besser als nichts.“ „Wer ist Refiel?“ „Ein Engel, der mit Alastair einen Pakt eingegangen ist.“ Matt nahm einen Schluck aus der Cola-Dose und setzte sie auf den Tisch ab. „Aber es funktioniert nicht so, wie du dir das vorzustellen scheinst. Wenn der Dämon, der deine Schwester besetzt hält, sich ruhig verhält, können wir gar nichts tun. Und in den letzten Tagen ist uns nichts Besonderes aufgefallen.“ Allerdings wollte Henry das nicht hinnehmen. „Gibt es denn keine andere Möglichkeit!? Ich muss Melinda finden! Es muss doch in eurem Interesse sein, mir zu helfen! Ich will, dass Eden zerstört wird, damit dieser Albtraum endet und nie wieder jemand so leiden muss, wie wir beide es tun!“ Beschwichtigend nickte Matt und sagte einfühlsam. „Uns geht es nicht anders als dir. Es ist ja nicht so, als ob wir dir nicht helfen wollen. Wir können nicht.“   Plötzlich zischte dieser Alastair hinter ihnen verächtlich: „Als ich vor einigen Wochen spürte, wie sich Anya Bauer mit einem unbekannten Dämon bekriegte, hatte ich schon die Hoffnung, sie würde dabei sterben! Aber leider hat sie mir diesen Wunsch nicht erfüllt, diese Dämonenbrut! Sonst wäre das hier schon längst vorbei!“ Henry biss sich auf die Lippen und stand mit gesenktem Kopf auf. „Wenn das so ist, entschuldigt die Störung. Dann will ich euch nicht länger belästigen.“ Mitfühlend sah Matt ihn an. „Es tut mir leid, aber als Dämonenjäger ist man für gewöhnlich darauf trainiert, sich Informationen zu Standorten von Dämonen selbst zu besorgen. Nicht zuletzt deswegen ist der Job auch so knifflig. Weißt du, wie viele Leute glauben, Dämonen gesehen zu haben? Du würdest lachen.“ „Zu lachen ist mir aber nicht zumute“, erwiderte Henry und sah Matt trotzig an. Für ihn mochte es leicht sein, das so daher zu sagen, aber emotional involviert war er nicht in die Sache. Was wusste der schon davon, seine Schwester beschützen zu wollen!? „Das Leben ist kein Zuckerschlecken“, warf Alastair ein, „und wenn du etwas richtig erledigt sehen willst, solltest du dich nicht auf andere verlassen.“ Mit wütendem Blick wandte sich Henry zu ihm um. „Danke für den Hinweis! Habt -ihr- eure Aufgabe denn schon erledigt!?“ „Den Sprengstoff können wir morgen früh abholen“, antwortete ihm Matt ruhig, „darum musst du dir keine Sorgen machen. Ich würde dir ja helfen, deine Schwester zu suchen, aber wenn wir beide morgen nicht beim Lieferanten erscheinen, verschwindet der ohne die Ware. Misstrauischer Kerl, musst du wissen.“ „Also gibt es wirklich niemanden, der mir helfen will?“ Henry lachte bitter auf. „Wer hätte gedacht, dass mein alter Mann recht hat?“   Sein Vater, William Ford, sagte immer, dass die Menschen einem nur dann halfen, wenn sie sich selbst etwas davon versprachen. Nichts wurde ohne eigennützige Absichten getan. Selbst große Opfer wurden im Endeffekt nur gebracht, um dem eigenen Seelenheil zu dienen. Mitgefühl sollte das schlechte Gewissen kompensieren, das den Menschen, die es besaßen, das Leben schwer machte. Die Welt war ungerecht und unausgeglichen, wer sich in ihr zurechtfinden wollte, durfte keine Angst davor haben, den Schwächeren bei Bedarf zu schaden. Denn wären sie in der eigenen Position, würden sie nicht anders handeln. Henry hasste diese tiefschwarze Philosophie, aber langsam glaubte er zu erkennen, was hinter ihr steckte.   Er lachte noch einmal bitter. „Ihr kennt nicht zufällig ein Zauberbuch, in dem alles Wissen dieser Welt geschrieben steht, oder?“ Matt schüttelte den Kopf. „So etwas gibt es in dieser Welt nicht. Nicht, dass wir wüssten. Am ehesten käme an deine Vorstellungen der- Moment, das ist es!“ Er schlug mit der Faust auf die Handfläche. „Der Sammlerdämon!“ „Wer?“, fragte Henry verwirrt und sah auf. Gleichzeitig protestierte Alastair: „Das kann nicht dein Ernst sein! Mit diesem Abschaum darf man keine Geschäfte treiben!“ Wütend verlangte Henry: „Klärt mich bitte jemand auf!? Wer ist dieser Sammlerdämon!? Wovon redet ihr auf einmal!?“   Matt faltete die Hände ineinander und beugte sich über den Tisch, woraufhin Henry sich wieder hinsetzte. Der Dämonenjäger begann mit leiser Stimme zu erklären. „Der Sammlerdämon ist uralt und in der Lage, aus den Herzen der Menschen ihre Wünsche zu lesen und sie wahr werden zu lassen. Doch nicht ohne Gegenleistung.“ Henry schüttelte irritiert den Kopf. „Wenn das so ist, meine Familie besitzt genug Geld.“ „Nein, Geld will er nicht. Der Preis hängt vom Wunsch seines 'Kunden' ab. In der Regel verlangt er die Seele, seltener auch andere, nicht weniger wichtige Dinge. Was das ist, sage ich hier lieber nicht laut. Aber wer sich auf ihn einlässt, muss wirklich verzweifelt sein.“ „Und wenn schon, das ist mir egal! Ich habe sowieso nichts zu verlieren!“ „Sei nicht dumm, Matt!“, donnerte Alastair wütend. „Du kannst ihn unmöglich in die Arme dieser Missgeburt schicken! Es ist eine Sünde unter Dämonenjägern, ihr Klientel auf Dämonen zu verweisen! Das werde ich nicht zulassen!“ „Halt den Mund!“, donnerte Henry und sprang wütend auf, drehte sich zu Alastair um. Mit dem Finger zeigte er auf ihn. „Das ist meine freie Entscheidung! Euer Kodex interessiert mich nicht! Wenn ihr mir helfen wollt, dann bringt mich zu diesem Sammlerdämon! Alles andere ist meine Sorge, nicht eure!“ Matt stöhnte daraufhin und legte nachdenklich sein Kinn auf den Handrücken. „Mal abgesehen davon, dass Alastair recht hat, ist das leichter gesagt als getan. Der Collector, so sein offizieller Name, lässt sich nicht so einfach finden. Er offenbart sich nur denjenigen, die seiner Hilfe bedürfen.“ „Und wenn diese Made leichtes Spiel wäre, hätten die Dämonenjäger sie schon längst vernichtet!“, fügte Alastair aufgebracht hinzu. „Manche Dinge lässt man besser ruhen, glaub mir!“ „Das ist nicht mein Problem!“, widersprach Henry zornig. „Irgendwo muss er doch zu finden sein, schließlich ist er von seiner Kundschaft abhängig!“ „Tch, denkst du, er steht in den Gelben Seiten!?“, fauchte Alastair den jungen Mann an. Hinter ihnen meinte Matt nachdenklich: „Das nicht … aber womöglich kann man ihn beschwören.“ Alastair schien das anders zu sehen. „Unmöglich! Das haben schon dutzende Dämonenjäger versucht, nie ist er aufgetaucht!“ „Weil er wusste, dass sie ihn töten wollten“, widersprach Matt, „aber in unserem Fall braucht Henry wirklich seine Hilfe. Einen Versuch wäre es zumindest wert, wenn wir sonst schon nichts für ihn tun können.“ Der schwarzhaarige, junge Mann sah auf. Henry drehte sich zu ihm um, wie der Dämonenjäger ihn eindringlich ansah. „Aber bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst? Denk an deine Schwester. Würde sie wollen, dass du dich am Ende einem Dämonen verkaufst, nur um sie zu finden?“ Henry schloss die Augen. „Nein. Aber das ist mir egal. Außerdem habe ich nicht leichtfertig vor, meine Seele oder dergleichen wegzugeben. Wenn es ums Verhandeln geht, bin ich auch nicht gerade zimperlich. Lasst das meine Sorge sein und ruft diesen Kerl einfach, okay?“ Resignierend stöhnte Matt und stand auf. „Wie du willst. Aber auf eigene Gefahr. Wir können ihn nicht für dich loswerden, wenn er es erstmal auf dich abgesehen hat.“ „Das Risiko gehe ich ein.“ „Das dürft ihr nicht!“, konnte Alastair sich damit jedoch nicht abfinden und stieß sich von der Tür ab, ging wild gestikulierend auf die beiden zu. „Von allen Dämonen dieser eine! Selbst Refiel rät davon ab!“ „Refiel kann mich mal“, giftete Matt und grinste plötzlich heimtückisch. „Außerdem werden wir nicht gänzlich unvorbereitet sein.“   ~-~-~   Zu dritt standen sie schließlich um einen mit Kreide auf den Dielen des Motelzimmers gezeichneten Kreis. Um diesen herum waren fünf Kerzen aufgebaut, die die Spitzen eines fünfzackigen Sterns repräsentieren sollten. Dieser fand sich in Form von ausgestreutem Salz noch einmal innerhalb des Kreidekreises wieder. Matt hatte soeben die letzten Worte einer Dämonenbeschwörungsformel gesprochen und schlug den Wälzer in seiner Hand zu. „Das war's.“ Henry hatte eine Gänsehaut, was daran lag, dass es plötzlich abnormal kalt in dem Zimmer geworden war. Auch erschien es ihm so, als wäre es dunkler geworden, obwohl draußen noch nicht einmal die Sonne untergegangen war. „Wird er kommen?“, fragte er, versuchte erfolglos seine Ungeduld zu unterdrücken. „Wenn ja, wird es einen Moment dauern.“ Alastair schnaubte wütend. „Wieso lasse ich das überhaupt zu?“ „Weil ich der größere Dickkopf von uns beiden bin“, grinste Matt und warf das Buch auf das Bett hinter ihm. „Außerdem willst du auch, dass der Edenfluch für immer Geschichte ist. Und Henry ist nun mal Teil davon.“ Der junge Spross der Abraham Ford Company nickte nur. „Leider …“ „Tch“, zischte Alastair und schulterte eine Schrotflinte, die er vorher aus ihrem Bus geholt hatte. Neugierig sah Matt seinen 'Auftraggeber' an. „Wie bist du dein Mal eigentlich losgeworden?“ „Darüber möchte ich nicht reden, wenn ich ehrlich bin.“   Dieses Thema war für Henry tabu. Im Grunde war er nur durch Zufall auf die Lösung gestoßen. Die Lösung, dass man den Tod überleben musste, um den Dämon aus sich zu treiben. Das Mal besaß er noch, aber es war verblasst, Isfanel fort. Und nun im Körper seiner Schwester. Alles was Henry ursprünglich wollte, als dieses Wesen sich in ihm eingenistet hatte, war Frieden. Für den er so weit gegangen war, dass … Aber wer hätte ahnen können, dass er rechtzeitig von seinem Komplizen reanimiert wurde? Im Nachhinein erschien es ihm so töricht. Damit hatte er schlussendlich nur Isfanel dazu gebracht, Melinda als Ersatz zu wählen. Es war seine Schuld …   „Kann ich verstehen“, meinte Matt mitfühlend. „Einfach war das sicher nicht.“ Doch Henry kam nicht mehr dazu ihm zu antworten, denn ein grelles Licht erfüllte das Motelzimmer. „Er kommt!“, rief Matt überrascht. Alastair zückte die Waffe und hielt sie direkt auf den Beschwörungskreis gerichtet. „Ich warte!“ Hoffentlich würde er die Antwort bekommen, die er suchte, dachte Henry und hielt sich schützend den Arm vor das Gesicht.   Das Licht verebbte wieder, doch die Luft war gefüllt von einer unheimlichen Atmosphäre. Es war, als würde sie regelrecht knistern. „Da haben zwei Dämonenjäger aber Nerven“, stellte eine schnarrende Stimme mit britischem Akzent fest, deren Ursprung direkt in der Mitte des Kreises lag. Doch es war niemand zu sehen. „Geschäfte unter Zwang zu betreiben ist eigentlich nicht mein Stil.“ Aus dem Nichts materialisierte sich ein hoch gewachsener Mann in einem schwarzen Anzug. Dieser mutete zwar wie eine Reliquie aus dem 18. oder 19. Jahrhundert an, war jedoch noch in einem astreinen Zustand. „Wie interessant“, meinte der Collector erstaunt, als er sich in dem kleinen Motelzimmer umsah und dabei die Hand an sein fein nach hinten gekämmtes, dunkelrotes Haar legte. Abfällig fügte er hinzu: „Oder sollte ich eher sagen: wie chaotisch. Hat euch niemand beigebracht, wie man sein Zuhause sauber hält?“ „Du hast jetzt andere Sorgen, Sammler“, zischte Alastair und richtete seine Waffe auf den Mann. Jener drehte sich zu ihm um und blinzelte erstaunt. „Wie unhöflich. Behandelt man so seine Gäste, Alastair?“ „Woher kennst du-!?“ „Ich gehe wieder“, entschied der Dämon jedoch, noch bevor sein Gegenüber geendet hatte. Matt lachte jedoch triumphierend auf. „Pech gehabt, das kannst du nicht! Schau mal nach unten!“ Der Collector tat wie ihm geheißen und stellte mit hochgezogener Augenbraue fest, dass er mitten in einem fünfzackigen Stern stand, geformt aus gesegnetem Salz. „Ein doppelter Bannkreis?“ „Dämonen sind in geschlossenen Salzkreisen gefangen!“, lachte nun auch Alastair. „Aber dieser hier ist besonders, denn dank seiner Form und-“   Mit dem feinen Herrenschuh schob der Sammler einen Teil des Salzes vorsichtig beiseite und unterbrach damit das geschlossene Gefüge. Er sah amüsiert grinsend in das Gesicht des entsetzten Dämonenjägers. „Was wolltest du sagen? Und ferner: wer von euch macht jetzt meinen Schuh sauber? Das ist das Mindeste.“ In einem wütenden Schrei drückte Alastair daraufhin ab. „Nein!“, schrie Matt unter dem Donnern der Schrotflinte, doch schon wich der Sammler einen Schritt zurück, da er direkt in den Bauch getroffen wurde. „Was tust du da!?“, rief auch Henry entgeistert. „Wir haben ihn nicht gerufen, um ihn zu töten!“ Der Sammler sah perplex den zerfetzten Stoff an, der einst sein Sacko und das darunter liegende, weiße Hemd war. Doch seine Haut war völlig unverletzt davon gekommen. „Das … war sehr teuer.“ „Nicht einmal Silberkugeln-!?“, schoss es aus Alastair heraus. Ehe er sich versah, stürzte sich der Sammler auf ihn und riss ihm die Flinte aus der Hand, nur um sie zu verbiegen und damit völlig unbrauchbar zu machen. Mit geweiteten Augen sah er zu, wie der Rothaarige sie achtlos fallen ließ. Dieser sagte erzürnt: „Sieh das als Ausgleich für meine Kleidung an! Wenn ihr aufmüpfigen Kinder spielen wollt, dann tut das meinetwegen, aber nicht mit mir!“ „Sammler!“ Henry trat einen Schritt vor. Der Dämon wandte sich ihm mit feindlichen Blick zu. „Ich weiß“, erwiderte er nur kalt. „Morgen.“ Und war verschwunden.   Was blieb waren zwei überrumpelte Dämonenjäger, ein verwirrter Henry und eine verbogene Schrotflinte. Und viel Salz. Die Kerzen waren allesamt erloschen. „Das glaube ich jetzt nicht“, stammelte Matt. „S-so leicht zu-“ „Die Geschichten haben nicht übertrieben“, brummte Alastair mit verletztem Stolz. „Diese Brut ist wirklich eine Nummer zu groß für uns.“ „Danke“, sagte Henry jedoch tonlos und wandte sich ab. „Mehr wollt ich nicht.“ Damit ging er. „H-hey warte, was soll das!?“, rief ihm Matt verdutzt hinterher. „Er wird mir helfen“, antwortete der brünette, junge Mann noch, bevor er das Zimmer der Dämonenjäger verließ. Als er die Tür schloss, festigte sich sein Blick. Morgen!   ~-~-~   Ruhigen Schrittes ging Henry durch die morgendlichen Straßen der Innenstadt Livingtons. Gestern war er erst spät nachts zurückgekommen, da er nachdenken musste und dann sehr früh aufgestanden, hatte das Haus der Masters verlassen, als Abby noch schlief. Ihrer Mutter hatte er erzählt, er habe Hinweise auf den Verbleib seiner Schwester erhalten. Abby würde es verstehen, doch er wollte nicht, dass sie wusste, von wem genau diese Informationen stammen würden.   Er schlenderte am großen Einkaufszentrum der Stadt vorbei, dessen bläuliche Fensterfassade ein rundliches Gebilde ergab, einem Kolosseum gleich. Lange konnte es nicht mehr dauern, dachte er innerlich ungeduldig. Der Sammler hatte ihm die Botschaft gegeben, bis morgen, also heute, zu warten. Wenn er bedachte, dass heute bereits der 8. November war – drei Tage bis Edens Erwachen, spürte er ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Selbst Isfanel wusste praktisch nichts über Eden. Nur, dass es sich im Turm von Neo Babylon befand, welcher in einem zeitlich abgestimmten Rhythmus etwa alle 400 Jahre erschien. Doch etwas war geschehen, das diesen Rhythmus durcheinander gebracht hatte, sodass der Turm viel länger auf sich hatte warten lassen als sonst. Über 100 Jahre war er überfällig. Und es würde das letzte Mal sein, dass er auftauchte, so hatte Isfanel gesagt – warum wusste er nicht, aber er fühlte es. Was Henry jedoch auch wusste war die Tatsache, dass Menschenleben geopfert werden mussten, um Eden zu erwecken. Ausgesuchte Individuen höherer Wesen auf Isfanels Stufe. Leute wie Melinda …   Zwar hatte er Anya das Versprechen gegeben, am 11. November zusammen mit Melinda vor dem Turm zu erscheinen, doch ob er es halten würde, wusste er nicht. Allein schon deshalb nicht, weil er diesem Mädchen nicht über den Weg traute. Sie erweckte bei ihm seither den Eindruck, als hätte sie etwas zu verbergen, seit sie allen von Eden und dem Turm berichtet hatte. Henry ahnte, dass sie die sogenannten Zeugen der Konzeption, Matt, Alastair, Valerie, Marc und seine Schwester in eine Falle locken wollte, um Eden zu werden und dem Limbus zu entgehen. Und dass der Dämonenjäger Alastair dies ebenfalls vermutete, bestärkte ihn darin. Wenn sie den Turm wirklich betraten, gab es keine Garantie auf Wiederkehr. Und wenn man bedachte, dass er und Melinda der Sache nur fern bleiben mussten, um Isfanels Absicht zu erfüllen – das Erwachen Edens zu verhindern – war die Entscheidung für ihn im Grunde leicht. Doch es gab etwas, das ihm Sorgen bereitete. Was, wenn es noch mehr Zeugen gab, von denen im Moment niemand etwas ahnte? Und Anya wirklich zu Eden wurde, selbst wenn er und Melinda flüchteten? Niemand wusste, was Eden war. Isfanel nannte es seinen Untergang. Er mochte zwar ein selbstsüchtiger Bastard sein, aber wenn Eden einem so mächtigen Wesen wie ihm solche Angst bereitete, war Henry sich nicht sicher, was geschehen würde, wenn Eden erwachte. Wäre es nicht besser, Vorbereitungen zu treffen, damit dieser Fall gar nicht erst eintrat? Aber das hieße, den Turm zu betreten und mit den anderen zusammenzuarbeiten.   Henry blieb abrupt auf dem wie leergefegten Bürgersteig stehen. Gänsehaut. „Wenn du es möchtest, werde ich dir dabei helfen“, erklang die Stimme des Sammlerdämons hinter ihm freundlich. Sich nicht umdrehend, erwiderte der brünette, junge Mann: „Eins nach dem anderen. Wo ist Melinda?“ „In der Kanalisation. Es hat etwas gedauert, sie und Isfanel ausfindig zu machen. Ich entschuldige mich dafür, normalerweise arbeite ich effizienter. Aber aufgrund einer interessanten Entwicklung bin ich in die Irre geführt worden.“ Er lachte amüsiert. „Selbst im hohen Alter lernt man noch dazu, nicht wahr?“ Nun wandte sich Henry mit Händen in den Taschen seiner Jeans um. „Was muss ich zahlen, um deine Hilfe in Anspruch zu nehmen?“ Der rothaarige Brite sah genauso aus wie gestern, mit dem einzigen Unterschied, dass er offenbar seinen Anzug mit einem gleich aussehenden Exemplar gewechselt hatte. Oder durch seine Kräfte einfach repariert hatte. Lässig stand er mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor ihm und lächelte trügerisch. „Bis jetzt noch gar nichts. Ich würde sagen, wir verrechnen das am Ende. Denn mir dünkt es, dass du heute noch öfters auf mich zukommen wirst.“ Nun reichte er ihm seine rechte Hand. „Willst du nun zu deiner Schwester?“ Dass Henry diese nahm und somit bewusst einen Handel mit dem Collector einging, war Antwort genug. Ein grelles Strahlen ging von den beiden Händen aus, welches Henry so sehr blendete, dass er aufstöhnte.   ~-~-~   Als er die Augen wieder aufschlug, drang gleichzeitig ein widerlicher Geruch von Fäkalien in seine Nase. Es gab keinen Zweifel, der Sammler hatte ihn direkt in die Kanalisation gebracht. Es war stockfinster. „Mist, ich habe keine Taschenlampe!“, murmelte er ärgerlich. Und wagte es nicht, sich vom Platz zu bewegen, aus Furcht, am Ende irgendwo zu landen, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen war. Ein Schnippen ertönte und ehe sich Henry versah, schossen lauter grüne Feuerbälle durch den Kanal und platzierten sich oberhalb der Decke wie Fackeln, die ihr näheres Umfeld in smaragdfarbenes Licht tauchten. Erstaunt stellte er fest, dass der Sammler vor ihm stand, umhüllt von einer silbernen Blase. „Was soll das?“, fragte Henry daraufhin. „Ist es hier gefährlich?“ „I-ich weiß nicht wie es dir geht, aber meine Wenigkeit möchte weder den G-g-g-gestank, noch den Schmu- Schmuuuu- Schmuuuuuuu-“ „Schmutz?“ „Genau das! Das in meiner Nähe wissen.“ Der Mann erschauderte sichtlich und packte sich mit den Händen an den Schultern. „A-allein der Anblick bereitet mir eine Gänsehaut.“ Verdutzt musterte Henry den Kerl, der plötzlich ganz anders klang als noch vor fünf Minuten. Als habe er tatsächlich Angst. Mit dem Finger zeigte der Sammler an ihm vorbei auf etwas in der Ferne. Henry wandte sich um und musterte zunächst seine Umgebung. Dieser Kanal war zweigeteilt, in der Mitte floss das Abwasser an ihnen vorbei, während je links und rechts Wege gebaut waren, damit die Arbeiter sich hier fortbewegen konnten. Er befand sich auf der rechten Seite. In regelmäßigen Abständen verbunden Brücken beide Hälften.   Und nicht all zu weit weg lehnte auf der anderen Seite ein regungsloser Körper an der Wand. Henrys Herz machte einen Sprung, als er das brünette, nach hinten in einer Welle verlaufende Haar erblickte. „Melinda!“ Sofort rannte er über die Brücke, rutschte dabei fast noch aus und achtete nicht auf den Sammler, der sich keinen Millimeter rührte. Doch noch ehe er seine Schwester erreicht hatte, hielt er zutiefst schockiert bei ihrem Anblick inne. „D-das kann nicht- was um alles in der Welt-!?“ Neben dem leblosen Leib seiner Schwester lag ein Taschenmesser, an dem verkrustetes Blut haftete. Und nicht nur da, überall war es. Das Blut seiner Schwester. Sie war kreidebleich, die Lippen blau und lag in dieser entsetzlichen, getrockneten Blutlache. „D-das darf nicht sein!“, murmelte er. Aber da waren keine Spuren! Die Ärmel ihres abgetragenen Pullovers waren hochgekrempelt, blutverschmiert, aber es gab keine Anzeichen von Wunden auf der nackten Haut! Was war das!?   Sie schlug die Augen auf und hob den Kopf an. Henry fiel ein Stein vom Herzen. „Melinda! Oh Gott sei Dank-“ „Du!?“, zischte sie und kam schwankend auf die Beine. „Wie hast du mich gefunden!? Tch! Wer hätte gedacht, dass wir uns noch einmal wiedersehen?“ Ihm stockte der Atem. „Du … du bist nicht Melinda! Du bist Isfanel!“ „Sehr gut erkannt. Genießt du dein Leben ohne mich?“, fragte dieser keuchend und trat einen Schritt auf ihn zu. „Bedauerlicherweise bist du mich nicht ganz losgeworden, nicht wahr?“ „Lass sie gehen!“, forderte Henry aufgebracht. Isfanel grinste gehässig. „Nein. Sie gehört jetzt mir. Du weißt, wozu ich sie brauche.“ „Das ist mir egal! Lass sie frei! Nimm mich, wenn es sein muss!“ Die besessene Melinda stützte sich an der Mauer ab und lächelte kalt. „Wie aufopferungsvoll. Und wenn wir unseren Pakt erneuern, wirst du dann wieder kalte Füße bekommen, Benjamin Hendrik Ford? Dazu wird es nicht kommen! Und wisse: selbst wenn ich damit einverstanden wäre, hätte ich nicht genug Kraft dafür!“ Henry lief der Schweiß über die Stirn. „Was soll das bedeuten!?“ Er erschrak, als die Stimme des Sammlers direkt hinter ihm erklang. Sie war wieder fest und bestimmend, nicht mehr 'bacteriophobisch'. „Siehst du den Zustand, in dem sich der Körper deiner Schwester befindet? Diese Wunden hat sie sich zugefügt, um Isfanel in Schach zu halten. Da er nach dem Kampf mit Anya Bauer geschwächt war und anschließend noch von ihrem besten Freund Nick Harper verletzt wurde, hat Melinda die Chance ergriffen und die Kontrolle zurückgewonnen.“ Er machte eine Pause. „Nur um Isfanel in einer endlosen Schleife aus Schmerz und Regeneration gefangen zu halten, damit er niemandem schadet. Dabei hat er sich meiner Blicke verborgen, indem er mit dem Rest seiner Kräfte ein Tarnfeld errichtet hat. Aus Angst vor seinen Feinden.“ „Oh, der Sammler“, krächzte Isfanel amüsiert und sah den Mann hinter Henry verächtlich an, „welch hoher Besuch. Dir ist wohl kein Mittel zu schade, um mich loszuwerden, was Bursche?“ „Wenn es sein muss, ja!“   Henry hob den rechten Arm, an dem Abbys schwarze Duel Disk angebracht war und aktivierte diese. „Und du kannst dir sicher sein, dass ich nicht zimperlich bin, wenn es darum geht, sich den Feinden unserer Familie zu stellen!“ Isfanel lachte. „Ein Duell? Jetzt und hier? Was soll das erreichen? Du bist nichts ohne meine Macht!“ Doch der jüngste Spross der Ford-Familie grinste. „Aber ich habe Ersatz gefunden, wie du sehen kannst! Sammler! Wenn ich dieses Duell gewinne, könntest du bitte dafür sorgen, dass Isfanel aus dem Körper meiner Schwester für immer vertrieben wird? Steht das in deiner Macht?“ Der Brite überlegte kurz, ehe er sich räusperte. „Nein. Das würde nicht den Effekt erzielen, der dir vorschwebt. Aber ich mache dir ein Gegenangebot, das auch den Preis für meine Hilfe in Grenzen halten wird. Ich kann Isfanel unterdrücken, aber nur bis zum 11. November.“ Henry drehte sich mit geweiteten Augen um. „Länger nicht!?“ „Natürlich ginge es auch länger. Aber denk daran, dass du noch andere Wünsche hast, die ich erfüllen soll. Und länger bis zu diesem Tage ist auch nicht nötig, nicht wahr?“ „Du willst, dass ich Eden zum Opfer falle!?“, donnerte Isfanel daraufhin aufgebracht und aktivierte die eigene Duel Disk am Arm. „Das werde ich zu verhindern wissen!“ „Nein, ich will Eden vernichten! Aber dazu muss Melinda mit mir kommen!“ Der Dämon lachte hysterisch auf. „Als ob ich dir das glauben würde! Gerade du suchst doch den Tod, was käme dir da rechter, als ein Opfer im perfiden Spiel des Gründers zu werden!?“ „Ich kann ihn auch ohne Duell unterdrücken“, mischte sich der Sammler ein. Und erntete unerwartet Widerspruch von Henry. „Nein! Das wäre unehrenhaft! Ich will mich dem Feind meiner Familie stellen! Er soll genauso kämpfen, wie ich zu kämpfen hatte gegen ihn! Das ist meine Rache!“ Der Sammler zog eine Augenbraue hoch. „Interessant. Nun gut, wie du wünscht.“ „Du hättest auf ihn hören sollen“, sagte Isfanel leise, „ihr Menschen seid so eingenommen von euch selbst, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen sollen. Aber wenn das deine Entschlossenheit ist, dann lass sie mich mit meiner Macht zerquetschen!“ Langsam schritt er nach rechts auf eine der Brücken zu, um sich in Duellposition zu bringen. Henry tat es ihm gleich, sodass sie sich auf den beiden Brücken gegenüber standen. Letztlich riefen beide synchron: „Duell!“   [Henry: 4000LP / Melinda: 4000LP]   „Ich mache den ersten Zug!“, entschied Isfanel bestimmend und zog mit einem Schlag sechs Karten von seinem Deck. Zwei nahm er aus seinem Blatt hervor und schob eine davon in die Backrow, während er das Monster verdeckt auf die Duel Disk legte. „Ein Monster in Verteidigung und diese gesetzte Karte!“ Beide materialisierten sich in der jeweiligen Lage vor ihm über dem Fäkalienfluss. Danach zückte er eine Zauberkarte. „Und jetzt aktiviere ich [Book Of Taiyou]! Damit bringe ich ein Monster in verdeckter Verteidigungsposition in Angriffsposition! So wie mein eigenes, [Kamui, Hope Of Gusto]!“ Aus Isfanels gesetzter Monsterkarte sprang ein grünhaariges Mädchen, das in der Hand einen Zauberstab trug und einen beigefarbenen Mantel über die Schultern gelegt hatte. Kamui, Hope Of Gusto [ATK/200 DEF/1000 (2)]   „Nun aktiviert sich ihr Flippeffekt!“, verkündete Isfanel und schwang den Arm aus. „Sie beschwört einen Gusto-Empfänger von meinem Deck! Erscheine, [Gusto Falco]!“ Auf der Schulter des jungen Mädchens erschien ein grüner Vogel, der einen Helm und Brustpanzer am Leibe trug.   Gusto Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   „Direkt zum Punkt“, kommentierte Henry das angespannt. „Natürlich! Ich werde dir gegenüber keine Gnade kennen!“, versprach Isfanel und streckte den Arm seines Gefäßes aus. Ein schwarzer Wirbel tat sich inmitten des Spielfelds auf, seine Monster wurden in grünen Lichtstrahlen in den Sog gezogen. Ein grünes Glimmen ging von Melindas Arm aus. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen zwei Stufe 2-Monstern wird ein Rang 2-Monster! Erscheine, [Daigusto Phoenix]!“ Aus dem Wirbel entstieg ein hässlicher, nackter Vogel, der eine erstaunliche Ähnlichkeit zum Dinosaurier Pteranodon aufwies. Seine rote, schuppige Haut ging in smaragdfarbenen Flammen auf, aus welchen sein 'Federkleid' geformt wurde. Zwei Lichtsphären kreisten um das Wesen.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 DEF/1100 {2}]   Henry hätte nie gedacht, schon im ersten Zug ausgerechnet diesem Monster gegenüber zu stehen. Aufgebracht rief er: „Ich weiß genau, was du vor hast!“ „Ach ja? Wie hinreißend. Zug beendet!“, verlautete Isfanel mit einem gehässigen Grinsen.   Aufgebracht zog Henry und betrachtete die Karte. Wenn Isfanel glaubte, in ihm einen leichten Gegner gefunden zu haben, irrte er. Vielleicht konnte er diesen nicht verletzten, aber das wollte er Melinda wegen auch gar nicht. Jedoch kannte er das Deck, das Isfanel benutzte, genau. Schließlich war es einst sein eigenes gewesen, bevor Melinda es genommen hatte und abgehauen war. Sie wollte dadurch vermutlich die Paktkarte darin – jener [Daigusto Phoenix] – außer Isfanels Reichweite bringen, denn als Symbol eines Pakts besaß diese ganz eigenwillige Kräfte. Kräfte, die womöglich mit Eden im Zusammenhang standen. Doch Isfanel beabsichtigte vermutlich eher, diese Kraft zu nutzen, um die anderen Malträger zu töten. Eigens dafür war er sogar einen neuen Pakt mit diesem Marc eingegangen. Doch das erwies sich letztlich als fataler Fehler, denn nachdem jener gestorben war, ging auch ein Teil von Isfanels Kraft verloren!   „Ich werde nicht verlieren, nicht gegen jemanden wie dich!“, versprach Henry seinem Widersacher drohend und nahm eine Karte aus seinem Blatt. „Ich beschwöre [Don Turtle]! Und wenn dieser gerufen wird, kann ich alle weiteren Exemplare dieser Karte von meiner Hand rufen! Also wird noch ein weiterer [Don Turtle] erscheinen!“ Vor ihm tauchten zwei braune Schildkrötenpanzer auf, aus deren Inneres gelbe Augen leuchteten.   Don Turtle x2 [ATK/1100 DEF/1200 (3)]   „Was du kannst, kann ich auch! Ich erschaffe das Overlay Network!“, rief er anschließend und ließ seine beiden Schildkröten zu blauen Lichtstrahlen werden. Diese wurden ebenfalls in ein schwarzes Loch in der Mitte es Feldes gezogen. „Aus meinen beiden Wasser-Monstern der Stufe 3 wird nun ein Monster vom Rang 3! Xyz-Summon! Sei meine Waffe, [Black Ray Lancer]!“ Aus dem Wirbel trat eine dunkle, amphibische Gestalt hervor. Pechschwarz war sie, besaß zwei Paar mit Schwimmhäuten bespannte Schwingen, das größere von beiden auf dem Rücken, das kleine an den zu kurz geratenen Beinen. In den Händen hielt sie einen roten Speer.   Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]   „Oh?“ Isfanel grinste süffisant. „Du scheinst tatsächlich eine Ahnung zu haben, worauf du dich hier eingelassen hast.“ „Du willst inkarnieren!“, sprach Henry das Vorhaben aus, welches seinem Gegner vorzuschweben schien. Es gab keinen anderen Grund, warum er sonst das Paktmonster schon im ersten Zug beschworen hatte. „Und da Incarnation Mode-Monster nur durch Xyz-Monster im Kampf zerstört werden können, dachtest du, dem mit deinem Monster zuvor kommen zu können?“ „Nein.“ Auf Henrys Stirn bildete sich eine tiefe Falte. „Ich habe gar nicht erst vor, dich inkarnieren zu lassen! [Black Ray Lancers] Effekt! Indem ich eines seiner Xyz-Materialien abhänge, kann ich bis zur End Phase den Effekt eines Monsters negieren! Den deines [Daigusto Phoenix]! Und da das Inkarnieren ein geheimer Effekt der Originalmonster ist, kannst du ihn nicht verwenden, um mir zuvor zu kommen! Dachtest du, ich wüsste nicht um die schützende Kraft von [Eternal Daigusto – Jade Phoenix], den du rufen willst!?“ Isfanels Gesichtszüge entglitten ihm vor Schreck. „Was!? Woher weißt du-!?“ „Dies ist mein Deck!“, bellte Henry. Sein [Black Ray Lancer] absorbierte eine der Sphären über seiner Brust und richtete danach seinen Speer auf den Phönix. Ein roter Strahl schoss aus diesem, der den Vogel direkt in der Körpermitte traf, wobei rötliche Blitze den ganzen Körper des Wesens zu peinigen begannen. „Du-!“, knurrte Isfanel. „Kein Wunder, dass du mein optimales Gefäß bist! In dir schlummert ein geborener Kämpfer und Stratege!“ „Halt den Mund!“, schrie Henry jedoch nur wütend und schwang den Arm. „Verschwinde endlich aus unserem Leben, du Missgeburt! [Black Ray Lancer], greife [Daigusto Phoenix] an! Der Albtraum wird enden, bevor er angefangen hat!“ Sein Monster schwang den Speer über seinem Kopf, ehe er ihn direkt in die Richtung seines Opfers warf. Dieser schrie und schlug wild mit seinen Flammenschwingen. Diese wirbelten einen so starken Sturm auf, dass dieser die Lanze fortwehte, welche in ihrem Flug gegen Henrys Monster knallte. Jenes ging daraufhin verletzt in die Knie. „Was!?“, stieß Henry erschrocken hervor. Und dann fiel sein Blick auf die Fallenkarte, die Isfanel aktiviert hatte. „[Windstorm Of Etaqua], der sagenhafte Wind, der jeden Feind zu Fall bringt.“ Der Dämon lachte hämisch. „Du kennst ihn, hast du ihn doch selbst für dieses Deck auserwählt. Er zwingt alle gegnerischen Monster, die Positionen zu wechseln.“   Black Ray Lancer [ATK/2100 DEF/600 {3}]   Mit dem Handrücken wischte sich Henry den Schweiß von der Stirn, obwohl es in der Kanalisation eigentlich ziemlich kühl war. „So ein Mist …“ „Tja, du bist nicht der Einzige, der strategisch denkt. Ich wusste genau, dass du nicht widerstehen können würdest, wenn ich dir [Daigusto Phoenix] als Lockvogel präsentiere. Und nun hast du dich verraten, gezeigt, wie du meine Inkarnation aushebeln willst!“ „Scheiße“, zischte Henry, der eine solche Sprache normalerweise nicht pflegte. Er griff eine Karte aus seinem Blatt. „Ich setze die hier verdeckt und beende meinen Zug!“ Die Karte tauchte vor seinen Füßen und hinter [Black Ray Lancer] auf. Damit besaßen beide Spieler noch drei Handkarten. „Mein Zug, Draw!“, rief Isfanel energisch und stockte das eigene Blatt auf. Die gezogene Karte drehte er zwischen seinen Fingern um und lächelte finster. „Sieh an! Ich beschwöre [Gusto Codor]!“ Neben dem Phönix tauchte nun auch ein grüner Kondor auf, welcher ebenfalls mit Helm und Plattenrüstung versehen war. Um seinen Hals lag ein weißer Ring aus Daunenfedern, der wie ein Schal wirkte. „Auch das noch“, stöhnte Henry.   Gusto Codor [ATK/1000 DEF/400 (3)]   „Das war nur der halbe Spaß! Zusätzlich aktiviere ich eine weitere mächtige Wind-Zauberkarte, [Blustering Winds]! Sie erhöht die Angriffs- und Verteidigungskraft eines meiner Monster bis zu meinem nächsten Zug um 1000!“ Auf Isfanels Wirken hin begann von [Daigusto Phoenix] ein starker Sturm auszugehen, durch den das Wasser unterhalb der Brücken sich in immer stärker werdeden Wellen zu bewegen begann.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 → 2500 DEF/1100 → 2100 {2}]   „Und du weißt genau, wie gefährlich das im Falle dieses einen Monsters ist, nicht wahr?“, lachte Isfanel und schnappte sich eines der Monster, die unter seinem Phönix lagen. „Ich hänge ein Xyz-Material ab und aktiviere [Daigusto Phoenix'] Effekt!“ Die Augen des Vogels leuchteten rot auf, als er den Schnabel öffnete und nach einer der Sphären um ihn herum schnappte. Isfanel erklärte: „Damit kann ein Wind-Monster für diesen Zug zweimal angreifen! Und wer wäre dafür besser geeignet, als [Daigusto Phoenix] selbst!?“ Henry ächzte. Er spürte regelrecht, wie sich die Schlinge um seinen Hals enger zog. Dieser Bastard war verdammt gut darin, das Blatt zu wenden! Soviel musste man ihm lassen! Aber so leicht würde er nicht aufgeben, schließlich ging es hier für ihn praktisch um alles! „Nun“, verlautete Isfanel majestätisch, „[Gusto Codor], greife das Monster deines ehemaligen Meisters an!“ Ohne zu widersprechen flog der Kondor auf [Black Ray Lancer] zu und schoss wie eine Rakete durch seinen Bauch. Ein klaffendes Loch hinterlassend, zog er seine Kreise zurück zu Isfanel, während das Seeungeheuer schreiend explodierte. Die besessene Melinda streckte den Arm aus. „Effekt von [Gusto Codor] aktivieren! Wenn er ein Monster im Kampf besiegt, ruft er ein Wind-Monster vom Typ Psi von meinem Deck, welches maximal 1500 Verteidigungspunkte besitzen darf! Komm herbei, [Musto, Oracle Of Gusto]!“ Zwischen den beiden Vögeln tauchte ein Priester in weißem Umhang auf, welcher einen langen Zauberstab schwang. Er schwebte in der Luft, wodurch er nicht in den Kloakenfluss fiel.   Musto, Oracle Of Gusto [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Bist du sicher, dass du dich nicht übernommen hast?“, fragte der Sammler freundlich. Henry drehte sich nicht einmal um, als er antwortete. „Ich komme schon klar!“ „Ach ja!? Das wollen wir erstmal sehen! Mit meinen Monstern kann ich dich spielend leicht besiegen!“, ließ Isfanel das nicht gelten. „[Daigusto Phoenix], direkter Angriff auf seine Lebenspunkte!“ Henry schreckte zurück, als der große, unförmige Vogel Luft einsog, um sogleich eine smaragdfarbene Flamme auszuspeien. Die Hitze war unangenehm, doch längst nicht so schlimm wie man es sich von jemandem wie Isfanel vorstellte. Er musste wirklich sehr geschwächt sein, wenn ein Angriff dieser Größenordnung im Verhältnis so ungefährlich schien. „Den lass ich aber nicht durchgehen!“, widersprach Henry letztlich und drückte einen der Knöpfe an Abbys Duel Disk. „Meine Falle [Defense Draw] negiert den Schaden und lässt mich eine Karte ziehen!“ Die Flamme prallte direkt vor Henry an einer unsichtbaren Mauer ab und wurde aufwärts gegen das Gemäuer der Kanalisation geschleudert. Deren Decken wurde durch den Angriff versengt, wodurch sie sich vom Ruß schwarz färbte. Derweil hatte Henry seine Karte gezogen. „Winde dich nur, Wurm“, zischte Isfanel abfällig und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Hast du vergessen, dass [Daigusto Phoenix] zweimal angreifen kann!? Es ändert sich nichts an deiner bevorstehenden Niederlage! Los!“ Auch beim zweiten Versuch spie der Phönix eine grüne Flamme in Henrys Richtung, doch der grinste zufrieden. „Wie nicht anders zu erwarten war!“ „Was soll das!? Du besitzt keine Karten mehr auf deiner Spielfeldseite!?“ „Aber auf der Hand! Wenn du mich diese Runde zweimal direkt angreifst, kann ich beim zweiten Mal ein ganz besonderes Monster von meiner Hand rufen! Dieses nennt sich [Ogre Of The Scarlet Sorrow]!“ Der junge Mann klatschte die Karte auf seine Duel Disk. „Und dieser betritt das Feld mit derselben Angriffs- und Verteidungspower, die das Monster besitzt, das zuerst angegriffen hat! Was in deinem Fall irrelevant ist, da beide Angriffe von [Daigusto Phoenix] stammen!“ Vor Henry erhob sich ein riesiger Oger, dessen blauer, muskulöser Körper nur von einem Lendenschurz verdeckt wurde. Mit seiner wuchtigen Keule wehrte er den Flammenangriff des Phönix' spielend leicht ab. Und während er das tat, liefen rote Tränen über seine Wangen.   Ogre Of The Scarlet Sorrow [ATK/0 → 2500 DEF/0 → 2100 (4)]   Henry verschränkte abwartend die Arme. „Da sich die Zahl meiner Monster während deiner Battle Phase verändert hat, tritt laut den Regeln ein Replay ein. Wie entscheidest du dich? Wird dein Monster erneut angreifen oder nicht?“ „Ich muss dir meine Anerkennung zugestehen“, raunte Isfanel angespannt, „du kämpfst wirklich hart! Aber ich- Urgh!“ Der Dämon in Melindas Körper ging in die Knie und hielt sich den Kopf. „N-nicht jetzt!“   „W-was ist mit ihm!?“, wandte sich Henry an den Sammler. Dieser sah steif herüber zu Isfanel. „Melinda versucht wieder die Kontrolle zu gewinnen. Sich ständig zu verletzten hat auch sie an die Grenzen ihrer Kraft gebracht, weswegen es Isfanel überhaupt erst gelungen ist, sie wieder zu übernehmen.“ „D-du bleibst wo du bist“, ächzte dieser. „Dieser Körper gehört mir- Ahhhhh!“ Als Isfanel auf allen Vieren zu schreien begann, rief auch Henry mit ausgestreckter Hand: „Melinda! Hörst du mich!? Kämpfe gegen ihn an! Ich bin hier!“ „Halt den Mund! Sie kann dich nicht- Ahhh!“ Isfanel hielt sich den Kopf mit so schmerzverzerrter Miene, dass man glaubten konnte, sein ebendieser würde jeden Moment abfallen. „Sie überanstrengt sich“, kommentierte der Sammler das tonlos, „damit tut sie sich keinen Gefallen. Ihr Bewusstsein ist so schwach, dass sie Gefahr läuft, ihren Verstand zu verlieren, wenn sie weiterkämpft.“ Fassungslos wandte sich Henry zu ihm um. „Was!?“ „Deine Schwester ist in einem kritischen Zustand. Du solltest ihr davon abraten, es noch weiter zu treiben.“ Was etwas war, worüber Henry gar nicht erst diskutieren musste. „Me-Melinda! Hör auf! Ich werde das alleine regeln!“ Die junge Frau streckte den Arm Richtung Henry aus. Wenn sie doch nur nicht so weit voneinander entfernt wären, dachte der junge Mann verzweifelt. „I-ich … w-werde … nicht zulassen …“ Sie schrie vor Schmerz. Und es war Melinda, die da sprach, das spürte er. „Nicht zulassen … d-dass d-dieses Ding … m-meinem Bruder weh tut … B-Benny … tö- …“ Ihre Tonlage wechselte schlagartig. „Dummes Ding! Hör auf dich zu wehren!“ Tränen standen in Henrys Augen, wie er den verzweifelten Kampf seiner Schwester mit dem Dämon in ihr nur hilflos verfolgen konnte. Melinda ballte eine Faust. „D-das ist a-alles was ich für dich tun kann, Bruder … [Daigusto Phoenix], greife … sein Monster an!“ Wieder wechselte die Stimme. „Nein! Das lasse ich nicht zu! Ich rekon-“ „Los!“, schrie wieder Melindas wahres Ich.   Mit fassungslosem Blick verfolgte der kurz darauf wieder an die Macht gelangte Isfanel, wie sein Phönix bereits den Angriff ausführte und eine gewaltige Flamme Richtung des Ogers spie. Dieser warf im Gegenzug im hohen Bogen seine Keule auf den Vogel, was ihn nur den Flammen aussetzte. Es folgten zwei gewaltige Explosionen. Henry wurde regelrecht an den Rand der Brücke zurückgedrängt, auf Höhe des Sammlers, der sich in seiner bakterienfreien Blase keinen Millimeter rührte. „Melinda!“, krächzte Henry, da ihm langsam die Stimme versagte. Als der Rauch sich legte, waren die beiden Monster fort. Und die junge Frau stand wieder. „Diese kleine-“, zischte Isfanel zornig und fasste sich an die Stirn. „Wegen ihr ist [Daigusto Phoenix] zerstört worden, bevor ich ihn reinkarnieren konnte!“ „Melinda! Melinda bist du noch-“ „Sie ist fort“, sprach der Sammler teilnahmslos. „Und sie wird so schnell nicht wiederkehren. Sie hat ihre letzten Kräfte geopfert, um zu verhindern, dass du einem noch gefährlicheren Monster gegenüber stehst.“ Henry konnte das nicht glauben. Wieso hatte sie etwas so Dummes getan? Er war doch stark, und- Aber es war ihre Entscheidung gewesen. Im Grunde war er stolz, so eine mutige, ältere Schwester zu haben. Und doch … „Wird sie sich erholen können?“ „Höchstwahrscheinlich. Das hängt aber davon ab, wie Isfanel weiter vorgehen wird. Er hat jetzt die vollkommene Kontrolle. Aber auch sein Verstand wird immer instabiler.“ Tief durchatmend, trat Henry einen Schritt vor. „Gut, das ist alles, was ich hören wollte. Wenn das so ist, werde ich alles tun, um sie ihm zu nehmen! Das Opfer meiner Schwester wird nicht umsonst sein!“ Er ballte dazu eine Faust. „Isfanel! Ich werde dich besiegen!“ „Pah! Dummer Menschling!“ Der Dämon zog eine hässliche, hochmütige Fratze. „So einfach ist das nicht! Der Kampf ist noch nicht vorbei! Musto, direkter Angriff! Ich gewinne, ich!“ Henry schrie erschrocken auf, hatte er den Priester in der Zwischenzeit völlig vergessen. Dieser schwang nur einmal seinen Zauberstab, um einen mächtigen Luftzug zu erschaffen, welcher Henry mühelos von den Beinen riss und ihn in die Höhe hob. Dann erschuf der Hexer leuchtend grüne Klingen, die er per Schwenk mit seinem Stab in Henrys Richtung schickte. „Gahhh!“, schrie der, als er von dem Angriff getroffen und letztlich fallen gelassen wurde.   [Henry: 4000LP → 2200LP / Melinda: 4000LP]   „Aber das war nur der Anfang!“ Isfanel zeigte eine Zauberkarte vor und lachte hysterisch. „Ahahaha! Main Phase 2, [One For One]! Ich werde ein Monster von meiner Hand abwerfen, um ein Stufe 1-Monster von meinem Deck zu beschwören!“ Die gewählte Karte knallte er auf die Duel Disk. „[Gusto Egul]! Und da das abgeworfene Monster [Gusto Griffin] war, kann ich durch dessen Effekt nun ein weiteres Gusto-Monster von meinem Deck beschwören! Erscheine, [Caam, Serenity Of Gusto]!“ Gleich zwei neue Monster tauchten vor Isfanel auf. Das erste war ein kleiner, grüner Vogel, der wie alle seine Artgenossen mit Helm und Brustpanzer daher kam. Das andere hingegen eine junge Magierin, deren grünes Haar zu einem langen Pferdeschwanz gebunden war. Sie schulterte stolz einen Zauberstab.   Gusto Egul [ATK/200 DEF/400 (1)] Caam, Serenity Of Gusto [ATK/1700 DEF/1100 (4)]   Henry biss sich auf die Lippen beim Anblick der insgesamt vier Monster, die nun Isfanels Feld füllten. Dieser griff nach seinem Friedhof. „Effekt von Caam! Ich mische zwei Gusto-Monster von meinem Ablagestapel in mein Deck zurück!“ Er zeigte Griffin und [Daigusto Phoenix] vor, schob Letzteren dann grinsend in ein Unterfach seiner Duel Disk, ins Extradeck. „Und dann ziehe ich eine Karte!“ Aufgebracht entgegnete Henry: „Das weiß ich alles! Das ist schließlich -mein- Deck!“ Voller Schwung zog Isfanel die Karte und streckte dann den Arm aus. „Ich stimme das Stufe 1-Monster [Gusto Egul] auf das Stufe 3-Monster [Gusto Codor] ab!“ Beide Vögel stiegen in die Höhe. Dabei zersprang Egul in einen grünen Ring, welchen der Kondor durchquerte. „Emerald wings lead the will to survive towards heaven! A storm of hope embraces the world! Synchro Summon! Soar, [Daigusto Falcos]!“ Es gab einen grellen Blitz und kaum öffnete der geblendete Henry die Augen, flog ein stolzer, grüner Riesenfalke zu Isfanel. Sein massiver Körper war in eine blaue Rüstung gehüllt, dennoch trugen seine Schwingen ihn mühelos durch die Kanalisation. Da er jedoch ohne Reiter beschworen wurde, saß auch niemand auf seinem Rücken. Isfanel rief: „Wenn dieses Monster als Synchrobeschwörung gerufen wird, stärkt es alle meine Gusto-Monster um 600 Angriffspunkte! Siehst du das!? Sie werden stärker!“ Das Monstrum gab einen schrillen Schrei von sich, der die drei Monster von Isfanel in grüne Auren hüllte.   Musto, Oracle Of Gusto [ATK/1800 → 2400 DEF/900 (4)] Caam, Serenity Of Gusto [ATK/1700 → 2300 DEF/1100 (4)] Daigusto Falcos [ATK/1400 → 2000 DEF/1200 (4)]   Isfanel zeigte seine letzte Handkarte und setzte sie verdeckt. „Nun hast du es gleich mit drei mächtigen Kreaturen zu tun! Und ich schwöre dir, sie werden dich vernichten! Niemals werde ich Eden zum Opfer fallen! Niemals, nie, nie! Zug beendet!“ Henry runzelte nur wütend die Stirn. Und -er- würde niemals zulassen, dass [Daigusto Phoenix] noch einmal beschworen wurde! Melindas Opfer durfte nicht umsonst sein!   Selbstbewusst griff Henry nach seinem Deck und rief: „Draw!“ Die Karte kurz betrachtend, legte er sie sofort auf seine Duel Disk. „Das ist es! Ich beschwöre [Marauding Captain]! Und wenn der als Normalbeschwörung gerufen wird, beschwört er ein weiteres Monster mit maximal Stufe 4 von meinem Blatt! Erscheine, [Grass Phantom]!“ Kaum hatte Henry die Namen seiner Monster genannt, erschienen diese vor ihm. Es waren ein strohblonder Krieger, welcher zwei Schwerter schwang und eine Kohlblume, aus deren Maul Tentakel quollen.   Marauding Captain [ATK/1200 DEF/400 (3)] Grass Phantom [ATK/1000 DEF/1000 (3)]   „Jetzt!“, tönte Henry erhaben und nahm die beiden Monster von der Duel Disk, hielt sie in die Höhe. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen zwei Stufe 3-Monstern wird ein Rang 3-Monster!“ Seine Monster verwandelten sich in einen braunen und einen blauen Lichtstrahl, als sich mitten im Spielfeld abermals das schwarze Loch auftat und sie einsog. „Land und Meer, Erde und Wasser, werdet eins! Steh mir bei, [Circulating Flow – The Gaia Cleaver]!“ Aus dem Wirbel erhob sich eine massive Kreatur. Der Körperbau glich dem eines Menschen, doch war dieser Titan ganz aus Gestein gemacht. Überall durchzogen kleine Flüsse seinen Körper. Bewaffnet war der Gigant mit einer mächtigen Axt. Doch die zwei Lichtsphären, die um ihn kreisten, gaben plötzlich elektrische Stöße ab, sodass der Riese sich zusammenrollte und kurzerhand zu einer Kugel wurde – einem Planeten. „Gaia Cleavers Angriffskraft sinkt um den Betrag der Angriffskraft seines Xyz-Materials“, erklärte Henry dazu.   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/3500 → 1300 DEF/2000 {3}]   Als Isfanel das Monster genauer betrachtete, begann er hysterisch zu lachen. „Damit willst du mich besiegen!? Narr! Niemand kann mich besiegen! Niemand! Eden wird mich nie besiegen! Nie, nie, nie, nie, nie, nie!“ „W-was!?“ „Er verliert langsam den Verstand.“ Henry sah herüber zum Sammler, der den Dämon forschend betrachtete. „W-wieso?“ „Isfanel ist von Hause aus ein instabiles Wesen. Dadurch, dass er in der letzten Zeit permanent schwere Kämpfe ausgetragen hat und verwundet wurde, bricht sein Bewusstsein langsam auseinander. Melindas Taten haben es besiegelt, spätestens jetzt in diesem Duell. Womöglich weiß er nicht einmal mehr, wer er ist.“ „Nie, nie, nie, nie! Ahahahahaha!“ „Dann ist das unsere Chance!“, entschied Henry selbstbewusst und griff nach dem Xyz-Monster auf seiner Duel Disk, zog [Marauding Captain] darunter hervor. „Ich entferne ein Xyz-Material von Gaia Cleaver, um seinen Effekt zu aktivieren!“ „Effekt!?“, wiederholte Isfanel amüsiert. „Besitzt diese Missgeburt so etwas, Benjamin Henry Ford? Ahahaha!“ „Ja! Wenn du mindestens vier Karten kontrollierst, kann Gaia Cleaver eine davon zerstören!“ Henry zeigte mit dem Finger auf die gesetzte Karte. „Und meine Wahl fällt auf sie!“ Der Planet brach auseinander und formte wieder den Riesen, welcher mit seiner Axt eine der Sphären absorbierte und jene Waffe dann auf Isfanels Falle warf. „Köstlich!“, schrie der manisch, als sein [Dimensional Prison] in tausend Stücke zersprang. Henry sah das ähnlich. „Und da Gaia Cleaver nun nur noch ein Xyz-Material besitzt, erhöht sich seine Angriffskraft wieder!“   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/1300 → 2500 DEF/2000 {3}]   „Jetzt ist es stärker als meine Monster“, stellte Isfanel mit geweiteten Augen fest. Und begann wieder hysterisch zu lachen. „Und wenn schon! Ich werde nicht besiegt werden! Nie! Nie, nie, nie, nie!“ Henry runzelte verärgert die Stirn. Langsam ging dieser Bastard ihm auf die Nerven mit seiner verrückten Art. Der alte Isfanel war zumindest noch ruhig geblieben, wenn auch nicht weniger übermütig. Aber das hier würde ohnehin jeden Augenblick enden! „Ich aktiviere jetzt meine letzten beiden Handkarten! Die erste nennt sich [Nitro Unit] und wird an eines deiner Monster ausgerüstet! Wenn dieses dann durch Kampf zerstört wird, erhältst du Schaden in Höhe seiner Angriffskraft!“ Erschrocken schrie der Priester Musto auf, als um seinen Körper plötzlich ein Gürtel erschien, an dem eine riesige Bombe angebracht war. Diese bestand aus einem Zündmechanismus und einer grünen Gasflasche. „Und wenn schon! Das reicht nicht!“, widersprach Isfanel. „Ich werde dich besiegen, wart nur ab! Wie ich Anya Bauer und ihren Freund besiegt habe! Du wirst sterben, genau wie sie! Ahahahaha!“ „Was-! Aber er-!“ Der Sammler räusperte sich. „Ich sagte doch, er verliert den Verstand. Auch seine Erinnerungen sind davon betroffen.“ „Wie auch immer“, zischte Henry und legte die zweite Zauberkarte in die Duel Disk ein. „Zeit, den Albtraum zu beenden! [Oni-Gami Combo]! Ich entferne alle Xyz-Materialien von meinem Monster, damit es diese Runde zweimal angreifen kann! Du weißt, was das heißt, Isfanel!“ „Niemals! Ich verliere nie!“, lachte der und schien nicht begriffen zu haben, was genau das bedeutete. Henry schnaubte. „Träum' weiter …“ Auch die zweite Sphäre um [Circulating Flow – The Gaia Cleaver] löste sich auf. Dafür wuchsen ihm nun zwei weitere Arme aus dem felsigen Rücken, einer davon hielt eine Axt in der Hand. „Jetzt, da Gaia Cleaver keine Xyz-Materialien mehr besitzt, ist seine volle Stärke zurückgekehrt!“   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/2500 → 3500 DEF/2000 {3}]   Henry ballte eine Faust. „Warte nur noch einen kurzen Augenblick, Melinda! Gleich ist es vorbei!“ „Vorbei, vorbei, vorbei! Dass ich nicht lache!“ Der junge Mann streckte den Arm aus und öffnete die Hand dabei. „Gaia Flow! Greife Caam an! Earth Glaive!“ Der Riese stampfte mit dem Fuß in der Luft auf, da er direkt über dem Fäkalienfluss schwebte. Dennoch erbebte ihr Umfeld, aus den Wänden schossen Stalagmiten und Stalaktiten, die alle die junge Zauberin anvisiert hatten. Unter einem Schrei wurde jene aufgespießt.   [Henry: 2200LP / Melinda: 4000LP → 2800LP]   „Nicht genug!“, schrie Isfanel wahnsinnig. „Und jetzt, Gaia Flow, beende es! Greife Musto an! Wrath Of Gaia!“ Der Riese zog es nun vor, selbst zu kämpfen und schoss wie ein Pfeil auf den vergleichsweise mickrigen Priester zu. Dieser hob zum Schutze seinen Zauberstab, doch als der Gigant seine beiden Äxte schwang, zerbrach die Waffe des grünhaarigen Mannes wie ein Zweig unter dem Fuße eines Dinosauriers. In einem Schrei ging er unter.   [Henry: 2200LP / Melinda: 2800LP → 1700LP]   „Immer noch nicht genug!“ Isfanel grinste hämisch. „Zu schwach! Du bist einfach zu schwach!“ Henry schloss die Augen. „Und du hörst offenbar nicht mehr zu.“ „Was sagst du!?“ „Hör doch hin.“ Ein Ticken ertönte. Irritiert davon suchte der Dämon nach dem Ursprung, bis er schließlich auf den Boden vor sich blickte. Dort lag der Sprengsatz, welcher vorher an Musto angebracht worden war. Der Zeiger des Auslösers war nur noch zwei Sekunden von Punkt 12 entfernt. Gas strömte aus der Flasche aus. Dann explodierte das Gebilde, die ganze Brücke wurde erfasst. Isfanels panischer Schrei ging darin hoffnungslos unter.   [Henry: 2200LP / Melinda: 1700LP → 0LP]   Plötzlich hörte Henry etwas zersplittern, ein Licht blendete ihn. Auch der Klang von dutzenden Glocken ertönte in seinem Ohr, es war ohrenbetäubend. Dazu spürte er noch ein Kribbeln auf der Haut, das von seinem verblassten Mal ausging. Ehe er jedoch darüber nachdenken konnte, war alles wieder vorbei. Er öffnete die Augen und sah, wie die Rauchwolke um Isfanels Spielfeld sich langsam verzog. „Das war leichter als erwartet“, stellte Henry dabei trocken fest. Doch wer weiß, wie es gelaufen wäre, hätte Melinda nicht eingegriffen? Zumindest seine Rache war damit vollzogen. Auch wenn diese ihn nicht befriedigte, hauptsächlich, da Isfanel nicht mehr er selbst zu sein schien.   Als der Rauch sich vollends verzogen hatte, war dieser auf die Knie gefallen und senkte sein Haupt. Dabei hielt er sich die Stirn und kicherte. „Ich habe nicht verloren, nein! Ich verliere nie! Nie! Das ist nicht geschehen!“ „Bereite diesem Trauerspiel ein Ende“, wies Henry den Sammler an. Er konnte das nicht länger mit ansehen, wie dieses Wesen den Körper seiner Schwester entehrte. So wollte er Melinda nicht sehen! „Wie du wünscht.“ Der Sammler brauchte nur einmal mit dem Finger zu schnippen, da kippte die junge Frau schon bewusstlos nach vorn. „Melinda!“, schrie Henry erschrocken und rannte um die linke Seite des Kanals herüber zu ihrer Brücke, um sie aufzulesen. In seinen Armen schüttelte er sie. „Melinda! Wach auf! Ich bin es, Henry! Er ist weg! Isfanel ist fort!“ Der Sammler trat zu ihnen beiden heran. „Für drei Tage.“ „Warum wacht sie nicht auf!?“, polterte Henry und strich ihr über das erschöpfte, blasse Gesicht. „Sie ist völlig entkräftet. Es wird eine Weile dauern, bis sie wieder zurückfindet.“ Über das Antlitz des Sammlers huschte ein Lächeln. „Wie es aussieht, ist meine Aufgabe hier erledigt.“ Henry seufzte schwer, griff mit einem Arm unter Melindas Beine und las sie auf. In seinen Armen trug er sie fest an sich gepresst und stellte sich dem Collector mit fester Miene gegenüber. „Danke. Ohne dich …“ „Danke mir nicht. Deswegen existiere ich. Und bedenke: alles hat seinen Preis.“ „Ich weiß. Und ich bin bereit, ihn zu zahlen.“ „Sehr gut. Dann lass uns jetzt verhandeln, was deine übrigen Wünsche angeht.“ Henry zog an dem Sammler vorbei. „Ja …“ Jener gluckste daraufhin zufrieden: „Aber an einem gemütlichen Ort! Was bin ich froh, endlich aus dieser menschgemachten Hölle zu entkommen!“ Der Preis, ging es Henry dabei jedoch nur durch den Kopf. Hoffentlich würde er nicht zu hoch sein. Schließlich wollte er die Zukunft gemeinsam mit Melinda und dem Rest seiner Familie, seinen Freunden erleben. Allerdings … hatte sein Plan Priorität.   ~-~-~   „Warum muss es ausgerechnet hier sein!?“, beschwerte sich Anya mit nasaler Stimme. Bewaffnet mit einer Taschenlampe, hielt sie sich mit der freien Hand das Riechorgan zu und durchschritt einen dunklen Gang.   Hör auf dich zu beschweren, Anya Bauer. Dies ist das letzte Elysion, das wir aufsuchen müssen, also halte noch etwas durch.   „Du hast leicht Reden, du riechst ja auch nichts! Ich hasse diese abgefuckte Kanalisation! Elendes Labyrinth! Den Architekten werde ich-!“   Da vorne!   Anya sah auf und bemerkte es ebenfalls. In der Ferne schimmerte etwas Grünliches. Licht! „Nanu!“, näselte sie weiter. „Wo kommt das denn her?“ Womöglich vom Elysion. Es ist gleich dort vorne.   „Endlich!“ Anya rannte durch den Gang, blieb jedoch plötzlich erschrocken stehen. „I-ich glaube-“ Was ist!?   „I-ich glaube ich … bin in Rattenkot getreten! Ahhhh, verdammter Kackmist!“ Sie hüpfte wütend auf der Stelle und versuchte, sich den Schuh an der Wand abzuschmieren, was jedoch nur dürftig funktionierte.   Hör auf mit den Albernheiten und lade die Scherbe auf!   Anya versuchte zu schnauben, was mit zugehaltener Nase jedoch nicht funktionieren wollte. „Ist ja gut!“ Sie nahm die letzten Schritte und trat aus den Gang heraus. Nur um sich in einem von smaragdgrünen Flammen erleuchteten Kanal wiederzufinden, durch dessen Mitte ein Fluss aus Fäkalien schwamm. Zwei Brücken führten jedoch auf die andere Seite. „Wer hat die denn angezündet?“, wunderte sich Anya und betrachtete die Flammen.   Ich würde mich nicht wundern, wenn es die Handschrift des Sammlers wäre. Womöglich hat er sie erschaffen, damit du die Stelle findest. Immerhin war er es, der uns die Fundstelle des letzten Elysions verraten hat.   „Dieser Kerl“, stöhnte Anya und knipste die Taschenlampe aus. Sie ließ den Rucksack von ihren Schultern, verstaute das gute Stück darin und zog stattdessen ein Stück farbloses, spitzes Mosaik aus ihm hervor. „Okay, und wo genau ist das Teil nun!?“   Dort, bei dieser dunklen Stelle.   Die Blondine sah sich einen Moment um, ehe sie es fand. Und erschrak. „W-warte mal! Ist das nicht-!?“   Es ist Blut. Aber ich denke nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Das Elysion ist da. Lade jetzt die Scherbe auf.   „Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert!?“, zischte Anya und stampfte zu der Stelle herüber. Dennoch war ihr mulmig zumute, selbst als die Scherbe anfing, grünes Licht auszustrahlen. Dabei hörte sie wieder klar das Geläute von Glocken. Eden war nahe. Ob das das Blut von der Schwester des Pennerkinds war? Hoffentlich hatte diese nicht den Löffel abgegeben! Denn ohne Minerva konnte … Eden nicht erwachen. „Fertig“, meinte Anya schließlich abwesend, mit der aufgeladenen Scherbe in der Hand. Diese war nun komplett grün, leuchtete von innen. Wieder setzte sie den Rucksack ab und verstaute den Splitter ihres alten Elysions darin.   Sehr gut. Mit den Scherben müssen wir jetzt nur noch zurück in deine Schule. Das sollten wir noch heute tun, je früher desto besser.   Anya trat herüber an den Rand des Kanals. Sie sah herab auf ihr in Grün getauchtes, verzerrtes Spiegelbild und schluckte. Wer einen Pakt brechen wollte, müsste den Tod überleben. Das war, was alle sagten. Wenn sie jetzt also einfach dort reinspringen und … Aber das war unmöglich! Wenn sie tot war, wer würde sie reanimieren!? Außer ihnen war niemand hier! Und außerdem, selbst wenn sie es versuchte, würde Levrier sie aufhalten. Abseits davon … fehlte ihr der Mut, so etwas zu tun. Sie biss die Zähne zusammen. Das war nicht fair! Wieso-! Tief durchatmend, versuchte sie die Fassung zu wahren. „'kay. Lass uns gehen.“ Und wandte sich damit vom Kanal ab. War vielleicht auch besser so, dachte sie sich dabei. Eine Anya Bauer ertrank nicht in einem Fluss voller Scheiße …   ~-~-~   Immerhin mussten sie dieses Mal nicht einbrechen, dachte Anya grimmig, als sie die Türen der Aula öffnete. Es waren trotz der vorangeschrittenen Uhrzeit noch ein paar Lehrer und Schüler im Haus, sodass jenes frei betretbar war. Die Baustelle hatte sich praktisch nicht verändert, als das Mädchen eintrat. Es standen noch immer keine Stühle in der Aula, das Loch in der Decke war auch noch nicht geflickt. „Wenn die wüssten“, brummte das Mädchen grimmig und schritt durch den Saal. Bald würde der Turm von Neo Babylon alles in Schutt und Asche legen. Und sie würde alles mit Kamera aufnehmen, so viel stand fest! Die Youtube-Klicks würden explodieren! Damit konnte sie zumindest posthum noch zum Internetstar avancieren. Immerhin etwas, dachte sie frustriert.   Ich frage mich, was passieren wird, wenn alle Scherben versammelt sind.   Genervt seufzend setzte Anya den Rucksack ab und holte die fünf Splitter heraus. Sie waren alle so groß wie die Fangzähne eines Raubtiers. Rot, grün, blau, gelb und violett. Marc, Melinda, Valerie, Alastair und Matt. … es waren nur Namen. „Man, da platzt einem ja fast das Trommelfell!“, beschwerte sie Anya, als sie näher an die Stelle heran trat, an der sich ihr altes Elysion befand.   Das liegt daran, dass genau hier der Turm erscheinen soll, vermute ich. Da dies die Glocken Neo Babylons sind, ist es nicht weiter verwunderlich, dass man sie von hier am deutlichsten hört.   „Wenn das so ist, würde es mich nicht wundern, wenn Eden taub ist!“ Mit grimmiger Visage stellte sich Anya direkt dorthin, wo sie sich einst gegen Alastair duelliert hatte. Dorthin, wo sie ihren Untergang eigenhändig besiegelt hatte. „Ah!“ Die Scherben begannen zu strahlen und flogen ihr aus der Hand – und lösten sich in weißem Licht auf!   Ich sehe es! Das Elysion, es wird neu zusammen gesetzt! Ah!   „Was ist!?“   Es … es ist verschwunden! In die Dunkelheit!   Anya blinzelte irritiert. „Was heißt das jetzt?“   Dass wir warten müssen. Bis der Turm erscheint. Anya Bauer, ich danke dir. Damit sind die letzten Vorkehrungen getroffen. Nun heißt es warten. Alles hängt jetzt davon ab, ob deine Freunde-   Doch das Mädchen hatte sich unter einem lauten Zischen umgedreht. „Ich weiß! Und damit das klar ist: die sind nicht meine Freunde! Wenn sie so dumm sind und kommen ist das ihr Pech!“ Und sie würden kommen, da war sich Anya sicher, als sie ihren Rucksack auflas und durch den Saal rannte. Dafür würde Matt sorgen, denn wenn er sich wirklich Mühe gab, konnte er sogar recht überzeugend sein. Was nur gut für sie war …     Turn 29 – Rivals Nun, da die letzten Vorbereitungen für Edens Erwachen getroffen sind, verbringt Anya die letzten beiden Tage, die ihr noch bleiben, zuhause, da sie noch einige persönliche Vorbereitungen zu treffen hat. Am Abend des 10. Novembers wird sie schließlich von Abby und Nick überrascht, die sie durch eine „Alles wird gut“-Party aufheitern wollen. Doch unerwartet taucht Valerie auf, was zu einer Auseinandersetzung führt, die letztlich in einem ganz besonderen Duell mündet … Kapitel 29: Turn 29 - Rivals ---------------------------- Turn 29 – Rivals     09. November   Hey Mum, hey Dad,   wenn ihr diese Zeilen lest, bin ich bereits weit weg. Hab es nicht mehr ausgehalten in dieser langweiligen Stadt, wisst ihr? Keine Ahnung, wohin es mich führt, aber es wird sicher spannend werden. Wartet nicht auf mich. Ich werde nicht zurückkommen. Will mein eigenes Leben leben, ohne immer unter Beobachtung zu stehen. Einfach neu anfangen, in einer Stadt, in der mich niemand kennt. Macht euch keine Sorgen, ich werde auch ohne euch klarkommen.   Lebt wohl,   Anya PS: Dad, du Mistkerl, ich habe dir jetzt verziehen! Sei nett zu Mum, solange ich weg bin!     Bittere Tränen rannen über Anyas Wangen, als sie den Stift weglegte und sich den Brief noch einmal durchlas. Selbst ordentlich hatte sie die Worte geschrieben, nicht geschmiert, das Papier war sauber wie eine Jeans nach der Wäsche. Es war ihr Abschiedsbrief und der hatte perfekt zu sein! Sich das Nass aus den Augen wischend, nahm sie den Brief, faltete ihn mit größter Sorgfalt und schob ihn in einen Umschlag, der neben dem Stift auf ihrem Schreibtisch lag.   Anya Bauer. Es tut mir leid, dass du das durchmachen musst …   „Halt die Klappe, Levrier!“, zischte Anya und legte den Brief in ein Schubfach neben sich. Wenn -der- Tag gekommen war, würde sie ihn herausholen und auf das Bett ihrer Mutter legen. Sie konnte sich die Reaktion regelrecht vorstellen. Ihre Mum würde den Brief gar nicht ernst nehmen und erwarten, dass Anya aufgrund mangelnder Vorbereitung noch am Abend wiederkommen würde. So war es immer gewesen, wenn sie abgehauen war. Nur, dass es dieses Mal nicht so laufen würde. Doch Anya konnte ihren Eltern nicht die Wahrheit sagen. Dass sie vom Antlitz dieser Welt verschwinden würde. Der Brief würde ihnen die vage Hoffnung geben, dass sie eines Tages wiederkam. So würden sie leichter mit dem Verlust umgehen können.   Warum hast du ihn auf den heutigen Tag adressiert?   „Keine Ahnung“, antwortete Anya und schluckte den Schmerz herunter. Sie hatte noch einiges vor, da durfte sie jetzt nicht heulen wie ein kleines Baby, dem man den Schnuller gemopst hatte. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und atmete tief durch. „Auf geht’s! Ich hab keine Zeit zu verlieren!“   ~-~-~   Sie flog, als sie das erste Mal beim Bungie Jumping mitmachte. Sie nahm die wildeste Achterbahn aller Zeiten. Sie gönnte sich das teuerste Eis im Café „Bikini Fruit“. Sie schaute sich den neuesten Horror-Film in 3D an und schmiss das halbe Publikum aus dem Saal. Sie suchte sich die schönsten Nägel vom Schrottplatz, um Barbie für den Abschied zurecht zu machen. Und als die Nacht kam, schlief sie nicht, sondern zockte den neuesten Teil der „Finite Fantasia“-Reihe auf ihrer Videospielkonsole durch, in einem Rutsch. Am nächsten Tag stattete sie dem widerlichsten Schläger ihrer Schule einen Besuch ab und erteilte ihm eine Lektion, die er nie mehr vergessen würde. Sie räumte sogar ihr Zimmer auf. Sie half einer Nachbarin dabei, ein paar Einkäufe zu erledigen. Sie lehrte ein paar Knirpsen, wie man richtig Duel Monsters spielte. Und als das Abendrot am Firmament stand, wusste sie, dass man sie in ein paar Jahren vergessen haben würde.   ~-~-~   Es klingelte, als Anya müde auf ihrem Bett lag. Da ihre Mutter noch nicht zuhause war, quälte sie sich vom Bett auf, rannte die Treppen polternd hinab zur Haustür und öffnete jene mit einem Ruck. „Ich kaufe nichts von Penn-“ Sie blinzelte verdutzt. „Hi, Anya“, strahlte Abby ihr entgegen. Nick stand hinter ihr und grinste dämlich. „Hi, Anya-Muffin!“ Die Blondine wusste nicht, was sie sagen wollte. Die letzten beiden Tage über war sie ihren Freunden bewusst aus dem Weg gegangen. Und das, obwohl sie all die Erlebnisse der vergangenen Stunden am liebsten mit ihnen zusammen erlebt hätte … „Was wollt ihr?“, fragte sie abweisend. „Ich bin beschäftigt.“ Abby seufzte genervt. „Schon klar, lügen konntest du noch nie gut! Da morgen der große Tag ist, an dem du Eden zurück in den Garten schickst, dachten wir, dass wir eine Party feiern wollen.“ „Eine Party?“, wiederholte Anya die Worte ungläubig. Das Hippiemädchen strahlte über beide Backen. „Aber sicher! Eine „Alles wird gut“-Party!“ „Wir haben sogar Wein mitgebracht“, gluckste Nick und hielt Anya eine Flasche Sekt entgegen, wobei sein Arm bandagiert war. Die war sprachlos, starrte nur von einem zum anderen. Eine „Alles wird gut“-Party? So etwas Dämliches konnte sich auch nur Abby ausdenken. „Sehe ich so aus, als wäre ich in Partylaune?“, tönte Anya missmutig und war schon im Begriff, die Tür zuzuschlagen, als ihre Freunde sich eilig an ihr vorbeizwängten. Dabei rief Abby gut gelaunt: „Natürlich nicht! Aber das werden wir ändern!“   Kurz darauf fanden die Drei sich auf dem Boden hockend in Anyas Zimmer wieder. Abby kramte aus ihrem Rucksack ein paar Knabbereien heraus. „Wir haben für alles vorgesorgt.“ „Jap, wir haben sogar ein paar CDs gekauft“, gluckste Nick und nahm Abby jene ab, hielt sie Anya direkt vor das Gesicht. „Finnischer Death Metal!“ „Schön und gut, aber ich sagte doch, ich bin nicht-!“ „Auch nicht, wenn wir uns hiermit vergnügen?“, fragte Abby und holte ein Videospiel hervor. „Todeszombies VS Killercops Teil V! Den wolltest du doch unbedingt mal antesten.“ Anya betrachtete die Packung überrascht. „S-schon-!“ „Und wenn uns das zu langweilig wird, spielen wir einfach hiermit!“ Nick fasste sich in den Schritt. Doch als er finstere Blicke von den beiden Mädchen erntete, zog er schnell sein Deck aus der Hosentasche. „Ich meine hiermit.“ „Duel Monsters? Keine Lust …“ Abby seufzte daraufhin und schnappte sich die Sektflasche, die in der Mitte des Sitzkreises stand. „Okay, sie scheint immer noch nicht zu kooperieren. Nick, du hältst sie fest, während ich ihr das Zeug einflöße!“ „W-was!?“ „Okay!“ Schon krabbelte der junge Mann hinter Anya und packte sie unter den Achseln. „Immer schön das Mäulchen auf!“ „Lass mich los, du Vollhorst!“ Allerdings stellte sich Abby derweil ungeschickt mit dem Öffnen der Flasche an und verzweifelte regelrecht daran. „Hast du 'nen Flaschenöffner, Anya?“ „Gib her!“, zischte die, gab Nick mit einem Ruck nach hinten eine Kopfnuss und befreite sich so aus dessen nicht ganz so eisernem Griff. Sie riss Abby die Flasche aus der Hand und biss auf den Korken. Dabei nuschelte sie: „So geht das!“, ehe sie diesen nur mit den Zähnen aus der Flasche zog. Ehe sie aber nur einen Schluck daraus nehmen konnte, wurde ihr der Sekt von Nick geklaut. „Ich bin Vorkoster!“ „Bist du nicht! Wenn das schon meine Party ist, dann gebührt mir der erste Schluck, Harper!“, ließ Anya sich das nicht gefallen und sprang ebenfalls auf. Die beiden rannten laut brüllend um Abby im Kreis. Diese lachte vergnügt. Anya konnte sich noch so desinteressiert stellen, in Wirklichkeit freute sie sich über die Party.   Und so geschah es, dass der letzte Abend vor dem großen Tag zu einer wilden Feier verkam. Die Drei lieferten sich eine Essensschlacht mit den Knabbereien, in der Nick vorzeitig ausschied, weil Anya ihm das Zeug solange in den Mund stopfte, bis ihm schon fast die Backen platzten. Auch eine Runde Wahrheit oder Pflicht durfte nicht fehlen, die jedoch schnell abgebrochen wurde, weil Nicks Ideen zum Thema Pflicht nicht auf den erhofften Anklang bei seinen weiblichen Mitspielern traf. Damit Abby das Geld für das Videospiel nicht umsonst ausgegeben hatte, zockten sie zu dritt den Co-Op Modus und schlugen sich eher mäßig, da besonders das Hippiemädchen aufgrund mangelnder Erfahrung keine große Hilfe war. Und weil Nick kurzerhand die Seiten wechselte und für die Zombies zu kämpfen begann. Natürlich durfte auch eine Partie Duel Monsters nicht fehlen, in der sie in einem Battle Royale gegeneinander antraten. Dabei schenkte keiner dem anderen etwas, selbst Nick spielte für seine Verhältnisse erstaunlich gut. Am Ende konnte Abby ihre Gegner gegeneinander ausspielen und sich somit den Sieg sichern. Und ein Kissen an den Kopf, da Anya keine gute Verliererin war. Dies war dann auch der Anlass für eine Kissenschlacht, die sich durch das ganze Haus zog. Selbst vor dem Zimmer ihrer Mutter machte Anya nicht halt, da sie noch Munition für ihren vierfachen Todeswurf brauchte. Und gerade als sie diesen im Wohnzimmer gegen Nick einsetzen wollte, welcher sich heldenhaft vor Abby stellte, klingelte es an der Tür.   Verdutzt ließ Anya die Kissen fallen. „Wer will denn so spät noch nerven?“ „Vielleicht ist es deine Mutter“, meinte Abby, die knallrot vor Erschöpfung im Gesicht war und trat näher an das Fenster heran. „Quatsch, die hat doch vorhin schon angerufen und gesagt, dass es heute sehr spät wird, da sie im Büro viel zu tun hat“, erwiderte Anya und stellte sich neben ihre Freundin. Draußen war es schon dunkel, die Laternen beleuchteten die Straße und den zum Teil versengten Garten der Familie Bauer bereits seit über einer Stunde. Allerdings sahen die beiden nicht, wer da klingelte, vermutlich stand der Gast schon direkt vor der Tür. Zerknirscht zischte Anya, als es wieder durch das Haus schrillte: „Ist ja gut, ich geh ja!“ Wütend stampfte sie durch den Flur zur Haustür, die sie mit folgenden Worten aufriss: „Ich kaufe nichts von Pennern! Schon gar nicht um diese Uhrzeit!“ „Dann habe ich wohl Glück, dass mein Vater als Bürgermeister gutes Geld verdient, was?“, erwiderte Valerie spitz und funkelte die daraufhin verdutzte Anya finster an. „Wir müssen reden!“ „Sehe ich so aus, als ob ich mit dir reden will?“, erwiderte die Blondine garstig. „Kann das nicht bis morgen warten, wenn wir mit dieser Edenkacke durch sind?“ „Genau darum geht es“, kam ihr das Mädchen kalt zuvor und ließ sich ohne zu fragen Einlass.   Ruhigen Schrittes trat sie in das Haus der Familie Bauer ein und war überrascht, als Abby und Nick auf sie zu traten. Erstere sprach überrascht: „Oh, Valerie! Guten Abend!“ „Guten Abend, Abigail.“ Das Mädchen, welches ihr schwarzes Haar zu zwei langen Pferdeschwänzen gebunden hatte und eine pinke Strickjacke über ihrer weißen Bluse trug, verschränkte die Arme. „Ich mache es kurz: ich werde morgen nicht kommen. Und Marc auch nicht.“ Als Reaktionen erntete sie erschrockene Seufzer. „V-Valerie-!“ Ehe Abby den Satz beenden konnte, packte Anya ihre ewige Rivalin am Arm. „Sag das nochmal, Redfield!“ „Du hast mich schon beim ersten Mal verstanden“, riss diese sich los und funkelte Anya dabei regelrecht an. „Ich werde dir nicht helfen!“ „Und warum!? Ich hab dir nichts getan!“ Kleinlaut fügte die Blondine hinzu: „Jedenfalls nicht in letzter Zeit …“ „Du weißt genau, was du getan hast!“, erwiderte nun auch Valerie mit gehobener, aufgebrachter Stimme. „Du hast meinen Freund beinahe getötet! Denkst du, das habe ich dir verziehen!?“ „Also ist es Rache!?“ Anya schlug mit der Faust gegen die Wand des Flurs. „Sieh an! Auch die edle Redfield kann also ein Miststück sein, wenn sie richtig wütend ist! Da krieg' ich glatt Lust, dir ein Umstyling im Anyastil zu verpassen, du dämliche-“ Valerie schüttelte jedoch den Kopf und fand zu ihrem distanzierten Tonfall zurück. „Wäre ich auf Rache aus, hätte ich diese schon vor Tagen genommen …“   Ehe Anya darauf reagieren konnte, schritt Abby schlichtend zwischen die beiden und sprach beruhigend auf die schwarzhaarige, junge Frau ein. „Bitte Valerie, denk darüber nach, was du da sagst. Wenn du und Marc nicht da sind, dann wird Anya …“ „Ich weiß. Aber das ist nicht zu ändern. Anya scheut ja auch nicht davor zurück, uns über die Klinge springen zu lassen.“ Entsetzt sah Abby das Mädchen an, in deren rehbraune Augen sich regelrecht Abscheu für die Blondine widerspiegelte. „Ist dir ein Flugzeug auf den Kopf gefallen, oder was redest du da für einen Bullshit!?“, fauchte Anya und wollte an Abby vorbei, um ihrer Erzrivalin einen Fausthieb zu verpassen. Nur Nicks Einschreiten war es zu verdanken, dass es nicht dazu kam. „Lass mich los, Harper! Ich werde dieses Püppchen zu Brei verarbeiten!“, keifte Anya im festen Griff des hochgewachsenen Kerls, strampelte vor Wut. Nick presste im Kampf mit der Blondine ächzend hervor: „Rennt weg, lange kann ich den Monstermuffin nicht festhalten! Sie wird uns alle töten!“ „Verdammt richtig, Harper, wenn du mich nicht gleich loslässt!“ „Das wird sie tatsächlich, morgen“, sprach Valerie ungerührt und sah Anya feindselig an. „Du hast uns angelogen. Im Turm von Neo Babylon wartet kein Herz von Eden, da Eden gar kein Herz besitzt. Es ist ein Tor, kein Lebewesen.“ Anyas Versuche, sich gegen Nicks Griff zu wehren, verebbten. Ihr Mund stand offen, doch kein Laut verließ ihre Lippen, als sie ihre Erzfeindin fassungslos anstarrte. „Das beweist gar nichts!“, war es nun auch Nick, der das Wort ergriff. „Tore können auch Herzen haben und lebendig sein! Wer sagt, dass Eden nicht trotzdem lebendig ist? … ich meine, manchmal laufe ich auch gegen Tore, die sich mir plötzlich in den Weg stellen. Also leben die auch, hehe!“ „Woher willst ausgerechnet du überhaupt wissen, was Eden ist!?“, fand Anya nun ihre Stimme wieder. Sie wurde von Nick losgelassen und lud praktisch schon den Todesblick auf, um Valerie zu vernichten. „Bisher konnte uns niemand sagen, was Eden genau ist! Woher der plötzliche Geistesblitz, Redfield!?“ „Was spielt das für eine Rolle?“, erwiderte die uneinsichtig. „Völlig gleich, was Eden ist, bist es doch du, die uns opfern will! Niemand sonst! Wer einmal zu Mord imstande war, wird es wieder tun!“ „Pah! Du hast deinen Marc doch wieder, wieso also das Theater!?“ „Du verstehst gar nichts, Anya! Ich dachte, du würdest dich ändern, aber-!“   Ein dunkler Schatten sauste urplötzlich über Valerie hinweg. Abby schrie erschrocken auf und stieß gegen Anya, die weniger überrascht auf Nick sah. In dessen ausgebreitete Hände war das schwarze Knäuel gelandet. „Konichi wa!“, flötete es aus seinem Trötenmund. Der Blick der Blondine verfinsterte sich beim Anblick der Kreatur. „Oh Gott, es ist die Pornozwiebel! Was will der denn hier!?“ Orion sah Anya mit seinen großen, weißen, pupillenlosen Augen entrüstet an. „Warum so abweisend, meine süße Tsundere? Hast du mich nicht vermisst?“ „Kein-bisschen!“ „Er war es, der mich über Edens wahre Gestalt aufgeklärt hat“, sagte Valerie daraufhin. „Dank ihm wurde mein Verdacht bestätigt, dass du uns nur opfern willst, um selbst heil aus der Sache herauszukommen, Anya!“ „St-stimmt das, Orion?“, fragte Abby entgeistert und beugte sie herunter zu dem Schattengeist in Nicks Händen. Dieser ließ den überdimensionalen Kopf hängen, der gleichzeitig sein ganzer Körper war. „... ja. Ich will nicht … Ich will nicht, dass Valval-chan geht! Deswegen habe ich ihr gesagt, was Eden ist, auch wenn ich das gar nicht darf!“ „Bei dir hackt's wohl! Alles was ich will, ist Eden in Schutt und Asche zu legen!“, widersprach Anya erzürnt und packte den Geist mit einer Hand am Stummelbein, ließ ihn in gefährlicher Höhe baumeln. „Nimm das sofort zurück, du heuchlerischer Ekelgnom!“ „Das kann ich nicht!“, jammerte Orion kopfüber. „Wenn Valval-sama in den Turm geht, hat -sie- gewonnen!“ Valerie fragte verwundert: „W-wer?“ „Sie! Das Böse in dir!“ „Wovon redest du, Orion!?“, wurde die Schwarzhaarige nun deutlich lauter. „Erklär' dich!“ „Neeeein! Ich habe schon viel zu viel gesagt!“ Der Schattengeist heulte dicke Krokodilstränen, als Anya ihn zu schütteln begann.   Diese wusste gar nicht, ob sie sich zuerst um den Dämon oder ihre Erzrivalin kümmern sollte. Wie war ihr die durchgeknallte Spinnerknolle nur auf die Schliche gekommen!? Wusste sie tatsächlich mehr als sie zugab? Wenn dem so war, musste Anya ihn dazu zwingen, ein bisschen zu singen! Andererseits hatte der Knallkopf dieser Nullnummer Redfield jetzt irgendeinen Floh in den Kopf gesetzt! Und solange das nicht geklärt war, sah es richtig übel aus! Ausgerechnet jetzt, wo der Turm doch jeden Moment erscheinen konnte! Aber eins nach dem anderen, noch konnte sie das alles geradebiegen! Ihr würde schon etwas einfallen!   Mit einem Wutschrei warf Anya den Schattengeist in die Luft, welcher gegen die Decke des Flurs knallte und wieder herabfiel. Mit beiden Händen fing sie ihn an den Wangen auf und begann gleich damit, diese auf ihre Strapazierfähigkeit zu testen. „Du redest jetzt schön Klartext, du fleischgewordener Scheißhaufen!“ Sie zog die Wangen so lang, dass Orion kurz davor stand, in einen Briefkasten umfunktioniert zu werden. Wohlgemerkt einer, der Briefe nur entgegen nahm, aber nie wieder ausspuckte. „Was zur Hölle bringt dich auf die Schnapsidee, Redfield so einen Unsinn zu erzählen!?“ „Iff woffte doff nuf, daff fie-“ „Lass das!“, fauchte Valerie und ging dazwischen, schnappte Anya den Schattengeist aus den Händen. Der rieb sich die schmerzenden Wangen mit seinen Stummelärmchen. Kleine Kullertränchen standen ihm in den Augenwinkeln. „Ich wollte doch nur, dass -sie- nicht gewinnt!“ „Wer!?“, tönten Blondine und Schwarzhaarige gleichzeitig und kreisten Orion ein. „Joan! Sie ist kein Engel!“ „Red' keinen Unsinn, natürlich ist sie das!“, widersprach Valerie sofort aufgebracht. „Ich weiß, dass sie aus dem Himmel verbannt wurde! Also hör auf, dir deswegen Sorgen zu machen!“ „Aber das ist es ja … ich kann dir nicht sagen warum, aber man darf ihr nicht vertrauen! Sie ist böse!“ Was für Anya eine ideale Möglichkeit bot, um sich Valerie vorzunehmen. „Da hörst du es! Kehr erstmal vor deiner eigenen Garage, Redfield!“ Leise murmelte Abby zu Nick: „Es heißt aber Haustür …“ „Joan würde niemals jemandem ein Leid zufügen!“, verteidigte Valerie ihre Paktpartnerin jedoch vehement, breitete weit die Arme aus und ließ Orion dabei fallen. „Sie ist sogar so großherzig, dass sie dir trotz aller Zweifel helfen will!“ „Aber das ist es doch gerade, Val-samachan!“ Der Schattengeist landete auf den Füßen und sah flehend zu seinem Schützling auf. „Das sollte sie nicht! Denk doch nach!“ Doch Valerie presste nur verbittert die Lippen aufeinander. „Orion … das ausgerechnet von dir zu hören! Ich dachte, man kann dir vertrauen!“ „Wenn ihr mir nicht helfen wollt“, murmelte Anya plötzlich und streckte den Arm aus, „dann helfe ich mir eben selbst. Nick! Hol Barbie!“ „Barbie!?“, schoss es aus Abby heraus. Ein dreckiges Grinsen huschte nun über Anyas Gesicht. „Niemand hat gesagt, dass diese komischen Zeugen den Turm bei Bewusstsein betreten müssen!“ „Du willst mit mir kämpfen!? Mit deinem komischen Baseballschläger!?“, schoss es fassungslos aus Valerie, die dann ihre Stirn kraus zog. „Aber stimmt, du hattest ja noch nie Angst vor Gewalt! Wenn du unbedingt willst, nur zu!“ Valerie hob die rechte Hand auf Kopfhöhe. Eine blaue Aura fing an, um sie zu glühen. „Hör auf, Val-Baby!“, schrie Orion mit Trötenmund. „Du darfst die Kräfte … dieses bösen Weibs nicht benutzen! Siehst du nicht, wie sie dich manipuliert!?“ Zornig blickte Valerie auf den Schattengeist herab. „Wenn du auf Anyas Seite bist, dann halt dich da raus, sonst kann ich für nichts garantieren!“ „So willst du kämpfen?“ Anya grinste und hob ebenfalls den Arm, um ihn begann eine braune Aura zu glühen. „Von mir aus! Das wollte ich sowieso schon immer mal machen! Scheiß auf Duelle, jetzt wird mal richtig gerockt! Bereit, Levrier!? … Levrier sagt, ich soll dir in den Arsch treten! … zumindest würde er das, wenn er denn mal etwas sagen würde!“   Bitte hört auf!   Alle Beteiligten des Streits horchten überrascht beim Klang der zarten, weiblichen Stimme auf.   Ich kann nicht zulassen, dass ihr euch um meinetwegen streitet. Wenn ihr die Wahrheit über mich erfahren wollt, dann …   „Joan!“, fand Valerie als Erste ihre Sprache wieder. „Mach dir nichts daraus! Wenn ich Anya jetzt besiege, dann wird alles gut!“   Bitte, Valerie! Deine Zweifel an Anya sind sicherlich berechtigt, doch deswegen darfst du dich nicht an ihr versündigen!   „Das ist meine Entscheidung! Sie hat sich an meinem Verlobten versündigt!“ „Also doch Rache!“, zischte Anya verärgert und erschuf Blitze um ihren Arm. „Fein, Redfield! Komm nur! Und du halt dich da raus, du elende Engelstante!“ Der Schattengeist sprang auf Anyas Schulter. „Ganz genau!“ „Auf wessen Seite bist du eigentlich, Orion?“, schoss es aus Abby heraus. „Anya will Valerie doch weh tun!“ „Waaah, stimmt!“ Leider wurde es nur nichts mit dem Weh tun, denn die Blitze um Anyas Hand lösten sich auf. Diese starrte ihre verkrümmten Finger entsetzt an. „Was!? Wieso ist der Strom weg!? Levrier, tu den Stecker wieder rein!“ „Anya-“, begann Valerie ungehalten, doch wurde unerwartet übertönt.   Es tut mir leid, aber ich kann nicht erlauben, dass ihr jetzt kämpft. Nicht hier.   Anya zuckte beim Klang der ihr bisher unbekannten, glockenhellen Stimme zusammen. Mit einem Schlag ging ein grelles, blaues Licht von den Malen der beiden Furien aus. Es war so intensiv, dass alle Anwesenden geblendet wurden. Die beiden Mädchen selbst schrien erschrocken auf, doch dann verstummten sie schlagartig und es polterte.   ~-~-~   Anya schlug blinzelnd die Augen auf. Dabei brauchte sie auch nicht lange darüber zu grübeln, wo sie sich wiederfinden würde. Sie kannte mittlerweile das Gefühl, -hier- zu sein. Im Elysion. Was das Mädchen jedoch nicht davon abhielt, einen überraschten Laut auszustoßen, als sie letztlich mit der Realität konfrontiert wurde Sie war im Elysion. Aber nicht alleine! Und es war nicht das Elysion, das sie kannte.   Valerie stand auf der anderen Seite. Dem -anderen- Elysion. Irritiert sah die Blondine auf den Boden herab. Sie stand auf dem Mosaik, welches in seiner hauptsächlich blauen Farbe den Erdball bildete. Aber das zuvor kreisrunde Gebilde ging direkt ihr gegenüber in ein anderes Elysion über. Ein anderes Mosaik, das eine goldene Sonne darstellen sollte. Dort, wo beide aufeinander trafen, liefen die im Kontrast stehenden Farben ineinander über.   „Ich glaub's nicht“, brummte Anya verärgert. „Was soll das!? Erst klemmt er mir den Saft ab und jetzt das hier!“ Schlimmer noch, die Pornozwiebel klammerte sich an ihrem Bein wie eine Klette und sah feindselig herüber zur anderen Seite, ohne einen Mucks von sich zu geben. Was hatte die überhaupt hier zu suchen!? Anya war dazu geneigt auszutesten, wie weit die unendliche Schwärze wirklich ging, indem sie Orion 'voraus schickte'. Doch auch wenn sie es niemals laut zugeben würde, erregte sein zitternder Leib, die zusammengepresste Tröte, diese spürbare Angst ihr Mitleid. Was war sein Problem?   „Joan, was geschieht hier?“, fragte Valerie von der anderen Seite verblüfft. „Wieso ist Anya in meinem Elysion?“ Die konnte dies nicht so stehen lassen und wandte sich von Orion ab. „Du meinst wohl -mein- Elysion! Levrier, kick diese Hohlbirne raus, auf der Stelle!“ Und während von Anyas Paktpartner keine Reaktion folgte, entstand rechts neben Valerie ein leuchtender Punkt etwa auf Höhe ihres Herzens, der viele Lichtpartikel aus dem Nichts anzog. Ein helles Flimmern später, stand dort neben ihr die Heilige Johanna. Burschikos mit ihren kurzen Haaren, der Ritterrüstung und den etwas groben Gesichtszügen. Welche tiefes Bedauern zum Ausdruck brachten. „Ich korrigiere mich“, murmelte Anya verloren beim Anblick der beiden Frauen, „kick die Hohlbirne und ihren Zuhälter aus meinem Elysion!“ Kurz darauf schnappte sie: „Was macht ihr beiden Psychopathen überhaupt hier!?“ Und wieso meldete Levrier sich nicht, fügte sie noch nervös im Gedanken hinzu. Der war doch sonst immer hier und drehte Däumchen!   Joan wurde fragend angesehen. Und das nicht nur von Anya. „Sie hat recht. Was, ich wiederhole mich, geschieht hier?“, verlangte Valerie höflich, nichtsdestotrotz mit unterschwelliger Schärfe abermals zu wissen. Darauf erntete sie von ihrer Schutzpatronin einen nachdenklichen Blick und ein Nicken. „Ich habe euch hierher gerufen. Es ist wahr. Keine Menschenseele kann das Elysion eines anderen betreten – doch zwischen ihnen kann eine Verbindung hergestellt werden. Dies habe ich veranlasst, denn es ist an der Zeit, mein Geheimnis zu lüften.“ Valerie kniff daraufhin die Augen zusammen. Ihr war jetzt nicht danach, in anderer Leute schmutziger Wäsche zu wühlen. Natürlich war da die Neugier, endlich die Wahrheit hinter Joans 'Sünde' zu erfahren. Sofern es das war, worüber sie reden wollte. Doch warum jetzt? „Was hat das mit meinem Konflikt mit Anya zu tun?“ Joan seufzte. „Oberflächlich betrachtet nichts. Jedoch ist sie … war sie mein Ziel.“ „Ziel!?“, schoss es aus der Blondine. „Willst du mir ans Leder, Miststück!? Komm nur rüber!“ Doch Joan schenkte ihr keine Beachtung, als jene die Fäuste hob, um zu anzudeuten, wie geschickt sie sich im Boxkampf anstellen konnte.   „Sie war mein Ziel“, begann Joan schwermütig zu erklären, „um zurück in den Himmel zu gelangen. Um von Gott meine Gnade zurückzuerhalten, meine wahre Kraft. Und erreichen wollte ich das durch dich, Valerie.“ Die erwiderte überrascht: „Warum ich? Heißt das … ich soll sie für dich töten?“ Etwas ruhiger, gar abgebrüht fügte sie hinzu: „Dann weiß ich nicht, was dein Problem ist! Genau das will ich doch!“ Es erstmals so deutlich aus dem Mund ihrer Erzrivalin gehört zu haben, traf Anya indes härter als sie es sich jemals auszumalen gewagt hätte. Die Friedenstaube Redfield wollte …? Während das andere Mädchen verstummt war, packte Valerie ihre Patronin am Arm, welcher durch das engmaschige Kettenhemd unter ihrer Rüstung verdeckt war. „Das ist doch gut, oder nicht!?“ „Nein“, schüttelte Joan den Kopf, „das ist alles andere als gut.“ Valerie verstand nicht. „Aber du hast doch eben gesagt-“ „Valerie. Sollte ein Kind Gottes einem anderen jemals mutwillig Leid zufügen?“ „N-nein! Aber genau das will sie doch! Sie will die anderen opfern! Orion hat recht!“ „Selbst wenn das wahr ist, spreche ich nicht von Anya.“ Joans Augen lagen fest auf dem schwarzhaarigen Mädchen. Enttäuschung lag in den folgenden Worten. „Ich spreche von dir.“ Vor Schreck schnappte Valerie nach Luft. „Von mir!? W-was ist daran verwerflich-!“ „Du kennst die Antwort bereits.“ Nun legte die Ritterin ihre beiden Hände auf die Schultern des Mädchens. „Was du damit beabsichtigst ist lobenswert. Aber das ist nur eine Ausrede. Die Worte des kleinen Dämons haben nur entfacht, was in dir geschlummert hat. Jeder Mensch trägt Dunkles in seinem Herzen. Aber seine Worte haben es erweckt, haben dich vergiftet. Deinen Wunsch nach Rache wieder angestachelt.“ Sofort riss Valerie sich los, betrachtete ihre Beschützerin in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Trotz. „Das stimmt nicht!“ „Du warst einst ein reines Kind.“ Joan wandte sich von ihr ab, sah auf die goldene Sonne die unter ihnen strahlte. „Bis ich kam und dich ungewollt in die Dunkelheit gezogen habe.“ „Joan-“ Doch ehe Valerie etwas darauf erwidern konnte, hob die Ritterin die Hand. „Lass mich dir nun erklären, warum wir uns begegnet sind.“   Sie sah plötzlich auf, in Anyas Richtung. „Auch du sollst es hören. Ihr beide sollt meine Richter sein. Auch wenn das Urteil bereits in dem Moment gefallen sein wird, in dem ich mich offenbare.“ Anya, die im Gedanken noch an Valeries Worten hing, nickte nur knapp. Die Ritterin trat einen Schritt vor. „Ich, Jeanne D'Arc, bin ein gefallener Engel. Denn ich habe gesündigt, indem ich mich in einen Dämonen verliebt habe. Und auf sein Verlangen hin den Erzengel Gabriel … getötet habe.“ Unangenehmes Schweigen legte sich wie ein Umhang um das neue Elysion, das von grenzenloser Dunkelheit umgeben war. Zumindest, bis Joan plötzlich aufschrie. „Was ist!?“, stieß Valerie hervor und eilte der Ritterin herbei, welche sich krümmte und dabei den linken Oberarm hielt. „Mir geht es gut“, antwortete Joan und straffte sich wieder. Doch ihr Anblick strafte ihrer Worte Lügen, war sie mit einem Male kreidebleich im Gesicht. „Sorge dich nicht um mich.“ „Und was hat das mit mir zu tun!?“, platzte es schließlich aus Anya heraus. Die zeigte mit dem Finger auf Valerie. „Mir ist wurscht, mit wem du gepimpert hast! Wieso soll Redfield mich töten, was hast du davon, heh?“ Joan sah die Schwarzhaarige traurig an. „Ich habe so lange nach einem reinen Herzen gesucht. Dann warst du da, Valerie. Im Kampf gegen -seine- Abkömmlinge. Und in dem Moment entschied ich, dich zu beschützen. Auf dass du Gabriels Platz nach deinem Tode einnehmen würdest.“   Valeries Mund stand offen, als sie das vernahm. „Du … ich … ?“ „Ich wollte dich auf den Weg eines Engels führen. Doch wohin ich dich führte, war nur Finsternis“, gestand Joan. „Du solltest sie kennenlernen, diese Finsternis. Sie in den Dämonen sehen. Ihre Denkweise verstehen. Der Sammler war ideal, dir zu zeigen, wie gnadenlos sie sind. Aber er war die falsche Wahl. Denn du hast dich ihm verkauft …“ „Ich“, zögerte Valerie überrumpelt, „kann also kein Engel mehr werden?“ Joan schüttelte betrübt den Kopf. „Nein.“ Plötzlich brach es ungestüm aus dem Mädchen heraus. „Und wann wolltest du mir das alles sagen!? Wenn es zu spät ist!? War ich also nichts weiter für dich, als ein Mittel zum Zweck!?“ Betreten wich Joan ihrem Blick aus. „Du selbst hättest entschieden, ob du ein Engel wirst oder nicht.“ „Warum warst du nicht von Anfang an ehrlich mit mir?“, fragte Valerie weinerlich, Tränen der Enttäuschung standen in ihren Augen. „I-ich weiß zu schätzen, dass du in mir dieses Potential sie-“ Ein spitzer Schrei entglitt ihr, sie deutete auf Joan. Oder besser gesagt, deren Hals. „Deswegen“, entgegnete ihr jene und fasste sich auf die Stelle, von der sich in Schwarz eine seltsame Markierung auszubreiten begann. Es waren pfeilartige Gebilde, die gewundenen Linien folgten. Wie Schlangen krochen sie langsam an ihrem Hals hinauf. „Der Moment, in dem ich dir die Wahrheit sage, wird der Moment sein, in dem ich endgültig falle. Erinnerst du dich?“ „J-ja.“ „Gefallene Engel sind Dämonen, Valerie. Aber bei mir ist es etwas anderes“, sprach Joan und sah ihren Schützling in die Augen. „Ich werde sterben, denn Gabriels Blut, das Blut eines Engels, klebt an meinen Händen. Das ist Gottes Wille.“ „Warum hat er dich nicht sofort getötet!?“ Valeries Gedanken überschlugen sich förmlich. „D-du kannst doch jetzt nicht-“ „Es ist seine Strafe. Ich sollte sehen, wie die Welt von Dämonen heimgesucht wird. Unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Jeder Engel hat seine Aufgabe. Er erfüllt sie und kehrt in den Himmel zurück. Doch die Welt sieht anders aus, wenn man den vorgegebenen Weg verlässt.“ Joan senkte ihr Haupt. „Die normalen Engel haben keinen Blick für das Leid. Aber diejenigen, die einst Menschen waren, so wie ich, für die ist es etwas, das man begreifen kann. Und ich musste hunderte von Jahren mit ansehen, wozu Menschen unter dem Einfluss von Dämonen fähig sind.“ „Joan …“ „Valerie, Gott hat mich nicht getötet. Er hat mich gewissermaßen wieder zum Mensch gemacht, damit das Gewicht meiner Schuld auf ewig auf meinen Schultern lastet. Es ist eine schlimmere Strafe als der Tod. Und ich habe sie verdient.“ „Und was geschieht jetzt?“, fragte Valerie ungehalten und packte Joan an den Handgelenken, zerrte an ihr. „Wirst du … wirklich sterben?“ „Ich werde als Dämon wiederkehren.“ Als wäre es, um ihre Aussage zu bekräftigen, schlichen die Schlangenlinien langsam über ihre Wange. „Wie das geschehen wird, ob ich meine Erinnerungen behalte, das weiß ich nicht. Zuerst kommt mein Tod. Deswegen, solange ich noch hier bin … bitte vergib mir.“ „Joan, ich-“ Sanft sah Joan ihren Schützling an. „Und wisse, dass du für mich nie nur ein Mittel zum Zweck warst. Dein Licht hat mir Hoffnung gegeben, mich wieder an das Gute im Menschen glauben lassen.“ „D-dann hilf mir!“, verlange Valerie aufgeregt und zeigte unverblümt auf Anya. „Hilf mir, sie aufzuhalten! Ich verzeihe dir, aber wenn sie-! Wenn Marc-!“ Joan schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht.“ „Bitte!“, flehte Valerie förmlich und zerrte an ihrer Mentorin. „Du wirst bald sterben! Tu wenigstens noch etwas Gutes! Hilf mir, diese Menschen zu beschützen, die Anya auf dem Gewissen haben wird!“   „Ja Joan, tu es“, zischte Anya mit einem Male trotzig, „hilf Daddys Prinzessin ruhig. Mir ist es egal. Engel, Dämonen, dieser ganze Quatsch ist mir egal! Eure Meinung über mich kann ich ja doch nicht ändern!“ „Weil wir recht haben!“, donnerte Valerie. Joan sah sie nachdenklich an. „Bist du dir sicher, dass du das wirklich tun willst? An diesem Ort kannst du niemanden töten, Valerie. Wir könnten sie nur hier einsperren. Der Gründer ist scheinbar geschwächt und wird ihren Körper nicht übernehmen können.“ „Dann ist es doch kein Mord, oder!?“, schloss Valerie daraus engstirnig. „Anya wird einfach nur ins Koma fallen und Edens Erwachen verpassen. Sie hat sich dazu entschieden, das durchzuziehen, uns trifft da keine Schuld.“ „Aber du wärst verantwortlich dafür, dass sie den Zeitpunkt verpasst“, widersprach Joan ruhig. „Damit muss ich leben! Wie du selber sagtest, verdorben bin ich sowieso schon. Hilf mir einfach, okay!?“ Die Augen der Blondine wurden derweil mit einem Schlag schmal wie Rasierklingen. „Sieh an! Du machst tatsächlich ernst! Aber Redfield, willst du mir im Ernst verklickern, dass diese Schnalle da deine Freundin ist!?“ Valerie stellte sich schützend vor Joan, die mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre Handrücken betrachtete, an denen sich ebenfalls die schwarze Markierung ausbreitete. „Sie hat mir das Leben gerettet, uns allen! Und ich glaube an all das, was sie gesagt hat!“ Es klang fast schon verzweifelt aus ihrem Munde. „Weil sie zurück in ihr Engelskaff wollte, du Dummnuss!“, fauchte Anya und schwang wütend den Arm aus. „Pah! Du als neuer Erzengel Gabriel!? Das klingt so dermaßen bescheuert, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder kotzen soll!“ Die Lippen ihrer Rivalin glichen einem Strich, ehe sie tonlos erwiderte: „Angesichts dessen, dass du für mich das Böse in Person bist, klingt es für mich gar nicht so schlecht …“ Woraufhin ihr Gegenüber von der anderen Seite des Elysions hysterisch auflachte. „Was!? Ich und das Böse in Person?“ Anyas Blick verhärtete sich. „Dann hast du noch nie etwas Böses kennengelernt, Redfield …“ Diese hob aber nur ihren Arm, an dem sich ihre meeresblaue Duel Disk materialisierte. „Joan, selbst wenn ich kein Engel mehr werden kann, wäre es meine Pflicht gewesen, die Menschen zu beschützen, nicht wahr? Alle!“ „J-ja“, erwiderte die gequält und sah ihren Schützling ängstlich an. „Auch wenn es Menschen sind, die ich verachte?“ „Jedes Leben ist vor Gottes Augen gleich viel wert.“ Valerie nickte. „Dann hilf mir dabei, Anya aufzuhalten, bevor sie den anderen Schaden zufügt! Bevor sie die schlimmste aller Sünden begeht! Mir ist egal, ob Gott das gutheißt, aber wenn ich mit einer Tat vier Menschen das Leben retten kann, tu ich es!“ Schließlich sagte Joan entschlossen und nahm Haltung an: „Wie du willst. Ein wenig Zeit bleibt mir noch. Wenn es wirklich dein Wunsch ist, das Schlimmste zu verhindern, werde ich dir dabei helfen. Als deine Beschützerin. Denn es wäre vermessen, mich als Engel zu bezeichnen.“ Valeries Augen leuchteten förmlich vor Dankbarkeit. „In Ordnung!“ Damit wandte sie sich mit harter Miene an Anya. „Du hast es gehört.“ „Pah!“, keifte die entgeistert. „Glaubst du den Scheiß, den du da laberst!?“ Anya ballte eine Faust und zeigte demonstrativ mit dem Finger auf Joan. „Aber Luzifers Geliebte hat dir wohl so sehr ins Hirn geschissen, dass es den Geist aufgegeben hat! Wenn du mich fertig machen willst, musst du schon mehr bringen, als dummes Gelabere, Redfield!“   Orion, der die Szene stillschweigend mitverfolgt hatte, sprang plötzlich auf Anyas Schulter. „Runter da, du Mistvieh-“ Doch als das Mädchen den Schattengeist wie ein lästiges Insekt von sich stoßen wollte, hielt sie inne. In den Augen der Pornozwiebel – so Anyas mittlerweile gängige Bezeichnung für Orion – standen einmal mehr kleine Kullertränen. Er erhob den Arm und zeige ebenfalls auf Joan, während sich eine winzige Duel Disk an ihm materialisierte. „Ich sage es nur ungern, aber ich werde dir helfen! Lieber du, als dieses … diese Lügnerin! Sie will Val-chan ins Verderben führen, das weiß ich! Sie tut nur so, als ob sie ihr helfen will! Der große Orion-sama wird verhindern, dass Val-sama auf die Lügnerin hereinfällt! Welcher Engel würde bei so einer ernsten Sache plötzlich nachgeben!?“ Anya zischte genervt und sah davon ab, ihm mit ihrem Handrücken bekannt zu machen. „Tch, von mir aus. Dann mach eben mit. Aber sprich nur, wenn du auch dazu aufgefordert wirst!“   Solange Levrier sich ja offensichtlich woanders vergnügte, brauchte sie Orion als Ersatz. Denn gegen Joan UND Redfield hätte selbst sie gewisse Schwierigkeiten. Erstmals musste sie zugeben, dass Levriers Anwesenheit durchaus auch angenehme Seiten haben konnte – wenn er denn da wäre. Außerdem, wer würde schon die Pornozwiebel bevorzugen, wenn er ein starkes, hübsches, gewieftes, heißes, intelligentes UND erotisches Blondinenduo haben konnte?   „Ihn sollten wir auch erlösen“, meinte Joan mit Blick auf den Schattengeist. „Nein“, erwiderte Valerie bestimmend. „Er ist der Bote des Sammlers. Wenn ich ihm etwas tue, fällt das auf Marc zurück. Also nein! Nur Anya!“ Die konnte sich eine spitze Bemerkung dazu nicht verkneifen. „Die kreisen ja wie Geier um uns …“ Orion schwieg. „Anya“, erwiderte Valerie darauf. „Das hast du dir selbst eingebrockt. Man sollte dir gratulieren, denn du bist die erste Person, die meine Toleranzgrenze gesprengt hat.“ „Spiel dich nicht so auf, Redfield!“ „Das ist nicht allein der Einfluss des Dämons.“ Auch an Joans Arm erschien eine altertümlich anmutende Duel Disk, die einer Mischung aus Handschuh und Schild glich. „Dieses Mädchen ist-“ „Als ob ich das nicht wüsste!“, schnitt Valerie ihrer Patronin ungestüm das Wort ab. Schließlich riefen alle aufgebracht: „Duell!“   [Anya: 4000LP Orion: 4000LP //// Valerie: 4000LP Joan Of Arc: 4000LP]   Da standen sie sich nun gegenüber, auf ihrem jeweiligen Elysion. Sie und Valerie, schon wieder in einem Tag Duell. Anya sah herüber zur Kriegerin. Was sie von der halten sollte, wusste sie nicht. Im Grunde war dieses Mannsweib noch eher auf ihrer Seite, als auf Redfields. Sie wollte diesen Kampf nicht, das konnte man ihr eindeutig ansehen. Und Anya ahnte bereits, dass sie diese Schnalle nicht vernichten durfte – sofern sie das überhaupt konnte. Denn dann würde Valeries Pakt schwinden. Sollte sie demnach das Duell verlieren, fragte Anya sich erschrocken. Niemals! Nicht, wenn Redfield ihr Gegner war! „Ich mache den ersten Zug!“, bestimmte die Blondine kurzerhand. Ihr Arm war der letzte, an dem eine Duel Disk erschien – ihre alte Battle City-Version. Daraufhin zog sie zusammen mit ihrem Startblatt noch eine Karte. Orion auf ihrer Schulter meinte dazu: „Kümmere du dich um Val-chan! Ich nehm' mir das Bügelbrett vor!“ „Du kannst froh sein, wenn ich dir überhaupt etwas von einem der beiden übrig lasse!“ „Nur Gerede“, kommentierte Valerie das unbeeindruckt und machte eine wegwischende Geste. Joan sah sie von der Seite besorgt an. „Aber wir sollten dennoch vorsichtig sein. Beide sind stark, das weißt du.“ „Genau wie wir.“ „Ach ja!?“, tönte Anya. „Das wird sich erst noch zeigen! Ich beschwöre [Gem-Knight Sardonyx] im Angriffsmodus!“ Vor dem Mädchen erhob sich ein kräftig gebauter Ritter in braun-roter Rüstung, der eine Kette schwang, an welcher ein Morgenstern aus rotweißem Sardonyx befestigt war. Hinter dem Krieger tauchte eine gesetzte Karte auf. „Die da verdeckt! Dann mal los, Redfield! Ich warte!“   Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Ganz wie du willst“, erwiderte die unterkühlt und zog. „Ich beschwöre [Gishki Noellia]! Und sie lässt mich bei ihrer Beschwörung die obersten fünf Deckkarten ansehen, um alle Gishki-Karten davon auf den Friedhof und den Rest unter mein Deck zu schicken!“   Gishki Noellia [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   Auf der anderen Seite der ineinander verlaufenden Elysien bezog eine rothaarige Hexe Stellung, die ihren Zauberstab laut gackernd in die Höhe hielt. Der Reihe nach erschienen fünf vergrößerte Karten auf Valeries und Joans Spielfeld, beide Seiten der Karten waren mit Bild und Effekttext bedruckt. Es waren, von links nach rechts, die Zauber [Salvage], [Monster Reborn], dann das Ritualmonster [Gishki Psychelone], danach noch zwei Zauber, [Gishki Aquamirror] und [Mystical Space Typhoon]. Valerie entledigte sich der beiden Ritualkarten aber nicht etwa, sondern zeigte sie vor, als die Hologramme der Karten verschwanden. „Indem ich [Gishki Aquamirror] von meinem Friedhof ins Deck zurücklege, erhalte ich [Gishki Psychelone] zurück auf mein Blatt!“ Dies getan, zückte sie aus ihrer Hand nun eine andere Zauberkarte. „Und nun zeige ich dir die geheime Technik der Gishki, die unter ihnen wegen ihrer Macht verboten wurde! [Forbidden Arts Of The Gishki]!“ Plötzlich stieg violetter Nebel unter Anyas Ritter hervor. Diese erkannte mit erschrockenem Gesichtsausdruck, dass sich um ihr Monster am Boden ein kreisrundes Symbol, ähnlich einer brennenden Sonne gebildet hatte. Unter einem Schrei versank ihr Ritter, als der Boden in jenem Symbol sich in Wasser verwandelte. „Was soll das!?“, fauchte Anya wütend. „Diese Ritualzauberkarte opfert nicht etwa meine Monster, sondern deine. Das kostet dem beschworenen Ritualmonster zwar die Hälfte seiner Angriffskraft, dafür bin ich aber deinen Ritter los“, erklärte Valerie, „und dazu muss ich dich nicht einmal angreifen können. Erscheine, Verräterin deines Stammes! [Gishki Psychelone]!“ Unter schrillem Gelächter tauchte vor Valerie eine fliegende Gestalt auf. Mit einem Unterwasserwesen hatte sie kaum etwas gemein. Pechschwarz war die weibliche Dämonin, deren Schwingen mit Schwimmhäuten ausgestattet waren. Auf ihrem Kopf thronte eine Art Insekt mit Kneifzangen, das scheinbar mit ihr verschmolzen war. Als Anya genauer hinsah, erkannte sie, dass dieses Ritualmonster große Ähnlichkeit mit [Gishki Noellia] besaß – nein, es war besagte Hexe!   Gishki Psychelone [ATK/2150 → 1075 DEF/1650 (4)]   „Pah! Dieses Ding hättest du wirklich nicht auf diese Weise beschwören sollen“, tönte Anya übermütig und zeigte auf die korrumpierte Hexe, die entfernte Ähnlichkeit mit Matts Steelswarm-Monstern aufwies. „Die ist so schon schwach genug! Aber jetzt ist sie gerade mal gut genug, um deine Lebenspunkte zu verteidigen.“ „Hey“, flüsterte Orion Anya ins Ohr, „ihre beiden Monster haben dieselbe Stufe!“ Und da horchte die Blondine auf. Mit den Hexen konnte Redfield spielend leicht ihr Paktmonster beschwören! Und was, wenn sie mittlerweile gelernt hatte, wie man …? „Ich aktiviere den Effekt von Psychelone! Einmal pro Zug benenne ich einen Typen und ein Attribut! Danach wird eine zufällige Karte von deiner Hand gewählt, und wenn beide Angaben stimmen, wird das Monster, sofern es eins ist, ins Deck geschickt!“ „Na dann rate mal schön!“, forderte Anya ihre Erzrivalin heraus. Valerie kniff angespannt die Augen zusammen. „Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass fast alle deine Monster das Attribut Erde besitzen. Vom Typ her sieht das anders aus, aber ich habe da eine Ahnung, was auf deiner Hand lauern könnte.“ „Ich höre!?“ „Hexer.“ Anya verstummte. „W-warum ausgerechnet der!?“ Doch schon breitete Valeries Monster ihre Arme weit aus und schickte violette Wellen über die miteinander verknüpften Elysien. Anya und Orion wurden davon getroffen, über Anya tauchte das Abbild einer ihrer Karten auf. Und als beide Mädchen hinauf sahen, um zu wissen, um welche es sich handelte, lachte Anya schließlich auf. „Hell yeah! [Megamorph]! Das ist 'ne Zauberkarte! Pech gehabt, Redfi-“ „[D. D. Designator]!“ Ihre Gegnerin zeigte ihr die Zauberkarte entgegen. „Huh!?“ „Ich nenne den Namen einer Karte von deinem Blatt und wenn jene sich darunter befindet, wird sie verbannt. Wenn nicht, muss eine zufällig gewählte Karte von meinem Blatt dran glauben. Aber wir beide wissen, dass das nicht geschehen wird – ich deklariere [Megamorph]!“ Der Blondine klappte die Kinnlade hinunter, als allen Spielern ihre vier Handkarten preisgegeben wurden. Und darunter war eben auch ihre mächtige [Megamorph]-Ausrüstungszauberkarte, die Anya nun zähneknirschend in die Hosentasche steckte. „Val-chan ist ja sooo clever! Sie spioniert erst dein Blatt aus, ehe sie zuschlägt.“ „Auf wessen Seite bist du eigentlich!?“, fauchte Anya den Schattengeist auf ihrer Schulter daraufhin an. „Ich setze noch eine Karte und beende meinen Zug“, gab Valerie derweil zu verstehen, als die verdeckte Karte sich vor ihr materialisierte. Wütend die Stirn runzelnd, dachte sich Anya, dass sie für diese Demütigung noch bittere Rache nehmen würde. Wenn doch bloß die beiden Nervnickel von Tag-Partnern nicht wären! Das Ganze wäre so viel unterhaltsamer ohne sie!   „Mein Zuuuuuug!“, flötete Orion durch seinen Trötenmund und zog seine Miniaturkarte von der winzigen Duel Disk an seinem Arm. Von seiner Niedergeschlagenheit war plötzlich nichts mehr zu sehen. „Orion for the win!“ „Streng dich an!“, befahl Anya rüde. „Ist gebongt!“ Der kleine Schattengeist sprang von Anyas Schulter hoch in die Luft und hielt dabei zwei Karten in der Hand. „Ich aktiviere den Effekt von [The Fabled Nozoochee]! Indem ich einen seiner Kumpel abwerfe, kann ich ihn auf das Spielfeld beschwören!“ Neben Anya tauchte eine voluminöse, gelbe Schlange auf, deren Kopf unter einem blauen Helm steckte. The Fabled Nozoochee [ATK/1200 DEF/800 (2)]   Desweiteren rief Orion, noch mitten in der Luft. „Und da ich [The Fabled Ceburrel] dafür abgeworfen habe, wird dieser jetzt durch seinen Effekt vom Friedhof beschworen! Und noch etwas! Wenn Nozoochee durch seinen Effekt aufs Feld gerufen wurde, kann ich von meiner Hand ein Fabled-Monster beschwören, welches maximal auf Stufe 2 sein darf! Unter diese Kategorie fällt mein zweiter Cerburrel!“ Rechts und links von der Schlange erschienen zwei dreiköpfige, dämonische Welpen, deren Fell rot gefärbt war. The Fabled Cerburrel x2 [ATK/1000 DEF/500 (2)]   Langsam griff die Schwerkraft, sodass es mit Orion abwärts ging. Dennoch rief er im Feuereifer: „Und als Normalbeschwörung kommt noch von meiner Hand die [T-t-t-tuningware]! Whohaaaa!“ Zu Orions Monstern gesellte sich ein kleiner Apparat, bestehend aus einem kugelrunden Körper sowie drahtigen Armen und Beinen und nicht zuletzt einer Bratpfanne auf dem Kopf.   Tuningware [ATK/100 DEF/300 (1)]   „Und jetzt“, rief der Schattengeist mitten im Fall, „gibt es eine fette Doppelsynchrobeschwörung! Dabei benutze ich [Tuningwares] Effekt, um seine Stufe auf 2 zu erhöhen! Looooos!“ Die beiden Dämonenwelpen sprangen gleichzeitig durch die Luft und zersprangen, wie es bei Empfängermonstern so üblich war, in jeweils zwei grüne Ringe. Die dicke Schlange und Orions seltsamer Apparat durchquerten diese synchron, gleich zwei grelle Lichtblitze schossen durch die Dunkelheit des verschmolzenen Elysions. „Ab geht die Post, [The Fabled Kudabbi] und [The Fabled Unicore]!“ Mit einem Satz landete Orion auf dem Rücken des grauen Kalbs, welches zusammen mit einem weißen Einhorn neben Anya erschienen war. Während der Kopf des Kalbs mit einem Schleier verdeckt wurde, bäumte sich Orions Unicore auf und wieherte stolz.   The Fabled Kudabbi [ATK/2200 DEF/1100 (4)] The Fabled Unicore [ATK/2300 DEF/1000 (4)]   „Jetzt, da [Tuningware] als Synchromaterial verwendet wurde, darf ich eine Karte ziehen!“, kündigte Orion auf seinem Reittier an und zog. Danach legte er eine der drei Karten in seine Miniatur-Duel Disk ein. „Die verdeckt, Joan verreckt! Zug beendet, Joan geschändet!“ Die gesetzte Karte tauchte zwischen seinem Kudabbi und Unicore auf. „Nicht schlecht!“, musste Anya ihren Partner aufrichtig loben. „Vielleicht bist du doch gar nicht so dämlich wie du aussiehst?“ Auch wenn diese zwei Synchromonster relativ schwach waren im Vergleich zu anderen, war es dennoch ganz nett, sie auf ihrer Seite zu wissen. „Hey! Niemand redet so mit dem großen Orion-sama, du frustrierte Kampflesbe! Zeig etwas mehr Respekt!“ „Waaaas!?“ Anya ploppten fast die Augen heraus, als sie das hörte. „Dir werde ich den Hals umdrehen, du-!“ „Hört auf!“, donnerte Valerie und unterbrach Anya dabei, wie sie Orions Reittier einen Tritt in den Allerwertesten geben wollte. „Joan ist jetzt am Zug!“ Die junge Frau sah zu ihrer Partnerin herüber. „Ich verlasse mich auf dich!“ „Natürlich“, antwortete die burschikose Heilige zurückhaltend und griff nach der Duel Disk an ihrem Arm. „Ich beginne also meinen Spielzug. Draw.“ Anya und Orion stoppten ihre Streitereien und linsten beide mit zusammengekniffenen Augen zur anderen Spielfeldseite herüber. „Ich wette, die kennt nicht mal die Grundregeln!“, lästerte die Blondine. „Ich wette, die ist da unten schon zugewachsen!“, stimmte Orion mit ein. Glücklicherweise war Anya in -dieser- Hinsicht noch ein wenig naiv, sodass sie nicht verstand, was er damit meinte. „Huh!? Ihre Duel Disk?“ „Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst?“, fragte Joan ihren Schützling noch einmal. „Ja. Denk an die Menschen, die wegen ihr sterben müssen, wenn ich es nicht tue.“ „Aber ich denke auch an dich.“ Joans Züge trübten sich. „So etwas solltest du nicht tun müssen.“ Valerie stöhnte genervt. „Wenn du mir helfen willst, dann tu es einfach! Ansonsten halt dich hier raus und lass mich das alleine regeln!“ „Wie du meinst.“ Joan betrachtete nun ihr Blatt und zog nachdenklich eine Karte daraus hervor. „Indem ich den Engel [Hecatrice] ablege, erhalte ich [Valhalla, Hall Of The Fallen] von meinem Deck. Eine permanent wirkende Zauberkarte, die ich sogleich zu aktivieren gedenke.“ Anya und Orion verstummten in ihrer Lästerei, als überall um das Spielfeld herum weiße Steinsäulen aus dem Boden wuchsen. Verbunden waren sie durch ein Band aus rotem Stoff, welches einen Kreis um das Spielfeld zog. Hinter Valerie und Joan wuchs ein Thron aus dem Boden. Die Gefallene zückte ein Monster von ihrer Hand. „Sollte ich keine Monster kontrollieren, ist es mir durch den Effekt von Valhalla erlaubt, einen Engel von meiner Hand als Spezialbeschwörung zu rufen. Erhöre mich, [Darklord Asmodeus]!“ Schwarze Federn fielen aus dem Nichts auf das Spielfeld herab. Sie wirbelten umher, bis ein Engel in ihrer Mitte erschien. Die dunklen Schwingen spreizend, wirkte der in weiße Robe mit darüber liegender, schwarzer Panzerung gekleidete Engel eher wie ein Scherge des Teufels, denn ein Diener Gottes.   Darklord Asmodeus [ATK/3000 DEF/2500 (8)]   Anya fluchte beim Anblick des schwarzen Engels. „Was zum Geier!? Was schmeißt die Alte schon in ihrem ersten Zug mit solchen Kalibern um sich!?“ „Diese Karten sind sehr gefährlich!“, quiekte Orion panisch. „Es sind gefallene Engel! Die sind alle so stark, pass' bloß auf!“ „Na das passt ja wunderbar zu dir, Ladyboy!“, fauchte Anya und zeigte mit dem Finger auf Joan. „Deine Worte mögen harsch sein, doch kann ich die Wahrheit darin nicht verkennen“, erwiderte Valeries Paktpartnerin einsichtig. „Deswegen habe ich sie auch für mich erwählt.“ „Hör auf zu labern, du zwielichtige Schnepfe!“ „Dann setze ich nun meinen Zug fort. Einmal pro Zug wird durch den Effekt von Asmodeus ein Engel von meinem Deck auf den Friedhof geschickt.“ Die Heilige Johanna zeigte das Stufe 8-Monster [Darklord Superbia] vor und schob es in den Schacht ihrer ritterlichen Duel Disk. „Da ich noch kein Monster als Normalbeschwörung beschworen habe, hole ich dies nun nach. Komm herbei, [Nurse Reficule The Fallen One].“ Noch einer der gefallenen Engel erschien vor Joan. Dieses Exemplar war jedoch weiblich, aber nicht weniger unheimlich. Um den ganzen Körper war sie mit Bandagen eingehüllt, die ledrigen Schwingen waren mit Klingen besetzt, ja selbst das violette Haar dieser Kreatur.   Nurse Reficule The Fallen One [ATK/1400 DEF/600 (4)]   Joan zückte zwei Karten aus ihrem Blatt. „Um dem Effekt von [The Fabled Unicore] aus dem Weg zu gehen, setze ich diese Karte verdeckt.“ Während ihre Falle verdeckt vor ihr erschien, machte Orion große Augen. „Woher weißt du-!?“ „Sie war dabei, als ich gegen dich gekämpft habe“, erinnerte Valerie den Schattengeist an jenen Tag, als sie den Sammler aufgesucht hatte. „Daher ist ihr klar, dass Unicore sämtliche Effekte des Gegners lahmlegt, wenn du und er dieselbe Handkartenzahl besitzen.“ Was im Falle beider Spieler nun zwei Stück waren. Jedoch änderte sich dies, als Joan die andere hervor genommene Karte, einen Zauber, in den entsprechenden Slot ihrer Duel Disk schob. „So ist es. Aber bald muss sich niemand mehr darum Sorgen machen, denn mit [Soul Taker] führe ich die Seele deines Fabelwesens nun in den Himmel.“ Orion kreischte entsetzt, als aus der Mitte des Spielfeldes eine geisterhafte, durchsichtige Hand schoss und in die Brust des sich aufbäumenden Einhorns griff. Dort zog sie eine leuchtende Kugel heraus, mit der sie verschwand. Im Anschluss explodierte der Schimmel laut wiehernd. „Unicore!“, jammerte Orion. Plötzlich ertönte schrilles Gelächter, dessen Ursprung Reficule war. Um sie schlängelten sich einige lose Bandagen. Joan erklärte dazu: „[Soul Taker] überträgt die Seele des verstorbenen Monsters auf seinen Besitzer, schenkt ihm damit 1000 Lebenspunkte. Doch durch die Einwirkung von [Nurse Reficule The Fallen One] wird sämtliches Leben in Tod umgekehrt. Daher schadet dir die Seele deines treuen Gefährten nun.“ „Ohje!“ Orion weitete die Augen, als Reficules Binden sich von ihr lösten und über das Spielfeld auf ihn zugeschossen kamen. Sie umwickelten ihn fest und gaben schmerzhafte Stromstöße ab, die der kleine Schattengeist nur unter Schreien ertragen konnte. „Auauauauauau!“   [Anya: 4000LP Orion: 4000LP → 3000LP //// Valerie: 4000LP Joan Of Arc: 4000LP]   Als die Tortur beenden war, sank Orion erschöpft auf dem Rücken seines Kudabbis zusammen. Anya betrachtete ihn verstört. Nie hätte sie gedacht, dass diese Joan so geschickt sein würde – und vor allem so gnadenlos! „Hey, war das wirklich nötig!?“, protestierte sie daher wütend und zeigte auf ihren Partner. „Ich tue, was ich als Engel und Valeries Beschützerin tun muss“, rechtfertigte sich Joan unbeeindruckt. „Dieses Wesen, mag es auch noch so klein und harmlos erscheinen, ist ein Dämon. Ein Feind des Herrn. Rücksicht auf ihn zu nehmen wäre gegen die Gesetze des Himmels.“ „Scheiß auf den Himmel! Du bist doch eh nicht mehr Teil davon! Solche wie du widern mich mehr an als alles andere!“ Anya schwang aufgebracht den Arm aus. „Ihr nehmt irgendwelche Regeln als Ausreden, um zu verbergen, wie sadistisch ihr in Wirklichkeit seid! Redfield, du tust mir leid!“ „W-was!?“, erschrak die. „Weil du zu dämlich bist, 'ne eigene Meinung zu haben! Du trällerst einfach nur nach, was andere dir ins Ohr flüstern! Sei es diese Alte oder Orion! Wie es dir gerade am besten gefällt! Und bildest dir dann ein, Miss Rechtschaffenheit herself zu sein!“ Orion sah mit halboffenen Augen zu Anya auf. „T-tsundere …?“ „Keine Sorge, die Alte feg' ich vom Platz!“, entschied Anya und zeigte mit dem Daumen auf ihr Haupt. „Als ehrlicher Bully ist das sozusagen meine Pflicht! Und Redfield schick' ich gleich hinterher!“ „Mutig bist du“, erwiderte Joan anerkennend. „Ich nehme die Herausforderung gerne an. Und beende meinen Zug.“ „Das war keine Herausforderung“, murmelte Anya und nahm ihre Gegnerinnen fest ins Visier, „das war 'ne Kriegserklärung!“     Turn 30 – Enemies Der erbitterte Kampf zwischen Anya, Valerie, Orion und der Heiligen Johanna von Orléans geht weiter. Trotz großer Anstrengung schafft es Anyas Team nicht, die Oberhand zu gewinnen. Im Gegenteil, durch einen fatalen Winkelzug von Joan werden Anya und Orion an den Rand der Niederlage gebracht. Was Valerie letztlich dazu veranlasst, über ihre Vergangenheit mit Anya nachzudenken ... Kapitel 30: Turn 30 - Enemies ----------------------------- Turn 30 – Enemies     „Was ist nur mit ihnen los?“ Abby betrachtete die bewusstlose Valerie besorgt, während sie neben ihr kniete. Sie und Anya waren einfach umgekippt. „Bestimmt so eine Dämonen- oder Engelsgeschichte“, antwortete Nick nicht weniger aufgewühlt. Er hielt Anya im Arm und strich ihr eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Wo ist Orion überhaupt?“ Abby blickte auf und sah sich in dem Flur um. Doch der kleine Schattengeist war tatsächlich nicht mehr bei ihnen. „Ob er abgehauen ist? Vielleicht hat er es mit der Angst zu tun bekommen? Ich meine, er war es, der Valerie …“ Das Mädchen verstummte betreten. Nick sah ihr sofort an, dass sie an neulich dachte. Im Grunde war es dieselbe Situation, nur mit dem Unterschied, dass weder Valerie noch Orion Anyas Freunde waren. Dass die beiden jedoch auch an ihr zweifelten, musste für Abby äußerst verwirrend sein. Schien sie doch selbst nicht genau zu wissen, was sie letztlich über Anya denken sollte. „Vergiss Orion“, versuchte Nick sie aufzumuntern, „dem Typen würde ich nicht über den Weg trauen. Am Ende will der Valerie nur manipulieren. Und wenn dem so ist, wird Valerie das merken. Sie ist nicht dumm.“ „Aber … Nick, sie hat in der letzten Zeit viel durchmachen müssen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie einfach nur froh wäre jemanden zu haben, der ihr beisteht …“ Abby senkte ihren Blick. „Das haben wir alle“, versuchte Nick zu relativieren, „und ich glaube an Valeries Gewissen. Das wird nicht zulassen, dass sie einen Menschen tötet, beziehungsweise einfach seinem Schicksal überlässt.“ Das Hippiemädchen nickte zögerlich. „V-vielleicht hast du recht- Hey, was machst du da!?“   Die Hand ihres Freundes war gefährlich nah an einer von Anyas Körperzonen, die noch nie ein Mann gewagt hatte zu berühren. „Wieso? Sie ist bewusstlos. Keiner wird es je erfahren, wenn du dicht hältst!“ „Ich fasse es nicht! Ich dachte, der Lüstling wäre nur Show!?“ „Nein, der ist echt.“ Nick grinste verschlagen. Daraufhin schob Abby ihre Hand in die Tasche ihres grauen Kleides. „Nimm sofort die Finger da weg, sonst lernst du die Macht von dem da kennen!“ Mit wütendem Gesichtsausdruck zeigte sie eine Karte hervor, [Naturia Pumpkin]. Nick winkte jedoch lachend ab. „Damit werd' ich fert-“ Aber er verstummte, als Abby mit einem Schwenk die Karten dahinter ausfächerte und er gar nicht mehr zählen konnte, wie viele Monster es waren, die sie da in der Hand hielt. Der junge Mann wurde kreidebleich und zog vorsichtig seine Hand von Anyas Busen weg. „... dacht' ich mir“, raunte Abby mit ungewöhnlich düsterer Stimme.   ~-~-~   Finster starrte Anya herüber zum anderen Teil des ineinander vernetzten Elysions, das aus ihrem und dem ihrer Erzfeindin Valerie bestand. Die stand dort zusammen mit Joan Of Arc, der burschikosen Ritterin, welche wohl am wenigsten an diesem Kampf interessiert war. Doch Anya hatte ihr den Krieg erklärt und genau das würde sie auch in die Tat umsetzen! Und da war es ihr egal, ob der Alten schon irgendwelche schwarzen Strichcodes über das Gesicht liefen! „Draw!“, schrie die Blondine, die nun am Zug war und riss förmlich die Karte von ihrem Deck.   [Anya: 4000LP Orion: 3000LP //// Valerie: 4000LP Joan Of Arc: 4000LP]   Dennoch musste sie zugeben, dass die Situation für das ätzende Duo auf der anderen Spielfeldseite derzeit besser kaum sein konnte. Was nicht zuletzt an Joans letztem Zug lag. Während Anya nur noch eine verdeckte Karte kontrollierte, konnte Orion neben seiner eigenen immerhin noch mit dem Synchromonster [The Fabled Kudabbi] auftrumpfen – einem grauen Kalb, dessen Haupt durch einen Schleier verdeckt war und auf dem Orion hockte wie ein König.   The Fabled Kudabbi [ATK/2200 DEF/1100 (4)]   Der kleine Schattengeist war immer noch benommen von Joans indirektem Angriff im letzten Zug. Die kontrollierte gleich zwei gefallene Engel, sowie eine gesetzte Karte und [Valhalla, Hall Of The Fallen]. Zu jener permanenten Zauberkarte gehörten auch die hohen Säulen, die um sie herum aus dem Elysion ragten und durch ein rotes Band miteinander verbunden waren.   Darklord Asmodeus [ATK/3000 DEF/2500 (8)] Nurse Reficule The Fallen One [ATK/1400 DEF/600 (4)]   Aber auch Valeries Feld war gut gefüllt mit zwei Meereshexen, von denen eine scheinbar zu lange im Teer gebadet und nicht begriffen hatte, dass Insekten kein Kopfschmuck waren. Auch die Schwarzhaarige kontrollierte darüber hinaus eine verdeckte Karte.   Gishki Noellia [ATK/1700 DEF/1000 (4)] Gishki Psychelone [ATK/1075 DEF/1650 (4)]   Immerhin war ihr Team im Handkartenvorteil, dachte Anya unzufrieden. Sie besaß vier Stück, während Orion und Valerie mit zwei, Joan gar nur mit einer auskommen mussten. Dennoch war sie planlos, was sie aus der derzeitigen Lage machen sollte. Zu gerne wollte Anya mit großen Kalibern um sich werfen, wie die anderen. Doch ihr Blatt vermieste ihr dies eindrucksvoll. Sie biss sich nachdenklich auf den Daumen. Egal wie sie es anzustellen gedachte, gegen [Darklord Asmodeus] kam keines ihrer Monster an. Sie brauchte verdammt nochmal [Gem-Knight Fusion], doch die war nirgendwo in Sichtweite! Levrier wusste bestimmt einen Weg, wie sie an jene heran kam – doch von dem fehlte jede Spur, seit Redfield sich ungebeten selbst eingeladen hatte. Zwar blieb er gerne im Hintergrund, aber dass er rein gar nichts zum Eindringen in ihr Elysion sagte, irritierte Anya. Was war bloß los mit ihm?   „Wenn du nichts tun kannst, dann gib ab“, verlangte derweil Valerie streng. Anya zeigte ihr prompt den Vogel. „Als ob! Ich muss nur etwas nachdenken!“ „Kein Wunder, dass es so lange dauert …“ „Was hast du gesagt, Redfield!?“ Anya hob ihren Arm mit den Karten in der Hand auf Kopfhöhe, um sie auf den Boden zu werfen, mit der Absicht, das Duell in einen Boxkampf übergehen zu lassen, da fiel ihr Blick auf eine ihrer Zauberkarten. Das ist es, dachte sie sich und schnaufte nur wütend, statt eine weitere Schimpftirade loszulassen. Stattdessen grinste sie nun dreckig. „Dann zeig ich dir einfach, wie das Hirn einer Anya Bauer Strategien zaubert! Verdeckte Karte aktivieren: [Birthright]! Die reanimiert ein normales Monster von meinem Friedhof! Los, [Gem-Knight Sardonyx]! Komm zurück!“ Ihre Falle klappte auf und schon schoss aus dem Boden ihr breitschultriger Ritter in der rotbraunen Rüstung, der seinen Morgenstern aus rot-weißem Sardonyx schwang.   Gem-Knight Sardonyx [ATK/1800 DEF/900 (4)]   „Ein Effektmonster? Also ein Zwilling?“, schlussfolgerte Valerie anhand des braunen Randes von Anyas Monster – was für gewöhnlich auf ein Effektmonster hinwies und kein normales, welches gelb hätte sein müssen. „Bingo, auf dem Friedhof werden Zwillinge als Normalos behandelt! Genauso auf dem Feld, solange man ihren Effekt nicht induziert, wodurch meine Normalbeschwörung für diese Runde nötig wäre!“, erklärte Anya. „Aber die will ich nicht aufgeben! Stattdessen umgehe ich das mit dieser feinen Ausrüstungszauberkarte: [Supervise]!“ Eine orangefarbene Aura begann um ihr Monster zu glühen. „Diese Karte gibt meinem Ritter zwar keine Angriffspunkte, lässt ihn dafür aber auf seinen Zwillingseffekt zugreifen! Und da ich dafür keine Normalbeschwörung brauche, nutze ich die nun und rufe seinen Bruder aufs Spielfeld, [Gem-Knight Amber]!“ Neben dem Krieger tauchte ein weiterer Ritter auf, der in goldener Rüstung gekleidet, zwei blitzende Dolche schwang.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   „Und jetzt“, grinste Anya dreckig und formte mit beiden Händen Pistolen, die sie auf ihre beiden Gegner richtete, „los, meine Babies! Bang!“ Sardonyx begann seinen Morgenstern zu schwingen und schleuderte ihn direkt auf Valeries rothaarige Hexe, wohlgemerkt die noch nicht mutierte Form. Obwohl Noellia ihren Stab als Schutzschild benutzte, konnte sie der Wucht des Angriffs nicht entkommen. Aber auch für Reficule lief es alles andere als gut. Trotz des verzweifelten Versuchs, den goldenen Ritter mit den Bandagen an ihrem Leib zu fesseln, konnte der sich dank seiner Dolche befreien und jene letztlich direkt in die Brust der Höllenkrankenschwester versenken. Zeitgleich erschütterten zwei Explosionen die Spielfeldseite von Valeries Team.   [Anya: 4000LP Orion: 3000LP //// Valerie: 4000LP → 3900LP Joan Of Arc: 4000LP → 3800LP]   „Take that, bitc- oh“, unterbrach sich Anya selbst und schnippte mit dem Finger. „Das hatte ich ganz verpeilt. Wenn Sardonyx einen Kampf gewinnt, erhalte ich eine Gem-Knight-Karte von meinem Deck.“ Sofort schoss eine Karte aus dem Stapel hervor, welche Anya mit derselben hämischen Visage herauszog, ehe ihr Deck automatisch gemischt wurde. Zwischen den Fingern platziert, zeigte sie sie vor. „[Gem-Knight Fusion]! Und wisst ihr was, die benutze ich jetzt gleich in meiner zweiten Main Phase! [Gem-Knight Amber], du bist das Element, [Gem-Knight Sardonyx], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte und werdet zu [Gem-Knight Prismaura]!“ Über Anya entstand ein Wirbel aus dutzenden von Edelsteinen, in welchen ihre Monster hineingezogen wurden. Nie im Leben würde sie gegen Redfield und deren Schoßhündchen verlieren, dachte die Blondine dabei ärgerlich. Es gab einen Blitz und schon stand ein weißer Ritter vor ihr, mit Schild und einer Lanze ganz aus Kristall bewaffnet.   Gem-Knight Prismaura [ATK/2450 DEF/1400 (7)]   Doch er war nicht allein, denn neben ihm tauchte unerwartet Sardonyx wieder auf. „Sie hat den Effekt von [Supervise] benutzt“, erklärte Valerie der überrascht dreinblickenden Joan, ehe diese überhaupt das Wort ergreifen konnte. „Damit kann sie ein normales Monster von ihrem Friedhof beschwören, wenn diese Karte auf den Friedhof gelegt wird. Und das sind Zwillinge, solange sie dort liegen.“ „Ich verstehe. Durchaus eine gute Wahl für ihr Deck.“ „Ich brauche kein Lob von dir, Ladyboy!“, spuckte Anya daraufhin Gift und Galle, zeigte auf die Heilige. „Das wird dir jetzt sowieso im Hals stecken bleiben! Ich aktivere Prismauras Effekt! Guck da, die [Gem-Knight Fusion], die ich mir eben durch das verbannen von Amber wieder aufs Blatt geholt habe! Ich werfe sie jetzt ab, damit Prismaura deinen Spackoengel killt! Schick ihn dahin zurück, wo er hergekommen ist, Prismaura – die Hölle!“ Die Lanze ihres Ritters begann elektrische Ladungen auszustoßen und kaum einen Moment später schoss aus ihr ein Lichtstrahl, der sich in Asmodeus' Brust bohrte. Jener explodierte kurzerhand und hinterließ nichts als zwei schwarze Federn, die gen Boden segelten. „Zeig's ihr, Schwester!“, jubelte Orion und sprang auf seinem Reittier auf und ab. Das hieß, bis aus den beiden Federn zwei neue Engel wurden, kleiner als Asmodeus selbst, doch glichen sie ihm ansonsten, abgesehen von der blauen und roten Farbe, bis aufs Haar. Anyas Augenbraue zuckte. „Wie, wo, was!?“ „Wenn [Darklord Asmodeus] fällt“, erklärte Joan seelenruhig, „hinterlässt er zwei Wesen, die Spielmarken genannt werden. Asmo und Deus.“   Asmo-Spielmarke [ATK/1800 DEF/1300 (5)] Deus-Spielmarke [ATK/1200 DEF/1200 (3)]   „Was!?“, fiel Anya daraufhin aus allen Wolken und zeigte entgeistert auf die neuen Engel. „D-die vermehren sich einfach! Was für ein abgefucktes Spiel ist das!?“ „Immerhin mussten sie ihre Stärke dafür aufteilen“, gab Orion altklug zu bedenken, „jetzt sind sie leichtes Futter.“ „Das hoffe ich – für dich!“ Anya schnaubte laut. „Wie ätzend! Zug beendet!“   Kaum hatte sie dies gesagt, zog auch schon ihre erbitterte Rivalin wortlos die nächste Karte. Die hatte nur eines im Sinn: Anyas perfides Spiel beenden, koste es, was es wolle! „Machen wir da weiter, wo wir in meinem letzten Zug aufgehört haben“, sagte sie streng und deutete auf [Gishki Psychelone]. „Mein Instinkt sagt mir nach wie vor, dass auf deiner Hand ein Erde-Monster vom Typ Hexer ist. Sonst hättest du Sardonyx niemals ungeschützt im Angriffsmodus gelassen! Demnach wird Psychelone das jetzt mit ihrem Effekt überprüfen. Und wenn ich richtig liege, war es das für dein Monster.“ „W-was!? Du irrst dich, Redfield! In meinem Deck gibt es gar kein Hexer-Monster-“ „Und was ist dann das?“, fragte jene kühl, kaum hatte ihre korurmpierte Meereshexe die Handflächen an die Stirn gelegt. Über Anya erschien das Abbild eines Monsters, [Gem-Merchant]. Valeries gnadenloses Urteil: „Eindeutig Hexer.“ Da half es Anya auch nichts, dass sie sich herausreden wollte. „Ähm, das ist, also- hey!“ Schwupps löste sich die Karte in ihrem Blatt einfach auf. „Dacht' ich's mir doch“, sagte Valerie, „schon letzte Runde hatte ich das Gefühl, du würdest Sardonyx absichtlich schutzlos aufs Feld schicken, damit ich gedankenlos angreife. Da er im Moment ein normales Monster ist, kann [Gem-Merchants] Effekt ihn stärken, aber jetzt nicht mehr.“ Anya zischte daraufhin nur. Ihrer Meinung nach hatte Redfield einfach nur geraten! Diese zeigte längst ein Monster von ihrer Hand vor. „Ich benutze jetzt den Effekt von [Gishki Shadow], den ich abwerfe und somit [Gishki Aquamirror] von meinem Deck aufs Blatt nehme. Aber hier endet es nicht, denn mithilfe meiner Falle [Aquamirror Meditation] kann ich nun zwei Gishki-Monster von meinem Friedhof aufs Blatt nehmen, wenn ich den Aquamirror besitze.“ Ihre Falle sprang auf und sendete rhythmische Wellen aus, die in Anyas Ohren ein seltsames Druckgefühl hervorriefen. Gleichzeitig zeigte Valerie [Gishki Shadow] und [Gishki Noellia] vor. „Ich hätte nie gedacht, dass ich -es- jemals beschwören würde“, meinte Valerie plötzlich und zückte ihre Schlüsselkarte, den Ritualzauber, „das in den Untiefen meines Decks lauernde Grauen. Normalerweise ist -es- gar nicht Teil meines Decks, aber für dieses Unterfangen habe ich -es- rekrutiert! [Gishki Aquamirror], bereite die Zeremonie vor! Ich opfere [Gishki Shadow], der als komplettes Opfer für diese Beschwörung herhalten wird!“ Ein goldener Spiegel tauchte aus dem Nichts vor Valerie auf. Seine runde Fläche bekam nach und nach Sprünge, bis der Spiegel in tausend Stücke zerbarst. „Erstehe auf aus der Finsternis des Ozeans! [Gishki Zielgigas]!“ Die auf dem Elysion liegenden Scherben verwandelten sich in Wasser, welches das gesamte Mosaik zu fluten begann. Und aus der unbekannten Tiefe erhob sich eine schattenhafte Gestalt, die absolut nichts mit Valeries anderen Monstern gemein hatte. Mit dem goldenen Siegel der Gishki auf der Brust, glich dieses Monster mit seinen vier Armen und breiten Schwingen eher einem menschgewordenen Herkuleskäfer, denn einer Meereskreatur.   Gishki Zielgigas [ATK/3200 DEF/0 (10)]   Anyas Mund stand im Angesicht dieser Kreatur weit offen. Nie hätte sie damit gerechnet, dass Valerie etwas derart Eindrucksvolles auf Lager hatte. Das Vieh wirkte viel eher wie etwas, das Matt spielen würde. Auch Orion machte Augen wie ein Mondkalb. „Wah! Das Ding ist riesig!“, kreischte er. Valerie achtete gar nicht auf die Reaktionen ihrer Gegner, sondern schwang den Arm aus. „Zielgigas' Effekt! Für 1000 Lebenspunkte ziehe ich pro Zug eine Karte und wenn diese ein Gishki-Monster ist …“ Sie nahm die Karte und zeigte [Gishki Vision] vor. „... ach, seht einfach selbst.“   [Anya: 4000LP Orion: 3000LP //// Valerie: 3900LP → 2900LP Joan Of Arc: 3800LP]   Der schwarze Insektenmann legte seine vier Handflächen aufeinander und erzeugte so eine pechschwarze Kugel, die er direkt auf Prismaura schleuderte. Dieser schrie und löste sich binnen Sekundenbruchteilen auf, hinterließ eine fassungslose Anya. „Er ist nicht tot, nur in dein Deck zurückgekehrt“, erklärte Valerie dazu und legte nebenbei ein Monster namens [Gishki Mollusk] auf ihre Duel Disk. Und während vor ihr ein dunkelhäutiger, humanoider Krieger erschien, welcher zwei Säbel schwang und offenbar seinen Kopf gegen eine Muschel eingetauscht hatte, fuhr sie ungerührt fort.   Gishki Mollusk [ATK/1700 DEF/900 (4)]   „Ein Schicksal, welches auch gleich deinem [Gem-Knight Sardonyx] zuteil werden wird. Ich kenne die Schwäche deines Decks, Anya. Es ist [Gem-Knight Fusion]. Ohne sie bist du aufgeschmissen. Und solange sich keiner deiner Ritter auf dem Friedhof befindet, kannst du auch nichts tun, um sie zurückzubekommen!“ Anya hatte das Gefühl, als würde sie von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpern, so leicht schien Redfield sie zu durchschauen. Nur, dass besagte Fettnäpfchen mit Säure gefüllt waren und die Größe des Atlantiks besaßen. Ihre Gegnerin streckte den Arm in die Höhe. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinem Stufe 4-Mollusk und meiner Stufe 4-Psychelone wird ein Rang 4-Monster! Xyz-Summon! Zeige dich, [Evigishki Merrowgeist]!“ In vollkommener Stille öffnete sich inmitten des Spielfelds ein schwarzes Loch, das Valeries Monster als blaue Lichtstrahlen in sich aufnahm. Heraus kam eine mit Flossen beschwingte, rothaarige Meerjungfrau, die ein langes Zepter mit sich führte – Valeries Paktkarte. Deren Mal leuchtete blau auf.   Evigishki Merrowgeist [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   Sie würde Anya aufhalten, dachte Valerie entschlossen, egal was es kostete. Anmutig streckte sie den Arm aus und legte dabei den Kopf in den Nacken, als würde sie auf ihre Gegnerin herabsehen. „[Evigishki Merrowgeist]! Greife [Gem-Knight Sardonyx] an! Sceptre Of Foresight!“ Ihre Meerjungfrau schwang ihren Stab und schoss daraus eine Salve an Seifenblasen auf Anyas Krieger, die bei Kontakt zerplatzten und explodierten. So wurde der Ritter regelrecht bombardiert. Aber auch Anya bekam etwas von den Explosionen ab und wurde zurückgeschleudert, landete auf dem Rücken. „Dah! Verdammter Kackmist!“   [Anya: 4000LP → 3700LP Orion: 3000LP //// Valerie: 2900LP Joan Of Arc: 3800LP]   Derweil zog Valerie [Gishki Psychelone] unter ihrem Xyz-Monster hervor und schob diese in den Friedhofsschacht. Gleichzeitig absorbierte ihre Meerjungfrau eine der zwei blauen Sphären, die um sie kreisten, mit dem Zauberstab. Valerie erklärte dazu: „Jetzt entferne ich ein Xyz-Material, um Merrowgeists Effekt zu aktivieren! Damit schicke ich Sardonyx wie angekündigt in dein Deck zurück, statt auf den Friedhof!“ „Das wirst du noch bereuen, Redfield!“, versprach Anya ihr wütend und schob den Ritter in ihren Kartenstapel, welcher daraufhin automatisch gemischt wurde. „Ach ja?“, erwiderte Valerie unbeeindruckt. „Ich denke nicht! Sieh dich lieber vor, Anya, denn ich bin noch nicht fertig mit dir!“ Damit wandte sich die Schwarzhaarige ihrem riesigen Herkuleskäfermann zu, welcher unheilvoll die Arme verschränkte. „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte, [Gishki Zielgigas]! Infestation's Solitude Beam!“ Der Riese streckte seine vier Arme weit aus. Das rote Emblem in seiner Brust begann unheimlich zu glimmen und saugte Lichtpartikel aus ihrer Umgebung auf. Einer war so groß, dass er wie ein Pfeil durch die Brust des Monstrums ging – und es zum Explodieren brachte! „Wie-!?“ Valerie weitete die Augen, als von ihrer Kreatur tatsächlich nichts mehr übrig war. „Wer hat-!?“ Das Maunzen eines Kätzchens klang durch das Elysion. Alle Blicke wandten sich instinktiv Orion zu, dessen verdeckte Karte aufgesprungen war. „Tut mir leid, Val-chan, aber ich muss Anya in dem Fall beschützen!“, entschuldigte er sich kleinlaut. „Mit meiner Falle [Fine] habe ich meine letzten beiden Handkarten abgeworfen. Das waren [The Fabled Catsith] und [The Fabled Ganashia]! Und während Ersterer beim Abwerfen eines deiner Monster zerstört, wird Ganashia direkt auf mein Feld beschworen, wenn er abgeworfen wurde!“ Neben Orion und seinem Kalb trampelte ein weißer Elefant auf zwei Beinen aufs Spielfeld und verhielt sich in seinen ungeschickten Bewegungen wie sein Artgenosse im sprichwörtlichen Porzellanladen. „Und wenn Ganashia so beschworen wird, erhält er sogar noch 200 Angriffspunkte!“, erklärte Orion weiter.   The Fabled Ganashia [ATK/1600 → 1800 DEF/1200 (3)]   „Orion“, murmelte Valerie, immer noch verstört von dem vorzeitigen Ableben ihres Monsters. „Klasse!“, konnte sich Anya derweil kaum beherrschen in ihrer Erleichterung. „Man, das Vieh hätte Gulasch aus mir gemacht! Du bist ja doch zu was gut, Pornozwiebel!“ „Immer doch!“, grinste der anzüglich. „Vielleicht möchtest du ja jetzt auch meine anderen Qualitäten kennenlernen, meine süße Tsundere?“ „No way!“ Gleichzeitig ballte Valerie unbewusst eine Faust ob der illustren Szene der beiden. „Zug beendet.“ Damit hatte sie nur noch [Evigishki Merrowgeist] und zwei Handkarten in ihrem Repertoire.   „Dann ist jetzt Orion-time!“, flötete jener durch seinen übergroßen Mund und sprang einem Flummi gleich in die Luft. „Draw!“ Kaum hatte er seine Handkarte gezogen, weitete er die Augen. „Was zum-!? Hey, wieso ausgerechnet die!? Jetzt wo ich sie gar nicht mehr brauche!?“ Wütend schob er sie in ein Zauber- und Fallenkartenzone, wodurch die Karte verdeckt vor ihm erschien. „Dämliches Karma! Ich dachte, ich hätte längst wieder gut gemacht, dass ich an Val-samas Unterhöschen gerochen hab!“ „Du hast -was-!?“ Valerie lief mit einem Schlag knallrot an. „Ah, eh, oh, nichts! Ähm … i-ich mach dann mal mit meinem Zug weiter, ja, Val-chan-sama-sempai-dono!?“ Der Schattengeist warf einen verstohlenen Blick auf die Heilige Johanna. Die war im Moment viel gefährlicher als Valerie. Auf sie musste er sich konzentrieren. „Los, [The Fabled Kudabbi], greif den blauen Engelsfritzen an!“ Womit er die blaue Asmo-Spielmarke mit 1800 Angriffs- und 1300 Verteidigungspunkten meinte, welche zu seinem Ärgernis in der Defensive positioniert war. Sofort rannte das Kalb samt Orion über das Zwillingselysion. Noch im Lauf sprang Orion vom Rücken seines Reittiers und flog wie eine Rakete auf den gefallenen Engel zu. „Orion-Fisting!“ Mit seiner winzig kleinen Faust brachte er Joans Monster dazu, in tausend Stücke zu zerspringen. Noch in der Luft machte er einen Salto. „Ganashia!“ Der Elefant war ihm einfach hinterher gerannt und warf sich trötend auf den Bauch, schlitterte über das Mosaik auf Valeries Spielfeldseite, direkt zwischen Valerie und Joan sowie deren Monster vorbei. Orion landete auf dem Rücken seines Monsters und nutzte dieses als Sprungbrett, um nun den roten Engel, die Deus-Spielmarke mit je 1200 Punkten auf beiden Werten, ins Visier zu nehmen. Leider befand auch dieses sich im Verteidigungsmodus. „Orion-Fisting, die Zweite!“ Damit schoss er auf den Engel zu und schlug ihm mit seiner kleinen Faust direkt ins Gesicht. Und prallte ab, wobei er von einer unsichtbaren Kraft den ganzen Weg zurück auf Anyas Spielfeldseite zurückgeschleudert wurde. Wie ein Fußball rollte er über ihr Elysion und kam gerade so am Rand ebenjenes zu stehen. „Waaaah!“, stieß er beim Blick in den Abgrund aus. Mit Tränchen in den Augen wandte er sich an Joan. „Was hast du getan!? Der herrliche Orion versagt nie!“ „Deus ist unbesiegbar im Kampf“, erklärte die Ritterin ihm ruhig. „Und das konntest du mir nicht früher sagen!?“ „Du hast nicht gefragt.“ „Dämliche Kuh!“ Orion hüpfte wütend zurück auf den Rücken von Kudabbi, welches gekommen war, um ihn abzuholen. Neben Anya verharrte das Monstergespann schließlich, als es wieder vollzählig war. Wütend stampfte der Schattengeist dreimal mit dem Stummelfuß auf. Das hatte er sich aber ganz anders vorgestellt. „Zug beendet! Aber ich krieg' dich noch, du hinterhältiges Mannsweib!“   „Sei vorsichtig, kleiner Dämon“, sprach Joan seelenruhig und zog dabei eine Karte. Die schwarzen Markierungen waren mittlerweile auch von der anderen Körperhälfte ihr Gesicht hinaufgestiegen und ließen sie nun wie ein Wesen aus einer anderen Welt aussehen. „Meine Sünden mögen mir nicht vergeben werden, doch ebenso nicht die deinen. Deine respektlosen Worte zeugen von deiner wahren Natur. Du verbreitest Lügen, um die Ziele deines Meisters umzusetzen.“ „G-gar nicht wahr!“ „Ihm liegt nichts am Leben eines Menschen“, sprach die Gefallene weiter und zückte eine Zauberkarte aus ihrem Blatt. „Er hat Valerie dazu gebracht, ihren Namen zu verkaufen. Er beobachtet uns, wie ein Geier, der um seine Beute kreist. Du als sein Spion bist nicht besser. Du bist die Verkörperung dieses niederträchtigen Handels.“ „Du nimmst den Mund aber ganz schön voll!“, polterte Anya dazwischen. „Ihr seid beide Abschaum, wenn ihr mich fragt!“ Etwas, das Valerie nicht so stehenlassen konnte. „Dich fragt aber keiner, Anya!“ „Tch!“ „Wie dem auch sei, es ist mein Zug“, leitete Joan diesen nun endgültig ein und schob die Zauberkarte in ihre altertümliche Duel Disk. „Ich benutze [Trade-In]. Indem ich ein Stufe 8-Monster hergebe, erhalte ich im Austausch zwei neue Karten.“ Sie entledigte sich ihres [Darklord Zeratos] und füllte danach ihr Blatt auf. Einen Wimpernschlag später schwang sie den Arm aus. „Und nun, sei wiedergeboren, [Darklord Superbia]! Höre den Ruf der Verblassten, höre den [Call Of The Haunted]!“ Ihre gesetzte Fallenkarte sprang auf, während Anya wütend schnaubte. „Erspar' uns die Einzelheiten, Miststück. Jeder weiß, was diese Karte kann!“ „Die holt einfach das Monster wieder, welches sie in ihrem letzten Zug auf den Friedhof gelegt hat.“ Orion knabberte panisch an seinen kleinen Stummelfingern. „Das ist gar nicht gut!“ „In der Tat. Sei wiedergeboren, [Darklord Superbia]!“ Vor Joan erschien aus einer schwarzen Flamme ein gleichfarbiger Kelch, der sich im Uhrzeigersinn zu drehen begann. „W-was ist das denn!?“, schoss es ungläubig aus Anya heraus. Doch sie ersparte ihren Mitstreitern einen weiteren Kommentar dieser Sorte, als sie plötzlich einer grimmigen Fratze gegenüberstand, die dem Kelch entsprang. Mit einem Schlag wuchsen aus diesem zwei dürre, lange Arme und blutrote Schwingen, wobei das Wesen gleichzeitig auf die Größe eines Menschen anwuchs.   Darklord Superbia [ATK/2900 DEF/2400 (8)]   Joan streckte weit ihren Arm aus. Unter ihrem Kettenhemd war ein Großteil ihrer Haut verborgen, doch was zu sehen war, ihre Hände, hatten mittlerweile eine graue Färbung angenommen. Und es schien, als hätten sie feine Risse, die langsam zu bröckeln begannen. Die Kriegerin wirkte, als wären ihre Arme aus Asche geformt. „Dies ist der Heilige Gral, gefallen in die Hände des Unsäglichen! Doch selbst jetzt ist seine Macht noch so groß, dass er ein Quell des Lebens ist, wenn man ihn aus der Hölle entführt! Drum holt er jetzt einen gefallenen Engel direkt aus ebendieser zurück!“ Aus dem Kelch schoss eine pechschwarze Flamme. „Sei wiedergeboren, [Darklord Zerato]!“ Anya blinzelte verdutzt, als aus dem Feuer ein großer Krieger flog. Genau wie Joans andere Monster, waren seine Flügel blutrot, während die nackte Haut des Gefallenen pechschwarz gefärbt war. Er schwang eine lange, gebogene Klinge und grinste unheilvoll.   Darklord Zerato [ATK/2800 DEF/2300 (8)]   „Uah! Das hat sie die ganze Zeit über geplant!“, stammelte Orion panisch und fiel auf dem Rücken seines Monsters aufs Hinterteil. „Jetzt wird’s ganz übel!“ Joan verzog keine Miene, als sie eine ihrer Handkarten vorzeigte. „Indem ich mich von einem Finsternis-Monster, in diesem Fall [Darklord Edeh Arae], trenne, werden alle Monster eines von mir gewählten Spielers umgehend von [Darklord Zerato] vernichtet. Jedoch kostet ihn dies am Ende des Zuges das eigene Leben.“ Anya und Orion tauschten nur einen fassungslosen, panischen Blick aus, da donnerte es auch schon. In die Klinge Zeratos war ein Blitz eingeschlagen, finstere Energie umspielte sie wie eine Schlange. Lachend schleuderte der Krieger diese Blitze Orion entgegen, der vor Schreck die Augen weitete. „Mein Ziel bist du, Dämon.“ Sein Ganashia schrie auf, als er von der Ladung getroffen wurde und zersprang in tausend Stücke. Auch Orion kreischte panisch, als sein Reittier erfasst worden war, doch urplötzlich bildete sich eine Lichtmauer, als Kudabbi aufheulte und in einen merkwürdigen Singsang verfiel. „Oje, oje“, jammerte der Schattengeist, der beinahe von seinem verschleierten Kalb gefallen wäre. „Wenn ich jetzt noch Handkarten gehabt hätte, wäre es aus gewesen.“ „Weitere Handkartenmanipulation?“, wunderte sich Valerie, die damit bereits vertraut war. Der Schattengeist sprang auf die Beine und streckte stolz die Schnute hervor, da es ihm an Brust deutlich mangelte. „Klaro, Chica! [The Fabled Kudabbi] konzentriert sich aber auf meine eigenen, Baby! Ohne Handkarten, nix put machen! Gar nix, nix Kampf, nix Effekt! Der große Orion wird nicht so leicht-“ „In dem Fall biete ich meine Deus-Spielmarke als Tribut an“, setzte Joan völlig ungerührt ihren Zug fort und ließ den Engel verschwinden, „um [Darklord Desire] als Tributbeschwörung zu rufen. Höre mich!“ Anya und Orion starrten gebannt nach oben, von wo auf Valeries Seite des Elysions etliche schwarze Federn fielen. Sie alle färbten sich rot, flogen auf einen bestimmten Punkt in der Luft zu, um sich zu sammeln. Kurz darauf gab es einen Lichtblitz und dort, wo eben noch die Federn gewesen waren, flog nun ein Engel durch die Luft. Das rote Federkleid war aber nicht das Beeindruckende an ihm, viel mehr war es die massive gold-schwarze Rüstung, die besonders an Armen und Beinen besonders hervorstach. An beiden Enden der Arme befanden sich zwei Klingen, die wie Klauen wirkten.   Darklord Desire [ATK/3000 DEF/2800 (10)]   Anya zeigte wütend mit dem Finger auf die Heilige Johanna. „Du betrügst! Für den hättest du zwei Monster opfern müssen, Miststück!“ Beschwichtigend die Hand hebend, schüttelte jene mit dem Kopf. „Ich fürchte, du irrst dich. [Darklord Desire] benötigt nur ein Opfer, wenn dieses ein Engel ist. Und nun sehe, dass er imstande ist, jeden Dämon zu töten.“ Sie schwang den Arm Richtung Orion aus. „Opfere einen Teil deiner Kraft, um das Böse direkt in die Hölle zu schicken!“ Der Kriegerengel Desire legte seine Arme über Kreuz auf die Brust und schoss massenhaft Federn auf [The Fabled Kudabbi]. Orion gab nur noch einen Schrei von sich, als sein Reittier schon getroffen wurde und sich in roten Nebel verwandelte, welcher wiederum einfach verschwand. Auf den Hintern plumpsend, stand der kleine Schattengeist plötzlich ohne Monster da. Genau wie Anya.   Darklord Desire [ATK/3000 → 2000 DEF/2800 (10)]   „Sie konnte sogar Kudabbi vernichten“, stammelte Orion und sah Joan ängstlich an, die wie ein Henker auf ihn herab starrte. Und obwohl sie so weit weg sein mochte, jagte sie nicht nur Orion bei ihrem Anblick einen kalten Schauder über den Rücken. „Oh, verdammter Kackmist“, fluchte Anya, die den Ernst der Lage erkannt hatte. „Mit der Alten ist echt nicht gut Kirschen essen.“ Sie besaß drei Monster mit mindestens 2000 Angriffspunkten. Und Anya wusste genau, dass sie keine Angst davor hatte, sie zu benutzen. Nur wen? Wen würde sie aus dem Spiel jagen wollen? Es reichte nur für einen von ihnen. Plötzlich nahm Joan Anya scharf ins Visier. „[Darklord Superbia], dein Ziel ist die Sünderin.“ „Oh, shit, ich wusste es!“ „[Darklord Desire], [Darklord Zerato], sendet diesen Wicht zurück dorthin, wo Luzifer ihn geschaffen hat. Du wirst Valerie nicht länger vergiften, Dämon!“ Gleichzeitig erschraken die beiden Mädchen und wichen zurück, aus demselben Grund. „Joan, warum er!? Du könntest Anya-!“ „Nicht ich!?“ Doch ehe Joan ihre Absichten erklären konnten, schwärmten ihre Monster bereits aus. In Orions Augen spiegelte sich wahrlich die Furcht, die ihm der bevorstehende Angriff bereitete. Er wusste nicht, welches Schicksal eine Niederlage mit sich zog. Die beiden Kriegerengel flogen auf ihn zu wie Pfeile von der Sehne eines Bogens. Der kleine Schattengeist schluckte schwer, dann wandte er sich Anya zu. „Jetzt ist es an dir, Schwester! Du musst Val-chan für mich beschützen, okay!?“ „Was redest du da, du hast doch deine verdeckte Karte! Benutze sie, Dummkopf!“ Orion bemerkte die Karte vor ihm, doch er seufzte. „Klaro … verdeckte Falle. [The Gift Of Greed]. Einer meiner Gegner zieht nun zwei Karten … und zwar du, Schwester!“ Anya erschrak, als die Falle hochklappte und daraus eine weiße Schachtel auftauchte. „W-was!? So eine Dreckskart-“ „Das ist alles, was ich für dich tun kann! Bitte, beschütze Val-chan für mich!“ Der Deckel der Schachtel lüftete sich von selbst und hervor kam eine grüne Vase, auf der ein grinsendes Gesicht eingearbeitet war. Wie in Trance zog Anya die zwei Karten, die Orion ihr hinterlassen hatte. Kaum einen Moment später trafen die beiden Engel auf Orion und schlugen ihn zusammen mit Schwert und Faust nieder. Doch Anya kam gar nicht dazu zu reagieren, denn auch sie wurde plötzlich erfasst. Von einer schwarzen Flamme, die aus dem Inneren des verdorbenen Heiligen Grals kam, welcher in angewinkelter Position auf sie zeigte, um die Flammen loszulassen. „Ahhhh!“, schrie sie unter dem Feuer. Auch Orions gequälte Rufe drangen durch das Elysion. „Val-chan …!“ Die unerwartete Wucht des Flammenangriffs warf Anya um.   [Anya: 3700LP → 800LP Orion: 3000LP → 0LP //// Valerie: 2900LP Joan Of Arc: 3800LP]   Die Blondine landete hart auf der Seite und ließ dabei ihre Handkarten fallen. Neben ihr kullerte Orion an ihr vorbei und begann sich in schwarzen Partikeln aufzulösen. „Hey!“, schoss es aus Anya hervor, die sich ruckartig erhob und zum kleinen Schattengeist eilte. „Du musst … sie aufhalten …“, bat Orion mit Tränchen in den Augen, ehe er ganz verschwunden war.   Die Blondine war fassungslos. Er war einfach weg, nicht mehr da. Innerhalb weniger Sekunden. Und es war … sie hatte ihn da reingezogen, es war … „Was hat er dir überhaupt getan, du Psycho!?“, schrie sie unvermittelt Joan an. „Du hättest genauso gut mich nehmen können! Immerhin seid ihr sowieso nur hinter mir her!“ „Er war das sinnvollere Ziel für meinen Angriff“, erklärte der Engel ungerührt. „Es wäre schwieriger, gegen ihn zu kämpfen, als gegen dich. Zug beendet.“ Damit löste sich auch [Darklord Zerato] auf und hinterließ nichts weiter als eine schwarze Feder, die von einer Brise davongetragen wurde.   „Ihr seid …“, presste Anya unter all ihrer Wut mühsam hervor, „die Schlimmsten von allen!“ „Was redest du da?“, widersprach Valerie aufgekratzt. „Du bist doch diejenige, die-“ „Schnauze, Redfield!“ Die Blondine stampfte wütend auf, zeigte auf Joan. „Sie! Langsam glaube ich, was die Pornozwiebel mit ihr meinte! Heuchlerisches Weib! Du tust so, als würdest du strategisch handeln, aber in Wirklichkeit lachst du dir nur einen ab, weil du einen Dämon besiegt hast! Du hast dich die ganze Zeit nur auf ihn konzentriert! Solche wie du widern mich an!“ „Das werde ich akzeptieren müssen.“ Anyas Stirn war bereits voll von Zornesfalten, was durch Joans distanziere Reaktion nur umso schlimmer wurde. „Ach habe ich ja vergessen, ich bin ja auch nur so ein 'Sünder'! Ihr Engel seid so selbstgerecht! Ob Dämon, Engel oder weiß der Geier, was spielt das für eine Rolle!?“ Das Mädchen hatte sich so in Rage geredet, dass sie ihre Handkarten, welche sie nebenbei aufhob, in der Faust zu drücken begann. „Es ist doch völlig egal, als was man geboren wird! Es zählt allein, was man aus seinem Leben macht! Aber nein, ihr Vollidioten von Engeln stempelt alles als böse ab, was anders ist als ihr!“ Sie schwang ihren Finger auf Valerie, die erschrocken zusammenzuckte. „Du, Redfield, bist ganz genauso! Plötzlich ist die Pornozwiebel ein Feind für dich, aber erinnerst du dich noch, wer zuerst auf wen zugegangen ist!? Wie kannst du ihn so plötzlich fallen lassen!?“ „Anya, ich-“ „Tch! Es ist nicht meine Aufgabe, mich über so etwas zu beschweren! Aber da hier niemand sonst für ihn sprechen kann, fällt der Schwarze Peter eben auf mich.“ Dieses eine Mal würde sie ihn eben annehmen müssen. Auch wenn Anya es hasste, in eine Rolle zu schlüpfen, die ihr nicht lag. „Der Knilch mag zwar ein perverses Mistvieh sein, aber soweit ich das beurteilen kann, hat er nie etwas Schlechtes getan. Im Gegenteil, er hat sogar alles gegeben, um dich vor dieser Ollen und ihrem Irrsinn zu beschützen.“ Anyas Blick verhärtete sich. „Aber da er jetzt nicht mehr hier ist, hat sich die Situation verändert. Solche wie dich … zerstampfe ich im Boden, Redfield! Denn ich hasse nichts mehr als Heuchler und Feiglinge!“ Valerie, die von Anyas ungewohnter Verhaltensweise regelrecht erschüttert war, brauchte einen Moment, um ihre Fassung wiederzugewinnen. „In dem Punkt sind wir uns einig. Ich schlage vor, du verleihst deinen Worten Nachdruck. Du bist am Zug.“   „Oh, das werde ich“, zischte Anya und griff nach ihrem Deck. „Mit allen Mitteln.“ Wirklich mit allen! Sie schloss die Augen und versuchte sich auf ihr Deck zu konzentrieren. Die Pornozwiebel hatte all ihr Vertrauen in sie gesetzt. Und auch, wenn er es war, der Redfield diesen Floh überhaupt erst ins Ohr gesetzt hatte, stimmte Anya mit ihm in Punkto Joan überein. Was ihn allerdings nicht davor bewahren würde, die Anya Bauer-Premiumstrafe für Verrat zu erhalten, sollte sie ihn jemals wiedersehen. Doch zuerst … Seine zwei Karten, sie würde sie nutzen. Mit ihrer anderen Handkarte, und der, die sie jetzt ziehen würde. Anya würde sie nutzen, um Valerie und Joan zu zerstören! „Draw!“ Die Augen des Mädchens öffneten sich schlagartig, doch noch während sie zog, war da kein Gefühl einer pulsierenden Kraft in ihr. Levriers Macht, sie konnte nicht einmal hier auf sie zugreifen. Und während sie den Arm beim Ziehen ausschwang, entschied Anya, dass es im Endeffekt vollkommen egal war, ob Levrier ihr jetzt half oder nicht. An den Nervenkitzel solcher Duelle hatte sie sich mittlerweile gewöhnt … und es war … Anya schüttelte den Kopf. Wenn sie alle, ob Dämonen oder Engel, so versessen darauf waren, einander an die Gurgel zu gehen … wo war dann der Unterschied zwischen ihnen und ihr selbst? „Tch!“, zischte sie, nicht wissend, wen sie mehr hasste, Redfield oder Joan. Wenn es jedoch ums Rache nehmen ging – und Anya wollte sich rächen, weniger für Orion, sondern mehr für die Situation im Allgemeinen – hatte sie bereits eine genaue Vorstellung, wer als Erstes dran war. In ihrem Zorn war ihr völlig gleich, was sie tat. Hauptsache, sie tat überhaupt etwas. „Zauberkarte!“, bellte sie und hielt jene in die Höhe. „[Mystical Space Typhoon]! Damit kille ich einen Zauber oder 'ne Falle auf dem Spielfeld! [Call Of The Haunted]!“ Ein Wirbelsturm ging von dem Hologramm der Karte aus, als Anya jene in ihre Duel Disk schob. Besagter Sturm riss Joans Falle auseinander, ehe er verschwand. Was zur Folge hatte, dass [Darklord Superbia] in tausend Stücke zersprang, da jener an die Falle gebunden war. Anya ging diese Szene hinunter wie Öl. Sie wollte Joan zerstören. Und jeden anderen Engel, der es in Zukunft wagen würde, ihren Weg zu kreuzen. Jeden verdammten Mistkerl dieser Rassisten! „Ich rufe [Gem-Knight Garnet] als Normalbeschwörung! Aber der bleibt nicht lange, denn ich opfere ihn für den Effekt der Zauberkarte [White Elephant's Gift]! Wenn ich mit ihr einen Vanilla entsorge, ziehe ich zwei Karten!“ Ihr Ritter tauchte gar nicht erst auf. Stattdessen ein weißer Knochen, der sich in weiße Funken aufzulösen begann, während Anya zwei Karten zog. Valerie indes schluckte. So aufgebracht war Anya selbst ihr unheimlich. Außerdem hatte ihre Gegnerin einen cleveren Zug hingelegt. Nicht nur hatte sie ihr Blatt erweitert, sie hatte nun, da Garnet auf dem Friedhof lag, auch wieder Zugriff auf [Gem-Knight Fusion]. Jene wurde von der Blondine bereits zwischen Mittel- und Zeigefinger gehalten, während Garnet in Anyas Hosentasche verschwand. „Du weißt, was kommt, nachdem ich Garnet verbannt habe, Redfield! [Gem-Knight Fusion], los! Ich verschmelze [Gem-Knight Tourmaline] und [Gem-Knight Sapphire] von meiner Hand! Scheiß auf den Beschwörungstext, los, [Gem-Knight Topaz]!“ Über dem Mädchen öffnete sich ein strahlender Wirbel aus Edelsteinen, in den ein goldener und ein saphirblauer Ritter hineingezogen wurden. Kurz darauf schlugen Blitze aus dem Strom um sich und ein Krieger in goldbrauner Rüstung trat daraus hervor. Mit einem Satz und wehendem, schwarzen Umhang landete er neben Anya und zückte zwei Dolche, deren Klingen stilisierte Blitze waren.   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 DEF/1800 (6)]   „Denkt über mich, was ihr wollt“, zischte seine Besitzerin dabei und schob ihre letzte Handkarte in die Duel Disk. „Hat mich eh nie interessiert. Aber eins sollt ihr wissen, ihr heuchlerischen Schnepfen! Ich werde keine Familien auseinanderreißen, indem ich andere für meine Zwecke opfere!“ Valerie weitete die Augen, als sie die Entschiedenheit in Anyas Ton wahrnahm. Was jene sagte, kam vom Herzen. Und dennoch! „Was ist das Wort von jemandem wert, der so etwas schon einmal getan hat!? Denk an Marc!“ „Wie ich sagte, Redfield“, murmelte Anya leise, „ist mir egal, was ihr denkt. Aber das, was ich eben gesagt habe, bezieht sich nur auf Leute, die ich respektiere. Und dummerweise gehört deine kleine Freundin nicht dazu.“ Plötzlich erschien an Topaz' Arm eine Art Elektroschocker. Anya erklärte dazu: „Ich rüste [Gem-Knight Topaz] mit [Fusion Weapon] aus, welche Fusionsmonster bis Stufe 6 um 1500 Punkte verstärkt!“   Gem-Knight Topaz [ATK/1800 → 3300 DEF/1800 → 3300 (6)]   „Merk dir eins, Redfield“, sagte die Blondine mit ungewohnter Schärfe in der Stimme. „Was mit Marc passiert ist, war nicht meine Schuld. Er hat es so gewollt und wusste von Anfang an, was ihn erwartet, wenn er mich und Levrier angreift. Ich wusste das nicht!“ „Das ist keine Entschuldigung!“ „Ich will mich auch nicht bei dir entschuldigen, Dummkopf!“ Anya schwang aufgebracht den Arm aus. „Da gibt es nichts zu entschuldigen! Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann ihr beide bei mir! Aber darauf kann ich lange warten, das weiß ich! Deswegen bin ich jetzt so frei und sorge dafür, dass wir quitt sind!“ Mit einem Schlag schwenkte Anya ihren Finger um auf Joan. „Und zwar, indem ich diese Pest hier beseitige. Los, Topaz, Thunder Strike First! Angriff auf [Darklord Desire]!“ „Nein!“, schrie Valerie verzweifelt und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor ihre Patronin. Anyas Krieger schoss wie ein Pfeil durch die Luft, genau wie der finstere Engel Joans. Beide trafen in der Mitte des Elysions aufeinander und tauschten Schläge mit Fäusten beziehungsweise Klingen aus. Doch Desire erwies sich als zu schwach und wurde mitten in der Brust von den Dolchen Topaz' durchbohrt. „Geh aus dem Weg, Redfield!“, befahl Anya aufgebracht, als die Klingen ihres Ritters plötzlich bläuliche Blitze ausstießen. „Wenn [Gem-Knight Topaz] ein Monster im Kampf besiegt, fügt er dessen Besitzer Schaden in Höhe der Angriffskraft seines Opfers zu! Zusammen mit dem Kampfschaden ist das mehr als genug, nämlich ganze 4300 Punkte Schaden, um dieses Drecksweib aus -meinem- Elysion zu jagen!“ „Wie kannst du-!?“ „Sie hat recht“, sprach Joan hinter ihr eindringlich. „Bitte Valerie, geh aus dem Weg, sonst trifft dich die Wucht des Angriffs. Dadurch wäre nichts gewonnen!“ Die Schwarzhaarige drehte sich verzweifelt um. „Nein! Du darfst nicht-!“ „Aus dem Weg, Redfield!“, verlangte Anya und zeigte mit dem Finger auf die beiden. „Ich sag es nicht noch einmal! … aber gut, wenn du so scharf drauf bist, für sie den Treffer einzustecken, ist mir das nur recht! Auch wenn du sowieso danach dein Fett weggekriegt hättest! Los, Topaz, keine Rücksicht mehr!“ Der aufgespießte [Darklord Desire] zersprang unter einem Schrei, als sein gesamter Körper von den blauen Blitzen der beiden Klingen gepeinigt wurde. Aus den Waffen schoss schließlich ein elektrisch aufgeladener Energiestrahl, der direkt auf Valerie zusteuerte. Jene wurde an den Schultern gepackt und kurzerhand von Joan weggeschleudert. Noch während des Falls drehte sich das Mädchen perplex um und sah, wie die Heilige Johanna sie freundlich anlächelte. Ehe sie der Strahl direkt in die Brust traf. „Joan!“, schrie Valerie und prallte auf dem Boden auf.   [Anya: 800LP //// Valerie: 2900LP Joan Of Arc: 3800LP → 0LP]   Panisch richtete sich die Schwarzhaarige sofort wieder auf und packte Joan am Arm, welche trotz der Wucht des Angriffs noch auf beiden Beinen stand. „Joan!“ Allerdings stieß sie einen spitzen Schrei aus, als der aschgraue Arm in ihrer Hand wie Glas zerplatzte. „Oh nein! Nein!“ Langsam begann sich Joan in kleinen Partikeln aufzulösen, ihr ganzer Körper verlor seine Farbe. Doch jene lächelte dabei gedankenverloren. „Ich konnte niemanden retten in dem Zustand, in dem ich war. Niemanden, nicht einmal die, die mir am nächsten standen …“ Valerie hielt sie am anderen Arm fest, doch auch jener zersprang wie Glas in ihrer Hand, welches auf das harte Mosaik fiel. „Joan! Du-! Du darfst nicht-!“ „Ich war die ganze Zeit im Irrtum, Valerie. Ich wollte, dass du zu einem Engel wirst, um die Dinge, die ich nicht erreichen konnte, besser zu machen. Ich wollte mich durch deinen Aufstieg vor dem Herrn als würdig erweisen. Aber er hat mich nicht ohne Grund verbannt.“ Tränen standen in den Augen des Mädchens, die nach vorne stolperte und ihrer Patronin an den Schultern fasste. „Dann lass uns zusammen-“ „Valerie“, antwortete Joan mit traurigem Gesichtsausdruck. „Menschen werden immer nur Menschen bleiben. Auch der Herr hat dies erkannt. Sie sind nicht dazu geschaffen, sein Werk umzusetzen. Auch Gott irrt sich von Zeit zu Zeit.“ Das Mädchen biss sich auf die Lippen. Sie verstand nicht, was Joan ihr damit sagen wollte. Jene lächelte wieder, es war ein Strahlen voller Hoffnung. „Bevor ich diese Welt verlasse und als Dämon wiedergeboren werde, lass mich einen letzten Wunsch formulieren.“ „N-nein, sag das nicht-“ Joan, die keine Hände mehr hatte, um Valerie auf die Schultern zu fassen, legte stattdessen ihre Stirn gegen die der Schwarzhaarigen. „Wirst du mir zuhören?“ „J-ja“, würgte die hervor. „Danke, Valerie. Mein letzter Wunsch ist, dass du wieder die wirst, die du warst, bevor du mich getroffen hast. Das aufrichtige, junge Mädchen, das andere beschützt, wenn sie in Not sind. Erinnere dich daran, wer dich geprägt hat, Valerie.“ „Joan? Ah!“ Mit einem Mal zersprang der restliche Körper der Ritterin wie ein Kristall und schoss durch alle Ecken und Eden des Elysions. Valerie streckte verzweifelt die Hand nach den Fragmenten aus, ehe sie auf die Knie fiel. „Joan!“   Du bist nie ganz allein, Valerie. Mein Wille, dich zu beschützen, wird immer ein Teil von dir sein. Das war mein Versprechen. Unser Pakt.   Anya zischte verächtlich, als sie mit ansah, wie ihre Erzrivalin mit von Tränen benetztem Gesicht ihren leuchtenden Arm ansah. Ihr Mal glühte blau. „Tch. Endlich ist sie weg“, gab die Blondine sich gänzlich ungerührt von der Szene. „Jetzt sind es nur noch wir beide, Redfield!“ Die Augen ihrer Gegnerin verengten sich schlagartig, als sie über ihre Schulter herüber schaute. „Bist du nun zufrieden!?“ „Warum fragst du mich das?“, erwiderte Anya kaltherzig. „Du hast doch den ersten Stein geworfen. Jetzt beschwer' dich nicht, dass ich mit 'nem verdammten Raketenwerfer antworte!“ Valerie zuckte unmerklich zusammen, erhob sich aber einen Augenblick später wieder.   Sie hatte einen Entschluss gefasst. Wenn dieses Duell vorbei war und sie Anya versiegelt hatte, würde sie sich auf die Suche begeben. Nach Joan. Sobald sie wiedergeboren wurde, würde sie sie finden. Sie würde auf diesen Tag warten, egal wie lange es auch dauern mochte. Das schwor sie sich von der Tiefe ihres Herzens. Valerie musste verhindern, dass Joan als Dämon Böses tat, wenn jener Tag gekommen war. Und dann würde Joan sehen, dass ihr letzter Wunsch in Erfüllung gegangen war. Ganz bestimmt. Aber bis dahin …   „Wir sind noch nicht fertig hier, Anya!“, fauchte sie entschlossen und straffte sich, raffte sich auf. „Für all deine Taten wirst du bezahlen! Ein für alle Mal!“ „Zu dumm, dass ich noch am Zug bin, Miststück!“, fauchte ihre Gegnerin zurück und streckte den Arm weit aus, zeigte auf [Evigishki Merrowgeist]. „Sei dankbar, dass du nicht lange um deine Kampflesbe weinen musst, denn ich werde dich gleich hinterher schicken! [Gem-Knight Topaz], würg' ihr deinen zweiten Angriff rein! Thunder Strike Second!“ Noch während sich ihr Krieger in der Mitte des Spielfelds zum zweiten Angriff bereit machte, fügte Anya hinzu: „Du weißt doch, ich muss dem Bild entsprechen, das du von mir hast.“ Valerie schnaubte nur. Da schoss der Krieger auch schon auf ihre Meerjungfrau los, welche den ersten Dolchhieb mit ihrem Zauberstab abwehren konnte. Doch der zweite war direkt auf ihre Brust gezielt, wo sie ganz ungeschützt war. „Joan, wenn du wirklich in mir bist“, murmelte Valerie und schloss die Augen, „dann leih mir deine Kraft!“ Mit einem Schlag begann ihr Mal noch stärker zu leuchten. „Ich hab's geahnt“, zischte Anya daraufhin genervt. Valerie streckte jenen Arm ruckartig in die Höhe. „Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 4-Monster, [Evigishki Merrowgeist], und seinem Xyz-Material wird ein neues Xyz-Monster!“ Direkt unter der Meerjungfrau tat sich ein schwarzes Loch auf, was Topaz dazu veranlasste, schleunigst Abstand zwischen sich und dem Wirbel zu bringen. In jenen wurde Merrowgeist eingesogen, während schwarze, rote und blaue Blitze daraus willkürlich um sich wüteten. Valerie senkte den Arm wieder und betrachtete diesen betrübt. „Ich bin nie allein, was? Ich glaube an dich, Joan!“ Mit gefestigtem Blick wandte sie sich damit Anya zu. „Jetzt gibt es kein Zurück mehr! Incarnation Summon! Aus dem Meer der Tränen, erwache, [Evigishki Serenade – Ghost Princess Merrow]!“ Blitzschnell schoss aus dem Wirbel eine große, fischartige Gestalt, gefolgt von einer gewaltigen Wasserfontäne. Verblüfft stellte Anya fest, dass jene Valeries neuem Monster folgte, als dieses eine Runde um deren Elysion drehte und sich schließlich majestätisch vor ihrer Gegnerin aufbaute. Dabei hatte dieses Monster einen weitflächigen Ring aus Wasser um Valerie gebildet. Evigishki Serenade – Ghost Princess Merrow [ATK/2100 DEF/1600 {4}]   Zwei goldene Sphären kreisten um diese neue Meerjungfrau. Doch die war anders als ihre Vorgängerin – sie war ein Geist. Durchsichtig, schneeweiß und flimmernd wie ein kaputter Fernseher. Nichts mehr als eine Illusion. Das lange, gewellte Haar lag ihr direkt im Gesicht, sodass dieses nicht zu erkennen war. Ihr langer Körper war bestückt von langen Dornen, aus dem Rücken ragten zwei lange Flossen, die wie Flügel anmuteten. Den Stab hatte Merrow bei ihrer Transformation verloren – genau wie ihre Arme. „Die gewinnt gewiss keinen Schönheitswettbewerb“, spottete Anya, welcher der Anblick der Kreatur kein müdes Wimpernzucken hervorlockte. Zumindest nicht äußerlich. „Das kann ich verkraften“, fuhr Valerie auf derselben Schiene wie ihre Gegnerin fort. „Immerhin kann ich mich damit trösten, dass Princess Merrow nur von Xyz-Monstern besiegt werden kann.“ Soviel hatte Anya bereits vermutet und fluchte innerlich. Egal wie stark ihr Topaz auch war, an diesem Vieh und der Mauer aus Wasser kam sie nicht vorbei. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. Was half ihr all das Wissen um die Incarnation-Monster, wenn sie jenes nicht ausnutzen konnte!? „Da hast du ja nochmal Glück gehabt, dass deine Freundin dir mit ihrem letzten, verkrüppelten Atemzug den Hintern gerettet hat“, maulte Anya zornig. „Vorerst jedenfalls. Dann zeig mir mal, wie toll die Sumpfhexe ist. Im Ernst, den Look hat sie doch aus The Ring geklaut! Zug beendet!“   Mit einem plötzlichen, wütenden Schrei riss Valerie die nächste Karte von ihrem Deck. Wie konnte sie nur!? Wie konnte dieses Mädchen selbst jetzt noch so zuversichtlich sein!? Hatte sie denn gar keine Angst? Sie war bis auf ihr Monster völlig ungeschützt, wusste nichts über Merrow und dennoch! Woher nahm sie diese verdammte Zuversicht!? Valerie verstand es einfach nicht. So war Anya schon immer gewesen! Aber das hier war nicht der Schulhof, das hier war bitterer Ernst! „Der Effekt von [Evigishki Serenade – Ghost Princess Merrow] aktiviert sich während meiner Standby Phase“, rief sie angespannt, „es regeneriert Xyz-Materialien, bis es drei Stück hat.“ „Ach, wie unerwartet“, giftete Anya daraufhin garstig, „hast du dir wohl von Marcs Ghostrider-Abklatsch abgeschaut, huh?“ Getroffen von dieser Spitze, schwieg Valerie einen Moment, während aus ihrer Duel Disk eine goldene Sphäre auftauchte und zusammen mit den anderen beiden um ihre Geistermeerjungfrau zu kreisen begann. Schließlich sagte sie, bemüht die Fassung zu wahren: „Ich habe jetzt die Wahl zwischen drei Effekten. Der mächtigste, der mich alle drei Xyz-Materialien abhängen lässt, stellt dich vor eine Wahl. Du musst mindestens eine, aber maximal drei Karten ziehen. Und für jede so gezogene Karte erhalte ich gleich zwei.“ Anya blinzelte einen Moment überrascht. Sie bekam von Redfield Karten? Ernsthaft? Aber nein … das war doch nur, um ein Psychospielchen zu treiben. Vermutlich dachte das Miststück, sie könne ihre Gier für sich ausnutzen! Aber nicht mit ihr! Andererseits wären drei neue Karten jetzt genau das Richtige in ihrer Situation. Aber dadurch erhielte ihre Gegnerin gleich sechs, was wiederum alles nur umso riskanter machte. Es war zum-   „Jedenfalls ist das, was ich sagen würde. Aber nein, dir diesen schwachen Hoffnungsschimmer zu schenken bin ich nicht gewillt“, fügte Valerie plötzlich an. Sie kniff ihre Augen so fest zusammen, dass ein Stück Papier Schwierigkeiten hätte, zwischen die Lider zu passen. „Ich habe einen viel effektiveren Weg, dich zu besiegen.“ „Ach ja!?“, erwiderte Anya mit Zornesfalten auf der Stirn. Hatte Redfield es doch tatsächlich gewagt, mit ihr zu spielen! „Das will ich erstmal sehen!“ Jene musste zugeben, dass ihr Anyas beleidigter Blick durchaus zusagte. „Das wirst du. Ich nutze die ersten beiden Effekte von Ghost Princess Merrow. Für ein Xyz-Material erhalte ich ein Ritualmonster von meinem Friedhof oder Deck.“ Ein Schatten huschte durch den Ring aus Wasser, welcher Valerie umgab. Die Geistermeerjungfrau, die vor jenem Ring schwebte, drehte ihren Kopf um ganze 360 Grad, wobei ihr Haar jedoch am Gesicht kleben blieb. Doch für einen kurzen Moment glaubte Anya, ein rotes Leuchten auf Höhe der Augen wahrgenommen zu haben. Derweil schoss die von Valerie gewählte Ritualmonsterkarte aus deren Deck hervor und wurde sogleich ins Blatt aufgenommen. Eine der goldenen Sphären löste sich wie Nebel auf. „Und jetzt der zweite Effekt, der mich die verbliebenen beiden Xyz-Materialien kostet“, fuhr Valerie fort. „Es ist dasselbe Spiel, wie eben. Diesmal nur mit einem Ritualzauber.“ Anya schreckte zusammen, als sie erkannte, dass ihre Gegnerin sich somit mühelos ein Ritualset zusammenstellt hatte. Die Geisterprinzessin drehte ihren Kopf wieder zurück in die Ausgangsposition, doch diesmal war Anya sich sicher, dass deren Augen rot leuchteten, als Valerie die Ritualzauberkarte auf ihr Blatt nahm und die goldenen Sphären verdunsteten. „So ein Kackmist“, fluchte Anya wütend, ahnend, was jetzt kommen würde. „Du willst doch auch sicher wissen, für welches Ritualmonster ich mich entschieden habe?“, fragte ihre Rivalin bitterböse. „Ich zeig es dir! Indem ich den gesuchten [Gishki Aquamirror] aktiviere und [Gishki Vision] als Opfer anbiete, kann ich dieses Monster hier beschwören! Erscheine aus endlosen Kristallkaskaden! [Evigishki Soul Ogre]!“ Zunächst tauchte vor Valerie jedoch nur ein goldener Spiegel auf, in dessen kreisrunder Fläche sich das geopferte Monster widerspiegelte, eine amphibische Kreatur auf zwei Beinen mit einem blauen Cape um die Schultern. Schließlich schossen mehrere Wasserfontänen rings um Valerie in die Höhe, bis ein dunkler Schatten daraus hervortrat, den Ring aus Wasser passierte und sich neben Merrow stellte. „Der also“, brummte Anya alles andere als begeistert. Ihr gegenüber stand eine Mischung aus Amphibie und Dinosaurier. Dessen gewaltiger Kamm erstreckte sich vom Kopf abwärts hin bis zum massiven Schweif, der ganze Körper war von dunklen Schuppen bedeckt.   Evigishki Soul Ogre [ATK/2800 DEF/2800 (8)]   Sofort fühlte Anya sich an ihr Duell mit Valerie vor zwei Monaten erinnert. Damals, als die Server der AFC schlapp gemacht hatten. Dieses Ding war gefährlich! Aber plötzlich schrillten bei Anya die Alarmglocken, als sie etwas realisierte. „Hey! Du hast zu wenig geopfert, um das Drecksvieh zu beschwören! Dein Visionendingsda war nur auf Stufe 2, du musst aber mindestens-“ „Hast du es immer noch nicht gelernt?“, schnitt Valerie ihr genervt das Wort ab. Auch sie hatte ein Déjà-vu. Ein eher unerfreuliches wohlgemerkt. „Wenn ich weniger Opfer als vorgesehen erbringe, dann kannst du dir sicher sein, dass das angebotene Monster durch seinen Effekt alle Kosten auf einmal trägt. Das war damals bei [Gishki Shadow] so und ist auch bei [Gishki Vision] nicht anders.“ Anya winkte ab. „Pah! Was für ein Scheiß! Wer denkt sich so einen Quatsch aus?“ „Jemand, der mehr vom Spiel versteht als du.“ Valerie nahm ihre vorletzte Handkarte und schob sie in den Friedhofsschacht ihrer Duel Disk. „Aber so viel sollte auch dir klar sein. Wenn ich ein Gishki-Monster abwerfe, schickt Soul Ogre eines deiner Monster auf dein Deck zurück. Oder in diesem Falle Extradeck.“ Sich ihrer [Gishki Noellia] entledigt, spürte Valerie ein nahezu unheimliches Gefühl von Genugtuung in sich aufkeimen, als sie Anya ansah. Deren Augen weiteten sich, als sie erkannte, was das für sie bedeutete. „Topaz!“ „Er wird dich nicht mehr schützen können!“ Valeries Oger begann damit, Wasser von dem Ring hinter ihm einzusaugen, welches er kurzum in einem gebündelten Wasserstrahl direkt auf [Gem-Knight Topaz] abfeuerte. Dieser wurde von dem Strom glatt über das Elysion hinaus geschleudert und verschwand in der Finsternis. Anya sah ihm fassungslos hinterher.   Damit war ihre letzte Verteidigung gefallen. Sie hatte verloren.   „Wo ist jetzt deine Angeberei hin?“, fragte Valerie scharf. „Wie ist es, wenn man erkennt, dass man nicht immer gewinnen kann?“ Anya wandte sich mit hasserfülltem Blick zu ihr um. „Was soll der Mist, Redfield? Willst du dich über mich lustig machen?“ „Nein. Eher will ich wissen, wie es sich für dich anfühlt, zur Abwechslung an jemand Stärkeres geraten zu sein?“ Plötzlich lachte Anya höhnisch auf. „Was ist so lustig!?“, wollte Valerie wissen, die dieser Provokation anders als sonst nicht erhaben war. „Warum lachst du!?“ Das Mädchen ihr Gegenüber fasste sich an die Stirn und sah sie mit einem Auge überheblich, ja gar wahnsinnig an. Es jagte Valerie einen eiskalten Schauder über den Rücken. „Ach, es ist nichts Besonderes. Nur dass du denkst, du wärst die Erste, die stärker ist als ich. Das ist alles.“ „W-was soll das heißen?“ Ein fieses Grinsen breitete sich auf Anyas Gesicht aus. Plötzlich wirkte die Blondine so unmenschlich, dass Valerie vollkommen ins Stocken geriet. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in letzter Zeit gegen jemanden gekämpft habe, der schwächer war als ich.“ Das diabolische Grinsen von Anya wurde noch breiter. „Und weißt du was? Das turnt mich richtig an. Nie zu wissen, ob es gleich vorbei ist. Was der nächste Tag bereit hält. Es macht mir Angst, aber gleichzeitig ist es auch so …“ „So was? „Befriedigend.“ Anya nahm langsam die Hand von ihrer Stirn und sah gen Boden, grinste aber immer noch. „Es macht mir Spaß. Viel mehr, als irgendwelche Maden zu zerquetschen. Sag mir, Redfield, warum soll ich mich noch mit irgendwelchen Nerds und Spinnern 'rumärgern, wenn ich das hier haben kann?“ Mit einem Mal streckte Anya beide Arme zu den Seiten aus. „Dies ist jetzt meine Welt geworden. Ein Abenteuer, von dem andere nur träumen können. Es ist ein Albtraum, und ich liebe Albträume! Denn sie machen einem erst bewusst, dass man am Leben ist!“ Plötzlich verflog Anyas manischer Gesichtsausdruck, doch eine gewisse Genugtuung blieb. „Ich mag vielleicht verloren haben. Aber weißt du was? Wenn ich jetzt im Limbus lande wegen dir, bleibt mir zumindest eins. Der Nervenkitzel herauszufinden, was sich dahinter verbirgt.“   Einen Moment lang schwiegen beide. Schließlich fand die Schwarzhaarige zu ihrer Stimme zurück. „Du hast doch eine Macke, Anya. Das hier ist kein Spiel!“ „Was denn dann, Redfield? Ein Ponyhof?“ Anya spuckte auf ihr Elysion. „Nah, im Grunde könnt' ich reden wie ein Wasserfall, aber kapieren würdest du dennoch nicht, was ich damit sagen will. Warum ersparst du uns dieses ätzende Gespräch nicht einfach, indem du angreifst?“ „Ich denke, ich will gar nicht verstehen, was du da redest. Aber wenn du willst, dann erfülle ich dir diesen Wunsch. Das ist schließlich, warum ich hier bin.“ Valerie sah herüber zu ihren Monstern. Nur ein Befehl und sie würden es beenden. Sie öffnete den Mund, doch etwas in ihr hielt sie zurück.   Anya war krank. Sie schien an diesem Terror Gefallen gefunden zu haben. Wie konnte ein Mensch darin aufgehen, ständig in Angst zu leben? Valerie verstand es nicht, sie konnte das einfach nicht begreifen. Angst war das Schlimmste, was es in dieser Welt gab. Niemand wusste das besser als sie. Allein die Angst, Marc noch einmal zu verlieren, war so grauenhaft, dass Valerie am liebsten schreien wollte. Dass Anya es genoss … im Grunde empfand Valerie dafür Mitleid. Denn auch wenn Anya ein Monster war, so etwas hatte doch niemand verdient, oder? Und mit einem Schlag erinnerte Valerie sich an etwas. Vergessen geglaubte Bilder traten vor ihrem inneren Auge auf. Die Zeit mit Anya, als sie beide noch Kinder gewesen waren. Plötzlich dachte Valerie an Joan und ihre Worte. „Ich muss … wieder ich selbst werden?“, murmelte sie leise vor sich hin. Wer war sie denn zu diesem Zeitpunkt? Und wer war Anya? Die Dinge … waren anders. Joan hatte es wohl gewusst, die ganze Zeit über. Warum hat sie sonst erwähnt, dass sie sich an das erinnern soll, was sie einst geprägt hat? Ebenjene Kindheit mit Anya. Diese stand ihr mit kämpferischer Mimik von der anderen Seite des Zwillingselysions gegenüber und schien das Ende tapfer zu erwarten. Wieder öffnete Valerie den Mund, doch statt Worten, entsprangen ihrem Kopf nur Gedanken.   So habe ich dich schon oft gesehen. Viel zu oft, Anya. Weißt du noch, damals? Als wir noch klein waren, im Kindergarten, da war ich immer alleine. Keiner mochte mich, weil ich aus einer wohlhabenden Familie stammte und immer das bekam, was ich wollte. Und wenn ich versuchte zu teilen, dachten die anderen Kinder, ich würde mir ihre Freundschaft erkaufen wollen. Was ich ihnen aus heutiger Sicht nicht verübeln kann, es stimmte schließlich. Sie begannen mich zu ärgern, nahmen mir mein Spielzeug weg und machten sie vor meinen Augen kaputt. Und sie beleidigen meine Familie, meinen Vater, weil er alleine war. Sie zogen mich auf, weil meine Mutter kurz nach meiner Geburt gestorben war, lachten über meine Großmutter, die mit dem Krebs zu kämpfen hatte, aber zu stolz war, um ihre ausgefallenen Haare mit einer Perücke zu verstecken. Sie waren auf ihre Art grausamer als jeder Erwachsene es je hätte sein können. Bis du dich zwischen die Fronten gestellt hast. Ich kann nur raten warum, aber ich schätze, du kanntest das Gefühl, ohne ein Elternteil aufzuwachsen. Dein Vater hatte sich ja zur gleichen Zeit von deiner Mutter geschieden und ist mit deinem Bruder umgezogen. Nicht ertragen könnend, dass ich deswegen aufgezogen wurde, hast du die Aufmerksamkeit der anderen auf dich gezogen. Um allen zu beweisen, wie stark du bist. Deswegen hasst du mich auch, nicht wahr?   Denn während du Tag für Tag meine Peiniger in Schach gehalten hast, habe ich mich mit anderen Mädchen anfreunden können. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich deine Hilfe nicht mehr brauchte, weil es niemanden mehr gab, der auf mich herabsah. Wir beide hatten bis dato nie auch nur ein Wort miteinander gewechselt, manchmal glaubte ich, du hast dich wirklich nur des Spaßes wegen geprügelt. In deinen Augen habe ich nie existiert, sondern nur der Sachverhalt. Dachte ich. Aber ich habe nicht realisiert, dass es deine Art gewesen ist, mit mir eine Freundschaft schließen zu wollen. Und als die Basis, auf der sie beruhen sollte, fort war … warst auch du fort. Das begreifend, habe ich es gewagt, dich anzusprechen. Dir zu danken und dir meine Freundschaft anzubieten. Aber du hast mich abgewiesen und seitdem war ich immer deine Erzrivalin. Ich verstand nicht, warum du das getan hast. Welchen Fehler ich begangen habe, um mir deine Feindseligkeit zu verdienen. Und du hast es bestimmt vergessen, weil es so lange her ist. Oder verdrängt. Ich kenne schließlich keinen Menschen, der so nachtragend ist wie du, selbst wenn es nur um Trivialitäten geht. Diese Feindseligkeit hat viele Jahre später dazu geführt, dass du vor meinen Augen die mir wichtigste Person umgebracht hast. Zumindest wollte ich das glauben, deinem miesen Charakter die Schuld geben. Aber du hast es nicht getan, weil du es wolltest, nicht wahr? Sondern weil du verletzt warst, da auch du Marc sehr geliebt haben musst. Und wenn ich jetzt ehrlich bin, hätte ich an deiner Stelle genauso gehandelt. Aus Angst zu sterben. Aber welche Ängste musst du Tag für Tag durchlebt haben, seit du den Pakt mit Levrier geformt hast?   Valerie senkte ihren Kopf und betrachtete ihre Hand.   So sehr ich dich versuche zu hassen für all deine Fehler, deine Taten und deine Respektlosigkeit gegenüber anderen, kann ich diesen letzten Angriff nicht mehr durchführen. Weil es teilweise meine Schuld ist, dass du so geworden bist. Hätte ich damals den Mut gehabt mit dir zu reden, dir rechtzeitig zu danken, wären wir vielleicht Freundinnen geworden. Ich hätte dich davor bewahren können, die Außenseiterin zu werden, die du jetzt bist. Und davor, jetzt aus Angst deine Kraft zu beziehen. Stattdessen habe ich in deinem Schatten gelebt, der mich vor der glühenden Sonne beschützt hat, damit ich die angenehmen, warmen Strahlen genießen konnte. Und während du über all die Jahre bis zum heutigen Zeitpunkt so furchtbar nervtötend warst …   „... war ich immer nur neidisch auf dich.“ „Huh?“ Anya blinzelte verdutzt. „Was geht denn bei dir ab, Redfield? Bist du zu feige, es zu einem Ende zu bringen!?“ Valerie sah Anya mit forschender Mimik an. „Was lässt dich das glauben?“ „Du siehst aus, als ob du gleich losflennst.“ Anya zuckte genervt stöhnend mit den Schultern. „Aber fein, ich akzeptiere meine Niederlage, wenn's denn unbedingt sein muss! Mach endlich, ich habe mich sowieso längst damit abgefunden, in diesem Limbus-Ding zu verrecken!“ Was tatsächlich alles andere als der Wahrheit entsprach. Aber die Blöße wollte Anya sich nicht geben, nicht vor Valerie Redfield, die dafür verantwortlich sein würde! Andererseits hätte es auch einen Vorteil, jetzt zu verlieren. Nur einen einzigen, das Ende der Lüge …   Neidisch, weil du trotz der Steine, die du dir selber in den Weg legst, daraus immer eine Straße geschaffen hast. Weil deine Kraft schier unbegrenzt scheint, wenn es darum geht, deinen Willen durchzusetzen. Aber heißt das nicht auch, dass deine Angst so groß ist? Du hast wirklich vergessen, was damals zwischen uns geschehen ist, nicht wahr? Du bist einfach weitergegangen, ohne je zurück zu sehen. Geblieben ist nur der Groll selbst, an dessen Ursprung du dich nicht mehr erinnern kannst. Ich aber nicht, Anya, ich habe es nicht vergessen. Und ich will immer noch deine Freundin sein. Um meine Schuld bei dir zu begleichen und meine Sünden wieder gut zu machen. Joan hatte die ganze Zeit recht. Meine Rache war nur eine Entschuldigung, um den vielen schwereren Konflikten aus dem Weg zu gehen. Du hast meinen Verlobten getötet, aber du warst es nicht, die diesen Kampf angezettelt hat. Ich hätte eingreifen müssen, als Marc sich verändert hat. Du bist letztlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Also … vielleicht können wir wirklich noch Freundinnen werden, egal was in letzter Zeit zwischen uns geschehen ist. Wenn du ebenfalls aufhörst, vor deinen inneren Konflikten davon zu rennen.   Valerie hob den Arm an.   Aber noch nicht jetzt. Nicht heute. Wir sind beide noch nicht bereit dazu. Erst musst du zurückbekommen, was du damals verloren hast. Etwas, das dir vielleicht schon gefehlt hat, bevor Levrier in dein Leben trat, gar bevor wir uns kennengelernt hatten. Was das ist, weiß ich nicht. Dabei helfen, es zurückzubekommen, kann ich auch nicht. Das Teil des Puzzles, das dir fehlt, kannst du nur in dir selber finden. Zumindest möchte ich das glauben. Und ich möchte glauben, dass du es ernst meinst. Uns nicht für deine eigenen Zwecke opfern willst. Joan hat an dich geglaubt. Also werde ich es auch tun. Auch wenn es mir sehr schwer fällt. Dafür brauche ich Zeit. Was ich jetzt weiß ist, dass Anya Bauer, du, menschlicher bist als man es dir jemals zutrauen würde. Aber solange du das selber nicht erkennst, müssen wir Rivalinnen bleiben. Damit du weitergehen kannst, bis du weißt, wohin die Reise führen soll.   „Ich gebe auf“, verkündete Valerie mit erhobenem Haupt. „Wie jetzt!?“, schoss es aus Anya heraus. „Hast du etwa deine Tage, Redfield!? 'nen Football an den Kopf bekommen – ich war's nicht! Leider … ! Was soll der Kackmist auf einmal!?“ „Mir hätte klar sein müssen, dass die Chancen dieses Duells völlig unausgeglichen waren. Joan allein ist stärker als ihr beide zusammen gewesen.“ Die Schwarzhaarige drehte ihrer Gegnerin den Rücken zu. „So ehrlos zu gewinnen ist nicht mein Stil. Schließlich habe ich Joans Kraft, aber du?“   Und schlimmer, ich bin verantwortlich dafür, dass sie nun fort ist. Ich habe sie dazu breitgeschlagen mir zu helfen. Das auf dich abzuwälzen wäre ungerecht. Für meinen Durst nach Rache wurde ich schwer bestraft und ich denke, meine Lektion habe ich gelernt. Für dieses eine Mal … lasse ich es gut sein, Anya. Aber wenn dies nicht noch einmal geschehen soll, musst du mir beweisen, dass du nicht so niederträchtig bist, wie es im Moment den Anschein hat.   [Anya: 800LP //// Valerie: 2900LP → 0LP] Anya lief rot an. Vor Wut. Rasender, unbändiger Anya Bauer-Premiumwut. „Tickst du noch ganz sauber!? Ich brauche deine Gnade nicht, du dämliches Miststück! Wir setzen das hier fort, klar!? Einer gegen einen, damit wir sehen, wer wirklich die Hosen anhat!“ „Kein Interesse“, winkte Valerie ab, drehte ihr den Rücken zu. Mit dem Anflug eines herausfordernden Lächelns. „Überlebe erstmal den morgigen Tag, dann können wir darüber reden, dies hier zu wiederholen.“ Auch wenn ich nicht weiß, wie ich dir dabei helfen soll.   „H-heißt das, du willst mir-!?“ Anya verstand die Welt nicht mehr. „Redfield, du hast deine Tage, oder!? Bist du so ausgelaufen, dass dein Hirn unterversorgt ist!? Die ganze Zeit redest du davon, mich zu-“ Weiter kam sie jedoch nicht. Plötzlich fing das Elysion an zu erbeben. Die beiden Elysien, die miteinander verbunden waren, begannen sich von einander zu trennen und wegzubewegen. Über die Schulter sah Valerie ein letztes Mal zu Anya herüber, die ihr ganz verdattert nachschaute. „Doch Anya, du brauchst meine Gnade.“ „Du elende-!“ Ehe Anya jedoch weitere wüste Beschimpfungen von sich geben konnte, zerbrachen beide Elysien gleichzeitig. Die Mädchen fielen in die tiefe Dunkelheit und drifteten soweit auseinander, dass sie letztlich aus dem Blickfeld der jeweils anderen verschwanden.   ~-~-~   Mit einem Satz richtete die Blondine sich keuchend auf. Sie war hellwach und fasste sich an die Stirn. „Verdammter Mist, wieso gerade jetzt!?“ Plötzlich spürte sie, wie etwas auf ihre Oberschenkel sprang. „Mon Amour! Wir haben überlebt, wir haben überlebt!“, trötete Orion mit strahlenden Augen und kuschelte sich an Anyas Bauch. Und wurde infolge dessen mit einem wütenden Aufschrei durch den Flur geworfen. „Finger weg, du notgeiler Scheißhaufen!“, keifte Anya und sah Orion hinterher, der gegen die Tür am Ende des Flurs knallte. Sie blinzelte zweimal verdutzt. „Oh, jetzt wo du's sagst, du lebst noch?“ „I-ich weiß zwar nicht, was du damit meinst, aber die Chancen stehen gut, dass er es jetzt nicht mehr tut.“ Anya sah zur Seite und bemerkte, dass auch Nick und eine um Orion besorgte Abby da waren und neben ihr knieten. Ihre Freundin betrachtete sie kritisch. „Wieso sollte Orion tot sein? Wobei ich ja zugeben muss, dass ich mich ganz schön erschrocken habe, als er plötzlich einfach auf dir drauf lag.“ „Wieso darf Orion -da- liegen und ich nicht?“, jammerte Nick weinerlich. Anyas Blick verfinsterte sich. „... wo genau?“ „... sie ist weg.“   Die Drei drehten sich überrascht zur Tür um, wo auch Valerie wieder zu Bewusstsein gekommen war. Die betrachtete ihren Arm betrübt, das mit ihrem verblassten, blauen Mal versehen war. „Joan ist fort.“ „Tch, komm drüber hinweg. Die wichtigere Frage ist doch, warum die Pornozwiebel noch da ist!“ Mit einem Satz sprang Anya auf und schritt auf Valerie zu, starrte feindselig auf sie herab. „Wir haben immer noch nicht geklärt, was das eben sollte!“ Das gesagt, reichte die Blondine ihrer Erzrivalin plötzlich die Hand. Valerie, die so eine Geste ausgerechnet von einer Anya Bauer nie erwartet hätte, griff zu, solange das Angebot stand und ließ sich aufhelfen. Wenn auch die Befürchtung vorhanden war, auf halbem Weg nach oben aus purer Boshaftigkeit wieder losgelassen zu werden – was Anya anscheinend nicht in den Sinn gekommen war. „Also“, dröhnte ihr Gegenüber maulig, „wieso hast du-“   Anya wurde jedoch vorzeitig unterbrochen, als es unerwartet an der Tür klingelte. „Wer ist das?“, wunderte sich Abby und nahm eine lockere Haltung an. Sie hatte fast befürchtet, dass Anya Valerie jeden Moment 'eine reinwürgen' würde, um es mit Anyas Sprache auszudrücken. „Vielleicht Anyas Mum? Wer weiß, wo sie sich herumgetrieben hat, die olle Milf“, gluckste Nick und bekam umgehend eine Kostprobe davon, wie Abby mit ihrer Hacke versuchte, anderer Leute Zehen zu brechen. „Sei nicht so respektlos, Nick!“ „AU! Heute ist echt verdrehte Welt. Anya ist nett-“ Der Todesblick ließ Nick jedoch sofort verstummen. „Nicht-die-vier-Buchstaben! … und danke, Abby. Den Move muss ich mir merken.“ Jene legte spaßeshalber ihre flache Hand an die Schläfe. „Immer zu Diensten, Sir!“ Als es schließlich nochmal klingelte, trat Anya zur Tür und nahm den Griff in die Hand. „Als ob meine Mum klingeln würde! Und was soll das heißen, 'Milf'!?“ „Es ist bestimmt Marc“, meinte Valerie mit abgewandtem Blick, „man muss kein Genie sein um zu erahnen, wo ich um diese Uhrzeit groß sein könnte …“ „Tch! Wer immer es ist, wird es bereuen, so spät noch zu stören“, zischte Anya wütend und riss die Haustür auf. „Ich kaufe nichts von Pe-“   „Anya Bauer?“, fragte eine junge Frau in dunkelblauer Uniform. Hinter ihr stand ein etwas größerer, dunkelhaariger Mann, ebenfalls uniformiert. Die Polizei. Anya blieben die Worte im Halse stecken. Sie nickte nur knapp. „Wir haben vor etwa einer Stunde einen Anruf erhalten“, sprach die rothaarige Polizistin mit ernster Stimme weiter. Dem Mädchen sackte das Herz in die Hose. Ihre Mutter war noch nicht zurück, obwohl es schon nach 10 Uhr war. So spät war sie noch nie auf der Arbeit geblieben! Kein Unfall! Lass es kein Unfall sein!   Mit einer unbeholfenen Geste lud Anya die beiden ein, doch die Frau schüttelte den Kopf. „Anya Bauer, gegen Sie liegt aufgrund des Verdachts der mehrfachen Brandstiftung ein Haftbefehl vor. Wir bitten Sie, friedlich …“   Doch Anya hörte nicht mehr hin, wie die Polizistin ihre Standardphrasen herunter leierte. Haftbefehl? Gegen sie!? Brandstiftung!? Das war doch völliger Schwachsinn, sie hatte nie-!   Irritiert wandte sie sich zu den anderen um, die nicht weniger erschrocken im Flur warteten. Der Brand im Park! Das … die dachten, das war ihre Schuld! Aber wieso jetzt auf einmal!? Die Polizistin packte Anya am Arm. „Kommen Sie bitte mit uns. Und keine Gegenwehr. Ich kenne Ihre Akte und möchte Sie ungern unter Anwendung von Gewalt abführen.“ Anya nickte betreten, ihr Kopf wollte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Dabei war die Situation an sich nichts Neues für sie. Aber dieses Mal war es anders. Sie hatte Angst. Der Turm von Neo Babylon würde bald erscheinen, es war keine Zeit, jetzt in einer Zelle zu versauern! Aber wie sollte sie das verhindern!? Levrier war fort! Und mit ihm die Kontrolle über ihre Kräfte, das wusste Anya genau. Und wenn sie sich jetzt mit diesen Typen anlegte, würde das alles nur viel schlimmer machen. Die hatten Waffen! Sie drehte sich um, als die beiden Polizisten sie flankierten und zu ihrem Wagen führten. Ihr flehender Blick half jedoch nichts, keiner ihrer Freunde sagte auch nur ein Wort, wagte es nicht, etwas gegen die Verhaftung zu unternehmen. „Kümmert euch um das Haus, 'kay?“, war der wohl absurdeste Gedanke, den sie fassen und auch formulieren konnte. Dann wurde sie am Kopf gepackt und auf die Rückbank des Streifenwagens gezwängt.   Valerie hatte doch wahr gemacht, was sie angekündigt hatte …     Turn 31 – November 11th Noch fassungslos von den jüngsten Ereignissen, wird Anya in eine Zelle des Police Departements gesperrt und damit konfrontiert, so kurz vor dem Ziel gescheitert zu sein. Derweil erfahren Abby und Nick, wer wirklich hinter dem Anruf steckt. Woraufhin sie verzweifelt zum Police Departement eilen, um Anya zu befreien. Gleichzeitig beginnen sich die Vorgänge rund um den Turm von Neo Babylon endlich in Gang zu setzen. Und als es scheinbar keinen Ausweg mehr gibt, unternehmen die beiden einen verzweifelten Versuch, die Dinge zu richten – mit fatalen Folgen. Kapitel 31: Turn 31 - November 11th ----------------------------------- Turn 31 – November 11th     Antriebslos, ja fast schon müde betrachtete Anya ihre Hände, die kurz zuvor noch in Handschellen gesteckt hatten. Die Polizisten hatten ihr alles genommen. Taschenmesser, Feuerzeug, das Messer unter ihrer Schuhsohle, gar die versteckten Haarklammern. Mittlerweile kannten sie sie wohl einfach zu gut. Eins stand fest: sie würde die kleine Zelle nicht verlassen können. Nicht ohne Hilfe. Aber wer konnte ihr jetzt schon helfen? Levrier? Der war irgendwo, nur nicht hier. Die anderen? Bedingt. Vielleicht konnte Abby etwas erreichen, aber sie war zu umständlich, als dass Anya sich in so etwas auf sie verlassen konnte. Matt? Solange der nichts davon erfuhr, würde er nichts tun können – und selbst wenn, das Narbengesicht würde ihr garantiert in den Rücken fallen. Und Redfield? Die hatte sie doch erst in diese Lage gebracht!   Anya war nie pessimistisch gewesen. Aber dieses Mal wusste sie, dass ihre Chancen äußerst schlecht standen, hier rechtzeitig herauszukommen. Ein Blick auf die kreisrunde Uhr neben dem hoch angelegten, kleinen Gitterfenster auf dem Gang gegenüber ihrer Zelle verriet Anya, dass es bereits kurz nach 11 Uhr war. Und sie spürte eine fremdartige Anspannung, schon seit einer Weile. Ihr Körper wusste, dass der Turm von Neo Babylon jeden Moment kommen würde. War das letztlich der Grund für Levriers plötzliches Verschwinden? Sie betrachtete ihr Mal. Es war noch da, mit ihm der Pakt. Nur seine Kräfte, die hatte er mitgenommen. Ansonsten hatte sich nichts geändert. Gar nichts. Anya lachte bitter auf. Das hatten die beim ziemlich kurzen Verhör auch gesagt. Hoffnungsloser Fall, so hatten sie sie tituliert. Verdammt richtig! Nur in diesem Fall … würde sie ihr Ding diesmal nicht durchziehen können, wenn das so weiterging. Das Mädchen verstand selbst nicht, warum sie so niedergeschlagen war. Vielleicht weil sie tief in ihr wusste, dass sie bekommen hatte, was sie verdiente? Wie würde Abby es nennen, Karma? Für alle anderen war es das Beste so, dessen war sie sich bewusst. „Tch …“ Nachdenklich blickte sie durch das Fenster. Diese bekloppte Pritsche war immer noch hart, ihr tat schon der Allerwerteste weh. Zumindest war sie allein, die anderen Zellen leer. Jetzt noch irgendwelche Drogensuchtis heulen zu hören wäre zu viel für sie. Allerdings blieb die Frage, was ihr „Ding“ überhaupt war … und ob sie es wirklich durchziehen wollte …   ~-~-~   Die drei jungen Menschen, die am Küchentisch der Familie Bauer saßen, tauschten Blicke voller Ratlosigkeit und Entsetzen aus. Kaum war Anya weg, hatten sie sich darauf geeinigt, dass sie schnell handeln mussten. Und sie brauchten einen Plan. „Ich habe das nicht getan“, schwor Valerie bereits zu dritten Male. „Wir glauben dir doch“, versuchte Abby sie zu beruhigen. Valerie wusste nicht mehr, was sie denken oder fühlen sollte. Auf der einen Seite hatte sie zugelassen, Anya näher zu kommen, konnte zum ersten Mal über ihre abscheuliche Tat hinaus das Mädchen sehen, das jetzt dringend ihre Hilfe brauchte. Andererseits war sie niemand, der je ohne Zweifel war – Anya stellte nach wie vor ein nicht zu verachtendes Risiko dar. Deren Festnahme war für ihr persönliches Glück mit Marc sozusagen das Beste, was hätte passieren können. Aber ein Teil von ihr hatte Anya verziehen und wollte ihr helfen. Was sollte sie tun, für welche Seite sollte sie sich entscheiden? Joan … ihr Pakt war ungebrochen. Sie existierte noch irgendwo da draußen. Was würde sie ihr raten?   „Wenn Levrier, warum auch immer, inaktiv ist, dann kann Anya ohne Hilfe nicht entkommen“, grübelte Abby und wiederholte sich damit ebenfalls. Sie sorgte sich fürchterlich um das Wohl ihrer Freundin. Die Dinge hatten sich so plötzlich überschlagen, dass es ihr schwer fiel, den Überblick zu wahren. Erst Valeries Ausbruch und nun eine gefangene Anya, gepaart mit Orions Zweifeln bezüglich Joans Ambitionen. Auch jetzt ließ der Schattengeist nicht davon ab. Dennoch, egal wie sie zu Anya standen, wichtig war, jene erstmal zu befreien.   „Dann bist nur noch du übrig“, sprach Nick und sah den Schattengeist nachdenklich an, piekte ihn mit dem Zeigefinger in den Bauch. Ihm war nicht danach, seine Rolle zu spielen. Nicht jetzt, wo Anya im Knast saß und auf ihre Hilfe hoffte. Wie sonst sollte man ihre letzten Worte an sie interpretieren, bevor sie abgeführt wurde? Es war schon schlimm genug, zu der Erkenntnis gelangt zu sein, dass er Anya von ihrem schrecklichen Los nicht befreien konnte. Und dass alles, was er im Grunde für sie tun konnte … nicht richtig, gar gefährlich war. Über die Bedrohung Edens konnte er zwar hinwegsehen, wenn es hieße, Anyas Zukunft etwas leichter zu gestalten. Aber helfen konnte er ihr bei der Erfüllung ihres Plans nicht. Er war ein Versager, nicht mehr. Im Grunde gehörte er eingesperrt und nicht sie! Die Zelle war für Anya immer die Endstation gewesen, denn es war ihr nie gelungen, von dort auszubrechen, egal was sie hatte hinein schmuggeln können. Und die Polizisten wurden nicht dümmer, leider.   „Ohne Levrier sitzt sie in der Patsche“, gluckste er halbherzig, „sie hat einfach zu viel gekokelt.“ Vor Valerie musste er die Maske aber anbehalten – auch wenn sie ihn vermutlich schon lange durchschaut hatte. Es war egal. Die einzigen Menschen, die er an der Nase herumführen musste, waren Anya und seine ignoranten Eltern. Der Rest war ihm, zumindest in diesem Augenblick, gleich. „Aber der Nickinator wird sie da rausholen, hehe.“ Und wie er das würde!   „E-es tut mir leid“, jammerte Orion, der sich in der Mitte des runden Tisches wiederfand. Umzingelt von vier Brüsten – okay, drei, Abbys flache Dinge gingen als eine durch – und einem Idioten. Und alle starrten ihn feindselig an. „Ich musste doch etwas tun! Gegen Joan und diese dumme Tsun ohne Dere! Niemand darf Val-chan etwas tun, es ist doch meine Pflicht, sie zu verteidigen!“ Symbolisch streckte er die Stummelärmchen vor ihr aus. Er tat nur, was der Chef ihm aufgetragen hatte – Valerie bewachen. Es war schon schlimm genug, dass er seine Pflichten vernachlässigte, um hin und wieder mit Nick abzuhängen, aber hier ging es um so viel mehr! Deshalb hatte er sogar einen anonymen Hinweis an die Polizei von -ihm- abgeben lassen, wer für die Brände in den letzten Wochen verantwortlich war. Völlig egal, ob sie Anya etwas nachweisen konnten – sie würde den Tag nicht mehr erleben, an dem über so etwas Banales entschieden wurde. Nur darauf kam es Orion an.   „Ich würde gerne wissen, warum du Joan so sehr hasst“, sagte Valerie enttäuscht und erhob sich schließlich. „Auch wenn ich mir sicher bin, dass dir verboten wurde, darüber zu sprechen. Im Endeffekt ist es ohnehin zweitrangig und muss warten. Abby, Nick.“ Die beiden sahen beim Klang ihres Namens überrascht auf. „Ich habe mich entschieden. Anya hat noch eine Chance verdient. Ich werde ihr helfen und in den Turm gehen. Irgendjemand muss dort oben aufpassen, dass alles mit rechten Dingen zugeht – und ich denke, ich bin die Einzige, die dafür infrage kommt.“ „Und was hast du jetzt vor?“, fragte Abby, die ihre Erleichterung über Valeries Entscheidung in Form eines Lächelns nicht verbergen konnte. „Mein Vater. Vielleicht kann er etwas erreichen, er ist immerhin der Bürgermeister. Das Problem ist bloß, dass er gerade auf einer Geschäftsreise ist. Die Nummer und den Namen vom Hotel habe ich nicht hier, deswegen muss ich nachhause.“ „Ruf doch zuhause an und frag einen Angestellten danach. Oder Marc?“, schlug Abby vor. Plötzlich verfinsterte sich Valeries Gesichtsausdruck. „Geht nicht. Wir haben kein Personal, ausgenommen einem Gärtner und Marc dürfte längst im Bett sein. Wie ich ihn kenne, hat er sein Handy ausgeschaltet. Ich werde wohl oder übel nachhause müssen.“ Ihr Ausdruck gewann wieder etwas Freundliches. „Keine Sorge, ich beeile mich. Versprochen.“ Abby nickte zögerlich. „O-okay.“ „Und was macht ihr?“ Auch das Hippiemädchen erhob sich nun langsam und nahm ihre getönte Brille ab. „Wir werden direkt zur Polizeistation fahren. Vielleicht schenkt man uns Gehör.“ Plötzlich öffnete sie ihre Augen, in denen die Iriden ein grelles Rosa annahmen. „Jedenfalls wäre das wünschenswert für alle Beteiligten.“ Valerie schreckte zurück, doch als sie genauer hinsah, hatten Abbys Augen längst wieder ihre alte Farbe angenommen. Das musste wohl ihre Einbildung gewesen sein. „O-okay. Also los, gehen wir!“   Das gesagt, begaben sie sich zusammen vor die Haustür der Familie Bauer und schritten über den kleinen Weg herüber zur Gartentür. „Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache“, gab Abby zu bedenken. „Ist bestimmt nur Hunger“, gluckste Nick und zwinkerte ihr zu. „Also gut, hier trennen sich unsere Wege“, meinte Valerie, als sie auf dem Bürgersteig ankamen. Sie musste nach links, während Abby und Nick die Straße in die andere Richtung nehmen mussten. Ohne viele Worte zu verlieren, lief sie los und rief: „Viel Glück euch beiden.“ Und kaum war sie außer Hörweite, verschwand Nicks dummes Grinsen. „Da ist doch was faul.“ „Ich glaube auch. Aber um Valeries Alleingänge können wir uns jetzt nicht kümmern, Nick.“ Er sah seine Freundin nachdenklich an, als sie einen Schritt nach vorn nahm, seinen Blick mied. „Willst du wirklich so weit gehen? Deine Kräfte benutzen?“ „Ja. Wenn es sein muss, ja.“ Sie wirbelte mit feurigem Blick um. „Ich habe keine Angst mehr vor ihnen! Und wenn sie mir dabei helfen, euch zu beschützen, dann nutze ich sie auch!“ Was den hochgewachsenen Kerl zum Schmunzeln brachte. „Ich kann nicht sagen, dass ich mich gerne mit Cops anlege, wenn sie mir direkt gegenüberstehen. Aber wenn ich auch nur dein Köder sein kann, dann benutz' mich nach Herzenslust.“ „W-wer sagt denn was von Köder!?“, sprudelte es aus Abby heraus, die spürte, wie sie rot anlief. „W-wir klären das in einem Gespräch, klar!? Und jetzt los, wir haben's eilig!“   ~-~-~   „Das wäre die Letzte“, murmelte Matt und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Drei Kisten hatte er zusammen mit Alastair im Schutze der Nacht in den alten VW-Bus geladen, der neben ihrem Motel parkte. „Nun müssen wir nur noch auf das große Event warten.“ Er drehte sich mit ernstem Blick zu seinem Freund herum, der mit verschränkten Armen in den Himmel starrte. „Ich hoffe, du kneifst nicht in letzter Sekunde.“ „Ich habe es dir versprochen, Matt. Dass wir das bis zum Ende durchstehen und diesem perfiden Spiel ein Ende setzen. Dir und Refiel. Aber wisse, wenn Anya Bauer auch nur versucht-“ „Ja, ich weiß“, stöhnte Matt, trat an Alastair heran und schlug ihm kräftig auf die Schulter. „Erspar' mir die Details mit dem, was du aus ihr machst. Ehrlich, langsam glaub ich, du bist ihr verlorener Zwillingsbruder, was eure Fantasie angeht.“ Der Mann im roten Mantel schnaubte nur.   Wow, das große Finale, die letzte Schlacht, das entscheidende Gefecht. It's the final countdown, dududuuuuuuu~   „Alastair, jag mir bitte eine Kugel in den Schädel, wenn der Plagegeist in meinem Kopf immer noch da ist, sobald wir hiermit durch sind“, stöhnte Matt genervt. Er musste wirklich darauf achten, das Übel nicht beim Namen zu nennen. Wenn Alastair erfuhr, wer sein Paktpartner war, würde er eigenhändig die Pforten der Hölle aufreißen, um sie beide dorthin zu verfrachten, so viel stand fest. Von Another würde Matt ihm erst erzählen, wenn ihr gemeinsamer Pakt durch Erfolg gekrönt aufgelöst wurde. Zwar würde Alastair ihm dann dennoch an die Gurgel gehen, aber zumindest wäre die Edensache bis dahin geklärt. Aber Matt musste insgeheim zugeben, dass er selbst zweifelte. Würde alles glatt gehen? Nein, irgendwas war da. Irgendwas würde sie dort erwarten, mit dem nicht zu spaßen war. So war es immer. Er hasste dieses blöde Gefühl im Bauch.   Jetzt kommt es drauf an, Menschlein. Von diesem Turm soll nichts mehr übrig bleiben, hast du das verstanden? Ich bezahle meine Putzfrauen schließlich nur, wenn sie ihren Job gut erledigen.   „Schon klar“, brummte Matt. Warum Another den Turm unbedingt zerstören wollte, hatte der Dämonenjäger selbst jetzt nicht in Erfahrung bringen können. Und das beunruhigte ihn zunehmend. Viel mehr als die kleinen Steinchen vor seinen Füßen, die unruhig auf dem Boden zu vibrieren begannen.   ~-~-~   Henry warf einen traurigen Blick herüber zu seiner Schwester. Sie war immer noch blass, aber immerhin bei Bewusstsein. Beide saßen sie in einem Auto, er am Steuer, sie auf dem Beifahrersitz. Müde lehnte sie ihren Kopf gegen die Scheibe und starrte von der Straße hinweg über das weite Footballfeld herüber zur Livington High, die sich ihr in der Ferne kaum erschloss. „Wir haben das jetzt lange genug durchgekaut“, sagte Henry streng. „Du bleibst hier. Ich gehe an deiner Stelle.“ „Aber ich bin die aktuelle Paktträgerin von Isfanel“, sagte sie, ohne sich ihm zuzuwenden. „Ich muss es tun.“ „An diesem Punkt spielt es keine Rolle mehr, wer wer oder was ist.“ Henry strich Melinda sanft über das schulterlange, braune Haar, das in einer Welle endete. „Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder leiden musst. Das habe ich dir versprochen.“ Die Erde begann leicht zu erzittern.   ~-~-~   Valerie fasste sich mit geweiteten Augen an die Brust, sank auf ihr Bett. Die Hände aus Entsetzen vor den Mund geschlagen. Völlig vergessen war ihre Absicht, ihren Vater anzurufen. Das konnte nicht wahr sein, es durfte nicht! Wie hatte er- wie hatte er das bloß erfahren!? „Du dachtest, du könntest alleine dort hoch gehen, habe ich recht?“ Marc stemmte voller Unverständnis die Hände in die Hüfte. „Ich weiß, dass du Angst um mich hast. Aber ich werde dich dort nicht alleine hingehen lassen. Nicht in diesen Turm. Isfanel hat mir gesagt, dass niemand ihn jemals betreten sollte. Schon gar nicht Zeugen der Konzeption – wir, du!“ „Deswegen- deswegen will ich doch allein gehen!“, sagte sie mit Tränen in den Augen und sah flehend zu ihm auf. „Verstehst du das nicht!?“ Wie hatte er nur sein Gedächtnis zurückbekommen!? Wieso!? „Was ich getan habe, ist unentschuldbar, Valerie. Wenn jemand allein gehen müsste, dann ich. Aber wir beide wollen Anya retten, oder nicht? Dann müssen wir beide gehen!“ Er reichte ihr die Hand lächelnd entgegen. „Also bitte! Ich weiß nicht, wie ich überlebt habe, aber das ist meine Chance, das alles wieder gut zu machen.“ Also wusste er noch nicht alles? Dass der Sammler ihn zurückgeholt hatte? Valerie nahm seine Hand. „Es tut mir leid, Marc. Wenn keiner von uns den anderen gehen lässt, dann-“ Ein lautes Donnern erschrak beide zutiefst.   ~-~-~   Mit kleinen Tränchen in den Augen saß Orion in der Mitte des runden Tisches. Sie waren einfach gegangen, ohne ihn weiter zu beachten. Nicht einmal geschimpft hatten sie mit ihm. Und keiner wollte verstehen. Aber wie auch, wenn sie -es- nicht wussten? Orion legte seine kleinen Stummelhändchen auf den Zwiebelkopf. Sollte er die Anweisungen des Chefs ignorieren und sich in die Eden-Sache noch weiter einmischen, oder abwarten? Auf jeden Fall musste er zu Valerie! Und- „Ich muss sie warnen!“, entschied er und sprang kurzerhand vom Tisch. So schnell es ihm seine kleinen Beinchen erlaubten, rannte er in den Flur und zur Haustür, die er mit einem Sprung an die Klinke öffnete. Egal was der Sammler wollte, Orion konnte Valerie doch nicht in die Hände dieser Monster geben, auf keinen Fall. Und so rannte er über den Garten hinaus auf die Straße und sah sich hastig um. Obwohl er Valerie bereits so viel über Eden verraten hatte, wollte sie dennoch in den Turm! Er kannte sie gut genug, um das zu wissen. Wieso war sie nur so stur!? Was hatte diese Joan getan, um so überzeugend zu wirken!? Wieso wusste keiner von ihnen, dass-!?   Plötzlich erbebte die Erde und Orion fiel auf sein Hinterteil. Und seine Augen weiteten sich beim Anblick dessen, was sich in weiter Ferne abspielte. Der Himmel, voller grauer Wolken, Blitze schlugen in ihnen umher wie Schlangen. Doch ehe Orion sich aufrappeln konnte, fiel plötzlich von hinten ein grelles Licht auf ihn. Mit Schrecken in den Augen wandte er sich um. Man hörte nur noch das Quietschen von Reifen.   ~-~-~   Kaum noch zwei Straßen von der Polizeistation entfernt, blieben Nick und Abby entsetzt mitten auf dem Bürgersteig stehen. „Das kann nicht-!“ Abby nahm sogar die Brille ab. „Der Himmel …“ Auch sie war überrumpelt von den grauen Wolken, die über Livington gezogen waren. Nick legte ihr die Hand auf die Schulter. „Merk dir diesen Anblick. So etwas wirst du vielleicht nie wieder sehen.“ Er deutete mit der anderen Hand auf den einzigen Fleck am Himmel, der vollkommen frei von Wolken war. Wie das Auge des Sturms wirkte er, mit dem klaren Sternenhimmel. Doch was Nick wirklich meinte, waren die flackernden Lichter, die in regelmäßigen Abständen von oben nach unten einfach da waren, aus dem Nichts erschienen. Zu undeutlich jedoch, um etwas daraus zu identifizieren.   Plötzlich erklang ohrenbetäubendes Getöse, ein heftiger Wind schlug ihnen entgegen. Nick konnte nur noch erkennen, wie Lichtsäulen, hoch wie Wolkenkratzer von verschieden Punkten der Stadt in die Höhe schossen. Er erkannte eine rote und eine grüne. „Nick, wir müssen uns beeilen!“, rief Abby angestrengt und stieß im Anschluss einen spitzen Schrei aus. Neben ihnen hatte es laut gekracht. Ein Autofahrer, der dem ebenfalls zugesehen hatte, war mit seinem Wagen gegen eine Laterne gefahren. Wankend stieg er aus dem roten Mercedes und betrachtete fassungslos das Geschehen. „Ja, schnell!“, meinte Nick, der froh war, nicht auch noch Ersthelfer spielen zu müssen.   ~-~-~   Anya presste sich die Hände auf die Ohren, doch es brachte nichts. Sie stöhnte vor Schmerz auf, aber das grässliche Geläute dieser Glocken wollte nicht aus ihrem Schädel weichen. Wie ein ängstliches Kind hatte sie sich in die hinterste Ecke der Zelle zurückgezogen. Mit den Beinen angewinkelt am Körper, hielt sie die Augen fest geschlossen. Doch auch so sah sie es, warum auch immer.   Ihre Schule. Die Aula. Der graue Himmel, nur an einem Fleck klar. Alles gleichzeitig, sie konnte sich nicht auf eines der Bilder konzentrieren, sie waren alle in ihrem Kopf. Weitflächige Kreise bildeten sich in großer Höhe über der Schule von oben nach unten herab und auf etwa alle zwei Meter entstand ein neuer. In ihrem Umfang wurden sie immer weiter, dabei zierten unzählige Zeichen und Symbole ihr Inneres. Es wäre ein Fest für jeden Okkultisten. Jeder Kreis hatte eine der Farben braun, rot, weiß, gelb, blau, grün oder violett. Immer abwechselnd. Es war, als würden diese Kreise mitten in der Luft ein Gebilde erzeugen wollen. Und als Anya sah, wo der letzte Kreis entstand, ahnte sie bereits, was geschehen würde. Denn der letzte Zirkel, bestehend aus allen vorhergegangenen Farben, umschloss beinahe das gesamte Schulgelände. Von seinem Ursprung schossen fünf Linien in verschiedenen Farben in fünf verschiedene Richtungen über den Erdboden, durch die ganze Stadt. Die Kanalisation, Victim's Sanctuary, die Straße am Waldrand, der Park – und vor dem Garten der Familie Bauer. Anya öffnete erschrocken die Augen, gleichzeitig die ganze Stadt und die Zelle vor sich. „Mum, geh da weg!“, schrie sie aufgebracht.   Da war sie, ihre Mutter und stieg verwirrt aus dem Wagen, den sie vor ihrem Grundstück parkte. Sie schritt verwirrt zu der Vorderseite des Autos, betrachtete irritiert die Reifen. Und dann geschah es schon. Anya wurde die Sicht des Geschehens an diesem Ort genommen durch eine riesige, violette Lichtsäule, die aus dem Boden schoss. Dort, wo ihre Mutter eben gewesen war! „Mum!“ Aber nicht nur dort, es war dasselbe bei allen anderen Orten, an denen ein Pakt geformt worden war. Eine blaue Säule in Victim's Sanctuary, eine rote im Park, grün für die Kanalisation und gelb am Waldrand. Alle schossen sie zeitgleich in dem Himmel. Über Livington bildeten diese Säulen die Eckpunkte für ein riesiges, weiß leuchtendes Pentagramm, welches unheilvoll über der Stadt zu hängen begann. Und in dessen Mitte, dort war – das Schulgelände. Anya stieß einen erschrockenen Schrei aus. Die Gebäude der Stufen, die Sporthallen, einfach alles – es wurde einfach fortgerissen, weg geschubst, von der aufwallenden Erde verschlungen. Der schwarze Turm, er wuchs aus dem Untergrund wie eine Krankheit, die alles mit sich riss, was sich ihr in den Weg stellte. Wann immer er einen der magischen Kreise passierte, welche genau bis an die Mauern des Bauwerks reichten, leuchteten diese kurz auf und blieben in Form einer farbigen Linie am Turm zurück. Nach oben wurde der Turm von Neo Babylon immer spitzer, ganz an seinem Ende ragten zwei steinerne Arme aus der Spitze hervor und hielten ein Gebilde, in dem sich unzählige, goldene Glocken befanden. Alle läuteten im Takt. Anya hielt sich den Kopf schreiend und sah mit an, wie der Turm schließlich ungefähr einen Kilometer über der Erdoberfläche in seinem Wachstum zum Stehen kam. Über ihm nur der klare Nachthimmel, die Mitte des Pentagramms und die grauen Wolken, die über den Außenflächen jenes fünfzackigen Sterns und darüber hinaus der ganzen Stadt thronten. Der Turm von Neo Babylon war erwacht. Anyas perplexer Blick fiel auf die Uhr im Gang neben dem Fenster, aus dem sie ironischerweise ebenjenen Turm mit eigenen Augen sehen konnte. Die Uhrzeit: Punkt 12.   ~-~-~   „Hast du das gesehen!?“ Abby und Nick hatten sich nur schwerlich von dem schaurigen Anblick lösen können, der sich ihnen auf dem Weg zur Polizeistation geboten hatte. Doch nun hatten sie es geschafft und ebenjene betreten. „Ja hab ich, Abby“, antwortete Nick. Doch schon im Empfangsraum wurde klar, dass sie auch gleich wieder umdrehen konnten. Am Tresen diskutierten zwei Polizisten in blauen Uniformen hitzig, während eine Gruppe weiterer an ihnen vorbei nach draußen rannte. Im rechts neben ihnen liegenden Wartebereich tummelten sich Menschen, die ebenfalls von einer Beamtin – die, die Anya abgeführt hatte – beruhigt werden mussten. „Das kann ja heiter werden“, gab sich Nick frustriert beim Anblick der meuternden Menge, die von der Polizistin kaum unter Kontrolle gehalten werden konnte. Zusammen schritten sie eilig auf den Tresen zu. Doch ehe auch nur einer von beiden ihr Anliegen vorbringen konnte, wurden sie harsch von dem glatzköpfigen Polizisten abgewiesen, der mit seinem Kollegen argumentierte. „Bitte geht in den Wartebereich, ihr seht doch, dass hier die Hölle los ist!“ „Aber-“ Der andere, ein schlaksiger Blonder, schnitt Abby das Wort ab. „Wir kümmern uns um euch, aber im Moment steht das Telefon nicht still. Die Leute sind ganz aufregt!“ „Danke, Captain Obvious“, erwiderte Nick ärgerlich. „Uns ist egal, was da draußen los ist! Ihr habt unsere Freundin eingesperrt, obwohl sie nichts getan hat!“ „Ihr meint Bauer? Pah! Das kleine Flittchen sitzt jetzt schön in der Zelle“, erwiderte der Blonde garstig. „Die seht ihr so schnell nicht wieder. Und jetzt verschwindet!“ „Du-!“ Doch Abby hielt Nick am Arm fest, ehe er über den Tresen hinweg zuschlagen konnte. „Nicht! Das macht alles nur noch schlimmer!“ „Du willst 'ne Prügelei anzetteln, huh!?“, erwiderte der Deputy boshaft. „Willst wohl gleich mit in die Zelle, was!? Joe, hilf-“ „Lass den Unsinn, für so etwas haben wir keine Zeit!“ Der Glatzkopf machte eine verscheuchende Bewegung. „Für heute belassen wir es dabei, aber wenn ihr eure Freundin besuchen wollt, kommt zu einem ruhigeren Zeitpunkt wieder!“ „Er hat recht“, murmelte Abby und zog den wütenden Nick ein Stück weg, welcher nicht davon ablassen konnte, mit dem blonden Polizisten hasserfüllte Blicke auszutauschen.   „Was machen wir jetzt?“, fragte sie leicht panisch im Anschluss, als sie sich eine ruhige Ecke neben der Eingangstür gesucht hatten, welche von ein paar Palmentöpfen flankiert war. „So kommen wir nicht weiter“, murmelte er, immer noch mit Blick auf dem Tresen. „Deswegen machen wir es kurz und schmerzlos. Dass hier das blanke Chaos los ist, kommt uns gerade recht. Die müssen hier irgendwo die Schlüssel haben. Mehr brauchen wir nicht.“ „Okay“, nickte Abby und rückte ihre Brille zurecht. „Aber wo sind die? Und wie kommen wir an die ran?“ „Du lenkst sie ab, während ich mich am Tresen vorbei in die hinteren Räumlichkeiten schleiche. Irgendwo dort sind auch die Zellen. Ich wette, die meisten Cops sind zurzeit unterwegs, weswegen hier alles chronisch unterbesetzt sein dürfte.“ Abby packte ihn am Arm. „Bist du verrückt!? Wie soll ich das machen, hier sind viel zu viele Leute! Und was, wenn dich einer dabei erwischt!?“ „Das Risiko müssen wir eingehen! Und du bist doch eine Sirene, oder nicht? Lass dir was einfallen. Und jetzt komm!“ Ohne sich auf weitere Proteste einzulassen, zog Nick das Mädchen mit sich. Ihm war klar, wie dumm dieser Plan war, aber sich etwas Besseres einfallen zu lassen würde zu lange dauern!   ~-~-~   „Mum …“ Anya betrachtete ihre zitternde Hand, welche sie vor sich ausstreckte. Sie hatte keine Ahnung, warum sie all das gesehen hatte, zweifelte jedoch nicht daran, dass dies wirklich geschehen war. Der Turm, den sie durch das Fenster sehen konnte, war Beweis genug. „Levrier, ist Mum in Ordnung? Was war das?“ Doch er würde nicht antworten, soviel wusste Anya mittlerweile. Etwas war mit ihm geschehen. Vielleicht dasselbe wie mit Joan, die einfach verschwunden war. Woher sollte jemand wie sie wissen, wie man solche Dinge einzuschätzen hatte? Eden. An allem war nur dieses Ding schuld! Wieso war es da, was wollte Levrier damit erreichen? War es wirklich ein Tor, wie Redfield gesagt hatte? Wenn ja, wo führte es hin? Aber all das interessierte Anya nicht. Sie wollte nur wissen, ob es ihrer Mutter gut ging! Wenn sie doch wenigstens telefonieren könnte! „Anya!“ Das Mädchen schreckte von ihren Gedanken auf. Schritte hallten vom Gang, der die Zellen miteinander verband, zu ihr. Und die Stimme, sie kannte sie nur zu gut. Sofort sprang Anya auf, verließ ihre Ecke und rannte an das Gitter. Kaum ein paar Sekunden später standen sie vor ihr: Abby und Nick. „Anya, wir holen dich da raus!“, strahlte ihre Freundin und präsentierte den Zellenschlüssel. „Wie habt ihr-!?“ Die Blondine konnte ihr Glück kaum fassen. „Ich dachte schon, wir müssen sonst was anstellen, um an die Schlüssel zu bekommen“, meinte Abby und ging herüber zur Tür. „Aber letztlich ist im Wartesaal eine Panik ausgebrochen, weshalb wir uns unbemerkt an den Polizisten vorbei stehlen konnten.“ „Hehe, ja“, gluckste Nick, „ich hab sogar in das Büro von diesem Idioten gepinkelt, um dich zu rächen.“ Anya blinzelte verdutzt. „Hä?“ „Vergiss ihn, er macht bloß Witze.“ Abby warf einen bösen Blick auf Nick. „Du weißt, er hat's ja nicht so mit der Wahrheit.“ „Hol den Anya-Muffin da raus. Ich hab Hunger. Aber guck mal“, er drehte Anya den Rücken zu, an dem ein Rucksack hing. „Wir haben deinen Kram zurückerobert. Und deine Duel Disk haben wir dir auch mitgebracht. Zur Aufmunterung.“ „D-danke. Habt ihr“, begann die Blondine zögerlich und stellte sich Abby gegenüber vor die Tür, um endlich diese verdammte Zelle verlassen zu können. „Habt ihr das gesehen? Was draußen passiert ist?“ „Ja.“ Mit traurigem Blick schob das Hippiemädchen den Schlüssel ins Schloss. „Es war-“ „Keine Bewegung!“ Die Drei wirbelten erschrocken herum. Anya konnte es aufgrund der anliegenden Zellenwände nicht genau sehen, aber auf dem schmalen Gang standen plötzlich die beiden Beamten vom Tresen. Mit gezückten Waffen. „Wusst' ich's doch!“, sagte der schlaksige Blonde triumphierend. „Ich hab doch gesagt, ich hab zwei Ratten gesehen, die sich hier herumgeschlichen haben! Wollt eurer kleinen Freundin wohl beim Ausbruch helfen, was?“ „W-wir können das erklären“, stammelte Abby panisch. Anya fühlte, als würde sich in ihrem Magen ein schwarzes Loch öffnen. „Was ist da los!?“ „Geht von der Zelle weg, ihr zwei! Los!“ „Aber-!“ Der Blonde schnauzte: „Los!“ „Nein! Das können wir nicht!“, entgegnete Abby plötzlich mutig und trat einen Schritt vor. Sie nahm ihre Brille ab, schloss ihre Augen und öffnete sie sogleich wieder. Die Iriden hatten sich rosa verfärbt, während sich ihr Haar mit einem Schlag alle Farbe verlor. „Sie werden jetzt gehen, alle beide. Und vergessen, was Sie hier gesehen haben! Bitte!“ Beide starrten die Sirene gebannt an. Und auf Anyas Gesicht breitete sich ein gehässiges Grinsen aus. Die Sirenenkräfte! Damit würden diese Typen alles tun, was sie sagte. Genau wie Nick, vermied sie es, ihre Freundin jetzt direkt anzusehen. „Puh, das war knapp“, meinte Abby und drehte sich wieder der Tür zu. „Ohne diese Krä-“ Ein lauter Knall ertönte. „Abby!“, kreischte Anya aufgelöst, als ihre Freundin wie eine Puppe in sich zusammenbrach. Sie zwänge ihre Hand durch die Gitterstäbe, doch ihre Freundin lag am Boden und rührte sich nicht. „Abby!“   ~-~-~   Der Sammler trat direkt an das brennende Auto heran, ohne Angst vor dem Feuer. Sein Blick lag dabei auf der dunkelblonden Frau, die durch die Wucht der Energiesäule über den Gartenzaun hinweg auf das Grundstück der Familie Bauer geschleudert worden war. Sie lag auf dem Rücken und direkt neben ihr eine kleine, schwarze Gestalt. „Du hast sie gerettet“, meinte der rothaarige Brite tonlos und ging einfach an dem brennenden Wagen vorbei, betrat das Grundstück mit einer Lässigkeit, als wäre er zum Kaffee eingeladen worden. „Aber was unsere Kundin angeht“, murmelte er dabei weiter und trat direkt an die beiden regungslosen Körper. Dann bückte er sich und las das schwarze Knäuel auf. „Hast du als mein Diener versagt, Orion. Ich mache dir aber keinen Vorwurf.“ Damit verschwand er schlagartig von der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte. Kurz darauf schlug Anyas Mutter, die komplett mit Ruß beschmiert war, stöhnend die Augen auf.   ~-~-~   Anya ging in die Knie. „Abby … !“ Nick hatte sie in den Arm genommen und presste hilflos seine Hand auf die Wunde an ihrer Schulter, aus der eine Menge Blut sickerte. „Halt durch!“ „Was ist das!?“, wollte der Blonde derweil aufgeregt von seinem glatzköpfigen Kollegen wissen. „Für einen Moment, da habe ich-! Als wäre ich-!“ „Ich weiß es nicht!“, erwiderte der ebenso hysterisch. „Sie muss ein Monster sein! Es ist, als hätte sich unter uns ein Höllenschlund geöffnet! Erst diese Lichter in der Stadt, jetzt dieses-“ „Was machen wir mit ihr!? Sie ist noch nicht tot!“ „Lasst ihre Finger von ihr, ihr dreckigen- ARGH!“ Anya war mit einem Satz aufgesprungen und rüttelte heftig an den Gitterstangen, sich dabei nur allzu bewusst, dass dies nichts brachte. „Warum habt ihr geschossen, ihr Dreckskerle!? Sie hat euch doch nichts getan!“ „Halt den Mund, Bauer!“ Der Blonde war zu ihr getreten und hielt ihr die Waffe direkt vor die Nase. „Sonst bist du die nächste!“ Einem Reflex nachgebend, wich das Mädchen zurück. „Elender-!“ Doch sie kam gar nicht weiter, denn plötzlich richtete der Polizist seine Waffe auf Abby. „Lass das!“, befahl ihm sein Kollege aufgebracht. „Du kannst sie doch nicht-!“ „Was, wenn sie -das- wieder macht!?“, meinte der andere hysterisch. „Wir sollten sie erledigen! Sie ist ein Monster!“   Derweil schlug Abby die Augen auf und sah direkt in Nicks Gesicht, der neben ihr kniete und sie festhielt. „Tut mir leid …“ „Sag nichts!“, befahl ihr der mit wackliger Stimme. „Du musst dich nicht entschuldigen! Alles wird gut, so schlimm ist die Wunde nicht!“ „Ich dachte, ich kann sie kontrollieren, meine Kräfte.“ Abbys Augen hatten wieder ihre gewöhnliche Farbe angenommen. Genau wie ihr Haar. „Aber wie es aussieht, habe ich mich geirrt. Vielleicht kann ich niemanden verführen, weil ich nur ein Halbblut bin? Das ist … mir peinlich …“ „Abby, ich sagte doch, du-“ „Am Ende war ich wirklich nutzlos.“ Sie drehte ihren Kopf von ihm weg. „Zu denken, dass ich vorhin noch mit diesen Kräften vor dir angegeben habe. Das ist mir wirklich peinlich.“ Sie schloss daraufhin die Augen. Den Schmerz in ihrer Schulter nahm sie kaum wahr, sie fühlte sich einfach nur benommen. Müde.   Es erinnerte sie an die Zeit, als ihre Eltern noch gelebt hatten. Damals, als sie noch ein kleines Kind war, hatte ihre Mutter ihr immer etwas vorgesungen, wenn sie nicht einschlafen konnte. Und danach war sie immer müde gewesen, weggenickt, genau wie jetzt. Dieses Lied war schön gewesen, doch leider hörte sie es nur noch verschwommen, die Erinnerungen daran waren schon nahezu verblasst. Auch hatte ihre Mutter ihr einmal etwas über dieses Lied erzählt. An die Details erinnerte sich Abby nur noch sehr vage. Es solle wohl alles Böse von einem fern halten und wenn sie, Abby, große Angst hatte, solle sie dieses Lied singen und alles würde gut werden. Als sie sich daran erinnerte, wurde auch die Musik klarer, sie erinnerte sich wieder an die Melodie. Und sie hatte doch Angst. Angst davor, was jetzt mit ihr geschehen würde. Mit Anya und Nick. Jeden Moment würde vermutlich ein weiterer Knall durch die Polizeistation gehen und dann würde sie in der Dunkelheit versinken. Abby begann, das Lied zu summen, so gut es ging. Ihre Mutter hatte auch einen Text dazu gehabt, keinen englischen, sondern eine andere Sprache. Plötzlich wunderte sich Abby. Mit Sprachen kannte sie sich gut aus, aber die Wörter dieses Liedes hatte sie noch nie gehört. An ein paar erinnerte sie sich noch. Jene brachte sie in dem Lied unter, das sie zu singen begann. Es war lückenhaft, aber Abby spürte, wie sie allein der Klang der Melodie beruhigte. Wörter, an die sie sich nicht mehr erinnerte, ersetzte sie durch andere Kreationen ihrer Fantasie. „Abby! Abby! Hör nicht auf zu singen!“, drang Nicks Stimme an ihr Ohr. Das Mädchen dachte auch nicht daran. Der Rhythmus war so schön, so beruhigend, dass sie gar nicht anders konnte, als mit ihm zu gehen. Ihn immer wieder aufs Neue anzustimmen. Dennoch öffnete sie die Augen und sah Nick an, doch sein Blick war geradeaus gerichtet. Jenem folgte sie und sah die zwei Polizisten, wie sie auf der Stelle verharrten. Ihre Dienstwaffen lagen dabei auf dem Boden. Wie gebannt sahen sie Abby an, rührten sich nicht von der Stelle. „Ich glaube, das ist …“ Auch Anya von der anderen Seite der Zelle sah die Polizisten verstört an. „Das ist ein … Sirenenlied? Abby, woher kannst du das!?“ Doch ihre Freundin wagte nicht, darauf zu antworten, denn das würde das Lied unterbrechen. Plötzlich wusste Abby auch, was sie da sang. Ihre Mutter hatte es immer „La fina kanto“ genannt, das letzte Lied. Jetzt realisierte Abby es, denn ihre leibliche Mutter war eine Sirene gewesen – es war die ultimative Technik ihrer Art, das letzte Lied. Dazu gedacht, alles in der näheren Umgebung in eine Traumwelt zu schicken. In einer Sprache, die zwar spanisch anmutete, doch andere Ursprünge hatte.   Langsam richtete sie sich auf, ohne dabei mit dem Singen aufzuhören. Dabei hielt sie sich die blutende Schulter und wurde sofort von Nick abgestützt. „Wieso sind wir nicht betroffen?“, fragte Anya, als beide sich ihr zuwendeten, damit Nick die Tür aufschließen konnte. „Hehe, weil wir nicht auf Abbys Blacklist stehen“, gluckste Nick, um Anya dadurch verständlich zu machen, dass Abbys Lied wohl nur diejenigen betraf, die sie als Feinde betrachtete. Jene nickte dazu unsicher. Kaum war Anya endlich frei, sammelte sie Abbys Brille auf und setzte sie der Freundin auf. „Danke, Masters! Ich schulde dir was!“ Ihr Blick wanderte herüber zu den beiden Polizisten, die mittlerweile zusammengesackt waren und träge an der nächstgelegenen Zellenwand beziehungsweise der Außenwand lehnten. Zornig krempelte sie die Ärmel ihrer Lederjacke hoch, doch Nick griff ihren Arm. „Wir müssen doch in den Turm und in Edens Arsch treten, Anya-Muffin!“ „Kch!“ Zusammen schritten sie an den beiden Beamten vorbei, doch nicht, ohne dass Anya den Blonden anspuckte. „Ich schwöre dir, wenn dieser Kackmist vorbei ist, werde ich dich wenn nötig bis ans Ende der Welt verfolgen, damit ich deinen verdammten Schädel skalpieren und anschließend als Bowlingkugel verwenden kann! Mistkerl!“, sprachs und setzte einen Tritt nach, der direkt in die Weichteile ging. Doch außer einem Zucken war dem Blonden nichts zu entlocken. Und während Abby weitersang, lächelte sie dabei.   ~-~-~   Matt parkte den Wagen, als er am Straßenrand Valerie und Marc entdeckte, die den etwa vierhundert Meter entfernten, gewaltigen Turm fassungslos betrachteten. Von dem Schulgelände war nichts mehr übrig geblieben. Nur noch die Einzelteile der Gebäude, die hier und da unter der dunklen Erde hervortraten, erinnerten an die Livington High. Bisher waren Polizei und Feuerwehr noch nicht hier gewesen, um alles abzusperren. Aber lange würde es nicht mehr dauern, dachte Matt nervös und stieg zusammen mit Alastair aus.   Sieh dir das Ding an. Man sollte meinen, sein Erbauer hätte gewisse Komplexe hinsichtlich seiner unteren Körperregion. Was soll das überhaupt sein, ein Leuchtturm? … oh verdammt, jetzt hab ich einen Ohrwurm von dieser deutschen Sängerin. Wie hieß sie doch gleich? Lena?   Der Dämonenjäger ignorierte Another gekonnt und schritt herüber zu den beiden Wartenden, die ihm schon entgegen kamen. Hinter ihnen endete die Straße abrupt und ging in Verwüstung über. „Damit hätte ich nie gerechnet“, sprudelte es sofort aus Marc hinaus. „Ich hoffe nur, dass niemand auf dem Campus war, als er aufgetaucht ist.“ „Wenn ja … sind sie jetzt vermutlich tot“, murmelte Valerie betrübt. „Habt ihr den Sprengstoff?“, hakte Marc weiter nach. Matt nickte. „Ja. Alles, was wir jetzt noch brauchen, sind unser Stargast und Henrys Schwester. Hat einer von euch was von den beiden gehört?“ Doch das Pärchen schüttelte nur synchron den Kopf. Matt schlug sich die Hand vor den Kopf. „Großartig! Anya sollte keine Zeit verlieren! Es heißt, der Turm würde bei Sonnenaufgang wieder verschwinden …“ „Oh, glaub mir“, meinte Valerie und ihr Blick wurde deutlich nervöser, „wie ich Anya einschätze, ist sie schon ganz scharf darauf, ihn zu betreten. Und sei's nur, um ihn in die Luft zu jagen.“   ~-~-~   Abby presste die Lippen fest aufeinander, als sie von Nick und Anya gestützt die Polizeistation verließ. Auf der Straße angelangt, befreite sie sich von den beiden und legte ihre Hand auf die Schusswunde an ihrer Schulter. Der Schmerz machte sich jetzt deutlich bemerkbar, da sie nicht mehr sang. „Was hast du da gemacht?“, fragte Anya in einer Mischung von Faszination und Skepsis. „Das war … 'La fina kanto'“, antwortete ihre Freundin, deren Stimme von dem Gesang schon ganz heiser war. Doch es war ihr im Endeffekt gelungen, sämtliche Anwesenden auf der Polizeistation in einen tranceähnlichen Zustand zu versetzen. Aber jetzt war ihre Kraft erschöpft. Torkelnd stieß Abby an Nick, der sie behutsam an sich zog. „Die stärkste Sirenentechnik. Zumindest glaube ich, dass es so ist. Meine Mutter hatte sie mir immer als Lied vorgetragen, damit ich einschlafen konnte. Dass ich mich ausgerechnet heute daran erinnere, muss wohl Schicksal sein.“ „Von mir aus. Wichtiger ist, dass wir dich jetzt ins Krankenhaus bringen!“ „Dann trennen sich unsere Wege jetzt, Anya“, meinte Abby betrübt und zeigte mit dem Finger in Richtung des Turms. „Tut mir leid, dass ich dich nicht dorthin begleiten kann …“ „Schon okay, ich werde auch so klarkommen …“   Anya sah nun auch in die Richtung des Turms von Neo Babylon und musste innerlich schlucken. Es war, als wäre die ganze Stadt gefangen in der dicken, tiefgrauen Wolkenschicht. Über ihnen flimmerte das gewaltige Pentagramm, in dessen Mitte sich die Turmspitze befand. Und auch, wenn Anya Abby ungern alleine ließ, war sie froh, dass es am Ende nur ein Durchschuss durch die Schulter war, der sie verletzt hatte. Sie würde durchkommen, das stand außer Frage. Außerdem … war es das Beste, wenn sie ihr nicht in den Turm folgte. Denn Anya wusste nicht, wie ihre Freundin reagieren würde, sobald die Wahrheit um ihre Absichten ans Licht kam. Eine Wahrheit, die nicht mehr zu ändern war.   „Harper, du gehst mit Masters. Und wehe, ich komme zurück und es fehlt ihr auch nur ein Haar!“ Auf die Anweisung hin blinzelte Nick einen Moment verdutzt, ehe er breit grinste. „Ich werde persönlich für ihr Wohlbefinden sorgen, hehe.“ „Denk nicht mal dran!“, fauchte Anya, die schon wieder Zweideutigkeiten witterte. „Wirst du das wirklich packen?“, fragte Abby traurig, doch Anya wandte ihnen beiden schon den Rücken zu. Dabei hob sie ihren Arm und streckte ihren Daumen aus. „Klaro. Eine Anya Bauer versagt nie. Also dann, bis nachher, Leute!“ Damit rannte sie einfach über die Straße in die Richtung des Turms, ließ Abby und Nick allein zurück.   „Sie ist eben nicht der Typ für lange Abschiede“, meinte Letzterer trocken, nachdem das Mädchen außer Sichtweite war. Dabei legte er seinen Arm um Abbys Hüfte und schultere den ihren. „Ich hoffe, sie tut nichts, was sie am Ende bereut …“ „Was das angeht, hatte Anya nie die Wahl. Irgendwann musste selbst ich das einsehen, oder denkst du, ich hätte sie sonst gehen lassen? Und lieber sie als Eden, als … ganz allein.“ „Nick“, schluchzte Abby plötzlich, „ich will nicht, dass sie geht. S-sie ist die fieseste Person, die ich kenne … aber sie ist meine Freundin!“ Der junge Mann mit dem verstrubbelten, braunen Haar sah betrübt auf das Mädchen herab, welches den Blick von ihm abgewandt hatte und mit dem Finger hinter ihrer Brille im Auge nestelte. „Ich bin vielleicht der Falsche, um so etwas zu sagen, aber … hoffen wir einfach auf ein Wunder.“ „J-ja.“ Sie stöhnte überrascht auf, als Nicks Griff sich festigte und er sich ruckartig mit ihr in Bewegung setzte. „Dann kümmern wir uns jetzt erstmal um dich. Und um meinen Zeh …“ „D-denk bloß nicht, dass ich dir für neulich schon verziehen habe! Das vorhin war nur ein Teil deiner Strafe!“ Nick lachte auf. „Jetzt färbt sie schon auf dich ab. Ich glaube, ich muss mir neue Freunde suchen, da wird man ja seines Lebens nicht mehr froh.“ Das gesagt, schleppte er das Mädchen den Bürgersteig entlang, mit dem weit entfernten Ziel Krankenhaus. In der Hoffnung, nur für dieses eine Mal in Punkto nicht existierender Wunder eines Besseren belehrt zu werden.   ~-~-~   Nicht an sie denken, sagte sich Anya und rannte stur geradeaus. Durch enge Seitenstraßen, den Bürgersteig entlang, immer auf den Turm zu. Sie durfte nicht mehr an die Menschen denken, die ihr etwas bedeuteten. Die waren jetzt fort und würden nie wieder kommen. Ihre Mutter war sogar tot! Es gab jetzt nur noch sie, Anya. Und die Wahl, für immer zu leiden oder dafür zu kämpfen, wenigstens einen angenehmen Tod zu sterben. Und Anya versuchte ihr Gewissen damit zu beruhigen, dass die anderen an ihrer Stelle dasselbe tun würden. Keiner von denen war besser als sie! „Levrier!“, rief sie in die Nacht hinein und blieb mitten in einer weiteren engen Seitenstraße stehen. Von ihrem Paktpartner folgte jedoch wie schon zuvor keine Reaktion. Was Anya nur umso nervöser machte. Nur er wusste, wie es im Turm weitergehen würde. Er hatte mal etwas von einem Ritual gesagt, aber wie sollte das aussehen? Warum war er weg? Irgendetwas stimmte da nicht! Er konnte doch unmöglich … Anya betrachtete das Mal an ihrem Arm. Es war noch dasselbe schwarze Kreuz in einem Dornenring, das sie vor ungefähr zwei Monaten in der Aula erhalten hatte. Nicht ausgewaschen, verblasst, sondern klar und deutlich. Levrier war nicht tot. Wenn selbst Redfields Mal noch aktiv war, obwohl Joan jetzt vermutlich in irgendeiner Gebärmutter finstere Pläne schmiedete, dann musste noch irgendeine Verbindung zwischen ihr und Levrier bestehen. Könnte er schon im Turm sein und auf sie warten? „Tch! Du bleibst echt bis zum Schluss eine Nervensäge, oder?“ Anya wusste, dass sie es noch früh genug herausfinden würde. Also rannte sie weiter. „Wehe, ihr Pisser kriegt Muffensausen! Ich schwöre, dass ich euch blitzschnell finden und in den verdammten Turm schleifen werde!“, versuchte sie dabei, ihre Nervosität hinsichtlich der anderen zu überspielen. Von ihnen hing jetzt alles ab …   Etwa fünf Minuten später hatte Anya es geschafft. Vor ihr endete die Straße abrupt und ging in braune Erde über. Häuser gab es direkt um die Schule herum nicht. Stattdessen gab es mal eine Straße, die sich wie ein Kreis um das Campusgelände gezogen hatte, doch diese war nun unter all dem Schutt verborgen. Dahinter erst begann das Wohngebiet. Vorsichtig betrat Anya die zerstörte Fläche. Von ihrer Schule war tatsächlich nichts mehr übrig geblieben. Hier und da lagen ein paar Trümmer, an einer Stelle ragte einer der Pfosten des Südtores aus der dunklen Masse heraus. Es bereitete Anya ein gewisses Gefühl von Genugtuung, dies zu sehen. Mit etwas Glück würde Mr. Bitterfield, der Direktor, einen Herzinfarkt erleiden, wenn er sah, was aus seinem ganzen Stolz geworden war. Zu dumm, dass sie das nicht mehr erfahren würde. Anya wandte den Blick von ihrer näheren Umgebung ab und richtete ihn stattdessen auf den Turm, der sich knapp einen halben Kilometer von ihr entfernt wie ein Wolkenkratzer durch den Himmel bohrte. Aus der Ferne konnte sie keinen Eingang ausmachen. Lediglich leuchteten in regelmäßigen Abständen verschiedenfarbige Ringe am Turm auf, verdunkelten sich wieder und strahlten dann wieder Licht aus. Anya vermutete, dass dies die einzelnen Ebenen, die Stockwerke des Turms sein könnten. So abgedreht, wie der aufgetaucht war, wäre das gut denkbar.   Unschlüssig, was sie jetzt tun sollte und wo die anderen waren, rannte sie auf den Turm zu. Je näher sie ihm kam, desto schlimmer sah ihre Umgebung aus. Nun wurde deutlich, dass ihre Schule wie ein Stück Papier einfach auseinander gerissen worden war. Das halbe Dach der Unterstufe lag unweit von ihr im Sand. Und während Anya sich dem Turm weiter näherte, fragte sie sich, wie lange es wohl dauern würde, all die Schäden zu beseitigen. Und eine neue Schule zu bauen. Aber noch viel wichtiger: wie würde man den Leuten erklären, was hier überhaupt geschehen war? Allerdings war Anya sich sicher, dass den Sesselpupsern im Weißen Haus schon etwas einfallen würde. Letztlich hatte sie es geschafft und stand dem Turm nun auf wenigen Metern gegenüber. Allerdings konnte sie keinen Eingang ausmachen. Der musste sich wohl auf der gegenüberliegenden Seite befinden. Und während Anya das riesige Gebäude zu umkreisen begann, ließ sie es nicht aus den Augen. Von Nahem wirkte es genauso bedrohlich wie aus der Ferne. Seine Außenwand bestand aus etlichen schwarzen Ziegelsteinen mit glatter Oberfläche. Fast wie Marmor. Abgesehen davon wurde dieses Bild nur am Ende jedes Stockwerkes durch die verschiedenfarbigen Ringe unterbrochen. Erst ganz oben, auf den letzten zwei oder drei Stockwerken – Anya konnte es selbst mit in dem Nacken gelegten Kopf nicht gut erkennen – ragten diese riesigen, ebenfalls pechschwarzen Arme aus dem Turm und hielten je ein Dutzend goldener Glocken an einer Art Bogen fest. Am unheimlichsten war jedoch der Vollmond, der über dem Turm stand und ihn in silbernes Licht tauchte. Nur dort oben gab es nach wie vor keine grauen Wolken. „Tch! Wehe dieses Teil hat keinen Aufzug!“, zischte Anya und setzte die Runde fort. Man konnte schließlich nicht von ihr erwarten, bis nach oben die Treppen zu benutzen!   „Anya!“ Das Mädchen sah wieder nach vorn. Selbst im Mondlicht war die Gestalt, die da auf sie zu gerannt kam, kaum auszumachen, aber an der Stimme hatte sie sie trotzdem erkannt. „Hey, da ist ja unser Stargast“, scherzte Matt, als er ihr entgegen kam und atmete tief durch. Seine Stirn war schweißnass. Es machte den Eindruck, als wäre er seit Stunden über das Gelände gerannt. „Hi“, erwiderte Anya etwas unschlüssig. „Was ist los? Ist die Narbenfresse abgehauen, oder warum siehst du aus wie ein Fettsack nach einem Marathon?“ „Ich habe nach Verletzten gesucht, wonach sieht es sonst aus? Um die Warterei zu überbrücken und mich nützlich zu machen“, erwiderte er nun beleidigt und kratzte sich am Kopf. „Aber scheinbar ist niemand hier gewesen, als es passiert ist.“ „Wie schade …“ Matt musste grinsen. „Irgendwie habe ich mit dieser Antwort gerechnet. Aber hey, ist auch egal, komm mit! Das solltest du dir unbedingt ansehen!“ Schon rannte er wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. Die Schultern zuckend, folgte Anya ihm und musste innerlich aufatmen. Zwei hatte sie damit in der Tasche … Kurz darauf kamen sie an der Frontseite des Turms an und Anya sah sofort, was Matt ihr zeigen wollte. Dort war er, der Eingang. Und obwohl er im Vergleich zum Turm klein, ja regelrecht winzig anmutete, machte er doch einiges her. Von etwa zweieinhalb Metern Höhe, sah er im ersten Augenblick aus wie ein Torbogen, dessen Inneres mit einer Mosaikplatte ausgefüllt war. Anya erkannte sofort die leuchtenden Farben ihres Elysions wieder. Das saftige Grün, kräftige Braun und strahlende Meeresblau. Doch auch rote, gelbe, violette und weiße Teile waren im Tor vorhanden. Der Unterschied zum Elysion bestand, neben der Form, jedoch darin, dass aus diesem Bild kein Sinn entnommen werden konnte. Zwar waren beide Hälften des Tores symmetrisch, doch ansonsten schienen die dreieckigen Mosaikteile wahllos aneinander gefügt worden sein. Ein Griff oder Schloss, ja irgendeine Möglichkeit, das Tor von außen zu öffnen, fehlte. „Wie kitschig“, kommentierte Anya den Anblick garstig. „Jop“, stimmte Matt ihr zu. „Wir haben versucht hinein zu kommen, aber scheinbar hat der Turmherr noch keinen Dienst. Die Flügel rühren sich keinen Millimeter, wenn man sie nach innen drückt.“ Anya jedoch hatte sich längst umgedreht und musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie und Matt nicht alleine waren. Da war Alastair, der auf einer von drei länglichen Kisten hockte und finster zu ihr herüber starrte. Vor ihm standen Marc und Valerie, Letztere hielt eine Taschenlampe in der Hand und leuchtete, scheinbar in ein Gespräch mit Marc verwickelt, auf die Aufschriften der Kisten. Die Warnung, jene mit Vorsicht zu behandeln, war in eindrucksvollem Rot darauf hinterlassen worden. Das Grinsen auf Anyas Gesicht drohte über ihre Wangen hinaus zu schießen. Zumindest für einen Moment, bis sie erkannte, dass das Zeug tatsächlich eher ein Hindernis für sie darstellte. „Cool, was? Ich denke, das Zeug dürfte reichen, um ein nettes Feuerwerk zu starten.“ Matt trat neben sie. Anya nickte nur stumm.   Wie sollte sie jetzt verhindern, dass der Sprengstoff im Turm gezündet wurde!? Doch während der Dämonenjäger darüber lamentierte, woher er das Zeug hatte, kam Anya ein Geistesblitz. Um Eden zu vernichten, mussten sie das Herz zerstören – zumindest glaubten die anderen das. Wenn es ihr also gelang, mit ihnen bis zu diesem Kristallsaal zu gelangen und ihnen den Zünder für das Zeug abzunehmen, hatte sie gewonnen. „... wir werden das Zeug erst auf dem Rückweg scharf machen“, erklärte Matt dabei. „Schließlich wollen wir auch lebend raus aus dem Turm. Fragt sich bloß, wo das Herz ist. Der Turm ist riesig, die Suche danach könnte Stunden dauern.“ „Oben im Kristallsaal, sagt Levrier“, meinte Anya abwesend. „Auf der Spitze des Turms oder so.“ Matt rümpfte die Nase. „Hätte ich mir denken können. Wozu sonst so ein riesiger Turm? Beziehungsweise, warum ist er überhaupt so riesig?“ „Keine Ahnung.“   Nun hatten auch Valerie und Marc Anya bemerkten und traten mit Alastair im Schlepptau auf die anderen beiden zu. „Du hast es also geschafft“, ergriff Valerie das Wort und sah Anya nachforschend an. „Tut mir leid, aber ich konnte meinen Vater nicht erreichen. Wie bist du entkommen?“ „Das würde mich auch brennend interessieren“, wunderte sich Matt. „Wir waren schon fleißig am Pläne schmieden, wie wir dich aus der Zelle holen sollen. Was ist denn überhaupt passiert, dass sie abgeführt wurde?“ „Ich habe gerade Alastair alles erzählt“, antwortete die Schwarzhaarige ihm, „Anya wurde von Polizisten abgeführt, weil irgendjemand sie wegen Brandstiftung angezeigt hat. Wir waren gerade dabei, ihn dazu zu überreden-“ „Tch, ist jetzt auch egal. Ich bin ja jetzt hier“, raunte Anya und verschränkte missmutig die Arme. Dabei fügte sie gallig hinzu: „Anders als Pennerkind und Anhang.“ „Keine Ahnung wo die sind.“ Marc zuckte mit den Schultern. „Bisher sind wir ihnen nicht über den Weg gelaufen. Ein Anruf bei Mrs. Masters hat auch nichts gebracht, Henry war nicht bei Abby daheim. Zu dumm, dass wir keine Handynummer haben.“ „Selbst wenn, den beiden wird sicher die 'Veränderung' in der Stadt aufgefallen sein“, merkte Matt sarkastisch an. „Wir sollten ihnen noch einen Moment Zeit geben. Sicher sind sie schon unterwegs.“ „Dann würde ich vorschlagen, dass wir den Sprengstoff auspacken und in den Rucksäcken verteilen, die ihr mitgebracht habt.“ Valerie sah herüber zu den Kisten und legte einen Zeigefinger an die Unterlippe. „Die Kisten mitzunehmen wäre unsinnig, die könnten wir gar nicht hoch schleppen. Gut, dass ihr daran gedacht habt.“ Anya schnaufte leise. „Fein, machen wir das.“   Alsbald waren die Fünf damit beschäftigt, die Kisten zu öffnen und Sprengsatz um Sprengsatz vorsichtig in die sieben schwarzen Rucksäcke zu packen. Matt hatte gesagt, dass sie alle per Fernzündung funktionierten, dennoch warnte er davor, behutsam mit den Ladungen umzugehen. Anya hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Es waren metallische Apparaturen, bestehend aus zwei Röhren und einem Display, das mit Drähten mit den Röhren verbunden war. Im Moment waren sie abgeschaltet, aber man musste kein Genie sein, um zu wissen, wie man sie aktivierte. Neugierig drehte Anya eine der Apparaturen in der Hand herum. Für einen Moment erwog sie, die Sprengsätze zu manipulieren, aber verwarf diesen Gedanken schnell. Dazu müsste sie auch die vornehmen, die Valerie neben ihr in die Rucksäcke packte. Entweder alle oder keinen. Und außerdem … aber es war idiotisch, in so etwas noch Hoffnungen zu stecken. Für sie gab es keine mehr! „Tch“, zischte sie und stopfte das Gerät schließlich frustriert in den Rucksack. „Bist du nervös?“, fragte Valerie besorgt, die ihre Arbeit für einen Moment einstellte. Im Hintergrund öffneten Marc und Alastair die nächste Kiste. Matt indes hatte sich dazu bereiterklärt, etwaige Schaulustige fortzujagen und auf Polizei und Feuerwehr zu achten, ehe die sie entdeckten. „Mir geht’s bestens, Redfield. Was ist mit dir? Schon Bammel?“ Anya sah sie bewusst nicht an. „Ich müsste lügen, wenn ich das verneinen würde … weißt du, wohin das Tor führt, das dort oben ist? Eden? Orion wollte es mir nicht verraten.“ „Da muss ich passen“, schnaufte Anya und griff in die Kiste vor ihnen, setzte die Arbeit fort. „Bis vorhin wusste ich nicht mal, dass ich zu einem verdammten Tor werden soll. Ich meine, ein beschissenes Tor! Stell dir das mal vor, Redfield!“ Mit der Faust schlug Anya mit voller Wucht auf den Rand der Kiste, knirschte mit den Zähnen. „Ein beschissenes Tor …“ „Anya, ich werde dir sagen, wohin das Tor führen wird. Wenn wir damit fertig sind: nirgendwo hin. Also schmoll nicht, weil du nicht als Teufel inkarniert wirst. … was das angeht, bist du auch so auf bestem Wege dahin.“ Valerie kicherte leise. „Bist du jetzt fertig mit deinen billigen Aufheiterungsversuchen!?“, fauchte Anya gereizt und stopfte den nächsten Apparat in den Rucksack, der damit voll war.   Etwa zehn Minuten später waren sie mit den Vorbereitungen fertig, doch von Henry und Melinda fehlte weiterhin jegliche Spur. Die Fünf hatten sich vor dem Eingang zum Turm im Kreis aufgestellt, mit den sieben Rucksäcken in ihrer Mitte. „Verdammte Gaffer, man sollte meinen, die haben nichts Besseres zu tun, als mitten in der Nacht eine Sightseeingtour zu betreiben“, beklagte sich Matt wütend. „Wo ist die Polizei, wenn man sie einmal braucht?“ Anya grinste diebisch und fuhr mit der Hand unter ihren Pferdeschwanz. „Im Land der Träume, sponsored by Abigail Masters.“ Auf die neugierigen Fragen der anderen hin schwieg das Mädchen jedoch genüsslich. „Was nun?“, fragte Marc, der in der Zwischenzeit seine blauweiße Footballjacke über Valeries Schultern gelegt hatte. „Die beiden sind immer noch nicht da. Vielleicht kommen sie am Ende gar nicht?“ „Würde mich nicht wundern“, murmelte Anya und verzog die Augen zu Schlitzen, „und genau deshalb gehen wir jetzt da rein.“ Valerie zeigte sich davon ziemlich überrascht. „W-was? Jetzt schon?“ „Klar, Redfield. Die werden schon kommen“, gab sich die Blondine zuversichtlich, „sie müssen kommen, wenn sie vor Isfanel ihre Ruhe haben wollen. Ist der Turm weg, hat der keinen Grund mehr, die Schnöselkinder zu nerven.“ Matt nickte knapp. „Denke ich auch. Sie werden wissen, dass es das Beste für sie ist. Bleibt nur die Frage, ob Henry … „Matt“, ermahnte Alastair seinen Partner, da dieser Stillschweigen über Henrys Begegnung mit dem Sammlerdämon bewahren wollte. „Stimmt. Er wird es rechtzeitig hierher schaffen.“ „So penetrant wie er ist, ja“, raunte Anya und verschränkte die Arme, „und er weiß, dass das Herz von Eden nur mit vereinter Kraft sichtbar wird. Anstatt auf seine Majestät zu warten, sollten wir schon reingehen und alles vorbereiten. Umso schneller sind wir wieder draußen.“ Valerie schloss die Augen und dachte kurz darüber nach. „Ja, das ist eine gute Idee. So können wir auch die Lage im Turm klären. Der bleibt nur bis Sonnenaufgang, jede Minute ist kostbar.“ „Dann ist es jetzt entschieden!“ Anya, die mit dem Rücken zu dem Eingangstor stand, wirbelte herum und trat einen Schritt darauf zu. „Gehen wir da rein und rocken die Bude!“ „Yeah!“, riefen Marc, Matt und Valerie im Einklang. Nur Alastair fiel mit einem „Hmpf!“ heraus.   Und während die Rucksäcke an den Mann gebracht wurden, überlegte Anya, ob es die richtige Entscheidung war, nicht länger zu warten. Wenn die Schnöselkinder tatsächlich nicht kommen wollten, würden sie es auch nicht tun. Egal wie lange man auf sie wartete, sagte sie sich. Zumindest sah es ganz danach aus, sonst wären sie längst hier. Warum das Unvermeidliche noch länger hinauszögern? Sie würde ihr Glück mit dem versuchen müssen, was ihr zur Verfügung stand. Diese Vier da.   „Seid ihr bereit?“, fragte Anya schließlich mit geschultertem Rucksack, bewaffnet mit ihrer Duel Disk am Arm. Genau wie Valerie und Marc. Matt und Alastair hatten bestimmt auch ihre D-Pads mit dabei, nur für den Fall. Obwohl Anya nicht verstehen konnte, warum sie keine fetten Wummen mitgebracht hatten. Dabei leckte sie sich über die Lippen. Die alle gegen sie? Klang regelrecht verlockend. „Auf zum großen Finale!“, rief sie schließlich verheißungsvoll und trat gegen die Tür. „Kümmel, öffne dich!“ „Anya“, stöhnte Valerie in belehrendem Tonfall und klatschte sich die Hand an die Stirn, „es heißt 'Sesam öffne dich'.“ Marc war ebenfalls etwas verloren im Bezug auf Anyas Art, den Turm betreten zu wollen. „Ich glaube nicht, dass du so reinkommst.“ „Bah, scheiß drauf, geh einfach auf!“, fauchte Anya und trat wild auf die Tür ein, die sich keinen Millimeter rührte. „Vielleicht-“ Doch ehe Matt seinen Gedanken vortragen konnte, begannen die Farben des Mosaiks allesamt grell zu leuchten. Die Fünf wurden geblendet von dem Licht und ehe Anya sich versah, steckte ihr Fuß plötzlich in einer wässrigen Oberfläche, zu welcher die Steine geworden waren, ohne dabei jedoch ihr Muster zu verlieren. „Sag ich doch, das geht!“ Das gesagt, schritt das Mädchen mutig durch die Oberfläche und war kurzerhand verschwunden. Mit mulmigem Gefühl folgten die anderen ihr schließlich.   „Wow“, hallte Anyas Stimme schließlich vom Inneren des Turms, „so habe ich mir das nicht vorgestellt. Seltsamer Ort.“ Vor ihr erstreckte sich eine riesige Säule aus grellem, weißgoldenem Licht. Anya legte den Kopf in den Nacken, doch vermochte dadurch nicht, bis zu ihrem Ende hinauf zu sehen. Wie auch, wenn der Turm so verdammt hoch war!? „Also kein Fahrstuhl für dich, Anya“, kommentierte Matt den Anblick, als er mit den anderen neben jener angekommen war. „Was ist das?“ „Eden?“, überlegte Valerie unsicher. „Sieht eher aus wie eine Energiequelle oder so etwas“, mutmaßte Marc, der wie Alastair zwei Rucksäcke geschultert hatte und drehte sich um. Hinter ihm war das Tor wieder normal geworden, nicht mehr wie die Oberfläche eines Sees aus Farben. „Ich hoffe, wir kommen hier auch wieder raus.“ „Darüber machen wir uns später Gedanken! Ich glaube, wir müssen die da nehmen, wenn wir hoch wollen“, meinte Anya genervt und zeigte auf eine Treppe, die sich links von ihnen erstreckte. Sie lag direkt an der Innenwand des Turms und verlief wie eine Spirale immer weiter nach oben. Ein verschnörkeltes Geländer aus purem Gold sollte verhindern, dass man auf seinem Weg in die Tiefe fiel. „Hört zu“, begann Matt schließlich damit, Anweisungen zu geben. Er trat neben Anya und zeigte auf die Treppen. „Wir werden die Sprengsätze regelmäßig an den Wänden anbringen, aber sparsam, der Weg nach oben ist lang. Scharf machen sollten wir sie aber erst auf dem Rückweg. Ich will nicht riskieren, dass sie gezündet werden, bevor der Letzte diesen verdammten Turm verlassen hat.“ Anya grinste zufrieden, denn das hieß: sie musste nur verhindern, dass es einen Rückweg gab. Was kein Problem werden würde. „Klingt gut, Chef.“ Schließlich begann die Gruppe damit, vorsichtig die Treppe zu betreten. Sie bot festen Halt, obschon sie nicht sonderlich breit war. Der schwarze Marmor, aus dem sie bestand, war sauber, als wäre noch nie zuvor jemand hier gewesen. Anya, die die Gruppe anführte, ging ein wenig voraus, um sich einen Überblick zu verschaffen. Aber außer der Treppe gab es nichts. Keine Stockwerke, wie sie anfangs vermutet hatte. Während die anderen damit beschäftigt waren, die Sprengsätze anzubringen, schritt Anya unermüdlich voran. Es kam ihr wie Stunden vor, wie sie Stufe um Stufe nahm und doch nicht wusste, wann ein Ende in Sicht war. Jedoch bemerkte sie, dass die Distanz zwischen dieser gewaltigen Energiesäule und der Treppe langsam geringer wurde. Das grelle Licht der Säule sorgte dafür, dass ihr Schatten zu bedrohlicher Größe gewachsen war und sie wie eine geisterhafte Gestalt verfolgte. Die Blondine überlegte, wozu dieses Ding wohl dienen mochte. Als Stützpfeiler? Oder tatsächlich als Energiequelle für Eden, wie Marc vermutete? Egal, sie würde es sicher herausfinden, ob sie wollte oder nicht. „Anya“, hörte sie von weit unten Matt rufen, „geh nicht zu weit voraus, du weißt nicht, was dich dort erwartet.“ „Ja ja“, rümpfte die die Nase und beugte sich über das Geländer. Doch die anderen befanden sich hinter der Säule, sodass sie nicht sagen konnte, wie viel Vorsprung sie schon hatte. „Wie sieht es aus?“ „Den ersten Abschnitt haben wir jetzt abgedeckt. Fragt sich nur, wie viel noch folgen …“   Und so ging das Spiel weiter. Mit der Zeit fing auch Anya an, ihren Rucksack zu leeren. Je höher sie kamen, desto mehr zehrte der Turm an ihren Kräften. Allmählich geschah sogar, was Matt ursprünglich vermeiden wollte: der Sprengstoff wurde knapp. Irgendwann hielt Anya plötzlich inne. „Die Decke! Ich kann sie sehen!“ „Ernsthaft?“, hallte Valeries Stimme zu ihr hinauf. „Endlich!“ Die Energiesäule verschwand einfach in einer pechschwarzen Wand. Die letzten Sprengsätze, die sie noch hatte, sparsam verteilend, eilte Anya die Stufen hinauf und gelangte schließlich an einer Falltür an, die das Ende der Treppe darstellte. Wie das Eingangstor, war auch sie aus bunten Mosaikteilen gemacht und ähnelte im Endeffekt mehr einer Glasscheibe. Anya starrte sie unruhig an. „Sieht aus, als wären wir endlich oben.“ Erschrocken wirbelte die junge Frau herum, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. „Mach dir keine Sorgen, alles wird gut“, versuchte Marc sie aufzumuntern. „J-ja.“ In diesem Moment erkannte Anya, dass sie ihm wohl noch nie so nahe gewesen war. Sie konnte die feinen Stoppeln um sein Gesicht sehen, er war nicht rasiert. Unter den Augen lagen dunkle Schatten, doch er lächelte aufrichtig. Und es berührte Anya nicht. Sein Anblick machte ihr nichts mehr aus. Umso besser. Sich von ihm abwendend, wartete sie auf die anderen, ehe letztlich alle vor der Scheibe angelangt waren. „Auf ins Gefecht“, meinte sie kämpferisch und schritt einfach durch das Mosaik hindurch, das wie schon zuvor am Eingang bei Kontakt eine flüssige Form annahm. Die anderen folgten ihr. Und begannen zu staunen, als sie letztlich in dem Raum angekommen waren, den Levrier vor einiger Zeit Kristallsaal genannt hatte. Denn das war er auch. Atemberaubend schön. Schlicht. Aber schön. Er war von beeindruckender Größe, angelegt als Kuppel. Dies war die Spitze des Turms. Der Boden bestand aus einem blau-silbernen, von innen leuchtenden Material, wie der Rest des Raumes. In ihm spiegelten sich die Reflexionen der Gruppe, die sich sprachlos im Saal verteilten. Hin und wieder ragten spitze Kristalle aus dem Boden, der Wand oder der Decke. Doch eine Einrichtung gab es nicht. Wenn man den prächtigen Thron außen vor ließ, der, ebenfalls ganz aus Kristall, am anderen Ende des Raums auf einem Treppenansatz zu finden war. Anya schritt, von einem Impuls geleitet, auf ihn zu. Angekommen, streckte sie zögerlich die Hand aus. Sie betrachtete ihn nachdenklich, fuhr letztlich mit den Fingerspitzen über eine der Lehnen. Eiskalt. Sie zog erschrocken die Hand weg. „Könnt ihr das hören?“, fragte Valerie plötzlich. Marc, der neben ihr sein Spiegelbild an der Wand betrachtete, nickte. „Ja! Sind das Glocken?“ „Ist es das erste Mal, dass ihr sie hört?“, fragte Anya und drehte sich den anderen zu. „Ja, ich glaube schon.“ Matt legte seinen Rucksack ab. „Scheint, als ob der Glöckner von Notre-Dame selbst um diese Uhrzeit Dienst hat. Aber egal. Hat noch jemand von euch etwas Zeug?“ Zur Verdeutlichung nickte er auf den Rucksack. „Leider nicht“, antwortete Valerie und bekam von Marc und Alastair Zustimmung. „Ich“, meldete sich Anya. „Gut, dann würde ich vorschlagen, dass wir das restliche Zeug hier verteilen.“ Es platzte einfach aus ihr raus, denn noch länger hätte sie es nicht für sich behalten können. „Sorry, aber das geht nicht.“ Verdutzt von Anyas Antwort blinzelte Matt irritiert. „Was spricht dagegen?“ „Ich.“ Mit kaltem Blick sah Anya auf den Dämonenjäger hinab. „Planänderung: hier ist Endstation!“ „Ich wusste es!“, brüllte Alastair plötzlich, als ihm die Bedeutung ihrer Worte bewusst wurde. „Ich wusste, du würdest uns verraten! Das war eine Falle!“ „Anya, du-!?“ Valerie weitete die Augen. „Nach allem, was-! D-das muss ein Irrtum sein!“ „Das meinst du doch nicht ernst!“, widersprach auch Marc erschrocken. „Wir sind ein Team! Wir wollen dir doch helfen! Für solche Scherze ist jetzt keine Zeit!“ „Ich mache keine Witze, Butcher. Es gibt kein Entkommen mehr für euch.“ Das Mädchen erhob den Arm und deutete mit dem Finger herüber zu der Stelle, in der das Mosaik eingelassen war. Nur, dass ein solches dort gar nicht zu finden war. „Dieser Raum kann nur betreten, aber nicht wieder verlassen werden. Levrier hat mir mal ein wenig darüber erzählt. Von dem, was passiert ist, als er das letzte Mal hier war.“ Matt fiel fassungslos auf die Knie. „Du hast uns … die ganze Zeit …?“ „Was hätte ich tun sollen?“ Anya wandte traurig den Blick ab und legte ihre Hand wieder auf die Lehne. Die Kälte beruhigte sie, ihren immer wilder werdenden Herzschlag. Es war ihr einfach herausgerutscht, die Wahrheit. Als wolle sie endlich an die Oberfläche treten. „Es ist … nicht so, dass ich wollte, das das hier passiert. Aber es gab nie Hoffnung für mich. Und als ich gesehen habe, wie es ist, eingesperrt zu sein in einer Welt voller Leere – in der Lampe des Jinns – da konnte ich nicht anders.“ Valerie presste ihre Lippen aufeinander, ehe sie ihre Stimme erhob. „Ich habe an dich geglaubt! Ich dachte, du wärst anders, hättest dich geändert! Du … ich-!“ „Halt die Klappe, Redfield“, meinte die Blondine tonlos. „Ich bin jetzt Eden, nicht mehr eure … Freundin. Hass mich, so viel du willst.“ „Wir müssen hier raus!“, geriet Valerie langsam in Panik und suchte den Saal nach einer Fluchtmöglichkeit ab. „Wir müssen Henry warnen, damit er nicht-!“ Matt schrie regelrecht vor Wut und Enttäuschung. „Wie denn!? Er hat keine Ahnung-!“   „Nicht nötig.“ Die Fünf schauten überrascht auf, drehten sich zur Quelle der wohlbekannten Stimme. Als Matt aus den Augenwinkeln erkannte, wer da im Begriff war, den Kristallsaal durch die von Innen nicht sichtbare Öffnung zu betreten, schrie er: „Nicht! Verschwinde, das ist eine Falle!“ Doch Henry, der über seinem weißen Hemd einen hellbraunen Trenchcoat trug, nahm unbeirrt die letzten Stufen, dicht gefolgt von Melinda. „Ich weiß. Deswegen bin ich gekommen, um euch hier rauszuholen. Dankt mir später.“ Anya weitete überrascht die Augen beim Anblick der beiden. „Du willst was!? V-vergiss es, Kumpel, aber hier ist Schluss!“ Damit waren endlich alle hier versammelt! Anyas Herz machte einen Hüpfer vor Glück. Das ging ja viel schneller als erwartet! Also stand das Pennerkind doch zu seinem Wort! Nun blieb nur noch das Ritual … Seelenruhig schlenderte Henry jedoch über den glatten Kristallboden und fixierte sich auf Anya. „Was du nicht sagst?“ „Tch, vergiss es! Ihr seid jetzt hier mit mir gefangen!“ Sie breitete weit die Arme aus. „Der Kristallsaal lässt keines seiner Opfer gehen! Das hat Levrier gesagt! Und der war schon mal hier drin!“ „Soll ich dir mal was sagen?“ Der brünette, blauäugige junge Mann stellte sich vor Matt und griff in die Tasche seines Trenchcoats. „Dein Auftritt war langweilig. Jemand so Verdorbenem wie dir hätte ich mehr Geschmack in Punkto Performance zugetraut. Aber du stellst dich einfach vor sie und sagst ihnen, was sie ohnehin längst wussten. Wobei ich mich schon frage, wie blind man sein muss, um eine so offensichtliche Wahrheit dennoch zu verdrängen.“ „W-wir wurden“, stammelte Valerie, die das so nicht stehen lassen wollte, senkte dann aber den Kopf. „Nein, du hast recht. Ich … wollte nur das Gute in ihr sehen. Mehr … nicht.“ „Tch!“, zischte Anya daraufhin. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Wie begann man dieses verflixte Ritual!? Henry zückte ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und entzündete eine Flamme damit. „Aber lass mich dir etwas sagen, Anya. Du wirst in deinem letzten Moment allein sein. Du wirst hier alleine sterben.“   Mit einem Schwenk ließ er einen ganzen Flammenwall aus dem Feuerzeug frei, welcher neben Matt mitten in der Luft zum Stehen kam. Plötzlich formte sich daraus eine schlichte Holztür, die nun im Saal stand. „Das ist unser Weg hinaus“, erklärte Henry dazu. „Den ich mit meinem Blut erkauft habe.“ „Lass uns gehen“, meinte die blasse und mitgenommen wirkende Melinda niedergeschlagen, drehte sich zu den anderen um. „Mit dieser Tür können wir den Turm verlassen. Macht euch keine Sorgen.“ „Nein!“, schrie Anya und machte einen Satz vorwärts. „Ihr könnt nicht-!“ Doch die anderen versammelten sich mit finsteren Gesichtsausdrücken hinter Henry, was Anya derart erschreckte, dass sie in ihrer Bewegung regelrecht einfror. „Ich kann nicht glauben, dass du uns verraten hast“, sprach Matt leise und senkte den Blick, als er sich erhob, „ehrlich gesagt kann ich gar nicht glauben, was hier gerade abgeht. Aber … du hast mich wirklich enttäuscht, Anya.“ Valerie schluckte und trat neben ihn. „Du hast uns einfach ausgenutzt. Du wolltest uns opfern …“ „Und ich habe an dich geglaubt“, meinte Marc und legte seine Hände auf die Schultern seiner Verlobten. Seine Finger verkrampften sich förmlich in der blauweißen Jacke. „Hätte ich das gewusst, hätte ich dich damals nicht-“ „Dafür wirst du in der Hölle schmoren“, gab sich letztlich auch Alastair kalt und spuckte auf den Boden. „Schlangenzunge.“ „N-nein!“, schrie Anya und streckte den Arm aus. „Ihr könnt nicht gehen! Levrier, tu etwas! Gib mir Kraft, halt sie auf!“ „Levrier wird nicht kommen“, erstickte Henry ihre Hoffnungen jedoch im Keim. Die Hand des Mädchens senkte sich. „Er wird nie wieder kommen. Du bist jetzt Levrier, Anya.“ Sie sank auf die Knie. „Der Gründer und du, ihr seid jetzt eins. Aber seine Kräfte wirst du dadurch nicht erlangen“, meinte Henry, ehe er ihr den Rücken zuwendete. „Das ist der Preis der Unsterblichkeit – so hat es zumindest ein gewisser Dämon, den du selbst schon getroffen hast, ausgedrückt. Ich kapiere es selbst nicht so ganz, aber du bist jetzt machtlos, Anya. Dein Plan ist nicht aufgegangen. Leb' damit. Oder auch nicht.“ Tränen rannen über die Wangen der Blondine, als sie zitternd eine Hand nach den anderen ausstreckte. „B-bitte! I-ihr dürft nicht gehen!“ „Und warum?“, fragte Henry schneidend. „In meiner Situation hättet ihr dasselbe getan!“, verteidigte sich Anya verzweifelt. „Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte!“ „Wirklich?“ Matt schloss die Augen. „Das sehe ich aber anders. Verdammt, Anya! Ist dir nicht klar, was du hier tun wolltest!?“ „Vergleiche uns nicht mit dir!“, schrie Valerie wütend. Anya biss sich auf die Lippen, als die Tränen nur so aus ihr herausquollen. „N-nein! Bitte! Ich- Ich-!“ „Was!?“, wurde nun auch Henry laut. „Was!? Was willst du!?“ „Ich will leben!“   Doch die Hand von Henry lag bereits auf der Klinke der Tür, die sich vor ihm mitten im Saal erstreckte. „Pech für dich: wir auch.“ Bevor er jedoch daran ziehen konnte, hielt Matt sein Handgelenk fest. „Was ist?“ „Wie können sie hier nicht einfach alleine lassen …“ „Du machst wohl Witze!?“, schrie Valerie auf. „Sie-!“ Matt ließ den Kopf hängen und sah dabei herüber zu dem Mädchen, das wie ein Häufchen Elend vor dem Thron lag. „Sie hat recht. Was hätten wir an ihrer Stelle getan? Es ist so leicht, auf andere herabzusehen, sie für ihre Taten zu verurteilen. Aber nur, weil wir nicht diejenigen sind, die diese Entscheidungen treffen mussten.“ Er wusste, wie es war, als Täter behandelt zu werden. Selbst wenn er damit nur seine Schwester deckte, wusste er, wie sich die Verachtung anderer anfühlte. Und obwohl sein Fall mit Anyas nicht zu vergleichen war, wollte er es nicht dabei belassen. Sie mussten doch wenigstens versuchen, eine andere Lösung zu finden! Das hatten sie die ganze Zeit, warum nicht jetzt!?   „Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst“, beklagte sich Henry und riss sich von dem Dämonenjäger los. „Heißt das, du bist trotz allem auf ihrer Seite!? Obwohl sie dich tot sehen wollte!?“ „Sie hat uns Freunde genannt …“ Matt straffte sich nun und sah Henry erhobenen Hauptes an. „Und Freunden hilft man, selbst wenn sie Scheiße gebaut haben!“ Marc sah das anders. „Aber ein Freund würde nie so etwas tun! Sie ist nicht unsere Freundin-!“ „Weil wir ihr nie eine Chance gegeben haben“, meinte Valerie bedrückt und sah ebenfalls zu Anya herüber. „Sie ist das Produkt unserer Fehler. Hätten wir besser auf sie Acht gegeben, wäre es nie hierzu gekommen. I-ich … kann nicht sagen, dass … ich ihr deshalb verzeihe. Aber … ein guter Mensch … hilft anderen in Not doch, oder?“ Dabei dachte sie an Joan und ihren letzten Wunsch. Sicher hätte jene Anya in dieser Situation beigestanden. „Aber wie!? Wie sollen wir ihr helfen!?“, klagte Henry, der nicht mit Widerspruch gerechnet hatte und fuchtelte wild mit den Händen. „Ihr seid doch verrückt! Ich reiße mir den Arsch für euch auf und ihr-!“ „Henry, hör ihnen wenigstens zu“, bat Melinda neben ihm. „Nein! Ich will das nicht verstehen! Wie stellt ihr euch das vor!? Sollen wir einfach an Gottes Tür klopfen und ihn um einen Gefallen bitten!? Pah!“ Matt legte die Hand an die Stirn. Er hatte tierisch Kopfschmerzen. „Wir könnten mit dem Plan weitermachen? Den Turm-“ „Nein …“ Die anderen drehten sich überrascht um, als sie Anyas Stimme vernahmen. Die hatte sich aufgerafft und torkelte rückwärts auf den Thron zu. „Vergisst es. Das mit dem Herz von Eden ist alles nur erfunden …“ Das Mädchen legte ihre Hand über das Gesicht und stöhnte. „Es ist vorbei. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Nicht für mich und nicht für euch. Hört auf, euch einzureden, dass ihr mich retten wollt! Ihr hasst mich! Also verschwindet!“ Matt stammelte überrascht: „Anya!? Wieso-!?“ Das Mädchen ließ sich auf den Thron fallen. Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. In ihm stand aufrichtige Reue geschrieben. „Tut mir leid, dass ich euch hier hineingezogen habe. Ich hätte es besser wissen müssen. Geht, solange ihr noch könnt. Ich dachte, ich kann das durchziehen, aber …“ Sie nahm die Hand von ihrem Gesicht und grinste frech. „... ich bin halt die geborene Versagerin. Ich kann … meine Freunde nicht opfern. Ich weiß ja nicht mal -wie- das funktionieren soll. Tch, einfach lächerlich …“ „Was sagst du da!?“ Matt trat ein paar Schritte vor. „Eben erst-!? Ich versteh das nicht!“ „Geht endlich, ihr Idioten!“, schrie das Mädchen, deren Stimme durch den Kristallsaal hallte. Tränen rannen ihre Wangen hinab. Also war es in ihrem Fall Endstation Limbus. Anya versuchte sich damit zu trösten, dass niemand wusste, wie der Limbus wirklich aussah, wenn nie jemand daraus zurückgekehrt war. Vielleicht … gab es ihn gar nicht? Aber sie hatte Angst. Fürchterliche Angst davor, allein zu sein. Aber lieber im Limbus ohne Schuldgefühle, als mit Blut an ihren Händen zu Eden zu werden. Denn letztlich … entschied immer noch sie, zu was sie wurde und zu was nicht! Sie, Anya Bauer! „Haut ab, bevor es euch kriegt! Macht endlich, bevor ich es mir anders überlege! Ihr könnt mich nicht retten, also rettet euch wenigstens selber, ihr gehirnamputierten Dummschwätzer!“   Ihre Stimme ging jedoch unter dem plötzlichen Dröhnen von Glockenklang unter. Alle Anwesenden legten sich vor Schmerz die Hände auf die Ohren, selbst Anya. Sie alle pressten die Lider zusammen, als würde das den Effekt lindern, was es jedoch nicht tat. Einer nach dem anderen begann zu schreien, denn der Lärm trieb sie regelrecht in den Wahnsinn. Wie Fliegen fielen sie um. Erst Valerie, dann Marc, gefolgt von Melinda, Alastair und Henry. „Was ist das!?“, ächzte Matt, der die Augen öffnete und erschrak. In ihnen spiegelte sich pures, goldenes Licht wieder. Anya saß schlaff auf dem Stuhl, so als würde sie nur schlafen. Der Kopf angelehnt an die Schulter, die Hände auf den Lehnen. Doch hinter ihr, hinter ihr war-! Bevor Matt begreifen konnte, was er sah, kippte auch er um und ging im endlosen Nichts verloren. Unter dem Klang zerbarst sogar die Tür, die Henrys Feuerzeug geschaffen hatte. Die Holzsplitter schossen über die regungslosen Körper hinweg und lösten sich in kleinen Flammen auf. Und da lagen sie, sieben Menschen im Kristallsaal des Turms von Neo Babylon, als das Glockengeläute endlich verstummte. An seiner Statt war ein neues, viel leiseres, regelmäßig erklingendes Geräusch getreten, wie eine tickende Uhr, doch viel ruckartiger und tiefer. „Urgh“, erklang schließlich eine Stimme, schleifende Geräusche vermengten sich mit dem unheilvollen Ticken. Ein Schatten erhob sich inmitten der Bewusstlosen. „Hah …“ Der Umriss eines Fußes sauste auf das Feuerzeug herab, das neben Henry lag. Ein lauter Knall verkündete, dass jenes nicht länger funktionieren würde. „Eden … endlich bist du hier …“     Turn 32 – Puppetmaster Das Tor Edens steht kurz davor, geöffnet zu werden. Ein letzter Hoffnungsschimmer verbindet die Gefangenen des Turmes miteinander. Ein Schuss. Zwei Feinde verbünden sich widerwillig, um sich ihren Widersachern in den Weg zu stellen. Und der teuflische Plan kommt endlich ans Licht …   Kapitel 32: Turn 32 - Puppetmaster ---------------------------------- Turn 32 – Puppetmaster     Eine kalte, grausame Lache hallte höhnisch durch den Kristallsaal. Von den Bewusstlosen hatte diese eine Person sich letztlich erhoben und straffte den roten Mantel. Das süffisante Grinsen auf Alastairs vernarbten Gesicht war jedem Zweifel erhaben. Er hatte erreicht, wonach er so lange gestrebt hatte. Den Fuß von dem Feuerzeug nehmend, das neben Henrys regungsloser Hand lag, grinste triumphal. Das Geschenk des Sammlers löste sich in einer Flamme auf. Ein neckischer Trick, um den Fängen des Turms zu entkommen. Vergebliche Liebesmüh, damit hatte er gerechnet. Er, Refiel. Nein, er war nicht Refiel. Nie gewesen. Diese Identität konnte er jetzt endlich abstreichen wie eine Haut, die nicht länger benötigt wurde. Dieser Narr Alastair, er war all die Jahre über so leicht zu kontrollieren gewesen. So sehr er sich in seinem Elysion auch zu wehren versuchte, er war durch die Einwirkung Edens stillgelegt. Für immer. Genau wie die anderen, die in ihrer letzten Zuflucht gefangen waren.   Das Wesen, das sich Alastair bemächtigte, schritt durch die Reihen der Bewusstlosen. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit. Die Gründerin, Valerie Redfield, Marc Butcher, Melinda Ford, der Freund seines Gefäßes und schließlich jenes selbst. Fünf Opfer. Nein, sogar eins mehr, wenn man Henry Ford noch hinzu zog. Es konnte schließlich nie schaden, eine Notreserve zu haben, falls einer absprang. Wie hatte Anya Bauer es geschafft, sie trotz ihrer feindseligen Art um sich im Turm zu versammeln? Ihm erschien es wie ein Wunder. Aber es war Realität. Mehr brauchte er nicht zu wissen.   Er trat seelenruhig an das Mädchen heran, das auf dem Thron saß und wirkte, als wäre es einfach nur eingenickt. In Alastairs Augen spiegelte sich das goldene Licht, das über dem Thron hervor trat, doch er konzentrierte sich ganz auf die Gründerin. Vor ihr angelangt, griff er sie am Kinn und bewegte ihren Kopf zur Seite, um sie genauer zu betrachten. „Levrier ist fast fort. Nicht mehr lange und er hat seinen Zweck erfüllt“, murmelte er zufrieden. Den Zweck, den er einst für Levrier bestimmt hatte. Für einen Abkömmling Isfanels war dieses Exemplar ziemlich langlebig, das musste er den beiden zugestehen. Nicht so wie seine eigenen. Schließlich ließ er von Anya Bauer ab und sah nun hinauf. Da war es. Das Tor Eden. Das, wonach er seit Jahrhunderten gesucht, das, was sein ganzes Leben bestimmt hatte. Kreisrund war es, schwebte mitten in der Luft über dem Thron. Von schlichter Eleganz, ragten an den Rändern der kristallisch-silbernen Oberfläche spitze Dornen heraus, die dem Gebilde eine besondere Form gaben. Fast wie eine Sonne. Aber jene war noch nicht aufgegangen. Das Innere des Tors war durch dicke Schichten jenes Kristalls ähnlich Blüttenblättern verdeckt, doch Alastair konnte durch jene hindurch bunte Lichter erkennen. Die Spitzen des Tores strahlten zudem elektrische Schläge aus, die es wie ein Netz in der Luft hielten, denn jene Strahlen waren mit den Kristallstalaktiten und -stalagmiten verbunden, die sich im näheren Umfeld des Throns befanden. „Ein wundervoller Anblick“, schwärmte er. „All die Arbeit-!“   Ein leises, schleifendes Geräusch ließ den besessenen Alastair herumwirbeln. Allerdings bewegte sich keines der Opfer auch nur im Geringsten. Wie könnten sie auch, Edens Präsenz hatte sie in ihren Elysien versiegelt. Diese Menschen würden nie wieder erwachen. Der besessene Alastair wandte sich wieder dem Tor zu, als eine Hand auf ihn zuschoss und am Hals packte. Mit einem Ruck war Anya aufgesprungen, lehnte sich mit der Seite an den Körper des Hünen und sah ihn von unten herauf mit einem unwirklichen, manischen Blick an. „Sieh an, sieh an“, gurrte sie heimtückisch, „scheint, als wäre ich nicht die Einzige, die ihr eigenes Ding dreht, Narbenfresse … oder wer immer du wirklich bist.“ Der Mann stellte tonlos fest: „Du bist wach?“ „Hör mal, Buddy“, erwiderte sie versöhnlich und ließ zugunsten des Nackens von seinem Hals ab, während ihren Kopf auf seine Brust legte, „keine Ahnung, was zum Teufel du hier treibst, aber die da“, sprachs und zeigte mit dem Zeigefinger der freien Hand auf die anderen, „sind nicht dein Spielzeug, klar? Also verpiss' dich!“ Das gesagt, riss sie am Nacken seinen Kopf herab und rammte gleichzeitig ihr Knie in seinen Unterleib, schubste ihn anschließend von sich weg und begann zu rennen.   „Aufwachen ihr Idioten, es gibt Ärger im Nimmerland!“, schrie sie dabei, während sie ihn hinter sich zurückließ und auf die Gruppe der Bewusstlosen zusteuerte. „Scheinbar hat der Engel die Seiten gewechselt!“ Das Mädchen stellte mit einem Blick über die Schulter überrascht fest, dass Refiel ihr nicht zu folgen schien, sondern ihr stattdessen nur nachdenklich hinterher sah. Vor Matt ließ Anya sich auf die Knie fallen, rutschte über den glatten Kristallboden und packte den Dämonenjäger an den Schultern. Ihn heftig schüttelnd, rief sie: „Nun mach die Augen auf, Mistkerl!“ „Er wird nicht erwachen“, hallte Alastairs Stimme durch den Saal. Anya drehte den Kopf zu ihm und pfiff abfällig durch die Zähne. „Das hast du von mir aber auch gedacht, nicht wahr? Was soll dieser Mist überhaupt!? Was-!“ Erst jetzt fiel Anyas Blick auf das Tor Eden, das in all seiner Pracht über dem Thron hing und goldenes Licht ausstrahlte. Ihre Kinnlade klappte herunter und ließ sie die Dinge vergessen, die sie sagen wollte. „Mist? Warst es nicht du, die das Ritual starten wollte? Denn es hat begonnen, jenes Ritual. Ich habe gar nichts getan. Ganz allein du, Anya Bauer.“ Zwar bekam sie am Rande mit, was Refiel sagte, doch Anya hatte nur noch Augen für Eden. Das war es? Zu dem Ding sollte sie werden? Aber Moment! Sie existierte noch! Dann-! „Du fragst dich jetzt, warum Eden hier ist, du aber noch lebst?“ Alastair ging zum Thron und ließ sich mit einem erschöpften Stöhnen darauf niedersinken. „Gemach. Es dauert ein wenig, bis das Ritual beendet ist. Obwohl ich zugeben muss, nicht damit gerechnet zu haben, dass du dabei wach sein würdest.“ „Du wolltest das die ganze Zeit, huh!? Dich bei Gott einschleimen, oder was?“ Anya wandte sich wieder Matt zu und rüttelte heftig an ihm, verpasste ihm sogar Ohrfeigen – mit der Faust. „Aufwachen! Aufwachen! Aufwachen!“ „Natürlich wollte ich das. Aber nur um meinetwillen.“ Der vermeintliche Refiel sah herauf zum Tor über ihm. „Es ist wunderschön. Sobald es offen ist, wird meine Mission endlich erfüllt sein. Nach so langer Zeit.“ „Keine Ahnung, was du da fasel- Urgh!“ Anya keuchte auf und fasste sich an die Brust, die plötzlich heftig zu Schmerzen begann. Matt vor ihr verschwamm, ihre Kräfte ließen nach, sie sackte zusammen und landete auf ihm. „Wehre dich nicht, Anya Bauer. Du bist die Gründerin, der Eckstein. Dachtest du, du würdest nicht absorbiert werden? Ich muss dich enttäuschen, dieses Schicksal wird euch allein zuteil werden. Selbst meinem Gefäß.“ Er lachte amüsiert. „Außerdem … ist das nicht auch, was du wolltest? Auch wenn du sie ohnehin nicht aufwecken könntest, musst du es auch nicht. Sie können dich nicht mehr daran hindern, eins mit Eden zu werden. Der Limbus, du musst ihn nicht mehr fürchten.“ Mit aller ihr noch zur Verfügung stehenden Kraft versuchte Anya sich zu erheben, stützte sich mit den Händen von Matts Brust ab. Der atmete zwar noch, aber das war auch das einzige Lebenszeichen, das er von sich gab. Jedoch gelang Anya der Versuch nicht, sie knickte wieder ein und konnte nur aus einem halb geöffneten Auge Alastair ansehen, wie er da auf dem Thron saß und die Szene zu genießen schien. „Ich will aber nicht mehr Eden werden“, presste Anya hervor und grinste bösartig, „nicht, wenn so'n Trottel wie du was davon hat.“ „Oh? Das hat mich jetzt aber sehr getroffen“, erwiderte der Mann spitz und seufzte, woraufhin er in fast kindlich beleidigter Manier weitersprach, „du solltest mir dankbar sein, dummes Ding. Ich hab dir geholfen die Opfer zu versammeln. Meine Güte, dir kann man es aber auch nie recht machen!“ „Wenn ich zwischen denen und dir wählen muss, sind mir Redfield und der Rest deutlich lieber, Mistmade!“ „Hmm, scheinbar wirkt sich Eden schon auf deine Ausdrucksweise aus. Ich möchte wetten, dass du im Normalzustand viel fiesere … und vor allem kreativere Dinge von dir gibst.“ Er lachte hysterisch, was bei Alastairs tiefer Stimme regelrecht absurd klang. „Ist ja auch egal. Ich hab gewonnen, nicht du. Also kuschel dich an die Brust deines Ritters, solange du noch kannst. Vielleicht willst du ihm ja einen letzten Kuss stehlen? Nur zu, ich mag solche Momente! Haaaah, die Jugend …“ „Niemals!“, hallte es da durch den Saal – von zwei Stimmen. Ehe Anya sich versah, wurde sie von Matts Brust geschleudert, als der sich ruckartig aufrichtete und perplex ins Leere starrte. Er stöhnte und fasste sich an die Stirn. „Verdammt, was war das für ein Albtraum. Erst dreht Alastair durch und dann soll ich Anya küssen? Haha! Ich bin doch nicht lebensmü- … de.“ Als Matt mit seltsam schmerzenden Backen jedoch Alastair auf dem Thron und über ihm Eden erblickte, traf ihn die Wahrheit wie ein Schlag ins Gesicht. Serviert von Anya Bauers Faust. Nie war Wahrheit so voller Substanz gewesen. „Ow!“, schrie er und hielt sich die Wange. „Bin ich dir etwa nicht gut genug!?“, fauchte Anya und blinzelte anschließend verdutzt. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie auf allen Vieren vor Matt verharrte und wieder bei Kräften war.   Gleichzeitig ging noch mehr Gestöhne durch den Kristallsaal. Auch Marc richtete sich mit schüttelndem Kopf auf, neben ihm Valerie, etwas weiter weg auch Melinda und Henry. Letzterer war es auch, der als Erster das Wort ergriff. Auf dem Hintern sitzend, sah er seine Hand an, die er vor sich ausstreckte und welche zitterte wie Espenlaub. „Er hat sein Wort gehalten … der Zauber wirkt!“ Hastig griff Henry in die Brusttasche seines Trenchcoats und zog daraus drei Karten hervor, die Xyz-Monster [Lavalval Chain], [Daigusto Emeral] und ein weiteres, was von den anderen beiden verdeckt wurde. Von allen dreien gingen bunte Lichter aus. „Welcher Zauber!?“, schoss es aus Anya heraus. „Diese Karten da!? Was geht hier überhaupt ab!? Ich glaube, ich verliere langsam den Überblick! Klär mich auf, Schnöselkind!“ „Dir muss ich nichts erklären!“, erwiderte Henry bockig und steckte die Karten wieder weg.   Er wusste, dass sie nicht ewig halten würden. Auch sie hatte er sich unter hohem Preis erkauft, um sich der hypnotischen Kraft Edens zu entziehen. Dabei hatte er diverse Kompromisse eingehen müssen, darunter auch, dass Anya ebenfalls betroffen war. Denn sie war die Schnittstelle zwischen ihm und den anderen Zeugen, ohne sie miteinzubeziehen wirkte der Zauber nicht – daher die symbolische Verschmelzung ihrer Gem-Knights mit seinen Gustos, war er schließlich das Medium für den Zauber. [Daigusto Emeral], der vogelhafte Ritter, war die entsprechende Verkörperung des Zaubers. Ähnlich verhielt es sich auch zwischen den anderen beiden Karten. Marcs und Valeries Verbindung war [Lavalval Chain]. Jene hatte er nicht bezahlen müssen, da diese Karte bereits entstanden war, als Valerie ihren Wunsch vor dem Sammlerdämon vorgetragen hatte. Sie war die Kette, die die drei einzelnen Zauber zu einem verband. Die letzte Karte war dementsprechend dazu gedacht, Matt und Alastair zu beschützen. Sie war die Quelle der Kraft für den Zauber. Zwar verstand Henry nur bedingt, wie diese Karten wirkten, aber der Sammler hatte ihm immer wieder gesagt, nicht zu viel Zeit im Turm zu verbringen. Lange würde die Magie also nicht halten.   „Oh? Noch ein Gimmick des Sammlers?“ Der schwarzhaarige Mann auf dem Thron schmunzelte amüsiert und warf den langen Pferdeschwanz von seiner Brust über die Schulter. „Meine Güte, hast du ihm etwa deine Organe verkauft, um so ein Arsenal an Taschenspielertricks zu erhalten?“ Henry, der sich stöhnend die Stirn hielt, sah herüber zu Alastair und weitete die Augen. „Wieso-! Wieso bist ausgerechnet du-!?“ „Dachtest du, Anya Bauer wäre die Einzige, die an Eden Interesse hat? Mitnichten.“   Ehe Henry etwas darauf erwidern konnte, stieß er einen schmerzhaften Schrei aus und hielt sich die Brust. Er musste genau hinsehen, um einen hauchdünnen Faden aus blauem Licht zu erkennen, der in seiner Brust verschwand. „W-was ist das!?“ Er verfolgte den Strang zum Ursprung, was jedoch angesichts des grellen Lichts des Tores letztlich unmöglich war. Aber auch so gab es keinen Zweifel, woher der Faden kam. Und nicht nur er war betroffen, auch die anderen bemerkten den Fremdkörper, der direkt in ihren Herzen zu verschwinden schien. Alle außer Anya. Was jene dennoch nicht davon abhielt, die anderen auf das Offensichtliche aufmerksam zu machen. „Heiliger Kackmist von Scheißhaufen, was ist das schon wieder!?“ „Das, was euch mit Eden verbindet und eigentlich dafür sorgen sollte, dass ihr wie kleine Lämmer schlaft“, antwortete ihr Alastair und gluckste. „Aber der Zauber eures Freundes hat die Wirkung etwas … hinausgezögert. Aber es dauert nicht lange, dann werdet ihr von Eden absorbiert werden.“ „Das lass ich nicht zu!“, donnerte Matt aufgebracht. „Wir sind hier, um Eden zu zerstören! Wer bist du und was hast du mit Alastair gemacht!?“ „Und warum bin ich die Einzige, die nicht an so'nem komischen Faden hängt!?“, stimmte Anya mit ein und fügte kleinlaut hinzu: „Nicht, dass ich mich beschwere oder so!“ „Ihr seid wirklich nicht die hellsten Löffelchen in der Besteckschublade, oder? Du lieber Himmel, dagegen war dieser Nick Harper ein echtes Genie“, spottete Alastair jedoch nur, „und vor allem war er willensstärker als ihr, der hat sich schließlich keinen Pakt aufdonnern lassen, lieber Matt Summers. Wer würde euch schon ernst nehmen? Für mich gibt es keinen Grund mehr, noch Angst zu haben. Vor euch.“ Er spuckte dabei voller Verachtung aus. „D-diese Art zu reden“, schnappte Matt plötzlich laut und weitete die Augen, „die kenne ich! Du bist-!“ Es war nur eine Eingebung, aber-! „Another, ja.“ „Den Namen habe ich irgendwo schon mal gehört“, grübelte Anya und schnippte bei der anschließenden Erkenntnis mit dem Finger. „Klar! Du bist doch der Todfeind von dem Freak, den du gerade kontrollierst!“ „Das kann nicht sein!“, schrie Matt erschrocken und sprang auf. „Du kannst unmöglich in ihm sein! Du bist-!“ „Dein Paktdämon?“ Alastair setzte ein fieses Grinsen aus. „Oh, bist du wirklich so naiv? Natürlich bin ich -dein- Paktdämon. Und seiner“, er zeigte auf sich selbst, „und ihrer auch.“ Valerie zuckte zusammen, als der Finger auf sie gerichtet wurde. „W-wie? Ich verstehe nicht, ich bin nicht-!“ „Habt ihr es immer noch nicht durchschaut?“ Gelangweilt stemmte der Schwarzhaarige seine Wange auf die Faust und schloss die Augen, wie er da majestätisch auf seinem Thron saß. „Ich habe nicht umsonst den Namen 'Another' für mich gewählt. Ein anderer, das bin ich. Ob Joan, Refiel, was macht den Unterschied? Ich bin der Puppenmeister und ihr alle seid meine Marionetten, seit ich Levrier ausfindig gemacht habe. Alles, was bis zum heutigen Tag geschehen ist, wurde von mir überwacht und gelenkt.“ Matt schwankte benommen zurück und fasste sich an die Brust, denn sie schmerzte fürchterlich. „U-und der Turm!? Du wolltest ihn zerstören!“ „Alles nur ein Vorwand, um euch in den Turm zu locken. Die Fäden in eurer Brust sind der Beweis für euren Status. Und nun seid brave Lämmer und legt euch wieder schlafen. Der Zauber des Sammlers hält ohnehin nicht lange an.“ Henry biss sich wütend auf die Lippen und ließ sich von Melinda aufhelfen. „Er hat recht, viel Zeit bleibt uns nicht! Aber er hat das Feuerzeug zerstört! Ohne kommen wir hier nicht raus!“ „Aber das geht nicht!“, protestierte der jüngere Dämonenjäger weiter und warf dabei einen Blick herüber zu Valerie, die sich mit versteinerter Miene an Marc schmiegte, welcher ihr tröstend zuredete. In ihren Augen stand das blanke Entsetzen. Sie zitterte am ganzen Leib und warf unfähig, den Betrug zu begreifen. Konnte nicht verstehen, dass Joan nicht echt war. „Was geht nicht?“ Matt wirbelte zu Another herum. „Dämonen können nicht mehr als einen Pakt gleichzeitig aktiv halten!“ „Korrektur, mein Lieber: Isfanel kann das nicht. Du hast sicher gemerkt, dass ein Pakt selbst weiterbesteht, wenn der 'Dämon' das Gefäß verlässt.“ Another legte gespielt nachdenklich Mittel- und Zeigefinger an die Schläfe. „Aber ich habe gehört, dass das Versprechen, auf das ein Pakt beruht, solange existiert, bis es eingelöst wurde. Deswegen seid ihr immer noch Zeugen der Konzeption.“ „Das erklärt nicht-!“ „Lass mich ausreden, Matt Summers“, bat Another seelenruhig, „Isfanel kann tatsächlich nicht überall gleichzeitig sein. Weil seine Kräfte, sich aufzuspalten“, das nächste Wort sprach er mit besonderer Boshaftigkeit aus, „mangelhaft sind. Woran ich übrigens nicht ganz unbeteiligt bin. Deswegen vergleiche mich nicht mit dem. Geschweige denn diesem Blindgänger Levrier. Von seinesgleichen kann ich Hunderte kreieren, ohne zu viel meiner Macht einzubüßen.“   „Das wird mir langsam zu viel! Können wir den Kerl endlich kalt machen!?“, verlangte Anya ungeduldig und zeigte auf den Puppenmeister, wie er sich selber bezeichnete. „Ich meine, was sollen wir sonst tun!? Uns einfach ergeben und zu Eden werden!?“ „Anya …“ Matt schluckte und trat einen Schritt auf sie zu, sah sie bedrückt an. „Du weißt, was es bedeuten würde, gegen ihn zu kämpfen.“ Das Mädchen drehte ruckartig den Kopf weg und verschränkte beleidigt die Arme. „Hältst du mich für blöd? Klar weiß ich das! Aber ich habe euch in die Scheiße reingeritten, also hole ich euch da auch wieder raus!“ „Anya …“, murmelte Valerie leise, die an Marcs Brust lehnte und sich dort festkrallte. „Bist du dir sicher?“, fragte jener zweifelnd. „Ganz nehme ich dir den Sinneswandel nämlich nicht ab.“ „Ich bin sicher“, zischte Anya ihn an, so laut, dass es durch den Kristallsaal hallte. „Wenn du mir nicht vertraust, bitteschön, mir egal! Aber denk an deine Schwanenprinzessin da!“ „Alastair …“ Matt sah herüber zu seinem Freund, der auf dem Thron saß und die Szene gespannt verfolgte. „Wir können ihn nicht töten. Es muss einen Weg geben, Another aus ihm zu vertreiben!“ „Auf welchem Planeten lebst du eigentlich!?“, fauchte Anya und packte Matt am Kragen seines schwarzen Mantels. „Hast du nicht kapiert, dass das nicht geht!? Nichtmal, indem man den Tod überlebt!? Ein-Pakt-kann-nicht-gebrochen-werden!“   Gleichzeitig legte Melinda ihrem Bruder die Hand auf die seine, während er die Knie anwinkelte und im Begriff war aufzustehen. Die beiden saßen etwas abseits der Gruppe auf dem kalten Kristallboden. „Der Sammler lag also richtig damit, dass noch jemand anderes als Anya versuchen könnte, uns ins Verderben zu ziehen.“ „Darum geht es also“, murmelte Henry und kniff die Augen zusammen. Nebenbei schob er seine freie Hand unter den Trenchcoat und griff nach etwas in dessen Innentasche. „Hätte ich mir denken können. Egal wer hierher kommt, das Ziel ist immer das gleiche.“ „H-Henry!“, stotterte Melinda, welcher dämmerte, was ihr Bruder jetzt vorhatte. „Tu das nicht!“ Another schlug ein Bein über das andere und lächelte amüsiert. „Gewiss. Wie viel hat der Sammler dir erzählt?“ „Was spielt das noch für eine Rolle?“, antwortete Henry kühl und erhob sich langsam. Dabei zog er einen Revolver aus seinem Mantel und richtete den Lauf auf den besessenen Dämonenjäger. „Ich habe für alles vorgesorgt.“ „Du willst mich erschießen?“ Another lachte herzhaft auf und winkte mit seiner Rechten Henry zu sich. „Nur zu!“ Die anderen verharrten gebannt auf der Stelle beim Anblick der Pistole in den Händen des brünetten, jungen Mannes. „Am liebsten hätte ich mir vom Sammler eine Kugel erkauft, die Dämonen tötet. Aber das konnte ich mir nicht leisten“, erklärte Henry dazu und schwang den Arm mit der Waffe zur Seite aus. „Deswegen müssen normale Patronen reichen.“   Ein Schuss hallte durch den Kristallsaal. Fassungslos folgten die anderen der Richtung, in die Henry geschossen hatte und erkannten mit Entsetzen, dass ein blutiges Loch Marcs Stirn zierte, ehe er letztlich zur Seite klappte. „Marc!“, schrie Valerie aufgelöst und stürzte sich auf ihn. Gleichzeitig ließ Henry die Waffe sinken und atmete tief durch, ehe er den Arm wieder hob und sich den Lauf an die Schläfe hielt. „Ein Opfer weniger. Wenn du noch eins verlierst, kann Eden nicht mehr erwachen.“ „W-was geht mit dir ab!?“, schoss es aus Matt heraus, der Henry anspringen wollte, doch verharrte, als dieser einen Schritt zurück nahm und den Abzug ein Stück weit betätigte. „Das ist die letzte Möglichkeit, das Ganze zu verhindern!“, rechtfertigte sich Henry aufgebracht. „Auch wenn unsere Male verblasst sind, wir sind weiterhin Zeugen der Konzeption! Nichts kann das ändern! Solange wir leben, sind wir Opfer für Eden!“ „Henry, tu das nicht!“, flehte Melinda und zerrte an seinem Arm, doch er stieß sie von sich. „Es gibt keinen anderen Weg! Denkst du, ich will das tun!? Aber nur ich bin noch frei von einem Paktdämonen! Zu groß ist die Gefahr, dass eure euch heilen!“ „Fein“, hallte da Anothers Stimme zu ihnen und kicherte amüsiert, „drück ab. Ruiniere meinen Plan. Wenn du kannst.“ Panisch wirbelte Henry in seine Richtung. „Was soll das heißen!? Bist du etwa auch noch Isfanel!?“ „Lass das, Henry!“, bettelte Melinda und fiel ihren Bruder wieder an, versuchte ihm, die Pistole abzunehmen. „Bitte!“ Gleichzeitig schüttelte Valerie verzweifelt ihren leblosen Verlobten, badete regelrecht in seinem Blut, das sich in einer Lache immer weiter ausbreitete. „Du kannst nicht sterben! Du darfst nicht! Alles was ich getan habe-!“ „Ist alles, was ich dir aufgetragen habe, Valerie Redfield“, schnitt Another ihr das Wort ab. „Du hast durch dein Opfer meine Schachfigur zum Leben erweckt. Dafür danke ich dir.“ „Du!“, wandte sie sich mit Tränen in den Augen an ihn. „Du hast das alles geplant! Du bist an allem Schuld, hast uns alle nur benutzt! Und wegen dir ist er jetzt tot! Tot!“ „Sagen wir, ich habe einkalkuliert, dass Isfanel mir die Tour vermasseln will. Dass Marc Butcher gestorben ist, war bedauerlich, aber schlimmer hätte mich der Tod der Gründerin getroffen.“   Another sah herüber zu Anya, die auf den Knien neben dem stehenden Matt lag und ihn sprachlos ansah. „In der Tat hast du mich wirklich beeindruckt, Anya Bauer. Deine Willenskraft, dein Credo, nie aufzugeben. Mit jedem anderen wäre ich vermutlich gescheitert.“ „Du … du Feigling!“, spie sie daraufhin vor Verachtung. „Du elender Drecks-!“ „Als ich diesen Schattengeist besiegt habe, hast du dich für ihn eingesetzt. Für einen Moment habe ich deinen Worten wirklich Gehör geschenkt. Eine Welt, in der keine Vorurteile existieren. Es klingt schön, wenn man das so sagt. Aber am Ende bist du ebenso feige und hinterhältig, wie du es den Engeln vorgeworfen hast, die nicht einmal existieren.“ Ein Aufschrei ging durch die Gruppe. Der besessene Another lächelte. Es war ein dünnlippiges, falsches Lächeln. „Ihr hört recht. Ich hatte wirklich Glück, dass der Sammler seinem Schergen verboten hat, über dieses Geheimnis zu sprechen. Es hätte meinen ganzen Plan vernichten können.“ Langsam richtete er sich vom Thron auf, trat einen Schritt auf die fassungslose Gruppe zu und breitete die Arme aus. „So viele Hindernisse. Ihr habt mir immer wieder Steine in den Weg gelegt. Es war nicht leicht, eine so große Gruppe aus Dickschädeln dazu zu bringen, diesen Turm zu betreten. So oft glaubte ich, dass ich scheitern würde. Musste umdenken. Meine Schachfiguren neu positionieren und gleichzeitig die des Gegners dazu bringen, neue Pakte zu formen. Angst ist wahrlich eine große Antriebsquelle. Und ich hatte Angst!“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, ballte nebenbei die ausgestreckten Hände zu Fäusten. „Verzeiht mir, aber es wird mir unsägliche Freude bereiten, dass eure Leben den Pfad zu den Toren Edens pflastern werden.“ „Denk nicht, dass ich es dir so leicht machen werde!“, fauchte Henry mit der Pistole an der Schläfe. Mit einem Stoß der freien Hand schubste er Melinda erneut von sich weg, die rückwärts stolperte. Ihr Blick weitete sich, als sie realisierte, was gleich geschehen würde. Denn er sagte: „Ich bin schon einmal gestorben, vor dem Tod habe ich keine Angst mehr!“ „Ist dem so? Dann tu, was du tun musst.“ Another lächelte mild. Keuchend schloss Henry die Augen – und drückte ab. Leises Klimpern hallte durch den Kristallsaal. Zufrieden grinsend ließ Another die Patronenhülsen aus seiner Hand auf den spiegelnden Boden fallen und lachte. Als Henry realisierte, dass es keinen Schuss gegeben hatte und daraufhin die Augen öffnete, stieß er einen erschrockenen Schrei aus. „Diesmal war ich schneller als du“, erwiderte der Puppenspieler zufrieden. „Wie hast du-!?“, stammelte Henry und drückte abermals ab. Immer wieder, aber egal wie oft er es auch versuchte, die Pistole wollte seinem Leben kein Ende setzen. „Dachtet ihr, meine Macht würde sich darauf beschränken, Pakte und Kopien meiner selbst zu formen?“ Another lachte arrogant, was als Echo durch den ganzen Saal hallte. „Dumme Menschen! Es gab eine Zeit, da waren -wir- etwas, das ihr als Götter bezeichnen würdet!“ „Gott hin oder her“, zischte Anya und erhob sich langsam. „Ich hab die Schnauze voll von dir!“ Matt, der neben ihr stand, sah sie nachforschend an, ehe er nickte. „Seh' ich ähnlich-!“   Doch ein spitzer Schrei Valeries unterbrach ihn abrupt. Die Schwarzhaarige, die neben dem toten Marc kniete, wurde zurück auf ihren Hintern geworfen, als ein weißer Lichtstrahl aus dem Mund ihres Verlobten schoss. „Marc!“, kreischte sie aufgelöst, erhob sich torkelnd. „Es beginnt also“, stellte Another seinerseits fest und schmunzelte, „du kannst uns ja nicht ewig warten lassen, nicht wahr, Isfanel? Damit betritt auch der letzte Akteur die Bühne.“ Plötzlich fasste sich auch Anya an den Hals und begann, ein weißes Sekret hervorzuwürgen, das wie Nebel aus ihrem Mund trat. Aber nicht nur sie, denn auch Melinda und Henry erging es ähnlich. „Anya!“, stieß Matt erschrocken hervor und hielt das Mädchen am Arm fest, welches rückwärts stolperte und in die Knie ging. „Was ist mit ihr!?“ Gleichzeitig begann Marcs ganzer Körper in weiße Flammen aufzugehen. Valerie schrie nach Leibeskräften nach ihren Geliebten, aber ehe sie sich versah, war die hustende Melinda zu ihr geeilt und hielt sie an den Schultern fest. „Geh da nicht hin!“, würgte sie hervor. „Aber er brennt!“ „Wenn du ihn jetzt berührst, urgh … könnte alles Mögliche passieren!“, redete die brünette Frau auf die Jüngere ein und zog jene davon, wich dann aber von ihr zurück und umfasste ihren Hals mit beiden Händen. Valerie gab sich aber nicht damit zufrieden. „Was geschieht mit ihm!?“ „Seht, wie aus dem Meister und seinem Abkömmling wieder eins wird!“, lachte Another laut auf. Anya, Henry und Melinda würgten unter Qualen die weiße Masse hervor. Matt, der seine Hand auf die Schulter der Blondine gelegt hatte, wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Der Nebel, den sie auswarf, glitt wie eine Schlange über den Kristallboden und stieg vor Marcs loderndem Leichnam hoch in die Luft, wo er sich mit den anderen beiden und dem Strahl, der aus dem Mund des Footballspielers trat, verband. Damit kehrte sich die Wirkung um und die vier Strahlen wurden von Marcs Körper inhaliert. Dabei explodierten die Flammen um ihn herum regelrecht und nahmen immer mehr Platz ein. „Marc!“, schrie Valerie verzweifelt, streckte den Arm nach ihm aus. „Du kannst ihm nicht helfen, das ist nicht Marc!“, redete Melinda krächzend auf sie und hatte ihre Mühen, das Mädchen von der Stelle wegzuzerren. Mit einem Mal hustete Anya, als die weiße Substanz auch aus ihr vollkommen herausgequollen war. Schwach kippte sie nach vorn und wurde von Matt gehalten. „Bist du in Ordnung!?“ „Geht schon“, ächzte die Blondine und wischte sich über den Mund, ehe sie fassungslos über ihre Schulter sah. „Verdammte Scheiße, was ist hier los!? Was war das!?“ „Warten wir doch mit der Erklärung, bis Isfanel wiederauferstanden ist“, antwortete Another und sah gespannt herüber zu Marcs leblosen Körper. Dieser erhob sich mit einem Ruck und kam auf die Beine. Nichts mehr an ihm zeugte noch von Marc, denn die weißen Flammen hatten ihn komplett eingenommen. Dunkle Streifen unterbrachen das Bild, welche von seinen Beinen den Oberkörper hinauf bis zum Gesicht verliefen. Mit einem Knall schossen zwei schwingenartige Auswüchse aus seinem Rücken, ebenfalls komplett aus Feuer bestehend. „Marc!“, schrie Valerie abermals. „Er lebt! Er lebt!“ Aus weißen, pupillenlosen Augen starrte die feurige Gestalt sie an. „Du irrst dich. Ich bin nicht Marc. Ich bin … Isfanel. Der wahre Isfanel.“ „Ich habe auf dich gewartet, alter Freund“, rief ihm Another zu und schritt durch den Kristallsaal. „Erinnerst du dich wieder? An alles?“ „Ja“, erwiderte die Gestalt mit unheimlich tiefer, widerhallender Stimme, „langsam ergibt alles einen Sinn.“   „Was geschieht hier!?“, fauchte Anya, als Another an ihr und Matt vorbei schritt. Statt aber eine Antwort abzuwarten, warf sie sich einfach auf den Hünen, den Alastairs Körper darstellte. Mit einer Handbewegung Anothers wurde sie jedoch meterweit von einer unsichtbaren Kraft durch den Saal geschleudert. Schreiend rutschte sie über den Boden und stieß gegen den perplexen Henry, welcher vorne über stolperte und seine nutzlose Waffe dabei fallen ließ. Wie die Gruppe jedoch schnell erkannte, hatte Anothers Geste Anya das Leben gerettet, denn an Ersterem war ein weißer Flammenstrahl vorbeigeschossen, der gegen die hintere Wand des Saals, neben dem Tor Eden einschlug und eine Explosion auslöste. „Du verlierst keine Zeit, nicht wahr? Die zu eliminieren, die Eden erwecken sollen.“ Auf Anothers Worte reagierte dieser neue Isfanel gar nicht, sondern drehte seinen Kopf in Melindas und Valeries Richtung. „Runter!“, schrie Henrys Schwester, als sie die Gefahr erkannte und schmiss sich zusammen mit der Schwarzhaarigen auf den Boden. Über ihnen schoss haarscharf ein weiterer Flammenstrahl hinweg, dessen Ursprung Isfanels Arm war. Erneut drehte jener seinen Kopf herum, richtete seinen Blick auf Another und schoss einen dritten Flammenschwall direkt auf ihn. Doch mit einer wegwischenden Handbewegung lenkte jener ihn gegen das kuppelförmige Dach des Kristallsaals. „Hör auf damit!“ „Ich werde nicht eher aufhören, bis ich deinem Unterfangen ein Ende gesetzt habe!“ Matt, der nicht zwischen den Kämpfenden stehen wollte, begann kurzerhand zu rennen und steuerte Anya und Henry an. „Als ob ich das nicht wüsste. Aber zulassen kann ich das nicht!“ Diesmal feuerte Another pechschwarze Flammen direkt auf Isfanel, doch dieser schwang den Arm aus und ließ sie in der Ecke rechts hinter ihm explodieren. „Was du tust ist Verrat an den Opfern, die wir erbracht haben!“, fauchte der weiße Flammendämon nun aufgebracht. „Deine Taten werde ich dir nicht vergeben!“ „Wenn du nicht so blind wärst, wüsstest du, dass das, was ich tue, das Richtige ist!“ Zornig schleuderte Another gleich eine ganze Salve schwarzer Flammenkugeln auf Isfanel, welche jener doch mit verschiedenen Handbewegungen ablenken konnte. Überall im Saal gab es Explosionen.   „Scheiße, was geht denn jetzt ab!? Das wird mit jeder Minute besser!“ Anya ließ sich von Matt und Henry aufhelfen, doch sogleich mussten sie sich wieder ducken, da Isfanel auf sie aufmerksam geworden war. Infolgedessen zog über sie ein Flammenstrahl hinweg. „Wieso kämpfen die!?“, fragte Anya dabei. „Und wichtiger, wieso zielt der so verdammt schlecht!? Wenn ich das wäre, würde-“ „Ist doch klar, eine Meinungsverschiedenheit bezüglich Eden! Aber für Spekulationen haben wir keine Zeit, wir müssen hier raus!“, meinte Matt und half dem Mädchen abermals auf. Henry stand nur fassungslos neben ihnen und beobachtete, wie Another und Isfanel gegenseitig hitzige Angriffe austauschten. Bis einer von ihnen eine andere Route einschlug. „Henry, weich aus!“, hörte er nur Matt rufen, aber sein Körper war unfähig sich zu rühren. Plötzlich weitete Henry die Augen, in denen sich das weiße Feuer widerspiegelte, das direkt auf ihn zuschoss. Aus seinem Mund quoll weißer Nebel, wie er da regungslos stand. „Henry!“, kreischte Melinda panisch. Der Feuerstahl hatte ihn fast erreicht – ehe er nach links davon driftete. Daraufhin prustete Henry los und würgte das letzte bisschen Isfanel aus sich heraus. „Denkt nicht mal dran abzuhauen!“, rief Another ihnen zu, der seine Hand nach ihnen ausgestreckt hatte, um sie zu beschützen. „Ihr könnt nicht gehen! Die Party hat gerade erst angefangen!“ Damit schwang er seinen anderen Arm aus und feuerte eine weitere Salve schwarzer Flammenbälle auf Isfanel, welcher diese abermals in alle Himmelsrichtungen abzuwehren vermochte. „Und du hör damit auf, dein altes Gefäß zu manipulieren!“ „Es war zumindest einen Versuch wert“, quittierte Isfanel dies und drehte seinen Kopf zur Seite.   Gleichzeitig zerrte Melinda an Valeries Arm. Jene lag am Boden und weinte bitterlich. „Komm Valerie, wir müssen uns bewegen! Hier gibt es nirgendwo Schutz! Wenn wir auf der Stelle verharren, sind wir leichte Ziele!“ „Geh ohne mich weiter!“, wimmerte Valerie und schüttelte den Kopf. „Es ist doch sowieso alles sinnlos!“ Melinda sah sich daraufhin hilflos im Saal um, schrie, als ihr Bruder um ein Haar Opfer von Isfanels Flammen geworden wäre. Zu jenem wanderte dann auch ihr fassungsloser Blick, doch erregte etwas hinter ihm augenblicklich ihre Aufmerksamkeit. „Valerie, sieh, da hinten!“ Als keine Reaktion folgte, wurde Melinda deutlicher und rief durch den Saal: „Da ist ein Loch direkt bei dem Eingang, durch den wir hier reingekommen sind! Ich sehe die Treppe! Los, alle dorthin!“ Während die anderen sich perplex danach umsahen, riss Melinda wieder an Valeries Arm, doch die schubste sie mit einem Stoß davon. Kurz darauf schlug eine weiße Flamme zwischen ihnen beiden ein und löste eine Explosion aus. Melinda wurde davon geschleudert, schaffte es jedoch wie durch ein Wunder, durch torkelnde Schritte ihre Balance wiederzufinden und sich auf den Beinen zu halten. Als sie jedoch nur noch weiße Flammen dort sah, wo eben noch Valerie gelegen hatte, legte sich in ihrem Kopf ein Schalter um. Valerie war tot! Die brünette Frau wirbelte herum und begann direkt auf den rettenden Ausgang zu zu rennen. Dabei duckte sie sich unter Isfanels Angriffen hinweg und rief: „Los Leute, folgt mir!“ Der Rest der Gruppe hatte sich ebenfalls aufgerafft und begann zu dem Loch im Boden zu sprinten. „Das werdet ihr- Urgh!“ Another, abgelenkt von Melindas tollkühner Flucht nach vorn, hatte nicht rechtzeitig auf einen Angriff Isfanels reagieren können und wurde direkt in die Brust getroffen. Noch während er fort geschleudert wurde, schoss er aus seinem Arm einen silbrigen Energiestrahl in Melindas Richtung. Während Matt, Anya und Henry noch weit von dem Loch entfernt waren, hatte Melinda es fast erreicht. Instinktiv spürte sie, dass etwas hinter ihr im Anmarsch war und ließ sich mit einem Hechtsprung fallen. Auf dem Bauch schlitterte sie direkt durch das Loch und knallte gegen die Außenwand des Turms, während sie Stufe um Stufe die Treppen hinab rollte. Dabei sah sie im Fall noch, wie sich spitze Kristalle über der Öffnung zum Kristallsaal ausbreiteten und den Fluchtweg binnen Sekunden fast vollständig blockierten. „Melinda!“, schrie Henry und beschleunigte seinen Spurt zu der Stelle, an der nun ein gewaltiger Kristall thronte. Wie ein Schneekristall sah das silberne Gebilde aus. Gleichzeitig musste der junge Ford-Spross den Angriffen Isfanels ausweichen, bis jener schließlich wieder von Another in Schach gehalten wurde, welcher auf die Beine gekommen war und neue Flammen auf Isfanel hetzte, um von Henry abzulenken. „Verdammt, ist das nervig!“, schrie er dabei und wich nur knapp einer von Isfanels Attacken aus. „Ich hätte nicht gedacht, dass das Levrier-Upgrade dich so stark werden lässt!“ „Wenn mich meine Erinnerungen nicht trügen, hast du damals nur durch eine List gewonnen!“, erwiderte Isfanel und konzentrierte seine Angriffe auf Another. Denn sein Gefäß zu zerstören würde schon reichen, Edens Erwachen zu verhindern.   Derweil war Henry endlich bei dem Kristall angekommen und suchte hinter ihm Schutz vor den Angriffen. Unter den spitzen Dornen konnte er durch diverse Spalten die Stufen der Treppe sehen. „Melinda, bist du okay!?“, rief er zu ihr hinab. „Mir geht’s gut!“ Kaum hörte er das, sah er ihre grünen Augen, wie sie zu ihm hoch starrte. Dabei hielt sie sich den Unterleib. „Kannst du das Ding irgendwie bewegen?“ Henry, kurz einen Blick zu Another und Isfanel werfend, stöhnte. „Anya und Matt schaffen es nicht, durch das Schlachtfeld der beiden zu kommen!“ „Ich sag das nur ungern, aber das ist jetzt egal!“ „Du hast recht!“ Sofort versuchte Henry, irgendwie den gewaltigen Kristall wegzuschieben. Doch die vielen Dornen machten es ihm unmöglich, einen Halt zu finden. Stattdessen schnitt er sich nur an ihnen, als er abrutschte. „Argh! Ich kann hier nichts tun!“ Das Ding wäre vermutlich ohnehin zu schwer, selbst zu dritt, dachte er sich dabei verzweifelt. „… Henry, ich habe eine Idee.“ „Was?“ Irgendetwas an dem Ton seiner Schwester machte ihn stutzig. „Wir haben nicht viel Zeit. Versucht irgendwie zu überleben, so lange es geht! Ich werde den Sprengstoff scharf machen!“ „W-was!?“ Melindas Stimme zitterte regelrecht. „Die einzige Möglichkeit, euch da rauszukriegen ist die, diesen Kristall zu sprengen. Hör mir zu, ich werde einen Sprengsatz so einstellen, dass er innerhalb der nächsten Stunde explodiert, um euch hinauszulassen! Während dieser Zeit mache ich die anderen Sprengsätze scharf und warte unten auf euch!“ „W-was redest du da!?“ „Wir müssen diese Verrückten aufhalten, Henry! Eden aufhalten!“ Sie sammelte kurz ihre Gedanken, stöhnte überfordert. „Sobald der Weg frei für euch ist, werdet ihr nicht viel Zeit haben! Lasst alles stehen und liegen und rennt die Treppe nach unten! Ich werde die Timer so einstellen, dass sie zeitversetzt nach der ersten Explosion hochgehen werden, ihr müsst euch auf dem Weg nach unten also beeilen! Keine Sorge, ich stell sie so ein, dass ihr dafür genug Zeit haben werdet.“ „W-warum-!?“ „Das war doch der Plan“, meinte Melinda hilflos, „vielleicht können wir Anya dadurch retten! Aber wichtiger ist, dass Eden zerstört wird!“ „Ich weiß nicht mal, ob der Zauber des Sammlers so lange hält! Und für Anya werde ich mich keine ganze Stunde mit diesen Irren anlegen!“, widersprach Henry und forderte: „Spreng' das Ding sofort weg!“ „Nein, Henry, ich werde dich nicht dabei unterstützen, so kaltherzig zu anderen zu sein!“ Der junge Ford-Spross glaubte sich verhört zu haben. „Sie ist doch diejenige, die uns opfern wollte!“ „Henry, denk nach“, forderte Melinda unruhig, „selbst wenn ihr sofort hier raus könntet, würden diese Dinger euch nur verfolgen. Ihr müsst sie irgendwie ausschalten, eher kommen wir hier sowieso nicht raus!“ Henry schluckte. „I-ich weiß, was du meinst, aber-!“ „Das ist mein letztes Wort! Ich hol' euch hier auf meine Weise heraus! Was würde Mutter von uns denken, wenn wir nur darauf fixiert wären, uns selbst zu retten!?“ Henry sah sich perplex nach den anderen um, Isfanel hatte sich wieder darauf konzentriert, Anya und Matt anzugreifen, während Another alle Hände voll zu tun hatte, sie zu beschützen. Dann wandte er sich wieder Melinda zu. „Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist? Solange überleben wir doch niemals!“ „Eine bessere haben wir nicht, oder!?“ Schluckend nickte Henry. Es war riskant, aber die anderen Optionen waren wenig berauschend. Entweder wurden sie von Eden absorbiert oder von Isfanel getötet. Wenn es eine Chance gab, hier herauszukommen, dann mussten sie sie nutzen! Er hatte letztlich keine andere Wahl, als auf das zu hören, was Melinda sagte. „... also schön! Wir werden die beiden ablenken! Aber pass' auf dich auf! Und flüchte, wenn es Schwierigkeiten gibt!“ „Als ob ich dich hier zurücklassen würde“, klagte Melinda wütend, „Dummkopf! Pass einfach auf dich auf, okay? Und nimm das hier, vielleicht hilft es dir. Immerhin ist es deins.“ Damit reichte sie Henry eine Deckbox durch eine Lücke zwischen den Dornen, die dieser nickend annahm. „Okay! Ich werde durchhalten, versprochen!“ „Gut, dann bereite ich jetzt alles vor!“   Damit wandte sich Henry von dem Kristall ab und sah herüber zum Kampfgeschehen. „Du kommst wohl langsam aus der Puste, Isfanel“, keuchte Another und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Hast wohl deine Kräfte langsam aufgebraucht?“ „Von dir könnte man dasselbe behaupten.“ Äußerlich war der engelsgleichen, weißen Flammengestalt jedoch keine Erschöpfung anzusehen. Anya und Matt standen abseits von ihnen, wobei Letzterer schützend den Arm vor Anya hielt um jene davon abzuhalten, nicht auf Another loszugehen. „Allerdings ist es an der Zeit, unsere Differenzen beizulegen. Sie wollen den Turm zerstören“, sprach Isfanel weiter. Sein und Anothers Blick fielen plötzlich auf Henry. „Was!?“, donnerte der besessene Alastair erschrocken. „Dann müssen wir sie aufhalten! Du weißt, dass das niemals geschehen darf!“ „Wir müssen die Schwester des Jungen dort töten.“ „Tch!“, zischte Another daraufhin angewidert und kniff die Augen zusammen. „Soll das etwa heißen, dass wir kooperieren müssen?“ Isfanel nickte. „Die Sicherheit des Turms hat oberste Priorität. Du weißt was geschieht, wenn er zerstört wird. Und auch wenn ich verhindern werde, dass Eden geöffnet wird, darf das Tor ebenfalls nicht vernichtet werden!“ „Also schön“, erwiderte Another daraufhin und schritt langsam auf den Kristall zu, vor den sich Henry stellte, um seine Schwester zu beschützen. „Aus dem Weg, Bursche!“ „Niemals!“ Allerdings hielt er inne, als Anya und Matt an ihm vorbei rannten und sich solidarisch vor Henry stellten. „Nicht so hastig!“, rief Matt. „Wir sind auch noch hier, schon vergessen?“ „Macht Platz!“, verlangte Another aufgebracht. „Ihr habt keine Ahnung, was ihr da tut!“ „Sonst was? Willst du uns umbringen, Narbenfresse 2.0?“, fragte Anya giftig, verschränkte die Arme und grinste bösartig. „Na dann probiere es doch. Auf eigene Gefahr versteht sich!“ Zornesfalten bildeten sich auf der Stirn Alastairs, da Another wusste, dass er den Dreien kein Haar krümmen durfte. Isfanel gesellte sich neben seinen alten Bekannten und hob den flammenden Arm, doch Another hob die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. „An deiner Stelle würde ich nicht noch weiter angreifen! Sieh dich um, wir haben bereits viel zu viel Schaden angerichtet!“   Und damit hatte er recht. Überall im Kristallsaal waren Boden und Wände zersplittert durch die Explosionen. Regelrechte Krater hatten sich durch den Kampf der beiden gebildet, an einer Stelle war sogar der Sternenhimmel am Firmament zu sehen.   „Wir können nicht riskieren, den Turm noch weiter zu beschädigen!“, untermauerte Another seinen Standpunkt. „Wenn es noch nicht zu spät ist, heißt es …“ Anya schnaufte derweil wütend, da sie insgeheim gehofft hatte, dass einer der beiden so dumm war, sie trotzdem anzugreifen. Damit hätte sich das Problem mit dem Kristall ganz einfach lösen lassen. Die Blondine trat einen Schritt vor und zeigte mit dem Finger auf Isfanel. „Keine Ahnung, wer oder was du jetzt bist, du loderndes Miststück! Aber dafür, dass du Redfield umgenietet hast, wirst du zahlen!“ Gleichzeitig realisierte Anya, dass Another bei deren Tod kein Theater veranstaltet hatte. Demnach musste Isfanel immer noch als Zeuge zählen, sonst wäre der Plan des Puppenspielers längst in sich zusammengefallen, weil sie ohne Redfield und Marc nur noch vier Zeugen wären. „Und Marc ist wegen dir gestorben!“, donnerte Matt in Anothers Richtung. „Wenn ihr beide glaubt, wir würden uns kampflos ergeben, habt ihr euch geschnitten! Ihr kommt hier nur vorbei, wenn keiner von uns noch ein Fünkchen Leben mehr in sich hat!“ „Das war aber nicht Melindas Plan“, flüsterte Henry ihm von hinten verärgert zu. „Wir sollen die beiden ablenken, und nicht blindlings ins Verderben rennen! Was hilft es uns, wenn sie den Weg freimacht, wir aber längst den Heldentod gestorben sind!?“ „Wir müssen das tun!“, verteidigte sich Matt aufgebracht. „Wenn nicht wir, wer sonst!?“ „Ich hab sowieso nichts zu verlieren, mir ist's egal, ob ich durch einen verpatzten Pakt, Eden oder diese Deppen sterbe!“ Anya stöhnte genervt. „Vollkommen egal, ich geh hier sowieso drauf …“ „Dann aber wenigstens mit einem Knall, nicht wahr, Anya?“ Verblüfft schauten die Drei herüber zu Isfanel, hinter dem plötzlich Valerie auftauchte – vollkommen unverletzt. Seelenruhig schritt sie zu ihren Freunden und bezog neben ihnen Stellung. „Vier gegen zwei also? Da mache ich mit“, sagte sie gefasst und nahm Isfanel ins Visier. „Allein ihm zuliebe …“ „D-du lebst!?“, stotterte Anya fassungslos. „Ich dachte du wärst krepiert!? Ein Häufchen Asche, siehst die Radieschen von unten wachsen!?“ „Anscheinend … nein, ist nicht so wichtig. Er hat mich verfehlt.“ Valerie hatte jedoch insgeheim die leise Hoffnung, dass dies kein Zufall gewesen war. Vielleicht steckte noch irgendetwas von Marc in diesem Ding. Deshalb hatte Isfanel sie nicht töten können, Marc hatte ihn davon abgehalten. Sie wusste nicht, wie das möglich war, was überhaupt geschehen war. Aber wenn noch die leiseste Hoffnung bestand, dass sie ihren Geliebten retten konnte, würde sie sich nicht einfach gehen lassen!   „Wenn wir sie ablenken sollen, dann hiermit!“, wandte Valerie ihr Wort an den Rest der Gruppe und hob den Arm, an dem ihre blaue Duel Disk befestigt war. Überrascht begutachtete Anya den ihren, an dem die alte Battle City-Duel Disk ihres Vaters hing. „Oh! Das hab ich ganz vergessen. Wusst' ich doch, dass ich die noch brauchen würde!“ Matt zog unter seinem schwarzen Mantel das schmale D-Pad hervor. „Irgendwie denken wir alle ziemlich ähnlich, oder?“ „Allerdings“, bestätigte ihm Henry und aktivierte die schwarze Disk von Abby an seinem Arm seufzend. „Und das macht mir Sorgen.“ „'kay, Leute!“, verlautete Anya daraufhin gefasst und trat wie eine Anführerin einen Schritt nach vorn. „Zeigen wir diesen Deppen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind!“   „Sieht so aus, als ob wir nicht so schnell zu unserem letzten Kampf kommen. Sieh nur, Isfanel, wie tapfer sie sich gegen ihr Schicksal auflehnen“, sagte Another mit dem Anflug eines Lächelns. „Aber es sind nur vier Menschen. Ohne unsere Kräfte sind sie machtlos. Sich mit ihnen zu duellieren ist besser, als weiterhin mit unseren Angriffen den Turm zu gefährden.“ Isfanel verschränkte die Arme, bevor die weißen Flammen um ihn bedrohlich aufzulodern begannen. „Unterschätze sie nicht. Nicht einmal habe ich es geschafft, einen von diesen Menschen zu besiegen.“ „Weil du schwach bist …“ „Anya, überlass mir Alastair!“, verlangte Matt. „Du spinnst wohl!? Das Narbengesicht gehört mir!“ „Ich bin sein Freund!“, widersprach der Dämonenjäger und wandte sich mit flehendem Blick an Anya. „Es ist meine Verantwortung, ihn-“ Er ließ den Kopf hängen. Anya zischte laut und schlug ihre Faust in die Handflächen. Sie hatte keine Lust auf lange Diskussionen. „Fein, dann nehme ich eben den anderen. Mit dem habe ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen!“ „Nicht nur du.“ Erstaunt zog die Blondine eine Augenbraue hoch, als Valerie plötzlich neben ihr stand und ihren Arm mit der Duel Disk hob. „Er hat meinen Verlobten.“ „Und er ist derjenige, der meiner Schwester und mir so viel Leid zugefügt hat!“ Auch Henry hatte sich zu den beiden Mädchen gesellt. „Lasst uns das ein für alle Mal beenden!“ In Marcs brennendem Körper schüttelte Isfanel ungläubig den Kopf. „Drei gegen einen also? Das ist mir nur recht. Dann werde ich diese Gelegenheit ergreifen, um euch zu töten. Zum Wohle des Turms und um zu verhindern, dass Eden sich öffnet!“ Henry wandte sich an die anderen. „Das geht doch in Ordnung, oder? Isfanel ist im Moment die größere Gefahr, weil er uns an den Kragen will.“   Als er von allen Bestätigung geerntet hatte, machte der andere Dämon seinem vermeintlichen Unmut Luft. „Und ich bekomme nur einen Gegner? Anscheinend habt ihr vergessen, wer all dies in Gang gesetzt hat“, beschwerte sich Another. Allerdings lächelte er hinterhältig durch Alastairs Fassade. „Aber umso besser für mich, denn je schneller ich diese Made besiegt habe, desto eher wirst du fallen, mein lieber Freund Isfanel. Du solltest wachsam sein … nicht, dass versehentlich einer meiner Angriffe sein Ziel verfehlt!“ „Bist du dir da sicher?“, fragte Matt unbeeindruckt. „Wenn du ihn so leicht töten könntest, hättest du es schon längst versucht. Aber du brauchst ihn, weil er Marcs Körper am Leben hält. In Wirklichkeit willst du Isfanel durch einen Kampf nur solange hinhalten, bis Eden uns absorbiert hat! Außerdem seid ihr auch betroffen von dem Effekt des Tores. Eure Kräfte werden immer schwächer, nicht wahr?“ „Für ein paar Menschlein reicht es allemal“, erwiderte Another arrogant, „und vergiss nicht, dass im Turm immer noch ein 'Ersatz' ist, falls es einen von euch erwischen sollte.“ Henry stieß erschrocken hervor: „Melinda! Dazu werde ich es nicht kommen lassen!“ Er griff in eine Brusttasche seiner beigefarbenen Jacke und reichte Matt die vierte und letzte Karte, die er vom Sammler erhalten hatte. Dieser nahm sie entgegen und blinzelte verdutzt. „Eigentlich wollte ich die selbst benutzen, aber du brauchst sie wohl nötiger als ich. Wag' es ja nicht zu verlieren“, mahnte Henry ihn. Matt sah nur kurz auf die Karte und nickte dann, ehe er sie in das Deck in seiner Duel Disk schob. „Verlass dich auf mich!“ „Ein Ass im Ärmel?“ Another summte vergnügt. „Wie interessant. Aber warum fangen wir nicht an? Ihr habt nicht viel Zeit, Zeugen der Konzeption. Und wir ebenfalls nicht!“ „Ich werde dich büßen lassen …“ Erstaunt sah Isfanel zu, wie Anya langsam den Arm erhob. „Büßen dafür, dass du Levrier getötet hast! Du hast ihn aus mir hinaus gesaugt, ist doch so, oder!?“ „Er ist ein Abkömmling von mir. Es lag in seiner Natur, irgendwann zu mir zurückzukehren.“ Matt nickte daraufhin nachdenklich. „Also deshalb ist vorhin …“ „Dennoch! Es ist deine Schuld, dass er jetzt endgültig weg ist und nie mehr wiederkommen wird!“ Mit hasserfülltem Blick zeigte Anya auf ihn. „Dafür werde ich dich zahlen lassen!“ Ihre beiden Partner schwiegen, doch in ihren Augen brannte die Entschlossenheit, Anya zu unterstützen. Und auch wenn jene nie damit gerechnet hätte, jemals mit ihren beiden größten Rivalen ein Team zu bilden, würde sie es ihnen dieses eine Mal durchgehen lassen. Isfanel nickte. „Du hast recht mit deinen Worten, Anya Bauer. Aber sie sind mir … gleich. Um das kommende Unglück zu verhindern, werde ich alles tun, was nötig ist.“ „Und ich werde alles tun, um meinen Freund zurückzubekommen!“, stimmte Matt mit ein. Was Another nicht unkommentiert ließ. „Das würde ich zu gerne sehen.“ Doch der Dämonenjäger war zuversichtlich. „Glaub mir, das wirst du!“ Und so hallten sechs Stimmen gleichzeitig durch den Kristallsaal. „Duell!“   ~-~-~   Derweil verbrachten Abby und Nick ihre Zeit in einer völlig überfüllten Notaufnahme. Das Erscheinen des Turms hatte dafür gesorgt, dass viele Leute sich durch die Ablenkung und Panik verletzt hatten. Bei den meisten handelte es sich um Unfälle, die durch erschrockene Autofahrer verursacht worden waren. Dazu kam noch, dass kurz nachdem sie beide die Notaufnahme des Krankenhauses betreten hatten, eine Meldung für das Krankenhauspersonal durchging, dass sich die gesamte Polizeistation in einem komatösen Zustand befand, woraufhin alle verfügbaren Krankenwagen mobilisiert wurden. Was allerdings auch die Wartezeit verlängerte, da das Personal alle Hände voll zu tun hatte. Inmitten einer Schar anderer Patienten saßen die beiden in dem quadratischen Warteraum auf zwei nebeneinander stehenden Stühlen. Abby presste ihre Hand auf die Schulter, wobei sie auf den weißen Laminatboden starrte. „Sie sind jetzt schon eine ganze Weile dort drin“, murmelte Abby sorgenvoll. „Denen kommt das aber bestimmt nicht halb so lang vor wie uns“, versuchte Nick sie abzulenken und schaute durch den Türrahmen herüber zur Aufnahme. „Merken die denn nicht, dass deine Verletzung wichtiger ist als die Wehwehchen irgendwelcher Halbstarken!? Wieso kümmert sich niemand um dich!?“ Die Aufnahme befand sich direkt im Eingangsbereich des Krankenhauses und war in quadratischer Form um eine Säule erbaut worden. Ganze sechs Schwestern bedienten dort die Besucher, während zu jeder Seite von diesem Tresen ein Gang abging. „Ich meine, was passiert da oben? Ich habe Angst“, gestand Abby und lehnte sich an Nicks Schulter an. Jener, völlig überrascht davon, legte unsicher seinen Arm um die Schulter des Mädchens. „Keine Sorge, ihnen wird es gut gehen. Bestimmt. Anya findet einen Ausweg, der alle glücklich machen wird.“ „Das glaubst du doch wohl selbst nicht“, brummte Abby, musste aber verhalten auflachen. „Wir reden hier von Anya.“ „Aber sie hat Valerie und Matt mit sich. Und die sind ziemlich vernünftig.“ „Wenn Anya wenigstens auf sie hören würde … Nick, wir hätten mitgehen sollen!“ Der langgewachsene, junge Mann schüttelte den Kopf. „Nein. Was immer im Turm passiert … es ist das Beste, wenn wir nicht dabei sind. Am Anfang habe ich auch oft daran gedacht, aber irgendwann wurde mir klar, dass ich Anya nicht so helfen kann, wie ich es gerne würde. Am Ende stünde ich ihr nur im Weg und … das will ich nicht. Nicht mehr.“ Abby wusste sofort, worauf er anspielte. Woraufhin sie sich von ihm löste und demonstrativ in die andere Richtung sah. „Vielleicht“, erwiderte sie steif, „aber wir werden das womöglich nie erfahren.“ „Vielleicht“, wiederholte Nick niedergeschlagen.   ~-~-~   Um mehr Platz zu haben, hatten die sechs Duellanten sich im ganzen Kristallsaal verteilt. Matt und Another duellierten sich in der linken Hälfte, wobei Matt den Kristall im Rücken hatte, welcher den einzigen Ausgang blockierte. Another hatte sich Alastairs D-Pad umgeschnallt und war in eine Diskussion mit Matt vertieft. Gleichzeitig standen Anya, Valerie und Henry mit etwas Abstand zueinander auf einer Höhe und warteten auf Isfanel, welcher vor dem Thron verharrte. An seinem Arm befand sich ebenfalls eine Duel Disk, doch diese war geradezu abstrakt. Von roter Farbe, bestand sie nur aus zwei Ausläufern, die gut einen halben Meter lang waren und wie Klingen wirkten. In einer waren die Zonen für den Spielplan eingelassen, während am Verbindungsstück die üblichen Fächer für Deck, Friedhof und Extradeck zu finden waren. „Jetzt wird’s ernst“, meinte Henry und wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn. „Melinda sagte, wir müssen etwa eine Stunde durchhalten. Also gebt euer Bestes!“ „Das musst du mir wohl nicht zweimal sagen, Schnöselkind!“, fauchte Anya aufgebracht. Dabei betonte sie besonders: „Mir kann das egal sein, ich geh sowieso drauf!“ „Seit wann so negativ, Anya?“ „Schnauze, Redfield!“ Valerie seufzte resignierend. „Mach dir nicht zu viele Gedanken. Irgendwie werden wir dich auch retten. Und nicht nur dich …“ Schließlich meldete sich Isfanel zu Wort. „Da ich den entscheidenden Nachteil besitze, beginne ich dieses Duell“, bestimmte er, nachdem seine Gegner bereits allesamt ihr Startblatt gezogen hatten. „Draw.“   [Anya: 4000LP Valerie: 4000LP Henry: 4000LP //// Isfanel: 4000LP]   Gleichzeitig wusste Anya nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Jetzt stand sie hier, mit ihren schlimmsten Rivalen und war im Begriff Marc erneut zu gefährden, sofern es da überhaupt noch etwas zu gefährden gab. Und mehr noch, für sie bedeutete dieses Duell höchstwahrscheinlich das Ende. Aber nachdem sie diese Blicke erlebt hatte. Diese Blicke voller Enttäuschung, konnte sie sich ihrer Verantwortung nicht entziehen. Trotz ihres Verrats hielten die anderen noch zu ihr und wollten einen Weg finden, wie auch sie gerettet werden konnte. Aber gab es eine Möglichkeit, sie aus dem Pakt mit dem Gründer zu befreien? Anya bezweifelte es und dachte an Levrier. Wie wäre seine Reaktion auf die Wahrheit um Another ausgefallen? Würde er immer noch Eden werden wollen? Wie sie ihn einschätzte, vermutlich. Andererseits, wie gut kannte sie Levrier schon? Im Endeffekt schien er ja auch nichts weiter gewesen zu sein, als vom selben Schlag wie diese Dinger aus Victim's Sanctuary! Nichts als ein Geist! „Lass jetzt nicht den Kopf hängen!“, wies Valerie sie plötzlich harsch an. „Das können wir uns nicht erlauben. Schuldgefühle müssen warten!“ „Tch, ich glaub du verwechselst da was, Redfield! Wer sagt, dass ich Schuldgefühle habe? Ich helfe euch nur, weil mich dieser Typ ankotzt!“ Gleichzeitig nahm die Gestalt, die einst Marc gewesen war, eine Karte aus ihrem Blatt, welche auf wundersame Weise kein Feuer fing. „Meine Wahl fällt auf [Celestial Gear – Synthetic Albatross].“ Anya schnaubte wütend. „Da kommt es!“   Die drei Duellanten sahen überrascht zur hohen Kuppel der Turmspitze. Mindestens ein gutes Dutzend an leuchtenden, roten Sphären war über Isfanel erschienen. Zwischen ihnen zeichneten sich parallel diverse Linien aus weißem Licht. Es war, als würde vor ihren Augen ein Bild gezeichnet werden. „Was ist das?“, entfleuchte es Henry nervös. So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen. Blitzschnell verbanden die Strahlen die einzelnen Sphären, bis man schließlich die Form des Monsters erkennen konnte: es war ein gigantischer Vogel mit gespannten Flügeln, der nun hinab zu Isfanel stieg, welcher zwischen seinen riesigen Beinen stand. Das Außergewöhnliche an dieser Kreatur war jedoch, dass man durch die rötliche, durchsichtige Oberfläche das mechanische Innenleben sehen konnte. Zahnräder waren miteinander verbunden, zu viele, um sie alle zu zählen. „Alter Falter“, gab Anya zum Besten und pfiff anerkennend. Der riesige Albatros streckte seinen langen, gebogenen Mechanikschnabel vor und gab einen hohlen Schrei von sich.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   „Es hat wenig Angriffspunkte, aber wir sollten dennoch vorsichtig sein“, riet Valerie ihren Mitspielern. Auf ihrer Stirn hatte sich der Schweiß gebildet. Es war schrecklich zu wissen, dass dieses Wesen dort ihr Marc war. Und dass sie gegen ihn kämpfen musste, um zu überleben. Endlich verstand sie, was Anya hatte durchmachen müssen. Nur, dass sie darum niemals gebeten hatte. Henry stimmte ihr zu. „Ja. Vermutlich wird er es im nächsten Zug für etwas Stärkeres verwerten, da wir eine Runde mit unseren Angriffen warten müssen.“ „Ihr werdet überrascht sein“, sagte Isfanel ruhig, „ich setze eine Karte verdeckt. Damit ist mein Zug beendet.“ Vor ihm materialisierte sich die Karte.   „'kay, dann bin ich!“, entschied Anya aufgebracht und zog ausholend. „Draw! Redfield, du kommst nach mir dran, dann du, Pennerkind!“ Kaum hatte sie ihre neue Karte aufgenommen, schwang Isfanel den Arm über die vor ihm liegende Fallenkarte, die daraufhin aufsprang. „Ich aktiviere [Synthetic Gears Of Time].“ Anya unterdrückte einen überraschten Ausruf, als um ihr Team herum dutzende Zahnräder erschienen, die sich ineinander verkeilten und zu drehen begannen. Und etwas störte sie massiv an ihrem Gegner. Dieser Isfanel, er war ganz anders. Er war nicht so arrogant und selbstherrlich wie damals, sondern viel mehr wie … Die weiß lodernde Gestalt streckte den Arm mit seinem Blatt in der Hand vor. „Diese Falle kann nur aktiviert werden, wenn ich über ein Celestial Gear-Monster verfüge. Sie verbannt all meine Handkarten und alle Karten auf meinem Feld, mit Ausnahme genau eines Celestial Gear-Monsters.“ Verblüfft beobachteten die Drei, wie sich die Karten in Isfanels Hand auflösten. „Warum opferst du all deine Handkarten!?“, verlangte Valerie zu wissen. „Bist das du, Marc? H-hilfst du uns etwa!?“ „Ich fürchte, dem ist nicht so. [Synthetic Gears Of Time] mag einen hohen Preis haben, aber der Effekt ist dafür sehr mächtig. All eure Züge werden nun übersprungen, sodass ich wieder am Zug bin.“ Gleichzeitig erklang es synchron von Anya, Valerie und Henry: „Was!?“ Sofort sah die Blondine auf den Lebenspunkte-Stand ihrer Duel Disk, der auch Phasenwechsel anzeigte. Und tatsächlich, dort wechselten die Phasen in einem regelrechten Eiltempo, bis End Phase dort stand, danach schließlich wieder ihre 4000 Lebenspunkte. Ähnlich erging es auch ihren Partnern.   Die Zahnräder um sie lösten sich schließlich damit auf, als bei Henrys Duel Disk die End Phase angezeigt wurde. „Somit ist es jetzt mein Zug“, erklärte Isfanel. „Was hat dir das gebracht, außer etwas Zeitschinderei und ein verlorenes Blatt?“, wollte Henry irritiert wissen. „Für so ein Manöver war es definitiv zu früh-!“ „Du wirst es jetzt sehen“, unterbrach sein Gegner ihn und ließ eine Karte in seiner Hand erscheinen. „Anstatt meine normale Draw Phase durchzuführen, kann ich die verbannte [Infinite Pressure]-Zauberkarte auf meine Hand nehmen. Und ich aktiviere sie sogleich.“ Mit einem Schlag ging eine Schockwelle durch den Kristallsaal, der Anya, Valerie und Henry in die Knie zwang. Die Schwarzhaarige fasste sich sogar an die Brust, da sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Ihr ganzes Umfeld war plötzlich verschwommen, sodass sie mehrmals blinzelte, wodurch sich die Sicht aber nicht besserte. Es lag nicht an ihr, sondern dem Zauber. „Diese Karte zu aktivieren ist ein schwieriges Unterfangen, denn das vermag ich nur, wenn die einzige Karte unter meiner Kontrolle ein Celestial Gear mit höchstens 1000 Angriffspunkten ist. Zudem darf ich außer [Infinite Pressure] keine anderen Karten auf der Hand halten.“ „Deswegen also“, würgte Henry hervor. „Das war also alles Teil einer Kombo?“ „Korrekt. Nun zur Wirkung meiner Zauberkarte. Alle Spieler müssen ihr Blatt auf den Friedhof schicken.“ Einen Moment lang herrschte entsetztes Schweigen, ehe Anya als Erste zu ihrer Stimme zurückfand. „Willst du mich veräppeln!? Was soll denn dieser Kackmist!?“ „Das ist der Effekt meiner Karte.“ „Eiskalt“, murmelte Henry mit manischem Blick auf seine Handkarten. Es war das erste Mal seit Langem, dass er das Gusto-Deck benutzte und dann das! „Eine eiskalte Technik, um uns auszuschalten …“ „Das ist hart, aber wir dürfen nicht aufgeben“, sagte Valerie. „Das Duell hat gerade erst begonnen und wir sind zu dritt!“ Schließlich trennten die Drei sich von ihrem Blatt, als aus Anyas Friedhof plötzlich zwei Karten geschossen kamen. „Tch! Die zwei Trottel da kannst du damit vielleicht überraschen, aber nicht mich!“ Die Blondine nahm unter den überraschten Blicken ihrer Partner die beiden Monster entgegen und zeigte sie Isfanel. „Die Linke da ist [Gem-Knight Lazuli]. Wenn die durch einen Karteneffekt auf den Friedhof geschickt wird, erhalte ich ein normales Monster von dort zurück. Was mich zu der rechten Karte bringt, [Gem-Knight Tourmaline]. Der passt nämlich auf diese Beschreibung wie meine Faust auf dein Glubschauge, Mistkerl!“ Ein fieses Grinsen breitete sich auf Anyas Gesicht aus. Dieser Trottel würde noch bereuen, was er da eben getan hatte! „Unwichtig. Denn nun wirkt der zweite Effekt von [Infinite Pressure].“ Henry verlor in dem Moment vollends die Fassung. „Noch einer!?“ Plötzlich öffnete der mechanische Vogel, dessen Oberfläche wie eine Sternenkonstellation anmutete, seinen gebogenen Schnabel. „Dieser Effekt ändert den Lebenspunktestand aller Spieler zum Doppelten der Angriffskraft des Celestial Gear-Monsters, das bei der Aktivierung von [Infinite Pressure] auf dem Spielfeld liegt.“ Schreie puren Entsetzens drangen zu Isfanel, doch der schwang nur seinen flammenden Arm aus. Damit schoss sein Albatros der Reihe nach drei rote Laserstrahlen auf Anya, Valerie und Henry, die in den darauffolgenden Explosionen untergingen. Anschließend beugte sich der riesige Mechavogel nach unten, lugte durch seine Beine und schoss auch einen Energiestrahl durch den lodernden Körper seines Besitzers, was jedoch nur ein Loch auf Brusthöhe einbrannte, welches sich kurz darauf schloss.   [Anya: 1000LP Valerie: 1000LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 1000LP]   Die Drei lagen allesamt am Boden und rührten sich kaum merklich. Valerie war die Erste, die die Kraft fand, sich mit den Händen vom Boden aufzustemmen und in Isfanels Richtung zu schauen. Genau wie bei ihren Mitstreitern, hatte der Angriff seine Spuren an ihr hinterlassen. Ein Teil ihrer Kleidung war zerfetzt, ihr linker Arm blutete stark. Ihre Hose war noch von Marcs Blut beschmiert. Doch Valerie biss die Zähne zusammen. „Damit hast du dir keinen Gefallen getan“, meinte sie leise, mit widerspenstigem Blick. „Ein Angriff von uns kann es jetzt beenden.“ „Zuvor ist es aber an mir, einen von euch anzugreifen.“ Isfanel streckte den Arm aus und fuhr der Reihe nach über Anya, dann Valerie und schließlich Henry. Dann schwenkte er zurück zur Schwarzhaarigen, die deutlich zusammenzuckte. „Du. Du bist die Person, die am gefährlichsten einzustufen ist. Deswegen greife ich dich nun direkt an. [Celestial Gear – Synthetic Albatross], Celestial Overburst!“ Valerie weitete die Augen, als der riesige Mechavogel abermals den Schnabel öffnete und eine rote Energie darin auflud. „Nun zum Effekt meiner Zauberkarten [Gear Backwards] und [Banished Power Gear]“, kündigte Isfanel unverhofft während des Angriffs an. Valerie kam wackelig auf die Beine und trat protestierend einen Schritt vor. „Aber da sind keine Zauberkarten! Die hast du alle verbannt!“ „Korrekt. Und nur von der verbannten Zone aus entfalten sie ihre Wirkung. [Gear Backwards] erhöht jedes Mal, wenn ein Celestial Gear-Monster meinem Feind Kampfschaden zufügt, meine Lebenspunkte um dieselbe Menge.“ „D-deswegen bist du so unbesorgt …“, presste Valerie hervor und fasste sich an die Stirn dabei. „Und [Banished Power Gear] erhöht die Angriffs- und Verteidigungskraft eines Celestial Gears während des Kampfes temporär um 500 Punkte.“   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 → 1000 DEF/0 (4)]   Fassungslos ließ Valerie ihre Hand sinken. Sie bemerkte die Blicke der anderen beiden nicht, die nicht weniger geschockt waren als der ihre. Im Inneren des Albatros begannen sich die Zahnräder wie wild zu drehen, alle Maschinen arbeiteten plötzlich auf Hochtouren. „Celestial Overburst!“ In den Augen des Mädchens spiegelte sich der rote Laserstrahl wieder, der auf sie abgefeuert wurde. Sie war wie gelähmt, konnte nichts tun, um auszuweichen. Dann kam der Einschlag. Valerie spürte, wie sie durch die Luft geschleudert wurde. Sogar zum Schreien war sie zu schwach. Schwach, ja. Das war sie. Besiegt. Einfach so … Marc war so unendlich weit entfernt …   [Anya: 1000LP Valerie: 1000LP → 0LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 1000LP → 2000LP]   „Das macht Nummer eins“, kommentierte Isfanel das Geschehen kalt. Um ihn herum tauchten lauter Zahnräder auf, die sich zunächst im, dann schließlich gegen den Uhrzeigersinn zu drehen begannen. Gleichzeitig landete Valerie meterweit von den anderen entfernt auf dem kalten Boden und rutschte noch ein gutes Stück weiter, ehe sie einfach nur liegen blieb und sich nicht mehr rührte. Anya und Henry starrten dem Mädchen hinterher, blanke Panik stand in ihren Gesichtern geschrieben. Schließlich stieß die Blondine einen fürchterlichen Schrei aus: „Redfield!“ „Zug beendet“, stand Isfanels ruhige Art dem dazu in Kontrast.     Turn 33 – Isfanel's Heart Geschockt von Valeries gnadenlosen Ausscheiden aus dem Duell, vereinen Henry und Anya ihre Kräfte, um sich gegen Isfanel zu behaupten. Gleichzeitig eröffnet er ihnen, was vor Jahrhunderten der Anlass dazu war, Eden zu versiegeln. Auf der anderen Seite muss sich Matt Another in Form des besessenen Alastairs stellen. Und dieser erweist sich nicht weniger erbarmungslos im Umgang mit ihm, als Isfanel mit den anderen … Kapitel 33: Turn 33 - Isfanel's Heart ------------------------------------- Turn 33 – Isfanel's Heart     „Redfield!“   Entgeistert schaute Matt herüber zu dem Duell der anderen, die nicht nur ziemlich hatten einstecken müssen, sondern binnen weniger Minuten ihren ersten Spieler verloren hatten. „So … stark“, stammelte er und lenkte seinen Blick auf Valerie, die weit abgeschlagen von den anderen entfernt lag und sich nicht mehr rührte. „Ja ja, natürlich ist er das“, drang da Anothers Stimme an sein Ohr, „aber so leicht gebe ich meine Schachfiguren nicht her. Immerhin hat sie mit mir einen Pakt geschlossen, von daher war Isfanels Versuch, sie zu töten, von vornherein zum Scheitern verdammt. Aber solltest du dich nicht eher um deine eigene Haut kümmern? Ich meine, ich bin auch noch da.“   [Matt: 4000LP / Another: 4000LP] Sofort wandte Matt sich zu ihm um. Sarkastisch merkte er an: „Ist mir gar nicht aufgefallen.“ Dennoch war er erleichtert, dass Valerie offenbar noch lebte. Scheinbar setzte Another seine ganze Kraft ein, um seine Pläne umzusetzen. Aber wenn er damit beschäftigt war, in Isfanels Duell zu intervenieren … war die Möglichkeit gegeben, dass er sich nicht stark genug auf sein eigenes konzentrierte! „Dann helfe ich dir dabei, dich zu erinnern. So nett bin ich. Draw!“ Der Dämon in Alastairs Gestalt zog nun auch seine sechste Handkarte, nachdem Matt den ersten Zug getan hatte. In jenem hatte er nur [Steelswarm Sting] beschworen. Die schwarze Riesenhornisse verharrte nun vor ihm in der Luft und sollte die Lage überprüfen, ehe Matt in die Vollen ging.   Steelswarm Sting [ATK/1850 DEF/0 (4)]   Nachdem er Isfanels brutalen Zug gesehen hatte, sah er davon ab, sein Feld zu schnell zu füllen. Seine fünf Handkarten fest im Griff, wischte er sich mit der anderen Hand den Schweiß von der Stirn. Täuschte er sich, oder wurde es im Kristallsaal immer wärmer? Ein Blick auf das Tor Edens, das über dem Thron im hinteren Teil des Saals an elektrischen Seilen schwebte, verriet ihm die Antwort nicht. Das kreisrunde, mit silbernen Kristalldornen versehene Tor hatte sich bisher nicht verändert.   „Konzentriere dich, wenn du länger als zwei Züge durchhalten willst“, mahnte Another ihn vergnügt, meinte dann aber: „Andererseits, je schneller das hier vorbei ist, desto eher kann ich mich um Melinda Ford und Isfanel kümmern.“   Das hier würde sicherlich ebenso wenig ein Kinderspiel werden wie der Kampf gegen Isfanel, sagte sich Matt dabei. Dieser Krieg an zwei Fronten machte ihn nervös. Was, wenn der erste der beiden Dämonen niederging – oder schlimmer, wenn eines seiner Teams den Kürzeren zog? Es würde die anderen mit sich reißen, weil Isfanel oder Another dann dafür sorgen würde, dass deren jeweiliges Ziel erreicht wurde. Entweder, indem der Rest der Gruppe angegriffen, oder aber Isfanel beseitigt wurde. Und dann war da noch Melinda. Matt war sich aber nicht so sicher, ob Another in Melinda wirklich eine Gefahr sah. Viel eher machte es den Eindruck, als wäre sie nur eine Entschuldigung, um sich mit Isfanel zu verbünden. Die Vorteile lagen auch auf der Hand, so konnte er den flammenden Dämon leichter kontrollieren und beschäftigen, statt sich mit ihm herumschlagen zu müssen. Außerdem hatte Another bestimmt noch ein Ass im Ärmel, um die Situation, wenn sie brenzlig wurde, zu wenden. Matt hatte es einfach im Blut.   „Du hörst mir wirklich nicht zu, oder?“, stellte Another beleidigt fest. „Fein, dann lasse ich lieber die Karten sprechen. Du solltest sie kennen! Ich beschwöre [Vylon Pentachloro]!“ Erstaunt horchte Matt beim Klang des vertrauen Namens auf. Vor seinem Gegner tauchte ein metallisches Wesen auf, bestehend aus einem fünfeckigen Körper aus dunklem Stahl, zwei Armen und letztlich einem goldenen, radähnlichen Kopf.   Vylon Pentachloro [ATK/500 DEF/400 (4)]   „D-du benutzt Alastairs Deck!?“, staunte Matt. Another zuckte unbedarft mit den Schultern. „Warum nicht? Ich bin schließlich keine Attention Whore wie Isfanel und zaubere mir mal mir nichts, dir nichts ein neues Awesome-Deck. Außerdem ist meine Paktkarte hier drin.“ Matt zischte ärgerlich, denn sein Gegner schien das Ganze gar nicht für voll zu nehmen. Schlimmer aber war, dass er vermutlich guten Grund dazu hatte. Denn der jüngere Dämonenjäger ahnte bereits, was gleich auf ihn zukommen würde. „Da du schon so jämmerlich guckst, werde ich dich nicht länger im Ungewissen lassen, was es mit der Beschwörung dieses Monsters auf sich hat“, erklärte Another selbstverliebt, „du hast es dir sicher sowieso gedacht, nicht wahr? Von meiner Hand die Zauberkarte [Machine Duplication]. Ich denke du weißt genau, was sie bewirkt.“ „Leider“, brummte Matt. Aus Anothers Monster schossen zwei Abbilder seiner selbst und nahmen rechts und links neben der Kreatur feste Formen an. Womit Matt nun drei Monstern gegenüberstand – was aber nicht lange so bleiben würde, wie er wusste. Another streckte den Arm in die Höhe, unter dem roten Mantel drang gelbes Licht schwach hervor. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Als gelbe Lichtstrahlen wurden seine drei Monster in das schwarze Loch mitten im Spielfeld eingesogen, welches sich zeitlich zu Anothers Ankündigung geöffnet hatte. „Xyz-Summon! Unterdrücke und herrsche, [Vylon Disigma]!“ Aus dem Wirbel hervor trat eine Kreatur die wirkte, als wäre sie aus den Tiefen der Finsternis selbst entsprungen. Dunkel und bösartig war die Grimasse des Wesens, dessen überdimensional großer Kopf auf zwei miteinander verbundenen, quadratischen Plattformen lag. Aus den langen Armen, die aus seinem Kopf ragten, schoss ein ganzes Bataillon an schwarzen Klingen. Drei gelbe Sphären umkreisten [Vylon Disigma] dabei.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Oh verdammt!“, fluchte Matt beim Anblick des Monsters. Another griff unter Disigmas Karte auf seinem D-Pad und zog eines der Xyz-Materialien darunter hervor. „Blitzgescheit wie du bist, wirst du nicht vergessen haben, was geschieht wenn Disigmas Effekt aktiviert wird!“ Die Kreatur öffnete ihr Maul und sog gnadenlos Matts [Steelswarm Sting] ein. Daraufhin färbte sich eine der Sphären um Disigma violett. „Mein Monster hat deines absorbiert“, erklärte Another daraufhin triumphierend, „was bedeutet, dass es fortan jedes Monster mit demselben Attribut automatisch in einem Kampf vernichtet!“ Matt weitete die Augen. In seinem Deck befanden sich ausschließlich Finsternis-Monster – was bedeutete, dass jegliche seiner Angriffe nutzlos wären! „Aber das ist nur der halbe Spaß! Wenn ich das richtig sehe, bist du vollkommen schutzlos.“ Der vernarbte Hüne ihm gegenüber setzte ein fieses Lächeln auf. „Das schreit ja regelrecht nach einer kleinen Demütigung! [Vylon Disigma], direkter Angriff! Sacred Black Obliteration!“ Zwischen seinen Handflächen ließ das Wesen violett-schwarze Energie entstehen, welche zu einem Speer lang gezogen wurde. Matt konnte gerade so einen Schritt zurückweichen, da wurde die Lanze schon auf ihn geworfen. In einer kuppelförmigen Explosion ging der junge Mann schreiend unter. „Gahhhhhh!“ Die Druckwelle schleuderte ihn von den Beinen. In der Luft drehte Matt sich mehrmals die eigene Achse, ehe er hart auf dem Kristallboden landete und von dort weiter rollte. Direkt in die Kristalldornen, die den Ausgang blockierten. „Ahhhhhh!“, schrie er abermals, als er dagegen stieß und eine der herausragenden Dornen sich durch seine Schulter bohrte. Andere rissen seine Hose und den Mantel auf, sorgten für tiefe Schnittwunden.   [Matt: 4000LP → 1500LP / Another: 4000LP]   „Was denn, was denn?“, höhnte Another enttäuscht. „Du bist doch selber schuld, wenn du nicht darauf achtest, dich angemessen zu schützen.“ Matt stieß einen weiteren qualvollen Schrei aus und betrachtete in seiner liegenden Position verzweifelt die Kristallspitze, die aus seiner Schulter ragte. Wenn er sich losriss, riskierte er eine Menge Blut zu verlieren! „Warte, ich helf' dir“, bot Another gönnerhaft an und streckte den Arm nach Matt aus. Mit einem Ruck und einem Schrei wurde dieser durch eine unsichtbare Kraft vom Kristall losgerissen, drehte sich in der Luft zu einer aufrechten Haltung und wurde zurück an seinem Duellplatz transportiert, wo er unsanft von Another fallengelassen wurde. „Bitteschön!“ Matt, überrascht und an beiden Beinen verletzt, konnte den Fall nicht kompensieren und fiel vorne über auf den Boden. „Urgh!“ „Ein Trauerspiel“, kommentierte sein Gegner das mit einem abschätzigen Blick. „Zug beendet.“   Matt hielt sich die Wunde an der Schulter und raffte sich schwankend auf. Er war ganz blass im Gesicht und biss sich auf die Lippen, um von den Schmerzen abzulenken. „War wohl nicht die klügste Idee, mich direkt hinter diesem Ding zu positionieren“, presste er selbstironisch hervor. „In der Tat nicht“, stimmte Another ihm zu und lächelte dünnlippig, „man könnte fast meinen, da wollte mich jemand in eine Falle locken.“ „Ja, wäre wirklich schade, wenn eines deiner Opfer durch deinen eigenen Angriff umkäme, huh?“, erwiderte Matt ebenfalls mit einem wissenden Grinsen. „Na wie gut, dass das nicht passiert ist.“ Der schwarzhaarige Hüne im roten Mantel kniff die Augen zusammen. „Nicht wahr?“ „Sehe ich auch so“, antwortete Matt darauf und verzog wütend das Gesicht. „Tch, was für ne Schnappsidee!“ Innerlich fluchte er über sich selbst. Was hatte er sich dabei gedacht!? Er war doch nicht wie dieser Henry, er hing an seinem Leben! Für diesen seltendämlichen Einfall hatte er jetzt die Quittung!   „Mein Zug!“, fauchte er, um sich vom Schmerz und seiner eigenen Idiotie abzulenken. „Draw!“ Die neue Handkarte betrachtend, atmete er tief durch. Diese Dummheit hatte ihn einen großen Batzen an Lebenspunkten gekostet. Wenn er sich jetzt wieder absichtlich zurückhielt, würde er das Duell verlieren! Es gab nur ein Problem: er kam an [Vylon Disigma] nicht vorbei! Keines der Monster auf seiner Hand war stark genug und selbst wenn sie es wären, könnten sie den Kampf aufgrund von Disigmas Effekt trotzdem nicht gewinnen. „Ich setze ein Monster und zwei verdeckte Karten“, verkündete Matt, legte die Karten auf sein D-Pad und ließ sie vor seinen Füßen erscheinen. „Damit gebe ich an dich ab, 'Anny'!“ Solange er seine Monster im Verteidigungsmodus spielte, konnten sie wenigstens nicht absorbiert werden.   „'Anny'?“, wiederholte Another verdutzt und zog nebenbei seine nächste Karte. „Hast du dir eben den Kopf gestoßen?“ „Soll ich dich lieber 'Ally', nach Alastair, nennen?“, hakte Matt grinsend nach. „Ich dachte, dass es dir vielleicht gefällt, von mir einen Spitznamen zu bekommen. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ihr Dämonen eure Wirte immer beim vollen Namen ansprecht. Dachte, etwas Abwechslung kann nicht schaden?“ „Es ist eine Sache des Respekts“, erklärte Another. Plötzlich trübte sich sein Blick. „Dort, wo wir herkamen, wurden niemals mehrteilige Namen gegeben, denn kein Name in unserer Welt wurde zweimal vergeben. Jeder hat seine einzigartige, besondere Bedeutung. Es ist undenkbar für uns, jemandes Namen zu verkürzen oder falsch wiederzugeben.“ „Wo … ihr herkamt?“ Matt legte verwirrt den Kopf in den Nacken und sah herüber zu Eden. „Etwa durch … ?“ „Was auch immer, deine lausigen Versuche, durch Smalltalk etwas Zeit zu gewinnen, funktionieren bei mir nicht!“, fand Another wieder zu seiner selbstherrlichen Art zurück. „Ich habe Wichtigeres zu tun, als mit meinen Schachfiguren zu plaudern! Daher musst du jetzt stark sein, mein Lieber, denn das hier eben war dein letzter Zug!“ Von seiner Hand nahm der besessene Alastair eine Zauberkarte und zeigte diese vor. „Ich aktiviere [Stop Defense]! Der Name ist hier auch Programm, dein Monster wird in den Angriffsmodus gewechselt!“ „Oh verdammt!“ Mit erschrockenem Blick beobachtete Matt, wie sich die Karte seines gesetzten Monsters um 90° drehte und umwirbelte. Hervor sprang ein kleiner, schwarzer Insektenknabe, dessen überdimensional große Augen herüber zur anderen Spielfeldseite lugten. Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]   „Na reizend …“, stöhnte Matt, der längst wusste, was jetzt kam. Another griff unter die Karte seines [Vylon Disigma] und zog ein weiteres Xyz-Material darunter hervor. „Ganz genau! Mein Monster wird jetzt auch diese Kreatur absorbieren!“ Wieder öffnete Disigma sein Maul und sog Matts Scout in sich auf. Zeitgleich verfärbte sich die zweite der drei leuchtenden Sphären violett. Allerdings hatte Another längst eine weitere Zauberkarte gezückt. „Und nun aktiviere ich [Release Restraint Wave]! Mit ihr ist es mir möglich, eine meiner Ausrüstungszauberkarten zu vernichten, um alle deine gesetzten Zauber- und Fallenkarten ebenfalls mit in den Abgrund zu ziehen!“ „Was!?“ Eine der violetten Sphären, die, die einst [Steelswarm Sting] war, zerplatzte kurzerhand und löste eine Schockwelle aus. Matt schütze sich mit erhobenen Armen vor dem Sturm, doch seine gesetzten Fallen wurden mitgerissen und zersprangen. Als der junge Mann über seine Arme herüber zu seinem Gegner sah, fand er diesen mit einem finsteren Lächeln auf den Lippen vor. „Dumm gelaufen, mein Lieber“, sagte Another triumphierend, „ich war dir von Anfang an überlegen.“ Matt zischte vor Wut. „Was willst du überhaupt!? Warum bist du so versessen darauf, dieses verdammte Tor zu öffnen!?“ Der Blick seines Gegenübers verhärtete sich. „Ich sehe keinen Grund, dir eine Antwort zu geben. Du würdest sie ohnehin mit ins Grab nehmen und selbst wenn du meine Absichten kennst, wären sie für dich bedeutungslos.“ „Mit so etwas gebe ich mich nicht zufrieden!“ Matt schwang wütend den Arm aus. „Erzähl mir nichts von wegen, ein Mensch könne nicht verstehen, was in einem von euch vor sich geht! Wir sind nicht so verschieden!“ Allerdings rümpfte Another nur die Nase. „Das war nicht, was ich damit ausdrücken wollte. Aber helfen würde mir niemand freiwillig bei meiner Aufgabe. Daher muss ich mir nehmen, was ich brauche. Und das sind du und deine Freunde!“ Ehrgeizig streckte der schwarzhaarige Mann seinen Arm aus und weitete die Augen manisch. „Euer Schicksal ist besiegelt! Genug des Geschwätzes, mach dich bereit! [Vylon Disigma], ich befehle dir, direkt anzugreifen! Sacred Black Obliteration!“ „Verdammt!“, schrie Matt panisch und wich zurück. Die finstere Engelsmaschine schuf mit ihren Armen einen neuen Energiespeer, den sie ergriff und zum Abwurf bereit machte. Der Dämonenjäger schluckte. Dann kam der Speer schon auf ihn zugeschossen und ließ ihn in einer kuppelförmigen Explosion untergehen.   ~-~-~   „Dieser Idiot!“, schrie Anya, als Matt gerade im ersten Zug Anothers durch sein zurückhaltendes Spiel gegen den Kristall geschleudert und aufgespießt wurde. „Was macht der da!?“ Dann richtete sie wieder ihren Blick auf Valerie, die am Ende des Saals regungslos durch Isfanels erbarmungslosen Angriff liegen geblieben war. War sie tot? „Anya, wir müssen weitermachen!“, drang Henrys Stimme da an ihr Ohr. Jener hatte sich wieder aufgerafft, auch wenn er genau wie Anya deutlich mitgenommen daher kam. Die Blondine nickte schließlich und kam ebenfalls wankend auf die Beine.   [Anya: 1000LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 2000LP]   „Großartig!“, fluchte sie, als sie ihre Lage Revue passieren ließ. Isfanel hatte es mit einer Kombo geschafft, die Handkarten aller Spieler zu vernichten und die Lebenspunkte auf ein Minimum zu reduzieren. Glücklicherweise besaß Anya dank des Effekts von [Gem-Knight Lazuli] noch [Gem-Knight Tourmaline] auf dem Blatt. Henry dagegen hatte weniger Glück und war blank. Zumindest erging es Isfanel in der Hinsicht genauso. Allerdings besaß dieser dafür diesen gewaltigen Maschinenvogel, [Celestial Gear – Synthetic Albatross], dessen Innenleben nur von einer leuchtenden, durchsichtig-roten Oberfläche aus purem Licht verdeckt wurde. Und auch wenn dieses Ding schwach war, hatte es dennoch Valerie mit einem Angriff ausgeschaltet.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   Es waren die verbannten Karten, dachte Anya wütend. Isfanel hatte ein ganzes Arsenal an Zauberkarten aus dem Spiel entfernt, um ihre Züge zu überspringen. Und nun wusste Anya warum – dort konnten sie ungehindert ihre Effekte entfalten! Wer wusste schon, was dort alles auf sie lauerte?   Die weiße, flammende Gestalt, die einst Marc gewesen war, sagte: „Ich habe meinen Zug beendet, Anya Bauer.“ „Tch, ist ja gut!“, fauchte die und griff nach ihrer Duel Disk. Wie sollte sie zusammen mit dem Pennerkind gegen jemanden bestehen, der seine Monster durch die verbannte Zone stärkte!? Dagegen gab es keinerlei Mittel! Andererseits war dieser Mechavogel, zwischen dessen Beinen Isfanel stand, selbst mit dem Punkteschub durch [Banished Power Gear] schwach! Wäre doch gelacht, wenn sie an so einem Ding scheitern würde! „Draw!“, fauchte Anya und riss die nächste Karte von ihrem Deck. Und als sie diese betrachtete, blinzelte sie verdutzt. „[Kuriboss]?“ Das war doch eine der Karten, die sie durch den Wunsch des Jinns erhalten hatte! Nur kam dieses Ding im ungünstigsten Moment. Mit dem konnte sie keine Gem-Knight-Fusion durchführen – oder doch!? Anya griff kurzerhand in das Nebenfach ihrer alten Battle City-Duel Disk und zog ihr Extradeck hervor, um eines ihrer Fusionsmonster zu überprüfen. Und als sie erfahren hatte, was sie wissen wollte, huschte ein zufriedenes Grinsen über ihr Gesicht. Sich an Isfanel richtend, schob sie das Extradeck zurück in den dafür vorgesehenen Schacht und rief: „Ich verbanne [Gem-Knight Lazuli] von meinem Friedhof und erhalte dafür von dort meine [Gem-Knight Fusion]-Zauberkarte zurück, die du mir vorhin genommen hast, Mistkerl!“ Kaum hatte sie ihr verbanntes Monster in die Hosentasche gesteckt, zückte sie die Zauberkarte und hielt sie zusammen mit den beiden Monstern auf ihrer Hand hoch in die Luft. „Eine Fusion!? Perfekt, genau was wir jetzt brauchen!“, kommentierte Henry das glücklich.   Hoffentlich würde das etwas Zeit schinden, dachte er sich. Sie brauchten jede Minute, damit Melinda alles für ihre Flucht und die Zerstörung des Turms vorbereiten konnte! Wenn er doch nur selbst etwas unternehmen könnte!   „Schaut her, ich verschmelze [Gem-Knight Tourmaline] mit meinem [Kuriboss]! Aber das hier ist keine normale Fusion der Gem-Knights! Hier wird ein Gem-Knight mit einem Licht-Monster vereint!“, rief Anya stolz. „Tourmaline, du bist das Gefäß! [Kuriboss], du bist die Seele! Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Seraphinite]!“ Wenn sie könnte, würde sich Anya am liebsten beim Jinn dafür bedanken, ihr auch dieses mächtige Fusionsmonster geschenkt zu haben. Zu dumm, dass der nicht mehr war. Aber sie würde dafür sorgen, dass ihr Wunsch an ihn eine Bedeutung gewann! Über dem Mädchen tat sich ein Wirbel aus Edelsteinen auf, welcher einen goldenen Ritter und einen kleinen, braunen Fellball mit Sonnenbrille und wehendem, grauen Cape in sich einsog. Ein Lichtblitz entstand, als eine erhabene Gestalt aus dem Wirbel trat. Es war eine Ritterin ganz in Weiß, deren blauer Umhang wild um ihre Schultern flatterte. Aus ihrem Rücken traten dabei weiße Lichtschwingen, während sie einen Degen aus blauem Kristall mit sich führte und diesen drohend auf Isfanel und sein Monster richtete.   Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 DEF/1400 (5)]   „Was ist das für ein Gem-Knight!?“, staunte Henry mit offenem Mund. „So einen habe ich noch nie gesehen!“ „Das ist der Gem-Knight, der unserem Kumpel jetzt mächtig in den Arsch treten wird!“, erklärte Anya und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den gemeinsamen Gegner. „[Gem-Knight Seraphinite], auf in die Schlacht! Gem Cutting Edge!“ Ihre Kriegerin schwärmte aus und flog unter wehendem Umhang auf den gewaltigen Mechavogel zu. Isfanel hob seinen Arm in die Höhe. „Durch die verbannte Zauberkarte [Banished Power Gear] erhöht sich die Angriffskraft meines Monsters während des Kampfes um 500.“ Woraufhin sich die Zahnräder im Inneren des Albatros wie wild zu drehen begannen.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 → 1000 DEF/0 (4)]   „Zu schade, das ist nicht mal ansatzweise genug, Blödmann!“, fauchte Anya und zog mit dem Daumen über ihre Kehle. „Mach es alle, Seraphinite!“ Kurz darauf stieg ihre Ritterin in die Höhe, über den Kopf der Maschine, um dann mit vollem Tempo ebendiesen mit ihrer Klinge zu spalten. Unter einem lauten Knall explodierte der Schädel, während die Zahnräder im Inneren der Kreatur den Halt verloren und das Gebilde in sich zusammenbrach. Bevor Isfanel jedoch unter ihnen begraben werden konnte, schrumpften die Teile und wurden zu klitzekleinen Lichtpartikeln. „Im Kampf mit [Celestial Gear – Synthetic Albatross] erhalte ich keinen Kampfschaden“, erklärte er und streckte die lodernde Handfläche aus. „Und nachdem ein Celestial Gear zerstört wurde, kehrt es auf meine Hand zurück.“ Die Lichtpartikel um ihn herum fokussierten sich bei diesen Worten an einem Punkt über seiner Handfläche und bildeten dort die Karte seines Maschinenmonsters. Anya klappte die Kinnlade herunter. „Was zum-!? Hey, das ist unfair! Der Angriff hätte dich über die Hälfte deiner Lebenspunkte kosten müssen!“ „Was sind das für Karten!?“ Auch Henry war überrascht. „Das heißt, er kann sie einfach erneut ausspielen, wenn wir sie zerstören? Wie sollen wir sie dann loswerden!?“ „Tch! Ganz einfach, Idiot“, fauchte Anya ihn mit einem Blick zur Seite an, „wir lassen gar nicht erst zu, dass er sie nochmal ausspielt! Dein Zug! Mach ihn fertig!“   Deutlich verunsichert griff Henry nach seinem Deck, doch sein Blick haftete auf der Karte, die immer noch über Isfanels Hand schwebte. Anya derweil raunte: „Selbst wenn er es nochmal ausspielt, das Vieh ist doch total schwach!“ Auf den ersten Blick mochte diese Fähigkeit der Celestial Gear-Monster nicht weiter gefährlich wirken, denn dieser Albatros war trotz allem ein schwaches Monster, wie Anya richtig sagte. Dennoch war diese Entwicklung besorgniserregend. „Anya“, richtete er sich ernst an seine Mitspielerin, „unterschätze diese Monster nicht.“ Den Ratschlag nahm das Mädchen aber nicht sonderlich gut auf. „Tch, hab ich gesagt, dass ich das tue!?“ „Du guckst nur auf die Angriffspunkte, daher meine Warnung.“ Henry schnaufte wütend. „Aber da rede ich vermutlich gegen eine Wand. Draw!“ Als Henry zog und erkannte, dass es ein Monster war, atmete er auf. Mit so wenigen Lebenspunkten konnte er es sich nicht leisten, schutzlos dazustehen. „Ich setzte ein Monster und beende!“ Seine einzige Karte quer auf die Duel Disk legend, ließ er sie in vergrößerter Form vor sich erscheinen. Und sorgte im Zuge dessen dafür, dass Anya ihn auf der Stelle anschrie. „Was soll der Mist!? Sein Feld ist leer! Das ist die Chance, zuzuschlagen, du elender Schisser!“ „Und was bringt es dir, wenn ich mit einem schwachen Monster angreife, das von ihm im nächsten Zug zerstört wird!?“, verteidigte sich Henry ebenso aufgebracht und zeigte ihr einen Vogel. „Spinnst du eigentlich!? Vergiss nicht, dass er durch die verbannte [Gear Backwards]-Zauberkarte Lebenspunkte bekommt, wenn er uns Schaden zufügt! Wenn ich jetzt angegriffen hätte, wäre das nur zu unserem Nachteil gewesen!“ Anya erwiderte seine rüde Geste mit einem nicht weniger unfreundlichen Mittelfinger und drehte sich beleidigt weg. „Tch, Feigling …“ „Ich bin am Zug. Draw“, ließ sich Isfanel nicht davon stören und zog von der klingenartigen Duel Disk an seinem Arm eine Karte, während er [Celestial Gear – Synthetic Albatross] weiterhin über seine andere Handfläche schweben ließ. Schließlich nahm er diesen jedoch aufs Blatt, nur um ihn im Anschluss auf die Duel Disk zu legen. „Ich führe nun eine Rückbeschwörung durch, indem ich [Celestial Gear – Synthetic Albatross] nach seiner Zerstörung erneut als Normalbeschwörung rufe.“ „Da kommt er!“ Anya runzelte ärgerlich die Stirn. Wenn das Pennerkind recht hatte, würde hier gleich die Post abgehen. Auch wenn sie nicht leugnen konnte, dass dieser Nervenkitzel ihr irgendwie gefiel. Henry indes wiederholte: „Rückbeschwörung also …“ Verschiedene rote Lichtpunkte tauchten weit über der brennenden Gestalt, die Isfanel war, auf und wurden durch gleichfarbige Linien miteinander verbunden. Kurz darauf wurde das mechanische Innere des Riesenvogels unter der durchsichtigen Begrenzung sichtbar und der Albatros mit seinem gebogenen Schnabel stand wieder in seiner vollen Größe vor ihnen.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 DEF/0 (4)]   Doch etwas war anders! Die Zahnräder in seinem Inneren begannen plötzlich grell zu leuchtend und drehten sich viel schneller als zuvor. „Der Effekt meines Monsters aktiviert sich nun“, erklärte Isfanel, „wenn auf diese Weise beschworen, bleibt es nur einen Zug auf dem Feld, ehe es verbannt wird. Dafür erhält es seinen letzten Effekt. Dieser lässt mich bei seiner Rückbeschwörung zwei Karten ziehen.“ Anya und Henry stießen erschrockene Seufzer aus, als Isfanel sein Blatt auf drei Karten aufstockte. „Deshalb hat er also sein eigenes Blatt vernichtet! Er wusste, er würde es wieder regenerieren können“, schloss Henry daraus entsetzt. „Diese Dinger gehen mir langsam richtig auf den Keks!“, fauchte Anya aufgebracht. „Aber völlig egal, wie viele Karten er zieht, das Ding bleibt trotzdem schwach!“ „Das ist wahr, seine Angriffspunkte sind zu niedrig“, stimmte Isfanel zu und zückte ein anderes Monster von seinem Blatt. „Daher werde ich es jetzt verbannen, um [Celestial Gear – Synthetic Eagle] als Spezialbeschwörung durch dessen Effekt zu rufen!“ Sein gewaltiger Maschinenalbatros löste sich in hellblauem Licht auf, welches dutzende, gleichfarbige Lichtpunkte über ihm bildete, die sich wieder mit zahlreichen Linien miteinander verbanden und so ein neues Monster von riesigem Ausmaß zeichneten. Die Spannweite der Flügel des neuen Mechavogels war noch breiter, dafür wirkte der Körperbau schlanker und agiler. Durch eine himmelblaue, durchsichtige Schicht war auch bei ihm der Blick auf das mechanische Innenleben gewährt. „Wenn [Celestial Gear – Synthetic Eagle] auf diese Weise beschworen wird, nimmt er die Stufe des verbannten Monsters an“, erklärte Isfanel ruhig, während seine Gegner das Monster bestaunten.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 DEF/1000 (5 → 4)]   „D-das Vieh ist ja stärker als meine Seraphinite!“, stammelte Anya panisch. Ihre kämpferische Haltung spiegelte sich in den weiß leuchtenden Augen des Riesenadlers wieder, der dann seinen Kopf zur Seite neigte und Henry ins Visier nahm. Jener stolperte einen Schritt zurück. „Mit seiner Zauberkarte kommt es auf 3000 Angriffspunkte!“ „[Celestial Gear – Synthetic Eagle] fügt, wenn er ein Monster angreift, Durchschlagschaden zu“, erklärte Isfanel und streckte seinen Arm Richtung Henry aus. „Nach dem Mädchen folgt nun der Nächste. Los, Celestial Stormburst!“   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 → 3000 DEF/1000 (4)]   „Oh Gott!“, stieß Henry panisch hervor, da er erkannte, was das für ihn bedeutete. Der Mechanikadler hob seine riesigen Schwingen an, schlug sie nur einmal auf und ab, um zwei grell leuchtende Wirbelstürme zu entfachen, die sich rasend schnell ihren Weg auf Henry zu bahnten. Dieser schloss die Augen und ließ die Arme schlaff hängen. „Tut mir leid, Melinda. Ich war …“ „Verdammter Kackmist, ich dachte, ich kann mir das noch aufheben!“, schrie Anya aufgebracht und griff hastig nach ihrem Friedhof, bevor Henry von den Stürmen erfasst wurde. „Ich verbanne [Kuriboss] von meinem Friedhof, um einmal Kampfschaden zu annullieren!“ Kurz bevor die Wirbel Henry und sein Monster erreicht hatten, tauchte das braune Fellknäuel mit der Sonnenbrille und dem grauen Umhang vor ihnen auf und fing einen der Stürme ab. „Kuri!“ Jammernd wurde das arme Ding daraufhin durch die Luft gewirbelt und verschwand, doch mit ihm besagter Wirbelsturm. Der andere jedoch fegte über Henrys Monster hinweg, das aus der Karte hervorgesprungen kam – ein grünhaariges Mädchen in beigefarbenem Cape.   Kamui, Hope Of Gusto [ATK/200 DEF/1000 (2)]   Schreiend wurde sie ebenso mitgerissen, bis schließlich auch der zweite Sturm verschwand. Henry öffnete verwirrt die Augen und sah herüber zu Anya, die ihn wütend anfunkelte. „Was sagt man da?“ „D-du hast mich gerettet!?“ „Falsch! Man sagt 'Danke, liebe Anya, meine Herrin und Gebieterin'!“ Der brünette, junge Mann blinzelte verwirrt. „Wieso hast du das getan?“ „Tch!“ Sie wandte sich ruckartig mit verschränkten Armen von ihm ab. „Denk nicht, dass ich das für dich getan hab! Mir ging es nur darum, [Kuriboss'] Zusatzeffekte auszulösen! Wenn ich nämlich jemand anderes Kampfschaden mit ihm negiere und nicht meinen eigenen, kann ich eine Karte ziehen und eines meiner Monster um 300 Angriffspunkte stärker machen! Nur deswegen, klar!?“ Schnaufend zog sie ihre Karte. Dabei tauchte der Boss der Kuriboh-Familie über ihrer Ritterin auf und ließ einen goldenen Lichtregen auf sie niedergehen, ehe sich über ihm ein kleines Loch in eine andere Dimension auftat, in das er entschwand.   Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 → 2600 DEF/1400 (5)]   Henry ließ Anya dabei nicht aus den Augen. Ohne ihr Eingreifen wäre er Isfanel zum Opfer gefallen, genau wie Valerie. Gerade überlegte er fieberhaft, ob er sich ein Danke ihr gegenüber abringen konnte, da fiel ihm etwas anderes ein. „Ah, der Flippeffekt von Kamui!“ Er schnippte mit dem Finger. „Wenn sie aufgedeckt wird, beschwört sie einen Gusto-Empfänger von meinem Deck.“ Kurzerhand nahm er sich seinen Kartenstapel und legte [Gusto Falco], einen kleinen, grünen Vogel mit Brustpanzerung und Helm auf die Duel Disk von Abby. Dieser machte es sich auf seiner Schulter bequem.   Gusto Falco [ATK/600 DEF/1400 (2)]   „Noch so ein schwaches Verteidigungsmonster?“, beklagte sich Anya sofort wieder. „Willst du, dass es wieder so läuft wie eben!?“ „Ich habe meine Gründe, warum ich ihn ausgewählt habe, okay!?“ Sofort strich Henry jegliche Gedanken an Dank aus seinem Kopf. Dieses Mädchen raubte ihm selbst jetzt, wo sie um ihr Leben kämpften, den letzten Nerv! „Mein Angriff ist also fehlgeschlagen“, stellte Isfanel fest, während seine Gegner sich schamlos vor ihm zofften. Seine letzten beiden Handkarten in die Duel Disk einlegend, erklärte er: „Wie dem auch sei, ich setze zwei Karten verdeckt. Zug beendet.“ Damit erschienen die Fallen vor seinen Füßen.   Anya betrachtete das Spielfeld ihres Gegners einen Moment, bevor sie schließlich den Blick auf die eigene Duel Disk richtete. Selbst mit dem Angriffsboost von [Kuriboss] war [Gem-Knight Seraphinite] nicht stark genug, um gegen [Celestial Gear – Synthetic Eagle] anzukommen. Nicht, solange jener durch die verbannte Zone gestärkt wurde. Und das Schlimmste war, dass es in Anyas Deck kein Monster gab, das die 3000 Punktemarke knackte. Nicht mal der dämliche [Gem-Knight Zirconia] von Matt! „Elender Mist!“, fauchte sie und riss die oberste Karte von ihrem Deck. „Draw!“ Als sie die neue Karte zu ihrer durch [Kuriboss] gezogenen hinzufügte, erkannte sie ärgerlich, dass sie mit [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Obsidian] keine passende Antwort in den Händen hielt. Bloß konnte sie es sich abschminken, defensiv zu spielen. Der Mechaadler konnte durch die Verteidigung ihrer Monster durchschlagen und das wäre das Ende. „Maaaaan“, schrie sie verzweifelt und raufte sich mit der freien Hand die Haare. „Das ist unfair!“ „Kommst wohl diesmal nicht mit dem Kopf durch die Wand?“, spottete Henry abfällig. „Probiere es doch mit einem deiner Tricks, wie damals bei unserem Rematch. Vielleicht hilft das ja?“ „Noch so'n Spruch, Knochenbruch!“, fauchte Anya mit erhobener Faust und verteidigte sich engstirnig. „So was habe ich gar nicht mehr nötig, weil ich-!“   In diesem Moment ging ihr ein Licht auf: die Karten des Jinns! [Kuriboss] und [Gem-Knight Seraphinite] waren doch nur zwei davon! Wie hatte sie ihr größtes Kaliber bloß vergessen können!?   „Ist ja auch egal“, winkte sie mit einem geheimnisvollen Grinsen ab und richtete sich an Isfanel. Der verharrte als wandelndes Inferno ruhig auf der anderen Spielfeldseite und wartete auf Anyas weitere Vorgehensweise. „Kumpel, an deiner Stelle würde ich schnellstens diesen Körper verlassen und das Weite suchen!“, kündigte Anya mutig an und griff nach ihrem Friedhof. „Denn wenn du es nicht tust, wirst du gleich eine Niederlage im Anya-Style erleben. Und glaub mir, das willst du nicht!“ „Es gibt nichts, was du tun könntest, um mir zu schaden, Anya Bauer“, erwiderte Isfanel allerdings ungerührt. „Ich kenne dich besser als du selbst.“ Anya spürte, wie die Wut in ihr schlagartig hoch kam. „Hör auf zu reden, als wärst du Levrier! Der ist tot!“ „Ich weiß, was er weiß.“ „Gar nichts weißt du!“ Anya biss die Zähne zusammen. Sie durfte sich jetzt nicht verunsichern lassen. „Du … bist nicht er. Und das werde ich dir jetzt beweisen! Ich verbanne von meinem Friedhof [Gem-Knight Tourmaline], um [Gem-Knight Fusion] auf die Hand zu bekommen, welche ich sofort aktiviere!“ Jetzt konnte sie sich für alles rächen, was Levrier und Isfanel ihr angetan hatten, dachte Anya entschlossen und nahm dabei [Gem-Knight Seraphinite] von ihrer Duel Disk, welche daraufhin vom Spielfeld verschwand. Für all das Leid, die Angst, ihren bevorstehenden Tod! Wenn sie schon nicht leben durfte, dann würde sie diesen Scheißkerl mit sich in den Abgrund ziehen! Zusammen mit [Gem-Knight Fusion] und [Gem-Knight Seraphinite] hielt sie ihre anderen beiden Handkarten, [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Obsidian] in die Höhe. Über dem Mädchen entstand ein Wirbel aus dutzenden Edelsteinen, in denen die Abbilder der Monster hineingezogen wurden. Sie war stärker als Levrier und Isfanel! „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht!“ Anya steckte den Arm mit den Karten noch höher in die Luft. „Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Master Diamond]!“ Just in diesem Moment, als ihre drei Monster in den Wirbel gezogen wurden, begann Anyas rechte Hand in violetten Flammen aufzugehen. „Whoa!“, stieß Henry überrascht hervor und beachtete gar nicht, das funkelnde Energiepartikel aus dem Wirbel durch die Luft glitten. Ebenfalls kam wirbelnd ein Breitschwert daraus hervor geschossen und versank einige Meter vor Anya im Kristallboden des Saals. Und während die sieben regenbogenfarbenen Edelsteine, die in der Schneide eingelassen waren, zu leuchten anfingen und damit die funkelnden Partikel anzogen, grinste Anya bösartig.   Das war es – das war der Teil ihres ersten Wunsches an den Jinn, den sie nicht ausgesprochen, sondern nur gedacht hatte. Aber der Kerl hatte ihn tatsächlich erfüllt! Sie hatte sich Karten gewünscht, fünf Stück. Und wo vier von ihnen ganz normale Karten waren, sollte die stärkste von ihnen gleichzeitig auch etwas sein, das ihr Kraft gab. Eine Macht, die nur ihr gehörte und nicht etwa Levrier. Anya nahm ihren Gegner fest ins Visier. Und das war diese Kraft: [Gem-Knight Master Diamond], der mächtigste aller Gem-Knights!   Und dieser entstand nun aus den tanzenden Lichtpartikeln. Erst formte sich der großgewachsene, in silberner Rüstung steckende Körper. Das rote Cape des Kriegers wehte, als er nach seiner, mit Edelsteinen besetzten, Waffe griff, sie aus dem Boden zog und trotz ihrer Größe mit nur einer Hand führen konnte. Mit der freien Hand ballte er eine Faust, in der violette Flammen loderten.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   „Das ist mein stärkstes Monster!“, rief Anya, die dabei mit der Hand Richtung Duel Disk fuhr. „Bestehend aus drei Gem-Knights, wird er sich für seine gefallenen Kameraden rächen! Bevor ich aber dazu komme, beschwöre ich erst dank [Gem-Knight Obsidians] Effekt [Gem-Knight Garnet] vom Friedhof, den -du- zu Beginn des Duells abgeworfen hast!“ In der Zeit, die sie damit verbrachte, den Ritter in bronzefarbener Rüstung aufs Feld zu bringen, staunte Henry beim Anblick von Anyas neuem Fusionsmonster. Denn selbst jetzt schien es auf wundersame Weise mit ihr verbunden zu sein, brannte an den rechten Händen beider die violette Flamme, welche wohl das Symbol ihrer geistigen Fusion sein musste – zumindest erklärte sich Henry das so. Woher hatte sie diese Karte nur!? Schließlich tauchte der andere Ritter neben seinem Kameraden auf und bündelte zwischen seinen Handflächen eine Flammenkugel.   Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   Doch Anya hatte nicht nur Garnet aus dem Friedhof hervor geholt, sondern auch [Gem-Knight Seraphinite], [Gem-Knight Iolite] und [Gem-Knight Obsidian], welche sie Isfanel mit einem finsteren Lächeln vorzeigte. „Guck sie dir gut an, denn jeder von ihnen, den Gefallenen, wird Diamond um 100 Punkte stärker machen!“ Das war es! Damit hatte sie etwas geschaffen, das es mit diesem dämlichen Vogelvieh aufnehmen konnte!   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3200 DEF/2500 (9)]   Die Ritter wieder auf den Friedhof gelegt, hob Anya ihren flammenden Arm über die linke Schulter, bereit, ihn für den Angriffsbefehl auszuschwingen. Dabei kniff sie die Augen fest zusammen. „Das ist die Rache für alles, was ich durchmachen musste wegen euch! [Gem-Knight Master Diamond]! Angriff auf sein Monster mit Shining Wave Breaker!“ Und genau wie sie in diesem Moment den Arm ausschwang, tat es auch ihr Ritter mit seiner Hand, wobei er das Schwert mit der anderen schulterte, um es schließlich weit ausholenden in einer horizontalen Linie zu schwingen. Mitten im Schwung löste sich weißes Licht von der Klinge, welches in seiner Bewegung zu einer handfesten Schockwelle mutierte und unweigerlich auf das Monster von Isfanel zuflog. Dabei splitterte sogar ein Teil des Kristallbodens auf, als die Welle sich ihren Weg bahnte. Gleichzeitig begann der Maschinenadler, die Schwingen zu spreizen, um einen Gegenangriff vorzubereiten.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 → 3000 DEF/1000 (4)]   Doch die Schockwelle war zu schnell für ihn. Jene glitt einfach durch den Rumpf des riesigen Mechaadlers durch und brachte ihn dazu, unter lautem Getöse zu explodieren. „Wenn ein Celestial Gear zerstört wird, kehrt es in mein Blatt zurück“, erklärte Isfanel gerade noch rechtzeitig, während die fallenden Einzelteile seines Monsters sich in weiße Partikel auflösten, die eine Karte formten. Dann wurde er auch schon von der Schockwelle mitgerissen und das Unfassbare geschah. Die weißen Flammen um seinen Körper verzogen sich und gaben Marc Preis, der über das Spielfeld flog und hart auf dem Rücken landete. Dabei hielt er in der Hand [Celestial Gear – Synthetic Eagles] Karte.   [Anya: 1000LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 2000LP → 1800LP]   „Na endl-“, aber Anya brach in ihren Worten ab, als Marc sich langsam erhob. Seine Stirn, da war kein Einschussloch! Es war, als ob er- Doch in diesem Moment wurde seine Haut, seine Kleidung, einfach alles wieder von den weißen Flammen verschlungen und die engelhafte Gestalt, die Isfanel darstellte, war zurück. „Ich hab keine Ahnung, woher du diese Karte hast“, stammelte Henry und starrte Isfanel ebenfalls irritiert an, „aber mit ihr können wir ihn töten! Du hast ihm physischen Schaden zugefügt und das ohne deinen Dämon! Wie hast du-!?“ „Marc könnte noch leben …“, murmelte Anya und betrachtete dabei ihre flammende Hand.   Eigentlich war es logisch! Dämonen können keine Toten kontrollieren! Isfanel musste irgendwie dafür gesorgt haben, dass die Schusswunde geheilt wurde. Vielleicht mit Levriers Hilfe, denn den hatte er absorbiert? Oder … Wenn Levrier ein Gründer war, war dann nicht auch Isfanel einer? Immerhin konnten Gründer ihren Wirt unsterblich machen! Das musste es sein! Und wenn dem so war, gab es noch Hoffnung für Marc!   „Worauf wartest du!?“, hallte da Henrys Stimme an ihr Ohr. Dieser hielt sich die Brust und verzog schmerzverzerrt seine Miene – der Faden, der von seiner Brust in Edens Richtung ging, war nun deutlich gewachsen und sichtbarer. „Wenn du jetzt direkt angreifst, können wir ihn vielleicht töten!“ Anya aber sah herüber zu Valerie, die weit abgeschlagen von ihnen regungslos am Boden lag. Auch bei ihr konnte man gut erkennen, dass der Lichtfaden in ihrer Brust an Intensität zugenommen hatte. Sie würde ihn retten wollen, ging es Anya sofort durch den Kopf. Und dafür notfalls sogar die anderen in Gefahr bringen. Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie von ihr, Anya, Zuspruch dafür erhalten. Aber … „... die Zeiten haben sich geändert. Ich bin nicht Redfield“, murmelte die Blondine und richtete sich an Henry, „du wirst ihr nichts hiervon erzählen, klar?“ Unsicher, was sie damit meinte, nickte er knapp. Es war nicht so, dass Anya angreifen wollte. Aber hier ging es um mehr als nur Marc – um sie alle, oder zumindest um die anderen. Dass Isfanel Marcs Körper freiwillig räumen würde war zu bezweifeln und sie hatten jetzt keine Zeit für waghalsige Experimente. Die Zeit drängte, für jeden von ihnen! Und Marc … sollte eigentlich schon gar nicht mehr hier sein! Wenn er starb, würde Redfield von ihrem Vertrag mit dem Sammler entbunden werden. Oder zumindest ging Anya davon aus. Es war das Beste, wenn er nicht mehr existierte – damit Redfield anfing, sich mit ihren eigentlichen Problemen auseinanderzusetzen. Aber vielleicht war das nur eine Ausrede, gestand sich Anya ein. Und in Wirklichkeit wollte sie einfach nur irgendwie ihre Fehler von damals begradigen. Bloß ging das nicht so, wie sie es sich wünschte. Dieser Zug war längst abgefahren.   „Tch, wieso muss ich eigentlich für diese dämliche Ziege entscheiden!?“, rümpfte Anya wütend die Nase und wandte sich wieder dem Duell zu. „Fein! Also hältst du nun wegen Marc dicht, Henry?“ „J-ja. Hast du mich etwa gerade beim Namen gena-“ Anya jedoch streckte schon längst die flammende Hand aus. „Diamond, übertrag deine Kräfte auf Garnet!“ Sofort schwang der Krieger seinen Arm aus und schleuderte die violette Flamme in seiner Faust in die Flamme, die Garnet mit seinen eigenen Händen geschaffen hatte. Jene verfärbte sich daraufhin ebenso violett. Das Mädchen hatte an alles gedacht. Auch daran, dass Diamond seine Macht übertragen konnte, damit notfalls sogar ihre anderen Monster realen Schaden zufügen konnte. Alles für den Kampf gegen Levrier! „Also dann“, rief sie und zeigte auf Isfanel, „sprich dein Gebet, Mistkerl! [Gem-Knight Garnet], beende dieses dämliche Duell endlich! Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! LOS!“ Der Ritter des Granats schleuderte seine neue Flamme in die Richtung des Wesens, das Marc in Beschlag nahm. Jedoch hallte im selben Augenblick ein Fingerschnippen durch den Saal und die linke Fallenkarte Isfanels sprang auf. „Gegenwirkung: [Synthetic Gear Recycling]. Ein verbanntes Celestial Gear wird mit halbierten Werten auf meine Spielfeldseite beschworen und kann nicht mehr im Kampf zerstört werden. Dafür zieht mein Gegner eine Karte.“ Anya stieß einen wütenden, gleichwohl auch überrumpelten Schrei aus, als die Flamme mitten in der Luft verpuffte und sich um Isfanel der mechanische Riesenalbatros erhob. Seine Oberfläche schimmerte wie gewohnt rötlich und durchsichtig, gab Blick auf die Zahnräder im Inneren preis.   Celestial Gear – Synthetic Albatross [ATK/500 → 250 DEF/0 → 0 (4)]   „Kch, das gibt es doch nicht!“, fluchte Anya und zog nebenbei eine Karte, die sie mit einem noch wütenderem Fauchen zur Kenntnis nahm. „So nah dran!“ Aber war das wirklich schlecht? Immerhin war sie jetzt nicht diejenige, die Marc womöglich ein zweites Mal getötet hatte. Andererseits: Isfanel war gefährlich und musste so schnell wie möglich aufgehalten werden, ehe- „Urgh!“ Vom aufkommenden Schmerz in ihrer Brust gepackt, knickte Anya ein und fiel auf die Knie. Sich die schmerzende Stelle mit der flammenden Hand haltend, stöhnte sie ärgerlich. „So ein Mist!“ Sie hatten nicht mehr viel Zeit! Warum beeilte sich diese Melinda nicht ein wenig mit ihrem dämlichen Plan!?   Henry, welcher den Zustand des Mädchens mit Sorge beobachtete, dachte Ähnliches. Wenn seine Schwester sich nicht ins Zeug legte, würden sie schon bald vom Tor Edens absorbiert werden. Der brünette Kerl blickte skeptisch herüber zu Isfanel, welcher immer noch unbesorgt schien – ein Zeichen, dass sie noch etwas Zeit hatten. Aber wer wusste schon, wie viel? Ihm war zudem klar gewesen, dass Isfanel nicht so leicht zu besiegen sein würde. Aber mit Anyas neuem Monster hatten sie eine Chance! Seine Macht war unglaublich!   „Ich übernehme“, entschied er schließlich, nachdem Anya nicht die Anstalten machte, noch irgendetwas mit ihrem Zug anzufangen. „Draw!“ Es gab nur ein großes Problem: wie wurden sie jetzt dieses Monster los? Es war im Kampf unzerstörbar und wenn es auf dem Feld blieb, würde nächste Runde [Celestial Gear – Synthetic Eagle] erneut die Bühne betreten – und dann fingen die Probleme von vorne an! Zögerlich betrachtete er die gezogene Zauberkarte und flüsterte unschlüssig: „[Mythril Chain] … ?“ Diese Karte war unglaublich nützlich, aber auch sehr gefährlich! Sie konnte jedes Xyz-Material ersetzen, halbierte dafür aber die Kraft des beschworenen Xyz-Monsters. Jenes konnte im Gegenzug direkt angreifen – damit könnte er den Albatros umgehen! Aber wenn [Mythril Chain] als Xyz-Material auf dem Friedhof landete, würde ihr Besitzer am Ende des Zuges satte 3000 Lebenspunkte verlieren. Und die hatte er nicht mehr. Allerdings war die Entscheidung für Henry nicht sehr schwer, denn eine andere Wahl als diese Karte auszuspielen hatte er ohnehin nicht. Damit konnte er zumindest das Duell vorantreiben. Zudem war da noch … „Okay! Ich aktiviere den permanenten Zauber [Mythril Chain]! Damit ersetze ich ein Xyz-Material und erschaffe nun das Overlay Network!“ Mitten im Spielfeld öffnete sich ein schwarzes Loch, welches zuerst Henrys Vögelchen [Gusto Falco] als grünen Lichtstrahl einsaugte, ehe dann aus seiner Zauberkarte eine blausilberne Kette erschien, die ebenfalls in dem Wirbel verschwand. „Aus meinem Stufe 2-Monster und [Mythril Chain] wird ein Rang 2-Monster! Xyz-Summon! Erscheine, [Daigusto Phoenix]!“ Als der federlose, gelbbraune Vogel aus dem Wirbel heraustrat, fiel Henry etwas Ungewöhnliches auf. Womit nicht die Kette gemeint war, die um den Körper seines Monsters gewickelt war oder etwa die einzelne, grüne Sphäre, die um es kreiste. Nein, es war die Tatsache, dass das Mal an seinem Arm nicht kribbelte oder leuchtete. Und während Henry damit beschäftigt war, unter dem weggeschobenem Ärmel seines Trenchcoats das Mal zu betrachten, begannen Flügel und Schopf seines Monsters in smaragdfarbenen Flammen aufzugehen. Es gab einen gequälten Schrei von sich und wurde vom Gewicht der Kette auf den Boden gezogen.   Daigusto Phoenix [ATK/1500 → 750 DEF/1100 {2}]   „Also gehört dieses Ding dir!“, stellte Anya staunend fest, als sie [Daigusto Phoenix] erblickte. Schon im Duell mit dem Sammlerdämon war ihr dieses Monster begegnet, doch damals wusste sie nicht, wessen Paktkarte das war. „Du kennst es?“ Henry zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Ist jetzt egal! Wir müssen diesen Typen besiegen!“ „Richtig …“ Der junge Mann nahm Isfanel ins Visier und kniff die Augenlider zusammen. Da Melinda offensichtlich vorhatte, alle Anwesenden zu retten, würde er ihr dabei so gut es ging unter die Arme greifen. Und mit seinem Paktmonster konnte er das! Behände griff er sich [Gusto Falco], dessen Karte unter [Daigusto Phoenix] lag und riss sie hervor. Daraufhin schnappte sein Phönix nach der einzelnen, grünen Lichtsphäre, die um ihn kreiste und schluckte sie hinunter. „Wie du sicher weißt, kann ich durch das Abhängen eines Xyz-Materials von [Daigusto Phoenix] ein Wind-Monster in diesem Zug zweimal angreifen lassen! Und wie du sicherlich ebenfalls weißt, kann ein Xyz-Monster unter Einfluss von [Mythril Chain] direkt angreifen! Also mach dich auf was gefasst! Doppelter Direktangriff! Flame Of Life!“ Isfanel reagierte jedoch gar nicht, als der Phönix auf der anderen Seite des Spielfelds in seinem Schnabel eine smaragdgrüne Flamme hervorwürgte und sie in Form eines Feuerballs auf ihn abfeuerte. Doch nicht nur eine, gleich zwei davon kamen direkt auf das weiß lodernde Wesen zu. Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, hob Isfanel den rechten Arm an und ließ die Kugel daran abprallen.   [Anya: 1000LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 1800LP → 300LP]   „Yeah!“, jauchzte Anya und machte eine siegessichere Geste mit ihrer Faust. „Er ist so gut wie am Ende! Wir haben es fast geschafft!“ Henry jedoch blinzelte verdutzt. Die Flammen seines Phönix' hatten keinerlei körperliche Wunden zugefügt, obwohl sie das, genau wie Anyas [Gem-Knight Master Diamond], hätten tun müssen. „Ich dachte ja fast, du wärst nutzlos, aber-!“ Er unterbrach jedoch das triumphierende Geplapper seiner Partnerin unwirsch. „Noch haben wir nicht gewonnen! Das Blatt kann sich schnell wieder wenden, vergiss das nicht! Zug beendet!“ Ihm war nicht wohl bei der Sache. Dass Isfanel so gelassen blieb, verhieß gewiss nichts Gutes. Noch dazu hatte er ein verdammt schwaches Monster auf dem Feld. Hoffentlich ging sein Plan auf!   „Dann ist es nun mein Zug. Draw“, kündigte Isfanel an und zog von seiner abstrakt langen Duel Disk eine Karte, welche er kurz betrachtete. Dann wandte er sich seinen Gegnern zu. „Indem ich ein offenes Monster verbanne, kann ich [Celestial Gear – Synthetic Eagle] sowohl als Rückbeschwörung, als auch als Spezialbeschwörung in Einem aufs Feld rufen. Dabei nimmt er die Stufe des verbannten Monsters an.“ „Dacht' ich's mir doch!“, rief Henry ärgerlich. Schon löste sich der Albatros, wie schon zuvor, in hellblaue Lichtpartikel auf, die sich zu größeren Punkten verbanden. Jene zeichneten dann mit blauen Linien den Mechanikadler, welcher kurz darauf in seiner gewaltigen Größe das Spielfeld betrat.   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 DEF/1000 (5 → 4)]   Isfanel, der zwischen den Beinen des Monstrums stand, streckte den flammenden Arm aus. „Nun wirkt der Effekt meines Monsters, da es als Rückbeschwörung gerufen wurde. Nur einmal während des Duells annulliert es die Effekte aller gegnerischen Monster auf dem Spielfeld und im Friedhof!“ Anya fiel aus allen Wolken, genau wie ihre Kinnlade. „Was!?“ Die Augen des Adlers begannen rot aufzuleuchten, bis in regelmäßigen Abständen kaum sichtbare Wellen von ihnen ausgingen. Anyas Ritter gingen, kaum wurden sie von ihnen getroffen, in die Knie. Auch Henrys Phönix sank kraftlos in sich zusammen.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/3200 → 2900 DEF/2500 (9)]   Erschrocken bemerkte das Mädchen, wie die violette Flamme an ihrer Hand unruhig zu flackern begann. Indes verkündete Isfanel: „Nun erfolgt meine Normalbeschwörung. Ich rufe [Celestial Gear – Synthetic Owl].“ Links vom Adler begannen braune Lichtsphären in der Luft aufzuleuchten. Mit geschwungenen Linien verlinkten sie sich miteinander und zeichneten eine massive Mechanikeule. Wie bei ihren Geschwistern, war das Innere einsehbar durch eine braune Lichtschicht.   Celestial Gear – Synthetic Owl [ATK/1000 DEF/1100 (4)]   „Noch so eins!“, presste Anya ärgerlich hervor. Das alles gefiel ihr überhaupt nicht! Ihr Gegner jedoch schwang bereits den Arm aus. „Nun ist es Zeit, dass unsere Wege sich trennen. Die Fehler der Vergangenheit werden sich nicht wiederholen. Anya Bauer … leb wohl.“ Zu verdutzt, um etwas zu erwidern, sah die Blondine ihre Gegner fassungslos an. Dieser zeigte auf ihren [Gem-Knight Garnet] und sprach: „[Celestial Gear – Synthetic Eagle], greife ihr Monster an! Und mit der Kraft der verbannten Zauberkarte [Banished Power Gear] steigt seine Macht um 500 Angriffspunkte! Das ist das Ende! Celestial Stormburst!“ Das war es wirklich, erkannte das Mädchen, während der Mechanikadler bereits seine Schwingen spreizte. Sie hatte nur 1000 Lebenspunkte, welche den Kampfschaden nicht abdecken konnten! Sie würde … sterben!   Celestial Gear – Synthetic Eagle [ATK/2500 → 3000 DEF/1000 (4)]   „Anya!“, schrie Henry panisch. Gleichzeitig erzeugte Isfanels Monster zwei funkelnde Tornados, die sich ihren Weg in Anyas Richtung bahnten. Doch das Mädchen bekam es kaum mit. Sie würde gleich sterben! Im Limbus landen, für immer allein sein! Warum hatte sie das nicht kommen sehen? Warum hatte sie das Duell nicht in ihrem letzten Zug gewinnen können!? Plötzlich weiteten sich ihre Augen und einem Impuls nachgebend, schwang sie die violett brennende Hand aus, als würde sie Schmutz in der Luft wegwischen. „Move!“ Ihr bellender Ausruf hatte zur Folge, dass die Zwillingstornados nicht mehr ihren Garnet, sondern plötzlich [Gem-Knight Master Diamond] anzielten. Dieser, in seiner knienden Haltung, verneigte sich mit auf der Brust liegender Hand, ehe er von dem Sturm zerfetzt wurde. Anya wurde ebenfalls von den Sturmwinden getroffen und durch die Luft geschleudert, was einen harten Aufschlag nach sich zog. Und während das Mädchen der Länge nach auf dem Boden lag, erlosch das Feuer an ihrer Hand.   [Anya: 1000LP → 900LP Henry: 1000LP //// Isfanel: 300LP]   „Unmöglich!“ Es war das erste Mal, dass Isfanel eine derart emotionale Regung zeigte. „Wie kann das sein!? Mein Ziel war [Gem-Knight Garnet]!“ Stöhnend stemmte sich die Blondine mit den Händen vom Kristallboden ab und bemerkte, dass die Flamme erloschen war. „Huh!?“ „W-wie hast du das angestellt!?“, wunderte sich auch Henry lauthals über das, was eben geschehen war. „Du hättest-! Du solltest-!“ Das Mädchen sah zu ihm blinzelnd herüber. „Was gemacht?“ „D-du hast den Angriff einfach umgelenkt!“ „Ach wirklich? Cool!“ Langsam erhob Anya sich und presste stöhnend die Hand auf ihre Hüfte, welche fürchterlich schmerzte. „Verdammt, bin ich gut!“   Indes grübelte Henry hitzig. Es war unmöglich, dass sie das Ziel des Angriffs durch einen Karteneffekt verändert hatte! Sie besaß keine verdeckten Karten und ihre Monster konnten deren Effekte nicht einsetzen – [Gem Knight Garnet] besaß ja nicht einmal einen! Außerdem hatte sich ihr Diamantenritter nicht einfach in den Weg gestellt, nein, sie selbst hatte das Ziel bestimmt. War das etwa auch ein Teil ihrer Kraft?   „Selbst wenn du das Schicksal eben verändert hast, werdet ihr nicht siegreich sein!“, verkündete Isfanel nun deutlich aufgebrachter als zuvor während des Duells und zeigte auf Henry. „Seht! Der Effekt der verbannten Zauberkarte [Gears Forward] aktiviert sich nun. Wenn ein Celestial Gear Kampfschaden zufügt, vermag ich pro Zug einmal das schwächste Monster in Angriffsposition meines Gegners zu vernichten! Werdet Zeuge, wie ich die Paktkarte [Daigusto Phoenix] vernichte!“ Nun war es an Henry, erschrocken die Augen zu weiten. Wenn sein Monster verloren ging, würde ihn der Effekt von [Mythril Chain] in der End Phase treffen – sofern er nicht schon vorher außer Gefecht gesetzt wurde! Er musste das verhindern, unbedingt! Und wusste auch schon wie! Sich nicht von den dutzenden Zahnrädern verunsichern lassend, die um ihn und seinen Feuervogel herum erschienen, streckte er den Arm aus. „Da habe ich aber noch ein Wörtchen mitzureden! Du sagtest Angriffsposition? Das lässt sich ganz schnell ändern! Werde du Zeuge, wie ich deine eigene Waffe gegen dich verwende! Ich rekonstruiere das Overlay Network!“ Dann winkelte er den Arm an, schob den Ärmel seiner Jacke beiseite und präsentierte sein verwaschenes, hellgrünes Mal. „Aus meinem Rang 2-Monster wird ein neues Rang 2-Monster! Erscheine, [Eternal Daigusto – Jade Phoenix] … im Verteidigungsmodus!“ Unter seinem flammenden Vogel öffnete sich ein schwarzer Schlund, welcher das Tier langsam in sich auf sog. Schwarze und grüne Blitze schlugen daraus empor. „Damit entkomme ich dem Effekt von [Gears Forward]“, erklärte Henry und sah aus den Augenwinkeln herüber zu Anya. „Stattdessen trifft es jetzt [Gem-Knight Garnet], da er das schwächste Monster in Angriffsposition von uns ist.“ Als die Blondine das vernahm, wich sie einen Schritt zurück. „D-dann bin ich ungeschützt! Spinnst du!?“ „Mag sein, aber dadurch haben wir eine Chance!“, rechtfertigte sich Henry wild gestikulierend. „Ich kann mit Jade Phoenix direkt angreifen, verstehst du!? Außerdem ist er bei Weitem nicht so leicht zu knacken wie andere Monster, dank seines Incarnation-Status!“ Anya jedoch konnte es nicht fassen und schüttelte ungläubig den Kopf. „Du Scheißkerl willst mich opfern, um deinen Arsch zu retten! Du verdammter-!“ Wütend stampfte Henry auf. „Du bist wirklich die Falsche, irgendwelche Anschuldigungen zu machen! Wer war es, der uns überhaupt in diese Lage gebracht hat, huh!?“ „Die, die dir gleich ein Ticket in die Hölle spendieren wird, du widerlicher-!“   Allerdings wurde ihre Streiterei abrupt unterbrochen, als [Daigusto Phoenix] wieder aus dem schwarzen Loch geflogen kam. Der Phönix flatterte hilflos im Kreis und kreischte dabei, ehe der Wirbel sich unter ihm wieder schloss. „W-was!?“, stammelte Henry erschrocken. „I-ich habe doch reinkarniert, wieso-!?“ „Das ist zwecklos. Entsinne dich“, erklärte Isfanel seelenruhig und hob seinen Arm, zeigte auf den Phönix. „Das Inkarnieren im Gegnerzug ist ein verborgener Effekt eines Paktmonsters. Und dieser wurde durch [Celestial Gear – Synthetic Eagle] annulliert.“ Fassungslos legte Henry seinen Kopf in den Nacken und starrte den riesigen Mechanikadler an. Und erinnerte sich dabei an das Duell mit Melinda in der Kanalisation – er hatte dieselbe Strategie verfolgt, um eine Inkarnation zu verhindern! Wie hatte er das nicht beachten können!? „Und noch etwas. Ihr als Gefäße seid nicht in der Lage, auf unsere Macht zuzugreifen. Selbst wenn wir verbunden sind, gar eins sind, könnt ihr niemals hoffen, ohne unsere Hilfe die volle Kraft des Paktes zu entfalten.“ Isfanel ballte vor ihm eine Faust, als würde er damit Henrys Hoffnungen zerquetschen wollen. „Du hattest nie eine Chance.“ Noch während der das sagte, umringten die Zahnräder Henrys [Daigusto Phoenix] und zermahlten ihn in einer schnellen Bewegung zu nichts als Asche. „Eins … nie eine … Chance?“   Der junge Mann sackte fassungslos auf die Knie. Statt Anya war er es nun, der völlig ungeschützt dastand. Der Effekt von [Mythril Chain] würde ihn unweigerlich treffen. Es war vorbei. Anya, die das Ganze nicht weniger perplex mitverfolgte, fand schließlich ihre Stimme wieder und sah majestätisch auf Henry herab. „... geschieht dir recht! Ein Tipp für die Zukunft: leg dich nie mit Anya Bauer an! Und noch was! Bleib am Leben für Molly, wenn's geht! Mit dem werd' ich schon irgendwie klar kommen!“ Wie gelähmt sah er zu dem Mädchen herüber. Sie würde wirklich weiterkämpfen!? Obwohl sie eins mit dem Gründer war, Edens Dienerin, seine Feindin!? Plötzlich realisierte Henry etwas. „Anya! Du-!“ „Direkter Angriff auf seine Lebenspunkte, [Celestial Gear – Synthetic Owl]. Celestial Nightburst!“   Celestial Gear – Synthetic Owl [ATK/1000 → 1500 DEF/1100 (4)]   Überrascht von Isfanels Ausruf, verstummte Henry und sah panisch zur riesigen Mechanikeule. Diese öffnete ihren kurzen Schnabel, gab ein hohles Uhu von sich, ehe sie einen schwarzvioletten Laserstrahl auf Henry abschoss. Jener drehte sich schnell wieder zu Anya um, wissend, dass er nur noch wenige Herzschläge für seine Botschaft hatte: „Deine Kräfte sind nicht-!“ Doch der Einschlag kam zu schnell für ihn. Seine Partnerin kreischte erschrocken, als Henry in einer dunklen Explosion unterging. Sein Körper wirbelte meterweit durch die Luft. Dabei schloss er die Augen und sprach ein zerstreutes Gebet, ehe er unweit von Valerie aufkam. Es knackte laut, dann blieb er regungslos liegen.   [Anya: 900LP Henry: 1000LP → 0LP //// Isfanel: 300LP → 1800LP]   Mit offenem Mund betrachtete Anya Henrys Körper sprachlos. Sie ignorierte auch die Tatsache, dass weiße Zahnräder um Isfanel erschienen und sich wild gegen den Uhrzeigersinn zu drehen begannen. „Einmal pro Zug, dank des Effekts der verbannten Zauberkarte [Gear Backwards] werden meine Lebenspunkte um den Kampfschaden erhöht, den ein Celestial Gear zugefügt hat.“ Perplex wandte sich das Mädchen ihm zu und sah ihn in einer Mischung aus Furcht und Abscheu an. Sie wusste nicht einmal, ob Henry den Fall überlebt hatte! Und auch wenn er ein ausgemachter Idiot war, hatte sie das zu verantworten. „Nun sind es nur noch wir beide“, sprach Isfanel, „ich hatte nicht geplant, diese Konversation zu führen, aber du als Edens Sklavin solltest wissen, was Eden ist. Und wieso es nicht geöffnet werden darf.“ Das Mädchen brauchte einen Moment, ehe sie wieder auf der Höhe war. „Und damit fängst du jetzt an!? Wo es zu spät ist und du schon zwei meiner Freunde umgenietet hast!? Wer bist du überhaupt!? Du bist nicht Levrier, aber auch nicht dieser irre Isfanel, den ich kennengelernt habe! Warum ist es soweit gekommen, dass wir uns hier gegenüberstehen, wenn du nie wolltest, dass dieses beknackte Eden-Tor geöffnet wird!?“ Es sprudelte einfach aus ihr heraus. Die Verzweiflung, die Angst, der Schmerz um all das, was geschehen war. „Alles war sinnlos! Irgendwie wollte ich dir, ich meine Levrier helfen, andererseits wollte ich nicht im Limbus enden! Warum hat er-“ „Levrier ist nicht das geworden, was ich mir vorgestellt habe“, unterbrach Isfanel sie. „Wie du weißt, ist er kein eigenständiges Wesen, sondern nur einer meiner Abkömmlinge. Ich habe ihn aus dem einzigen Zweck erschaffen, ein passendes Gefäß zu finden, um Edens Erwachen zu verhindern.“ Sein Gegenüber schüttelte vehement den Kopf, hob wütend die Hände über den Kopf. „Dann hast du versagt, du verdammter Idiot! Er wollte Eden erwecken!“ „Ich weiß“, erwiderte Isfanel und schwang den linken Arm in ebenjene Richtung, „und das alles ist sein Werk.“   Anya folgte der Richtung und erkannte, dass der flammende Dämon auf Another zeigte, welcher gerade mit [Vylon Disigma] ein kleines Insektenmonster von Matt absorbierte. Perplex wandte sie sich wieder an Isfanel. „Sprich Klartext, 'kay!?“ „Ich, Isfanel, bin seit Jahrtausenden der Wächter des Turms von Neo Babylon, dem Sitz des Tores Eden“, erklärte jener ruhig und ließ den Arm sinken. „Doch vor vielen Jahrhunderten entfachte ein Kampf zwischen mir und, wie er sich heute nennt, Another. Sein Ziel war es, das Tor für seine Zwecke zu öffnen.“ „Soweit komm ich mit“, brummte Anya.   Ihr Herz klopfte wild. Im Grunde interessierte sie die Geschichte nicht im Geringsten, jetzt, wo sie alles hinausgelassen hatte, was ihr auf dem Gemüt lag. Oder vielleicht doch ein kleines Bisschen. Viel wichtiger war aber die Zeit, die sie damit schinden konnte. Diese dämliche Melinda sollte sich bloß beeilen! Vielleicht lebten Redfield und das Schnöselkind ja noch? Sie mussten, sonst war alles sinnlos!   „Das Schicksal wollte, dass Another als Sieger aus diesem Kampf hervor trat. Mit meiner letzten Kraft erschuf ich den Abkömmling Levrier, um mithilfe eines Gefäßes einen Soldaten zu erschaffen, der Another besiegen konnte.“ Langsam hob Anya den Daumen und zeigte auf sich. „Etwa mich?“ „Ich weiß es nicht, denn Anothers Magie hat sowohl meinen, als auch Levriers Verstand manipuliert. Er riss mein Bewusstseins entzwei, verfälschte beide Teile und pflanzte eines der Fragmente in Levrier ein.“ Isfanel verschränkte die Arme. „Alles zu dem Zweck, eines Tages Eden zu erwecken. Während ich den größten Teil meiner Erinnerungen verlor, wusste ich noch um meine Bestimmung, Edens Erwachen zu verhindern. Dennoch war ich ein instabiles Wesen. Was du jetzt siehst, ist meine vollständige Form.“ „Tch, das klingt so beschissen, dass ich gar nicht so viel essen kann, wie ich kotzen will!“, lautete Anyas galliger Kommentar dazu. „An deiner Stelle würde ich mich an ihm rächen, nicht an uns! Mach doch den scheiß Turm kaputt, da helf' ich dir sogar bei!“ Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf. „Unmöglich, der Turm darf nicht fallen.“ „Und was ist so schlimm daran, wenn Eden geöffnet wird?“ Keine Antwort. Anya stöhnte genervt. Sie wollte nicht hier sein und mit diesem Typen Smalltalk halten. Einfach nur zuhause in ihrem Bett liegen und sich ausruhen, das wollte sie. Alles war seine Schuld! „Was kann denn so schlimm sein, ein blödes Tor zu öffnen!? Sag's mir!“   Isfanel machte eine kurze Pause, ehe er antwortete. „Wegen der Möglichkeiten, die es bietet.“ „Möglichkeiten?“ „Ich werde nicht ins Detail gehen. Wisse, dass es nicht nur ein Tor gibt. Wir, die wir vor Jahrtausenden diese Welt betreten haben, kamen durch Eden.“ Um das zu verdeutlichen, zeigte er in Richtung des Tores über den Thron. „Und um eure Welt zu schützen, erschufen wir den Turm von Neo Babylon, der in einem festgelegten Zyklus und nur unter ganz bestimmten Umständen erscheint. Nur unsereins kennt diesen Zyklus.“ Anya verdrehte genervt die Augen und fuchtelte unwirsch mit den Händen. „Das beantwortet meine Frage nicht, Dummkopf!“ „Wir lebten seither unter den Mensch und berichteten einer Handvoll von ihnen das, was wir auf der anderen Seite unseres Tores erlebt haben – wodurch ein Plan gefasst wurde.“ Isfanel ließ den Arm wieder sinken. „Der Plan einiger weniger Menschen, eure Welt für immer zu verlassen. Sie nennen sich bis heute die Allerheiligsten.“ Sofort fiel Anya auf, dass ihr dieser Name bekannt vorkam. Es dauerte einen Moment, ehe sie endlich raffte, wo sie ihn schon mal gehört hatte. „Was!? Die aus dem Spinnerbuch!?“ „Die heilige Stadt Eden, die verborgen hinter den Toren wartet, existiert wirklich. Sie ist eine Festung, die errichtet wurde, um sich gegen den 'wahren Feind' zu wappnen. Und während ich und einige wenige meiner Art hier blieben, um eines Tages erneut das Tor zu öffnen, gingen die meisten von uns mit diesen Menschen.“ Isfanel sah wieder zum Tor herüber. „Doch die hier Verbliebenen entschieden sich, das Tor nie wieder zu öffnen, um dem 'wahren Feind' den Einlass zu verweigern.“ „Schön und gut, ich kapiere nur Bahnhof! Was zur Hölle ist der 'wahre Feind'!?“, fauchte Anya den Wächter Edens aufgebracht an. „Ich dachte, Another ist unser Feind!?“ „Er tut nur das, was er für das Richtige hält. Aber ich habe bereits genug über die Vergangenheit gesprochen. Die Gegenwart und die Zukunft sind, was beschützt werden muss.“   Schlagartig streckte er beide Arme aus und spreizte die Finger dabei weit auseinander. „Doch genug davon! In meinem Besitz befinden sich das Stufe 4-Empfänger-Monster [Celestial Gear – Synthetic Owl] und das Stufe 4-Nicht-Empfänger-Monster [Celestial Gear – Synthetic Eagle].“ Anya stieß erschrocken hervor: „Oh crap, 'ne Synchro!“ „Ich erschaffe das Overlay Network!“ „Huh!?“ Zu Anyas Überraschung verwandelten sich die beiden mechanischen Riesenvögel in gelbe Lichtstrahlen, die von einem bunten Wirbel absorbiert wurden, welcher sich mitten im Spielfeld öffnete. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Anya wollte gerade einen bissigen Kommentar dazu abgeben, da geschah etwas Ungewöhnliches. Aus dem Lichtwirbel heraus trat kein Monster, sondern vier grün leuchtende Sphären. Gleichzeitig legten sich um den Wirbel eine selbe Anzahl von gleichfarbigen Ringen. „Jetzt“, rief Isfanel laut, „Incarnation Fork Summon! Ich stimme die für die Xyz-Beschwörung genutzten Materialien aufeinander ein! White light creates the path to supremacy! Divine arises!“ „Was zur Hölle wird das!?“, schrie Anya geblendet von dem Licht, das aus dem Wirbel trat. „Xyz-Summon, Herald of Salvation, [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale]! Synchro Summon, Herald of Damnation, [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk]! Arise!“ Ein greller Blitz schoss durch den bunten Strom und ging durch die Sphären hindurch. Anya gab einen erschrockenen Schrei von sich, als eine Schockwelle aus dem Overlay Network sie beinahe von den Füßen riss. Zuvor geblendet, wagte sie es, die Lider langsam zu öffnen – und erstarrte. Vor Isfanel flogen zwei gewaltige Mechavögel in der Luft. Beide waren mit einer weißen Panzerung bedeckt und anders als bei ihren Artgenossen, konnte man nur an Flügeln und Beinen in das Innere sehen. Der linke Vogel war von schlanker Figur. Eine violette Aura umhüllte ihn, wie er seine weiten Schwingen schützend vor sich hielt, wobei zwei goldene Sphären um ihn kreisten. Der andere war wesentlich größer und kräftiger, umhüllt von orangefarbener Aura und erzeugte mit seinem beständigen Flügelschlag jedes Mal kleine Druckwellen. Kugelrunde, pupillenlose Augen fixierten sich auf Anya – beide Vögel starrten sie an.   Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale [ATK/2400 DEF/2600 {4}] Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk [ATK/2600 DEF/2400 (8)]   „Kneif mich bitte jemand“, stammelte Anya im Angesicht der beiden Monster. „Das ist die wahre Stärke einer Paktkarte“, erklärte Isfanel ungerührt, „mit der Kraft von [Celestial Gear – Synthetic Armored Nightingale] war es mir möglich, mit ihrem Xyz-Material die Synchrobeschwörung eines dazu passenden Synchromonsters zu simulieren, dem Stufe 8 [Celestial Gear – Synthetic Armored Hawk]. Jedoch kann ich dafür Nightingales Effekt nicht aktivieren in diesem Zug. Deshalb beende ich jenen nun.“   Anya stand jedoch der Mund offen. Dieser Typ hatte nicht ein, sondern gleich zwei Paktmonster und das noch von diesem Kaliber aufs Feld gebracht!? Wie sollte sie an denen jemals vorbeikommen, sie besaß schließlich nur [Gem-Knight Garnet] und eine lausige Handkarte! Allein der Anblick dieser beiden Viecher jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Wenn die nur halb so gut waren, wie Isfanels bisherige Monster, saß sie mächtig in der Tinte! Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte dieser: „An diesen beiden Monstern gibt es kein Vorbei für dich, Anya Bauer. Ich empfinde Mitleid dafür, dass das Schicksal dich betrogen hat, doch kann ich darauf keine Rücksicht nehmen. Dein Tod ist besiegelt.“ Und gerade wollte Anya in ihrer Panik etwas Patziges darauf antworten, da hörte sie einen Schrei und wirbelte in Matts Richtung. Sie sah nur noch, wie er in einer Explosion, ausgelöst durch [Vylon Disigmas] Speer, unterging. „Matt!“     Turn 34 – Another's Mind Gerade so dem Tod entkommen, gibt Matt sein Bestes, um Anothers Fängen zu entkommen. Dieser enthüllt endlich seine Absichten und sorgt damit dafür, dass Matt zu zweifeln beginnt. Gleichzeitig setzt er ihn durch die Inkarnation von Alastairs Paktmonster, [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma] heftig unter Druck. Aber auch Anya muss sich, nun ganz allein, gegen den übermächtigen Isfanel behaupten, welcher mit jedem Zug seinen vorherigen überbietet … Kapitel 34: Turn 34 - Another's Mind ------------------------------------ Turn 34 – Another's Mind     „Wo … bin ich?“ Matt öffnete langsam die Augen und erschrak. Er schwebte durch eine Art … Tunnel? Oder eher eine Röhre. Ihre Wände leuchteten in bunten Farben, vornehmlich gelb und pink. „Was ist das?“   Der Pfad, durch den wir einst gekommen sind.   „Another!“ Nun erinnerte sich Matt. Im Kristallsaal, sie hatten gekämpft. „Was ist das hier!?“   Eine Vision, die ich dir zeige. Du hast nach meinen Absichten gefragt.   Matt indes überlegte fieberhaft. Das Duell, er hatte gekämpft und verloren – nein, hatte er noch nicht! [Vylon Disigmas] Angriff hatte ihn zwar getroffen, aber … „Warum zeigst du mir das jetzt? Hast du deine Meinung geändert?“   In der Tat. Vielleicht, wenn ich von Anfang an aufrichtiger gewesen wäre, hätten sich die Dinge anders entwickelt. Aber ich habe keine Wahl gehabt und bereue nichts.   Matt drehte sich einmal um die eigene Achse, doch flog er weiter durch diesen scheinbar niemals endenden Tunnel. „Du sagtest, man würde dir niemals freiwillig helfen. Warum?“ Er musste irgendwie einen Ausweg finden, dachte der Dämonenjäger dabei. Aus dem Elysion, denn vermutlich befand er sich gerade in ebendiesem.   Du weißt, dass fünf menschliche Opfer plus ein Gründerindividuum gebraucht werden, um das Tor zu öffnen. Wir, die wir keine eigenen Körper besitzen, können es nicht allein öffnen. Das war eine Abmachung, die wir einst mit den Menschen getroffen haben, die diese Welt für immer verließen.   Matt blinzelte verdutzt, als es in eine Kurve ging. Wohin führte dieser Tunnel ihn? „Abmachung?“   Die Dinge hatten sich jedoch nach ihrem Fortgang verändert. Es war angedacht, das Tor noch ein einziges Mal zu öffnen, damit …   „Damit?“ Auch der Rest der Menschheit flüchten kann.   In diesem Augenblick kam Matt ein grelles, blendendes Licht entgegen. Er schrie auf, hielt sich die Arme vor das Gesicht und doch fühlte es sich an, als würde er erblinden. Ruckartig wurde er nach vorn geschleudert, fand mit den Füßen Halt und stolperte vorwärts, ehe er einbrach und auf die Knie fiel. „Argh!“ Blinzelnd öffnete er die Augen – und staunte.   Er lag inmitten einer prächtigen Blumenwiese. In den verschiedensten Farben erstreckte diese sich bis an den Horizont, welcher Ausblick auf riesige Berge gab. Was Matt jedoch so erstaunte waren die fremdartigen Blumen selbst, denn einige leuchteten von innen heraus, während andere gar bizarre Formen besaßen. Das war aber noch nicht alles, denn mitten in der Luft schwebten überall um ihn herum kleine, funkelnde Partikel.   Langsam raffte der junge Mann sich auf und bestaunte die ihm fremde Welt. „Was ist das hier?“ „Das, was an einem der Enden des Nexus liegen könnte.“ Überrascht wirbelte der Dämonenjäger herum und stand sich selbst gegenüber. Beziehungsweise Another, der sein Abbild perfekt imitiert hatte. „Nexus?“, wiederholte Matt skeptisch. Another trat neben ihn und nickte. „Das, was zwischen den Toren liegt, wird als Nexus bezeichnet. Tore wie Eden, die in jeder Welt zu finden sind, gewähren Zugang zum Nexus. Einem Ort, mit dem man überall hinreisen kann – wenn man weiß wie, heißt es.“ Überrascht von so vielen Informationen wich der Schwarzhaarige zurück von seinem Ebenbild. „Toren!? Es gibt mehrere!?“ „In jeder Welt, Dimension, wie auch immer ihr es nennen möchtet, eins.“ „Jeder Welt?“   Matt musste einen Moment überlegen. Zwar war er nie der Meinung gewesen, es gäbe nur eine einzige Dimension, aber aus Anothers Mund hörte sich das so an, als gäbe es unzählig viele. Und der Nexus … davon hatte er noch nie gehört.   „Wie viele es gibt, ist ungewiss. Der Nexus selbst ist das Bindeglied zwischen allem, was existiert, existieren wird oder einst existiert hat“, erklärte Another und blickte stur an Matt vorbei, „er ist weit mehr, als einfach nur ein Tunnelnetzwerk für die Reisenden zwischen den Welten. Wie uns …“ „I-ich verstehe nicht ganz.“ Nun blickte sein Ebenbild dem jungen Dämonenjäger in die Augen. „Wir, die wir von euch Dämonen genannt werden, kommen aus einer Welt jenseits des Nexus. Jenseits eures Tores.“ „D-die Dämonen … stammen ursprünglich aus einer anderen Welt?“, rekapitulierte Matt, der sich schon in der Vergangenheit über so etwas Gedanken gemacht hatte. „Alle?“ „Wer weiß? Unsere Art, die Immateriellen, in jedem Falle.“ Plötzlich hob Another seinen rechten Arm und ballte ihn langsam zu einer Faust, während er diese dabei intensiv beobachtete. „Wobei selbst das Immaterielle … sterblich ist.“ Matt schwieg. Daher drehte sich Another zur Seite und richtete seinen Blick auf die Berge am Horizont. „Was du hier siehst ist nur eine Möglichkeit, was an einem der unzähligen Enden des Nexus existieren könnte. Eine Welt voller Schönheit. Vergänglich. Wie die unsere.“ Der Dämonenjäger, seinem Blick folgend, rieb sich am Kinn. „Verstehe. Ihr wurdet vertrieben und seid zu uns gekommen, nicht wahr?“ „Vertrieben?“ Another lachte höhnisch auf und schüttelte den Kopf. „Abgeschlachtet.“ „Was ist passiert?“ „Das … haben wir bis zuletzt nie wirklich begriffen. Es hatte einfach begonnen. Kameraden, Freunde, Familie – auch wir hatten diese Dinge. Bis sich alles gegen uns gewandt hat. Bis wir uns selbst gegen uns gewandt haben.“ Matt blinzelte verdutzt. „Was soll das heißen?“ „Der wahre Feind. Das ist, wie wir das Phänomen bezeichnet haben, welches uns nahezu ausradiert hat – unsere ganze Welt.“ Mit trauriger Mimik bückte sich Another und pflückte behutsam eine Blume. „Unsere Welt ist für euch unvorstellbar gewesen, ihr hättet dort gar nicht existieren können. Aber der wahre Feind konnte es und hat sie verschlungen. Die wenigen Überlebenden sind durch den Nexus geflüchtet – in eure Welt. Und nachdem einige von uns von der Erde zu einer weiteren Reise aufgebrochen sind, zusammen mit ein paar Menschen, entschied man sich dazu, das Tor eurer Welt zu versiegeln.“ Fassungslos schüttelte Matt den Kopf und packte sein anderes Ich an den Schultern, welches daraufhin die Blume fallen ließ. „Ihr habt es geschlossen, damit eure Verfolger nicht hier rein können? Und jetzt willst du es allen Ernstes öffnen!?“ Während Another von seinem Gegenüber geschüttelt wurde, antwortete er tonlos: „Der wahre Feind vernichtet systematisch Welten. Wir haben das Tor daraufhin versiegelt, das ist korrekt. Aber …“ „Aber!?“, brauste Matt nur auf und grub seine Finger fester in Anothers Schultern. „Was aber!?“ „Meiner Ansicht nach bietet das Tor keinen Schutz. Deswegen“, sagte er und mit einem Schlag wurde alles um Matt herum schwarz, „will ich das, was von meiner Art noch übrig ist, aus der untergehenden Welt retten, die ihr Erde nennt!“   [Matt: 1500LP / Another: 4000LP]   Erschrocken stellte der Dämonenjäger fest, dass sein Abbild vor ihm verblasste und er nicht mehr mitten auf einer Blumenwiese stand, sondern im Kristallsaal des Turms von Neo Babylon. Vor ihm waren zwei Fallenkarten aufgedeckt, doch er beachtete sie nicht weiter. Another stand ihm in Alastairs Gestalt gegenüber und funkelte seinen Gegner entschlossen an. „Nun weißt du, was mein Anliegen ist! Dasselbe wie vor Tausenden von Jahren!“ „Flucht“, wiederholte Matt und erkannte, was das bedeutete, „diese Welt wird bald untergehen, fallen durch den wahren Feind!?“ „Vielleicht in zehn, vielleicht in hundert Jahren! Aber irgendwann wird er kommen!“, rechtfertigte sich Another aufgebracht. „Und ich werde nicht länger warten! Selbst die heilige Stadt Eden ist nichts anderes als einer von vielen Zielpunkten des Nexus, sie ist nicht sicher! Sie war die Utopie für die Menschen und für uns, eine unerreichbare Festung! Aber … das ist sie nicht!“ „Selbst wenn du Recht hast und dieser wahre Feind einen Weg kennt, das Tor zu umgehen, hieße das Öffnen für uns, dass sie diese Welt viel einfacher und schneller betreten können!“ Matt wurde zunehmend lauter „Ist doch so, oder!?“ „Dieses Risiko muss ich in Kauf nehmen!“ Die Stimme des jüngeren Dämonenjägers überschlug sich förmlich. „Ach ja!? Du meinst wohl -wir-, die Menschen!“ „Ich werde das nicht mit dir ausdiskutieren, Matt Summers!“, fauchte Another hitzig. „Wenn mich eure Spezies eines gelehrt hat, dann Egoismus! Ich werde jedes Opfer erbringen, was für mein Volk nötig ist, um zu überleben!“ „Das sagt sich leicht, huh!?“, hallte eine andere Stimme durch den Kristallsaal. Anya, die nun alleine Isfanel gegenüber stand, zeigte mit dem Finger auf Another. „Immerhin sind wir ja das, was geopfert wird! Oder sogar die Menschheit, wenn dieser wahre Feind durch das Tor kommt!“ Dann richtete sich die Blondine an Matt und zeigte ihm den erhobenen Daumen. „Den letzten Angriff hast du schon recht cool abgewehrt – weiter so! Tret' ihm in den Hintern, Summers!“ Matt grinste verschlagen, nickte und erwiderte die Geste. „Werd' ich!“ Was ihn daran erinnerte, wie knapp er den Angriff von [Vylon Disigma] doch überlebt hatte. Noch in der Explosion, die ihn erfasst hatte, konnte er vom Friedhof die Falle [Discord Trap] aktivieren. So erklärte er Another nun: „Normalerweise verbannt [Discord Trap] eine deiner Handkarten, wenn du eine Falle aktivierst. Wenn [Discord Trap] aber zerstört wird, kann ich sie und eine andere Falle von meinem Friedhof verbannen, um den Effekt Letzterer zu aktivieren.“ „So bist du also entkommen“, erkannte Another und zeigte auf die zweite Falle, die vor Matt offen stand. „Mithilfe von [Defense Draw].“ „Richtig! [Defense Draw] annulliert einmalig Kampfschaden und lässt mich eine Karte ziehen!“ Und das tat Matt nun, nachdem er die beiden Fallen von seinem D-Pad genommen und in seine Hosentasche gesteckt hatte. „Das wird dich am Ende dennoch nicht weiterbringen. Mein Ziel ist seit Jahrhunderten klar definiert. Bisher habe ich jedes Hindernis aus dem Weg geräumt, was auch weiterhin der Fall sein wird. Ich setze eine Karte verdeckt und beende meinen Zug!“ Der mit Brandnarben übersäte Mann, der einst Alastair gewesen war, ließ vor sich die gesetzte Karte erscheinen. Vor ihm breitete die widerliche Kreatur namens [Vylon Disigma] seine klingenbesetzen Arme aus, als wollte sie Matt provozieren. Um sie herum kreisten zwei Lichtsphären, von denen eine violett glimmte.   Vylon Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   „Es spielt keine Rolle, wann du dich entschlossen hast, uns für dein eigenes Volk in Gefahr zu bringen!“, erwiderte Matt aufgebracht und zog nebenbei. „Deine Absichten sind nicht böse, aber denk daran, was du uns damit antun könntest! Wenn dieser wahre Feind wirklich existiert, dann-“ „Er existiert!“, donnerte Another aufgebracht. „Und er wird euch früher oder später heimsuchen, ob durch das Tor Eden oder einen anderen Zugang zu eurer Welt! Es spielt keine Rolle!“ „Das rechtfertigt nicht-“ Another übertönte ihn jedoch mit Alastairs tiefer Stimme. „Ihr würdet dasselbe tun! Wieso glaubt ihr Menschen, das Recht zu haben, über andere Wesen zu bestimmen!?“ „Wir-!“ „Sechs!“, rief Another und zeigte eine flache Hand vor plus den Daumen der anderen. „Nur sechs Opfer und ich werde imstande sein, einen Ausweg zu finden! Vielleicht auch für euch Menschen!“ Der Dämonenjäger geriet ins Stocken. „Aber wenn das Tor solange offen steht, dann könnten sie-!“ „Alles könnte passieren! Vergiss das Tor, Matt Summers! Ich brauche nur euch sechs, um mein Volk zu retten!“ Enttäuscht seufzte Another auf und schüttelte den Kopf. „ Aber so egoistisch wie ihr seid, würdet ihr niemals euer eigenes Leben für das von anderen opfern! Deshalb sagte ich, dass es keinen Sinn hat, jemanden von eurem Schlag um Hilfe zu bitten!“   Matt schnaufte wütend. Das hatte so wirklich keinen Sinn, Another verstand nicht – oder wollte nicht verstehen. Es ging nicht nur um das Tor und den wahren Feind. Die Leute, die er in das alles hineingezogen hatte, waren unschuldig! Er besaß verdammt noch mal ebenso wenig das Recht, über ihre Leben zu bestimmen. Und wer war er, für sein Volk ein anderes in Gefahr zu bringen. Er war nicht besser als die Menschen, die er regelrecht zu verabscheuen schien!   „Dann ist das jetzt ein Kampf der Menschheit gegen Immaterielle“, deklarierte Matt und zeigte mit dem Finger auf Another, „denn wir sind nicht eure Fußabtreter vor der Tür in eine andere Welt! Du bist nicht besser als wir!“ Höhnisch lachte sein Gegenüber auf. „Dann halt mich auf, wenn du kannst!“ „Werde ich!“ Daraufhin richtete der schwarzhaarige, junge Mann seinen Blick auf die gezogene Karte und weitete die Augen. Das war doch der Zauber, den er von Henry bekommen hatte? Aber was sollte er mit dem anfangen!? Er musste Disigma irgendwie loswerden, da half diese Karte nicht. Dank Disigmas Effekt waren Kämpfe undenkbar, aber vielleicht ging es auch anders! Er besaß fünf Handkarten, sein Gegner nur zwei – er konnte das Spiel also noch drehen! „Ich rufe [Steelswarm Gatekeeper] auf das Spielfeld!“ Eine gepanzerte, auf vier Beinen laufende Kreatur gesellte sich vor Matt. Zwar hatte sie Ähnlichkeit mit einem Käfer, wirkte jedoch in seiner schwarzen Aufmachung gleichzeitig dämonisch.   Steelswarm Gatekeeper [ATK/1500 DEF/1900 (4)]   „Und nun reanimiere ich [Steelswarm Sting] von meinem Friedhof! Mit der Zauberkarte [Monster Reborn]!“ Neben seinem Käfermann tauchte die schwarze Hornissengestalt auf.   Steelswarm Sting [ATK/1850 DEF/0 (4)]   Matt atmete tief durch und streckte den Arm aus. „Und jetzt überlagere ich meine beiden Stufe 4-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network!“ Sein Gegner gab ein abwertendes Pfeifen von sich, als sich die Monster des Dämonenjägers in violette Lichtstrahlen verwandelten. Mitten im Spielfeld öffnete sich ein schwarzer Wirbel, der sie absorbierte. „Xyz-Summon! Zeig dich, [Steelswarm Roach]!“, rief Matt und knallte die Karte seines Monsters auf das D-Pad. Aus dem Strom entstieg ein eleganter, schwarzer Kakerlakenritter, dessen goldene Flügel wie ein Umhang um seine Schultern lagen. Er zückte sein Rapier und nahm eine kämpferische Pose an.   Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   „Sinnlos“, kommentierte Another den Anblick des von ihm einst erschaffenen Paktmonsters. „Diese Karte nützt dir nichts. Denkst du, ich habe sie so geschaffen, dass du sie gegen mich einsetzen kannst?“ Matt grinste verschlagen. „Selbst das hast du geplant?“ „Natürlich. Es war nur ein Gefühl, aber ich ahnte, dass wir uns hier gegenüber stehen würden.“ „Mal sehen, ob du auch hierfür vorgesorgt hast“, erwiderte Matt, hob den Arm an und bildete mit seiner Hand eine Faust. „Ich rekonstru-“ „Idiot!“, hallte es plötzlich von der anderen Seite des Saals zu ihm herüber. Mit in den Hüften gestemmten Armen stand Anya dort drüben und funkelte ihn böse an. Dabei wich Matts Blick jedoch überrascht zu den beiden Monstern ihres Gegners. Das waren doch nicht etwa-!? „Du kannst keine Inkarnation im selben Zug durchführen, in dem du das Basis-Xyz-Monster beschworen hast“, rügte sie ihn wütend, „wusstest du das nicht!?“   „Sie hat recht“, sprach Another und lenkte Matts Aufmerksamkeit damit wieder auf sich. „Das ist unmöglich. Und selbst wenn, würde ich es dir nicht gewähren. Du brauchst meine Macht dazu, Matt Summers.“ Kurz überlegte sein Gegner. So war das also? Nun gut, in etwa hatte er das kommen sehen, zumindest was Anothers Einwilligung betraf. Wenn es allein schon regeltechnisch nicht möglich war jetzt schon zu inkarnieren, konnte er sich -das- noch aufheben für später. „Ach wirklich?“, reagierte Matt dann schnippisch und zückte eine Karte aus seinem Blatt. „Zu schade aber auch! Denn eigentlich wollte ich ohnehin etwas ganz anderes tun!“ Überrascht zog Another eine Augenbraue hoch. Gleichzeitig legte Matt seine Zauberkarte auf das D-Pad. „Und zwar das hier: [Xyz Energy]! Indem ich ein Xyz-Material von Roach abhänge, kann ich dein Monster zerstören. Kommt dir die Situation bekannt vor, Another!?“ „Es ist“, murmelte der Hüne, „wie damals im Kampf gegen deinen Freund.“ Matt nickte. „Aber die Dinge sind anders! Ich kann das hier!“ Ruckartig streckte Another seinen Arm aus. Das Overlay Network öffnete sich abermals, doch diesmal absorbierte es [Vylon Disigma] als Ganzes. „Ich rekonstruiere das Overlay Network! Aus meinem Rang 4-Monster wird ein neues Rang 4-Monster!“ Der Dämonenjäger rieb sich hilflos am Hinterkopf. „Hier kommt es … wie erwartet.“ „Steige empor aus der tiefsten Finsternis! Xyz-Summon! [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma]!“ Schwarze und gelbe Blitze brachen aus dem Wirbel hervor, als dieselbe unheimliche Kreatur wieder aus ihm heraustrat. Doch sie war anders als zuvor. Sechs gleißende Schwingen aus buntem Licht befanden sich nun hinter Disigma, ohne jedoch mit diesem verbunden zu sein. Und während die schwarzen Klingenarme sich nicht weiter verändert hatten, bestand sein Unterkörper nun aus einem würfelartigen Segment, das durch eine Glasschicht abgeschottet war. In seinem Inneren befanden sich zwei leuchtende, goldene Sphären.   Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma [ATK/2500 DEF/2100 {4}]   Matt schluckte beim Anblick der Kreatur. „Großartig, immer wenn ich denke, ich wüsste was mich erwartet, beweist du mir das Gegenteil …“ Dabei war sein Blick auf den Ring gerichtet, der den überdimensionalen Kopf Disigmas und den Kubus miteinander verband. Auf ihm waren nebeneinander gereiht verschiedene Fratzen zu sehen, die diverse negative Emotionen wie Furcht oder Wut darstellten. „Du wirst überrascht sein“, versprach Another geheimnisvoll und grinste, wobei Alastairs Lippen durch die Narben regelrecht schief wirkten.   „Hey“, hallte es da wieder von Anyas Spielfeldseite herüber, deren Situation noch nahezu unverändert war, wenn man außen vor ließ, dass sie es jetzt nur noch mit einem Mechavogel zu tun hatte. Dafür sah sie mit einem Mal ganz schön mitgenommen aus. Besonders eine seltsame Wunde an ihrer Wange fiel ihm auf, aber aus der Ferne konnte er sie kaum erkennen. Die Blondine zeigte auf den neuen Disigma. „Lass dich nicht davon beeindrucken. Ich weiß, wie du das Vieh kinderleicht klein kriegen kannst!“ Der Dämonenjäger horchte überrascht auf. „Huh?“ „Ganz einfach.“ Das Mädchen nickte den Kopf in Disigmas Richtung. „Diese Incarnation-Dinger können doch Xyz-Material recyclen.“ „Das weiß ich.“ „Aber nur die Monster, die für das Original als Xyz-Material gedient haben. Sprich, wenn die vom Friedhof verschwinden würden …“ Zur Verdeutlichung zog sich Anya mit dem Daumen über den Hals.   Woraufhin Matt sich wieder auf sein Blatt konzentrierte. Wie sollte er jetzt gegen Disigmas neue Form vorgehen? Er besaß keine weiteren Zerstörungskarten mehr. Und Anyas Tipp war auch nicht gerade hilfreich! In dem Moment fiel ihm wieder Henrys Zauberkarte ein. „Das ist es!“, stieß er hervor, als er endlich erkannte, welchen Zweck sie erfüllen sollte. Sofort fischte er den Zauber aus seinem Blatt hervor und hielt ihn in die Höhe. „Erlebe sie jetzt, Another! Die Macht der Anti-Incarnation-Waffe!“ „Der was?“, wiederholte sein Gegner skeptisch. „So etwas gibt es nicht.“ „Doch, sieh her! Ich aktiviere die Ausrüstungszauberkarte [Legendary Victory Spear – Lord Fafnir]! Nur ein Xyz-Monster kann damit ausgerüstet werden!“ Gespannt sahen er und Another, gar Anya und Isfanel zu, wie sich in Roachs Hand ein zwei Meter langer, weißer Speer materialisierte. Mit goldener Verzierung geschmückt, wurde sofort klar, dass diese Waffe etwas Besonderes war – denn statt einer normalen Speerspitze ragte am Ende des Schafts ein Drachenkopf hervor, aus dessen Maul die goldene Spitze lugte. Sofort als die Waffe mit beiden Händen ihres Trägers angenommen wurde, leuchtete diese weiß auf.   Steelswarm Roach [ATK/1900 DEF/0 {4}]   Doch sonst geschah nichts weiter mit dem Kakerlakenritter, um den eine leuchtende Sphäre kreiste. „Kein Angriffsbonus?“, wunderte sich Another und lachte auf. „Jämmerlich.“ „Typisch!“, blies Anya ins selbe Horn. „Alles, was von dem Pennerkind kommt, ist totaler Schrott!“ Matt jedoch grinste vielsagend, verzog dann vor Schmerz die Miene, da die Wunde an seiner Schulter ihm zu schaffen machte. Dennoch gluckste er. „Haha. So ganz stimmt das nicht, Anya. Denn wenn ich Lord Fafnir ausrüste, verbanne ich ein Attribut meiner Wahl vollkommen aus dem Friedhof meines Gegners!“ Erschrocken wich jener daraufhin zurück. „D-das ist-!?“ „Und ich sage Licht!“ Damit richtete Roach den Speer auf Anothers D-Pad. Ein leuchtender Strahl schoss aus dem Schlund des Drachenkopfs und traf besagten Apparat, aus dem sämtliche Vylon-Monster geflogen kamen. Mit Entsetzen fing Another sie in der Luft auf. „Tja, mit Recycling ist jetzt nicht mehr viel“, grinste Matt und schob nebenbei seine letzte Handkarte, eine Falle, in den entsprechenden Slot seines D-Pads. „Jetzt weiß ich, wofür Lord Fafnir gut ist! Diese hier verdeckt, Zug beendet!“ Seine Falle materialisierte sich vor seinen Füßen und Matt hoffte inständig, dass Another sich diesmal nicht an ihr vergreifen würde, denn nochmal würde er sich nicht mit [Discord Trap] retten können.   „Glaub nicht, dass das allein reichen wird, um mich zu besiegen!“, kündigte Another aufgebracht an und schob die beiden [Vylon Pentachloro] in die Hosentasche seiner Jeans. Dann riss er die nächste Karte von seinem Deck. „Draw!“ Beruhigt stellte Matt fest, dass das Monster seines Gegners während der Standby Phase tatsächlich seine maximale Xyz-Material Anzahl von vier nicht wiederherstellen konnte. Gleich darauf griff Another unter Disigmas Karte und riss eines der Xyz-Materialien hervor. „Effekt von [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma] aktivieren! Den ersten! Du wirst überrascht sein, aber es ist derselbe wie der des Originals! Mit ihm wird er -meine- Paktkarte jetzt absorbieren!“ „Derselbe!?“, schoss es aus Matt heraus. „Aber normalerweise-!“ „Ich sagte doch, du wirst überrascht sein! Und nun sieh zu! [Vylon Seraphim – Embodiment Of Order, Disigma], benutze Gate Of The Outsider!“ Die finstere Engelsmaschine öffnet das Maul und versuchte mit einem heftigen Sog [Steelswarm Roach] zu absorbieren. Dieser rutschte ungewollt über das Spielfeld. Gleichzeitig löste sich eine der beiden Sphären im Inneren des Glasw